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ARCHIV
FÜB
ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE.
FoETSBTZüNO DES VON REIL, REIL ü. AÜTENRIETH. J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER,
REICHERT ü. DU BOIS-REYMOND hbrauboborbbnbn Abohivkb.
HERAUSGEGEBEN
VON
Dr. WILHELM HIS,
PROFBSSOK DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LBIPZIQ,
UND
Db. th. w. engelmann,
PROFESBOR DER PHTSIOLOOIB AN DER UNIVERSITÄT BERLIN.
JAHR&Alf& 1899.
SUPPLEMENTBAND
ZUB
PHYSIOLOGISCHEN ABTHEILUNG.
LEIPZIG,
VERLAG VON VEIT & COMP.
1899.
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ARCHIV
fOs
YSIOLOGIE.
PHYSIOLOGISCHE ABTHEILÜNG DES
AiLCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE.
UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN
HJSBAUS6E0EBBN
VON
Dr. th. w. engelmann,
PB0FBB80B DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN.
JAHß&ANff 1899.
SUPPLEMENT-BAND.
i MIT ABBaDÜNGBN IM TEXT UND EINER TAFEL.
LEIPZIG,
VERLAG VON VEIT k COMP,
" 1899.
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Druck Ton Metsger &, WltÜg in Le^»ig.
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Inhalt.
Seite
H. Oppekheim, Znr Brown-Sequard'schen Lähmung 1
Waltheb Lob, Ueher das Verhalten des Eadoxins 31
R. Cassirer, Ein Fall von multipler Hirnnervenlähmung. Zugleich als Beitrag
zur Lehre von der Geschmacksinnervation 36
Immanitbl Munk und Max Lbwandowsky, üeber die Schicksale der Eiweiss-
stoffe nach Einführung in die Blutbahn 78
Benno Lewt, Ueber die Adhäsion des Blutes an der Wandung der Blutgefässe 89
Frttz Strassmann, Ueber den Durchgang des Sublimats durch den Placentar-
kreislauf 95
Emilio Cavazzani, Ueber den Mechanismus der Zuckerbildung in der Leber . 105
0. Haobmann, Beitrag zur Lehre vom Stoifwechsel der Wiederkäuer . . . . 111
Johannes Feentzbl, Ergographische Versuche über die Nährstoffe als Kraft-
spender für ermüdete Muskeln 141
C. A. Ewald, üeber Ernährungsklysmata 160
A. Ix)ewy und Paul Friedr. Richter, Sexualfunction und Stoffwechsel. Ein
experimenteller Beitrag zur Frage der Organ therapie 174
PosNER und P. AsoH, Ueber den Einfluss der Rückenmarksdurchschneidung auf
die Niere 199
Bernhard Bbndix, Ein Stoffwechselversuch beim atrophischen Säugling . . . 206
P. Strassmann, Beitrag zur Lehre von der fötalen Harnsecretion und der Her-
kunft des Fruchtwassers. (Hierzu Taf. L) 218
J. Dewitz, Ueber den Rheotropismus bei Thieren 231
J. RiOH. Ewald, Zur Methodik der Messung des peripheren Widerstandes in
einer Arterie 245
F. Tanql, Beitrag zur Eenntniss des Energiegehaltes des menschlichen Harnes 251
Wilh. Caspari, Ein Beitrag zur Frage nach der Quelle des Milchfettes . . . 267
J. F. Hbtmans und L Ronsse, Einfluss der Anämie und der Plethora auf die
Wirkung des Tetanusgiftes 281
ScHUMBURG, Ueber die Bedeutung von Kola, Kaffee, Thee, Mate und Alkohol
für die Leistung der Muskeln 289
Magnus Lbvt und E. Falk, Der Lungengaswechsel des Menschen in den ver-
schiedenen Altersstufen 314
(>. Hagbhann, Berichtigung and Ergänzung zu dem Aufsatze „Beitrag zur Lehre
vom Stoffwechsel der Wiederkäuer" 382
Hans Fbibdbnthal, Ueber Amylaceenverdauung im Magen der Oarnivoren . . 383
W. V. Bbchtbrew, Ueber die Gehörcentra der Hirnrinde 391
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VI Inhalt.
Seite
Steinhausen, Beitrage zur Lehre von dem Meehanismus der BewegaDgen des
Schultergürtels 403
H. J. Hambübqeb, Ueber den Einflnss von Salzlösungen auf das Volum thieriscber
Zellen. Zugleich ein Versuch zur quantitativen Bestimmung deren Gerüst-
substanz. Zweite Mittheilung 431
MicHABL Lapinskt, Studleu über die locale Blutcirculation im Bereiche gelähmter
Nerven 477
Paul Schultz, Arthur Schopenhauer's Abhandlung: „Ueber das Sehen und die
Farben" 510
Gustav Zimmerbcann, Die Uebertragang der Schallschwingungen auf und durch
das Mittelohr 534
W. y. Bechterew, Ueber die Lage der motorischen Bindencentren des Menschen
nach Ergebnissen faradischer Reizung derselben bei Gehimoperationen . . 543
Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1898—99.
Hansemann, Demonstration zur Spermatogenese des Orang-Utang 547
Max David, Kurze Mittheilung über histologische Vorgänge nach Implantation
von Elfenbein in Schädeldefecte 547
Albbbt Neumann, Zur Vereinfachung der Phenylhydrazin-Zuckerprobe .... 549
Albert Neumann, Verfahren zur Darstellung der Nuclei'nsäuren a und 6 und
der Nucleothyminsäure 552
A. LoBWT, Ueber die Bedingungen der Tonerzeugung und das Pfeifen im luft-
verdichteten Räume 555
R. DU Bois-Reymond, Ueber den Person'schen Versuch 560
Thobnbb, Demonstration eines stabilen Augenspiegels 564
A. LoEWT, Sexualfunction und Stoffwechsel 565
H. ViRCHOw, Ueber die Gelenke der Fusswurzel 566
£. Rost, Notiz zur Kenntniss der Ausscheidung des Borax 568
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SEP 26 my
Zur Brown-S^qüard'schen Lähmung.
Von
Prof. H. Oppenheim
in Berlin.
Die Lehre Brown-Söquard's* von den Erscheinungen der Halb-
seitenläsion des Rückenmarks war das Ergebniss thierexperimenteller Unter-
suchungen, die erst später von diesem Forscher selbst und einer grossen
Zahl anderer Autoren durch am Menschen angestellte Beobachtungen er-
gänzt und erweitert wurden. Während zunächst eine gewisse Harmonie
zwischen den am Thier festgestellten und den durch die Beobachtung am
Krankenbett gewonnenen Thatsachen zu walten schien, hat sich in der
Folgezeit in dieser Hinsicht eine auffallige Divergenz der Wahrnehmungen
und Deutungen geltend gemacht, bis zu dem Grade, dass die Lehre
Brown-S^quard's, unter den Händen der Experimentatoren in ihren
Grundlagen erschüttert, eine völlige Umwandlung erfuhr, während sie von
den Klinikern fast durchweg wenigstens in ihren wesentlichen Zügen an-
erkannt und bestätigt wurde.
Diese Spaltung wird durch nichts deutlicher illustrirt, als durch die
eigenthümliche Thatsache, dass Brown-S^quard selbst in den letzten
Jahren seines Lebens seine Lehre widerrufen hat, während die Kliniker
in imponirender Uebereinstimmung seine neue Theorie verwarfen und seine
alte Lehre wieder auf den Schild erhoben.
Bei dieser Sachlage hielt ich es für eine nicht undankbare Aufgabe,
an dieser Stelle, in einem den Ergebnissen der physiologischen Forschung
gewidmeten Archiv eine Darstellung des gegenwärtigen Standes der Brown-
S^uard 'sehen Lehre zu bieten, welche sich auf die am kranken Menschen
angestellten Beobachtungen gründet Ich habe mich dazu um so lieber
entschlossen, als der Physiologe, dem diese Festschrift gewidmet ist, die
* Vgl. zu den Aatorennamen das Litteratarverzeichoiss am Ende dieser AbhaDdlang.
Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abtblg. Suppl. 1
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2 H. Oppenheim:
Resultate der klinischen Erfahrung und der menschlichen Pathologie niemals
aus den Augen verloren, sondern mit dem warmen Interesse des für seine
Wissenschaft und Kunst begeisterten Arztes verfolgt und verwerthet hat.
Die zeitlichen und räumlichen Grenzen, die mir bei dieser Besprechung
gesteckt wurden, machen es erforderlich, dass ich mich auf die Erörterung
der Hauptresultate beschränke, und auch da, wo ich mich auf eigene Er-
fahrungen stütze, nicht, wie es wünschenswerth wäre, ausführliche Krauken-
geschichten, sondern nur Extracte derselben bringe oder gar nur ihre
Ergebnisse verwerthe. —
Die Thatsachen, welche durch das Thierexperiment ermittelt wurden,
darf ich hier als im Wesentlichen bekannt betrachten und kann mich auf
ein paar Hinweise beschränken.
Die ersten Mittheilungen Brown-Söquard's aus den Jahren 1846
bis 1850, an die sich in den nächsten Jahren eine Reihe weiterer an-
schlössen, wurden keineswegs widerspruchslos hingenommen. Zu den ent-
schiedensten seiner ursprünglichen Gegner gehörte Schiff, der die gekreuzte
Anästhesie durch eine Läsion der nichtoperirten Rücken markshälfte erklärte.
Widerspruch erhob auch Chauveau, dem Brown-Sequard zugeben
musste, dass die Kreuzung der sensiblen Bahnen sich nicht bei allen Thieren
derselben Classe in der gleichen vollständigen Weise vollzöge, Vulpian,
der die contralaterale Anästhesie als eine Consequenz der homolateralen
Hyperästhesie betrachtet wissen wollte, indem er eine Art von „balancement
physiologique des deux moiti^s de la moelle ^pini^re'^ annahm.
Diese Anschauung Vulpian's ist besonders durch eine Anzahl klinischer
Beobachtungen widerlegt worden, in denen die gleichseitige Hyperästhesie
oder auch die gekreuzte Anästhesie längere Zeit bezw. dauernd das einzige
Zeichen einer unvollkommenen Halbseitenläsion bildeten.
Unter den Experimentatoren der Folgezeit gab es einzelne, deren
Beobachtungsresultate nur in einigen Punkten von den Brown-Söquard'-
schen abwichen. So fand Ferrier (1885) beim Affen nach Halbseitenläsion
des Rückenmarks die Lagegefühlsstörung im Gegensatz zu Brown-Söquard
auf der gekreuzten Seite.
Turner nähert sich Brown-S^quard am meisten. Seine Theorie
lautet (für den Menschen): Für die unteren Extremitäten gilt die Brown-
Söquard'sche Lehre im vollen Umfange, für die oberen ändert sich das
Verhalten der sensiblen Bahnen insofern, als nur die der Schmerz- und
Temperatur-Empfindungsleitung dienenden sich kreuzen, während die für
die tactilen Reize nach ihrem Eintritt in's Halsmark auf beiden Seiten
nach oben verlaufen. Aehnlich spricht sich Bechterew aus.
Den wirksamsten und entschiedensten Einspruch gegen die durch
Brown-S6quard begründete l^ehre erhob Mott, indem er bei seinen
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ZüB BßOWN-SfiQUABD'sCHEN LÄHMUNG. 3
besonders am Affen ausgeführten Experimentaluntersuchungen zu Ergeb-
nissen gelangte, die den von Brown-S6quard festgestellten durchaus
entgegengesetzt waren. Er fand niemals die Sensibilität auf der gekreuzten
Seite aufgehoben, vielmehr in der Regel eine doppelseitige, aber auf der
gelähmten überwiegende (oder gar eine sich mehr oder weniger auf diese
beschrankende) Oefuhlsabstampfung.
Aehnlich waren die von Bottazzi, Marshall, Horsley u. A. erzielten
Resultate.
Besonders aber fällt es in's Gewicht, dass Brown-S6quard selbst
unter dem Drucke dieser Thatsachen und der durch seine neuen Experi-
mente gewonnenen Anschauungen seinen alten Standpunkt verliess, die
Lehre von der Kreuzung der sensiblen Bahnen im Rückenmark verwarf
und eine neue Theorie aufstellte, nach welcher die contralaterale Anästhesie
auf einer Hemmung beruhe, welche durch den von Seiten der Läsion ge-
setzten Reizzustand bedingt sei. lieber die Natur dieser Hemmung spricht
sich jedoch Brown-S^quard so unklar aus, dass Brissand seine Aus-
führung „bien obscur" nennt.
Die Ansicht, dass die Durchschneidung centripetal verlaufender Hem-
mungsbahnen die Ursache der gleichseitigen Hyperästhesie sei, ist auch von
anderen Autoren (Woroschiloff, Koch, Martinotti u. A.) ausgesprochen
worden.
Unter den experimentellen Beobachtungen, die Brown-S^quard selbst
anstellte und gegen seine alte Lehre in's Feld führte, sind folgende die
bemerkenswerthesten: 1. Die Durchschneidung hinterer Wurzeln im oberen
Dorsalmark kann gleichfalls eine Hyperästhesie der gleichseitigen, eine
Anästhesie des gekreuzten Hinterbeines zur Folge haben. 2. Ist durch eine
halbseitige Durchschneidung des Cervicalmarks eine gekreuzte Anästhesie
hervorgerufen, so kann sie durch eine zweite entsprechende Operation im
Dorsalmark in Hyperästhesie umgewandelt werden. 3. Die durch Halb-
seitenläsion des Dorsalmarks gesetzte Anästhesie des gekreuzten Hinterbeines
schwindet, wenn der Ischiadicus der anästhetischen Seite leicht gedehnt
wird u. 8. w.
Auf die experimentellen Untersuchungen, die zur genaueren Localisation
der der sensiblen Leitimg dienenden Bahnen von Woroschiloff, Koch,
Osawa, Martinotti, Holzinger, Singer und Münzer, Horsley, Tooth,
Barbacci u. A. angestellt wurden, braucht hier nicht eingegangen zu werden,
ebenso wenig auf die von Turner, Rossolimo, Mott u. A. ausgeführten
Experimente, welche über die bei der Rückbildung des Brown-S§quard'-
schen Symptomencomplexes in's Spiel tretenden Vorgänge Licht verbreiten
sollten.
Dem Wirrsal von Widersprüchen und Meinungsverschiedenheiten auf
dem Gebiete des Thierexperimentes steht eine erfreuliche Congruenz der
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4 H. Oppenheim:
Wahrnehmungen und Anschauungen bei jenen Forschem g^enüber, die
die Symptome der Halbseitenläsion am kranken Menschen studirt haben.
Nicht als ob hier in allen Fällen und unter allen Verhaltnissen völUg
identische Symptombilder hervorgetreten wären. Nein, es fehlt auch hier
nicht an Verschiedenheiten der Beobachtungsergebnisse und an ungelösten
Fragen — aber in Bezug auf den Kern der Sache, die Anerkennung der
alt^n Lehre Brown-S6quard's und ihrer Deutung, herrscht eine fast
vollkommene Einigkeit.
Die ältere Casuistik — Brown-Söquard, Köbner, Turner, En-
derlen und Baymond^ haben mehr oder weniger vollständige Zusammen-
stellungen derselben geboten — hatte schon die Thatsache hervorspringen
lassen, dass die Halbseitenläsion des Rückenmarks beim Menseben einen
Symptomencomplex erzeugt, der in seinen Grundzügen dem Brown-
Söquard'schen Gesetz entspricht. In der grossen Mehrzahl der Fälle
äusserte sich die Halbseitenläsion, mochte sie nun durch Verletzungen oder
durch Krankheitsprocesse anderer Art bedingt sein, durch: gleichseitige
Lähmung, gleichseitige Hyperästhesie und contralaterale An-
ästhesie. Beobachtungen, die von diesem Schema abwichen, waren so
spärUch, dass man sie fast vernachlässigen konnte, oder der atypische
Charakter der Erscheinungen liess die Deutung zu, dass nicht eine reine,
sondern eine unvollkommene Halbseitenläsion, oder eine über die Grenzen
der einen Kückenmarkshälfte hinausgreifende Affection vorliege.
Die klinischen und pathologisch-anatomischen Erfahrungen der neueren
Zeit verlangen aber um so mehr Beachtung, als inzwischen die Anschauungen
über den Faseiverlauf und die Bedeutung der verschiedenen Leitungswege
im Kückenmark in mancher Hinsicht geklärt worden sind.
Es sind besonders die Abhandlungen von Raymond, Enderlen,
Laehr, Mann, Brissaud, Kocher und Schlesinger nebst meinen
eigenen Erfahrungen auf diesem Gebiet, auf welche sich die folgende
Darstellung stützt.*
Es ist unbestritten und wird durch keine einzige Beobachtung widerlegt,
dass die Halbseitenläsion des Rückenmarks beim Menschen eine Lähmung
des homolateralen Beines, bezw. der homolateralen Gliedmaassen hervorbringt.
Diese Lähmung ist, wie das namentlich von Wernicke und Mann hervor-
gehoben, von Müller u. A. bestätigt wurde, insofern keine ganz vollständige,
als die absolute und dauernde Paralyse nur gewisse Muskelgruppeu, nämlich
VMann und Jeremias haben dagegen das Facit ans den von ihnen citirten, aber
nicht wiedergegebenen Beobachtungen der vorliegenden Litteratur gezogen.
^ Lejden und Goidscheider haben im NothnageTschen Handbach der spe-
cielien Pathologie and Therapie namentlich die physiologische Seite dieser Frage ein-
gehend besprochen.
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ZüB Beown-Säquabd'schen Lahmünö. 5
die Beuger des Ober- und Unterschenkels und die Strecker (Dorsalflexoren)
des Pusses betrifft, wahrend die anderen nicht vollständig ergriflFen werden,
bezw. ihre Bewegungsfahigkeit theilweise wieder erlangen. Für diese bei
cerebraler wie bei spinaler Hemiplegie der dauernden Lähmung entgehenden
Muskeln ninmit Mann einen Innervationszufluss aus der anderen Rücken-
markshälfte an, so dass die streng einseitigen Aflfectionen sie verschonen,
bezw. nicht völlig paralysiren. Dass die Lähmung bei spinaler Hemiplegie
oft in ganz hervorragendem Maasse die Strecker des Pusses und der Zehen
betrifft, kann ich auch nach meinen Erfahrungen bestätigen.
Femer beweist die Mehrzahl der vorliegenden Beobachtungen, dass die
Lähmung des Beines, so lange die Läsion ihren Sitz oberhalb des Lenden-
marks hat, eine spastische ist, wenn auch das Verhalten des Muskeltonus
und der Sehnenphänomene gewissen Schwankungen unterworfen ist, die
hier nicht berücksichtigt werden sollen.
Ich habe nachher auf die wichtige Frage einzugehen, ob und unter
welchen Verhältnissen die Muskeln der gelähmten Seite einem Schwunde
anheimfallen.
Die Hyperästhesie der gelähmten, also dem Sitze der Affection ent-
sprechenden Seite, ist eine in der grossen Mehrzahl der Krankengeschichten
erwähnte Erscheinung. Wenn auch ihre Intensität eine wechselnde ist und
sie sich nicht immer, entsprechend den Angaben ßrown-Sequard's, für
alle Gefühlsqualitäten geltend macht, so bildet sie doch ein nahezu regel-
mässiges oder doch durchaus gewöhnliches Symptom der halbseitigen Ver-
letzungen und Erkrankungen des menschlichen Rückenmarks. Aus ein-
zelnen Beobachtungen (Schrader, Beck) scheint hervorzugehen, dass
da, wo die Hyperästhesie vermisst wurde, die Halbseitenläsion eine un-
vollständige war.
Meine eigenen Wahrnehmungen haben allerdings zu einem von der
herrschenden Lehre etwas abweichenden Resuttat geführt, insofern als ich
eine ausgesprochene Hyperästhesie häufig vermisste, dagegen recht oft eine
relative Hyperästhesie zu constatiren Gelegenheit hatte, nicht im Leyden'-
schen, sondern in dem Sinne, dass die die gelähmte, bezw. paretische Seite
treffenden Reize weit lebhafter empfunden wurden, als die an der anderen,
während es nicht immer sicher entschieden werden konnte, ob eine Hyper-
ästhesie des einen oder eine Hypästhesie des contralateralen Beines allein
vorlag. Zwar stellte sich bei weiterer Untersuchung meist heraus, dass
beide Zustände vorhanden waren, aber die Hyperästhesie war doch keines-
wegs eine in die Augen springende. So ist es mir fast nie vorgekommen,
dass ich von den Patienten dieser Kategorie eine Klage gehört hätte, wie
z. B. von den an localer Hauthyperästhesie leidenden Tabikem, die selbst die
Berührung der Bettdecke nicht ertragen. Ebenso wenig kam es vor, dass
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6 H. Oppenheim:
die Hyperästhesie der Haut die an Brown-S6quard'scher Lahmung
Leidenden verhinderte, beim Gehen die Fasssohle des von der Parese be-
troffenen Beines auf den Boden zu setzen und sich auf sie zu stützen, eine
Erscheinung, die wir sonst bei Hyperästhesie der Fusssohle, mochte sie
nun neuritischen (Polyneuritis alcoholica) oder hysterischen Ursprunges sein,
oft zu beobachten Gelegenheit hatten.
Kocher erwähnt dagegen u. A. einen Fall, in welchem die Hyper-
ästhesie der tiefen Theile eine so beträchtliche war, dass die Bewegungen
der Extremität mit Schmerzen verbunden waren.
Mit dem Hinweis auf meine Erfahrungen soll die namentlich auch
durch das Thierexperiment gut begründete Lehre von der Hyperästhesie
als Symptom der Halbseiten läsion gewiss nicht bekämpft werden. Ich
halte mich schon aus dem Grunde nicht für berechtigt dazu, als sich
meine Erfahrungen zum grössten Theil einerseits auf Krankheitsfalle be-
ziehen, in denen der Symptomencomplex der Halbsei tenläsion unvoll-
kommen oder verwaschen war, andererseits auf solche von reinem, voll-
kommenem Typus, aber langsam-progredienter Entstehung und stabilem
Zustand nach langer Dauer des Leidens.
Immerhin will ich bemerken, dass bei der Feststellung der Hyper-
ästhesie das ürtheil durch den Vergleich mit der gefühllosen Extremität
irregeleitet werden kann, und dass namentlich auch die lebhafte Steigerung
der Hautreflexe, die sich häufig auf der gelähmten Seite findet, eine Hyper-
ästhesie vortäuschen, oder eine Ueberschätzung des Grades derselben ver-
anlassen kann.
Die Anästhesie oder die Gefühlsabstumpfung der gekreuzten Seite
darf als eine regelmässige Erscheinung der Halbseitenläsion des mensch-
lichen Rückenmarks bezeichnet werden. Diese Thatsache ist meines Wissens
in den letzten Jahren von Seiten der Kliniker allgemein anerkannt und
von Keinem in Zweifel gezogen worden. Die Schwierigkeiten, die Ver-
schiedenheiten in der Beobachtung und Deutung beginnen aber sofort,
wenn wir der Frage nach dem Verhalten der einzelnen Gefühls-
qualitäten näher treten.
Nach der ursprünglichen Lehre Brown-S6quard's betrifft die Ge-
fühlslähmung der gekreuzten Seite alle Sensibilitätsqualitäten, mit Ausnahme
des Muskelgefühls, bezw. der Sensibilität der tiefen Theile (wir könnten sie
kurz als Bathyästhesie bezeichneu). Wir pflegen diese Gefühlsqualität
jetzt go wohnlich mit der Lageempfindung zu identificiren. Mit dieser Ab-
gabe Brown-Söquard's stimmen weder die älteren noch die ueuereu
klinischen Beobachtungen in allen Punkten überein.
Zunächst ist es die Bathyästhesie, deren Verhalten nicht ganz sicher-
gestellt ist. Freilich existirt eine grosse Zahl von guten Beobachtungen
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Zur BBOWN-SfiQüARD'SCHBN LäHMüNG. 7
schon in der älteren Litteratur, in denen die Ijageempfindung durchaus
entsprechend den Angaben Brown-S6quard's auf der Seite der Lähmung
aufgehoben oder herabgesetzt , auf der Seite der Anästhesie erhalten war.
Einige Male (Brown-S6quard, Raymond u. A.) wurde auch festgestellt,
dass ein die tiefen Theile (Muskeln u. s. w.) der gefühllosen Seite treffender
Druck schmerzhaft empfunden wurde.
Nur in einem kleinen Bruchtheile der Fälle fand sich die Lagegef&hls-
störung auf der contralateralen Seite, oder sie war — etwas häufiger —
beiderseits nachzuweisen.
Die neuen Beobachtungen und auch meine eigenen Erfahrungen ent-
scheiden durchaus zu Gunsten der Brown- Söquard 'sehen Lehre. In
meiner Casuistik tritt die Bathjanästhesie nie ausschliesslich auf der ge-
kreuzten, meist ausschliesslich auf der gelähmten Seite und zuweilen doppel-
seitig hervor. Wo das letztere zutraf, sprachen auch andere Gründe dafür,
da^ der Krankheitsprocess über die Mittellinie hinausgegriffen hatte.
Bei einer Hemiläsion des oberen Halsmarks griff in zwei meiner Be-
obachtungen die Ataxie auch auf den contralateralen Arm über, während
nur die gleichseitige Unterextremität betroffen war.
Besonders ist es noch eine Thatsache, die auch da, wo über diese
Sensibilitätsqualität nichts ausgesagt ist, den Bückschluss gestattet, dass sie
auf Seite der Lähmung herabgesetzt war, die Thatsache, dass in vielen
Fällen (z. B. in den von Neumann, Gilbert, Schultz, mir. Herhold,
Kocher, Raymond beschriebenen) und so auch in einem Theil meiner
eigenen in den Anfangs gelähmten Gliedmaassen mit Eintritt der Besserung
oder in den von vornherein nur paretischen Ataxie die Bewegungen be-
gleitete.
Dagegen ist mir weder unter den fremden noch unter den eigenen
Beobachtungen eine begegnet, in der die Ataxie ausschliesslich die contra-
laterale Seite betroffen hatte.
Umgekehrt deutet aber auch diese Localisation der Ataxie auf der
homolateraleii Seite auf ihre innige Beziehung zur Bathjanästhesie.
Im höheren Maasse divergiren die Angaben und die Anschauungen
bezüglich des Verhaltens der tactilen Sensibilität. Ich schliesse mich hier
jenen Autoren an, welche zwischen Berührungs- und Druckempfindung
eine scharfe Grenze nicht ziehen, und werde die Bezeichnung Tastsinn,
Berühnmgsempfindung , tactile Empfindung u. s. w. promiscue gebrauchen.
Einer relativ kleinen Zahl von Beobachtungen, in denen die Tast-
empfindung, der Brown-Söquard'schen Lehre entsprechend, auf der ge-
kreuzten Seite herabgesetzt oder aufgehoben war, steht eine grössere gegen-
über, in denen die^e Empfindungsqualität gar nicht beeinträchtigt, und eine
Anzahl weiterer, in denen sie doppelseitig oder gar nur auf der gelähmten
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8 H. Oppenheim:
Seite herabgesetzt war. In meiner Gasuistik handelt es sich entweder — und
zwar meistens — um intacte Berührungsempfindlichkeit oder um bilaterale
leichte Hypasthesie; einige Male fand sie sich nur am contralateralen Bein,
und in zwei Fällen von Typus cervicalis superior der Halbseitenläsion nur
am Arm der gelahmten Seite.
Die neueren Forschungen haben nun eine Thatsache, die allerdings
auch früher nicht vernachlässigt war, schärfer herausgehoben: dass die
Anästhesie der gekreuzten Seite meistens ausschliesslich für
die Schmerz- und Temperaturempfindlichkeit Gültigkeit hat.
In den Lehrbüchern von Gowers und mir (auch in der 1. Auflage)
ist das schon hervorgehoben. Insbesondere aber haben Mann, Kocher,
Laehr, Raymond, Brissaud in den letzten Jahren diese Thatsache
gewürdigt. Mann hat in 6 Fällen eigener Beobachtung auf der gekreuzten
Seite Thermanästhesie und Analgesie bei gut erhaltener oder nur miuimal
herabgesetzter (die Patienten empfanden die leiseste Berührung, „wenn auch
zuweilen etwas dumpfer") Berührungsempfindung nachgewiesen. Ausserdem
hat er die vorhandene Gasuistik in Bezug auf diese Frage gesichtet und
ermittelt, dass in 31 von 51 Fällen diese partielle Empfindungslähmung,
die dissociirte Anästhesie (oder der type syringomyelitique der Franzosen)
entweder von vornherein bestand oder sich bald aus der totalen Anästhesie
entwickelte, während von den 21 Fällen, in denen sich die Empfindungs-
störung auf alle Reizarten bezog, ein grosser Theil kurze Zeit nach dem
Beginn des Leidens veröffentlicht sei. Dagegen sei kein einziger Fall von
Halbsei|;enläsion beschrieben, in welchem ausschliesslich die tactile Sensi-
bilität auf der gekreuzten Seite aufgehoben war. Jeremias, der diese
Frage später an einem grösseren Litteraturmaterial prüfte, gelangt ebenfalls
zu dem Schluss, dass die partielle Empfindungslähmung die typische Form
der Gefühlsstörung bei Bro\vn-S6quard 'scher Lähmung sei.
Mit besonderer Bestimmtheit ist Brissaud, dessen Abhandlungen
über diesen Gegenstand' zum Theil weiter zurückreichen, für diese An-
schauung eingetreten. Während aber die genannten Autoren diese Art der
Anästhesie in generelle Beziehung zur Halbseitenläsion brachten, macht
sie Brissaud von der Natur bezw. der speciellen Localisation des Processes
abhängig, indem er in diesem „type syriugomy61itique** die charakteristische
Form der Anästhesie bei der durch die syphilitischen Erkrankungen des
Rückenmarks bedingten Halbseitenläsion erblickt. Dieser Punkt bedarf
nachher der weiteren Auseinandersetzung.
Die in den klinischen Beobachtungen durchweg hervortretende An-
ästhesie der gekreuzten Seite ist von den Autoren auf die Kreuzung der
sensiblen Bahnen im Rückenmark zurückgeführt worden, während die neue
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Zur Brown-Säqüabd'schen LIhmüng. 9
Hemmimgatheorie Brown-S6quard's allgemein — nur Raymond und
Jolly verhalten sich nicht ganz ablehnend — verworfen wurde.
Bezüglich des Vorganges und Ortes der Kreuzung herrscht insoweit
eine Congruenz der Anschauungen, als sie sich unmittelbar oder bald nach
dem Eintritt der sensiblen Wurzelfasern uni ihrer Collateralen in der grauen
Substanz, bezw. in den Commissuren abspielt Die französischen Forscher
(Raymond, Brissaud u. A..) denken dabei an die hintere Commissur,
wahrend die deutschen in Anlehnung an Edinger, Bechterew, Köl-
liker u. A. im Ganzen mehr geneigt sind, den Ort der Kreuzung in die
vordere Commissur zu verlegen.
Wie und wo sich dieser Vorgang nun auch abspielen mag, darüber
herrscht kaum noch ein Zweifel, dass die sensiblen Bahnen zum grossen
oder zum grössten Theile in die entgegengesetzte Rückenmarkshälfte und
hier in einem allerdings noch nicht mit Bestimmtheit abgegrenzten Faser-
zug des Vorderseitenstrangrestes nach oben gelangen.
Man hat an das Gowers'scbe Bündel gedacht, dann aber wieder Be-
denken gegen diese Annahme erhoben. Es scheint, als ob diese Bahn durch
Fasern gebildet würde, die zunächst nahe der grauen Substanz liegen, dann
aber immer mehr nach aussen, an die Peripherie des Seitenstranges, ge-
drängt werden (Mann, Brissaud).
Gerade auf der Aufstellung und Anerkennung dieser Thatsache basirt
die Ablehnung der neuen Lehre Brown-Sequard's. Und falls man ge-
zwungen wäre, die am Thiere als Folge der Hemisection festgestellten
Erscheinungen im Sinne von Horsley, Mott u. A. zu deuten, so bliebe
nichts übrig, als eine grundsätzliche Dififerenz in dem Verhalten der sen-
siblen Leitungsbahnen zwischen Mensch und Thier anzunehmen, wie das
auch schon von Bezold, Kocher u. A. ausgesprochen worden ist
Mit der überwiegenden Mehrzahl der Forscher halte ich also an der
Lehre von der Kreuzung der sensiblen Bahnen resp. eines grossen Antheiles
derselben im menschlichen Rückenmark fest.
Welche Gefühlsbahnen sind es aber, die ihre Kreuzung schon im Rücken-
mark erfahren? Die klinischen Beobachtungen drängen zu der Annahme,
dass es in erster Linie oder ausschliesslich die der Leitung der Schmerz-
und Temperaturempfindung dienenden Bahnen sind, welche in jeder Höhe
des Rückenmarks in die graue Substanz (Hinterhorn) eintreten und von
hier in den gekreuzten Vorderseitenstrang gelangen. Hier also findet sich
die geschlossene Bahn, in welcher die von der contralateralen Körperseite
kommenden Schmerz- und Temperaturreize zum Gehirn fortgeleitet werden.
Jede Herderkrankung des Vorderseitenstranggebietes wird also, wenn sie
diese Bahn zerstört, eine Thermanästhesie und Analgesie der contralateralen
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10 H. Oppenheim:
Körperseite, bezw. des gekreuzten Beines hervorrufen, während die Er-
krankungen, die sich auf die hintere graue Rückenmarksubstanz beschranken,
selbst wenn sie eine betrachtliche Höhenausdehnung besitzen (Gliosis), nur
eine homolaterale Therm-Alg-Anästhesie hervorrufen (s. w. u.).
In Uebereinstimmung mit der alten Lehre Brown-S6quard*8 macheu
6S die klinischen Erfahrungen wahrscheinlich, dass die Leitungswege für
die Sensibilität der tiefen Theile, also vor Allem die bei der Prüfung des
Lagegefühles in's Spiel tretenden Empfindungen, ganz oder zum grössten
Theile in der gleichseitigen Rückenmarkshälfte nach oben gelangen.
Zweifelhaft ist es jedoch, ob sie ihren Weg durch den Hinterstrang
oder durch den Kleinhirnseitenstraug (oder durch beide Gebiete) nehmen.
Es scheint nicht, als ob die graue Substanz einen wesentlichen Antheil an
der Vermittelung dieser Eindrücke habe, da die speciellen Erkrankungen
derselben (Gliosis und Hämatomyelie; von den reinen Vorderhornerkran-
kungen können wir ja hier absehen) in der Regel nicht mit einer Beein-
trächtigung der Lageempfindung verknüpft sind. Dagegen existiren einzelne
Beobachtungen, in welchen localisirte Affectionen des Hinterstranggebietes
sich durch Lagegefühlsstörung und Ataxie äusserten.
So citirt Kocher einen von Hammond beschriebenen Fall, in welchem
bei einer Fractur des XI. Brustwirbels ein die Hinterstränge comprimirendes
Fragment Lagegefühlsstörung und- Ataxie hervorgebracht hatte, während
die tactile Empfindung kaum beeinträchtigt war. Mit der Entfernung des
Fragmentes gingen die Ausfallserscheinungen zurück.
Haie White bringt eine Beobachtung von Compression des Rücken-
marks bei Wirbelcaries mit Analgesie, während das Lagegefühl intact und
die Tastempfindung nur unbedeutend herabgesetzt war; durch die Autopsie
wurde Unversehrtheit der Hinterstränge am Orte der Compression ermittelt.
Allerdings fehlt. die genauere (histologische) Untersuchung. Auch ist die
Beobachtung schon deshalb keine beweiskräftige, weil bei Rückenmarks-
compression auch die histologisch intacten Fasern doch leitungsunföhig sein
können, wie das gerade die Erfahrungen bei Wirbelcaries lehren.
Ferner hat Mann in einem Falle von Rückenmarkserkrankung, in
welchem die ventrale Hälfte beider Hiuterstränge degenerirt war, an keiner
Körperstelle eine Aufhebung des Berührungs- und Lagegefühles nachweisen
können. Da hier jedoch die Läsion des Hinterstranges nur eine partielle
war und vorwiegend das Gebiet betraf, welches von endogenen oder ab-
steigenden Fasern ausgefüllt wird, so dürfte aus dieser Beobachtung kein
Beweis gegen die Bedeutung des Hinterstranges für die A'ermittelung der
Lageempfind ungs-Impulse abgeleitet werden.
AVir halten es nach den vorliegenden und den eigenen Erfahrungen
wahrscheinlich, dass die bei der Prüfung des Lagegefühles in Wirksamkeit
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ZüK Brown-S^quabd'sghen Lähmung. U
tretenden Reize ihren Weg (ganz oder zum grössten Theile) durch den
gleichseitigen Hinterstrang zum Gehirn nehmen.
Wie das Verhalten der tactilen Empfindung bei der Brown-
S^qaard' sehen Lähmung noch am wenigsten klargestellt ist, so ist auch
die Frage nach der Bedeutung der verschiedeneu Leitungswege für die
Berührungsreize noch eine völlig ungelöste. Uns interessiren hier vor-
wiegend die Schlüsse, die sich aus den klinischen Beobachtungen von Halb-
seitenläsion des Rückenmarks für die Entscheidung dieser Frage ziehen
lassen. Die Thatsache, dass sich der Brown-S6quard'sche Symptomen-
complex so sehr häufig durch eine partielle Empfindungslähmung (Therm-
alganästhesie) des contralateralen Beines äussert, hat zu ganz verschiedenen
Auslegungen und Schlussfolgerungeu geführt.
Brissaud, der, wie oben angeführt, dieses Verhalten als ein für die
Lues spinalis nahezu pathognomonisches betrachtet, will es aus der Locali-
sation des Processes erklären. Dieser ergreife hier in der Regel (Ausnahmen
lässt er zu, wie z. B. den Charcot-Gombault'schen Fall) nur das Vorder-
seitenstranggebiet mit Eiuschluss der grauen Substanz, während die Hinter-
strange verschont blieben. Die specifische Erkrankung dringe entweder
von den Meningen aus m*s Rückenmarkgewebe oder greife mittels der
Gefasse (Nekrobiose, Erweichung) auf dasselbe über. Bei dem Eindringen
von der seitlichen Peripherie her werde die gekreuzte Gefühlsbahn sofort
gefährdet. Auch von den vasculären Processen und ihren Folgen können
die Hinterstränge verschont bleiben, weil sie ihre eigenen Gefässe besitzen.
Die Schwäche dieser Argumentation springt in die Augen. Wer Ge-
legenheit gehabt hat, sich mit der pathologischen Anatomie der Rücken-
markssyphilis eingehender zu beschäftigen, dem wird es gewiss nicht ent-
gangen sein, wie häufig — man könnte fast sagen: in welch' electiver
Weise — das syphilitische Granulationsgewebe sowohl wie die durch Gefass-
erkrankung inducirte Erweichung gerade das Hinterstranggebiet betrifft
Ich habe aber auch in einem Falle von Brown-S6quard'scher Lähmung
mit partieller Empfindungslähmung der in Frage stehenden Art bei Lues
spinalis die Betheiligung des Hinterstranges durch die anatomische Unter-
suchung feststellen können.
Dem gegenüber liegt eine sehr interessante Beobachtung von Hanot
und Meunier vor, in welcher eine doppelseitige gummöse Erkrankung
des Rückenmarks, die ihren Sitz besonders in der grauen Substanz hatte
und wohl auch die Vorderseitenstranggebiete betraf, dagegen die Hinter-
strange nahezu völlig verschonte, einen doppelseitigen Brown -S^quard
(„le double Syndrome de Brown-S6quard") mit partieller Empfindungs-
lähmung erzeugt hat. Wir dürfen jedoch meines Erachtens diese Beob-
achtung deshalb nicht im Sinne Brissaud's deuten, weil diese Localisation
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12 H. Oppenheim:
des specifischen Processes eine ungewöhnliche ist, die „dissociation syringo-
my61ique" der Gefühlsstörung dagegen bei der Lues spinalis ein recht häufiges
Vorkommniss bildet (vgl. weiter unten meine eigenen, den Brissaud'schen
vorausgegangenen Angaben über diesen Punkt). Uebrigens liegt auch ein
von L. R. Müller untersuchter Fall von Brown-S^quard'scher Halb-
seitenläsion mit partieller Empfindungslähmung vor, in welchem ein SoUtär-
tuberkel die eine Hälfte des Rückenmarks mit Einschluss des Hinterstranges
zerstört hatte (wenn es auch der Autor nicht ausschliessen kann, dass
einzelne Fasern unversehrt blieben). Die Brissaud'sche Hypothese steht
also zweifellos auf schwachen Füssen.
Andere Autoren haben die Bedeutung des Hinterstranges für die Fort-
leitung der tactilen Reize überhaupt in Frage gestellt und andere Bahnen
für diese in Anspruch genommen. Man hat dabei besonders an Fasern
gedacht, die aus den hinteren Wurzeln direct in die seitliche Grenzschicht
der grauen Substanz gelangen sollen (Edinger). Neuerdings taucht die
Annahme auf, dass es überhaupt keine langen, directen Bahnen für die
Empfindungsleitung giebt, sondern dass auch die tactilen Reize schon im
Rückenmark ein zweites Neuron in Anspruch nehmen.
Die grösste Beachtung verdient zweifellos die Auffassung Mann 's (der
sich die von Turner und Macken tosh eng anschliesst): dass den Be-
rührungsreizeu jeder centripetale Weg offen stehe, dass, so lange überhaupt
noch Fasern für die Fortleitung centripetaler Erregungen vorhanden seien,
diese von den Berührungsreizen betreten werden können.
Für die Richtigkeit dieser Annahme sprechen viele Thatsachen, be-
sonders auch die, dass bei der Tabes dorsalis die tactilen Empfindungen
(wenigstens an den Extremitäten) oft lange Zeit, selbst bis in die spätesten
Stadien erhalten bleil)en, während das Schmerzgefühl längst erloschen und
auch die Bathyästhesie schon beeinträchtigt oder aufgehoben ist. Jedenfalls
können also die Hinterstränge in grosser Ausdehnung entartet sein, ohne
dass die Leitung der Tastempfindungen aufgehoben zu sein braucht.
Ich gehe nun aber keineswegs so weit, wie jene Autoren, die gegen
die qualitative Sonderung der einzelnen Empfindungsarten überhaupt Be-
denken erheben und so auch das Vorhandensein getrennter Leitungsbahnen
für die verschiedenen Gefühlsqualitäten in Abrede stellen. Ich halte an
der Bedeutung der grauen Substanz und des innerhalb des gekreuzten
Vorderseitenstranges gelegenen Faserzuges für die Schmerz- und Temperatur-
empfindung, ebenso an der Bedeutung des gleichseitigen Hinterstranges
für die bewusste Lageempfindung fest. In Bezug auf die Tastreize acceptire
ich die Ansicht Mann's, dass sie durch alle aufsteigenden Bahnen hirn-
wärts qreleitet werden können, wenn auch in erster Linie dieser Function
Faserbündel dienen mögen, die in den Hint^rsträngen nach oben ziehen.
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Zur Bbown-S£quahd'sch£n Lähmung. 13
Nach der alten Brown -Söquard 'sehen Lehre und einem immerhin
nicht kleinen Theil der klinischen Beobachtungen, müsste man annehmen,
dass auch die Leitung für diese Empfindungsqualitat vorwiegend eine ge-
kreuzte ist. Jedenfalls wurde eine Tastsinnstörung ausschliesslich am Bein
der verletzten bezw. erkrankten Seite nur ausnahmsweise gefunden. Kocher
spricht zwar die Yermuthung aus, dass sich hinter der Hyperästhesie häufig
eine geringe tactile Hypästhesie verberge, die nur durch genaue Unter-
suchong ermittelt werden könne, indes geht das aus den sorgfältigen
Prüfungen, die namentlich in neuerer Zeit von einzelnen Klinikern (auch
Ton mir) angestellt wurden, nicht hervor.
Nimmt man nun an, dass 1. die tactilen Reize vorwiegend in die ge-
kreuzte Rückenmarkshälfte übergeleitet werden, dass aber auch die gleich-
seitige bis zu einem gewissen Grade für diese Function eintreten kann»
und dass 2. sowohl die directen wie die indirecten aufsteigenden Bahnen
von diesen Reizen betreten werden können, so sind die bei der Halbseiten-
läsioü des menschlichen Rückenmarkes beobachteten Verhältnisse in be-
friedigender Weise gedeutet
Wir würden dann bei der vollkommenen, also besonders bei der totalen
traumatischen Halbseitenläsion wenigstens im Beginn eine tactile Hypästhesie
am Bein der gekreuzten Seite zu erwarten haben und würden begreifen, dass
ein geringer Grad derselben manchmal dauernd nachzuweisen ist, wie das
Mann auch für seine Fälle hervorhebt.
Noch einer anderen, allerdings recht hypothetischen Vorstellung könnte
man Raum geben: die langen, directen, gleichseitigen Bahnen werden von
jenen Reizen benutzt, die in der Regel nicht empfunden werden, sondern
nur die Coordinationscentren und andere subcorticale (bezw. pontine, medul-
läre u. 8. w.) Centren beeinflussen. Durch besondere Aufmerksamkeit,
Uebung u. s. w. können diese Reize auch percipirt werden, d. h. direct aus
den subcorticalen Centren in*s Bewusstsein aufgenommen werden. Bei In-
dividuen jedoch, die weniger auf feine Empfindungen zu achten gewöhnt
sind, dringen nur die die indirecten Wege im Rückenmarke einschlagenden
(sich hier schon kreuzende Bahnen benutzenden) Reize, also Schmerz- und
Temperaturreize, sowie die stärker latenten, tactilen Reize in's Bewusstsein.
Dieselben Bahnen werden bei den Individuen der erstbezeichneten Kategorie
benutzt, wenn die directen Bahnen zerstört sind. Damit hätten wir eine
Erklärung für die Thatsache, dass 1. bei Brown-S6quard'scher Lähmung
sehr oft jede Beeinträchtigung der Tastempfindung fehlt (für das Bein der
verletzten Seite Fortleitung durch graue Substanz in contralateralen Seiten-
strang, für das Bein der gekreuzten Seite Fortleitung im entsprechenden
Hinterstrange, Fähigkeit, diese Reize in's Bewusstsein aufzunehmen); 2. häufig
oder nicht selten eine Abstumpfung der tactilen Empfindung an der contra-
lateralen Seite besteht (weil das Individuum gewohnt ist, nur die mittels
der gekreuzton, indirecten Bahnen fortgeleiteten Reize zu percipiren).
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14 H. Oppenheim:
Die Hyperästhesie der homolateralen Körperseite hat gar manche
Hypothese in's Leben gerufen. Die von Woroschiloff u. A. ausgesprochene
Ansicht, nach welcher es sich um die Ausschaltung einer Hemmungsbahn
handelt, wurde schon erwähnt. Ene weitere Annahme, nach welcher die
Hyperästhesie durch die partielle Schädigung der gesunden Rückenmarks-
hälfte, welche irritirend auf die sensiblen Bahnen wirkt, zu Stande kommt,
hat viel Bestechendes. Doch spricht gegen sie die Thatsaohe, dass auch
bei unvollkommenen Halbseitenverletzungeu und schon im Beginn von Er-
krankungen, die mit einer Compression der einen Rückenmarkshälfte ver-
bunden sind, Hyperästhesie bestehen kann und dass sie in einzelnen Fällen
noch nach Jahren und Decennien in unveränderter Weise fortbestand.
An dieser Klippe scheitert auch die Raymond 'sehe Ansicht, der
die Hyperästhesie auf Reizung der contralateraleu Seite durch die von
Schiefferdecker, Singer, Homön und besonders von Enderlen nach-
gewiesene primäre traumatische Degeneration (Quellung u. s. w.) zurück-
führen will. Man könnte an eine die RückenmarksaflFection begleitende
Meningealreizung denken, da es feststeht, dass die das Mark treflfenden
Verwundungen meistens mit einer Meuingealhämorrhagie verbunden sind
und auch die nicht-traumatischen Erkrankungen der Medulla spinalis, be-
sonders die specifischen, sehr oft mit einer AflFection der Hüllen verknüpft
sind. Aber dieser meningitische Process ist doch nur ausnahmsweise ein
streng halbseitiger, während sich die Hyperästhesie regelmässig auf die eine
Körperseite beschränkt.
Kocher hat sicli mit dieser Frage viel beschäftigt, ohne zu einem
klaren Resultat zu gelangen. Seine Hypothese lautet so: „Wird die eine
Rückenmarkshälfte getrennt, so wird der Haupttheil der die Berührungs-
empfindungen leitenden Fasern in der Grenzschicht des Seitenstranges mit-
getrennt, die gekreuzten müssen also die Leitung der Empfindung allein
übernehmen, diese haben aber zum grössten Theile indirecte Leitung, indem
sie die graue Substanz passiren, welche als Summationsorgan wirkend die
Berührungsempfindung zur Schmerzempfindung steigert"
Gower's Auffassung, die sich an die oben erwähnte Vulpian'sche
Theorie anschliesst, befriedigt nicht und föllt mit dieser. Sotta's Ver-
muthung, dass die Sklerose der Pyramidenbahn erregend auf die benach-
barten sensiblen Faserzüge wirke, bedarf keiner Berücksichtigung.
Man könnte folgender Vorstellung Raum geben: Nehmen wir an, ahc
(Fig. 1) repräsentire die langen aufsteigenden Bahnen der bei h d verletzten
Rückenmarkshälfte und supponiren wir, dass in denselben nur Impulse nach
oben fortgeleitet werden, die auf subcorticale resp. cerebelläre, bulböse Centren
(Coordinationscentren u. s. w.) einwirken, ohne zum Bewusstsein zu gelangen,
während die mit den hinteren Wurzeln h — h^ hereinströmenden Reize, welche
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ZUB BROWN-SfiQÜABD'sCHEN LÄHMUNG. 15
bewusste Empfindungen auslösen, durch die Seitenzweige i — t^ auf die contra-
laterale Seite gelangen. Jeder bei der Gefühlsprüfung angewandte Reiz spaltet
sich also in zwei Componenten, von denen der eine in der Bahn ahc nach oben
gelangt und subcorticale u. s. w. Centren beeinflusst, während der andere nach
Ueberleitung in die gekreuzte Seite und die secundär auf- ^
steigende Bahn die bewusste Empfindung auslöst. Durch
eine bei dh gesetzte Leitungsunterbrechung wird die
Abspaltung der direct nach oben gelangenden Impulse
verhindert und so erhalten die von h nach i fortgeleiteten, ^.
in^s Bewusstsein dringenden Erregungen einen entsprechen-
den Jntensitätszuwachs. h
Diese Hypothese hätte vor der von Woroschiloff ^,
u. A. aufgestellten den Vorzug, dass sie auf die unklaren }^
Hemmungswirkungen verzichtet und den neuen Erfah-
rungen — der Lehre von den Collateralen u. s. w. —
gerecht wird. '^
h^
1/,
t
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•i'.
♦
€L
Das Verhalten der Sehnenphänomene und Haut-
reflexe, der Blasen- und Mastdarmfunction, der vaso- pj^ i
motorischen und oculopupillären Symptome u. s. w. soll
hier nicht erörtert werden, da ich zu dem Bekannten nichts Wesentliches
hinzuzufügen haben würde. Ebenso soll die durch die Läsion der direct in
den Krankheitsherd einmündenden hinteren Wurzeln bedingte Anästhesie
und Hyperästhesie, welche sich an der oberen Grenze der gelähmten resp.
anästhetischen Körpertheile findet — sie ist von Brissaud besonders sorg-
fiQtig studirt worden — hier unberücksichtigt bleiben.
Dagegen halte ich es für geboten, gewissen, den Brown-S6quard*schen
Symptomencomplex begleitenden Reizerscheinungen auf motorischem
und sensiblem Gebiet ein paar Bemerkungen zu widmen.
Ausser den gewöhnlichen Zeichen der Rigidität treten in der von der
Parese betroffenen Extremität häufig Zuckungen, Zittern (meist spastisches)
und andere motorische Reizerscheinungen hervor. Es genügt, einen Blick
auf die von Enderlen, Raymond u. A. zusammengestellten Fälle, sowie
auf die Kocher* sehe Casuistik zu werfen, um sich von der Häufigkeit dieser
Erscheinung zu überzeugen. Die gewöhnliche Muskelsteifigkeit steigert sich
am Bein zuweilen zur Streckcontractur, während Beugecontractur nur selten
vorzukommen scheint.
Die am Arm bei hohem Sitz der Läsion sich ausbildende Contractur
kann der hemiplegischen gleichen oder einem anderen Typus entsprechen.
So zeigte in einem Falle meiner Beobachtung (Figg. 2 u. 3), in welchem
die Aflfection ihren Sitz im linken oberen Cervicalmark (Höhe des 2. bis
4. Cervicalnerven) hatte, der Arm folgende Stellung: Oberarm stark
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16
H. Oppenheim:
adducirty Unterarm etwa im rechten Winkel gebeugt, Hand ad maiimum
supinirt und überstreckt, Grundphalaugen der Finger leicht, Mittelphalaugen
stark gebengt, Endphalangeu überstreckt.
Fig. 2.
Fig. 8.
Hier bildete die Muskelstarre das wesentliche, wenn nicht das einzige
Hindemiss für die activen Bewegungen des Armes. Von Zeit zu Zeit kam
es zn tonischen Muskelkrämpfen im linken Arm, weniger im Bein,
durch welche der Oberarm §tark an den Thorax gepresst, der Unterarm
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ZüB BbOWK-S£QU ABDUSCHEN LÄHMUNCh. 17
spitzwinkelig flectirt und auch in den übrigen Muskeln die Spannung
beträchtlich gesteigert wurde.
Von besonderem Interesse war dabei die Erscheinung, dass, während
diese Contractur schmerzlos empfunden wurde, sich mit den anfallsweise
auftretenden tonischen Krämpfen in der linken Körperseite regel-
mässig Schmerzen in der ganzen rechten Körperseite (Arm, Rumpf
oud Bein) verbanden. So entstand eine Combination Ton motorisch-sensiblen
Reizerscheinungen, die nach ihrer Localisation genau den typischen Aus-
fallserscheinungen der Brown-S6quard'schen Lähmung entsprachen und
sie begleiteten. Ich habe für diesen interessanten Symptomencomplex die
Bezeichnung Spasmodynia cruciata vorgeschlagen.
In der vorliegenden Casuistik ist das Symptom der ausstrahlenden
Schmerzen in den von Lähmung und Anästhesie ergriffenen Oliedmaassen
sehr oft erwähnt (Brown-Söquard, Charcot, Berndt, Vix, Enderlen,
Raymond, Müller, Kocher u. A.). Und da wir andererseits auch die
motorischen Reizerscheinungen als ein häufig beobachtetes Symptom bezeich-
neten, könnte man vermuthen, dass die Spasmodynia cruciata ebenfalls zu
den vulgären Erscheinungen der Halbseitenläsion gehöre. Dem ist jedoch
keinewegs so. Die motorischen und sensiblen Reizphänomene finden sich
unabhängig von einander beschrieben. Ja es fällt auf, dass als Sitz der
Schmerzen bald die gelähmte, bald (aber vorwiegend) die anästhetische
Körperseite bezeichnet wird. Da, wo die Schmerzen die gelähmte Seite
betrafen, hat es sich wohl meistens entweder um ausstrahlende Schmerzen
in den direct betroffenen Wurzelgebieten, oder um schmerzhafte Empfindungen,
die durch die Contractur ausgelöst wurden, gehandelt. Ausserdem kann
auch die vasomotorische Lähmung zu schmerzhaften Empfindungen, die
allerdings in meinen Beobachtungen meist als Gausalgie geschildert wurden,
führen. Und schliesslich könnte sich die Hyperästhesie auch einmal bis
zu dem Grade steigern, dass jeder, auch der leichteste Reiz (Lufthauch u. s. w.)
schmerzhaft empfunden wird.
Kocher widmet diesen Erscheinungen und ihrer Pathogenese einige
beachtenswerthe Erörterungen, ohne jedoch die Spasmodynia cruciata deut-
Uch zu schildern. Am nächsten streift dieses Symptom J. Schnabl in einer
Krankendemonstration des Wiener med. Clubs (Sitzung vom 9. Februar
1898).!
Er bespricht einen früher von ihm vorgestellten Fall von Lues spinalis
mit Brown-Söquard'schen Symptomen, bei welchem sich im Stadium
^ Schnabl war mein Zuhörer» als ich im Sommer 189S dieses Symptom in der
YorlesuDg demonstrirte, und hat mich bei der GelegeDheit aaf seine Beobachtung auf-
merksam gemacht.
Archiv C A. u. Ph. 1899. PhjrsioU Abthlg. Suppl. 2
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18 H. Oppenheim:
der Besserung (unter Hg-Kur) „Schmerzen, welche vom rechten Fnsse in's
Hypochondrium und die Hüfte ausstrahlen, tonische Krämpfe im linken
(gelähmten) Fusse" einstellten.
Obgleich nicht gesagt wird, dass es sich um das gleichzeitige Auftreten
der sensiblen und motorischen Keizerscheinungen handelt«, hat mir das
doch Schnabl mündlich bestätigt.
In dem einen meiner Fälle lagen die Besiduen eines seit etwa 14 Jahren
abgelaufenen Leidens vor, das wahrscheinlich von den Wirbeln ausgegangen
war und ursprünglich eine mehr oder weniger den ganzen Querschnitt
schädigende Compression des oberen Halsmarks hervorgebracht hatte; diese
hatte sich bald so weit zurückgebildet, dass nur noch die Zeichen der Hemi-
läsion mit besonders starker Ausbildung der Reizsymptome vorlagen. Alles
drängte hier zu der Annahme, dass von einem meningealen Narbengewebe
aus die entsprechende Rückenmarkshälfte beeinträchtigt (gedrückt und
gezerrt) wurde, so dass ich eine operative Behandlung warm befürwortete.
Auf diesen Reiz, den ein Narbengewebe auf die nicht ganz zerstörten
motorischen und sensiblen Leitungsbahnen ausübte, glaubte ich das Phä-
nomen des Spasmodynia cruciata zurückführen zu können. Damit stinmite
eine weitere Beobachtung, in welcher die Erscheinung im Beginn eines
Leidens auftauchte, bei welchem es später zur Ausbildung des Symptomen-
complexes einer vollkommenen Halbseitenläsion kam. Auch der von
Schnabl angeführte Fall lässt sich in diesem Sinne deuten. Kocher ist,
obgleich er unser Symptom nicht ausdrücklich erwähnt, doch zu derselben
Erklärung gelangt: „Für die in einzelnen unserer und der Fälle anderer
Autoren aufgetretenen Reizerscheinnngen in Form von ausstrahlenden
Schmerzen und Spasmen auf der gleichen Seite bei Hemiläsion scheint
uns in Anlehnung an Bekanntes am nächsten zu liegen, eine nur theil-
weise Schädigung und daherige abnorme Erregung sensibler und motorischer
gleichseitiger Bahnen verantwortlich zu machen ohne Unterbrechung ihrer
Leitung. Die beiden Formen von Reizphänomenen treten in Fällen auf,
wo andere Symptome auf unvollständige Trennung hinweisen, gehen den
übrigen Symptomen voran und treten erst im Stadium der Besserung
auf. Im Fall Bischoff (von Kocher beschrieben. Ref.) mit Gervical-
spondylitis tritt im Fuss Ameisenkriechen und Anästhesie gleichzeitig auf
und im linken Knie Steifigkeit und Abnahme der Kraft. Im Falle Krebs
treten mit Zurückgehen der motorischen Lähmung Zuckungen in den Beinen
und mit Verschwinden der Analgesie ausserdem Schmerzen in den Arüher
schmerzunempfindlichen Theilen auf." — Man sieht aus diesen Bemerkungen,
dass sich Kocher 's Beobachtungen nahe mit den unserigen berühren und
dass er dieser Kategorie von Erscheinungen schon die richtige Deutung
gegeben hat.
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ZuB Beown-Säqüaed'schen Lähmung. 19
Es ist hier noch kurz darauf hinzuweisen, dass unter den gleichen
Bedingungen auch Parästhesieen in der anästhetischen — bezw. dann nur
hypästhetischen — Seite vorkommen, wie sie schon in der älteren Casuistik,
dann von Kocher, Mann („Jucken auf der ganzen anästhetischen Seite")
IL A. geschildert werden. Brown-Sequard beschreibt ebenfalls schon Par-
ästh^een in der anästhetischen Seite. Einer meiner Patienten klagte über
starkes Brennen in der homolateralen, starkes Kältegefühl in der contralateralen
iSeite. Er machte die bezeichnende Bemerkung: „Am liebsten möchte ich
den rechten Fuss immer in heisses, den linken in kaltes Wasser stecken."
Diese Empfindung des Brennens in dem gelähmten Bein war die Folge
der yasomotorischen Parese, während die Kälteempfindung der gekreuzten
Seite in der That wohl als eine Parästhesie in dem anästhetischen Gliede
za deuten war.
Allocheirie, die sehr schwer zu erklären, findet sich unter diesen
Verhältnissen einige Male {Brown-Sequard, Jelly) beschrieben.
Eine interessante Frage, die bislang eine wesentliche Berücksichtigung
Dicht gefunden hat, ist die nach dem Vorkommen der Muskelatrophie
bei Brown-S^quard'scher Lähmung.
Es ist bekannt und leuchtet ohne Weiteres ein, dass die Muskeln, die
ihre trophischen Fasern aus dem Krankheitsherd beziehen, der Atrophie
verfallen. Sitzt dieser also im Bereich der Cervicalanschwellung, so erzeugt
er einen umschriebenen Muskelschwund an der gleichseitigen Oberextremität.
Oder, um ein Beispiel anderer Art aus der eigenen Erfahrung anzuführen:
Bei einem Patienten, der die Erscheinungen des Typus cervicalis superior
der Brown-Sequard 'sehen Lähmung darbot, so dass sich Arm und Bein
der entsprechenden Seite im Zustand der spastischen Lähmung befanden,
lifös sich nur im Cucullaris der gleichen Seite atrophische Lähmung mit
Entartungsreaction, in einem analogen Fall nur im Zwerchfell bezw.
N. phrenicus der gleichen Seite eine starke Herabsetzung der elektrischen
Erregbarkeit nachweisen.
Demgegenüber steht es zu erwarten, dass die durch die Läsion der
Pyramidenbahn bedingte Monoplegia bezw. Hemiplegiä spinalis stets eine
einlache und nicht von Muskelschwund begleitet ist. Indess fallt es bei
oiner Durchsicht der Litteratur doch auf, wie oft unter diesen Verhältnissen
die Atrophie der gelähmten Gliedmaassen erwähnt ist (Beobachtungen von
Brown-Sequard, Rosenthal, Neumann, Charcot, Vix, Nolte,
Riegel, Burresi, Hoffmann, Herhold, d'All Armi, Mann u. A.).
Freihch ist die sich auf das Wesen der Atrophie und besonders auf das
Verhalten der elektrischen Erregbarkeit beziehende Schilderung meist eine*
unzureichende.
2-
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20 U. Oppenheim:
Bei einer Sichtung der fremden und eigenen Beobachtungen in Bezug
auf das Vorkommen, den Charakter und die Grundlage dieser Atrophie
ergiebt sich Folgendes:
1. Bei lange bestehender Brown-S^quard'scher Lähmung kann sich,
wie das schon Brown-S^quard selbst betont hat, Inactivitatsatrophie in
den Gliedmaassen, also meistens im Bein der gelähmten Seite, entwickeln.
Diese Atrophie ist immer eine einfache und nur mit geringer quantitativer Ab-
nahme der elektrischen Erregbarkeit verknüpft. Ich habe sogar unter solchen
Verhältnissen einige Male jede Störung der elektrischen Erregbarkeit yermisst
2. Fällt die Erkrankung oder Verletzung, die der Halbseitenläsion zu
Grunde liegt, in die Kindheit bezw. in die Zeit des Wachsthumes, so bleiben
die Muskeln aber auch die Knochen der gelähmten Seite in der Entwickelung
zurück. Die Gliedmaassen sind dann kürzer, die Muskeln dünner als auf
der gesunden Seite, wie das, von Brown-S^quard, Neumann, Her-
hold u. A. geschildert, durch Figg. 2 u. 3 sehr deutlich illustrirt wird.
Auch unter diesen Verhältnissen documentirt sich die Atrophie durch eine
einfache Abnahme der Erregbarkeit, die selbst in dem so ausgesprochenen
Falle, auf den sich die Illustrationen beziehen, nur eine recht geringe war.
Wir haben also hier dieselben Verhältnisse, welche die Hemiplegie der
cerebralen Kinderlähmung im späteren Alter bietet
3. Bei der traumatischen Halbseitenläsion kann eine echte Atrophie
mit Entartungsreaction auch in den Muskeln zu Stande kommen, die aus
den unterhalb der Hemiläsion gelegenen Bückenmarksabschnitten innervirt
werden, wenn sich, wie das nicht so selten vorkonmit, mit der halbseitigen
Zerstörung am Orte der Verletzung eine Röhrenblutung im Verlaufe des
Vorderhomes verbindet, d. h. eine Blutung, welche in Form einer Säule die
vordere graue Substanz in grosser Ausdehnung durchsetzt.
4. In analoger Weise kann sich ein gliomatöser Process verbreiten. Auch
bei Lues spinalis kann es vorkommen, dass ausser einem Herd, der die
Symptome der Halbseitenläsion hervorbringt, andere an tieferen Stellen im
Vorderhom bezw. an den vorderen Wurzeln sitzen, die eine Atrophie der
Muskeln der gelähmten Extremität erzeugen.
Ueber das Vorkommen anderweitiger trophischer Störungen bei
Brown-S6quard 'scher Halblähmung ist nicht viel bekannt, und auch ich
kann nichts Neues dazu anführen, und doch würden genaue Beobachtungen
dieser Art von grossem Interesse sein. Jedenfalls zeigt eine auch nur ober-
flächliche Prüfung der Litteratur, dass trophische Störungen an der Haut,
an den Gelenken, Nägeln u. s. w. sowohl auf der gelähmten (hyperästhetischen)
me auf der anästhetischen Seite gefunden worden sind.
In einem von Alessandrini geschilderten Falle schwollen gegen das
Lebensende die Gelenke der gelähmten Seite und wurden der Sitz heftiger
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ZuB Bbown-S^üabd'bohen Lähmung. 21
Schmerzen; es fanden sich Bluteigüsse in denselben. Eine Arthropathie
im Knie der gelähmten Seite bestand in dem von Jeffrey und Salmon
sowie in einem von Yigu^s beschriebenen Fall.
Decubitus entwickelte sich in einzelnen Fällen auf der anästhetischen
Seite, so bei Viguös und Charcot, und bei Joffroy-Salmon auf der
gelähmten.
Bei einem Patienten Neumann's kam es zur wiederholten Abstossung
der Nägel an der gefühllosen Extremität, bei einem von Mann beobach-
teten entwickelten sich ^atrophische Geschwüre'^ am linken (anästhetischen)
Fuss. Jedenfalls bedarf diese Frage einer gründlichen Nachprüfung unter
genauer Berücksichtigung der Sensibilität, der vasomotorischen Störungen, der
durch die atactischen Bewegungen bedingten Traumen u. s. w. Gewiss lässt
sich aus der vorliegenden Litteratur bei einer ad hoc vorgenommenen Sichtung
weit mehr herauslesen, als diese meine Angaben zu versprechen scheinen.
Eonmit der Brown-S^quard'sche Symptomencomplex bei jedem
Höhensitz der Halbseitenläsion vor?
Es würde überflüssig sein, diese Frage hier aufzuwerfen, wenn sich
nicht bezüglich derselben selbst in einzelnen sonst durchaus sachverständigen
Darstellungen irrthümliche Angaben fanden, während sie nur von wenigen
Forschem klar und correct beantwortet worden ist.
Es ist selbstverständlich — und doch nicht genügend beachtet worden —
dass die Verletzungen und Erkrankungen des untersten Rückenmarksab-
schnittes, des Conus und Sacralmarkes, auch wenn sie sich streng auf eine
Seite beschränken, die typischen Merkmale der Brown-Söquard'schen
Lähmung nicht hervorbringen können, weil in dieser Höhe noch keine
sensiblen Faserzüge in die gekeuzte Rückenmarkshälfte hinübergelangt sind,
höchstens wäre es anzunehmen, dass im oberen Sacralmark ein Theil der
die ano-vesioale Sphäre versorgenden Empfindungsbahnen bereits ihre Kreu-
zung erfohren hätten.
Eine Erkrankung des Sacralmarks, welche sich auf die eine Seite be-
schränkt, wird also eine unilaterale, und zwar gleichseitige Lähmung und
Anästhesie hervorbringen. Im Wesentlichen gilt dies auch noch für die
einseitigen Aflectionen des unteren Lendenmarks; sie erzeugen eine schlaffe
(meist auch atrophische) Lähmung des homolateralen Beines mit Anästhesie
an demselben (s. w. u.).
Deutlich ausgesprochen findet sich das bei Gowers, ebenso habe ich
die Thatsache in meinem Lehrbuch {auch in der 1. Aufl.) betont
Auch aus der Zusammenstellung von Raymond geht hervor, dass
Beobachtungen von Brown-S^quard'scher Lähmung mit einem im unteren
Lenden- oder gar im Sacralmarke sitzenden Krankheitsherd nicht existiren.
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22 H. Oppenheim:
Er bezeichnet den von Reinhold geschilderten Fall, in welchem das rechte
Bein ganz gelähmt war, der Herd also seinen Sitz im oberen Lenden-
(wenn nicht im unteren Brust-) mark haben musste, als den, in welchem
die Hemisection den relativ tiefsten Sitz hatte.
Dagegen findet sich bei Leyden-Goldscheider eine Angabe, die
leicht zu Missverständnissen führen kann: „Die Dissociation des Bewegungs-
und Empfindungsvermögens deutet ausserdem so sicher auf die spinale
Localisation , dass das Vorhandensein bezw. Fehlen dieses Symptomes
diflferentialdiagnostisch verwendet werden kann. Findet sich bei einer
Lähmung oder Parese eines Beines die Sensibilitätsstörung auf derselben
Seite, so spricht dies für Affection der peripherischen Nerven bezw. Nerven-
wurzeln (Afifection der untersten Brust- bezw. der oberen Lendenwirbel,
Meningitis spinalis, Neuritis). Findet sich dagegen das gelähmte Bein frei
von Sensibilitätsstörungen, während solche am anderen Bein vorhanden
sind, so spricht dies für eine Afifection des Rückenmarks selbst." Der erste
Theil dieses Satzes ist also in seiner Allgemeinheit nicht richtig, und es
muss das um so mehr hervorgehoben werden, als sich andere, den that-
sächüchen Verhältnissen Rechnung tragende Bemerkungen über diesen
Punkt bei v. Leyden und Goldscheider nicht finden.
L. R. Müller 's Annahme, dass Erkrankungen im oberen Kreuzmark
wohl noch im Stande seien, den Symptomeucomplex der Halbseitenläsiou
hervorzubringen, ist gewiss nicht ganz zutreffend.
Wernicke und Mann haben nicht nur die hier angeführten That-
sachen klar und deutlich entwickelt, sie haben unsere Kenntnisse auch nach
einer Richtung erweitert, indem sie einen bis da nicht bekannten Typus
der Brown-S^quard 'sehen Lähmung beschrieben, wie er bei Aflfectionen
des Lendeumarks in die Erscheinung treten kann. Es fand sich in einem
Falle eine schlafiPe, atrophische Lähmung des ganzen linken Beines (mit
Entartungsreaction), ebenso war an diesem die Sensibilität für Schmerz und
Temperatur stark herabgesetzt, während an dem motorisch-intacten rechten
Bein sich eine Gefühlsstörung nur in der Gegend vom Scrotum, Penis und
Perineum nachweisen liess. Nur auf Grund dieser umschriebenen Gefühls-
störung, zu deren Feststellung Wernicke die richtigen aprioristischen Er-
wägungen führten, konnte dieser Fall noch der Gruppe von Brown -
Söquard zugerechnet werden. Er lehrt aufs Deutlichste, dass die am
tiefsten in's Mark eintretenden Bahnen auch am frühesten ihre Kreuzung
erfahren.
Mann theilt eine weitere verwandte Beobachtung mit, welche zu be-
weisen scheint, dass die sensiblen Bahnen für die Fusssohle schon in der
Höhe des 2. und 3. Lumbaisegments auf die andere Seite gelangt sind.
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Zur Beown-Säqüard^schen Lähmung. 28
Eine weitere Bereicherung der Brown-Söquard'schen Lehre, welche
wir den klinischen Beobachtungen der jüngsten Zeit verdanken, ist die der
doppelseitigen Brown-S^quard'schen Lähmung.
Hanot et Meunier sind die ersten gewesen, die einen Fall dieser
Art beschrieben haben. Vor Kurzem hat dann Brissaud diese Frage ein-
gehender behandelt und gezeigt, dass hinter einer doppelseitigen Lähmung
ein doppelseitiger Brown-Söquard stecken kann, und zwar dann, wenn
sich diese Paraplegle mit Dissociation der Empfindungsstörung in der Weise
verbindet, dass an dem stärker oder völlig gelähmten Bein nur ein leichte,
an dem paretischen eine beträchtliche Thermoanästhesie und Analgesie ge-
funden wird. In dem Falle von Hanot et Meunier wurde der Symptomen-
complex hervorgebracht durch zwei Gummata, die sich vorwiegend inner-
halb der grauen und benachbarten weissen Substanz beider Rückenmarks-
hälften entwickelt hatten. Und Brissaud meint: „que la parapMgie syphi-
litique sensitivomotrice bilaterale est quelquefois une double h6miparapl6gie
motrice avec double h6mianaesth6sie crois^e."
So interessant diese Beobachtungen auch sind, in diagnostischer Hin-
sieht dürften sie kaum eine wesentliche Bedeutung erlangen. Ebenso
handelt es sich nur um ein Curiosum in einem von mir an anderer Stelle
kurz angeführten Falle, in welchem sich zu den Erscheinungen einer an
den unteren Extremitäten localisirten Halbseitenlähmung eine vorwiegend
die oberen, aber in entgegengesetzter Weise betreflFenden gesellte.
24jährige8 Mädchen. Bemerkte vor 2 Jahren gleichzeitig Schmerzen
im linken und Ermüdung im rechten Beine; Anfangs vorübergehend, später
blieb die Schwäche im rechten Beine eine andauernde, während die Schmerzen
schwanden. Seit Sommer dieses Jahres besteht Kältegefühl und Schwäche
in der linken, Taubheitsgefühl in der rechten Hand. Seit 1^2 Jahren
SchwindelanföUe, auch Blasenschwäche.
Status: Gegenwärtig Zittern des den Boden berührenden rechten Fusses.
Beträchtliche Rigidität im rechten, geringe im linken Beine. Enorme Steigerung
der Sehnen Phänomene rechts, etwas geringere links. Erhebliche Schwäche im
ganzen rechten, geringe Parese im linken Beine. Sensibilität für tactile Reize
beiderseits herabgesetzt, links fast erloschen. Am linken Beine Therm-
anästhesie und Analgesie, während rechts für Nadelstiche Hyperalgesie be-
steht und die Temperaturempfindung nur wenig herabgesetzt ist.
Rechts Fusssohlenreflex sehr lebhaft, links schwach, Zehenreflex beider-
seits mit Dorsalflexion der grossen.
Linke Hand cyanotisch, kalt, Sehnenphänomene an beiden Armen erhöht.
Motorische Schwäche im ganzen linken Arme, rechts Beweglichkeit erhalten.
Tactile Hypästhesie in einzelnen Gebieten beider Arme; dagegen Therm-
hypästhesie und Hypalgesie nur an der rechten Hand.
Lagegefuhl an beiden Füssen und an der linken Hand herabgesetzt;
keine Ataxie.
Himnerven frei.
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24 H. Oppbnheim:
Meine Diagnose lautete: Sclerosis multiplex, und zwar nahm ich an,
dass es sich zwar um mehrfache Herde, aber besonders um zwei Hauptiierde
handele, von denen der eine im unteren Dorsalmark rechts, der andere im
oberen Cervicalmark links seinen Sitz habe. Ausser an Sclerosis multiplex
hätte man etwa noch an multiple Tumoren denken können, doch fehlten
für diese Annahme alle Anhaltspunkte. —
Dass unter solchen Verhältnissen das Brown-S^quard'sche Bild
nicht rein erscheint, sondern dass der höher gelegene Herd, namentlich wenn
er eine umfangreichere Zerstörung bedingen würde, die durch die dorsale
Halbseitenläsion erzeugten Erscheinungen modificirt, ist natürlich. Dass
sich in unserem Falle der Symptomencomplex immerhin noch deutlich er-
kennen und herausschälen liess, lag darin begründet, dass der Herd im
rechten unteren Brustmark nicht nur der ältere, sondern auch der umfang-
reichere war, während der im linken oberen Cervicalmark nur eine partielle
Hemiläsion verursachte.
Zum Schlüsse möchte ich in aller Kürze die Erankheitszustände an-
führen, welche die Erscheinungen der Halbseitenläsion hervorzubringen im
Stande sind. Von den directen Verletzungen des Rückenmarks brauche
ich nichts zu sagen. Sie ahmen das Thierexperiment am getreuesten nach
und können den reinsten und vollkommensten Typus der Brown-S6-
quard' sehen Lähmung im Gefolge haben. Unter meinen Beobachtungen
haben jedoch die Fälle, in denen die Halbseitenläsion nicht traumatischen
Ursprungs war, ein ganz bedeutendes Uebergewicht. Und zwar stehen hier
im Vordergrunde die syphilitischen Erkrankungen des Rückenmarks.
Das lehrt auch schon ein Ueberblick über die ältere Litteratur, in der die
syphilitische Grundlage sehr oft erwähnt worden ist, wenn auch der That-
sache meist keine weitere Beachtung geschenkt wurde (Brown- Söquard,
Folet, d'Owen-Rees, Charcot-Gombauit, Köbner U.A.).
Ich habe dann im Jahre 1889 unter Mittheilung eigener durch die
Obduction verificirter Beobachtungen die Rolle, welche der Brown-
S^quard'sche Symptomencomplex bei der Lues spinalis spielt, näher be-
zeichnet. Einige Jahre später haben sich französische Autoren (Lamy,
Sottas, Raymond, Gilles de la Tourette und Brissaud) mit dieser
Frage beschäftigt und meinen Ausführungen so wenig Beachtung geschenkt,
dass ich die Gelegenheit wahrnehme, auf diese Frage zurückzukommen.
Besonders bezeichnend ist die Darstellung Brissaud's. Noch in seiner
neuesten Bearbeitung^ dieser Frage äussert er sich so: „D6ja en 1889,
Oppenheim avait mentionn^ incidemment le fait; et, deux ans plus tard,
^ Le^ns 8ur les maladies nerveuses. Paris 1899. S^rie X. p. 280.
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ZXTB BsOWN-SiBQüABD'SCHEN LÄHMÜNO. 26
M. Lamy conduait dans des termes parfaitement explicites, que (hier citirt
Brissaud Lamy wörtlich) le Syndrome de Brown-S6quard complet et
permanent est trös rare dans le syphilis, tandis que, 6bauchö et transitoire,
fl constitue la r6gle.''
Also ich hatte die Thatsache nur beiläufig angeführt, während Lamy
klar und deutlich den Symptomencomplex als „6bauch6" und „transitoire"
geschildert habe.
Zum Yergleiche damit setze ich meine Ausführungen wörtlich hierher:
,^8 drittes Kriterium führe ich die Erscheinung an, dass die Symptome der
Brown-S^quard'schen Halblähmung wenigstens in einem Theile der
Wie in irgend einem Stadium angedeutet sind. Ich sage „angedeutet''.
Man findet nämlich die Parese yonnegend in dem einen, die Anästhesie in
dem anderen Beine ausgeprägt, wie der oben mitgetheilte Fall lehrt und
wie ich es in vielen, nur klinisch beobachteten Fällen constatirt habe, aber,
soweit ich sehe, Terwischt sich diese Erscheinung meistens in relativ kurzer
Zeit. Sie erklärt sich aus den geschilderten anatomischen Verhältnissen.''
Ist Brissaud's Behauptung, dass erst Lamy den Begriff „^bauch6"
und „transitoire'^ geschaffen habe, da berechtigt?
In derselben Abhandlung ans dem Jahre 1889 habe ich dann weiter
gezeigt, dass die Dissociation der Empfindungsstörung unter diesen Ver-
hältnissen etwas gewöhnliches ist und auch einen Fall von Brown-
S6quard'scher liähmTing mit Obduction beschrieben, in dem die gekreuzte
Anästhesie aasschliesslioh den Temperatursinn betraf.
Da auch diese Frage von den genannten französischen Forschern, be-
sonders von Bris Saud, etwas verschoben worden ist, erlaube ich mir, mich
noch einmal zu citiren:
„Gegenüber der jetzt herrschenden Tendenz, den Befund einer partiellen
Empfindungslähmung, vor Allem des Schmerz- und Temperaturgefähls auf
eine Syringomyelie zu beziehen, muss ich noch hervorheben, dass ich bei
spinales Lues mehrmals, so auch in dem oben mitgetheilten Falle, eine
isolirte oder doch besonders stark ausgeprägte Temperatursinnstörung ge-
fanden habe. Eine sichere, anatomisch begründete Deutung dieser That-
sache kann ich nicht geben, doch ist es begreiflich, dass die von der Peri-
pherie hereindringenden Geschwulstzapfen sofort auf das Hinterhom treffen,
welches ich in den von mir untersuchten Fällen mehrfach tief erkrankt und
durch den Narbenzug verlagert und in seiner Configuration verändert ge-
funden habe."
Die neueren und zum Theil sehr gründlichen Arbeiten der französischen
Autoren (Lamy, Gilbert et Lion, Sottas, Jorand, Gilles de la
Tou rette, Raymond und Brissaud) haben diese Thatsachen im
Wesentlichen bestätigt Auch meine eigene spatere Erfahrung hat zu dem-
selben Ergebniss geführt, so dass ich dem Angeführten nur das Eine hin-
zuzufügen habe, dass über ein Drittel meiner Beobachtungen von Brown-
S^qoard'scher Lähmung sich auf die Lues spinalis oder cerebrospinalis bezieht.
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26 H. Oppenheim:
Nicht selten wird der Symptomencomplex der Halbseitenläsiou durch
die Gliosis spinalis erzeugt. Wenn diese auch weit häufiger eine homo-
laterale Thermalg-Anästhesie von segmentaler Anordnung (Loehr, Schle-
singer) schafft, so ist doch auch der Brown-S6quard'sche Typus in
Folge Uebei^eifens der AflFection auf die weisse Substanz nicht ungewöhn-
lich (Hoffmann, Schlesinger, eigene Beobachtung, Raymond, Lahr,
Brissaud u. A.).
Ebenso können andere Rückenmarkstumoren sich namentlich im Beginn
ihrer Entwickelung durch den Brown-S^quard'schen Symptomencomplex
manifestiren.
Auch die Hämatomyelie kann, wie das schon von Brown-
S^quard, Charcot, Taylor, Remak, Hoffmann u. A. beobachtet, be-
sonders aber von Minor festgestellt worden ist, die Erscheinungen der
Halbseitenläflion hervorbringen.
Weit weniger sichergestellt ist das für die Myelitis, wenn auch ver-
einzelte klinische Beobachtungen, darunter zwd eigene, und spärliche ana-
tomische Befunde auf diese Grundlage hinweisen. Der Moeli'sche Fall
mit Obductionsbefund darf weder streng hierher noch zur Sklerose (wie
das Jeremias irrthümlich annimmt) gerechnet werden, da es sich zwar
um eine disseminirte Myelitis, aber doch um eine specifische Erkrankning
(gunmiöse Hepatitis!) gehandelt hat.
Bei Wirbelleiden, und zwar beim Tumor der Wirbelsäule, wie bei
Caries, können die Symptome der Hemiläsion des Rückenmarks ebenfalls
zur Entwickelung kommen (von den traumatischen WirbelaflFectionen sehe
ich dabei ab). Im Ganzen findet sich diese Grundlage nur in einem ge-
ringen Procentsatz der mitgetheilten Fälle und damit harmonirt meine
persönliche Erfahrung. Es verdient aber hervorgehoben zu werden, dass
nach Abheilung einer Caries das Brown-S6quard'sche Symptomenbild
als stabiles Leiden persistiren kann (eigene Beobachtung). Von besonderem
Interesse ist femer ein Fall meiner Beobachtung, in welchem ein Sarcom,
das in den Wirbelcanal hineingedrungen war und die Zeichen der Halb-
seitenläsion hervorgebracht hatte, exstirpirt wurde mit dem Erfolg, dass alle
Spinalerscheinungen völlig zurücktraten und bei einer von mir 9 Jahn»
später vorgenommenen Untersuchung noch ein völlig normales Verhalten
nachgewiesen werden konnte.
Wenig Beachtung hat bisher noch die Thatsache gefunden, dass bei
der multiplen Sclerose die Brown-Söquard'sche Lähmungsform keine
ungewöhnliche Erscheinung ist. BeiLeyden, Erb und Wer nicke finden
sich schon Hinweise auf dieses Vorkommniss. Ich habe dann mehrfach
Gelegenheit genommen, das zu betonen, und in den bekannten Abhandlungen
von Uhthoff und Freund finden sich von mir beobachtete Fälle, die den
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ZUB BROWN-SfiQUAKD'SCHEN LÄHMUNG. 27
Beweis liefern, dass die Brown-S^quard'sche Lähmung durch Sclerose
bedingt sein kann. Freilich fanden sich in dem einen zur Obduction ge-
kommenen Falle neben Herden von halbseitiger Verbreitung so viele andere,
zum TheU selbst diffus den Querschnitt durchsetzende, dass aus dem ana-
tomischen Befunde nicht viel für die Deutung der Erscheinungen entnommen
werden konnte.
Jüngst hat dann Jeremias dieser Frage unter AnführuDg ent-
sprechender Beobachtungen eine eingehendere Besprechung gewidmet. —
Es li^ in der Natur der Sache und geht auch aus meinen Beobachtungen
hervor, dass das Symptomenbild Brown-S6quard's bei der Sclerosis mul-
tiplex in recht unvollkommener Entwickelung hervortritt und niemals einen
dauernden Bestand hat, da die in der Folge auftauchenden neuen Herde
die anatomisch-physiologischen Bedingungen für das Zustandekommen dieser
Erscheinungen in mannigfaltigster Weise umgestalten. Es gilt dies für die
Sclerose noch in höherem Maasse als für die syphilitischen Erkrankungen
des Bückenmarks.
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28 H. Qppbnheim:
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Digitized by LjOOQIC
üeber das Verhalten des Eudoxins.
Von
Dr. Walther Lob
in Bonu.
Bei der Jodirung des Phenolphtalelns entsteht, wie ich vor längerer
Zeit in Gremeinschaft mit Alex. Classen^ zeigen konnte, ein Tetrajod-
phenolphtaleln von der Formel:
C-(CeH3J30H)2
welches, ausgezeichnet durch therapeutisch verwerthbare Eigenschaften, unter
dem Namen Nosophen in der Therapie Verwendung findet.
Von den Salzen des Nosophens sind hauptsachlich das Natrium- ( Anti-
nosin) und das Wismuthsalz (Eudoxin) bezüglich ihrer physiologischen
und medicamentösen Bedeutung untersucht worden. Während aber die
chemischen Processe, welche das Antinosin mit der Entfaltung seiner Wirkuug
erleidet, in einfachen und durchsichtigen Beactionen bestehen, sind bis jetzt
bei dem therapeutisch vielfach untersuchten Eudoxin die chemischen Ver-
haltnisse noch nicht eingehender studirt worden. Die Bedeutung derselben
für das Verhalten des Eudoxins im Organismus legte die Aufgabe nahe,
zunächst über die* rein chemische Natur dieses Wismuthöalzes volle Klarheit
zu schaffen.
Die Wirkung des Eudoxins bei Darmaffectionen ist zuerst von Bosen-
heim* ausfuhrlich untersucht worden, später von de Buck,^ von Schön-
Ladniewski* und einer Reihe anderer Aerzte. Sie alle constatirten die
^stiere Wirkung des Eudoxins auf den Verlauf oder die Symptome
* Ol aasen und Lob, Berichte der deutschen ehem. Gesellschaft. Bd. XXVIII.
8. 1603.
* Berliner klinische Wochenschrift, 1895. Nr. 30.
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32
Walthee Lob:
bestimmter Magen- und Darmaffectionen. Während nun im Magen das
Eadoxin mit Säuren in Berührung ist, wird es im Darme alkalischer Ein-
wirkung unterworfen; auch stellt sich die Wirkung im Darme ein, wenn
bei innerlicher Einnahme das Eudoxin zunächst den säuern Mageninhalt
passiren muss. Es war deshalb zunächst von Wichtigkeit, das typische
Verhalten des Eudoxins gegen Säuren und gegen Alkalien, sowie gegen
künstlichen Magensaft zu prüfen.
Das Eudoxin wird in der Weise dargestellt, dass man zu einer ver-
dünnten wässerigen Losung des Antinosins, des Natriumsalzes des Nosophens,
eine Lösung von reinstem Wismuthchlorid in gesättigter Kochsalzlösung
zusetzt, wobei sich durch doppelten Umsatz das Wismuthsalz des Nosophens
bildet und als unlösliches Pulver abscheidet.
Das Experiment zeigt nun, dass in Abhängigkeit von den Bedingungen
zwei verschiedene Wismuthsalze entstehen, indem einmal eine völlige Keu-
tralisirung des Nosophens stattfindet, sich also ein neutrales Salz bildet, danu
aber auch durch nur theilweise Neutralisirung ein sogenanntes basisches
Salz zur Abscheidung gebracht werden kann.
Dem ersteren kommt die Formel zu:
an
/
Czz(CeH,J30)2
^^OOÖ
Es entsteht nach der Gleiohong:
Bi,.
+ 2BiCl,
/
^•^^^c^
C:i^{C„H,J,0),
Bi, + 6NaCl
J3
und enthält 52-9 Procent Jod und 14-5 Procent Wismuth.
Das basische Salz bildet sich durch die Umsetzung:
,C=(C,H,JjONa),]
+ BiClj + H,0
•^*^
,C— (C,H,J,0)jBiOH
= C,H,<\.^ +2NaCl + HCl.
Es entspricht mithin der Formel:
entsprechend 48-51 Procent Jod und 19 «98 Procent Wismuth.
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ÜBER DAS Verhalten des Euboxiks. 33
Das letztere Salz, ein völlig unlösliches, bräunlich geßrbtes amorphes
Polver, kommt als Eudoxin ausschliesslich in den Handel, so dass die
folgende chemische Untersuchung sich nur auf dieses basische Salz erstreckt
Das Eudoxin besteht aus zwei Grappen, aus dem Säurerest:
«''*'<^"'
und dem Basenrest =BiOH.
Der Säurerest ist im No8(^hen ebenso wie in allen seinen Salzen ent-
halten. Dieser Jodphenolphtaleinkern ist, wie bereits früher^ erwiesen, von
ungemeiner Beständigkeit in Bezug auf die inneren Bindungen und die
Festigkeit der Jodatome. Sowohl concentrirtere Säuren, wie Alkalien bleiben
bei längerem Kochen auf das Molecül ohne Einfluss, eine Erscheinung
welche die vollständige Haltbarkeit des Nosophenmolecüles, die Verhinderung
der Jodabspaltung im Organismus veranlasst und ebenso zur Erklärung
der XJngifligkeit des Xosophens und seiner Salze herangezogen wird.
Nur ganz concentrirte Schwefelsäure und Salpetersaure vermögen eine
Spaltung des Molecularcomplexes unter Freiwerden elementaren Jodes zu
veranlassen. Bei dem Kochen des Nosophens und seiner Salze mit Natron-
lauge resultirt stets unzersetztes Antinosin, während Säuren das unver-
änderte Nosophen zurückliefern.
Anders verhält sich der Basenrest des Eudoxins i^i— OH, dessen
leichte Abspaltung und Reactionsfähigkeit eine ganze Reihe von Verände-
rangen zulässt
I. Verhalten des Eudoxins gegen Alkalien.
Aus dem Eudoxin wird durch Natronlauge selbst in der stärksten
Verdünnung Antinosin gebildet, welches sich mit der bekannten blauen
Farbe auflöst Das Wismuth scheidet sich als weisses, flockiges Pulver ab,
zunächst als Hydrat Bi(0H)3, welches aber bereits in der Flüssigkeit unter
Wasserabspaltung in das Metahydrat BiO*OH übergeht:
Bi(OH)3 = BiO.OH-}-H20.
Die Zersetzung ist eine so vollständige, dass man das Wismuth auf diese
Weise quantitativ bestimmen kann.
Bei Anwendung concentrirter Alkalien löst sich das gebildete Antinosin
mit hellbrauner Farbe auf, indem eine Sprengung des inneren Lactonringes
stattfindet. Der Gkmg der Zersetzung ist der nämliche, wie der in ver-
dünnter Lösung.
* Classen und Lob, Berichte der deutschen ehem. Gesellschaft. Bd. XXVIII.
S. 1603. ~ Lob, Verhandl. deutscher Naturforscher u. Aerzte. 1895. Bd. II (2). S. 49.
Archiv C A. u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. Suppl. 8
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34 Walthee Lob:
II. Verhalten des Budoxins gegen Salzsäure.
Bei der Bedeutung der Salzsaure für den Organismus habe ich zunächst
das Verhalten des Eudoxins nur gegen diese Säure geprüft
Das Resultat ist allgemein , dass bei Berührung des Eudoxins mit
Säuren alsbald Nosophen abgespalten wird, während das Wismuth in das
betreffende Salz der Säure, bezw. in die weiteren Umwandlungsproducte
des Salzes übergeht.
In ganz concentrirter Salzsäure wird das Wismuth als lösliches Wis-
muthchlorid in liösung gehalten, während das Nosophen als helles, flockiges
Pulver sich abscheidet. Die Umsetzung vollzieht sich nach der Gleichung:
Eadoxin. Nosophen.
Filtrirt man das ausgeschiedene Nosophen ab und wäscht mit con-
centrirter Salzsäure nach, so kann man im Filtrat das Wismuth mit
Ammoniak vollständig als Hydroxyd, bezw. Metahydrat fällen.
Es ist eine bekannte Eigenthümliohkeit des Wismuthchlorides, nur in
Gegenwart concentrirter Salzsäure oder in mit Chloriden der Alkalien ge-
sättigter Lösung (durch Bildung beständigerer Doppelsalze) sich unverändert
zu halten.
Setzt man aber zu solchen Lösungen des Chlorides Wasser hinzu ^ so
tritt eine theilweise oder auch völlige Zersetzung des Chlorides unter Bildung
des Oxychlorides ein, welch letzteres sich als unlösliches Pulver abscheidet:
BiClg + H2O = BiOCl + 2HC1 .
Wismuthoxychlorid.
Die Menge des entstehenden Oxychlorides und des unzersetzt bleibenden
und in Lösung befindlichen Trichlorides ist abhängig von der Concentration
der Salzsäure, und zwar in der Weise, dass in concentrirter Salzsäure oder
in concentrirten Salzlösungen nur das lösliche Trichlorid, in ganz ver-
dünnter Salzsäure oder in ganz verdünnten Salzlösungen nur das unlös-
liche Wismuthoxychlorid gebildet wird.
Bei den mittleren Concentratiönen der Salzsäure oder der Salzlösung
wird stets ein Theil als Trichlorid, ein Theil als Oxychlorid abgeschieden.
Das Verhältniss der beiden Zersetzungsproducte ist von den Concentratiönen
in dem Sinne abhängig, dass die Menge des Wismuthchlorides mit den
Concentratiönen wächst und mit den Verdünnungen abnimmt, während
das Oxychlorid sich gerade entgegengesetzt verhält.
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ÜBEB das VeBHALTEN DBS EUDOXINS. 35
lU. Verhalten des Eudoxins gegen künstlichen Magensaft
Die Verdünnung der Salzsäure im Magensafte Hess es als wahrschein-
lich erscheinen, dass das Eudoxln einerseits in Nosophen und andererseits
nahezu vollständig in unlösliches Wismuthoxychlorid zerlegt wird.
Jedoch tritt eine kleine Variation durch die Gegenwart der Chloride
im Magensafte ein, welche, gleich einer stärkeren Goncentration wirkend,
durch Bildung beständigerer Doppelsalze mit dem Wismuthtrichlorid, den
gelöst bleibenden Antheil des letzteren gegenüber den entsprechenden Ver-
hältnissen in den reinen Lösungen etwas erhöht.
Die Zersetzung des Eudoxins in künstlichen Magensaft geht also in
der Weise yor sich, dass sich neben dem Nosophen, welches unlöslich ist,
lösliches Wismuthtrichlorid, bezw. seine Doppelsalze und unlösliches Wis-
muthoxychlorid bildet
Bei der Resorption dieses Reactionsgemenges in den alkaUschen Darm-
inhalt wird der dorthin gelangende Antheil der Wismuthsalze in Wismuth-
hydroxyd, bezw. Metahydrat verwandelt, und zwar in gleicher Weise aus
dem Trichlorid, wie aus dem Oxychlorid, während das unlösliche Nosophen
in das lösliche Antinosin übergeht
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Ein Fall von multipler Hirnnervenlähmung.
Zugleich als Beitrag zur Lehre von der Geschmacksinnervation.
Von
Dr. B. Oassirer,
I. AMlstenten der PoUkllnfk.
(Aus der PolikliDik des Hrn. Prof. U. Oppenheim.)
Die Lehre von der Geschmacksinnervation gehört zu den Capiteln
der Physiologie, die, obwohl viel und von den verschiedensten Seiten her
bearbeitet, doch noch eine grosse Unsicherheit unserer Kenntnisse erkennen
lassen. Die im Folgenden mitgetheilte Beobachtung erscheint geeignet,
unser Wissen über diesen Gegenstand in einem kleinen Punkte zu mehren,
und ich darf mir seine Mittheilung an dieser Stelle deshalb vielleicht
gestatten.
Hrn. Prof. Oppenheim gestatte ich mir für die Ueberlassung des
Falles und für sein der Arbeit entgegengebrachtes Interesse meinen besten
Dank zu sagen.
Karl W., 48 Jahre, Arbeiter. Zum ersten Male in der Poliklinik am
19. Juni 1898 untersucht. Patient giebt an. dass er am 25. Mai 1898,
als er auf einem Balken stand, etwa 1^/^ bis 2™ hoch heruntergefallen sei;
er sei mit der rechten Kopfseite gegen das Steinpflaster aufgeschlagen
und habe an der rechten Schläfen-Scheitelgegend zwei aufgeschlagene Stellen
gehabt. Wodurch er gefallen sei, könne er nicht sagen, vielleicht sei er
ausgerutscht, jedenfalls sei der Sturz seiner Meinung nach nicht durch einen
Schwindelanfall oder etwas Aehnliches bedingt gewesen. Er war nach dem
Sturz nicht bewusstlos; dagegen hatte er von vornherein sehr heftige, nach
der linken Schulter ausstrahlende Schmerzen, so dass er die nächste Kacht
nicht schlafen konnte; dazu fiel ihm ein wüstes, dumpfes Gefühl im Kopfe
auf. Er bekam sofort einen Verband; von einer Lähmung konnte er am ersten
Tage nichts bemerken; erst am nächsten Tage fiel ihm auf, dass er heiser
sprach, nicht gut schlucken und den linken Arm nicht gut heben konnte.
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R. Cassirer. Ein Fall von mültipleu Hiknnervenlähmunö. 37
Die Schlkigstörung hielt vier Wochen lang an; flüssige Nahrung konnte er
überhaupt nicht zu sich nehmen, weil er sich sofort verschluckte, Festes ging
noch eher; er lebte mehrere "Wochen hindurch fast nur von Eiern. Auch
jetzt hat er noch erhebliche Beschwerden beim Schlucken, er empfindet
dabei immer noch Schmerzen in der linken Seite des Halses. Die Heiserkeit
der Sprache soll sich nicht gebessert haben; sonst habe er beim Sprechen
keine besonderen Beschwerden gehabt, er weiss nichts von einem Beweg-
lichkeitsdefect der Zunge; nur eins fiel ihm auf, wenn er im Munde die
Zunge nach der linken Seite bringen wollte, um von dort einen Speiserest
heraus zu schaffen, ging das nicht so gut wie früher. Die Beweglichkeits-
beschränkung im Arm blieb bestehen, so wie sie im Anfang war; er konnte
Fig. 1.
den Arm nicht vollkommen erheben, besonders wenn er etwas Schweres in
die Hohe bringen wollte, und er hatte dabei immer das Gefühl, als ob der
Arm zu kurz wäre. Von einer Geschmacksstörung ist ihm nichts zum Be-
wusstsein gekommen. — Bis zu dem Unfall sei er ganz gesund gewesen.
Lues, Alcoholismus negatur.
Stat. praes. Grosser, kräftig gebauter Manu. Hautfarbe etwas fahl.
Subjective Beschwerden: Unangenehmes, dumpfes, ziehendes Gefühl im Ge-
nick, das nicht gerade schmerzhaft ist; beim Schlucken Schmerzen in und
zur Seite des Kehlkopfes ; im Kehlkopf ferner immer das Gefühl von Schleim-
ansammlung. — Der linke Arm ist nicht so kräftig, wie der rechte, er hat
immer das Gefühl, als ob er zu kurz wäre. Das Schlucken fester Speisen
soll jetzt ganz gut gehen; beim Schlucken dünner Speisen sei immer noch
Vorsicht nöthig, sonst komme ein Theil der Speisen wieder zur Nase heraus
und er gerathe in*s Husten; das Kauen mache ihm keine Beschwerden. Er
sei dauernd heiser.
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38
R. Ca88IR£B:
Die Untersuchung ergiebt: Beim Sprechen fallt sofort die Heiserkeit
des Patienten auf; auch der Husten ist stimmlos; die Sprache klingt deut-
lich nasal; sonst an der Sprache nichts AufiTälliges, alle Buchstaben werden
gut und in normaler Weise gebildet. Die herausgestreckte Zunge (s. Fig. 1)
weicht deutlich mit der Spitze nach links ab; die Raphe bildet einen nach
links concayen Bogen; die linke Zugenhälfte ist dünner, stärker gerunzelt,
und stärker mit Schleim bedeckt; in ihr sieht man lebhafte fibrilläre
Zuckungen. Sie fühlt sich deutlich schlaffer an; am Boden der Mundhöhle
Fig. 2.
liegt die Zunge gerade; der linke Zungenrücken steht nicht höher als der
rechte. Elektrisch findet sich bei directer galvanischer Reizung deutlich
träge Zuckung mit Ueberwiegen der Anode; die faradische directe Erreg-
barkeit ist stark herabgesetzt. Indirecte Reizung vom N. hypoglossus aus
gelang nicht. Der Kehlkopf erscheint links nicht ganz so gut von Muskeln
bedeckt wie rechts. Beim Sprechen oder Schlucken bleibt er genau in der
Mittellinie. Der M. omohyoideus spannt sich links gut an. Die elektrische
Prüfung der Muskeln am Boden der Mundhöhle und der den Kehlkopf be-
deckenden Muskeln ist nur sehr schwer und mit nicht ganz sicherem Resultat
durchzuführen. So viel ergiebt sich als sicher, dass an den Muskeln am
Boden der Mundhöhle eine quantitative Abnahme der elektrischen Erregbarkeit
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Ein Fall von mültipleb HirnnervenlIhmung.
39
vorhanden ist, deutliche Entartungsreaction findet sich dagegen nicht; die
nach Abhebung des sehr stark entwickelten Platysma geprüften Längs-
muskeln zwischen Kehlkopf und Zungenbein zeigen elektrisch im Wesent-
lichen normale Verhältnisse, jedenfalls auch keine sichere Entartungsreaction.
Die Uvula steht schon in der Ruhe etwas nach rechts hinüber, der linke
Gaumenbogen steht etwas tiefer als der rechte; das ganze Cavum pharyn-
geum erscheint rechts etwas weiter und geräumiger wie links. Beim Phonieren
wird nur der rechte Gaumenbogen spitz und steil, der linke hängt schlaff
Fig. 3.
herunter. Die Reflexerregbarkeit des Gaumensegels ist links herabgesetzt,
rechts normal. Bei stärkerem Betupfen der rechtsseitigen Rachenwand ver-
schieben sich die hinteren Partieen derselben coulissenartig, beim Reflex-
schlucken schieben sich die rechte Rachenwand und die rechten Gaumenbögen
nach vom und der Mitte zu, auf der linken Seite fallen diese Bewegungen
aus und die linksseitige Gaumen-Rachenmusculatur wird nur mechanisch mit-
gezogen. In der Gaumen-Rachenmusculatur links besteht deutliche Ent-
artungsreaction. Beim Schlucken von Flüssigkeiten kommt Patient auch
heute noch in*s Husten. Dabei fällt, wie erwähnt, auf, dass der Husten
stimmlos ist. Die laryngoskopische Untersuchung ergiebt: Das linke Stimm-
band bleibt bei der Athmung und beim Phoniren völlig unbeweglich, das
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40 R. C assibeb:
rechte überschreitet bei der Phonation die Mittellinie; das linke Stimmband
ist am Rande ausgehöhlt, erscheint schlaffer. Die Stimme ist heiser. Ob
der linke M. cricothyreoid. wirkt, lässt sich nicht sicher entscheiden, da
auch eine Anspannung des rechten M. cricothyreoideus bei der Lautbildung
nicht deutlich wird.
Die ganze linksseitige Schultergegend ist in ihren Contouren verändert
(vergl. auch die vorstehenden Figg. 2 u. 3). Die linke Schulter steht im Ganzen
tiefer und etwas mehr nach vom, der obere freie Rand des Cucullarisfehlt links.
Der Kopf steht ein ganz klein wenig. nach rechts hintibergeneigt, das Kinn
ist dabei etwas gehoben und nach links gedreht, die Fossa supra- und infro-
spinata sind deutlich abgeflächt; der acromiale Winkel des Schulterblattes
steht rechts in gleicher Höhe mit dem oberen inneren Winkel, links um
einige Centimeter tiefer; die Scapula ist links weiter von der Wirbelsäule
abgerückt, ihr innerer Rand ist von dieser rechts 6 *^™, links 8 bis 8^/3 ^^
entfernt; er verläuft rechts in normaler Weise, etwa parallel der Wirbelsäule
von unten nach oben, links dagegen etwas von oben aussen nach unten
innen; aber es besteht keine ausgesprochene Schaukel Stellung. Die Clavicula
verläuft links mehr in gerader Linie, dadurch dass der acromiale Theil des
Schulterblattes nach vorn zu vorgeschoben ist. Das Schulterheben erfolgt
links mit viel geringerer Kraft als rechts; man sieht dabei keine Anspannung
der oberen Bündel des Cucullaris, während der auch in der Ruhe schon
etwas stärker hervortretende Levator angul. scapul. deutlieh hervorspringt.
Auf das Commando: Brust heraus! wird links die Annäherung der Schulter
an die Wirbelsäule nur unvollkommen ausgeführt. Dabei springen wieder der
M. levat. angul. scap. und besonders die Rhomboidei sehr stark hervor,
während von den Contouren des Cucullaris, die rechts sehr deutlich sind, nichts
zu sehen ist; abnorm deutlich markirt sich durch das Fehlen des Cucullaris
der innere Scapularrand; durch den starken Zug des Levator und der Rhom-
boidei wird dabei der obere Theil des Schulterblattes ein wenig nach aussen
gedreht und sein unterer Winkel gehoben. Die Erhebung des Armes über
die Horizontale gelingt nur, wenn das linke Schulterblatt dabei vom ünter-
sucher im Sinne einer Wirkung des Cucullaris angehoben wird; es fehlen
beim Erheben des Armes ganz die rechts sich abhebenden unteren Cucullaris-
bündel. Der untere Winkel wird beim Erheben des Armes über die HorizontÄle
vollkommen normal nach aussen gedreht. — Der linke M. stemocleidom.
tritt in der Ruhe weniger deutlich hervor, als der rechte, doch ist sowohl
die Formendifferenz, als die Functionssch wache hier nicht so erheblich
als beim Cucullaris; die Bewegungen (insbesondere Drehung des Kopfes
nach rechts und Heben des Kinnes) gelingen, wenn auch mit deutlich ver-
minderter Kraft. Im linken Stemocleidomast. und Cucullaris besteht typische
Entartungsreaction, nur die oberen Cucullarisbündel sind faradisch noch er-
regbar, aber auch hier besteht deutliche, träge Zuckung bei galvanischem
Reiz; es gelingt nicht, im Gebiet des mittleren Cucullaris normal reagirende
Muskelfasern mit Sicherheit aufzufinden.
Der Geschmack ist auf der ganzen linken Zungenhälfte, sowohl auf
den vorderen Partien wie in der Gegend der Papillae circumvallatae und
hinter denselben aufgehoben. Es wurden alle vier Geschmacksqualitäten
geprüft, und zwar süss mittels starker Zuckerlösung, salzig mittels starker
Kochsalzlösung, sauer durch Acid. acet., bitter durch Tinct. chinae. Die
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Ein Fall von multipler Hirnnebven Lähmung. 41
Angaben des Patienten über diesen Punkt sind stets bestimmt und eindeutig;
die Prüfung wurde in der nächsten Zeit mehrmals wiederholt, immer mit
demselben Resultat. Der Geschmack am Gaumen wurde nicht geprüft. Rechts
wurden an allen Abschnitten der Zunge richtige Angaben gemacht.
Sensibilität: Berührungen und Nadelstiche im ganzen Gesicht, auch an
ÄDgen und Nasenschleimhaut und der Schleimhaut des Mundes und der
Zunge prompt und sicher gefühlt. Nur an den hintersten Zungentheilen in
der Gegend hinter den Papillae circumvallatae und an den hinteren Gaumen-
partieen werden Pinselberührungen und Nadelstiche links ganz constant weniger
sicher und weniger schmerzhaft empfunden als rechts; ebenso spürt Pat. die
Kälte eines Glasstabes rechts deutlicher als links in den hinteren Rachen-
partieen; auch beim Schlucken kalten Wassers hat er rechts eine stärkere
Kälteempfindung, trotzdem die Speisen wegen der linksseitigen Rachen-
muskellähmung im linken Rachenraum längere Zeit verweilen.
Die Kaumusculatur wirkt beiderseits gleich kräftig. Der Facialis ist
völlig intact. Die Augenbewegungen sind frei ; die Pupillen reagiren prompt.
Der Augenhintergrund ist normal. Der Geruch ist beiderseits gut; ebenso
das Gehör.
An den Extremitäten finden sich keinerlei Störungen; die Patellarreflexe
sind ziemlich stark.
Der Puls ist etwas beschleunigt, 88 in der Minute, regelmässig, stark
gespannt. An der Radialis wie an den anderen fühlbaren Arterien starke
Arteriosklerose. Cor perkutorisch und auscultatorisch normal. Im Urin ziem-
lich erheblicher Eiweissgehalt. Keine geformten Bestandtheile im Urin. —
Behandlung: Labile Galvanisation der gelähmten Muskeln und stabile quer
durch die Med. oblong.
Die weitere Beobachtung lässt einen langsamen aber stetigen Rück-
gang aller krankhaften Symptome erkennen. Im Folgenden seien aus den
wiederholt aufgenommenen Status nur die wichtigsten Angaben entnommen,
um das allmähliche Fortschreiten der Besserung erkennen zu lassen.
27. August 1898. Stimme heiser. Kauen geht gut; das Essen kommt
nicht mehr zur Nase heraus; doch muss Patient auch heute noch Flüssiges
vorsichtig schlucken. Zunge gerade, linke Hälfte deutlich atrophisch; kein
Unterschied im Zungenbelag. Rechter Gaumenbogen wird beim Phoniren
deutlich spitzer; das Zäpfchen verzieht sich dabei stärker nach rechts.
Reflexerregbarkeit des Gaumens wie vordem. Ein kalter Glasstab auch heute
noch hinten am Gaumen rechts kälter empfunden wie links; doch ist der
Unterschied nicht sehr gross und für die anderen Qualitäten des Gefühls über-
haupt nicht mehr sicher. — Bei forcirtem Athmen sieht man jetzt einige
Bündel der Clavicularportion des Cucullaris sich anspannen, insbesondere
wenn man dabei die Schulter niederdrückt. Sonst fehlt Cucullariswirkung
noch völlig. — Elektrische Erregbarkeitsverhältnisse überall wie vordem;
Geschmack ebenso.
Mitte September 1898. Die Klagen über dumpfen Schmerz im Genick
dauern fort, ebenso über gelegentliches Verschlucken und die Beweglichkeits-
störung im Arm „als ob der Arm zu kurz wäre". Die Zunge kommt jetzt
gerade heraus; die linke Zungenhälfte ist noch deutlich dünner und mehr
gerunzelt; im Zungenbelag kein Unterschied; einige fibrilläre Zuckungen
in der linken Zungenhälfte. Deutliche Entartungsreaction. An der linken
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42 R. Cassiber:
Schulter Configuraidonsanomalien wie Yordem, im Ganzen nur etwas weniger
ausgesprochen; das Schulterheben gelingt schon etwas besser. Beim Er-
heben des Arms noch dieselben Beschwerden wie vordem. Die Contour des
linken Stemocleidomast. tritt ganz deutlich hervor, die Wirkung des Muskels
bleibt nur massig hinter der des rechten zurück. Entartungsreaction im
Oucullaris. Laryngoskopisch wie vordem; ebenso Geschmack dauernd
auch auf der vorderen linken Zungenhälfte fehlend. Sensibilität überall
auch an den hinteren Zungenpartieen und am Gaumen normal. Im Urin
Eiweiss, auch jetzt wie bei allen späteren Untersuchungen keine geformten
Elemente nachweisbar.
2. December 1898. Sehr erhebliche Besserung. Der Geschmack auf
der ganzen linken Zungenhälfte stark herabgesetzt, vielleicht eine geringe
Besserung gegen früher. Keine Heiserkeit der Stimme mehr; laryngosko-
pisch ganz normal. Die Stellungsanomalie des linken Schulterblattes eben
noch angedeutet; im Gebiet des linken Oucullaris noch die letzten Zeichen
der entschwindenden Entartungsreaction im unteren Theil des Muskels. Schulter-
heben gut, Armheben noch etwas abgeschwächt. Zunge links noch eine
Spur dünner wie rechts; keine Entartungsreaction mehr. Im Urin Eiweiss.
Subjective Beschwerden (Schmerzen im Genick) wie vordem.
26. Januar 1899. Klagen über Schmerzen, die vom Halse aus zum
Genick ziehen, und über Schleimansammlung im Kehlkopf, namentlich des
Morgens. Der linke Arm soll nicht so hoch gehoben werden können wie
der rechte; im ganzen Körper soll eine Schwäche bestehen, die ihn voll-
kommen arbeitsimfähig mache. Beim Schlucken keine Beschwerden mehr.
Zunge gerade, linke Zungenhälfte an den Rändern noch etwas dünner wie
rechte. Keine Entartungsreaction mehr, nur geringe quantitative Herab-
setzung, Stellung des linken Schulterblattes im Ganzen etwas tiefer, Spina
scapulae verläuft links noch ein ganz klein wenig mehr horizontal wie rechts.
Abstand beider Schulterblätter von der Mittellinie fast gleich. Geringes
Maass von Cucullarisatrophie , so dass die Fossae supra- und infraspinat
etwas eingesunken sind, die Spina und der innere Rand des Schulterblattes
etwas mehr hervortreten und auch der untere Rand des Rhomboid. inf.
links deutlicher sichtbar ist. Function des Oucullaris beiderseits gleich, auch
beim Erheben des Armes kein Bewegungsdefect, wenn die Bewegung auch
links etwas mühsamer geschieht. Elektrisch massige, quantitative Herab-
setzung, namentlich im oberen Oucullarisabschnitt, kein Zeichen von Ent-
artungsreaction mehr. Im Stemocleidom. zwischen rechts und links kein
Unterschied mehr. Laryngoskopisch normal; Gaumensegel bewegt sich beider-
seits gleich gut. Geschmack auf beiden Zungenhälften heute ganz gleich;
keine Störungen der Sensibilität.
Eiweiss im Urin, wie vordem. Puls 104, etwas klein; starke Arterio-
sklerose. Herzgrenzen normal. Keine Hypertrophie des linken Ventrikels.
Keine Oedeme. Allgemeinzustand gut.
Es wird dem Patienten gerathen, seine Arbeit versuchsweise wieder
aufzunehmen.
Fassen wir die wichtigsten Punkte der Krankengeschichte noch einmal
zusammen. Bei einem 48 jähr. Arbeiter, der bis dahin schwere Arbeit an-
standslos verrichten konnte, entsteht im Anschluss an einen Sturz aus
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Ein Fall von mitltipler Hibnnervenlähmung. 43
17s" Höhe auf den Kopf ohne sichere Zeichen einer schweren Gehirn-
erschütterung (Bewusstlosigkeit, Erbrechen, Krämpfe) oder einer Schädel-
fractnr (Blutung aus Nase, Ohr, Mund) folgendes von uns zuerst 4 Wochen
Dach dem Unfall beobachtete Krankheitsbild: Degenerative Atrophie
der linken Zungenhälfte mit Entartungsreaction, Lähmung der
linksseitigen Oaumen-, Rachen- und Kehlkopfmusculatur, de-
generative atrophische Lähmung des linken Sternocleidomastoi-
deus und Cucullaris mit Entartungsreaction, völlige Aufhebung
des Geschmackes auf der ganzen linken Zungenhälfte, Auf-
hebung bezw. Abschwächung der Sensibilität auf den hintersten
Theilen der Zunge und am weichen Gaumen, während im üebrigen
die Sensibilität an den Schleimhäuten der Zunge, der Wangen, der Nase
und des Auges sowie die der Haut des Gesichts ganz intact war. Die
Functionen aller übrigen Hirnnerven blieben ungeschädigt, es bestand von
weiteren Kraukheitssymptomen überhaupt nur noch eine massig starke
Arteriosklerose und eine Albuminurie. Der Verlauf war ein
überraschend günstiger; es trat im Verlauf von '/^ Jahren eine fast
vollkommene Genesung ein. Die Krankheitssymptome besserten sich
ganz allmählich und ganz stetig; zuerst verschwand die von Anfang an nicht
sehr in den Vordergrund tretende Sensibilitätsstörung, es folgten die
Lähmungserscheinungen, zuerst die von selten derRachen-, Gaumen-,
Kehlkopfmusculatur, dann die am Sternocleidomastoideus, am
Cucullaris und der Zunge, zuletzt verschwand, und zwar an allen
Theilen der Zunge gleichzeitig, die Geschmacksstörung. Als der
Kranke aus unserer Behandlung entlassen wurde, bestand neben der Arterio-
sklerose noch die Albuminurie, die übrigens dauernd ohne sichere Zeichen
emer Nephritis verlief, nie Oedeme, nie Cylinder u. s. w. im Harn, keine
Tergrösserung dßs linken Ventrikels.
Die Diagnose des Falles ist unschwer zu stellen: Paralyse bezw.
Parese des linken N. hypoglossus, Vagus, Accessorius und Glosso-
pharyngeus.
Abgesehen von der Wichtigkeit, die der Fall für die Frage der Ge-
schmacksinnervation hat, bietet er auch sonst noch eine Reihe interessanter
Momente.
An der Richtigkeit der Diagnose kann kein Zweifel sein. Es könnte
sich höchstens darum handeln, ob die totale Geschmackslähmung zu der
Annahme zwingt, dass ausser dem Glossopharyngeus auch der Trigeminus
noch geschädigt sei, trotz des Fehlens aller anderen für eine Läsion des
Trigeminus sprechenden Symptome. Auf diese Frage wollen wir erst später
eingehen. Abgesehen davon also bedarf die symptomatologische Diagnose
keiner weiteren Begründung. Auch die Beantwortung der Frage, wo die
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44 R. Cassikee:
Schädigung der Nerven erfolgt ist, macht keine besonderen Schwierigkeiten.
In der MeduUa oblongata selbst, sei es im intramedullären Verlauf der
Nerven, sei es in den Kernen, kann die Läsion nicht sitzen, weil bei der
ausserordentlichen Höhenausdehnung, die ein solcher Herd haben müsste,
nothwendiger Weise eine Aflfection anderer Theile des Querschnittes, darunter
auch der lebenswichtigen Athmungscentren, der Schleife u. s. w. statthaben
müsste. Das also können wir ohne Weiteres ausschüessen und es bleibt als
Sitz der Läsion nur der extramedulläre Verlauf der Nerven.
Da wir nun für die offenbar gleichzeitig entstandene Lähmung aller
vier Nerven nur eine einzige Ursache anzunehmen geneigt sein werden, so
müssen wir den Ort der Läsion dort suchen, wo durch eine Schädigung
alle vier Nerven betroffen werden können; das ist zunächst in der intra-
craniellen Verlaufsstrecke der vier Nerven von ihrem Austritt aus der Me-
dulla oblongata bis zu ihrem Austritt aus der Schädelhöhle durch das
Foramen jugulare bezw. Foramen condyloid. ant Aber auch noch ausser-
halb des Schädels, unmittelbar nach ihrem Austritt liegen die vier Nerven
so nahe bei einander, dass sie gemeinsam geschädigt sein könnten. Doch
wird die Annahme eines solchen Sitzes der Läsion sofort unwahrscheinlich,
wenn wir bedenken, wodurch diese bedingt wurde. Sie entstand im An-
schluss an einen Sturz auf den Kopf; ob sie sofort im selben Augenblicke
eintrat, oder sich erst im Laufe einiger Stunden entwickelte, ist, da über
den Patienten aus dieser Zeit keine ärztlichen Angaben uns vorliegen, nicht
mehr sicher festzustellen; wie dem auch sei, jedenfalls waren nach 24 Stunden
evidente Zeichen der Lähmung vorhanden. Ein etwas allmähliches Einsetzen
würde am besten mit der Annahme übereinstimmen, dass eine langsam
anwachsende Blutung nach und nach die Nerven comprimirte. Die An-
nahme einer Blutung erscheint mir aber für jeden Fall die plausibelste,
namentlich in Rücksicht auf den günstigen Verlauf des Falles. Denn würde
es sich um eine directe Zerstörung der Nervenbündel, etwa durch die mit
einer Basisfractur gleichzeitig entstandene Continuitätstrennung der Nerven
gehandelt haben, so wäre eine so rasche und so vollständige Restitutio ad inte-
grum schwer zu begreifen. Und die Ursache der Blutung? Darüber können
wir nur Vermuthungen haben. Zeichen einer Basisfractur können wir der
Erzählung des Kranken nicht entnehmen, es bestand keine Bewusstlosig-
keit, keine Blutung aus Nase, Ohr oder Mund; trotzdem kann ja eine
Fractur sehr wohl vorgelegen haben und die Ursache einer Blutung gewesen
sein. Aber es ist auch noch etwas anderes denkbar: Patient hat eine
starke Arteriosklerose und wir könnten daher auch annehmen, dass bei dem
Fall auf den Kopf die Blutung ohne Dazwischenkunft einer Basisfractur
aus einem arteriosklerotisch veränderten Gefasse erfolgte. Die Arterio-
sklerose hat bei dem Unfall vielleicht auch weiterhin ihre Hand im Spiele
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Ein Fall von mültiplee Hibnnervenlähmung. 45
gehabt; es ist nämlich nicht aufgeklärt, wieso Patient gestürzt ist; Patient
selbst denkt daran, dass er mit dem Fuss irgendwie hängen geblieben sei,
doch weiss er nichts Sicheres; er verneint es auch, einen Schwindel verspürt
zu haben, durch den er zu Fall gekommen sei, doch ist ein Zusammenhang
der Art wohl denkbar, dass Patient plötzlich, von einem arteriosklerotischen
Schwindelanfall befallen, herabgestürzt sei. Dass die Arteriosklerose etwa erst
nach dem Unfall entstanden sei, ist ganz unwahrscheinlich, denn wenn so
etwas auch im Anschluss an Schädel- bezw. Gehirnerschütterungen vor-
Ijommt, 80 ist in unserem Falle, wo 4 Wochen nach dem Unfall schon
eine ausgesprochene Arteriosklerose bestand, ein solcher Zusammenhang
nicht annehmbar. Noch von einem zweiten bei dem Kranken beobachteten
Symptom ist es mir wahrscheinlich, dass es schon vor dem Unfall bestand,
das ist die dauernd bei ihm nachgewiesene ziemlich erhebliche Albuminurie.
Albuminurie ist bekanntlich bei Processen, die mit einer Eaumbeschränkung
in der hinteren Schädelgrube einhergehen, und ferner auch sonst bei
Kopfverletzungen gefunden worden. Aber die Albuminurie scheint mir
in dem vorliegenden Falle für eine solche Genese einmal zu constant
and zu hochgradig zu sein, und was besonders gegen eine solche An-
nahme spricht, sie ist nicht mit dem Rückgang der übrigen Symptome,
der doch auch eine Resorption der Blutung und ein Aufhören der Com-
pression der MeduUa obloiigata zur Voraussetzung hat, verschwunden. Des-
halb nehme ich an, dass sie schon vor dem Unfall vorhanden war. Mit
dieser Annahme steht das Bestehen der Arteriosklerose gut in Ueberein-
stimmung.
Wir sind mit diesen Erörterungen bereits in die Besprechung der
Symptomatologie unserer Beobachtung hineingerathen. Im Folgenden wollen
wir noch weiter einzelne bemerkenswerthe Punkte aus der Krankengeschichte
erörtern.
Die halbseitige Zungenatrophie zeigt das gewöhnliche, in den
letzten Jahren oft geschilderte Bild. — r Es wurde bei der Untersuchung der
Function sowohl wie der elektrischen Erregbarkeit besonders auf das Verhalten
der den Mundboden bildenden Muskeln und der Unterzungenbeinmuskeln
geachtet Ganz sichere Resultate erhielten wir nicht, doch schien die
üuterzungenbeinmusculatur nicht gestört zu sein: der Omohyoideus
war sicher intact, der Kehlkopf verschob sich bei Bewegungen nicht nach
einer Seite, eine überzeugende Abflacbung des Halses zwischen Kinn und
Zungenbein bestand nicht und die elektrische Untersuchung ergab keine
sicheren Anzeichen von Entartungsreaction. Es scheint, soweit aus der
Litteratur zu entnehmen ist, dass diese Muskeln nur dann bei einer Ilypo-
glossQslähmung betheiligt sind, wenn der Hypoglossusstamm unterhalb der
Anastomose mit den oberen Cervicalnervea betroffen wird; aus dieser
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46 B. Cassibeb:
Anastomose scheinen nämlich die später in die Ansa hypoglossi über-
gehenden Fasern ganz oder zum grössten Theil zu stammen. Die In-
tegrität dieser Muskeln in unserem Fall stimmt zu der Annahme eines
Sitzes der Läsion oberhalb dieser Stelle. — Die Muskeln des Mund-
bodens waren, dem Resultat der elektrischen Untersuchung nach — deut-
liche quantitative Herabsetzung — von der Parese mit betroflfen.
Die klassischen Symptome der halbseitigen Zungenatrophie waren in
unserem Falle deutlich vorhanden: die Ablenkung der herausgestreckten
Zunge nach der gelähmten Seite, die concave Krümmung der Raphe, die
Schlaffheit, die fibrillären Zuckungen und die Runzelung der gelähmten
Zungenhälfte und die Entartungsreacüon. Im Munde lag die Zunge gerade,
wich nicht, wie öfter beobachtet, nach der gesunden Seite ab.
Die Functionsstörungen waren, wie in vielen dieser Fälle, sehr
gering. Auf besonderes Befragen gab Patient die Schwierigkeit zu, Speise-
reste mit der Spitze der Zunge aus der Hnksseitigen Backentasche heraus-
zuholen; die sonstigen Bewegungen der Zunge waren intact Viel erheb-
lichere functionelle Störungen hat Dinkler (10) beschrieben: Die Aus-
sprache des X und seh ist erschwert, bei dem Versuche, rasch zu sprechen,
versagt die Zunge sehr schnell, und die Worte werden unverständlich. Die
Speisen bleiben grösstentheils nicht auf der gelähmten Zungenhälfte liegen,
so dass sie von dem Kranken mit dem Finger hervorgeholt werden müssen.
Um den Bissen von der Zunge nach dem Rachen zu befordern, bedarf es
vielfach besonderer Mühe und einer Art Rückwärtsschleudem des Kopfes.
In keinem bisher beschriebenen Falle einseitiger Hypoglossuslähmung finden
sich sonst so hochgradige Störungen des Sprechens und Essens; in einer Reihe
von Beobachtungen aber findet sich doch immerhin auch die eine oder die
andere Functionsstörung; so um nur von den neueren Fällen einige zu
nennen, konnte Kron's (27) Patient das R nicht aussprechen, Moyer's
(38) Patient bemerkte, dass er mit der gelähmten Seite nicht so gut essen
und die Speisereste nicht so gut herausbringen konnte, Hirsch's (24)
Kranker konnte die Zunge Anfangs nicht nach der gelähmten Seite bringen,
Marina's (38) hatte Schwierigkeiten beim Aussprechen gewisser Buchstaben
(s und r) und auch beim Essen. Marina führt diese Störungen darauf
zurück, dass hier die XII. Lähmung acut einsetzte; das hat aber nicht für
alle übrigen Fälle Geltung und es bedarf noch weiterer Nachforschung nach
der Ursache dieses differenten Verhaltens. In unserem Falle bestanden
Störungen des Sprechens — abgesehen von der anders bedingten Heiser-
keit und dem Näseln — nicht. Die Lähmung war acut entstanden, aber
freilich war sie niemals vollständig und zudem hatten wir den Kranken in
der ersten Zeit nach dem Einsetzen der Lähmung nicht in Beobachtung.
Dass die Sensibilität der Zunge, abgesehen von den hintersten Partieen
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Ein Fall von multipler HjännekvenlIhmüng. 47
derselbeDy intact wai*, entspricht der allgemein anerkannten Erfahrung, dass
der Hypoglossus nichts mit der Sensibihtat der Zunge zu thun hat; die
Hypasthesie im hintersten Abschnitt der Zunge (wie auch am Gaumen
und im Rachen) ist auf die Afifection des X. bezw. IX. Himnerven zurück-
zufahren.
Endlich sei noch in Rücksicht auf die bisweilen geäusserte Ansicht,
dass das Platysma vom Hypoglossus versorgt werde, erwähnt, dass
dasselbe in unserem Falle sehr stark entwickelt war und elektrisch normale
Reaction zeigte.
Die Lähmung des Sternocleidomastoideus und des CucuUaris
sind durch die Läsion des äusseren Accessoriusastes bedingt gewesen.
Die Schwäche des Sternodeidom. war von vornherein weniger ausgesprochen
als die des CucuUaris, der Kopf wurde ein wenig im Sinne des entsprechenden
gesunden Muskels der anderen Seite nach links gehalten, das Kinn etwas
gehoben; die Drehung des Kopfes nach der gesunden Seite war schwächer
als die nach der kranken; die Atrophie des Muskels war niemals sehr aus-
gesprochen, die Besserung trat hier früher als im Cucullarisgebiet ein.
Die Schultergegend zeigte die bei der einseitigen CucuUarisschwäche
stets gefundenen Anomalien in der Configuration und in der Stellung des
Schulterblattes. Wir brauchen auf die in der Krankengeschichte ausführ-
lich mitgetheilten Einzelheiten, den Tiefstand der Schulter, das Herabsinken
und Nachvorngehen des Schulterblattes, das Abrücken desselben von der
Mittellinie und seine Drehung um den äusseren oberen Winkel, hier nicht
weiter einzugehen. Die Drehung war nur in sehr geringem Maasse vor-
handen, sie documentirte sich darin, dass der innere Schulterblattrand nicht
mehr parallel der Wirbelsäule, sondern ein klein wenig schief von innen
unten nach aussen oben verlief. Es bestand also keine ausgesprochene
Schaukelstellung. Bekanntlich hat die Frage nach der Entstehung des
Mouvemeut de bascule vielfache Erörterungen hervorgerufen. Remak (42)
bat zuerst 1888 und dann 1892 darauf aufmerksam gemacht, dass bei einer
durch operative Läsion am Foramen jugulare veranlasste Cucullarislähmung
die Drehstellung fehlt. Da nun das Versagen des mittleren Drittels diese
Stellung bedingt, so ist er zu der Ansicht gekommen, dass dieser Abschnitt
dfö Muskels von Cervicalästen aus dem zweiten bis vierten Cervicalnerveu
verseift würde. Die späteren Erfahrungen sind im Allgemeinen dieser
Remak'schen Ansicht günstig gewesen, noch in jüngster Zeit fehlte bei
hoher Accessoriuslähmung die Schaukelstellung in einem Falle von Krön
(28), und war dagegen in einem Falle von Lahr (30) vorhanden, wo die
Narbe sich im mittleren Drittel des Halses befand und zudem Sensibilitäts-
störungen eine sichere Mitbetheiligung cervicaler Aeste verriethen. Auch
die Fälle von Neisser (89a) und Sternberg (49) sprechen zu Gunsten
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48 R. Cassibeb:
der Remak'schen Anschauung, für die sich auch jüngst noch Soüques
et Duval (48) aus verschiedenen Gründen ausgesprochen haben. Auch in
unserem Falle mit hohem, d. h. intracraniellem Sitz der Läsion des Ac-
cessorius fehlte die Schaukelstellung. Allerdings war es uns andererseits
nicht möglich, mit Sicherheit ein elektrisch normal reagirendes mittleres
Bündel nachzuweisen, und es ist zweifelhaft, ob man aus dem Fehlen der
Schaukelstellung auf das Vorhandensein eines intacten solchen Bündels in
unserem Falle schliessen darf; man könnte einer solchen Annahme gegen-
über einwenden, dass überhaupt keine ganz totale Läsion des Accessorius
vorlag, dass ebenso wie die Function des Steruocleidomastoideus auch die
des mittleren Cucullarisdrittels nicht ganz aufgehoben war und so der Ein-
tritt der Schaukelstellung vermieden wurde. Unsere Beobachtung ist für
die Entscheidung dieser Frage nicht recht zu verwerthen; immerhin wird
man Remak auch nach dieser Beobachtung zugestehen müssen, dass „Er-
fahrungen, dass die Drehstellung des Schulterblattes auch nach intra-
crauieller Erkrankung des Accessorius oder Läsionen desselben bald nach
seinem Austritt aus der Schädelhöhle zu Stande konunt, nicht vorliegen.
So lange solche nicht beigebracht sind, muss man daran festhalten, dass
die motorischen Nerven desjenigen Cucullarisabschuittes, durch dessen Läh-
mung die Drehstellung entsteht, zum Cucullaris erst später entweder in der
Bahn des Accessorius oder direct aus den Cervicalnerven gelangen."
Die durch die Schwäche des Cucullaris bedingten Functionsstörungen
waren bei unserem Kranken die gewöhnlichen: es fiel aus bezw. war sehr
schwach die Hebung der Schulter und die Anspannung des clavicularen
Bündels bei forcirter Athmung (oberes Drittel), die Hebung des Schulter-
blattes, sowie die Adduction des Schulterblattes bis an die Wirbelsäule beim
Commando „Brust heraus" (mittleres und unteres Drittel). Bei dem Ver-
such , diese Bewegung auszuführen tritt , wie wir auf der Figur 3 sehen,
die Contour des M. levator angul. scapul. und der untere Rand des Rhom-
boid. abnorm deutlich in Erscheinung. Interessant und wichtig ist die auch
in unserem Falle beobachtete Schwäche beim Erheben des Armes, nament-
lich über die Horizontale hinaus. Man wird in solchem Falle immer geneigt
sein, an eine Mitbetheiligung des M. deltoid. und besonders des Serrat. antic.
major zu denken. Wir konnten uns überzeugen, dass beide Muskeln in
unseiem Falle in normaler Weise vorhanden waren, so dass die Erklärung
für die Functionsschwäche beim Erheben des Armes nur in der CucuUaris-
Parese zu suchen ist. Das hat Duchenne (12) schon festgestellt, indem
er bemerkte, „wenn auch der Serratus antic. maj. die mittlere Portion des
Cucullaris zum Zwecke der senkrechten Erhebung des Armes immer er-
setzen kann, so resulürt nichtsdestoweniger aus dem Wegfall dieser letz-
teren Muskel Wirkung eine beträchtliche Abschwächung bei allen Bewegungen
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Ein Fall von multipler HntNNEBVBNLÄHMUNa. 49
der oberen Extremität, sobald der Oberarm sich vom Bumpf entfernt und
ganz besonders, wenn er über die Horizontale erhoben wird.'' Es ist leicht
zu verstehen, dass bei einer Lähmung des ganzen CucuUaris die Bew^ungs-
störuBg im Oberarm eine recht erhebliche wird. So konnte ein Kranker
Lähr's den Arm nach vom bis zur Horizontalen erheben, nach der Seite
dagegen nur so weit, dass der Arm mit der Brust einen ganz spitzen
Winkel bildete. „Zur Drehung der Scapula sei es nothwendig, dass letztere
im oberen Theil fixirt wird; ist dies duroh Cucullarislähmung nicht möglich,
so kann auch der Serratus nicht ordentlich in AcUon treten.'' Man wird
überhaupt bedenken müssen, dass durch die abnorme Stellung, die das
Schulterblatt bei der Cucullarislähmung einnimmt, die Insertionspunkte
der dort inserirenden Muskeln derart verschoben werden, dass ein volles
Inactiontreten dieser Muskeln nicht mehr möglich ist Auf diese Stellungs-
anomalien und die dadurch bedingte Zerrung des Bandapparates des
Schultergelenkes werden wir auch die Schmerzen im Arme, über die unser
Kranker ebenso wie andere in gleicher Lage lange Zeit klagte, zurück-
führen müssen.
Von weiteren motorischen Ausfallserscheinungen bestanden bei unserem
Falle eine Lähmung der Gaumen-Kachenmusculatur und eine solche der
inneren Kehlkopfmuskeln, Lähmungen also, die man bisher auf eine
Störung des N. vagus und des „inneren" Astes des Accessorius bezogen
hat Die Zugehörigkeit dieses inneren Astes zum Accessorius ist, wie be-
kannt, in letzter Zeit sehr energisch bestritten worden, indem behauptet
wurde, dass die in diesem verlaufenden Fasern dem Vagus entstammten;
der Accessorius soll nach dieser Auffassung, die, wenn auch von der über-
wiegenden Mehrzahl der Forscher angenommen, doch noch nicht ganz un-
bestritten ist, nichts mit der motorischen Innervation speciell des Kehl-
kopfes zu thun haben. Da unser Fall in keiner Weise uns befähigt, zu
dieser Streitfrage in dem einen oder dem anderen Sinne Stellung zu
nehmen, so verzichten wir auf eine weitere Erörterung desselben und halten
uns nur an die Symptome, die unser Fall in dieser Beziehung zeigt
Die Functionsstörung war die gewöhnliche und bot nichts Besonderes.
Die Sprache war näselnd und heiser, Flüssigkeit kam beim Essen durch
die Nase, es bestand eine Schwierigkeit, feste Gegenstände zu schlucken
und Patient kam beim Schlucken leicht in's Husten. Die Bewegungs-
defecte am Gaumensegel, am Zäpfchen und am Stimmband (Cadaver-
stellung) waren die gewöhnlichen. Die Gaumen-ßachenmuskeln zeigten
deutliche Entartungsreaction , das Cavum pharyngeum erschien auf der
rechten Seite geräumiger als auf der linken. Das scheint in den ver-
schiedenen Fällen verschieden zu sein, wie Möbius (37) gezeigt hat, der
in einem Falle eine Erweiterung der Bachenhöhle auf der kranken Seite
Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. Siippl. 4
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50 R. Cassibeb:
fand, in einem anderen eine Verengerung. „Von vornherein", sagt er^
„könnte mau zweifelhaft sein, welche Wirkung eine halbseitige Parese der
Constrictores pharyngis auf die Lage der Bachenschleimhaut habe. Man
könnte sich ebenso denken, dass die Rachenhöhle erweitert, als dass ihre
Wölbung durch den Zug der gesunden Muskelbündel abgeflacht werde."
Wodurch die Verschiedenheiten bedingt werden, entzieht sich Torläufig
unserer Beurtheilung.
Die laryngoskopische Untersuchung ergab das für Recurrenslähmung
typische Bild: Cadaverstellung, beim Phoniren bleibt das kranke Stimm-
band unbeweglich, das gesunde nähert sich ihm bis über die Mittellinie.
Ob der N. laryngeus sup. an der Lähmung betheiligt war, können wir
nicht entscheiden; die äussere Betastung des Kehlkopfes Hess uns auch auf
der gesunden Seite eine Anspannung des M. cricothyreoid. bezw. eine An-
näherung von Schild- und Ringknorpel nicht deutlich erkennen. Und die
Sensibilität im Kehlkopf, die bei Lähmung des N. laryngeus sup. gestört
ist, wurde nicht geprüft. Im Spiegelbild soll nach Gerhardt die Lähmung
des Laryug. sup. am ehesten daran zu erkennen sein, dass der schlafiFere
Stimmbandrand mehrfache seichte Wellenbiegung zeige.* Uns fiel nur auf,
dass der Stimmbandrand concav war.
Die einzige Sensibilitätsstörung, die wir in dem ganzen Krankbeits-
bilde fanden, war eine Hypästhesie für alle Qualitäten am hintersten Theil
der Zunge, am Gaumen und im Rachen, die wir auf die Vago-Accessorius-
paralyse zu beziehen haben. Nach Bernhardt ist über das Vorkommen
solcher Störungen bei diesen Nervenlähmungen wenig bekannt; bei Läh-
mungen im Gebiet des äusseren Accessoriusastes fehlen sie stets, bei solchen
des inneren Astes (bezw. des Vagus) können sie auch fehlen, wie Bern-
hardt in einem eigenen Falle nachweisen konnte. Remak fand dagegen
in einem Falle eine leichte Herabsetzung der Sensibilität im Bereich der
gelähmten Gaumensegelhälfte und der gesammten Kehlkopfschleimhaut;
Minor fand in zwei Fällen sogar eine complette Anästhesie des ganzen
weichen Gaumens und des Pharynx. .
Es scheinen hier individuelle Verschiedenheiten zu bestehen, indem
offenbar in einer Anzahl von Fällen der X. und XL (und vielleicht auch
der IX.) Hirnnerv die sensible Innervation dieses Gebietes übernehmen,
während in anderen Fällen dem Trigeminus diese Rolle zufällt Bei Tri-
geminuslähmungen finden wir nämlich in Bezug auf die Sensibilität dieser
Theile ganz dasselbe wechselnde Verhalten, indem sie einmal rollkommen
erhalten ist [Wallenberg (53), Scherer (43), Wolff (54)], ein anderes
* Gerhardt, Kehlkopf geschwülsle und Bewegungsstörungen der Stimmbänder,
1896. S. 61.
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Ein Fall von mültiplbb HiknnervenlIhmung. 51
Mal dabei deutliche Anästhesie besteht [Hirschl (25), Ziehl (56), Phi-
lipps (40)], wie denn auch die Betheiligung des Trigeminus an der mo-
torischen Innervation des Gaumensegels eine schwankende zu sein scheint.
An den Lungen, am Herzen und an den Abdominalorganen fanden
wir keine, auf Vagusläsion zu beziehenden Symptome. Ueber die Albu-
minurie, die hier in Betracht konmien könnte, haben wir bereits oben
gesprochen.
Es bleibt uns noch der wichtigste Punkt zu besprechen, die Frage
üämlich, was unser Fall für die Lehre von der Geschmacksinnervation
bedeutet.
Sie gehört seit Langem zu einem der strittigsten Punkte in der Physiologie.
Physiologen und Pathologen haben sich mannigfach bemüht, sie zum Ab-
schluss zu bringen, bisher vergeblich. Trotzdem noch aus jüngster Zeit
eine zusammenfassende Darstellung der Frage aus der Feder Frankl-
Hochwart's (19) vorliegt, wird es uns nicht erspart bleiben, das wichtigste
hierher gehörige Material noch einmal in öxtenso uns vor Augen zu
führen; so nur können wir darüber in's Klare kommen, ob und in wie weit
unsere Krankenbeobachtung in diese dunklen und schwierigen Verhältnisse
Licht bringt.
Zur Zeit geht die am weitesten verbreitete Ansicht dahin, dass die
vorderen zwei Drittel der Zunge ihre Geschmacksfasern vom
Trigeminus erhalten, während der Glossopharyngeus den Rest
der Zunge versorgt. Können wir unsere Beobachtung mit dieser An-
schauung in Uebereinstimmung bringen? Das scheint mir nicht mög-
lich zu sein. Wir müssten zu diesem Zwecke annehmen, dass ausser den
vier letzten Hirnnerven noch der Trigeminus an einer von dem Hauptherd
weit entfernten Stelle geschädigt sei, und dass durch diese Läsion gerade
nur die Nervenfasern geschädigt wurden, die der Geschmacksempfindung
vorstehen. Denn sonst findet sich im ganzen Krankheit-sbilde kein einziges
Symptom, das auf eine Quintuslähmung bezogen werden könnte. Sensi-
bilität, Motilität und Reflexe im ganzen Trigeminusgebiet sind normal, die
Störung der Sensibilität am Pharynx, Rachen und dem hintersten Theil
der Zunge muss, wie eben erwähnt, auf die Schädigung des Vago-Accessorius
(oder des Glossopharyngeus) bezogen werden. Die von vornherein ganz und
gar unwahrscheinliche Annahme einer Schädigung nur allein der gusta-
torischen Fasern des Trigeminus wird dadurch völlig zu nichte gemacht,
dass die Geschmackslähmung im vorderen und hinteren Theil der Zunge
eine vollkommen gleiche Entwickelung nahm, sie verschwand pari passu
an allen Theilen der Zunge. Immer wieder von Neuem vorgenommene
Geschmacksprüfangen ergaben stets dasselbe Resultat: gleichen Befund an
allen Abschnitten der linken Zungenhälfte.
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52 R. Cassibeb:
Dieselben Gründe, die gegen irgend eine Läsion des Trigeminus sprechen,
sprechen auch gegen eine solche des Facialis, der etwa noch für die Ge-
schmacksinnervation in Betracht kommen könnte.
Es giebt dann noch eine mehr peripher gelegene Stelle, von der aus
Geschmacksläsionen hervorgerufen werden können, das ist die Paukenhöhle.
Bekanntlich kommt es bei destructiven Processen in dieser durch
Schädigung des Plexus tjmpanicus und der Chorda tjmpaui leicht zu
Geschmacksstörungen. Abgesehen davon, dass Patient auf dem linken Ohr
gut hörte und niemals eine Ohreiterung gehabt haben will, lässt das eben
erwähnte Symptom der gleichmässigen allmählichen Besserung ebenso wie
der augenblickliche Zustand von völlig wieder hergestellter Schmeckßhig-
keit auch diese Annahme ganz ausschliesseu und es bleibt dabei, nur die
Läsion des IX. Hirnnerven, und zwar in dessen extramedullärem
(und intracraniellem) Verlauf ist die Ursache für die die ganze
Zungenhälfte betreffende Geschmacksstörung.
Unsere Beobachtung widerspricht darnach der allgemeinen Annahme,
die, wie erwähnt, dahin geht, dass der N. glossopharyngeus nur das hintere
Drittel der Zunge versorgen soll, während der N. trigeminus den Rest
übernimmt.
Wenn wir unsere Nachforschungen, welche Nerven für die Geschmacks-
innervation der Zunge überhaupt in Betracht kommen können, in der
Peripherie beginnen, so sehen wir sofort ein, dass von den in der Zunge
endigenden Nerven nur der N. glossopharyngeus und der N. lingualis
berücksichtigt zu werden brauchen. Ueber das Verzweigungsgebiet dieser
beiden Nerven haben uns vor Kurzem angestellte Untersuchungen von
Zander (55) ganz bestimmte Ergebnisse geliefert. Zander fand, dass
der N. lingualis sich nur in der Schleimhaut der Zungenspitze und des
Zungenkörpers, nicht aber in der Zungenwurzel verzweigt Die meisten
Fasern endigen makroskopisch bereits vor den Papulae circumvallatae,
einige gehen über sie noch etwas hinaus und es ist nach allgemeinen Er-
fahrungen wahrscheinlich, dass ihr wahres Ende noch einige Millimeter
weiter liegt; beiderseits ziehen Fasern der einen Seite etwas über die Mittel-
linie hinaus auf die andere Seite. Der Glossopharyngeus zieht in einem
vorderen Zweige bis etwa an die Papilla foliat, die medialen Zweige
endigen zum Theil in, zum Theil einige Millimeter vor den Papulae circum-
vallatae. Uebrigens betheiligt sich auch der Vagus constant an der Inner-
vation der Zungen Wurzel, meist mit zwei Zweigen. Dadurch, dass die
Gebiete dieser Nerven sich stellenweise an ihren Grenzen überlagern, sind
die Grenzgebiete doppelt inner vir t.
Es unterliegt nun nach vielfachen Untersuchungen keinem Zweifel,
dass der N. lingualis neben sensiblen auch geschmacksempfindende Fasern
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Ein Fall von mültipleb Hiennbevenlähmüng. 53
führt. Das haben schon ältere Autoren (Busch, Inzani u. A.) fest-
gestellt. Von neueren Beobachtungen nenne ich die von Halban (21),
der in zwei Fällen operativer Durchtrennung des N. lingualis Sensibilitäts-
und Geschmacksverlust auf der vorderen Zungenhälfte bis zu den Fapill. cir-
com vallatae fand. Sehr genau hat Zander einen derartigen Fall untersucht;
er fand völlige Anästhesie nur in einem dreieckigen Feld in dem vorderen
Theil der Zunge, das sowohl von der Spitze als von der Mittellinie überall ent-
fernt blieb, im Ganzen 5« 5^ lang war und an der Seite bis zu den Papill.
foliat reichte. In der Umgebung dieses Feldes trat allmählicher üebergang
zu normaler Empfindung ein. Die Prüfung erfolgte sowohl für sensible
Reize als für Geschmacksreize, für letztere mittels des galvanischen Stromes.
Verfolgen wir den Weg der Geschmacksfasem vom Lingualis aus weiter,
so sehen wir, dass diese den Nerven sehr bald wieder verlassen und durch
die Chorda tympani in den Facialis ziehen. Ueber den Verlauf der
Chorda braucht hier nichts gesagt zu werden. Die Thatsache, dass die
Chorda die Geschmacksfasem von dem N. lingualis aus weiter führt, ist seit
Langem als ganz sicher bekannt. Sie ist einerseits durch experimentelle
Voruntersuchungen festgestellt worden, zuerst 1818 von Bellingeri, dann
besonders von Bernard, später von Prevost (nach Frankl-Hochwart).
Sehr zahlreich aber sind besonders die Erfahrungen der Otiater, die eine
Zerstörung der Chorda, die in der Paukenhöhle ziemlich ungeschützt liegt,
häufig eintreten sahen, theils durch destructive Processe in der Pauken-
höhle, theils durch nothwendige operative Eingrifle bedingt. Blau, ebenso
ürbantschitsch sahen direct nach Reizung der biossliegenden Chorda
Geschmackssensationen in der entsprechenden vorderen Zungenhälfte auf-
treten. Diesen gesicherten Erfahrungen gegenüber kann Carl's (6) An-
sicht, der der Chorda die Geschmacksleitung abspricht, nicht in's Gewicht
fallen. Die Frage ist nun wieder, wie gross ist der Wirkungskreis der
Chorda in der Zunge. Da differiren die Ansichten etwas. Es ist nämlich
von Schiff behauptet worden, dass nicht alle Geschmacksfasern aus dem
N. lingualis in die Chorda gehen, sondern dass ein Theil von dem Nerven
aas durch eine (nach Hyrtl allerdings nicht constante) Anastomose zum
Ganglion oticum zieht. Die klinischen Untersuchungen ergeben kein ein-
heitliches Resultat Wolf (54) fand in seinem Falle nach Durchschneidung
der Chorda eine völlige Geschmackslähmung an der Zungenspitze, die aber
nur 2^"* weit nach rückwärts reicht; Schulte (47) glaubt gegen die Beweis-
kraft dieses Falles einwenden zu dürfen, dass es schiene, als ob die Chorda
nicht ganz durchtrennt worden wäre, es sei auch auffällig rasch zur Restitution
gekommen. Er fand in seinem Falle eine völlige Aufhebung des Geschmackes
in den ganzen vorderen zwei Dritteln; dasselbe konnte Scheier (43) in
einer entsprechenden Beobachtung constatiren. Ausführliche Untersuchungen
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54 R. Cassxbeb:
hat Schlichting (45) angestellt. Er glaubt aus der Art der Operation
bezw. aus dem Aussehen und dem Zustand der Paukenhöhle bestimmte
Schlüsse darauf ziehen zu können, ob die Chorda beschädigt sei, und er
hat in mehreren nach solchen, hier nicht weiter zu erörternden Gesichts-
punkten untersuchten Fällen folgende Resultate gefunden. Zwei Mal war
das vordere Drittel, ein Mal die vordere Hälfte, drei Mal die vorderen zwei
Drittel, ein Mal die vorderen drei Viertel und ein Mal die vorderen vier
Fünftel betroffen. Die Richtigkeit der Schlichting'schen Kriterien voraus-
gesetzt, worüber dem Verf. ein Urtheil nicht zusteht, würden sich aus diesen
Thatsachen grosse individuelle Verschiedenheiten ergeben. So lange aber
nicht entsprechende Untersuchungen auch für den N. lingualis vorliegen,
können wir aus diesen immer noch nicht schliessen, dass, wie Schiff
will, nur ein Theil der Geschmacksfasem des Lingualis in die Chorda zieht,
da ja auch für den Linguahs solche Verschiedenheiten denkbar wären und
zudem bei der durch Zander nachgewiesenen doppelten Innervation gewisser
Gebiete nicht einmal unwahrscheinlich erscheinen können. Jedenfalls zieht
in der Mehrzahl der Fälle der grösste Theil der Lingualisfasern zur Chorda
und durch diese durch die Paukenhöhle zum Facialis. Ihr Vorhandensein
im Facialis ist klinisch sichergestellt durch den Nachweis von Geschmacks-
lähmungen bei Facialisparesen, deren Sitz im Facialis vom Ganglion geniculi
bis zur Einmündungsstelle der Chorda ist. Pur diese durch eine Selbst-
beobachtung Roux' zuerst bekannt gewordene Thatsache bedarf es keiner
weiteren Belege.
Vom Ganglion geniculi aus kommen centralwärts für die Geschmacks-
fasern zunächst zwei Wege in Betracht: Erstens durch den Facialis bezw.
die Portio intermedia Wrisbergii, zweitens durch Verbindungen des
Ganglion geniculi mit dem Ganglion spheno-palatinum (N. petros.
superf. maj.) oder mit dem Ganglion oticum (N. petros. superf. min.)
zum Trigeminus und in diesem weiter zur Medulla oblongata. Indem
wir es vor der Hand dahingestellt sein lassen, welchen der beiden Wege
die Geschmacksfasern zum Trigeminus eventuell einschlagen, wollen wir erst
einmal untersuchen, ob überhaupt Anhaltspunkte für ein Vorkommen dieser
Fasern im gemeinsamen Trigeminusstamm da sind. Es liegen darüber ex-
perimentelle Untersuchungen vor von Schiff (44) und Vulpian (52a).
Doch ist das Resultat der experimentellen Untersuchungen bei der grossen
Schwierigkeit, die Nervenstamme isolirt an der Basis des Schädels zu
treffen und ausserdem Geschmacksstörungen bei Thieren festzustellen,
ein unsicheres und nur mit Vorsicht zu verwerthendes, wie übrigens die
Physiologen selbst zugeben. Es sei aber immerhin angeführt, dass es
Schiff gelungen ist, den Trigeminus beim Hunde an der Basis isolirt zu
durchtrennen und dass er darnach Geschmackslähmung auf den vorderen
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Ein Fall von multipleb Hibnnebvbnlähmung. 56
zwei Dritteln der Zunge fand. Vulpian fand wenigstens in einem Falle, wo
der Qnintus bei unverletztem Facialis durchschnitten war, eine vollkommene
Degeneration der Chorda. Viel wichtiger sind aber die klinischen Ergeb-
nisse, wie denn schon Erb (13) 1875 betont hat, dass eine Entscheidung
dieser Fragen am ehesten von einer genauen Analyse pathologischer Beob-
achtungen zu erwarten sei. Es giebt nun eine ganze Reihe basaler Tri-
geminuslähmungen, in denen sich eine Geschmacksstorung auf dem vorderen
Theil der Zunge fand. Diese Beobachtungen sind schon von früheren
Forschem, unter denen ich Erb (13), Ziehl (56), Schmidt (46) nenne,
zusammengestellt und auf ihre Beweiskraft geprüft worden. Zweifellos
müssen die Fälle, die eine überzeugende Geltung in Anspruch nehmen,
sehr genau untersucht und in Bezug auf gewisse Punkte ausdrücklich
examinirt sein. Nicht nur, dass selbstverständlich jede Läsion iin Fa-
cialis oder Glossopharyngeus ausgeschlossen sein muss, ist es auch
nothwendig, dass das Gehörorgan untersucht ist, und eine destructive
Lasion der Paukenhöhle, die, wie Schlichting's Untersuchungen wieder
auf's Neue lehren, sehr oft mit Geschmacksstörungen vergesellschaftet ist,
ausgeschlossen werden kann. So ist der erste Fall von Erb, ebenso
wie der von Heusner aus diesem Grunde nicht völlig beweisend. Aber
bei aller Kritik bleiben doch noch eine Anzahl von Beobachtungen, die
auch mir gegen alle Einwürfe gewappnet zu sein scheinen; ich nenne von
neueren die von Asher (1), Ferrier (16), Ziehl (56), Schmidt (46),
Scheier (43), Hirschl (35), Philipps (40).
In erster Reihe sind hier aber die Fälle zu nennen, in denen die Section
gemacht werden konnte. Der erste Fall dieser Art ist von Romberg mit-
getheilt; ich citire ihn nach Ziehl:
42 jährige Frau. Vor 4 Jahren schwerer Sturz. Jetzt im ersten und
zweiten Ast des Trigeminus alles normal, im dritten Ast Aufhebung der
Sensibilität. Kaubewegungen normal. Linke Zungenhälfte des Geschmackes
ganz beraubt, doch wurde nur der vordere Zungenabschnitt geprüft. Die
Section ergiebt, dass der dritte linke Trigeminiisast an der Stelle, wo er in
das Foramen ovale tritt, von einem Exsudat bezw. einer Wucherung des
Neurilemms umgeben ist; soweit das Neurilemm verändert war, erschien auch
der Nerv angeschwollen, gelblich gefärbt, und vielleicht etwas härter. Die
motorische Portion war völlig normal, ebenso der Glossopharyngeus.
Völlig ein wandsfrei ist die Beobachtung insofern wohl doch nicht, als
über das Verhalten des Gehörs und den Zustand der Paukenhöhle nichts
gesagt ist und die Untersuchung des IX. Himnerven oflFenbar keine mikro-
skopische war. — In jüngster Zeit sind zwei weitere Fälle mit Sections-
befund veröfiFentlicht worden, der erste stammt von Wallenberg (53).
33jährige Frau, starke Kachexie. Am ganzen Körper eine Anzahl
bohnen- bis wallnussgrosser Tumoren, rundlich, auf der Unterlage verschieb-
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66 R. Ca8Sibeb:
lieh, auf Druck nicht schmerzhaft. Allmähliche Entwickelung der folgenden
nervösen Symptome: Hyposmie der linken Seite, linksseitige Ahducensparese
sehr wechselnden Grades, neuralgische Anfälle und Anästhesie im Gebiete aller
drei Aeste des linken Quintus, am stärksten in der Schleimhaut der Zunge,
der Mundhöhle und der Lippen; geringe Parese der linken Kaumuskeln, und
eine Geschmacksstörung, die darin bestand, dass, „während auf der völlig
anästhetischen Zungenspitze alle vier Geschmacksqualitäten prompt und sicher
unterschieden wurden, der Geschmack auf dem Zungenrücken links voll-
kommen erloschen war. Am Gaumen wieder normale Verhältnisse." Links-
seitige Zungenatrophie. Die Section ergiebt: Dura und Pia übersät von den
kleinsten schwarzen Knötchen, ferner grössere ähnliche Geschwülste an Ter-
schiedenen Stellen des Gehirns, kleinste Knötchen wieder im Abducens sin.,
am Foram. condyloid. ant., den Hypoglossus comprimirend; schliesslich ist
die Portio major des linken Quintus etwa ^/g *^™ nach seinem Austritt aus
der Brücke in eine blaugraue Masse verwandelt, die Geschwulst reicht bis
ins Ganglion Gasseri und zerstört die Nervenfasern bis auf einen geringen
Rest am lateralen und medialen Rande, sowie an der dorsalen Fläche.
Portio minor intact. Glossopharyngeus und Portio intermedia Wrisbergii
völlig intact.
Hier muss nothwendig die basale Quintusläsion für die Ageusie verant-
wortlich gemacht werden und wir müssen Wallenberg zugeben, dass sein
Fall den stricten Beweis dafür liefert, dass in der Portio major Trigemini
Geschmacksfasern verlaufen. Aber eigenthümlich ist die Ausbreitung der
Geschmackslähmung, leider sind nur die in der Krankengeschichte darüber
enthaltenen Angaben nicht ganz so detaillirt, wie man gern wünschen möchte.
Was ist unter Zungenspitze zu verstehen, bezw. wie weit reicht das geschmacks-
empfindende Gebiet nach hinten? Die Integrität des Geschmacks an dieser
Stelle lässt sich am ehesten wohl auf den noch erhaltenen Rest von Fasern
im Nervenstamm zurückführen. Der Zungenrücken zeigt nach der Kranken-
geschichte Ageusie, es ist aber nicht ausdrücklich gesagt, ob auch der
Zuugengrund, das Gebiet am Zungenrücken hinter den Papulae circum-
vallatae ageusisch war. War das der Fall, so reichte der Einfluss des Tri-
geminus in diesem Falle ungewöhnlich weit nach hinten; immerhin war
aber auch hier noch der Geschmack am Gaumen, wie ausdrücklich bemerkt
wird, normal. Es sei noch bemerkt, dass unter den im Grosshim sitzenden
Tumoren keiner war, der die Ageusie erklären konnte.
Endlich ist noch ein dritter, leider in einem sehr wichtigen Punkte
nicht aufgeklärter Fall mit Sectionsbefund von Hagelstam (20) mit-
getheilt worden.
39 jährige Frau. Beständige Schmerzen in der linken Gesichtshälfte.
Herabsetzung der Sensibilität im ganzen Quintusgebiet, auch in der Mund-
höhle. Am vorderen Drittel der Zunge links Geschmack aufgehoben
für alle vier Qualitäten, nur dieser Abschnitt der Zunge konnte geprüft
werden, weil Patientin grosse Schwierigkeiten hatte, den Mund zu öffnen.
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Ein Fall von multiplbb HiBNNERVENLlHMüNa. 57
Geruch links herabgesetzt. LäbmuBg der Kaumuskeln. Gaumen segelparese.
Section: An der Basis cranii ein wallnussgrosser Tumor im medialsten Theil
der mittleren Schädelgrube, hinten der Vorderfläche der Pars petrosa an-
liegend, vorn bis zur Fiss. orbitalis reichend. Das Ganglion Gasseri ist völlig
in die Geschwulst aufgegangen; letztere war theilweise durch die unter-
liegenden Knochen durchgewachsen und wölbte den hinteren Theil des Nasen-
rachenraums vor. Die Geschwulst erwies sich mikroskopisch als Endotheliom ;
der linke sensible und motorische Trigeminus war in hohem Grade de-
generirt, Degeneration der spinalen Trigeminuswurzel, der cerebralen Trige-
minuswurzel und der Kerne. Ausserdem war links auch der Tractus solitarius
in toto degenerirt, seine sämmtlichen Nervenfasern waren in ausgeprägtem
kömigen Zerfall; auch mehrere der intramedullären Vago-Glossopharyngeus-
wurzeln waren links dünner und grauer als rechts.
Hier ist also erstmals die klinische Untersuchung nicht vollständig, da
eine Geschmacksprüfung nur für die vorderen Zungenpartieen möglich war,
und ferner findet sich eine intramedulläre IX. Nervenaffection — der Tractus
sollt, führt zum Mindesten zum grossen Theil Glossopharyngeusfasem. —
Hagel stam weiss keine Erklärung für diese Degeneration des Tractus
solitarius; er erwähnt, dass Homen in einem früher publicirten ganz ähn-
lichen Fall dasselbe Vorkommniss fand. Vielleicht ist die Vermuthung
gerechtfertigt, dass doch an irgend einer Stelle die Fasern, die mit dem
Glossopharyngeus in Verbindung treten (N. petros. superf. min., N. Jacob -
sonii) oder dieser selbst durch die Geschwulst geschädigt wurden. Art
und Sitz der Geschwulst scheinen solcher Annahme nicht ungünstig. Jeden-
falls ist das gleichzeitige Befallenwerden der spinalen Quintuswurzel und
des Tractus solitarius, das auch sonst mehrfach, besonders bei bulbärer Tabes
beobachtet wurde, wohl im Auge zu behalten, zumal auch in Rücksicht auf
den erst später zur Sprache kommenden mikroskopischen Befund Wallen-
berg's. Hagelstam's Fall aber ist in Folge dieser complicirten Verhält-
nisse für die Frage, ob im V. Nervenstamm Geschmacksfasem verlaufen,
nur mit grosser Vorsicht zu verwerthen, man kann kaum mehr sagen, als
dass er einer solchen Annahme nicht widerspricht.
Weiteres wichtiges Beweismaterial zu dieser Frage verdanken wir noch
den Chirurgen, von den Fällen herrührend, wo diese wegen hartnäckiger
Qnintusneoralgie zur Herausnahme des Ganglion Gkisseri geschritten sind.
Die wichtigsten Beobachtungen rühren von Krause (29) her. Krause fand
nach dieser Operation in einigen Fällen Geschmacksstörungen, die sich in
verschiedener Weise abstuften. Im Fall III wurde 20 Tage post operat.
süss, salzig und bitter auf der vorderen Zungenhälfte überhaupt nicht
empfunden, Zuckerlösung auf dem äusseren Rande des mittleren Zungen-
abschnittes nicht, aber weiter nach der Mittellinie zu richtig als süss, wenn
aach erst nach längerer Einwirkung und weniger deutlich erkannt; im
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58 B. Cassibeb:
Falle IV bestand noch nach 6 Monaten eine völlige Geschmackslähmung;
bei V schmeckten nach 6 Wochen zwei Drittel der rechten Zungenhälfte
überhaupt nicht, im hinteren Drittel wurde süss nur langsam und schwach
empfunden, bitter nicht, sauer und salzig Anfangs nur als brennend und
erst allmählich wurde hier die Qualität erkannt, aber immer nur schwach.
Sobald man aber das hintere Drittel der Zunge bei zurückgebeugtem Kopf
prüfte, wurde ganz deutlich geschmeckt — eine wichtige Andeutung in Bezug
auf die Methodik der Geschmacksprüfung.
Aehnliche positive Resultate erhielten nach Krause's Angaben auch
Tiffaney in zwei von fünf Fällwi, femer Blüher, Keen and Mitchell
und Finney and Thomas in einem Fall.
Ehe wir aus diesen Folgen der Exstirpation des Ganglion Gasseri auf
das Vorhandensein von Geschmacksfasem im basalen Quintus schliessen
dürfen, haben wir uns zu fragen, ob nicht etwa Nebenverletzungen dies
Resultat herbeigeführt haben könnten. Dixon (11) hat das Letztere be-
hauptet: es würde während der Operation ein grosser Theil der Fossa
cranii media seiner Duralbekleidung beraubt und dadurch könne leicht der
N. petrosus superf. maj. und minor beschädigt werden und auch das
Ganglion geniculi könne in solchen Fällen sehr leicht lädirt und damit
eine Läsion der Chorda tympani bedingt werden. Aber Krause selbst
hatte sich diese Frage der Nebenverletzungen schon vorgelegt und er erklärt
bestimmt, dass sowohl der N. petros. superf. maj. und minor wie das Gangl.
geniculi von jeder Verletzung verschont geblieben seien. Diese Erklärung
werden wir zu respectiren haben und die Resultate der Untersuchung nach
Herausnahme des Gangl. Gasseri der bei Basallähmungen des Trigeminus
anreihen dürfen. Natürlich ist auch bei den letzteren inmier darauf zu
achten, ob nicht eine weitere Ausdehnung der krankhaften Veränderungen
über den Quintusstamm hinaus auf die Nervi petrosi oder das Ganglion
geniculi stattgefunden hat. Ein Fall von Long und Egger wird von den
Autoren selbst als ungeeignet zur Entscheidung der Frage von der G^-
schmacksinnervation bezeichnet, weil die vorhandene Meningitis gummosa
sich sehr wohl auf andere Gebilde als den Quintusstamm verbreitet haben
konnte. Auch dieser Punkt verdient also volle Beachtung und wird bei
der Feinheit der in Frage stehenden Nervenverbindungen nicht immer
leicht klarzustellen sein.
Weon nun nach alledem nicht bezweifelt werden kann, dass in einer
Anzahl von Fällen Geschmacksfasern im Quintusstamm ver-
laufen, so fragt es sich weiter, welchen der beiden oben erwähnten Wege
vom Ganglion geniculi zum Quintusstamm diese Fasern einschlagen. Für
den Uebergang in den zweiten Ast (Gangl. geniculi, N. petros. superf. maj.,
N. vidianus, Gangl. sphenopalat.) hat sich Schiff auf Grund experimenteller
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Ein Fall von mültipleb HiENNEBVBNLÄHMUNa. 69
Untersnchangen, und Erb (14) auf Orand eines eigenen Falles ausgesprochen,
femer Salomonson (43b) und Heusner (22); die meisten neueren Beobachter,
iDsbesondere Ziehl (56) und Schmidt (46) haben dagegen mehr für den
dritten Ast vom Ganglion geniculi durch den N. petros. minor zum Ganglion
oticum plädirt Sehr wahrscheinlich gemacht wird dieser letztere Weg durch
eine Beobachtung Krause's. Er resecirte am 16. März 1894 den zweiten
Qointusast an der Yorderöfinung des Canalis rotund. und brachte dabei das
Oangl. sphenopalat jedenfalls völlig ausser Verbindung mit dem Gangl.
geniculi, wahrscheinlich wurde es sogar mit resecirt. Der erste und dritte
Qointusast blieben unberührt, zeigten auch nachher functionell keine
Störungen und der Geschmack blieb völlig normal; so war es noch
kurz vor der zweiten Operation im August 1895. Am 23. August 1895
wurde nun das Ganglion Gasseri herausgenommen und man erhielt jetzt
eine völlige Aufhebung des Geschmackes auf den vorderen zwei
Dritteln der Zunge. Diese Erfahrung spricht eindeutig für den dritten
Ast; es giebt nach meiner Ansicht keinen klinischen Fall, der dieser An-
nahme mit Sicherheit widerspräx5he, doch soll dieser Frage als nur von
»eundärer Bedeutung hier nicht weiter nachgegangen werden.
Die eben mitgetheilten Beobachtungen lehren uns nun weiter über die
Ausdehnung des Innervationsbezirkes, den die geschmacksleitenden
Fasern des Trigeminus auf der Zunge haben, Folgendes. Im Allgemeinen
entspricht es dem, was wir für den Lingualis und die Chorda gefunden
haben; versorgt werden die vorderen Theile der Zunge in ver-
schiedener Ausdehnung weit nach hinten, jedenfalls wird in dieser
Richtung das Gebiet der Papulae circumvallatae nicht wesentlich über-
schritten. Ganz sicher ist es, und es wird ausdrücklich in zahlreichen
Krankengeschichten dies Verhalten bestätigt [Krause, Hirschl, Mari-
nesco et Serieux (36), Ferrier (16), Schmidt], dass das hintere
Zungendrittel nicht vom Trigeminus versorgt wird; auch in Schmidts
oben erwähntem Falle war wenigstens der Gaumen noch nicht ohne Ge-
schmacksempfindung. Und doch hat ein Forscher von allererstem Range,
Gowers (18. 19), in wiederholten Publicationen behauptet, dass der
Quintus die Geschmacksfasem für die ganze Zunge enthielte. Sein von ihm
zuletzt ausführlicher mitgetheilter Fall lässt auch kaum Einwendungen zu;
es bestand hier sicher Geschmackslähmung auf der ganzen Zungenhälfte und
es lag kein Anhaltspunkt dafür vor, einen anderen Nerven als den schwer
geschädigten Trigeminus dafnr verantwortlich zu machen. Auch eine der
(Jeschmackslähmung um viele Jahre folgende Gehörsstörung, in Folge Mittel-
ohrerkrankung, scheint für die Geschmackslähmung nicht in Betracht zu
kommen. Freilich ist der Fall ziemlich complicirt und ätiologisch — wie
aber auch eine Reihe der übrigen Beobachtungen von Trigeminuslähmung —
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60 R. Ga88IR£B:
unklar. Wenn er nun auch volle Berücksichtigung verdient, so ist man
doch nioht berechtigt, über ihn die übrigen Erfahrungen zu vergessen und
davon abzugehen, dass in der Regel der hintere Theil der Zunge
nicht vom Trigeminus mit Geschmacksfasern versorgt wird. Der
Weg, den Oowers den vom hinteren Theil der Zunge kommenden Fasern
zuweist, die ja im Lingualis sicher nicht vorhanden sind, geht vom Glosse-
pharyngeus durch den N. Jacobsonii in die Paukenhöhle und von dort durch
den N. petros. superf. min. zum Trigeminus. Sehr interessant ist in Gowers'
Fall die Thatsache, dass nach 7 jährigem Bestehen der Geschmackslähmung
am hinteren Zungenabschnitt sich allmählich wieder eine gewisse Schmeck-
fahigkeit herausstellte. Da eine Regeneration von Fasern nach so langer
Zeit höchst unwahrscheinlich ist, scheint es Gowers plausibler, anzunehmeu^
dass nunmehr der Glossopharyngeus, „der bei niederen Thieren vielleicht
die Geschmackseindrücke zum Hirn leite", jetzt die Function des Tri-
geminus auch hier beim Menschen übernommen hat^ Wenn man, wie wir
meinen, mit voller Bestimmtheit annehmen darf, dass auch beim Menschen
für gewöhnlich der Glossopharyngeus der Geschmacksnerv des hinteren
Zungendrittels ist, so erscheint diese Erklärung nur noch um so glaublicher.
Von anderen Autoren, die ähnlich wie Gowers die Ansicht aussprachen,
dass die Geschmacksfasern in toto im Quintus verlaufen, fand ich nur noch
Fergusson (15) und Turner (52).
Unsere bisherigen Erörterungen lehrten uns, der Trigeminusstanun
enthalte Geschmacksfasern für den vorderen Theil der Zunge, vielleicht ganz
ausnahmsweise auch für die ganze Zunge. Aber andere Beobachtungen
lehren uns weiter, der Trigeminus enthält nicht immer solche
Fasern. Das bewetisen am sichersten Beobachtungen, die wieder nach Ex-
stirpation des Ganglion Gasseri angestellt wurden. Ich führe hierfür nur
Krause's fünften Fall an.
Bei einem Patienten, der zwei Jahre post operat. von Hitzig unter-
sucht wurde, ergab sich, dass Patient ganz so wie vor der Operation auf
allen Theilen beider Zungenhälften gleich gut schmeckt. Alle vier Geschmacks-
empfindungen werden beiderseits vollkommen prompt und richtig ausgelöst,
und zwar an der operirten linken Seite an den seitlichen Rändern der
Zungenspitze und des mittleren Drittels der Zunge ebenso sicher wie am
Gaumen und den hinteren Partieen der Zunge, obwohl die Versuche hinter
einander und in der verschiedensten Reihenfolge gemacht wurden, nur ganz
vereinzelt gab er links Kochsalz als sauer an, wenn die Zunge unmittelbar
vorher mit Essig bestrichen war.
Da hier an der Herausnahme des ganzen Ganglion nicht gezweifelt
werden kann, ist der stricte Beweis für das Fehlen von Q^chmacksfesern
im Trigeminus für diesen Fall geliefert; aber es ist das nicht der einzige,
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Ein Fall von mültipleb Hibnnebvenlähmung. 61
sondern nur der am genauesten untersuchte Fall. Krause hat selbst noch
in zwei weiteren Fällen keine Geschmacksstöruug gefunden, Tiffanej
vermisste sie 3 Mal in 5 Fällen, Finney and Thomas 1 Mal, ebenso
Marchant et Herbet (34) in ihrem Falle; ob in allen den letzten Fällen
eine Herausnahme des Ganglion eine vollkommene war, entzieht sich meiner
Beurtheilung.
Aber es kommen uns auch hier noch andere klinische Fälle zu Hilfe.
Es giebt einige Fälle von basaler Trigeminuslähmung ohne Oeschmacks-
lähmuug. Erb allerdiijgs konnte im Jahre 1875 einen solchen Fall nicht
ausfindig machen, aber unter den von ihm genannten Fällen scheint mir
der von Renzi und Lussana mitgetheilte Fall doch in dieser Beziehung
sehr bemerkenswerth, hier bestand völlige Anästhesie im Quintusgebiet und
der Geschmack war erhalten für Zucker, Kaffee, Tabak, Citrone. Die
Section ergab einen, mehrere Zoll grossen schwärzlichen Tumor in der linken
Hemisphäre, das Ganglion Gasseri und seine drei Aeste waren durch Druck
in den Zustand völliger Erweichung gerathen. Eine mikroskopische Unter-
suchung fehlt allerdings, aber die Deutung, dass nur die Geschmacksfasern
nicht beschädigt gewesen wären, während alle übrigen Fasern schwer lädirt
waren, ist doch recht gezwungen und unwahrscheinlich. Viel sicherer er-
scheint mir aber folgender Fall Bruns' das Fehlen von Geschmacksfaseru
im Quintusstamm zu demonstriren.
27 jähriger Mann. Durch Unfall Schädelbasisfractur, Bewusstlosigkeit,
Blut aus Nase und Mund; am Morgen nach dem Unfall konstatirte der Arzt
rechtsseitige Facialislähmung, Blutung aus dem rechten Ohr, Mydriasis und
Ptosis am linken Auge; allmähliches Eintreten einer linksseitigen neuropara-
lytischen Keratitis. 11 Wochen nach dem Unfall untersuchte Bruns den
Patienten zum ersten Mal. Er fand links Ptosis und Mydriasis, Trochlea-
ris- und totale Abducenslähmung, rechts totale periphere Läh-
mung des Facialis; ausserdem bestand links eine totale Lähmung
des sensiblen und motorischen Trigeminus. Im ganzen Gebiete des-
selben wurden Berührungen, Temperaturreize und tiefe Nadelstiche nicht ge-
fühlt; es besteht links Keratitis neuroparalytica; Lähmung der linken Kau-
muskeln mit Fehlen der faradischen Erregbarkeit. Rechts alter Mittelohr-
katarrh (schon seit mehreren Jahren Ohrensausen und Schwerhörigkeit),
Gaumensegel beiderseits normal. Schlucken gut. Geschmack links für
alle Qualitäten völlig normal, auch die galvanische Geschmacks-
empfindung war normal. Rechts bestand auf der ganzen Zungenhälfte
tot^e Geschmackslähmung. Alles Uebrige normal.
Bruns fahrt die Schädigungen der schwer betroffenen Nerven in seinem
Falle (also des linken Quintus, Abducens und Trochlearis und des rechten
Facialis) auf eine schwere Quetschung, Zerrung bezw. Zerreissung der
Nerven zurück. Und er glaubt, dass sein Fall, der „klinisch und speciell
pathologisch-anatomisch so besonders durchsichtig sei" unzweifelhaft be-
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62 R Casbibeb:
weise, dass die Ansichten über den Verlauf der Geschmacksfasern, wie
sie von Schiff und Erb proclamirt seien, keineswegs absolut sicher-
gestellt seien.
Man wird Bruns in der Beurtheilang der Beweiskraft seines Falles
unbedingt Recht geben müssen, wenigstens was den Punkt anbetrifft, dass
diese Beobachtung mit Sicherheit das Fehlen von Geschmacksfasern im
Trigeminusstamm beweise. Ziehl hat versucht, und ihm hat sich Schmidt
angeschlossen, dem Fall eine andere Deutung zu geben, doch ist dieselbe
eine höchst gekünstelte und ganz und gar unwahrscheinliche. Da die
Quintuslähmung nicht gleich im Anfang von dem damaligen Arzte con-
statirt wurde, so müsste sie als secundare Erscheinung aufgefasst werden,
bedingt durch einen durch das Trauma hervorgerufenen chronisch entzünd-
lichen Process, und bei solchen Processen erkläre sich das Erhaltenbleiben
einzelner Fasergattungen ohne Weiteres. Ziehl selbst scheint aber mit
dieser Erklärung doch nicht ganz zufrieden zu sein, denn er fügt ihr noch
eine zweite hiuzu, man müsse zur Erklärung des Erhaltenbleibens des
Geschmackes annehmen, dass die Schädigung des dritten Astes des Trigeminus
im For. ovale oder dicht unterhalb desselben an der unteren Schädelfläche
stattgefunden habe, wo die zum Gangl. oticum ziehenden Geschmacksfasem
den Trigeminus schon verlassen haben. Eine Erklärung ist so unwahr-
scheinlich wie die andere: es bleibt für die Thatsache totaler Trigeminus-
lähmung mit völliger Integrität des Geschmackes keine Erklärung, als
die, den Geschmacksfasern einen anderen Weg anzuweisen. Nebenbei sei
bemerkt, dass Ziehl in einem zweiten Punkte, der Erklärung der Ge-
schmackslähmung auf dem rechten hinteren Zungendrittel, mit seiner
Erklärung Recht zu haben scheint, wenn er diese auf eine durch kein
anderes Symptom sich bemerkbar machende Schädigung des rechten Glosso-
pharjngeus zurückführt.
Eine weitere hierher gehörige Beobachtung verdanken wir Dana (cit.
nach Bruns). Er beschrieb einen Fall von totaler central bedingter Tri-
geminuslähmung, in dem keine Alteration des Geschmackes vorhanden war.
Dana nimmt an, dass auch die zuerst in der Chorda verlaufenden Ge-
schmacksfasern der vorderen Zungenhälfte durch den Plexus tympanicus in
den Glossopharyngeus übergingen. Dadurch aber, dass es sich um eine
centrale Erkrankung handelt, wird in der That der Werth dieser Beob-
achtung in Bezug auf die zur Entscheidung stehenden Frage gemindert, da
in solchem Falle die im Trigeminusstamm vorhandenen geschmacks-
leitenden Fasern schon einen anderen Weg eingeschlagen haben können.
Frankl-Hochwart (17) berichtet einen ihm von Du Beron münd-
lich mitgetheilten Fall, wo trotz isolirter völliger rechtsseitiger totaler mo-
torischer und sensibler Trigeminuslähmung der Geschmack völlig erhalten
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Em Fall von multipler Hibnnebvbnlähmüno. 63
war. Ein Fall von Tooth (51) mit auch anatomisch nachgewiesener
Tölliger Zerstörung des Quiutusstammes ohne Störung des Geschmackes ist
leider klinisch nicht genügend untersucht, um als beweisend gelten zu
können.
Fälle, wie die eben citirten von völliger Aufhebung der sensiblen
Function des Trigeminus ohne Geschmacksstörung, lehren übrigens, wie
nebenbei bemerkt sei, dass Klippers (26) Theorie von der Nothwendig-
keit des Zusammenwirkens des Quintus und Glossopharyngeus für die Ent-
stehung der Geschmacksempfindung sicher falsch ist.
Die Fälle, in denen der Trigeminusstamm keine Geschmacksfasern führt,
scheinen aber auch nach allem Gesagten nicht einmal so grosse Ausnahmen
za sein; bei Operationen fanden sie sich etwa eben so oft, wie die anderen.
Wenn dem so ist, so haben frühere XJntersucher in der Deutung ihrer
Beobachtungen sich eines bemerkenswerthen Fehlers schuldig gemacht.
Zur Entscheidung der Frage nämlich, in welchem Ast des Quintus die Ge-
schmacksfasem verlaufen, haben sie sowohl Befunde mit wie ohne
(jeschmackslähmung herbeigezogen und haben in folgender Weise argu-
mentirt: Es findet sich bei Lähmung des ersten und zweiten Trigeminusastes
und bei Integrität des dritten keine Geschmackslähmung, das beweist, dass
die Geschmacksfasern im dritten Aste verlaufen; oder umgekehrt Integrität
des ersten und zweiten Astes, Lähmung des dritten Astes, keine Geschmacks-
empfindung, das beweist, dass die Geschmacksfasern im dritten Aste verlaufen.
Diese Methode ist offenbar ganz unzulässig. Da nicht stricte nach-
gewiesen ist, dass Geschmacksfasern im Trigeminus stets vor-
handen sind, ist es nur zulässig, Schlüsse aus solchen Fällen zu ziehen,
wo eine Ageusie bestand; im anderen Fall von ungestörter Geschmacks-
empfindung kann man ja nie entscheiden: Nahmen die Geschmacksfasern
in diesem Fall überhaupt ihren Weg durch den Trigeminus, oder schlugen
sie einen anderen Weg ein.
Von anderen Wegen kommen nun für die Fasern der Chorda noch
folgende in Betracht. Erstens durch den Facialis zum Gehirn. Dass
der Facialis diese Function wirklich hat, wie zuerst Lussana annahm, dafür
liegt kein Beweis vor. Es giebt keinen einwandsfreien Fall basaler Facialis-
lähmnng mit Geschmacksverlust; an den aus früherer Zeit stammenden hat
Erb (13) im Jahre 1875 Kritik geübt und gezeigt, dass sie nicht beweis-
kräftig sind; dagegen citirt er einen Fall Von Ziemssen, in dem sich bei
basaler VII-Lähmung nur noch einige wenige intacte Facialisfasern fanden
und doch kein Geschmacksverlust bestanden hatte. Und Scheier (43)
citirt einen hierher gehörigen Fall von doppelseitiger fettiger Degeneration
beider Faciales an der Schädelbasis, den Wachsmuth berichtet, in dem
kein Geschmacksverlust bestand. Von neueren Autoren hat sich nur
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64 B. Cassireb:
Dixon (10) für die Annahme ausgesprochen, dass die Geschmacksfaseni
im VII. Nerven verlaufen, doch nur auf Grund unzureichender theoretischer
Erwägungen. Ebenso wenig hat eine von Schulte geäusserte, recht merk-
würdige Ansicht sich Anhänger zu erwerben vermocht. Er geht von der
„Thatsache" aus, dass weder basale Facialislähmungen, noch basale Trigeminus-
lähmungen zu Geschmacksstörungen und Degenerationen in der Chorda
führen und nimmt daher als Geschmacksnerven den von Sapolini ent-
deckten XIU. Himnerven in Anspruch, den dieser von seinem ürsprong
in den Seitensträugen am IV. Ventrikels durch das Ganglion geniculi hin-
durch bis zu den äussersten Verzweigungen der Chorda in der Zunge ver-
folgte. Die ganze Annahme hängt völlig in der Luft und braucht wohl
nicht weiter discutirt zu werden.
Stich (50) hat gemeint, dass die Chordafasem nach ihrem Eintritt in
den Facialis in centrifugaler Richtung verlaufen. Er stützt sich darauf,
dass bei einem Manne, dem gelegentlich einer Operation der Facialis gleich
am Austritt aus dem Foramen stylomastoid. durchtrennt war, die Geschmacks-
empfindung an den vorderen Zungentheilen herabgesetzt war. Stich ver-
allgemeinert ganz zu Unrecht diese Erfahrung; in der Mehrzahl der Fälle
stellt sich unter solchen Umständen eine Geschmacksstörung nicht ein;
Frankl -Hochwart giebt zu, dass vereinzelt solche Fälle vorkommen und
citirt als solche die von Vizioli und Lotzbek. Einen neueren Fall hat
Scheier (43) beschrieben. Er durchschnitt ebenfalls gelegentlich einer
Operation den Facialis am Foramen stylomastoid. und fand bei einer nach
einigen Tagen vorgenommenen Prüfung des Geschmackssinnes Verlust
desselben auf den vorderen zwei Zungendritteln. Jedoch erhebt er gegen
seine Beobachtung selbst den Einwand, den schon Erb gegen die von
Stich erhoben hatte, dass es sich um eine erst später eingetretene secundäre
Betheiligung der Chorda handele, welche von einer von der Wunde her
fortgeleiteten Neuritis ascendeus facialis herrühre. Man muss immerhin mit
Frankl-Hochwart die Möglichkeit zugeben, dass ausnahmsweise einzelne
Chordafasern einmal centrifugal im VII. Nerven weiter verlaufen; Frankl-
Hochwart lässt sie dann auf dem Wege des Auriculo-temporalis sich zum
Quintus begeben, sie könnten auch durch eine sicher nachgewiesene Ana-
stomose des Facialis zum Glossopharyngeus in dessen Bahn gelangen.
Wo aber bleibt die Hauptmasse der Chordafasem in den Fällen, in
denen sie nicht durch den Trigeminusstamm zieht. Es bleibt für sie nur
ein Weg übrig, der Glossopharyngeus. Bevor wir nun aber auf die
Thatsachen eingehen, die diesen gleichsam per exclusionem aufgestellten
Schluss, dass die Chordafasern in diesen Fällen durch den Glossopharyngeus
das Gehirn erreichen, ausreichend begründen, wollen wir uns erst noch mit
der bisher fast gänzlich ausser Acht gelassenen Geschmacksinnervation des
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Ein Fall von multiplee Hiennbrvenlähmung 65
hinteren Theües der Zunge beschäftigen. Wir sahen, dass neben dem Lin-
goalis sich noch der Glossopharyngeus in dem hinteren Theil der Zungen-
schleimhaut verästelt. Dass er diese Partie auch mit Geschmacksfasem in
der übergrossen Mehrzahl der Fälle versorgt, lehren zunächst die physio-
logischen Versuche, über die Frankl-Hochwart ausführlich berichtet.
Yintschgau und Hönigschmied durchschnitten am Kaninchen den
Glossopharyngeus und fanden darnach einen Schwund der Schmeckbecher
der Papulae circumvallatae und foliatae. Ranvier, Drasch und Sand-
meyer konnten im Gegensatz zu Baginsky das bestätigen, auch Rosen-
berg sah dasselbe; er konnte femer auch bei einem Mann die Papulae
circumvallatae untersuchen, bei dem in Folge eines Neoplasmas an der
Schädelbasis der Glossopharyngeus der einen Seite vollkommen degenerirt
war; auf der Seite der Degeneration fand er in zahlreichen Schnitten nur
zwei Becher, die anderen waren zu Grunde gegangen und ihre Stelle war
mit Epithel ausgefüllt.
Die zahlreichen klinischen Fälle, in denen nach Läsion des Trigeminus
nur die vorderen Theile der Zunge des Geschmackes beraubt waren, sprechen
in demselben Sinne, dass der Glossopharyngeus der Geschmacksnerv
für das hintere Drittel der Zunge ist Sehr gering ist dagegen die
Zahl der Fälle, in denen durch eine Verletzung des Glossopharyngeus selbst
eine Geschmackslähmung bedingt und damit der positive Beweis dafür ge-
liefert wird, dass dieser Nerv den Geschmack leitet. Zwei oder drei Fälle
waren bisher bekannt, erstens der von Lehmann (31).
20 jähriger Mann. Durch ein Trauma Schadelbasisfractur mit Schädigung
des zwölften und siebenten Gehirnnerven. Als die motorischen Erscheinungen
schon zurückgegangen waren, ergiebt die Geschmacksprüfung auf der rechten
Seite nur an einer kleinen Region an der Spitze ein erhaltenes, wenn auch
nicht völlig normales Geschmacksvermögen, während am Rande, in der Mitte
und in der Gegend der Papulae circumvallatae der Geschmack völlig fehlte
und zwar für alle Geschmacksqualitäten. Dabei war die Sensibilität beider
Zungenhälften aufs beste erhalten.
Ziehl (56) hat einen Fall mitgetheilt, in dem bei einer allmählich
emgetretenen multiplen Himnervenlähmung mit Betheiligung des linken
Abducens, Facialis, Acusticus (letzterer nur wenig betroffen), Glossopharyn-
geus, Vagus und Hypoglossus und unter Schonung des Trigeminus auf dem
hinteren Zungentheil Geschmackslähmung bestand, während die Sensibilität
wenigstens für das Berührungsgefühl intact war. Der Fall ist zwar etwas
complicirt und es ist auch eine centrale Entstehung nicht auszuschliessen,
doch erscheint er immerhin verwerthbar.
Am wichtigsten ist die von Pope (41) mitgetheilte Beobachtung.
7 6 jähriger Arbeiter erkrankte plötzlich ohne Bewusstseinsverlust mit
Schlinglähmung und Parese des linken Armes und des linken Beines; die linke
Archiv C A. u. Ph. 189«. Physiol. Abthlg. Suppl. 5
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66 B. Cassibeb:
Pupille war weiter als die rechte, reagirte nicht auf Lichteinfall; die linke
Seite des Gaumens stand höher als die rechte. Geschmack, mit schwach
salziger Lösung und Syrup geprüft, ergab, dass rechts alles gut geschmeckt
wurde, während links hinten nichts geschmeckt wurde ; dagegen wurde links
an der Spitze sauer geschmeckt, süss nicht. Die Section ergab nach einigen
Tagen: die linke Vertebralis ist bis auf ^/^ Zoll ausgedehnt und an der
Vereinigungsstelle mit der anderen Vertebralis völlig thrombosirt; die er-
weiterte Arterie presst direct auf den Glossopharyngeus, während Quintu»
und Facialis ganz normal waren.
Die mitgetheilten Fälle beweisen, dass der hintere Theil der
Zunge seine Geschmacksfasern vom Glossopharyngeus erhält
Sie differiren bezüglich der Grösse des Versorgungsgebietes dieses Nerven; im
Fall von Pope scheint auf den ersten Blick wenigstens für gewisse Quali-
täten die ganze Zungenhälfte unter Botmässigkeit des IX. Nerven zu stehen.
Wir müssen uns aber da früherer von Vintschgau angestellter Unter-
suchungen erinnern, der bewiesen hat, dass die Zungenspitze nicht bei allen
Menschen in gleicher Weise geschmacksfahig ist Bei sich selbst fand er,
dass er nur sauer gut an der Spitze empfinden kounte^ weniger gut süss,
schlecht salzig, fast gar nicht bitter. Da wir es nun bei Pope 's Beob-
achtung mit einem alten, 76 jährigen Manne zu thun haben, und da über
das Geschmacksvermögen an der Spitze der gesunden Zungenhälfte nichts
Genaues gesagt ist> werden wir gut thun, in der Verwerthung des Befundes
zurückhaltend zu sein; Pope selbst glaubt auf Grund seiner Beobachtung
annehmen zu sollen, dass der Glossopharyngeus mehr mit der Empfindung
von süss zu thun hat; die sonstigen ErMrungen ergaben aber, wie auch
Krause hervorhebt, gar keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass die
verschiedenen Geschmacksqualitäten in diflerenter Weise auf die beiden
Geschmacksnerven wirken. — InLehmann's Beobachtung ist sicher mehr
als das hintere Drittel der Zunge vom IX. Nerven innervirt, bei der von
Ziehl nur dieses.
Der einzige Fall, in dem die ganze Zungenhälfte nur vom Glosso-
pharyngeus mit Geschmacksfasern versorgt wurde, und wo trotz Integrität
des Quintus und Facialis durch alleinige Schädigung des IX. Nerven
eine complette Geschmackslähmuug entstand, ist der von uns mit-
getbeilte. Er bildet eine werthvolle Ergänzung des bisher vorhandenen
Materiales.
Resümiren wir noch einmal kurz den Stand der Frage. In einer
gewissen Anzahl von Fällen verlaufen Geschmacksfasern im
basalen Trigeminus für den vorderen Theil der Zunge, in wohl
sehr seltenen Fällen vielleicht auch für die ganze Zunge
(Gowers), in einem Theil der Fälle fehlen sie sicher im basalen
Trigeminus. Im basalen Facialis sind sie sicher nicht vor-
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Em Fall von multipleb HibnnebvenlIhmüng. 67
banden. In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle ver-
laufen im Glossopharyngeus die Geschmacksfasern für den
hinteren Theil der Zunge, in einer gewissen Zahl von Fällen
versorgt dieser Nerv aber auch den vorderen Theil der Zunge.
Der letztere Satz wird positiv bewiesen durch unseren Fall, der keinerlei
andere Deutung zulässt; er war aber schon höchst wahrscheinlich gemacht
durch das Fehlen von Geschmacksstörungen bei completter basaler Trigeminus-
lähmung (Bruns) und nach Exstirpation des Ganglion Gasseri (Krause).
Die Zahl der verwerthbaren Beobachtungen ist noch zu klein, als dass
es heute schon möglich wäre, sich eine genauere Uebersicht darüber zu
verschafifen, wie oft die Geschmacksfasern des vorderen Zungenabschnittes
im Trigeminus, und wie oft sie im Glossopharyngeus verlaufen. Keines-
wegs aber scheint mir das vorliegende Material dazu zu berechtigen, den
letzteren Weg als einen nur ganz ausnahmsweise eingeschlageneu zu be-
zeichnen. Denn wenn wir die Fälle von basaler Trigeminuslähmung mit
kritischen Augen ansehen und uns dabei der Forderung bewusst bleiben,
dass überhaupt nur Fälle mit Störung des Geschmackes verwerthbar sind,
so schrumpft die Zahl derjenigen, die den Verlauf der Geschmacksfasern
durch den Trigeminus beweisen , bedenklich zusammen , und die Ex-
stirpationsfalle, die die klarsten Daten ergeben, zeigen ungefähr ebenso oft
Geschmacksstörung, wie sie sie vermissen lassen.
Wir haben uns nun weiter die Frage vorzulegen, wie die Geschmacks-
fasem aus dem Lingualis und der Chorda in den betreffenden hierher
gehörigen Beobachtungen in den Glossopharyngeus gelangen. Es liegen
dafür zwei Möglichkeiten vor, wenn wir davon absehen, dass vielleicht ein
ganz geringer Faserantheil vom Lingualis direct zum Ganglion oticum
geht. Die Geschmacksfasern gehen also entweder mit der Chorda zum
Ganglion geniculi und von dort durch eine sicher gestellte Verbindung des
Ganglion genicul. zum Plex. tympanicus in die Paukenhöhle und von da durch
den Nervus Jacobsonü zum Ganglion petrosum, oder sie verlaufen im
Facialis j)eripher bis zu seiner Austrittsstelle aus dem Foram. stylomastoid.
(s. oben die Ansicht von Stich) und dann durch eine ebenfalls sicher-
gestellte Verbindung des Facialis mit dem Glossopharyngeus in diesen.
Wir haben keine sicheren Anhaltspunkte zur Entscheidung dieser Frage.
Wir wissen aus den Beobachtungen der Otiater nur eins, dass nämlich
destruirende Affectionen der Paukenhöhle auch Geschmacksstörungen im
hinteren Zungenabschnitte hervorrufen können. Urbantschitsoh [citirt
nach Bernhardt (3)] hat zuerst gezeigt, dass diese Geschmacksstörungen
auf eine Afifection des Plexus tympanicus und speciell der in diesem ent-
haltenen Faserantheile des Glossopharyngeus zurückzuführen sind. Sohlich-
ting's (45) schon einmal citirte Untersuchungen gehen auch auf diesen
5*
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68 R. Cassiree:
Punkt ein. Er glaubt einen Fall beobachtet zu haben, der dafür spricht,
dass eine Verletzung des Plexus tympanicus bei erhaltener Chorda zur
Geschmackslähmung in dem hinteren Theil der Zunge und am weichen
Gaumen führt, und er hat vier Fälle mit Zerstörung des Plexus tympanicus
und der Chorda gesehen, in denen völlige Aufhebung der Geschmacksempfin-
dung bestand, nur einmal waren noch kleine empfindende Inseln vorhanden.
Es bleibt aber, wenn wir diese Thatsachen auch ohne Weiteres an-
erkennen müssen, recht schwierig, zu verstehen, wie in diesen Fällen eigent-
lich die Geschmacksstörung durch Läsion des Plexus tympanicus zu Stande
kommt. Es geht ja doch sicher nur ein kleiner Theil der IX. Nervenfasern durch
den N. Jacobsonii zur Paukenhöhle, während die Hauptmenge direct vom
Gangl. petrosum weiter im IX. Nervenstamm zum Gehirn zieht und weiter ist
eigentlich auch gar kein Weg ersichtlich, auf dem die im N. Jacobsonii
und Plex. tympan. enthaltenen Fasern weiter zum Gehirn ziehen; denn m
der Mehrzahl der Fälle schlagen sie sicher nicht den einzig gangbaren
Weg: Plex. tympan., N. petios. superf. min., Gangl. oticum, Trigeminus-
stamm, ein, da, wie oben gezeigt, im Quintusstamm die Fasern für das
hintere Drittel der Zunge nicht vorhanden sind. So bleibt eigentlich nur
die befremdliche Annahme, dass sie im Plex. Jacobsonii denselben Weg
zurückziehen, den sie gekommen sind, zum Ganglion petrosum. Hier sind
noch erhebliche Schwierigkeiten vorhanden, die, soweit ich die Litteratur
übersehe, noch nicht genügend betont wurden.
Es bleibt uns nun bezüglich der Geschmacksfasern noch eine Frage
zu beantworten: Wo liegt ihre Endigung in der Medulla oblongata? Auch
hier kommen wir mit unseren heutigen Kenntnissen zu keinem sicheren
Schluss, wenn auch durch eine vor nicht langer Zeit von Wallen berg in
seinem schon erwähnten Falle gemachte Beobachtung einiges Licht in
diese dunkle Sache gebracht wurde. Wallenberg fand bei mikroskopischer
Untersuchung seines Falles Folgendes: eine durch die Zerstörung des Ganglion
Gasseri bedingt« Degeneration der spinalen Quintuswurzel. „In der Höhe
des inneren Facialiskemes löst sich ein von degenerirten Fasern ein-
geschlossenes ovales Stück gelatinöser Substanz vom dorsalen Winkel der
linken spinalen Quintuswurzel los und entfernt sich von ihr spinalwärts in
dorsomedialer Richtung ... es geht an der Austrittsstelle des Glossopharyn-
geuskernes direct in den Kern des solitären Bündels über. Die Zahl der
degenerirten Fasern, am cerebralen Ende noch bei Weitem die der gesunden
überwiegend, ist schon vor der Austrittsstelle der IX. Wurzeln auf ein Mini-
mum gesunken und beschränkt sich von da abwärts auf einzelne Elemente."
Diese Verbindung des Trigeminus mit dem solitären Bündel, das im
Wesentlichen die Endstelle des Glossopharyngeus zu sein scheint, ist zuerst
von Roller (43) beschrieben worden. Böttiger (4) sah es zuerst bei
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Ein FaJjL von multipler Hiennervenläumüng. 69
Degeneration des übrigen solitaren Bündels erhalten bleiben; dieselbe Beob-
achtung konnten Schiff und ich (7) in mehreren Fällen machen. Roller
hat ihm auch schon seine Bedeutung als Geschmacksnervenwurzel — bezw.
nach unseren heutigen Anschauungen Geschmacksnervenendigung — an-
gewiesen. Auch Wallenberg (53) meint, dass es wahrscheinlich der Leitung
von Geschmacksempfindungen diene. „Die Betheiligung des Trigeminus an
der Constitution jenes Bündels wird naturgemäss grossen Schwankungen
unterliegen, und es scheint mir darin eine anatomische Begründung für
die von Bruus schon im Jahre 1888 betonte Differenz in der Antheilnahme
des Trigeminus an der Geschmacksinnervation der Zunge bei verschiedenen
Individuen gegeben zu sein."
Auf die Möglichkeit einer gemeinsamen centralen Endigung der Ge-
schmacksfasern durch Verbindungen von der spinalen Trigeminuswurzel zum
Glossupharyngeus hatte übrigens vor langem auch schon Müller (39)
hingewiesen.
Es muss weiteren Forschungen vorbehalten bleiben, festzustellen, ob
die von Wallenberg dem in Rede stehenden Faserzug gegebene Deutung
richtig ist; eine gewisse Schwierigkeit besteht unter Anderem darin, dass
wir gerade bei völlig degenerirter spinaler Trigeminus- und Glossopharyngeus-
Wunel diesen Faserzug vollkommen erhalten fanden.
Auch klinische Forschungen werden dazu beitragen können, über diese
Fragen Licht zu verbreiten. Es wird nämlich mehr als bisher darauf
geachtet werden müssen, wie sich der Geschmack in Fällen bulbärer Läsion
mit Trigeminusanästhesie verhält. Einen Fall dieser Art Quintusanästhesie
auf der einen Seite, dabei gleichzeitige völlige Geschmackslähmung auf dieser
Seite und Geschmackslähmung auch auf dem hinteren Theil der anderen
Zungenhälfte beschreiben Long und Egger (32), sie führen die Geschmacks-
störungen auf eine intramedulläre Quintusaffection zurück, doch ist das
klinische Bild zu complicirt, als dass es sichere Schlüsse in dieser Richtung
gestattete. Auch Bechterew (2) und neuerdings Higier (23) haben auf
diese Combination der Trigeminusanästhesie mit Geschmackslähmung (unter
gleichzeitiger Schädigung auch der anderen Specialsinne) aufmerksam gemacht.
Es muss ja gewiss zugestanden werden, dass der Gedanke etwas Ver-
fohrerisches hat, die auf so mannigfach wechselnden und verschlungenen
Wegen zum Gehirn geleiteten Geschmacksempfindungen würden in der
Medulla oblongata zu einer gemeinsamen Endstätte geleitet.
für die Leitungswege selbst aber werden wir daran festhalten müssen,
dass grosse individuelle Schwankungen und Verschiedenheiten vorkommen,
me das Oppenheim (39 b) und Bruns schon seit längerer Zeit betont
haben. Unser Fall erschien mir geeignet, für eine der hier möglichen
Modalitäten den vollgültigen klinischen Beweis zu erbringen.
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70 R. Cassieeb:
LitteratnrTerzelchniss.
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für Psychiatrie, Bd. XXI.
5. Brans, Multiple Himnervenläsion nach Basisfractnr. Ebenda. Bd. XX.
6. Carl. Beitrag znr Frage: Enthält die Chorda tympani Geschmaoksfasem.
Archiv für Ohrenheilkunde, Bd. X.
7. Cassirer und Schiff, Beiträge zur Pathologie der chronischen Bolbär-
erkranknngen. ' Arbeiten aus dem Institut Obers feiner, Bd. IV.
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10. Dixon, Forther note on the coorse of the taste fibres. Edinhourgh med.
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11. Duchenne, Physiologie der Bewegungen. (Deutsch von Wem icke.) S. 12.
12. Erb, Handbuch der Krankheiten der peripheren Nerven.
13. Derselbe, Ueber rheumatische Facialislähmung. Archiv für klin. Medicin.
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14. Derselbe, Ueber den Weg der geschmacksvermittelnden Chordafasem zum
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17. V. Frankl-Hochwart, Die nervösen Erkrankungen des Geschmacks u. s, tc,
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18. Qowers, Lehrbuch der Nervenkrankheiten, (Deutsch von Grube.) Bd. IL
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19. Derselbe, Paralysis of the fifth nerve. Edinbourgh medic. Journal. 1897.
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20. Hagels tam, Lähmung des Trigeminus und Entartung seiner Wurzeln u. s.w.
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21. Halban, Zur Physiologie der Zungennerven. Wiener klin. Bundschau, 1896.
22. Heusner, Eine Beobachtung über den Verlauf der Geschmacksfasem.
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23. Higier, Wie verhalten sich die Specialsinne bei Anästhesie des Gesichts?
Deutsche Zeilschrift für Nervenheilkunde. Bd. XIIL S. 816.
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Ein Fall von multipleb Hibnnbevenlähmünö. 71
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25. Hirschl, Ueber rheamatische TrigemiDUsl&hmniig. Wiener Hin, Wochen-
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26. Klippel, Troables da gout et de Todorat dans le tabes. Arch.de neurolog.
1897. Bd. in.
27. Krön, Fall traomatisoher HypogloBsosaccessoriaslähmaDg. Bef. Neurolog.
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29. Krause, Die Neuralgie des Trigeminue. Leipzig 1896. S. 82ff.
80. Lahr, Fall von AccessorinsläbmaDg. Neurolog. Centralblatt. 1899. Nr. 1.
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38. Lassana et Renzi, Arch. de phyttol. T. IL p. 25.
84. Marchand et Herbet, B^ection da ganglion de Gasser. Rev, de chirurg,
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Centralbkue. 1896. S. 338.
36. Marinesco et S^rieax, Sar an cas de l^sion traumat. da trijameaa et da
facial. Arch. de phynol. 1893. p. 454.
37. Mobias, Ueber mehrfache Himnenrenlähmang. Centralblatt für Nerven-
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38. Moyer, Hemiatrophy of the tongae. Netc York med. JournaL 1897.
39. Müller, Zwei Fälle von Trigeminaslähmang. Archiv für Psychiatrie.
Bd. XIV. S. 263.
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40. Philipps, Paralys. of the fifth nerve. Clin. Societ. of London. 1897.
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unilateral loss of t-aste at back of tongae. Brit. med. Journ. 1889. Vol. IL p. 1148.
42. Betnak, Berliner klinische Wochenschrift. 1888. Nr. 7 a. 1892. Nr. 42.
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43a. Salomonson, Inaug.-Dissert. Berlin 1888.
43 b. Seh ei er, Beitrag zur Kenntniss der Geschmacksinnervation. Zeitschrift
ßr klinische Medicin. 1895. Bd. XXVIII. S. 441.
44. Schiff, Les nerfs gustatifs. Rev. de la Suisse romande. 1887. p. 51.
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störong der Chorda tymp. and des Plex. tymp. Zeitschrift für Ohrenheilkunde.
Bd.XXXlL 8.388.
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auf den ^wei vorderen Dritteln der Zange. Zeitschr. f. OhrenheUk. Bd. XV. S. 67.
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72 B. Cassibeb: Ein Fall von mültipleb HibkneeveklIhmung.
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50. Stich, ChariiS'Annalen. Bd. VIII. S. 68. (Nach v. Fran kl- Hoch wart)
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54. Wolf, Zar Function der Chorda tympani. Zeitschrift för Ohrenheilkunde.
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55. Zander, Ueber das Verbreitangsgebiet der Gefühls- and Geschmacksnerven
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56. Ziehl, Ein Fall von isolirt^r Lähmang des ganzen dritten TrigemiDOs-
astesa. s. w. Vi rchow's ^rcÄiv. Bd. CXVIL S. 52.
Ferner :
Alt haus, Zar Physiologie aud Pathologie des Trigeminas. Archiv für klinische
Medicin. 1870.
Jaffö, Ein Fall von geheilter Trigeminnslähmang. Berliner klin, Wochenschr,
1879. Nr. 43.
Neumann, ref. S, J, Bd. CXXV. S. 164.
Rahemann, Beziehangen des Trigeminas zar Gesichtsatrophie. Centralhlatt
für klinische Medicin. 1889. Nr. 1.
Senator, Ein Fall von Trigemmusaffeotion. Arch. f. Psych, Bd. XIIL S. 590.
Zeaner, Klinischer Beitrag über den Verlauf der Geschmacksfasem. Neurolog,
Centralhlatt, 1888. Nr. 16.
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Ueber die Schicksale der Eiweissstoffe nach Einführung
in die Blutbahn.
Von
Prof. Immanuel Munk und Dr. Max Lewandowsky.
(Au8 dem physiologischen Institut der Universität Berlin.)
Während früher die Anschauung geherrscht hat, dass nur diejenigen
Eiweissstoflfe aus dem Darmcanal in die Safte übertreten können, die zuvor
durch Magen- und Pankreassaft peptonisirt worden sind, ist insbesondere
von Brücke^ zuerst betont worden, dass auch die genuinen, nativeu, nicht
deuaturirten Eiweisskörper direct der Resorption unterliegen können. Dafür
scheinen die Erfahrungen zu sprechen, welche an solchen Darmfisteln von
Menschen und Thieren gemacht worden sind, zu denen der Zutritt von
Verdauungssaften und damit auch deren Enzymen (Pepsin, Trypsin) aus-
geschlossen war und aus denen eingebrachte Eiweissstoffe schon innerhalb
4 Stunden in ziemlich reichlicher Menge verschwanden, ohne dass in den
Darmschlingen sich Albumosen oder Peptone nachweisen Hessen. Die Re-
sorption der nativen Eiweisskörper wurde in manchen dieser Beobachtungen,
so in denen von C. Voit und Bauer ^ beim Hunde, ferner von Czerny
und Latschenberger^ beim Menschen, noch dadurch überzeugend er-
wi^en, dass entsprechend dem Biweissübertritt in die Säftemasse auch der
Eiweissumsatz und die Harnstoffausfuhr durch den Harn in die Höhe ging.
Gegen diese und ähnliche Versuche liesse sich höchstens noch der Einwand
erheben, dass in diesen, zwar von Verdauungsenzymen fast freien Darm-
schlingen, doch zumal bei neutraler bis alkalischer Reaction des Inhaltes
* Sitzung^' Berichte der Wiener Akademie, 1869. Bd. LIX. 2. Abth. S. 617.
* ZeUschrift für Biologie. 1869. Bd. V. S. 562.
* N ix ahoyt's Archiv. 1874. Bd. LIX. S. 161.
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74 Immanuel Mükk und Max Lewandowset:
durch Bakterien eingeleitete Spaltungen , die als erste Producte ebenfalls
sog. Peptone liefern, der Resorption vorausgegangen seien, daher es als noch
nicht völlig erwiesen gelten dürfe, dass genuine oder nicht denaturirte Ei-
weissstoffe also solche der Aufsaugung unterlegen sind. Und derselbe Ein-
wand liesse sich gegen die mit Nährklystieren gemachten therapeutischen
Erfahrungen erheben, insofern auch hier die Eiweissresorption aus dem
Dickdarm und dem Mastdarm, so sehr sie über allen Zweifel bewiesen ist,
doch keinen sicheren Rückschluss gestatte auf die Form, ob genuin oder
denaturirt, in welcher der Uebertritt der Albuminstofle erfolgt sei.
Nun hat inzwischen der Eine von uns (Munk) im Verein mit
A. Rosenstein* an einer Lymph(chylu8)fistel beim Menschen mit Sicher-
heit feststellen können, dass nach Genuss von massigen Eiweissmengen,
80 bis lOB»™» Ei weiss (in magerem Fleisch) in einer Mahlzeit, in den
nächstfolgenden 12 Stunden weder die Menge des ausfliessenden Chylus,
noch das damit ausgeführte Eiweissquantum merklich zunimmt, eine Elr-
fahrung, die, neuerdings von L. B. Mendel' an einem Magenfistelhunde
bestätigt, den bestimmten Schluss gestattet, dass das im Darm resorbirte
Eiweiss fast ausschliesslich in die Blutbahnen übertritt und kein merklicher
Antheil davon in die Lymphbahnen des Darms.' Eiinn nun auch genuines
und nicht denaturirtes Eiweiss in die Blutbahnen übertreten, so müsste —
dies wäre gleichsam die Probe auf das Exempel — sich erweisen lassen,
dass, wie das aus dem Darm resorbirte, so auch das in ähnlich langsamem
Tempo direct in's Blut eingeführte native Eiweiss im Körper zur Verwer-
thung gelangt, ohne doch, oder höchstens zu einem ganz geringen Bruch-
theil, der Ausscheidung durch die Nieren zu verfallen. Denn dass nicht
etwa auf die durch die Pfortaderwurzeln resorbirteu und mit dem Pfortader-
blut der Leber zugeleiteten Eiweissstofife die Leber selbst eine chemisch
umwandelnde Wirkung übt, ist durch gleichzeitig und unabhängig von
einander ausgeführte Versuche von Neumeister* und L Munk* bewiesen,
denen zufolge durch die Pfortaderwurzeln infundirte sog. Peptone die Leber
* I. MuDk und Rosenstoln, Dies Archiv, 1890. Pl^ysioL Abthlg. S. 879;
Virchow'B ^rcÄtr. 1891. Bd. CXXUl. S. 496.
* Ämeric. Journal of physiol. 1899. Vol. II 3. p. 137.
' Es sei denn, dass, wie in einem Versuche von Asher und Barbara (Central"
blaU für Physiologie. 1897. Bd. XL Nr. 17. S. 403; Zeiischriß für Biologie. 1898.
Bd. XXX VI. S. 212), einem Hunde ftbermässige Mengen von solchem Eiweiss beigebracht
werden, das einer verbreiteten Annahme zufolge den Verdaunngsorganen keine Arbeit auf-
bürdet und daher schneller resorbirt wird, wie Witte's Pepton (zumeist aus Albumosen
bestehend). In solchem Falle erscheint etwa Vis vom resorbirten Eiweiss im Chylus
yfieder (l. Munk, Centralblalt für Physiologie. Bd. XI. Nr. 19. S. 587).
* Zeitschrift für Biologie. 1890. Bd. XXVI. S. 315.
» Dies Archiv. 1890. Physiol. Abthlg. Suppl. S. 134.
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SCHIOKSAL DBS EIWEISSES IN D£B BlUTBAHN. 75
onverändert passiren (Neumeister), daher auch in gleicher Gabe und
Schnelligkeit die Senkung des Blutdruckes und die narkotische Wirkung
herbeifuhren, wie wenn sie, mit Umgehung der Leber, direct in die Jugular-
Tene eingespritzt werden (Munk).
Solche Versuche mit directer Einführung von gelösten Eiweissstoffen
in die Blutbahn sind schon von verschiedenen Autoren unternommen worden,
haben aber eigentlich nur bezüglich eines nativen Eiweisskörpers sichere
Besultate ergeben, und das sind die Eiweisskörper des Blutplasmas oder
Blutserums: das Serumalbumin und Serumglobulin. Durch die Transfusions-
erfolge ist über allen Zweifel erwiesen, dass die Serumalbumine und -globu-
line derselben Species in weitem Umfange (bis zu 3 «™" Serumeiweiss
pro Kilo Thier) vertragen und assimilirt werden. Die Angabe von 0. Weiss, ^
dass das Serum verschieden geschlechtlicher Thiere derselben Species nicht
assimiliert wird, ist von Friedenthal und Lewandowsky' im hiesigen
Institut widerlegt worden. Was die Serumeiweisse einer anderen Species
anlangt, so war von Forster,' Ponfick* u. A. festgestellt worden, dass
das Pferdeserum von Hunden in erheblichen Mengen verwerthet werden
kann. Dagegen bestand über die Frage der allgemeinen Assimilirbarkeit
fremden Serums noch eine Discussion. Erst Friedenthal und Lewan-
dowsky^ haben gezeigt, dass die Differenzen in den Angaben der Autoren
hier wahrscheinlich auf die verschiedene Giftigkeit der einzelnen Sera zurück-
zuführen sind, und dass, wenn diese Giftigkeit durch eine von ihnen an-
gegebene einfache Methode (Erwärmen auf 60^ C. bis zur Opalescenz des
Serums) beseitigt wird, die Sera aller fremden Species auch ohne Weiteres
assimiiirbar werden.
Andere genuine Eiweissstoffe, wie Eieralbumin und Caseln^ sollen indes
nach Cl. Bernard, Stokvis, Creite, Runeberg und besonders Neu-
meister® „bei künstlicher Einführung in die Blutbahn auch nicht einmal
in den geringsten Mengen vertragen werden. Dagegen gelangt denaturirtes
Eieralbumin in Form von Syntonin oder Albuminat, direct in's Blut ge-
spritzt, nicht zur Ausscheidung, sondern wird assimilirt."®
Dass Eieralbumin, obwohl in chemischer Hinsicht dem Serumalbumin
so äholich, noch nicht einmal in den geringsten Mengen in der Blutbahn
' Pmger' 8 Archiv. 1896. Bd. LXV. S. 215.
* Berliner klinische Wochenschrift 1899. Nr. 12. S. 249; Dies Archiv. 1899.
Phyml Abthlg. S. 531
» ZeiUchrift für Biologie. 1875. Bd. II. S. 518.
* Virchow'ß ^rcÄ»i7. 1875. Bd. LXII. S. 278.
* Vgl die Litteratur hierüber bei Neumeister, Lehrbuch der physiologischen
Chemie. 2. Aufl. 1897. S. 800, Fussnote 8 u. 4, und S. 301, Fussnote 1 u. 2.
* Ebenda. S. 300, Text.
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76 Imma:nüel Munk und Max Lewandowsky:
vertragen wird, könnte man allenfalls so deuten, dass das Eieralbumin dem
Organismus gegenüber einen Fremdkörper bildet, der daher als solcher
schnell durch den Harn ausgestossen wird. Allein dann wäre es um so
weniger zu verstehen, dass nach Neumeister genuines Phytovitellin , das
doch sicherlich körperfremd oder heterogen ist, in beträchtlicher Menge in
der Blutbahn der Thiere vertragen wird. Andererseits kann doch genuines
Caseln für den Organismus nicht als Fremdkörper gelten, und wäre er es
selbst für das Blut, das doch Caseln nicht enthält, so wäre es wiederum
unverständlich, weshalb Acidalbuminate (Syntonine) und Alkalialbuminat^,
die doch, weil denaturirt, in viel höherem Grade als Fremdkörper für das
Blut anzusehen sind, in der Blutbahn vertragen und vollständig assimilirt
werden. Zahlreiche Versuche mit Infusion verscliiedener Eiweissarteu hat
Neumeister^ ausgeführt; er hat „grosse Mengen von Syntonin (10ü<^™
gesättigter Lösung in 1-5 Proc. Soda) und von Albuminat (100 ^^^^'^ gesät-
tigter Lösung in 1 • 5 Proc. Soda) aus Hühnereiweiss mittelgrossen Hunden
in die Jugularis gespritzt. Niemals hat er hiernach auch nur Spuren von
Eiweiss im Harn gefunden. — Denselben Erfolg hatte die entsprechende
Einführung von Syntonin, aus Rindsmuskeln durch 0-25 Proc. Salzsäure
in der Kälte ausgezogen (100^*™ einer gesättigten Lösung in 1«5 Proc.
Soda), die von genuinem Phytovitellin aus Kürbisssamen (175 ^'^"' einer
gesättigten Lösung in 1 Proc. Soda und 0 • 6 Proc. Kochsalz), sowie die von
reinem Serumalbumin aus Rinderblut in derselben Menge und Flüssigkeit*^
Ferner „der Thatsache, dass Hühnereiweiss" (seil, als solches) „die Darm-
schleimhaut passiren kann, aber auf der anderen Seite nicht assimilirt wird
und daher der Ausscheidung durch die Nieren verfällt" (wie daraus erhellt,
dass nach üeberladung des Darmes mit rohem Hühnereiweiss dasselbe
im Harn erscheinen kann), „entspricht das prompte und baldige Erscheinen
von Hühnereiweiss im Harn, wenn mau dasselbe in eine Vene spritzt."
Diese verschiedenen und mit einander kaum in Einklang zu bringenden
Beobachtungen schienen uns, schon wegen ihrer principiellen Bedeutung
für die Frage des EiweissstoflFwechsels, der Nachprüfung werth, um so mehr,
als Neumeister von seinen Versuchen nur die Ergebnisse summarisch mit-
theilt, und gerade der eine Versuch, über den er etwas mehr berichtet,
mit intravenöser Einführung von gelöstem genuinen Caseln den Einwen-
dungen eine breite Angriffsfläche bietet. Neumeister sagt hierüber, ^ ,4ch
liess einem mittelgrossen Hunde 0-82^^"^^ Caseln als neutrale Natron-
verbindung in 60 ^^ Wasser gelöst sehr langsam in die V. pediaea ein-
' Neumeister, Sitzungsberichte der yhysikalisch-medicinischen Gesellschaft in
Würzburg. 1889. S. 64 ff.; die angezogenen Sätze c6^»fl?a. S. 72 u. 74.
^ Ebenda. 1889. S. 74.
^ Soll wohl heissen „Gramm**.
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Schicksal des Eiwbisses in deb Blutbahn. 77
strömen. Der zanächst gelassene fast neutrale Harn erwies sich stark
eiweisshalüg. Aber das anscheinend in seiner ganzen Menge aus-
geschiedene Caseln* war oflfenbar verändert: Es liess sich wohl durch
Salpetersäure, durch Essigsäure und Ferrocyankalium, aber nicht mehr
durch Essigsaure allein oder durch Salzsaure ausfallen . . .^' Offenbar sind
solche Versuche, in denen das „anscheinend'^ die quantitative Bestimmung
vertritt, nicht als exakt und beweiskräftig zu erachten.
Während wir nun mit den gleich mitzutheilenden Versuchen beschäftigt
waren, erschien eine Mittheilung von C. Lilien fei d^ (aus dem Zun tz 'sehen
Laboratorium), worin u. A. auch über Versuche mit intravenöser Einfuhrung
Ton gelösten Eiweisskörpem berichtet wird. Dieser Autor hinwiederum hat
nicht bestätigen können, dass in Sodasolution gelöstes Syntonin im Körper
behalten und verwerthet wird, vielmehr sah er danach nicht nur die ganze
injicirte Menge, sondern mehr als das Doppelte davon durch den Harn
austreten; er deutet dies als eine durch das im Blut kreisende Syntonin
bedingte Nierenreizung. Dagegen wurde Conglutin, also pflanzliches Eiweiss,
in Soda gelöst, gut vertragen und assimilirt Somit konnte auch diese
Mittheilung die planmässige Durchführung und Beendigung unserer Ver-
suche nicht überflüssig machen.
Unsere Versuche sind an Kaninchen und ein Controlversuch am Hunde
ausgeführt. Der zu prüfende, möglichst rein dargestellte oder käuflich
erhältliche Eiweisskörper wurde in 0-5 bis 1 procentiger Sodasolution gelöst
und die durch Papier oder Glaswolle filtrirte, von allen corpusculären Ele-
menten befreite Flüssigkeit durch eine in die V. facial. ant oder jugularis
herzwärts eingebundene Glascauüle aus einer Bürette im langsamen Tempo,
zu ^/j bis 1 ^^ pro Minute, einfliessen gelassen. Von welcher Bedeutung
das möglichst langsame Einfliessen unter geringem Druck in die
Vene ist, hat der Eine von uns (Munk) schon vor 12 Jahren bei Gelegenheit
von Untersuchungen •"* kennen gelernt, die der Verwerthung intravenös einge-
führter Stoffe (Zucker, Glycerin, Buttersäure, Seifen) für den respiratorischen
Bedarf galten; hier ging selbst von dem so leicht assimihrbaren Trauben-
zucker ein Bruchtheil in den Harn über, wofern die Einführung nicht ge-
nügend langsam erfolgte. Den Versuchsthieren wurde zumeist erst Harn
abgedrückt und auf Freisein von Eiweiss geprüft War die gewünschte
Eiweissmenge eingeflossen, so wurde die Vene unterhalb der Canüle ligirt,
die Canüle entfernt, die Hautwunde vernäht und das Thier in einen Käfig
gebracht, in dem es auf einem, aus verzinnten eisernen Rundstäben gebil-
^ Im Original nicht gesperrt.
* Zeitschrift für physik. und diätet. Therap. 1899. Bd. II. Heft 3.
» I. Munk, Pflüger's ^r<jÄ»ü. 1889. Bd. XLVl. S. 803.
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78 Immanuel Munk und Max Lewandowsky:
deten Durchschlag sass, unterhalb dessen sich eine mit Zink ausgekleidete
Schieblade zum Auffangen des etwa gelassenen Harnes befand. Meist wurde
der Hain nicht spontan gelassen , sondern musste durch Abdrücken ge-
wonnen werden. Im vereinigten (klar filtrirten und auf ein rundes Volumen
aufgefüllten) Tagesharn wurde zuerst auf Eiweiss, dann ob das eventuell
gefundene Eiweiss mit dem infundirten identisch, gefahndet
Zur quantitativen Bestimmung des Eiweisses wurde der Harn,
wenn er, wie in der Mehrzahl der Fälle, nicht ganz klar war, mit Soda-
lösung, unter Zusatz von etwas Magnesiumsulfat, alkalisirt, ^ auf ein rundes
Volumen aufgefüllt und ein aliquoter Theil, mindestens ^/j bis Vs von der
Tagesmenge, des nunmehr absolut klaren Filtrates mit Essigsaure angesäuert,
dazu Kochsalz- oder Bittersalzlösung gesetzt, zum Kochen erhitzt, durch
ein dichtes Filter gegeben und der ausgewaschene Niederschlag sammt dem
Filter nach Kjeldahl behandelt, so der Eiweissstickstoff in Ammoniak
übergeführt und dies durch Ueberdestilliren mittels Natronlauge bestimmt
Gewöhnlich fand sich nur noch am 2. Tage noch Eiweiss, manchmal in
kaum zu bestimmender Menge; der Harn des 3. Tages war meist eiweissfrei.
Zur qualitativen Probe auf Eiweiss diente das Ueberschichten von
Salpetersaure, die mit Va Y^l* concentrirter Kochsalzlösung versetzt war,
mit dem zu prüfenden Harn, die Reaction mit Ferrocyanwasserstoff (Essig-
säure + Ferrocyankalium) und das Erhitzen mit Essigsaure und Kochsalz-
bezw. Bittersalzlösung.
Zunächst wurde das Schicksal infundirten Caselns geprüft, worüber
nur ein, wie oben gezeigt, höchst mangelhafter Versuch von Neumeister
vorlag. Zur Verwendung gelangte ein von Schering's Fabrik dargestelltes,
schneeweisses, feinkörniges bis staubfeines Präparat, das der Eine von uns*
schon früher untersucht hat und das neben Caseln noch 10-7 Procent
Wasser, 1 Proceut Fett und 1 • 1 Procent Asche enthielt Es löste sich in
1 procent. Soda zu einer, auch nach dem Filtriren milchigen Flüssigkeit, und
zwar war das milchige Aussehen um so stärker, je concentrirter die Lösung.
Graues Kaninchen von 1510 «'"^ erhält 27 ^'^^ einer (nach Kjeldahl)
3 • 36 procentigen Lösung Case'inlösimg, also 0-907 ^^^ Casem, innerhalb
48 Minuten in die Jugularis infundirt. Der zuvor abgedrückte Harn war
eiweissfrei. Der Harn der nächsten 48 Stunden vereinigt' und auf 250*^*^
^ Der MaguesiazQsatz zu dem alkalisirten Harn bat bekanntlich die Bedeutung»
einen Niederscblag von Magnesiumcarbonat bezw. -sulfat und -phosphat zu erzeugen,
der fein suspendirte Trübangcn mit niederreisst, so dass nunmehr der Harn klar
filtrirbar wird.
* L Unuk, Dies Archiv. 1895. Physiol. Abthlg. S. 551.
' Wurde ab|i:edrückter oder spontan gelassener Harn aufbewahrt, so geacbah dies
unter Thymolzusatz.
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SOHIOKSAL DE8 EIWEISSES IN BEB BLUTBAHN. 79
aufgefüllt; in 100 ^'^^ 0«0152»™, also im Gesammtham 0-038 «f™" Eiweiss.
Der Harn des 3. Tages eiweissfrei. Das spärlich im Harn erscheinende
Eiweiss war anscheinend unverändertes Casem^ insofern der Harn schon
beim vorsichtigen Ansäuern mit Essigsäure sich trübte. Also wurden
ausgeschieden ... 4 Procent
zurückbehalten ... 96 „
bei einer Gabe von 0-6 ^™ Gase in per Kilo Thier.
Einem schwarzen Kaninchen von 1302 ^^ wurden 46*5 ^^™ einer wie
dünne Milch aussehenden Caseinlösung innerhalb 1 Stunde 18 Min. infundirt,
insgesammt 3 • 1 64 ^™ Casein. Der Harn der nächsten 24 Stunden, unter
Zusatz von Soda und etwas Magnesiumsulfat auf 150 ^^ gebracht, enthielt
in 100 «^ klaren Filtrates 0 079^™ Eiweiss, der Harn des folgenden Tages
giebt, auf die Hälfte eingeengt, nur 0.02«^™ Eiweiss. Somit sind 0*119 +
0-02 = 0-139 ^^ Eiweiss ausgetreten, d. h. es wurden
ausgeschieden . . . 4-5 Procent
zurückbehalten . . . 95*5 „
bei einer Caseingabe von 2»4 ^™* per Kilo Thier.
Weisses Kaninchen, dunkeläugig, 1530 *'^^. Innerhalb 57 Minuten in-
fundirt 4 1 • 7 ^™* einer 8 • 44 procentigen Caseinlösung in 1 Procent Soda,
im Ganzen 3-52 »^ Casein. Harn des folgenden Tages enthält 0-106 8^,
am 2. Tage 0'063 ^^ Eiweiss; der am 3. Tage ist eiweissfrei. Gesammt-
ausfuhr von (anscheinend unverändertem) Casein 0-169 *^', also wurden
ausgeschieden . . . 4-7 Procent
zurückbehalten . . . 95-3 „
bei 2-3 ^™ Casein per Kilo Thier.
Im schrofisten Widerspruch mit Nenmeister's Angabe, dass ,,beim
mittelgrossen Hunde schon 0-82^™» Casein intravenös eingeführt anscheinend
vollständig durch den Harn austritt", was vermuthlich einer Gabe von
0-08^™ Casein pro Kilo Thier entspricht (leider findet sich bei Neumeister
keine Angabe über das Gewicht seines Versuchsthieres), sehen wir hier bei
Kaninchen von nur 1-32 bis l-Sl*'» von einer 6 bis 30 Mal so grossen
Caseingabe per Kilo nur 4 bis 4*7 Procent, also nur ^/gg bis Vai ^^
infiindirten Quantums durch den Harn austreten. Es ist damit über allen
Zweifel erwiesen, dass in Soda gelöstes Casein bis auf einen kleinen
Brachtheil im Körper zurückbehalten und verwerthet wird, anoh
wenn es bis zu 2-4^°» per Körperkilo intravenös eingeführt wird.
Irgend welche Störungen hatte die Infusion nicht zur Folge; die Thiere
wurden nach Beendigung der Beobachtung noch anderweitig verwendet.
Dem zum zweiten Versuch benutzten Kaninchen, dessen Körpergewicht am
4. Tage nach der Infusion nur 1270»"° betrug, wurden 15^™ der 3-36proc.
Caseinlösung, im Ganzen 0-5048^ Casein, in die Bauchhöhle eingespritzt.
Im Harn der nächsten 24 Stunden keine Spur von Eiweiss durch eine der
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80 Immanubl Munk ukd Max Lewandowbky:
drei scharfen Reactionen nachweisbar. Also ist die Yerwerthong des in
eine seröse Höhle eingespritzten CaseXns noch vollständiger als bei Infusion
freilich gelangten hier nur 0-4«^ per Kilo Thier zur Injection.
So gut danach das infundirte Caseln assimilirt wird, so wenig ist auch
das genuine Eieralbumin ein ,,für die Blutbahn fremder Körper, der nicht
einmal in den geringsten Mengen vertragen wird". Freilich ist seine Assi-
milirbarkeit eine viel geringere; immerhin werden nach unseren gleich zu
beschreibenden Versuchen beim Kaninchen 54 Procent, beim Hund sogar
82 Procent des intravenös Eingeführten verwerthet. Auch in dieser Hin-
sicht hätte Neumeister um so weniger Berechtigung gehabt, auf Grund
seiner mangelhaften Versuche sich so bestimmt zu äussern, als schärfere
gegentheilige Erfahrungen vorli^eu, die er kennen musste, da sie von ihm
wenigstens in der Litteraturübersicht aufgeführt werden. Denn sehen wir
selbst vom Versuche J. Chr. Lehmann's^ ab, der einem Hund (von
welchem Gewicht?) 0-82^™ Eiweiss infundirt hatte und davon 0*63^™
=3 77 Procent durch den Harn austreten sah, so liegt ein, wie es scheint,
einwandfreier Versuch von Forster ^ vor, dessen 18 Tage lang hungernder
Hund von knapp 40^» nach Infusion von 73-3^«» Eierweiss« 1-84»™ per
Körperkilo innerhalb der nächsten 3 Tage 53-3»^ Eiweiss = 72 Procent
der Einfuhr ausschied.
Hündin, 12 «3 ^^ schwer, deren durch Katheter gewonnener Harn
eiweissfrei ist, erhält am 3. Hungertage 25 ^^"^ Eierweisslösung mit 1 • 26 ^™*
Ovalbumin, also 0 • 1 ^™ per Kilo, infundirt. Harn der nächsten 48 Stunden
vereinigt, auf 360 ^^^^'^ aufgefüllt; 100««™ Filtrat enthalten 0-064*^ Eiweiss,
also in der ganzen Menge 0-225 ^^. Der Harn des 3. Tages ist eiweiss-
frei. Das Harneiweiss giebt alle Reactionen eines Albumins (beim Erhitzen
des Harns beginnt die Trübung bei 68^ C. u. A.). Also
ausgeschieden ... 18 Procent
zurückbehalten ... 82 „
bei 0.1 ^™ per Kilo Thier.
Kaninchen von 1540*^™^, 15*5««"^ Eiweisslösung mit 1*02^™ Ov-
albumin innerhalb 1 Stunde 13 Min. in die Jugularis infundirt. Harn des
Versuchstages 59««"», des folgenden 48 '5««"*, des 3. Tages 97««"*, vereinigt
und auf 300««»" aufgefüllt; in 100««"» Filtrat 0-158»™» Eiweiss, also im
Gesammtham 0«474 ^"». Somit wurden
ausgeschieden ... 46 Procent
zurückbehalten ... 54 „
bei 0*66 8Tm per Körperkilo.
' \\Tchoyf' 8 Archiv. 1863. Bd. XXX. S. 598.
^ Zeitschriß für Bioloffie. 1872. Bd. XI. S. 527.
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Schicksal dbs Eiweisses in beb Blütbahn. 81
Schwarzes Eaninchen von 1460 *^™ erhielt 15 ^^^ Eierweisslösung, mit
0.743 grm Ovalbumin, in die Bauchhöhle eingespritzt. Im vereinigten
Harn der drei nächsten Tage 0-31 ^^ Eiweiss. Also wurden
ausgeschieden ... 32 Procent
zurückbehalten ... 68 „
bei 0.5^^ per Körperkilo.
Also geht aus diesen Versuchen die bemerkenswerthe Thatsache hervor,
dass für das auch vom Darm aus unzweifelhaft schwerer assimilirbare
genuine Eierweiss es keinen sehr grossen Unterschied macht, ob es in
wässeriger Lösung direct in die Blutbahn oder in die Bauchhöhle gespritzt
wird. In beiden Fällen tritt ein beträchtlicher Antheil durch den Hani
heraus: bei Injection in die Bauchhöhle 32 Proc, bei Infusion in die Vene
18 bis 46 Proc. Offenbar hängt dies damit zusammen, dass von der
Bauchhöhle ans der XJebertritt des Eierweiss in das Blut langsamer erfolgt,
so dass die Gewebszellen sich desselben in grösserem Umfange bemächtigen
können. Der schlechten Assimilation des Eierweiss entspricht es auch, dass
hier erst der Harn des 4. Tages eiweissfirei war.
Die nächsten Versuche betrafen Acidalbuminat oder Syntonin, zu
dessen Darstellung sowohl Fibrin als das oben erwähnte Gaseinpräparat
benutzt wurden. Die beste Assimilirbarkeit ergab sich für das Syntonin
aos Fibrin.
Zur Darstellung wurde unter Weingeist aufbewahrtes Fibrin ausgepresst,
zuerst in ^/^ procentiger Salzsäure quellen gelassen, dann unter Zusatz von
80 viel HCl, dass der Säuregehalt fast 1 Procent HCl entsprach, 24 Stunden
lang im Brätofen digerirt, von dem ungelösten Rest abfiltrirt, das Filtrat
Torsichtig mit Soda neutralisirt, vom ausfallenden Syntonin am Saugfilter
abfiltrirt und so lange mit Wasser gewaschen, bis das ablaufende kaum
noch Cl-Reaction gab, der Niederschlag in ^/^ procentiger Sodasolution ge-
löst Von dieser filtrirten alkalischen Syntoninlösung wurden einem Kaninchen
von 1680 <^™ innerhalb 1 Stunde 8 Min. 41-3*'*"* einer (nach Kjeldahl)
2 • 69 procentigen Syntoninlösung, also l'll ^™ Syntonin, infundirt. Am
folgenden Tage Hessen sich 58 <^<^™ Harn abdrücken; auf IOC*""* aufgefüllt,
im Filtrat nur schwache Eiweissreaction ; in 75 *'*^™ Filtrat (Aufkochen mit
Essigsäure und Magnesiumsulfat) Eiweiss bestimmt, im Tagesharn 0*0192^™^.
Der am folgenden Tage abgedrückte Harn giebt keine Eiweissreaction mehr,
auch nicht; nachdem er bei alkalischer Reaction auf die Hälfte eingedampft
worden ist. Somit wurden.
ausgeschieden ... 2 Procent
zurückbehalten ... 98 „
bei 0-66*™ Syntonin per Körperkilo.
Ein wenig schlechter gestaltete sich die Assimilation bei Acidalbuminat
(Syntonin) aus Caseln.
Archiv f. A. u. Ph. 18W. PhysioL Abihlg. Suppl. 6
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82 Immanuel Münk und Max Lewandowsky:
Scherin g'sches Casem wurde, da es in 0 • 25 procentiger Salzsäure nicht
quillt, unter weiterem Salzsäurezusatz auf einen Gehalt von etwa 2 Procent
HCl gebracht und mehrere Stunden bei 60 bis 80*^ digerirt, vom Ungelösten
abfiltrirt, das Filtrat mit Soda genau neutralisirt, das dabei entstandene
Präcipität abfiltrirt, fast Cl-frei gewaschen, der Niederschlag in möglichst
wenig 0 • 8 procentiger Sodasolution gelöst, aufgekocht und nach der Fil-
tration infundirt. Im Ganzen wurden 25 °®"* einer 3 • 88 procentigen Syn-
toninlösung (nach Kjeldahl) einem 1470^™^ schweren Kaninchen inner-
halb 34 Minuten injicirt, also 0.97 '^^^ Syntonin. Der Harn der nächsten
24 Stunden war eiweisshaltig, und zwar fanden sich darin 0 • 053 ^^ Eiweiss.
Der Harn des nächstfolgenden Tages Hess keine Spur von Eiweiss mehr
entdecken. Also wurden von einer ebenso grossen Gabe, wie im vorigen
Versuch, nämlich 0-66^^™ per Körperkilo, 5-5 Procent durch den Harn
ausgeschieden und 94*5 Procent zurückbehalten.
Noch ungünstiger gestaltet sich die Verwerthung, wenn das durch
Säuredigestion aus Casein gebildete Syntonin nicht durch Neutralisiren,
sondern durch Dialysiren gegen fliessendes Wasser aus der salzsauren Lösung
niedergeschlagen wurde. Von einem so dargestellten, in 0 • 8 procentiger
Sodasolution gelösten, filtrirten, aber nicht aufgekochten Syntonin (die Lösung
enthielt 5*76 Procent) wurden einem Kaninchen von 1340 ^^ innerhalb
36 Minuten 30*"'% also 1.728^™ Syntonin infundirt. Etwa \i^ Stunde
nach Beendigung der Infusion, als das Thier schon in seinen Käfig über-
geführt war, bekam es aotive Exspiration, dann traten Krämpfe ein, die
unter Stillstand der Athmung nach wenigen Stunden zum Tode führten.
Ein zweites kräftigeres Kaninchen von 1800^™ erhielt von derselben Losung
25 """^"^ mit 1 • 44 ''^ Syntonin innerhalb 29 Minuten infundirt. Darnach
schwere Vergiftungserscheinungen: Dyspnoö, active Exspiration, dabei gute
Herzaction; nach 3 Stunden ist das Thier erholt und am nächsten Morgen
munter. Der Harn zeigt massige Eiweissreaction, entsprechend 0.1395 ^™^
Eiweiss für die Tagesmenge. Der Harn des folgenden Tages giebt nur
schwache Reaction; er enthält nur 0-045 ^^^ Eiweiss. Der Harn des
3. Tages ist frei von Eiweiss. Im Ganzen wurden 0*1845^™* Eiweiss durch
den Harn ausgeschieden, d. h. 13 Procent des Infundirten, so dass also nur
87 Procent zurückbehalten wurden. Die relativ schweren Vergiftung^er-
scheinungen, denen das erste Kaninchen erlegen ist, dürften sich daraus
erklären, dass bei der durch 3 Tage fortgesetzten Dialyse gegen Leitungs-
wasser sich in dem Maasse, als die Salzsäure herausdiffundirte, eine gelinde
Fäulniss entwickelt hat, deren Bakterien bezw. Toxine um so intensiver
wirken mussten, als die Syntoninsodalösung nicht aufgekocht, sondern nur ein-
fach filtrirt zur Infusion gelangte. Daher rief dieselbe Syntoninlösung auch
schwere Vergiftungserscheinungen hervor, als einem dritten Kaninchen von
1850 ^^ 30 ^^"^ davon, mit 1-728 «^ Syntonin, in die Bauchhöhle einge-
spritzt wurden. Auch hier trat Athemnoth, active Exspiration, Benommenheit
und Schwäche auf, so dass das Thier auf die Seite fiel und einige Zeit so
liegen blieb. Allmählich besserte sich der Zustand, war aber noch am
nächsten Morgen nicht so, dass das Thier als wiederhergestellt gelten konnte.
Erst im Verlaufe des folgenden Tages schwanden die krankhaften Er-
scheinungen. Der Harn des 1. Tages enthielt 0*057, der des 2. Tages
0*096, der des 3. Tages 0-03 «^ Eiweiss; erst am 4. Tage war das
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Schicksal des Eiwbisses in der Blutbahn. 83
Eiweiss verschwunden. Im Ganzen wurden von einer GFabe, die fast 0*9^™
Syntonin per Körperkilo entsprach, 0.183 ^"^ Eiweiss = 10*6 Procent aus-
geschieden. Vielleicht erklärt sich das ungünstigere Verhältniss der Assimi-
lation sowohl von der Blutbahn als von der Bauchhöhle aus in den beiden
letzten Versuchen daraus, dass unter den Toxinen solche waren, die eine
Nierenreizung hervorriefen. Denn dass dem Case'in-Syntonin als solchem
eine bessere Assimilir barkeit zukonunt, wird durch den an zweiter Stelle
berichteten Versuch bewiesen, wo das Tage lange Dialysiren vermieden und
die Syntoninlösung vor der Infusion einmal aufgekocht wurde.
Zu den Versuchen mit Alkalialbuminat diente je ein aus Eier-
albomin und aas Caseln dargesteUtes Präparat. Eäufliches Eieralbomin
(albrnninom ex ovo siccum) resp. Schering' sches Caseln wurden mit der
20fachen Menge ca. 2^2 proc. Natronlauge so lange gekocht, bis sich fast
Alles gelöst hatte (dabei entwich Ammoniak), filtrirt, das erkaltete Filtrat
mit Essigsanre vorsichtig neutralisirty das ausgeschiedene Alkalialbuminat
abfiltrirt, mit Wasser ausgewaschen, in wenig 1 proc. Sodalösung unter Er-
wärmen und einmaligem Aufkochen gelöst und in die Infusionsbürette
filtrirt
Ein schwarzes Kaninchen von 1670 '^^™, das zuvor zum Fibrin-Syntonin-
Versuch gedient hatte, erhielt innerhalb 37 Minuten 35*3*^^™ einer 12 «6-
procentigen Lösung von Eieralbuminat, darin 4 • 45 «^ Albuminat. Unmittel-
bar darnach Hessen sich 18 ^^^ eines fast klaren alkalischen Harns abdrücken,
der mit dem am nächsten Morgen gewonnenen vereinigt und auf 100 ^^^
aufgefüllt wurde. Schon auf Zusatz von ein wenig Essigsäure zum klaren
Filtrat trat Trübung ein, die nach Zusatz von Neutralsalz und Erhitzen
reichlicher und leichter filtrirbar wurde. Für den 1. Tag betrug die Eiweiss-
ausscheidung 0*302 ^™. Der Harn des folgenden Tages, schon weniger
reich an Eiweiss, enthielt noch 0.108^™*. Der Harn des 3. Tages war
eiweissfrei. Im Ganzen traten aus 0*41 ^™*, d. h. es wurden
ausgeschieden . . . 9-2 Procent
zurückbehalten . . . 90*8 „
bei einer Gabe von 2 • 65 ^™ Albuminat per Körperkilo.
Einem anderen Kaninchen von 1550 ^^™^ wurden innerhalb 49 Minuten
44.7ccm einer 8 • 92 procentigen Casein-Albuminatlösung, mit 3 • 99 ^^^ Albu-
minat, infundirt. Der Harn des 1. Tages war ziemlich reich an Eiweiss;
die Ausscheidung berechnet sich auf 0 • 232 »^ Eiweiss. Der schon eiweiss-
ärmere Harn des folgenden Tages enthielt nur 0 • 089 «^. Im Ganzen traten
durch den Harn — der des 3. Tages war eiweissfrei — 0-321^°* Eiweiss
aus, d. h. es wurden
ausgeschieden ... 8 Procent
zurückbehalten ... 92 „
bei 2-57 ^™ Albuminat per Körperkilo.
Somit war die Assimilirbarkeit des Albuminates mit 91 bis 92 Proc.
des Infundirten fast so gut als die der Acidalbuminate (Syntonin).
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84 Immanuel Münk und Max Lewandowsky:
Weiter prüften wir, unseres Wissens als die Ersten, das Verhalten der
P-haltigen Nucleoprotelde bezw. Nuoleohistone bei intravenöser Ein-
führung.
Zum ersten Versuch diente ein vor Jahresfrist in unserem Labora-
torium von J. Velichi^ aus glatten Muskeln (Muskelmagen des Schweines)
dargestelltes Nucleoproteld, das, mit Alkohol und Aether behandelt, behufs
Analyse (es enthielt 15-21 Proc. N und 8-6 Proc. P) bis zum constanten
Grewicht von 105*^ wiederholt erhitzt worden war, wodurch einerseits seine
Loslichkeit in schwacher Sodasolution verringert, andererseits seine thrombo-
sirende Wirkung bei Injection in die Blutbahn vernichtet worden war. Es
wurde in möglichst wenig Iproc, Soda unter Erwärmen gelöst und unter
Saugdruck durch Glaswolle filtrirt.
Von einer solchen, nach Kjeldahl, 2 • 908 procentigen proteidhaltigen
Lösung wurden einem Kaninchen von 1430 *^™ innerhalb 32 Minuten 37 *^**™,
im Ganzen 1 • 076 ^™ Proteid intravenös injicirt, ohne jedes Zeichen von
Störung. Der Harn der nächsten 24 Stunden, auf 100 *^"» aufgefüllt und
filtrirt, gab, mit Essigsäure vorsichtig angesäuert, schwache Trübung, die
sich auf MgSO^- Zusatz und Erhitzen verstärkte; auf den Tagesharn be-
rechnen sich 0 • 029 ^™ Eiweiss. Der Harn des folgenden Tages zeigte keine
Spur von Eiweiss, auch nicht nach Einengen auf das halbe Volumen. So-
mit erschienen nur 0-029 8™ oder 2 • 7 Procent Eiweiss im Harn wieder,
d. h. es wurden
ausgeschieden . . . 2«7 Procent
zurückbehalten . . . 97*3 „
bei ^Z^^" Proteid per Körperkilo.
Ein Proteid von der Gruppe der Nucleohistone wurde aus Thymus
dargestellt. Der fein gewiegte Thymusbrei wurde erst mit Wasser verrührt
und die durch Centrifugiren getrennte wässerige Lösung abgehoben, der
Brei nochmals mit ^l^^ioc. Soda macerirt und ebenfalls durch CJenfrifugiren
das alkalische Extract getrennt; die Filtrate der vereinigten Auszüge wurden
mit Essigsäure ausgefallt, der abfiltrirte schneeweisse Niederschlag in schwach
ammoniakalischem Wasser gelöst, das Filtrat abermals mit Essigsäure ver-
setzt, der Niederschlag in ^/2proc. Soda auf 56 bis 60® C. eine halbe Stunde
lang erwärmt und durch Glaswolle unter n^ativem Druck filtrirt. So
resultirte eine graumilchige, opalisirende Lösung, die nach Kjeldahl
2-675 Proc. Proteid enthielt.
Von dieser Lösung wurden einem Kaninchen von 1350 *™ innerhalb
1 Stunde 16 Minuten 50"*^™ mit 1-34^^ Nucleohiston infundirt. Der in
den nächsten 24 Stunden gewonnene trübe alkalische Harn, 78 ^^, mit
Wasser unter Zusatz von einigen Tropfen MgSO^ auf 100 *^<^ aufgefüllt;
» Centralhlatt für Physiologie. 1898. Bd. XII. Nr. 11. S. 352.
Digitized by LjOOQIC
Schicksal des Eiweisses in der Blutbahn. 85
Filtrat gab schon auf Essigsäurezusatz Trübung. Zur quantitativen Be-
stimmung wurden 50 ^*^"* klares Filtrat mit Essigsaure und MgSO^ erhitzt
und auf etwa das halbe Volumen eingeengt; auf den Tagesham kamen
0«013 ^™ Eiweiss. Während das Thier nach der Injection kein Zeichen
von Störung dargeboten hatte, macht es heute einen entschieden kranken
Eindruck, frisst nicht mehr und wird am nächsten Morgen sterbend ange-
troffen. Der ausgedrückte Harn des 2. Tages ergab 0-0168 «^ Eiweiss.
Im Verlaufe des Vormittages stirbt das Thier unter Krämpfen. Die Section
weist eine frische Bronchopneumonie auf, deren Zusammenhang mit einer
solchen, im Eaninchenstall herrschenden Affection, an der andere Thiere
auch ohne jeden Eingriff eingegangen sind, höchst wahrscheinlich war. Im
Qanzen traten 26 -}- 17 = 43"^^ Eiweiss, anscheinend unverändertes, schon
auf Essigsäure ausfallendes Nucleohiston wieder aus, d. h. es wurden
ausgeschieden . . . 3-2 Procent
zurückbehalten . . . 96 «8 „
bei 1 ^^ Proteid per Körperkilo.
Dass indes selbst eine Zeit lang zum Sieden (100^) erhitzte Nucleo-
histonlösungen von der Blutbahn aus nicht indifferent sind, zu eigenthüm-
lichen Zufallen fuhren, unter Umstanden sogar toxisch wirken können, lehren
folgende Versuche.
Eine in gleicher Weise, wie beschrieben, aus Thymus dargestellte al-
kalische Proteidlösung, die nach Kjeldahl 2 »32 Procent Histon enthielt,
wurde einem Kaninchen von rund 1500 ^™* infundirt, und zwar liefen etwa
40 "^ innerhalb 37 Minuten ein, ohne dass auffällige Erscheinungen be-
obachtet wurden. Bei weiterer Injection wurde die Herzaction schwächer
uDd unregelmässig, und als eben 49 ^^°^ eingelaufen waren, trat schwere
Dyspnoe mit Krämpfen auf, darnach sehr bald Stillstand des Herzens, während
die Athmung noch länger als eine Minute fortfuhr. Die Section lehrte, dass
die Bauchhöhle in Folge Ruptur eines, wahrscheinlich venösen Gtefässes mit
einem grossen, noch flüssigen Bluterguss erfüllt ist. Wahrscheinlich hat
man sich den Zusammenhang so zurecht zu legen, dass die UeberfüUung
des Gefässsystems mit der ausserordentlich zähen Colloidlösung — schon
2 procentige Nucleohistonlösungen sind zähflüssig, gehen nur unter Saugdruck
durch's Filter und sehen auch noch nach wiederholtem Filtriren trübe und
nur durchscheinend grau aus — die Ruptur veranlasst hat, zumal eine
solche zähe Flüssigkeit nur sehr schwierig transfundirt (transsudirt).
Ein weisses Kaninchen von 1690 ^^ erhielt innerhalb 51 Minuten
35.1 ccm einer ebenfalls aus Thymus dargestellten, alkalischen Proteidlösung,
die nach Kjeldahl 2-075 Procent enthielt, im Ganzen 0'73 »^ Proteid.
Darnach keine auffillligen Erscheinungen. Am nächsten Morgen Harn ab-
gedrückt, auf 75 *^™ aufgefüllt; in 50 <^°» klaren Filtrates 13 "^«^ Eiweiss,
also für den Tagesham fast 20 "^™*. Am 2. Morgen wird das Thier todt,
aber noch warm und frei von Todtenstarre vorgefunden. Der in der Blase
vorgefundene Harn lässt keine Spur von Eiweiss erkennen. Die Section er-
giebt sulzige Oedeme in der Haut, ödematöse Musculatur und eine frische
Pneumonie. Unter der begründeten Annahme, dass, da der Harn in der
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86 Immai^uel Munk und Max Lewandowsky:
Blase eiweissfrei befunden wurde, die Ausscheidung des Infundirten schon
vor Eintritt des Todes beendet war, sind
ausgeschieden ... 3 Procent
zurückbehalten ... 97 „
bei 0 • 43 ^" Proteid per Körperkilo.
Es sei übrigens noch bemerkt, dass der ausgeschiedene Harn weder
auf Albumosen (Histone), noch auf Pentosen, die Spaltproducte der Proteide,
Reactionen gab. Auf Pen tosen wurde ausser mit der T oll ens' sehen (Chloro-
glucin und Salzsäure) auch noch mittels der Orcin-Salzsäureprobe (Salkowski,
Blumenthal) gefahndet.
Von der zum letzten Versuch benutzten alkalischen Proteidiösung wurde
nach nochmaligem Aufkochen eine Infusion an einem anderen, rund 1 600 ^™
schweren Kaninchen vollzogen, und zwar in 46 Minuten 50 ^^ mit 1 • 04 »™
Nucleohiston, entsprechend 0 • 875 *^™ per Kilo Thier. Damach erschien das
Thier traurig, ohne indes besondere auffällige Zeichen darzubieten, wurde
am nächsten Morgen zwar noch lebend, aber auf der Seite liegend gefunden
und ging 22 Stunden nach der Infusion ein. Die Section deckte eine be-
stimmte Todesursache nicht auf.
Aus- diesen Versuchen erhellt also so viel, dass die Nucleoprotelde in
einer Lösung, die zuvor auf etwa 60° C. erwärmt worden ist, in's (Jeiäss-
system eingeführt nur zu einem ausserordentlich geringen Betrage, nämlich
2 bis 3 Proc, durch den Harn ausgeschieden, also fast voUständig assimi-
lirt werden, dass aber die zu den Histonen zu rechnende Proteldgruppe
(aus Thymus) in etwas grösserer Menge, etwa von 0-6 ^*° pro Körperkilo
ab, intravenös eingeführt, toxisch wirkt: Dyspnoe (active Exspiration) und
unregelmässige Herzthätigkeit bedingt, an denen die Thiere bald froher,
bald später zu Grunde gehen können. Diese Störungen beruhen nicht
etwa auf der Eigenschaft der Nucleoprotelde, bei Injection in die Blutbahn
das Blut zum Gerinnen zu bringen, denn diese Wirkung wird sicher durch
Erhitzen ihrer Lösungen auf 100°, ja, soweit unsere Erfahrungen reichöi,
schon durch halbstündiges Erwärmen auf 56 bis 60^ C. vollständig ver-
nichtet, ohne dass aber die sonstigen, krankhafte Störungen bezw. den Tod
herbeifahrenden Wirkungen dieses Proteids schwinden. Vielleicht hängt
ein Theil der Störungen mit der zähflüssigen Beschaffenheit der Nucleo-
histonlösungen zusammen, wie oben angedeutet.
Schliesslich wurde, gleichsam zur Vervollständigung unserer Erfahrungen,
noch ein Versuch mit einem Albuminoid, mit Leim angestellt, von dem
nach Neumeister's Darstellung Klug^ gefunden haben soll, dass er
intravenös eingeführt „nicht in den geringsten Gaben vertragen wird".
Allein die Durchsicht des Originales lehrt, dass Klug berichtet, es habe
nach intravenöser Einführung von 72^*^™ einer 10 proc. Leimlösung bei
' l'WügQr' 8 Archiv. 1891. Bd. XLVIII. S. 122.
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Schicksal des Eiweissbs in dee Blutbahn. 87
einem 7 Kilo schweren Hunde sowohl das 1 Stunde darnach abgelassene
Carotisblut als auch der Harn Leimreactionen ergeben; dasselbe sei der Fall
gewesen, als einem Kaninchen von 1420«^°» i4ccm derselben lOproc. Leim-
lösung infundirt wurden. ,,Aus diesen Erfahrungen folgt indes nicht^^
wie Klug irrthumlich meint, „dass der Organismus den in das Blut inji-
cirten Leim nicht benutzt, sondern durch die Nieren mit dem Urin aus-
scheidet^^ Zu einer solchen Schlnssfolgerung bedarf es selbstyerständlich
einer quantitativen Bestimmung der Ausscheidungsverhältnisse.
Einem 1500*^™ schweren Kaninchen wurden von einer (nach Kjeldahl)
8«815procentigen Gelatinelösung ^ 30-6°^™ mit 2.645^°^ Glutm langsam
innnerhalb 41 Minuten in die V. facialis infundirt. Etwa vom 24.*^^°* ab
änderte sich etwas der Atheratypus, die Exspiration wurde activ, dagegen
änderte sich die Herzaction kaum. Doch wurde wegen der Dyspnoe schon
nach 30 *^™ mit der Infusion abgebrochen. Vom Brett losgebunden erschien
das Thier binnen Kurzem wieder munter und blieb es auch weiterhin. Am
nächsten Tage wurde ein alkalischer Harn abgedrückt, der, auf 100 ^^^ ge-
bracht und filtrirt, auf Zusatz von Essigsäure und etwas Salz (NaCl, MgSO^
und Erhitzen kein Ei weiss erkennen Hess, dagegen erfolgte nach Ansäuern
mit Essigsäure auf Zusatz von Tannin ein dicker wolkiger Glutinniederschlag,
auch gab der Harn die Biuretreaction. Der abfiltrirte Tanninniederschlag
(nebst Filter) von 20 *^*^ Piltrat wurde nach Kjeldahl behandelt; es fanden
sich darin 25™«^ Glutin, ako für den Tagesham 0-125^™^. Der Harn
des 2. Tages war noch reicher an Glutin, er enthielt 0.193 *^^; der des
S.Tages O-Oö^^ und der des 4. Tages 0«024p™"; Eiweiss fand sich neben
Glutin nie. Am 5. Tage endlich war der Harn frei von Leim. Somit traten
durch den Harn im Ganzen 0'392 ^*° Glutin aus, d. h. es wurden
ausgeschieden . . . 14 «8 Procent
zurückbehalten . . . 85*2 „
bei 1.76 8^ Glutin per Körperkilo.
Wurde somit der Leim offenbar schlechter intravenös vertragen, als
die geprüften Proteine und Proteide, das Hühnereiweiss ausgenommen,
80 wurden doch auch von ihm bei einer recht beträchtlichen Gabe von
IV4 ^^ per Körperkilo rund ^/g assimilirt und nur Vs ausgeschieden.
Somit können wir auch bezüglich des Leimes weder Klug 's Angabe
noch Neumeister's allzu wenig kritische Zusammenfassung bestätigen.
Auch das Albuminoid wird zu recht betrachtlichen Mengen bei intravenöser
Einführung im Körper zurückbehalten und offenbar verwerthet.
Das Ergebniss unserer Untersuchungen ist, dass die verschiedenen von
uns geprüften Eiweissstoffe (Proteine, Proteide, Glutin): Caseln, Eierei weiss,
' Feinste fraozösische weisse Gelatine wurde in etwa dem zehnfachen Gewicht
TOD Wasser durch Erwärmen gelöst, aufgekocht, heiss unter Saugdruck durch Glas-
wolle filtrirt und das Filtrat vor der Einführung in die Infasionshürette nochmals zum
Sieden erhitzt
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88 I. MüNK UND M. Lewakdowsky: Sohickbal dbs Eiweissbs ü. s. w.
Aoid- und Alkalialbuminate, Nucleoprotelde, Leim in betrachtlicher Menge
direct aus der Blntbahn assiuiilirt und verwerthet werden. Die quantita-
tiven Unterschiede, die sich hierbei herausgestellt haben, dürften in der
verschiedenen chemischen Constitution der einzelnen, einander verwandten
Stofife begründet sein; zum Theil dürfte hierbei auch die Reinheit des Prä-
parates und bezüglich sonstiger schädlicher Nebenwirkungen die Beimischong
von Bakterien bezw. von aus dem Eiweiss gebildeten Toxinen entscheidend
sein. Durchgreifende Unterschiede aber, wie sie Neumeister zwischen
genuinen und denaturirten Eiweissstoffen bezüglich ihrer Vertraglichkeit
von der Blutbahn aus sowie ihrer Assimilirbarkeit statuiren wollte, bestehen
sicherlich nicht Es muss daher auch Neumeister's Vorstellung durchaus
zurückgewiesen werden, als wären dem Organismus gegen den directen
Uebertritt gelöster genuiner Eiweissstoffe aus dem Verdauungstractus in das
Blut Schutzmaassregeln erforderlich und dass z. B. die Labgerinnung des
Caselns also aufzufassen ist: „Hieraus wird nunmehr die physiologische
Bedeutung der Labgerinnung verständlich, welche offenbar den Organismus
vor einem Eindringen unveränderten Caselns unter allen Umständen
schützen soll . . ." ^
Durch unsere Versuche ist zum ersten Male für eine Reihe versdüe-
denster Eiweisskörper der einwandfreie Nachweis erbracht worden, dass
dieselben als solche, d. h. unverändert aus dem Darmcanal in die Blutbahn
übertreten können. In welchem Umfang dieser Vorgang etwa thatsäch-
lich statthat und in welchem Maasse er gegenüber der in der Darmwand
stattfindenden Regeneration des Eiweiss aus dessen Verdauungsproducten
(Albumosen, Pepton) in Betracht kommt, dies zu entscheiden ist zur Zeit
unmöglich.
}^ QMm e\ st QTj Lehrbuch der physiologischen Chemie, 2. AnH. 1897. S. 802.
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üeber die Adhäsion des Blutes an der Wandung
der Blutgefässe.
Von
Dr. Benno Lewy
in B«rllD.
Für nnsere theoretischen Anschauungen von der Bewegung des Blutes
io den Gefassen ist der Umstand von Bedeutung, ob das Blut an der
Oefisswand adharirt oder nicht. Bisher ist man allerdings im Allgemeinen
von der Voraussetzung ausgegangen, die fast als selbstverständlich erschien,
das8 eine Benetzung der Innenwand der Gefasse durch das in ihnen stro-
mende Blut stattfinde; da jedoch vor einiger Zeit in der nachher zu er-
örternden Weise Einwände gegen diese Voraussetzung erhoben worden sind
und da bei naturwissenschaftlidien Dingen nichts selbstverständlich ist,
sondern jede Behauptung und Annahme der Fröfiing durch die Beobachtung
auf ihre Berechtigung bedarf, so erscheint es nothwendig, festzustellen, ob
wir wirklich die Voraussetzung der Adhäsion machen dürfen.
Die Strömung irgend einer Flüssigkeit durch eine Bohre wird durch
die innere und die äussere Reibung verzögert; die erstere, die innere
Beibung entsteht durch die Behinderung der Bewegung, welche zwei ein-
ander berührende Flüssigkeitstheilchen einander in Folge der Verschieden-
heit ihrer Strömungsgeschwindigkeit bereiten; die äussere Reibung findet
statt zwischen der Röhrenwand und den diese berührenden Flüssigkeits-
theilchen, ist also abhängig sowohl von der Beschaffenheit der Flüssigkeit,
als von der der Gefasswand. Sobald Adhäsion zwischen Flüssigkeit und
Böhrenwand statt hat, z. B. bei der Strömung von Wasser durch eine
Glasröhre, so ist die äussere Reibung als unendlich gross anzusetzen ;i
(lie einmal an der Röhrenwand befindlichen Flüssigkeitstheilchen haften iu
<liesem Falle fest an der Wand, ohne an der Bewegung der übrigen
* Wüllner, Lehrbuch der Experimentalphysik. I. §86.
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90 Benno Lewt:
Flüssigkeitstheilchen Theil zu nehmen. Bei Flüssigkeiten, welche nicht an
der Röhrenwand adhäxiren, hat die äussere Beibung einen endlichen Werth.
Man sieht leicht ein, dass die Adhäsion einen verzögernden Einfiuss auf
die Strömung ausüben muss, dass eine Flüssigkeit schneller durch eine
von ihr nicht benetzte Röhre strömt, als durch eine solche von im üebrigen
gleichen Grössen- und Lageverhältnissen, an deren Wand sie aber adhäiirt^
Für die grossen Gefasse, etwa von der Grössenordnung der mensch-
lichen Garotiden und darüber hinaus, ist es bisher noch nicht geluDgen,
Formeln aufzustellen, welche diesen Umstand, ob Adhäsion stattfindet oder
nicht, berücksichtigen. Für G^ßtöse, welche im physikalischen Sinne als
capillar aufzufassen sind, d. h. für Gefasse, deren Durchmesser nicht grosser
als 3°^ ist (z. B. die meisten Seitenäste der Extremitätenarterien des
Menschen, sämmtliche Gefasse eines kleinen Thieres u. s. w.), besitzen wir
jedoch eine Formel, welche beide Reibungen, die innere und die äussere,
berücksichtigt Es ist dies eine Formel, aus welcher sich, wenn man
Adhäfflon der Flüssigkeit, also einen unendlich grossen Werth der äusseren
Reibung voraussetzt, der bekannte Ausdruck von Poiseuilie für die
Capillarströmung ergiebt. Ich habe diese Formel, deren theoretische Ab-
leitung wesentlich den Untersuchungen Hagenbach's und Jacobson's
verdankt wird, bereits in einer früheren Arbeit^ besprochen, woselbst auch
die Litteratur hierüber näher angeführt ist.
Versteht man, wie in dieser Arbeit, unter e die Gonstante der äusseren
Reibung,' unter t] die der inneren Reibung,^ so gilt für die durch eine
wagerecht liegende Röhre* von kreisförmigem Querschnitte, der Länge /
und dem Halbmesser r für das in der Zeit t hindurch fliessende Flussig-
keitsvolumen Q folgende Formel:
^--'-^l^^+^^h'
worin p^ der am Anfang, p, der am Ende der Röhre herrschende Druck
ist. Li der erwähnten Arbeit setzte ich, da ich Versuche über die Strö-
mung des Blutes durch Glasröhren anstellte, die Gonstante c der äusseren
^ Die Beibnng des Blates. Pflüger's Archiv. Bd. LXV.
^ e ist die Kraft, welche erforderlich ist, um die Flächeneinheit der Flüssigkeits-
Schicht mit gleichförmiger Bewegung und der Einheit der Geschwindigkeit an der
Wand der Röhre vorüberzuffibren. Wüllner, a. a. O. I. § 86.
" tj ist, wenn alle Dimensionen in Millimeter und Milligramm berechnet werden,
die auf die Fläche von 1 9"'"» wirkende verzögernde Kraft der Beibung, wenn benach-
barte Schichten sich mit einer solchen Geschwindigkeit an einander vorüber bewegen,
dass bei gleichförmiger Aepderung der Geschwindigkeit der Gesohwindigkeitsunterschied
zweier 1""» entfernter Schichten in der Secunde 1"" ist. Wüllner, a. a. O. L § 86.
* Für nicht wagerecht liegende Röhren vgl. die in meiner Arbeit ausführlich
mitgetheilte Rechnung.
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Die Adhäsion des Blutes an der Wandung der Blutgefässe. 91
Beibung« oo, was ohne Weiteres zulässig war, da Glas von Blut benetzt
wird, und berechnete meine Versuche nach der sich hierdurch wesent-
lich vereinfachenden Formel, die alsdann, wie schon erwähnt, zu der
Poiseuille'schen Formel wird, erwähnte jedoch (S. 451) bereits, dass es
fragUch erscheine, ob man die Ergebnisse dieser Versuche und die durch
die Voraussetzung e = cx) vereinfachte Formel auf die Verhältnisse des
thienschen Körpers, auf die Strömung des Blutes nicht in Glasröhren,
Bondem im Blutge&sse, ohne Weiteres übertragen dürfe. In den eigent-
lidien — im anatomischen Sinne — Capillaren findet, so führte ich aus,
jedenfalls Benetzung statt, da hier ein Austausch von Blut- und Gewebs-
bestandtheilen vor sich geht; für die Arterien und Venen ist jedoch von
Ernst Freund in einer bereits im Jahre 1886 erschienenen kleinen Ab-
handlung^ behauptet worden, dass eine solche Benetzung nicht stattfinde.
Frennd ging aus von den bekannten Untersuchungen Brücke's,
dass das in unverletzten Gefässen eingeschlossene Blut ungeronnen bleibe,
Ton der ferneren Beobachtung, dass Blut in Glasgefassen, die sorgfältig
mit Vaselin ausgestrichen waren, nicht gerann, selbst bei Tage langem
Stehen. „Es wurde Hundeblut in einem mit Vaselin ausgestrichenen Gefasse
au%e&ngen, dieses Blut gerann nicht; als dasselbe mit einem eingeölten
Glasstabe geschlagen wurde, schied sich kein Fibrin aus; wurde aber selbst
nach mehreren Stunden ein Theil dieses Blutes in ein uneingefettetes GefSss
gegossen, so gerann es nach wenigen Minuten. Andererseits genügte der
Gontact mit einem uneingefetteten Glasstabe, um von dieser Stelle aus das
Bhit im eingefetteten Gefasse zur Gerinnung zu bringen Bei weiteren
Versuchen wurde ein mit Vaselin ausgegossenes Glasröhrchen als Canüle
benutzt; auch das auf diese Weise in mit Vaselin eingefettete Gefasse auf-
gefiwgene Blut blieb ungeronnen. War die AusflussöSnung einer in die
Carotis geschobenen solchen Canüle verschlossen, so pulsirte die darin ent-
haltene Blutsaule, ohne selbst nach 2 Stunden die geringsten Gerinnungs-
erscheinungen zu zeigen.'^ Aus allen diesen Beobachtungen folgert Freund,
dass „die gerinnungshindemde Eigenschaft der Gefasswände auf den Mangel
der Adhäsion zurückzuführen sei". Freund erörtert noch „das auffällige
Verhalten der Blutgeiasse, die im Gegensatze zu anderen Behältern nach
der Entleerung des Blutes an ihrer Wandung keinen Blutfarbstoff aufweisen"
und schliesst seinen Artikel mit der Bemerkung: „Es kann demnach kaum
daran gezweifelt werden, dass, wie einerseits der Mangel der Adhäsion das
Blut vor der Gerinnung schützt, so andererseits das Vorhandensein der
Adhäsion den Anstoss zur Gerinnung giebt."
^ EfDst Freund, Ein Beitrag zur Kenntuiss der Blutgerinnung. Wiener med,
Jahrb. 1886. S. 46.
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92 Bbnno Lewy:
Es ist an sich klar, dass diese Folgerung auf sehr schwachen Füssen
steht. Zunächst besagt der Umstand, dass die Wandung der Blutgefässe,
speciell die Intima, sich nicht als mit Blutfarbstoff yollgesogen erweist, gar
nichts betreffs der Adhäsion — auch Glas, das sicher von Blut benetzt
wird, hält den Blutfarbstoff nicht fest und lässt sich ganz ebenso wie die
Intima durch blosses Abspülen mit Wasser davon befreien. Dann aber
folgt daraus, dass Blut in nichtbenetzbaren Glasgefassen ungeronnen bleibt,
doch keineswegs, dass die Wand eines jeden Gefasses, in welchem Blut
ungeronnen bleibt, unbenetzbar sei. Dieser Schluss kann richtig sein, braucht
es aber nicht; eine derartige Umkehrung bedarf durchaus des besonderen
Beweises.
Für unsere Auffassung der Hämodynamik ist es jedoch von grossem
Interesse, die Berechtigung der Umkehr der Freund'schen Beobachtungen
zu prüfen, und ich bin Hrn. Prof. Zuntz zu grossem Danke verpflichtet,
dass er mich auf die bemerkenswerthe Schrift Freund's aufmerksam ge-
macht und mich bei den in seinem Laboratorium von mir angestellten
Versuchen in gewohnter liebenswürdiger Weise unterstützt hat.
Die MögUchkeit, dass thatsächlich die Innenwand der Blutgefässe vom
Blute nicht benetzt wird, ist an sich nicht ausgeschlossen. Ja, eine solche
Einrichtung würde vom teleologischen Standpunkte nicht unzweckmässig
erscheinen. Einerseits würde sie die Blutströmung, wie schon oben gesagt
wurde, erleichtern,^ sonach energiesparend wirken, andererseits aber wurde
sie für Stillung von Blutungen von Bedeutung sein. In einer engen, von
nichtbenetzender Flüssigkeit gefüllten Röhre findet bekanntlich eine sog.
Capillardepression^ statt; bei irgend einer ContinuitÄtstrennung eines engen
Gefasses, z. B. einer menschlichen Fingerarterie, würde sonach ein Zurück-
drängen des Blutes stattfinden, ein Umstand, welcher der Ausströmung des
Blutes entgegenwirken würde; eine Adhäsion würde im Gegensatze hierzu
ansaugend, also die Ausströmung b^ünstigend wirken.
Zur Entscheidung, ob Adhäsion stattfindet oder nicht, stehen uns zwd
Wege offen, ein Mal die Beobachtung der Steighöhe von Blut in Arterien
und Venen, das andere Mal die Bestimmung der Gestalt einzelner Bluts-
tropfen, welche die Gefasswand berühren.
Benetzt Blut die Innenwand der Blutgefässe, so muss es von einem
in's Blut getauchten isolirten Blutgefässe aufgesogen werden; benetzt es sie
nicht, so findet die bereits erwähnte Capillardepression statt, d. h. das Blut
* Nach W^arburg (Poggendorff's Annalen. Bd. CXL) kann s aaoh bei nicht-
benetzenden Flüssigkeiten, z. B. Qaeoksilber in Glasröhren » 00 sein; nach neueren
Untersachnngen von Antonio Umani {II nuovo Cimento, 1896) hat jedoch e that-
sächlich hierbei einen endlichen Werth.
* WüUner, a.a.O. I. §73.
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Die Adhäsion des Blutes an der Wandung der Blutgefässe. 93
muss innerhalb der Ader tiefer stehen, als ausserhalb in der umgebenden
Flüssigkeit Die Feststellung einer solchen Depression ist bei der TJndurch-
sichtigkeit des Blutes mit Schwierigkeiten verknüpft, insbesondere weil die
bindegewebige Adventitia eines herauspräparirteu Gefasses Blut energisch
festhält, die Bothfarbung der Aussen wand des Geßsses somit die Beob-
achtung stört
Ich versuchte zuerst an Extremitatenarterien zum Ziele zu gelangen.
Aus der Femoralarterie eines lebenden Hundes von etwa 6*^^ Gewicht
gelingt es, ein 1-5 bis 2^^ langes Stück, von welchem keine Seitenäste
abgehen, herauszuschneiden. Indessen erwiesen sich die Präparirschwierig-
keiten regelmässig als recht beträchtlich, so dass kaum in einem Falle
angenonmien werden konnte, dass die Innenwand des Gefasses vollständig
unverletzt geblieben war. Dazu kam noch der bereits angeführte üebel-
stand, dass die Adventitia das benutzte Blut ansog. Diesem letzteren
Uebelstande versuchte ich dadurch zu begegnen, dass ich statt des Blutes
phirsiologiscbe Kochsalzlösung an wandt«; nun zeigte sich aber, dass die
Husculatur des soeben herausgeschnittenen Gefässstückes sich so stark zu-
sammenzog, dass das thatsächlich mehrmals beobachtete Kichtaufsteigen
von Flüssigkeit auf diesen Umstand, dass gar kein Lumen mehr vorhanden
war, zurückgeführt werden musste. Wurde der Tod der Gefassmusculatur
doreh längeres Liegenlassen in Kochsalzlösung oder durch Eintauchen in
Alkohol herbeigeführt, so zeigte sich augenscheinliche Capillarerhebung, also
Benetzung; diese Beobachtung war jedoch nicht ausschlaggebend, da die
Innenwand nicht mehr als unversehrt zu betrachten war. Bei in gleicher
Weise angeschnittenen Venenstücken misslang die Beobachtung gänzlich,
da sich dieselben vollständig zusammenkräuselten.
Ich gelangte zum Ziele erst bei Benutzung der keine Bingmusculatur
führenden grösseren Arterien, die bei einem Hunde von 4 bis 6 ^» Gewicht
noch durchaus als im physikalischen Sinne capillar aufzufassen sind. Dem
durch Verblutung getödteten Thiere wurden sofort nach dem Tode derartige
Gefaföe entnommen, was sehr leicht gelingt, da z. B. die Anonyma oder
die Carotis communis nicht wie die Extremitätenarterien innerhalb von
Mnsculatur, sondern innerhalb lockeren Bindegewebes liegen und auf ge-
nügend grosse Strecken keine Aeste abgeben. In diesen Geßssen zeigte
sich durchweg in allen von mir untersuchten Fällen eine beträchtliche
Ansaugung des Blutes, also eine Capillarerhebung, d. h. Benetzung.
Eine Messung der Steighöhe, die wohl möglich gewesen wäre, habe ich
nicht vorgenommen, da es mir nur auf Feststellung der Thatsache selbst,
nicht auf Zahlenwerthe ankam.
Das zweite anwendbare Untersuchungsverfahren besteht, wie erwähnt,
in der Beobachtung der Tropfenform. Bildet man auf einer wagerechten
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94 Benno Lewy: Die Adhäsion des Blutes u. s. w.
Unterlage einen kleinen Tropfen einer dieselbe nicht benetzenden Flüssig-
keit, so ist dessen Oberfläche überall convex; grössere Tropfen sind an dem
von der Unterlage am weitesten entfernten Punkte von einer wagereohten
Ebene b^renzt; in jedem Falle ist die freie Oberflache des Tropfens nirgends
concav,^ wie man dies sehr leicht an Qaecksilbertropfen auf Glas sehen
kann. Ein parallel zur Unterlage durch die Mitte des Tropfens geführter
Schnitt hat einen grösseren Flächeninhalt als die. Berührungsfläche von
Tropfen und Unterlage; ein solcher Tropfen breitet sich nicht aus. Bei
einer benetzenden Flüssigkeit hat dagegen ein parallel zur Unterlage ge-
führter Schnitt seinen grössten Flächeninhalt an der Unterlage selbst, da,
wo diese vom Tropfen berührt wird. Es zeigte sich nun, wenn Blut — auch
niohtdefibrinirtes — auf die Innenwand der aufgeschnittenen Aorta oder
Vena cava des soeben getödteten Thieres gebracht wurde, dass der Tropfen
die Gestalt wie bei einer benetzenden Flüssigkeit hatte. Femer
zeigt sich, dass die Innenwand des Gefässes keineswegs, wie dies bei Nicht-
benetzung durch Blut der Fall sein müsste, unmittelbar nach Eröfihung
und Abfliessen des Blutes trocken ist, wie etwa die Oberhaut des Körpers;
sie ist vielmehr feucht von einer sie überziehenden dünnen Serumschicht,
welche abwischbar ist; nach dem Abwischen nimmt ein neuerdings auf-
gesetzter Blutstropfen die Form wie bei benetzender Flüssigkeit an, er
breitet sich sogar vollständig aus, so dass die Benetzung eine voll-
kommene ist,^ eine solche, bei der der Tropfen die Unterlage mit einer
dünnen flüssigen Schicht überzieht. Ganz dasselbe Ergebniss der voll-
kommenen Benetzung lieferten kleinere, in derselben Weise geprüfte Blut-
gefässe.
Durch diese Beobachtungen ist gezeigt, dass die Innenwand der Blut-
gefässe vom Blute benetzt wird, dass also der von Freund gezogene Schluss,
dass eine Adhäsion nicht stattfinde, falsch ist. — Der etwa zu erhebende
Einwand, dass es sich bei meinen Beobachtungen um todte Gefässe gehandelt
habe, ist nicht stichhaltig, da unmittelbar nach dem Tode des Gesammt-
individuums die Blutgefässe sicherlich noch nicht abgestorben sind, und da
Freund seine Behauptung gerade aus der Thatsache folgerte, dass Blut>
welches in einem an beiden Enden abgebundenen Stücke einer Arterie oder
Vene eingeschlossen ist, lange ungeronnen bleibt.
In den die Blutbewegung darstellenden Formeln ist somit die Constante
der äusseren Reibung stets als unendlich gross anzusetzen; es findet voll-
kommene Benetzung zwischen Blut und Innenwand der Blut-
gefässe statt.
* Wällner, a.a.O. I. §75. • Wüllner, a. a. O. I. §79.
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Ueber den Durchgang des Sublimats durch den
Placentarkreislauf.
Von
Prof. Dr. Fritz Strassmann
in B«riin.
Die Frage, welche chemischen Gifte den Placentarkreislauf passiren
und ?on der Mutter auf den Fötus übergehen, ist bisher wesentlich von
Seiten der Geburtshelfer bearbeitet worden; sie darf aber wohl auch auf
das Interesse der Physiologen rechnen. Ich habe mich mit diesem Thema
befasst, weil es nicht nur den Geburtshelfer und Physiologen angeht,
sondern weil auch der Gerichtsarzt ihm näher zu treten hat. Bei einer
E^e von Substanzen, die als innerliche Abtreibungsmittel in Gebrauch
gezogen werden, hat er sich die Frage vorzulegen, wie ist die Wirkung
dieser Stoffe aufizufassen? Sind sie nur dadurch von Einfluss, dass sie
eiae Vergiftung des mütterlichen Organismus und dadurch secundär die
Fehlgeburt herbeiführen, oder gehen sie vielleicht auf den Fötus selbst
über und wirken durch directe Tödtung desselben.
In umfassender Weise ist diese Untersuchung küizlich von Borri^
für einen Körper geliefert worden, der neuerdings in den verschiedensten
Ländern als inneres Abortivum mit Vorliebe angewendet zu werden pflegt,
far den Phosphor. Es scheint in der That, was besonders schwedische
Berichte beweisen, dass der Phosphor gar kein so unzweckmässiges Abortivum
ist, dass verhältnissmässig häufig nach seinem Gebrauch die Fehlgeburt
erfolgt und die Schwangere mit dem Leben davon kommt
Borri's Untersuchungen haben im Gegensatze zu der Mehrzahl der
früheren Angaben zu dem Resultat geführt, dass Phosphor bezw. phosphorige
Säure bei Vergiftung des Mutterthieres in den Organen des Fötus durch
^ Lo Zaeehia. 1897.
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96 Fritz Stbassmann:
die Analyse nachweisbar ist. Dass auch anatomisch an der Frucht unter
solchen Umstanden für Phosphorvergiftungen charakteristische Veränderungen
aufzufinden sind, hat besonders Miura^ schon vor Jahren gezeigt.
Gelegentliche Erfahrungen haben mich auf die Vermuthung gebracht,
dass vielleicht auch das Sublimat hier und da von Schwangeren nicht in
der Absicht des Selbstmordes, sondern zum Zwecke der Abtreibung em-
genommen wird, und im Zusammenhange damit erschien es mir erwünscht,
darüber Klarheit zu erlangen, ob auch dieses Gift vom mütterlichen in
den embryonalen Kreislauf überzugehen vermag.
Die bisherigen Angaben hierüber lauten widersprechend.
Porak^ hat an Meerschweinchen gearbeitet, und zwar mit einer 2pra-
milligen Sublimatlösung. Sie bekamen von derselben fortgesetzt kleine
Dosen, bis zu 3"*. In den beiden Fällen, in denen die chronische Ver-
giftung am längsten vertragen wurde, in denen innerhalb 6 bis 8 Wochen
120 bis 150"» Sublimat gereicht waren, liess sich Quecksilber in der
Placenta nachweisen. In den Embryonen selbst war es nie aufzufinden.
Der Nachweis des Quecksilbers geschah mittels Elektrolyse mit nach-
traglicher Umwandlung des Quecksilbers der amalgamirten Elektrode in
rothes Quecksilberjodid.
Fast in allen Fällen abortirten die vergifteten Thiere zufolge Absterbens
des Fötus in utero; nur in einem Falle wurden die Embryonen lebend
geboren; sie waren aber sehr kümmerlich entwickelt und theilweise gelähmt.
Die Ursache des Aborts bezw. des Todes des Fötus sieht Porak in der
Anhäufung des Quecksilbers im Mutterkuchen, der in seinen Functionen
dadurch schwer geschädigt wird; Sublimat könne wohl als Abortivum be-
zeichnet werden.
Ein theilweise abweichendes Ergebniss hatten Untersuchungen, die
Domenico Mirto, Assistent an Montalti's gerichtlich -medicinischem
Institut zu Palermo, kürzlich mitgetheilt hat.^
Ihm ist es gelungen, bei je zwei trächtigen Hündinnen und Kaninchen,
die er durch acute Sublimatvergiftung mittels ziemlich grosser Dosen, und
zwar in concentrirten Lösungen getödtet hatte, jedes Mal das Gift, wie in
den Organen des Mutterthieres und in der Placenta, so auch im Fötus
nachzuweisen, und zwar nicht nur durch die chemische Analyse; es fanden
sich vielmehr auch an den Nieren der Embryonen charakteristische Er-
scheinungen der Sublimatvergiftung: ausgedehnte Nekrose der Epithelzellen,
zumeist mit Kemschwund, in den gewundenen Hamcanälchen.
* Virc ho w*s ^rcAit). 1884. Bd. XCVI.
' Archives de mSdeeine expSrimentale, 1894.
■ Qiornale di medicina legale, 1899. Heft 1.
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DUBCHGANO DES SUBLDCATS DUBCH DEN PlACENTABKBETSTiAUF. 97
Mirto ging bei seinen chemischen Untersuchungen so vor, dass er die
Embryonen sorgfaltig von den Eihäuten befreite, mit reichlichem destillirten
Wasser abspülte und dann verarbeitete. Die Flacenta mit den Eihäuten
und dem Amnionwasser wurde besonders untersucht
Den Nachweis des Sublimats hat Mirto wie Porak durch Elektrolyse
geführt Die nach Zerstörung der organischen Substanz erhaltenen Filtrate
wurden 48 Stunden mittels Elektrolyse behandelt; dann wurde die Gk)ld-
elektrode, die schon makroskopisch amalgamirt erschien, abgewaschen, ge-
trocknet und in der bekannten Weise weiter behandelt. Sie wurde in ein
unten geschlossenes, oben ausgezogenes Glasröhrchen gebracht und dieses
erhitzt; es bildete sich oberhalb ein Sublimatring; das Glas wurde zer-
schnitten, in die den Ring enthaltende Hälfte etwas metallisches Jod
gebracht, die Spitze an der Flamme zugeschmolzen und die Stelle, an der
das Jod lag, vorsichtig erwärmt Die entstandenen Joddämpfe ^bten,
sobald sie an den Quecksilberring gelangten, denselben gelb, die Färbung
ging nach dem Erkalten in Roth über.
Ausserdem wurde das nach Zerstörung der organischen Massen ent-
standene Filtrat mit Natronlauge behandelt; es bildete sich ein gelber,
im Ueberschuss des Reagens schwer löslicher Niederschlag von Quecksilber-
oxyd. Jodnatrium gab einen im Ueberschuss löslichen rothen Niederschlag
von Quecksilberjodid, Ammoniak einen weissen von Mercuriammonium-
chlorid.
Im Einzelnen sei über die Versuche Mirto 's Folgendes bemerkt Der
erste wurde an einem 2300 f^^ schweren Kaninchen angestellt; dasselbe
erhielt mit der Schlundsonde 25 ^'ß™ Sublimat, mit 25 ^«^ Chlornatrium in
25 gm Wasser gelöst. Der Tod trat nach 8 Stunden ein. Im Uterus
&nden sich 6 Föten.
Der zweite Versuch betraf ein Kaninchen von 2500»™ Gewicht; ihm
wurden durch verschiedene subcutane Einspritzungen 6«»™* Sublimat, mit
5cgm Chlomatrium in 6»™» Wasser gelöst, beigebracht. Nach 24 Stunden
worden die Einspritzungen wiederholt; am Abend starb das Thier, im Uterus
lagen 8 ganz kleine Föten.
Der dritte und vierte V^such wurde an einer 5300 bezw. 4800»™»
schweren Hündin vorgenommen; jede erhielt 2»™ Sublimat, mit 2»™ Chlor-
natrium in 50 ^^^ destillirten Wassers gelöst Sie starben nach 8 bis
10 Stunden; bei der Autopsie der ersteren fanden sich 5 ziemlich grosse
Föten. Ueber die Anzahl der Föten im letzteren Falle ist nichts bemerkt
Die Versuche von Mirto machen einen durchaus überzeugenden Ein-
druck. Vor Allem muss der anatomische Befund — mehr noch als der
chemische — beweisend erscheinen für die Aufnahme des Sublimats in den
ArchiY f. A. u. Ph. 18W. Physiol. Abthlg. Suppl. 7
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98 Fbitz Stbassmank:
fötalen Kreislauf; er kann ja nur auf solche Weise erklärt werden, während
bezüglich des positiven Ergebnisses der chemischen Analyse der Einwand
nicht ohne Weiteres auszuschliessen ist, dass hier eine postmortale DiflFusion
des Oiftes von der Placenta aus im Spiele sein kann.^
Andererseits ist aber doch auch bekannt, dass gerade an den Nieren
cadaveröse Vorgänge leicht den Eemschwund der toxischen Nephritis vor-
täuschen können.
Aus diesem Grunde erschien mir eine erneute Prüfung der An-
gaben Mirto's geboten. Und bei dieser Prüfung musste zugleich versucht
werden, den Widerspruch aufzuklären, der zwischen den Angaben meiner
beiden Voruntersucher besteht, und eine Vereinigung derselben herbei-
zuführen.
Für eine solche Erklärung waren zwei Möglichkeiten vorhanden. Ent-
weder: es besteht ein Unterschied zwischen den einzelnen Thierarten; bei
Kaninchen und Hunden passirt Sublimat den Placentarkreislauf, bei Meer-
schweinchen nicht Oder — was wahrscheinlicher — die verschiedene Art
der Vergiftung erklärt die Widersprüche: bei Anwendung sehr grosser
Gaben gelangen nachweisbare Mengen derselben auch in den Fötus, bei
kleineren nicht.
Ich habe daher bei meinen, gemeinsam mit meinem Assistenten Hm.
Dr. Ernst Ziemke angestellten Versuchen zunächst zur Ausfüllung der
noch vorhandenen Lücken die Erzeugimg acuter Vergiftungen bei Meer-
schweinchen (und weissen Mäusen), die Erzeugung chronischer Vergiftungen
bei Kaninchen und Hündinnen in Angriff genommen. Daneben sind aber
behufs Bestätigung der Mirto' scheu Befunde auch noch acute Vergiftungen
an Kaninchen und Hündinnen ausgeführt worden; zum Theil waren dieselben
auch durch die Verhältnisse geboten; wir erhielten mitunter die trächtigen
Thiere so kurz vor dem Wurf, dass eine länger dauernde Vergiftung nicht
mehr durchgeführt werden konnte. Dass manches als trächtig erstandene
und von uns in Arbeit genommene Thier sich nachträglich als nicht gravid
und somit mandie Arbeit als erfolglos herausstellte, sei beiläufig erwähnt;
diese misslungenen Versuche mögen es zum Theil entschuldigen, wenn wir
nicht alsbald mit einer grösseren Reihe von Experimenten hervortreten
können.
Meerschweinchen und Mäusen wurde Sublimat in concentrirter Lösung
subcutan einverleibt. Hunde und Kaninchen erhielten die theiis ooncen-
trirten, theiis verdünnten Lösungen mittels Schlundsonde; nur eine Hündin,
^ Vgl. Strassmann und Ki rat ein, üeber postmortale Dififnsion von Gifben.
\\Tchoyf*a Archiv, 1894. Hd. CXXXVl.
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DUBGHGANO DES SUBLIMATS DUBOH DEN PliAOENTABKREISLATTF. 99
die darauf stets erbrach, wurde mit subcutanen Einspritzangen behandelt.
Die SablimaUösungen stellten wir aus Angerer'schen Pastillen her. Von
Uäosen haben wir, damit der Nachweis des Oiftes nicht durch zu geringe
Mengen erschwert würde, stets mehrere Thiere zugleich vergiftet und die
Föten bezw. Placenten derselben ebenfalls zusammen verarbeitet
Die acut vergifteten Thiere haben wir möglichst bald nach dem Tode
aedrt, Embryonen und Placenten herausgenommen und gesondert zur
chemischen Untersuchung zurückgestellt Die mit kleinen Dosen behandelten
Thiere erhielten diese bis zum spontanen Wurf; dann wurden die Jungen
getödtet; einige Male wurde eines derselben am Leben erhalten, um seine
fernere Entwickelung zu beobachten; auch die Mutterthiere blieben am
Leben. Nur ein Kaninchen, das uns schon einen Versuch dadurch ver-
nichtet hatte, dass es seine Jungen alsbald nach dem Wurfe verzehrte,
wurde kurz bevor derselbe zu erwarten war, durch Aethereinathmung
getödtet
Bevor die Embryonen chemisch verarbeitet wurden, haben wir eine
oder zwei Nieren einer Frucht herausgenommen und mikroskopisch unter-
sucht, zunächst an frischem Schnitt, später am geharteten (Müller- Formol
and dann Alkohol) und gefärbten (Hämatoxylin- Eosin) Präparat Nur
wenn die Kleinheit der Gebilde die Anlegung eines frischen Schnittes un-
möglich machte, haben wir uns mit der Untersuchung des gehärteten und
gefärbten Präparates begnügt Aus demselben Grunde mussten wir auf
die Untersuchung der Nieren der Mäuseembryonen verzichten. Zumeist
haben wir zum Vergleich daneben die Nieren des Mutterthieres unter-
sucht.
Die chemische Untersuchung wurde in der Weise vorgenommen, dass
nach Zerstörung der organischen Substanz das Filtrat in der von Für-
bringer fär den Harn angegebenen Methode behandelt wurde. Wir liessen
die Messingwolle mehrere Tage bei erhöhter Temperatur in der Flüssig-
keit und brachten dann die zusanmiengedrehte Rolle nach Abspülung in
destiUirtem Wasser, Alkohol und Aether in das Glasröhrchen, das oberhalb
derselben, etwa in seiner Mitte, capillar ausgezc^en wurde. Das Object
wurde erhitzt, der entstandene Beschlag mit Jod geprüft, das in den oberen
Theil der Röhre gebracht war, nachdem das untere Ende durchschnitten
und das Röllchen entfernt war. War Quecksilber vorhanden, so wurde
beim Erwärmen des Jods der Beschlag gelb und nach weiterer Berührung
mit Platindraht roth; der rothe Niederschlag zeigte sich bei der — stets
vorgenommenen — mikroskopischen Untersuchung aus kleinen rothen,
krystallinischen Plättchen zusammengesetzt
In den Fällen, in welchen wir bei dieser Methode kein Quecksilber
nachweisen konnten, haben wir der grösseren Sicherheit halber noch eine
7*
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100 Fritz Stbassmann:
Untersuchung der Flüssigkeit mittels Elektrolyse (Platinelektrode) ange-
schlossen, Hr. Prof. Thoms hatte die Güte, dieselbe auszuführen. Sie hat
stets unser negatives Resultat bestätigt
Ich lasse nunmehr die einzelnen Versuche in summarischer Kürze folgen.
A. Mäuse.
I. Am 29. März 1899 erhält eine Maus, etwa 26«^ schwer, 2 <«™ Sublimat
in 4procent. Lösung. Sie starb nach wenigen Minuten unter Krämpfen.
Eine zweite, etwa ebenso schwere erhält 1 <*^™* in der gleichen Lösung, Tod
nach wenigen Minuten. Die 7 Embryonen der ersten, die 4 der zweiten
wurden zusammen, ebenso wie die 11 Placenten zur chemischen Untersuchung
verarbeitet. Aus den Placenten erhielten wir eine deutliche, aus den Em-
bryonen eine schwächere, jedoch bei genauem Zusehen unverkennbare Queck-
silbeijodür- bezw. Jodidreaction.
IL Am 7. April 1899 wurden drei trächtige Mäuse mit je 1 <^^™ Sublimat
in 25 ^'^^ Wasser vergiftet, der Tod erfolgte nach wenigen Minuten unter
Krämpfen. Die zusammen 20 Embryonen und die 20 Placenten mit Eihäuten
wurden gesondert untersucht. Es ergab sich diesmal eine deutlichere Reaction
aus den Embryonen, als aus den Placenten.
B. Meeraohweiiiohen.
L Am 28. März erhält ein 1000^^ schweres trächtiges Meerschweinchen
2cgnii Sublimat in 142*'^ Wasser, am nächsten Tage erschien es krank,
still, hatte nicht gefressen. Es erhielt nochmals 3®«™* Sublimat in 0-75*^
Wasser; 3 Stunden später starb das Thier. Wir fanden 2 Embryonen, von
einem wurden die Nieren herausgenonmien. Bei der frischen Untersuchung
fanden wir eine unbedeutende Verfettung, während dieselbe in der Niere
des Mutterthieres sehr stark war. Im gefärbten Schnitt sowohl der mütter-
lichen, wie der embryonalen Niere waren die Kerne überall gut tingirt. Aus
den Placenten, wie aus den Embryonen erhielten wir eine geringe, aber
deutliche Quecksilberreaction.
U. Am 12. April erhält ein trächtiges, 925 ^™ schweres Meerschweinchen
2i^^cgmi Sublimat in 4procent. Lösung und nach 3 Stunden nochmals die
gleiche Menge. Am nächsten Tage wird es sterbend aufgefunden; etwa
24 Stunden nach der ersten Giftprobe ist der Tod eingetreten. Die Section
ergab den üblichen Befund; im Uterus 2 Embryonen. Eine Niere wurde
herausgenommen. Im frischen Schnitt zeigte sich hier, aber nur an ganz
vereinzelten Stellen, eine deutliche Verfettung der Epithelzellen der ge-
wundenen Hamcanälchen, während solche beim Mutterthier in grosser Aus-
dehnung vorhanden war. Am gefärbten Schnitt aus der Embryonenniere
fand sich keine Nekrose. Bei der chemischen Untersuchung wurde aus den
Placenten eine deutliche Reaction gewonnen; die Embryonen gaben nur ein
zweifelhaftes Resultat; es bildete sich ein schwach gelblicher Belag, der nicht
roth wurde und unter dem Mikroskop nur spärliche Kry stalle in Form von
gelblichen rhombischen Tafeln erkennen Hess. Die nachträgliche elektro-
lytische Untersuchung der Flüssigkeit lieferte ein negatives Ergebniss.
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DUBOHGANO DES SUBLUATB DURCH DBK PlAOEKTABKBEISLAÜF. 101
n. Am 26. April erhält ein bereits in vorgeschrittenem Stadium gravides
Meerschweinchen 2°«^™ Sublimat in 4prooent. Lösung. Am folgenden Tage
erscheint es krank, erhält die gleiche Dosis. In der Nacht darauf stirbt es.
Die Section ergab ausser den gewöhnlichen Veränderungen ausgedehnte
Leberblutungen; der frische Schnitt durch die Niere zeigt sehr umfangreiche
Verfettung. Die 4 Embryonen und die 4 Placenten kamen zur chemischen
Untersuchung, eine Niere war herausgenommen und gehärtet worden; ein
frischer Schnitt war nicht anzufertigen. Am gehärteten Präparat aus der
mütterlichen Niere fanden wir eine fast totale Nekrose der gewundenen,
zum Theil auch der geraden Harncanälchen; in der fötalen Niere zeigte
sich eine herdförmige, auf einzelne gewundene Harncanälchen
beschränkte Nekrose mit Kernschwund und Zerfall des Proto-
plasmas zu Detritus. Aus den Placenten und mehr noch aus den Em-
bryonen wurde eine deutliche Quecksilberreaction gewonnen.
G. Kaninchen.
L Am 17. April erhielt ein trächtiges Kaninchen, etwa 2000«^™ schwer,
20**™ Sublimat in Iprocent. Lösung. Am Abend ist es todt, die Section
ergiebt beginnende Colitis; die Nieren sind makroskopisch wenig verändert.
Die (7) Früchte werden ebenso, wie die Placenten, chemisch verarbeitet,
nachdem zwei Nieren herausgenommen sind. Sowohl die eine frisch unter-
suchte, wie die andere gehärtete, Hessen keine Veränderung erkennen, während
in der Niere des Mutterthieres eine Anzahl gewundener Harncanälchen stark
verfettete Epithelzellen zeigten. Bei der chemischen Untersuchung der Em-
bryonen war diesmal nur eine geringe Spur Quecksilber nachweisbar, es
entstand nach der fhitwickelung der Joddämpfe ein ganz schwacher gelber
Belag, der sich nicht deutlich röthete; die chemische Untersuchung der
Placenten konnte leider nicht ausgeführt werden, da das betreffende Gefäss
in Folge Missgeschicks in Trümmer ging.
n. Vom 18. April an erhielt, ein — wie wir vermutheten — um den
28. März herum belegtes, 2500 «^ schweres Kaninchen täglich 20 ^« Sublimat
in Iprocent. Lösung. Nach 10 Tagen, nachdem es also im Ganzen 0-20<^^
Sublimat erhalten hatte, wurde es getödtet; es hatte in den letzten Tagen
mangelnde Fresslust und geringere Frische gezeigt, sonst waren keine Ver-
giftungserscheinungen aufgetreten. Es fanden sich 13 Föten, die etwa
1 Woche vom Termin der Reife entfernt gewesen sein mochten. Von einem
Fötus wurden die Nieren gehärtet, eine frische Untersuchung war nicht
ausführbar, die Niere des Mutterthieres Hess bei derselben keine Veränderung
erkennen. Die chemische Untersuchung ergab unzweifelhafte Sublimatreaction
aus den Placenten, keine aus den Embryonen. Bei der Untersuchung des
gehärteten Objectes fand sich in der Niere des Mutterthieres herdförmige
Nekrose, im Embryo nichts.
UL Ein etwa 2000*™ schweres Kaninchen erhält seit dem 8. Mai
taglich 20 **™ Sublimat. Es wirft in der Nacht vom 13. zum 14., hat also
im Ganzen 0-1 ^™ Sublimat erhalten; die vier lebenden Jungen wurden
getödtet und zur chemischen Untersuchung verarbeitet, die Placenten waren
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102 FfiiTZ Stsassmann:
leider alsbald der Fressgieir der Wöchnerin zum Opfer gefallen. Bei der
frischen Untersuchung der embryonalen Niere fand sich nichts Abnormes;
das Resultat der Untersuchung des gehärteten Objectes wie das der chemischen
Untersuchung der Embryonen steht noch aus.^
D. Hunde.
L Trachtige Hündin, 8500^^^ schwer, erhält vom 1. bis 10. März tag-
lich je 5, vom 11. bis 17. März täglich je lO*'*™* einer Ipromill. Sublimat-
lösung durch die Schlundsonde. Sie zeigte niemals Störung des Wohlbefindens.
Nachdem sie so im Ganzen 0-12^^ Sublimat erhalten hat, wirft sie in der
Nacht vom 17. zum 18. vier lebende und anscheinend lebensfähige Junge;
die Placenten wurden nicht mehr aufgefunden, waren offenbar von ihr als-
bald gefressen worden. Ein Junges Hessen wir am Leben. Es entwickelte
sich ganz normal. Die drei anderen wurden getödtet, die chembche Unter-
suchung (auch mittels Elektrolyse) wies kein Quecksilbei; nach; die Unter-
suchung einer Niere, frisch wie gehärtet, ergab ganz normalen Befund.
n. Trächtige Hündin erhält vom 29. April an täglich zwei Spritzen
von je 1 ^^'^ einer 5 procent. Sublimatlösung subcutan. Sie stirbt in der
Nacht Yom 3. zum 4. Mai, nachdem am letzten Tage blutige Diarrhöen auf-
getreten waren. Sie hatte also im Ganzen 0*5^^ Sublimat erhalten. Die
Section ergab hämorrhagische Entzündung des Dickdarmes, hochgradigen
fettigen Zerfall in den Epithelzellen der gewundenen Hamcanälchen. Auch
die Nieren des — einzigen — Fötus zeigten sich bei der frischen
Untersuchung stellenweise mit kleinsten Fetttröpfchen durch-
setzt, doch lange nicht in dem Maaase, wie die des Mutterthieres. Man
sah im Gegensatz zu diesen die Zellstructur, die Zellgrenzen überall deutlich.
Im gehärteten Präparat fand sich bei dem Mutterthier ausgedehnte Nekrose
mit Kemschwund und Zellzerfall; auch bei dem Embryo waren an den
gewundenen Hamcanälchen vereinzelte Herde einer solchen
Nekrose nachweisbar. Die chemische Untersuchung von Placenta wie
Embryo ergab unzweifelhaften Quecksilbergehalt.
ni. Kleine, trächtige Hündin erhält seit dem 4. Mai täglich 10 *'^™*
einer 1 procent. Sublimatlösung mittels Schlundsonde. Sie stirbt am 13. Mai
in Folge Hineingerathens der Sonde in die Luftröhre, hat also im Ganzen
0-1^™* Sublimat erhalten. Bei der frischen Untersuchung fanden wir in
der embryonalen Niere keine Veränderungen, in der des Mutterthieres waren
einzelne Hamcanälchen dicht mit grösseren Fetttröpfchen besetzt (Sublimat-
wirkung?). Das Resultat der mikroskopischen Untersuchung der gehärteten
Embryonenniere, sowie das der chemischen Untersuchung von Placenten und
Embryonen steht noch aus.'
' Anm. bei der Correctur. Bei der üntersachung des geharteten Objectes
bat sieb kein Kemsohwond gefunden; unsere chemisohe Analyse hat kein Qaeckailber
nachgewiesen; ebenso wenig die Untersuchung durch Elektrolyse.
' Anm. bei der Correotur. Die mikroskopische Untersuchung hat keine Nekrose,
die chemische hat in den Placenten etwas Quecksilber, in den Embryonen keiues nach-
gewiesen; auch das Resultat der Elektrolyse war negativ.
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DUBCHOAUO D£8 SUBLIMATS DUBOH DEN PLACI£NTA£KBEI8IiAUE. 103
Die eben mitgetheilten Versuche werden, wenn sie auch noch nicht
vollständig abgeschlossen sind, zur Klärung der aufgeworfenen Frage im
Wesentlichen genägen.
Es hat sich zunächst ergeben, dass keine Differenzen zwischen den
einzelnen untersuchten Tbierarten bestehen, zwischen Mäusen, Meerschwein-
chen, Kaninchen und Hunden. Wir dürfen also wohl auch bei Menschen
ein übereinstimmendes Verhalten annehmen, wenn es uns auch bisher nicht
möglich war, diese üebereinstimmung durch die Untersuchung eines wirk-
lich vorgekommenen Falles von Abort bei Sublimatvergiftung thatsächlich
zu erweisen.
Wir können daran festiialten, dass bei all' diesen Thieren in Fällen
acuter Vergiftung durch grosse Dosen von Sublimat das Oift auch auf den
Fötus übergeht, wenn auch hier und da nur in so geringen Mengen, dass
der Nachweis nicht ganz unzweideutig gelingt Das war, wie wir sahen,
bei einem Meerschweinchen und einem Kaninchen der Fall, während bei
zwei anderen Meerschweinchen, bei zwei Gruppen von zwei bezw. drei
Hausen, bei einer Hündin das Ergebniss der Analyse nichts zu wünschen
übrig liess. Unsere Versuche bestätigen und ergänzen darnach die Experi-
mente Mirto's, der bei zwei Kaninchen und bei zwei Hündinnen Queck-
silber im Fötus sicher nachweisen konnte. Unsere Versuche stinmien mit
denen des italienischen Forschers auch insofern überein, als wir •— wenn
auch nicht so r^lmässig und so ausgedehnt, wie er — anatomische Folgen
der Sublimatvergiftung an den fötalen Nieren nachweisen konnte. Epithel-
nekrose an den gewundenen Hamcanälchen mit fettigem Zerfall der Zellen
und Kemschwund haben wir in herdförmigem Auftreten beim Meerschwein-
chen III und beim Hund II gefunden. Eben dieses herdförmige Auftreten
und die im frischen Schnitt gefundene Verfettung lassen uns die Annahme
einer cadaverösen Veränderung zurückweisen, die auch bei der stets mög-
lichst früh erfolgten Untersuchung keine Wahrscheinlichkeit für sich hat
Die anatomischen Befunde lassen es aber wieder als sichergestellt gelten,
dass das chemisch im Embryo nachgewiesene Quecksilber nicht etwa nur
durch Leichenimbibition in denselben gelangt ist
In unseren bisher vollendeten Versuchen, bei denen trächtige Thiere
(Hdndinnen und Kaninchen) Sublimat in wiederholten kleinen Gaben er-
hielten, ist uns dagegen sowohl der chemische Nachweis des Giftes, wie der
anatomische seiner Folgewirkungen am Embryo stets misslungen.
Wir nehmen hiernach an, dass bei dieser Art der Vergiftung Sublimat
nicht in den fötalen Kreislauf übergeht, wie dies auch Porak bei seinen
entsprechenden Versuchen an Meerschweinchen gefunden hat
Was die Ursache dieses verschiedenartigen Verhaltens bei acuter und
chronischer Vergiftung betrifft, so meinen wir dasselbe nicht einfach auf
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104 Fbitz Strabbuann: Dubchgakg des Sublimats u. s. w.
die Weise erklären zu können, dass Sablimat anstandslos in der Placenta
in die fötalen Gefasse übergeht, dass aber bei Anwendung kleiner Dosen
die in den Fötus gelangenden Mengen zu gering sind, als dass sie chemisch
nachweisbar wären oder anatomische Veränderungen machen könnten. Es
spricht gegen diese Auffassung, abgesehen von der Feinheit der Beaction,
der mehrfach von Porak wie von uns (Kaninchen 11) erhobene Befand
eines deutlichen Quecksilbergehaltes der Placenta bei Fehlen des Oiftes im
Embryo, dessen Masse doch erheblich grösser ist und bei ungehindertem
Uebergange dementsprechend eher bedeutend mehr Quecksilber enthalten
sollte, als die Placenta. Femer spricht dagegen die durchweg viel geringere
Schädigung der fötalen Nieren gegenüber den mütterlichen, die doch auf
einen geringeren SubUmatgehalt des Fruchtblutes gegenüber dem der Mutter
mit Wahrscheinlichkeit hinweist
Wir vermuthen, dass bei der acuten Sublimatvergiftung es an der
Placenta, wie an anderen Theilen des Körpers, zu schweren Gewebsver-
änderungen kommt und dass die so veränderten Stellen es sind, von denen
Sublimat in die ihm sonst verschlossenen fötalen Räume übergeht
Die nähere Prüfung dieser Hypothese soll das Ziel einer späteren Unter-
suchung sein.^
* Zusatz bei der Correotur. Ein inzwischen abgeschlossener 11. Versucb
bestätigt nnsere bisherigen Resultate. Ein trachtiges Kaninchen erhält am 15., 16.
und 17. Mai je 20 <=^ einer ^l^\)TOGeiit„ am 18. Mai 20 ^'«^ einer Iprocent. Sablimat-
lösnng. Tod vom 18. znm 19., Section am 19. Mai. Magenätznng, 6 Embryonen.' in der
frisch nntersnchten mütterlichen Niere viel Fett, in der embryonalen keines. Im ge-
erbten Präparat aas der mütterlichen Niere zahlreiche Kalkinfarcte in den gewandenen
Hamcanälehen, Eisadatioo in die Glomeralaskapseln; am Embryo ganz vereinzelter
Kernschwand. Chemisch wird sehr viel QueckBilbcr in den Placenten, etwas in den
Embryonen nachgewiesen.
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Heber den Mechanismus der Zuckerbildung in der Leber/
Von
Dr. Emilio CaTanani,
Prot der Physiologie an der Unlrerdtit Ferrar».
Die üntersnohongen, welche die grosse Liebenswürdigkeit des Herrn
Prof. Zantz mir kürzlich erlaubt hat, in dem Laboratorium der landwirth-
schafUichen Hochschule zu Berlin auszuführen, bestätigten die Meinung,
dass die Zuckerbildung in der Leber in einer Umwandlung des Glycogens,
welches in den Leberzellen enthalten ist, in Zucker bestehe,^ und haben
beigetragen, die Hypothese wahrscheinlicher zu machen, dass diese Um-
wandlung einer besonderen Thätigkeit des Protoplasmas derselben Zellen
zuzuschreiben sei.^ In diesem Sinne wenigstens schien^ es mir die Thatsache
zu beweisen, dass man in der Leber, welche vier Stunden lang in arterielles
Blut eingetaucht wurde, immer eine Menge Zucker finden konnte, die nur
sehr wenig die Menge Zucker überstieg, welche man in der, unter den-
selben Umstanden, wahrend einer einzigen Stunde in Blut eingetauchten
Leber vorfand; während die Menge Zucker, die man nach der ersten Stunde
constatirte, bei weitem diejenige übertraf, welche im Moment des Todes
in der Leber enthalt<en war.
Obschon die erwähnten taiit ähnlichen oder verschiedenen von mir
ond anderen Forschem herausgegebenen Beobachtungen übereinstimmen,
80 dass sie einen wirklichen beweisenden Werth bekommen, scheint es mir
dennoch angezeigt, dieselben mit den Resultaten einer neuen Reihe von
Untersuchungen über den Einfluss des Chinins auf die Zuckerbildung in
der Leber zu beweisen, denn obschon die meisten Physiologen der erwähnten
Meinung sind, giebt es doch immer einige, die überzeugt sind, dass die
Zuckerbildung in der Leber von einem amorphen Ferment abhänge.
* Dritte Mittheilang. S. aacb: Sal mecoanismo della trasformazione del glico-
gene in glacosio. AnnM di Chimica e di Farmacologia, 1894 e: Sul meccaDismo
della trasformaiione ece. La clinica moderna, 1897.
« Dies Archiv. 1898. Pbysiol. Abthlg. S. 539.
^ Intomo alla formazione del glucosio nel fegato. AUi delV acc, di Ferrara. 1899
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106 Emilio Cavazzani:
Das Thema, welches ich mir vorgenommen habe, ist folgendes: Zu
untersuchen, ob das Chinin, welches die Thätigkeit bestimmter Enzyme
nicht stark verändert, dagegen ein protoplasmatisches Gift für viele Zdlen
der höheren Organismen ist, eine Wirkung auf die Zuckerbildung in der
Leber ausüben kann. Da ich aber in meinen früheren Versuchen eine
specielle Beziehung zwischen Zuckerbildung und Wärmebildung in der Leber
fand, habe ich meine Untersuchungen auch über den Einfluss des Chinins
auf die Temperatur dieses Organes relativ ausgedehnt
Meine Untersuchungsmethode war folgende: Eine Sprocentige Losung
Chininum bisulph. in destillirtem Wasser wurde bereitet, bis zu einer
Temperatur von 38 ® C. erwärmt und durch die Vena jugularis ext gegen
das Herz zu eingespritzt; jede Injection betrug 2 bis 5 *^°* und die In-
jectionen wiederholten sich, bis die Athem- und Herzlähmung eintrat
Während dieser ersten Periode des Versuches las ein Assistent die Tempe-
ratur der Leber von einem Thermometer ab, welches schon vorher in einen
der Lobi gesteckt worden war, und wurde dieselbe jede Minute notirt
Zu gleicher Zeit wurde die Curve des Pulses und des Blutdruckes mit
einem Apparat nach Kagenaaar angenommen. Als die Herzlähmnng
eingetreten war, veränderte man sowohl die Lage der Instrumente, tds auch
die Anordnung der in dem Versuche beschäftigten Personen so lange nichts
bis das in die Leber gesteckte Thermometer aufhörte, eine Erhöhung der
Temperatur zu zeigen; als das Maximum derselben erreicht war, entfernte
man das Thermometer und nahm die Leber heraus: einen Tbeil derselben
warf man sofort in siedendes Wasser, ein anderer, gleich wiegender Theil wurde
zerschnitten und in einen Kolben sammt ungefähr 20 ^^ Blut geth)em, das
manchmal vor der Einspritzung dem Thier entzogen, andere Male dagegen
aus der Herzhöhle und den Adern, immer jedoch defibrinirt, genommen
wurde. Der Kolben wurde in ein Wasserbad von 38 ®C. gesteckt und blieb
eine Stunde lang darin unter beständiger Lufteinleitung. Nach Ablauf der
Stunde warf man auch den zweiten Theil der Leber sammt dem Blute, in
das sie eingetaucht war, in's siedende Wasser, und es wurden die Auszüge für
die Bestimmung der Dextrose und der gesammten Kohlehydrate vorbereitet.
Vor Beginn meiner Versuche nach der erwähnten Richtung wollte ich
mit eigenen Versuchen bestätigen, dass die Thätigkeit der Enzyme von
dem Chininum bisulphur. nicht aufgehalten wird, wie es schon Wilberg
für das Pepsin und Andere dem Emulsin und dem Ptyalin gegenüber er-
wähnt haben; ohne genaue Rechenschaft darüber abzulegen, kann ich sagen,
nie in den Mischungen von Stärkekleister und filtrirtem Speichel eine
Menge Zucker gefunden zu haben, die geringer war als diejenige, die ich
in den Mischungen von Starkekleister, Speichel und Chinin (letzteres im
Verhältniss von 0-40 Procent), die während verschiedener Stunden einer
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Üb££ den Meohani8Mü8 deb Züokebbilduno in deb Lebeb. 107
Temperatur von 38® C. ausgesetzt wurden, gefunden habe. Das Nämliche
habe ioh in den Mischungen von Blut, Serum und Starkekleister, mit und
ohne Chinin, wahrgenommen; einige Male habe ich sogar ein wenig höhere
Zahlen erhalten, wenn der Mischung das Chinin beigefügt war. Ohne mich
damit abzugeben, ob dieses Alcaloid eine günstige Wirkung auf die Haemo-
diastase und das Ptyalin enthalte, b^nüge ich mich anzuführen, dass es
die Tbätigkeit derselben weder aufhält noch verändert.
Zweitens wollte ich wissen, ob die Hunde, welche ich kaufte, eine Leber
besassen, die mit ^er beinahe beständig zuckerbildenden Fähigkeit aus-
gestattet wäre, und im entgegengesetzten Falle den Durchschnitt und die
Minimalgrenzen bestimmen. Daher bat ich Hm. Joseph Ferrari, Schüler
des Laboratoriums, einige Untersuchungen anzustellen. Wir tödteten durch
Blutentziehung normale Hunde und liessen Stücke der Leber, die wir aus
dem Unterleib genonmien, sobald das Herz zu schlagen aufhörte, im Blute
liegen, bei einer Temperatur von 38® C. und unter beständiger Lufteinleitung.
Wir erhielten folgende Besultate:
I. Untersuchung. Zucker
n.
in.
IV.
V
VI. „ i,_ _
Durchschnitt grm 0-666 Procent.
Hr. Ferrari versuchte auch zu erforschen, ob man im selben Zeit-
raum verschiedene Besultate in Bezug auf die Menge des Zuckers erzielen
könnte, wenn man die Leber erst 20 Minuten nach dem Tode heraus-
genommen, in's Blut geworfen und in den Thermostaten legen würde. Das
musste ich wissen, denn zu dem Zwecke, in den folgenden Untersuchungen
Bemerkungen über die postmortale Erhöhung der Temperatur der Leber zu
machen, musste man nach dem Tode die Herausnahme der Leber einige
Minuten verzögern.
Wir erhielten folgende Resultate:
grm
0-630 Procent,
V
0-475
' V
»>
0-592
»
w
0.940
«
79
0.475
V
yf
0.888
»
Gleich nach dem Tode
Nach 20 Minuten
L
Untersuchung.
Zucker
grm 0.630 Proc.
grm 0-450 Proc
n.
7f
»
„ 0.475 „
„ 0.382 „
m.
yy
»
„ 0-592 „
„ 0.572 „
IV.
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V
„ 0-940 „
„ 0.852 „
V.
yy
>»
„ 0.475 „
„ 0.293 „
VI.
ff
»
„ 0.888 „
„ 0.604 „
Durchschnitt
grm 0-666 Proc.
grm 0.525 Proc.
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108 Emilio Gavazzani:
Diese Untersuchaogen haben bewiesen, dass die Zellen der Leber
20 Minuten nach dem Tode zom grössten Theile ihre znokerbildende
Thätigkeit beibehalten, da die Menge des Zuckers durchschnittlich zwisdien
0-666 Proc. und 0-525 Proc. schwankt
Da aus den erwähnten Untersuchungen hervorgeht, dass sich nach
einer Stunde des Ueberlebens in der Leber der von mir benutzten Hunde,
wenn dieselbe gleich nach dem Tode herausgenommen wurde, der Zucker
im Minimum von 0*475 Proc. und im Mittel von 0*666 Proc. vor&nd,
und im Alinimum von 0-293 Proc. und im Mittel von 0-525 Proc^
wenn dieselbe 20 Minuten nach dem Tode herausgenonmien wurde, so
hätte ich eine Abnahme der Zuckerbildung in Folge des Chinins ableiten
können, wenn ich in den eingespritzten Thieren niedrigere Zahlen, als die
erwähnten, gefunden hätte.
L Versuch. In einem 5-900^^ schweren Hunde ist die Temperatur
der Leber um 3 Uhr 58 Min. unverändert auf 39 •31®. Von da an big
4 Uhr 16 Min., d. h. innerhalb 18 Min., wurden durch die Vena jugularis
auf 5 Mal 0 • 75 ^^°^ Chininum bisulphur. in wässeriger Lösung 5 Procent ein-
gespritzt. Die Temperatur der Leber fällt auf 38 «60®, nimmt folglich um
0-71® ab; sie bleibt 6 Minuten lang unverändert, und tritt dann sogleich
die Herzlähmung ein. Nach 2 Minuten zeigt das Thermometer 38-62*;
nach anderen 2 Minuten 38-65"; um halb 5 Uhr, also 8 Minuten nach der
Herzlähmung, 38*68"; 5 Minuten lang bleibt die Temperatur unverändert,
dann nimmt man die Leber heraus. In der quantitativen Analyse fand
man, dass die Leber grm 1*50 Procent Kohlehydrate enthielt, von denen
grm 0*11 Procent Zucker waren. Nach einer Stunde künstlichen Lebens
enthielt die Leber grm 0«35 Procent Zucker.
IL Versuch. In einem 19*200^^ schweren Hunde ist die Temperatur
der Leber um 4 Uhr 42 Min. stationär auf 38 • 36 ". Zwischen 4 Uhr 44 Min.
und 4 Uhr 55 Min. werden auf 7 Mal 1 • 75 ^™* Chininum bisulphur. einge-
spritzt; die Temperatur fällt auf 36-85**. Um 4 Uhr 68 Min. tritt die
Herzlähmung ein; die Temperatur der Leber steigt in 7 Minuten auf 37^,
nimmt folglich 0*15^ zu und bleibt so 5 Minuten lang; dann nimmt man
die Leber heraus; diese enthält grm 0.15 Procent Zucker und grm 3-10 Proc
Kohlehydrate. Nach einer Stunde künstlichen Lebens wurden grm 0 • 20 Proc
Zucker gefunden.
ni. Versuch. Einem 14^ schweren Hunde werden innerhalb 41 Mi-
nuten durch die Vena jugularis 30 *™ Lösimg Chininum bisulphur. eingespritzt
Die Temperatur, welche im Anfang der Untersuchung 38 »64^ war, fällt im
Moment der Herzlähmung auf 37.24®. Nachdem diese erfolgt ist, fällt sie
innerhalb 2 Minuten auf 37*17®, dann innerhalb weiterer 2 Minuten steigt
sie wieder auf 37*24® und bleibt so 3 Minuten lang. Man nimmt die
Leber heraus und man findet den Zucker im Maasse von 0 * 06 Procent. Nach
einer Stunde des Ueberlebens enthält die Leber grm 0-16 Procent Zucker.
IV. Versuch. Die Einspritzung wurde diesmal nicht durch die Vena
jugularis, sondern durch eine Vene des Mesenteriums gemacht. Der Hund
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Übeb BEN Mechanismus beb Zuckebbilbüng in beb Lebeb. 109
war 5.100*' schwer und bekam 15 *'*'"^ der gewöhnlichen Lösung: also
0*75^™ von Chininum bisulphur. innerhalb 10 Minuten. Die Herzlähmung
trat 5 Minuten nach der letzten Einspritzung ein und die Temperatur der
Leber, welche auf 37*22" stand, blieb einige Minuten lang unverändert.
Gleich nach dem Tode fand man in der Leber, welche grm 6.40 Procent
Kohlehydrate enthielt, grm 0»07 Procent Zucker, und nach einer Stunde
Ueberlebens nur grm 0-19 Procent.
V. Versuch. Einem 7-200^ schweren Hunde werden auf 4 Mal
innerhalb 30 Minuten 2 ^™ Chininum bisulphur. durch endovenöse Injection
in dieJugularis eingespritzt. Die Herzlähmung tritt plötzlich ein. Man steckte
das Thermometer nicht in die Leber, um dieselbe gleich nach dem Tode
herausnehmen zu können. Sie enthielt grm 3.60 Procent Kohlehydrate,
dabei waren nur Spuren von Zucker. Nach einer Stunde Ueberlebens ent-
hielt die Leber grm 0-40 Procent Zucker.
VI. Versuch. Einem 7-500''' schweren Hunde wurden auf einmal
20 "^ der gewöhnlichen Lösung, d. h. 1 *^™ Chininum bisulphur., durch die
Jngularis eingespritzt. Fast augenblicklich trat die Herzlähmung ein, wes-
halb man annehmen kann, dass nur ein geringer Theil des Chinins in die
Leber gedrungen ist. Die Temperatur der Leber, welche im Moment des
Todes auf 39 " war, stieg während 1 7 Minuten auf 39 • 29 *^ und blieb während
5 Minuten unverändert. Die herausgenommene Leber wurde in siedendes
Wasser geworfen, sie enthielt in diesem Moment der Untersuchung grm 0 • 45
Procent Zucker.
Vn, Versuch. Einem 5«200^'f schweren Hunde werden innerhalb
7 Minuten durch die Vena jugularis 0 • 40 »^^ Chininum bisulphur. eingespritzt.
Nach der ersten Lijection steht der Athem still; nach 2 Minuten bemerkt
man eine bedeutende Abnahme des Herzens und nach weiteren 5 Minuten
steht dasselbe still. Die Temperatur der Leber, welche im Anfang 38-04®
war, ist jetzt 37*44®. Nach eingetretener Herzlähmung steigt dieselbe
während 12 Minuten auf 37*65®. Man nimmt sogleich die Leber heraus
und findet grm 0*22 Procent Zucker und nach einer Stunde Ueberlebens
grm 1-08 Procent Zucker.
Die Resultate der fünf ersten Versuche sind also folgende:
L Versuch. Zucker grm 0*330 Prooent
DL
»
»
„ 0.200
in.
»
»
„ 0.160
IV.
yi
11
„ 0-190
V.
»
11
„ 0-400
Durchschnitt grm 0.256 Procent.
Diese Experimente beweisen also, dass nach der Einspritzung des
Chinins und nach einer Stunde des Ueberlebens die Leber eine Menge
Zucker bildet, deren Minimum 0-160 Proc. und deren Medium 0*250 Proc.
giebt Beide Zahlen sind viel niedriger, als diejenigen, welche man vorher
in den normalen Hunden gefunden hatte.
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110 EmHjIO Cayazzani: Übbb bbn Mechakismüs d. Zückebbild. u.s.%.
Obschon man wenig: Werth auf einen Einwurf legen darf, nach wel-
chem es sich hier um eine postmortale und nicht um eine während des
natürlichen Lebens producirte Zuckerbildung handelt, muss ich erwähnen,
dass man immer in der Leber der mit Chinin eingespritzten und mit
Phänomenen von Athem- und Herzlähmung, also durch Erstiokangstod
verendeten Hunde einige Minuten nach dem Tode minimale Mengen Zucker
gefunden hat, und gerade in dem ersten Versuch grm 0-11 Proc., im
zweiten grm 0 • 1 5 Proc., im dritten grm 0 • 06 Proc., im vierten grm 0 • 07 Proc.
und im fünften nur Spuren hiervon. Im sechsten und siebenten Experi-
ment, in denen die Herzlähmung eintrat, ehe das Chinin ordentlich in Um-
lauf gekommen war, fand man einige Minuten nach dem Tode, bezw.
grm 0-45 Proc. und grm 0*22 Proc. Zucker. Jedermann weiss, dass man
grössere Mengen als diese in den normalen Hunden fand, die eines gewalt-
samen Todes starben.
Ich bin also der Meinung, dass man den Schluss ziehen kann, dass
das Chininum bisulphuricum eine hemmende Wirkung auf die Zucker-
bildung der Leber ausübt Da es keinen Einfiuss auf einige der energisch-
sten Enzyme hat, können Wir annehmen, dass es auch nicht auf das so
schwache der Leber wirkt, und bleibt uns daher nur übrig, diese aufhaltende
Wirkung einer hindernden Macht zuzuschreiben, die auf das Protoplasma
der Leberzelle oder auf einen Theil desselben ausgeübt wird, dessen bio-
logische Eigenschaft in der Umwandlung des Glycogens in Dextrose besteht
Die angeführten Versuche beweisen ausserdem, dass das Chininum
bisulphuric. eine hemmende Wirkung auch auf die Wärmebildung der Leber
ausübt In der That hatte die Einspritzung des Salzes eine Abnahme der
Temperatur der Leber zur Folge, die im Medium 1^ C. übertraf, und die
postmortale Steigerung der Temperatur war bedeutend niedriger, als sie
gewöhnlich zu sein pflegt.
Die erwähnten Versuche bestärken nicht nur die Theorie, dass die
Umwandlung des Glycogens in Dextrose die Folge einer speziellen Thätig-
keit der Leberzellen und nicht eines Enzyms ist, sondern bestätigen auch
nach meiner Meinung die Existenz einer Beziehung zwischen der Zucker-
bildung und Wärmebildung der Leber.
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Beitrag zur Lehre vom Stoffwechsel der Wiederkäuer.
Von
Dr. O. Hagemann,
ProfBNor der Thferphyfllologle an d«r Land w.- Akademie in Bonn-Foppelodorf,
nnter AssisteDZ des Dr. Gino Abati aus UdiDe.
Ueber den StoflFwechsel der Wiederkäuer sind durch viele eingehende
und fleissige Arbeiten eine Menge von Thatsachen zusammengetragen. So-
wohl in Möckem unter Gustav Kühn's wie 0. Kellner's Leitung, als
auch in Ctöttingen unter Henneberg's Vorarbeit sind bei den grossen
und kleinen Wiederkäaern Ausnützungs- und Stoffwechselbilanzversuche
angestellt worden. Nicht nur die Verdauungsquotienten wurden eruirt,
sondern es wurde auch die Kohlensaureproduction, sowie die Sumpfgas-
ausscheidung quantitativ bestimmt
Diese Untersuchungen geben einen klaren und directen Aufschluss
über den Nutzeffect eines bestimmten Futters bezüglich Fleisch- und Fett-
ansatz, sie geben aber keinen oder einen nur sehr mangelhaften Aufschluss
über den Krafbwechsel des Thieres in den einzelnen Phasen des Tages.
Für das Studium des Kraftwechsels im Thierkörper muss vor Allem
neben der Bestimmung der gebildeten Kohlensaure auch die Grosse des
Sauerstoffverbrauches festgestellt werden.
Studirt man Kohlensaureproduction und Sauerstoffverbrauch in den
einzelnen Phasen des Tages, dann kann man auch den Kraftwechsel fär
dieselben berechnen, und dies ist bei dem heute weiter fortgeschrittenen
physiologischen Standpunkte durchaus nothwendig.
Abgesehen hiervon ist in letzter Zeit von N. Zuntz darauf aufmerksam
gemacht worden, dass der verdaute Antheil aus dem einen Futtermittel
noch lange nicht dem verdauten Antheile aus einem anderen Futtermittel
für den Kraftweohsel des Thieres gleichwerthig zu sein braucht
Die Gahrungsprocesse und die Grösse der Kau- und Verdauungsarbeit
sjHelen hier eine grosse Rolle. Was vergohren ist, giebt der Stoffwechsel-
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112 0. Hagemann:
versuch auch als verdaut an, ohne dass die Gahrungsproducte für den
thierischen Haushalt den gleichen Nähreffect zu haben brauchen, wie die
ursprüngliche Substanz.
Der eine Futterstoflf hat viel oder gar verholzt« Rohfaser, der andere hat
nur wenig davon; dann wird der erstere viel mehr Kau- und Verdauungs-
arbeit in Anspruch nehmen als der rohfaserärmere Futterstoff, wie z. B.
Kartoffeln, Rüben oder Starke dem Stroh oder gar dem Reisig gegenüber.
Nothwendiger Weise kann nun aber die Kau- und Verdauungsarbeit
nur durch den Energieinhalt des Verdauten gedeckt werden, so dass auf
diese Weise grosse Ungleichheiten bezüglich der dem Thierkörper für seine
anderweitigen Leistungen zu Grebote stehenden Energie resultiren. Wenn
auch die Kau- und Verdauungsarbeit schliesslich Wärme wird und dem
Thiere zur Erhaltung seiner Eigentemperatur dienen kann, so ist es
doch für den Stoff- und Kraftwechsel des Thieres nicht gleichgültig, ob
viel oder wenig Energie für Verdauungsarbeit verbraucht wurde; denn für
die Verdauungsarbeit verbrauchtes Kohlehydrat z. B. kann weder Fett werden,
noch kann es zur Ableistung einer Muskelarbeit verbraucht werden, es kano
eben nur Wärme werden; diese aber hat das reichlich gefütterte Thier wahr-
scheinlich im Uebermaass zur Disposition, so dass es unter umständen
Noth hat, dieselbe los zu werden.
Ueber die hier zu untersuchenden Verhältnisse vermögen nur calori-
metrische Untersuchungen oder Respirationsversuche im Verein mit Stoff-
wechselbilanzuntersuchungen, welche mit verschiedenartig ernährten Thieren
angestellt werden, Ausschluss zu geben. Da ich zur Zeit nicht im Besitze
eines Thiercalorimeters bin, so wollte ich dieser Frage auf dem zweiten
angegebenen Wege durch Bestimmung des Sauerstoffverbrauches und der
Kohlensäureproduction näher treten.
Als Versuchsthier nahm ich einen grossen zweijährigen veredelten
Hammel, welcher schon mehrmals zu Stoffwechselversuchen gedient hatte
und das Geschirr, welches zur Befestigung des Kothtomisters und Ham-
trichters nöthig ist, sehr gut vertrug.
Dieses Thier wurde im Januar 1897 tracheotomirt und trug von da
ab ständig einen Tracheotubus; die Wunde vernarbte sehr gut; von Mitte
März ab wurde das Thier fast tägUch mittels einer Respirationscanüle^ mit
einem Oasmesser verbunden und musste durch denselben athmen, so dass
es sich daran gewöhnte, auch während der Futteraufiiahme, des Wieder-
kauens und des Schlafens durch den Gasmesser zu athmen.
Während der Respirationsversuche wurden, der Athemgrosse propor-
tional, Gasproben in die Gasbüretten gesaugt und sofort darnach analysirt
» Vgl. Landitirthschaftliche Jahrhücher. 1889. S. 14.
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Bbitbag züb Lehre yoh Stoffwechsel der VViedebkIueb. 113
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Archiv CA.ti.Ph. 1899. Physiol. Abthlg. Suppl.
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114
0. Hagbüann:
Die Methode der Probenahme und der Analyse ist von Zuntz ausgearbeitet
und von Adolph Magnus-Levy^ beschrieben worden.
Das Versuchsfutter bestand aus 600^™ gutem Luzerneheu und 350 p™
Maisfuttermehl, sowie 15^™ Kochsalz.
Vom 15. März ab war dieses Futter regelmässig jeden Tag aufgenommen
worden.
Die Aenderungen im Lebendgewichte sind nur sehr gering; dasselbe
war nahezu constant und zeigt eine geringe Tendenz zu steigen; dies be-
weist, dass die Ration mindestens das Erhaltungsfutter darstellte, sogar etwas
Ansatz bewirkte.
Die Wasseraufnahme war eine sehr regelmässige, es wurden an den
14 Versuchstagen elf Mal 2*5 und je ein Mal 3*0, 1-7 und 2-7 Liter
Wasser aufgenommen.
Vom 12. April 1897 früh 8 Uhr ab wurden Harn und Koth gesammelt
und später analysirt; wegen Anfeuchtung des Futters seitens des Hammels
selber blieben geringe Reste im Futterkasten; diese wurden am Schlüsse
ausgekratzt, gewogen und analysirt.
Die näheren Daten des Ausnützungsversuches zeigt die Tabelle L
Die Analyse der FutterstoflFe, des lufttrockenen Kothes und der 39 «9^
betragenden Futterreste folgt in der Tabelle IL
Tabelle IL
Procentische Zusammensetzung des Futters, der Futterreste und des
lufttrockenen Kothes.
a
1, Sg
6^ 00
Maisfatterm. !
Heu
Lafttr. &oth|; 95-309
^tterreste .96*990
86-986
88-374
1|
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Ä so
2-228
7-118
12-955
35-6i7
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P4
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O)
1
84-758
76-256
82-854
61-373
2-023
2-243
1-973
2-092
13-644
14-019
(12-331)
13075
11-488
10-690
11-221 6-151
1-831 26-703
3-109 '34.137
2; H
M
53-7421 43-789
33-703 37-402
32.777
10-8801 3-950,16-411 I 27*987
48-806
31-336
Die calorimetrische Analyse* ergab, dass der Energieinhalt, bezogen
auf frische Substanz bei den Futtermitteln und auf lufttrockene Substanz
bei Koth und Futterresten, per 1 8^ betrug:
» Pflüge r'8 ^rcÄfV Bd. LV. S. 9 ff.
' Für Interesseoten bemerke ich, dass gate yerbrennangsbomben und complette
Calorimeter vom Mechaniker J. Peters in Berlin NW., Tbarmstr. 4, zum Preise Ton
700 Mark, gute Pastillenpresscn vom Mechaniker M. W0I2 in Bonn, Beethoyenstr. 32,
znro Preise Ton 100 Mark bezogen werden können.
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Bbiteag zub Lehbe vom Stoffwechsel deb Wiedebkäüeb. 115
für Maisfiitterinehl . . 4*354 Gal.
„Heu 3.635
Koth 4.320
Futterreste. . . . 3-240
7J
Der Energieinhalt von 1«^ Harn betrug 0-06995 Cal
Die Futterausnützung berechnet sich wie folgt:
Tabelle IIL
Futterausnützung.
.92
«I.
ä
s
1.
MÄ
3 ; -S
g
t
Es warden in grm aufgenommen ans:
Maisschrot 350 <>
LnzenieheaeOO ,
304-45
500-24
7-80
42-71
296-65
457-53
44-25
84-12
4021
64-14
39-27 21-53 191-60
1099 160-22 202-20
7-08
13-46
153-26
224-41
Samma 1 804-69 50-51 754.18|128-37j 104-35 | 5026 181-75, 39380
Da?on ab die Futterröckstände, zu 15^^ Kochsalz-.
Pro die 2-85 «f™|| 2-76| l-Ol| 1-75| 0-37| 0-29 | 0-ll| 0-47| 0.80|
Es bleiben aufgenommen:
||816-93| 64.50J 752-43 |l28.00| 10406 \ 50-15|l81.28| 393.00|
Mit dem Eothe wurden aasgeschieden:
Lafttrocken 308.8 jJ293-84|39-94|253-90| — |(25-31)*| 9-59|l05-24J 101-07|
Es sind demnach verdant:
Absolut in grm '52309' 24-56 498-53 90-00' 78-75 40-56 76-04 291-93{
In Procenten | 640 38-1 66-3 70-3 1 75-8 80-9 420 74-3 |
20-54| 377-67
0-06{ 0-89
20-481 37678
6-08J 133-51
14-40 243-27
70-3 64-6
Im Hame fanden sich 17-088^ Kohlenstoff und 14-17»™ Stick-
stoff. Dem Körper standen also für die Respiration bezw. den Fettansatz
225-43»™ Kohlenstoff zur Disposition, weil ausser dem Harnkohlenstoff
noch 0-76»™ Kohlenstoff mit den angesetzten 0-23»'°^ Stickstoff in Form
ron Eiweiss u. s. w. dem Zersetzungsprocesse entzogen sind.
Im Harne fanden sich 25*91»™ kohlensaurefreie Reinasche. Als ver-
daut hatten wir gefunden 24-56»™ Mineralsubstanz; hinzu kamen noch
* Für je 100»™ ?erdaüte Trockensubstanz sind 0*4»™ Stickstoff Yom Kothstick-
itoff in Abzog gebracht; der Rest ist als Eiweissstickstoff angesehen und darnach die
Eiweissverdanung berechnet worden.
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116 0. Haoemakk:
1.25^™* Mineralsiibstanz mit dem Trankwasser, so dass 25-81 ^™ Mineral-
Substanz im Oanzen verdaut waren, nach Abzug der im Harne gefundenen
25*91 »f™ verbleiben noch — 0*10»'™ Mineralsubstanz angesetzt
Während des Stoflfwechselversuches wurden an 10 Tagen im Ganzen
42 Respirationsversuche angestellt. Die Analyse der Oase wurde stets
doppelt ausgeführt und der Mittelwerth der beiden Analysen zur weiteren
Berechnung verwendet
Es folgen die Daten der Uespirationsversuche:
Respirationsversuche vom 10. April 1897. Nr. I.
Lebendgewicht = 50*0 ^.
Versuch Nr. 1. Ruhe.
Das Thier hustet einmal und kaut auch einige Minuten wieder, im
Uebrigen ist es ruhig.
Stand des Gasmessers:
12 Uhr 48 Min. = 579.3 Liter,
12 „ 29 „ =497>5 „
19 Min. = 81*8 Liter, per 1 Min. = 4 • 305 Liter.
Reducu-t auf 0^ und 760™ Hg: 19 Min. = 76-769, per 1 Min. = 4.041 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
5*69 Procent 1 COj, 15-59 Procent 0^ — 5-24 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 244.95^^™ COj, Verbrauch von 225,58*^ Oj.
Resp.-Quotient = 1 • 086.
Per 1 Min. und 1 ^» Thier also: Production von 4.899^°» CO^,
Verbrauch „ 4.512 „ Og.
Versuch Nr. 2. Ruhe.
Das Thier kaut energisch wieder; theil weise ist es ruhig.
Stand des Gasmessers:
1 Uhr 27 Min. = 811 -4 Liter,
1 „ 14 „ =742-5 „
1 3 Min. = 68-9 Liter, per 1 Min. = 5 • 300 Liter.
Reducirt auf 0^ und 760™">Hg: 13 Min. = 65.587, per 1 Min. = 5 -045 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4-79 Procent CO2, 15-84 Procent 0,^ — 5-17 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 241-66 ^*'" COg, Verbrauch von 260*83 ^^ 0,.
Resp.-Quotient = 0*9265.
Per 1 Min. und 1 •'^ Thier also: Production von 4-833«»° CO.,,
Verbrauch „ 5*217 „ Oj.
» Die Analyse ergab 6-72 Proc. CO,; 0-03 Proc. CO, sind für den CO,-Gehalt
der atmosphärischen Luft in Abzug gebracht.
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Beitbag zub Lehre vom Stoffwechsel beb Wiedebkäüeb. 117
Versuch Nr. 3. Ruhe.
Das Thier zeigt etwas Unruhe; steht und legt sich abwechselnd.
Stand des Gasmessers:
2 Uhr 5 Min. = 4030.0 Liter,
1 „ 53 „ == 3972 »0 „
1 2 Min. = 58 • 0 Liter, per 1 Min. = 4.833 Liter.
Reducirt auf 0^ und 760 "" Hg: 12 Min. = 54-482, per 1 Min. = 4-540 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4-74 Procent COg, 15-74 Procent 0^ — 5-31 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production Ton 215-20"™ COj, Verbrauch von 241- 07 <^" Oj.
Resp.-Quotient = 0 • 893.
Per 1 Min. und 1 ^» Thier also: Production von 4*304"" CO,,
Verbrauch „ 4-821 „ 0^.
Respirationsversuche vom 13. April 1897. Nr. IL
Lebendgewicht = 50-7 K
Versuch 1. Ruhe.
Das Thier steht ruhig.
Stand des Gasmessers:
1 1 Uhr 49 Min. = 693 7 Liter,
^ 11 „ 33 ., =495-0 „_
16 Min. = 98-7 Liter, per 1 Min. = 6-169 Liter.
Reducirt auf 0^ und 760°*™ Hg: 16 Min. = 91-884, per 1 Min. = 5-743 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4-50 Procent COjj, 15-87 Procent O2 — 5-21 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 258- 44*^"" COg, Verbrauch von 299-21 °^ O3.
Respir.-Quotient = 0 - 864.
Per 1 Min. und 1 ^» Thier also: Production von 5-097 <>"" COg,
Verbrauch „ 5-901 „ Gg.
Versuch Nr. 2. Ruhe.
Das Thier liegt und steht abwechselnd; hustet sehr viel.
Stand des Gasmessers:
1 Uhr 47 Min. = 239-2 Liter,
1 „ 34 „ =146-4 „
13 Min. = 92-8 Liter, per 1 Min. = 7-138 Liter.
Reducirt auf 0^ und 760™" Hg: 13 Min. = 86-506, per 1 Min. = 6 -654 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
5-08 Procent CG,, 15.90 Procent G3 — 5-02 Procent. G-Def
Per 1 Min. also Production von 338-01 ^^°* CGj, Verbrauch von 334-02«'°» 0^.
Resp.-Quotient = 1 • Ol 2.
Per 1 Min. und 1 ^^ Thier also: Production von 6-667*'^°^ CG-
Verbrauch „ 6-588 „ Gg.
-^2»
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118 0. Hagemann:
Respirationsversuche vom 14. April 1897. Nr. III.
Lebendgewicht = 51 • 2 ^*
Versuch 1. Ruhe.
Das Thier steht ruhig; wird nur durch eine fremde Person beunruhigt.
Stand des Gasmessers:
12 Uhr 24 Min. = 910-5 Liter,
11 „ 58 „ =763.7 „
26 Min. = 146*8 Liter, per 1 Min. = 5-646 Liter.
Reducirt auf 0^ und 760°»™ Hg: 26 Min. = 135 • 785, per 1 Min. = 5-222 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4-88 Procent CO,, 15-73 Procent Oj — 5-29 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 254-84^^™ COg, Verbrauch von 276-25*'«« 0^,
Resp.-Quofient = 0-9225.
Per 1 Min. und 1 ^^ Thier also: Production von 4-977<'^ COg,
Verbrauch „ 5- 396 „ Og.
Versuch Nr. 2. Ruhe.
Das Thier steht ruhig.
Stand des Gasmessers:
1 Uhr 2 Min. = 7113-4 Liter,
12 „ 35 „ =6966.3 ,^
27 Min. = 147 - 1 Liter, per 1 Min. = 5 - 4f 8 Liter.
Reducirt auf 0® und 760 «"'"Hg: 27 Min. = 136-150, perlMin. = 5-042Liter.
Die Exspirationsgase enhielten:
5-33 Procent COg, 15-32 Procent O3 — 5-68 Procent 0-Def.
Per iMin. also Production von 268-74**^" CO,, Verbrauch von 286-39*'*^™ O,.
Resp.-Quotient = 0-938.
Per IMin. und 1 ^«^ Thier also. Production von 5-249<^^ CO,,
Verbrauch „ 5-594 „ O2.
Versuch Nr. 3. Ruhe.
Das Thier liegt und schläft theilweise.
Stand des Gasmessers:
1 Uhr 59 Min. = 391-2 Liter,
1 „ 26 „ =236-8 „
33 Min. = 154-4 Liter, per 1 Min. = 4-679 Liter.
Reducirt auf 0 ^ und 760 "»"^ Hg : 33 Min =143-1 04, per 1 Min. = 4-336 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4-56 Procent CO^, 16-09 Procent 0^ — 4-91 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 197 - 72 «^°» COg, Verbrauch von 212-90 *'^"» O,.
Resp.-Quotient = 0-929.
Per 1 Min. und 1 ^» Thier also: Production von 3-862^»™ CO^,
Verbrauch „ 4-158 „ Oj.
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BsiTBAa zuB Lehbe vom Stoffwechsel deb Wiedebkäueb. 119
RespirationsTersuche vom 15. April 1897. Nr. IV.
Lebendgewicht = 49-8 K
Versuch Nr. 1. Ruhe.
Das Thier zeigt etwas Unruhe; hustet mehrmals.
Stand des Gktömessers:
12 Uhr 10 Min. = 154-8 Liter,
11 „ 40 „ = 5-0 „
30 Min. = 149-8 Liter, per 1 Min. = 4 -993 Liter.
Reducirt auf 0^ und 760"™ Hg: 30 Min. = l4l .218, perl Min. = 4.707 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4.71 Procent COg, 15-48 Procent Og — 5-64 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 221 .70 "^ COg, Verbrauch von 265-48 <^^ 0^.
Resp.-Quotient = 0-835.
Per 1 Min. und 1 ^» Thier also: Production von 4-452°«°» COg,
Verbrauch „ 5-331 „ Og.
Versuch Nr. 2. Ruhe.
Das Thier liegt imd schläft fast beständig.
Stand des Gasmessers:
1 Uhr 20 Min. = 485 . 8 Liter,
12 „ 45 „ =338-6 „
35 Min. = 147 • 2 Liter, per 1 Min. = 4 • 206 Liter.
Reducirt auf 0 ® und 760°^ Hg: 35 Min. = 138 • 210, per 1 Min. = 3-949 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4-87 Procent COg, 14-82 Procent 0^ — 6-44 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 192- 32 <^«™ COg, Verbrauch von 254-32^*^°* Og.
Resp.-Quotient = 0 • 756.
Per 1 Min. und 1 ^^ Thier also: Production von 3-862^«» COg,
Verbrauch „ 5 107 „ O^.
Versuch Nr. 3. Ruhe.
Das Thier wie vorher, hustet jedoch zeitweise.
Stand des Gasmessers:
2 LTir 4 Min. = 675-9 Liter,
1 „ 31 „ -538-5 „
33 Min. = 137-4 Liter, per 1 Min. = 4-163 Liter.
Reducirt auf 0 ^ und 760 °»~ Hg: 33 Min. = 129 . 787, per 1 Min. = 3-933 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
5.16 Procent CO2, 15.06 Procent Og — 6.05 Procent O-Def.
Per 1 Min. also Production von 202-94«=«"» COg, Verbrauch von 237-95*^^°^ Og.
Resp.-Quotient « 0-853.
Production V(
Verbrauch „ 4-778 „ 0^.
Per 1 Min. und 1^» Thier also: Production von 4.075*^^ COg
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120 0. HAGElfANN:
Respirationsversuche vom 17. April 1897. Nr. V.
Lebendgewicht = 49-8^.
Versuch Nr. 1. Ruhe.
Das Thier liegt und wiederkäut; später schläft es.
Stand des Gasmessers:
1 2 Uhr 0 Min. = 61 .S . 4 Liter,
11 „ 33 ,. «477.3 ,,
27 Min. = 136-1 Liter, per 1 Min. = 5 • 041 Liter.
Reducirt auf 0*^ und 760'°'^ Hg: 27 Min. = 128-823, per 1 Min. = 4.771 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4-84 Procent CO3, 15- 69 Procent 0, — Ö-35 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 230- 92 <«^»" COg, Verbrauch von 255-25*^ O3.
Resp.-Quotient = 0«90ö.
Per IMin. und 1 "^«f Thier also: Production von 4*637 <*» COj,
Verbrauch „ 5 •125,, Og.
Versuch Nr. 2. Ruhe.
Das Thier schläft meist, steht gegen Schluss der Probe auf und
hustet viel.
Stand des Gasmessers:
12 Uhr 35 Min. «784-5 Liter,
12 „ 6 „ =640-8 „
29 Min. = 143. 7 Liter, per 1 Min. = 5*093 Liter.
Reducirt auf 0 ^ und 760 ™ Hg: 29 Min. = 136 • 086, per 1 Min. = 4-689 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4.83 Procent CO^, 16.44 Procent 0, — 4-40 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 25i6-48 *^«™ CÖg, Verbrauch von 206-31 ««" Oj.
Resp.-Quotient = 1 • 098.
Per 1 Min. und 1 ^» Thief also: Production von 4-548<^ CO^,
Verbrauch „ 4*143 „ 0^.
Versuch Nr. 3. Ruhe.
Wie bei Versuch Nr. 2.
Stand des Gasmessers:
1 Uhr 25 Min. = 10017*2 Liter,
12 „ 54 „ = 9877-6 „
31 Min. = 139-6 Liter, per 1 Min. = 4 - 503 Liter.
Reducirt auf 0*^ und 760 "°» Hg: 31 Min. = 132 - I6O, per 1 Min. = 4-263 Liter.
Die Exspirationsgase enthalten:
5-14 Procent CO3, 15-31 Procent Og — 5.75Prooent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 219- 12 ^'^^ CO2, Verbrauch von 245-13 ""^ Oy
Resp.-Quotient = 0-894.
Per 1 Min. und 1^« Thier also: Production von 4-400°*^ COj,
Verbrauch „ 4-922 „ 0^.
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BEITBAGh ZUB LeHBB VOM StOFFW£CH8£L DER WiEDEBKAUBB. 121
Versuch Nr. 4. Wiederkäuen.
Das Thier liegt und wiederkäut.
Stand des Gasmessers:
1 Uhr 59 Min. = 183« 7 Liter,
1 31 = 45»2
28 Min. = 138 . 5 Liter, per 1 Min. = 4 • 948 Liter.
Reducirtauf 0^und760""Hg: 28 Min. = 131 117, perl Min. = 4-683 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
5.08 Procent COj, 15-80 Procent 0^ — 5-15 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production Ton 237 • 90 ^^ CO,, Verbrauch von 241-17 <'«° 0^.
Resp.-Quotient = 0.986.
Per 1 Min. und 1 ^» Thier also: Production von 4-777°°™ CO,,
Verbrauch „ 4*843 „ O,.
Versuch 6. Ruhe.
Das Thier liegt theils und schläft, theils wiederkäut es, zwischendurch
vereinzelt Husten.
Stand des Gasmessers:
2 Uhr 39 Min. = 384-4 Liter,
2 „ lOMin. = 246-5 „
29 Min. = 137 -9 Liter, per 1 Min. = 4-755 Liter.
Reducirtauf 0® und760""Hg: 29 Min. = 130.312, perl Min. = 4*493 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
5-37 Procent CO^, 16.13 Procent 0^ — 4.65 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 241 • 27 °°°» COg, Verbrauch von 208 • 92 °°" Oj.
Resp.-Quotient =1-155.
Per 1 Min. und 1 ^» Thier also: Production von 4-845°^ COj,
Verbrauch „ 4-195 „ O2.
Respirationsversuche vom 19. April 1897. Nr. VI.
Lebendgewicht = 49-6 ^«,
Versuch Nr. 1. Ruhe.
Das Thier liegt und wiederkäut während einer Hälfte des Versuches,
während der anderen steht es.
Stand des Gasmessers:
11 UTir 51 Min. = 198-7 Liter,
11 „ 21 „ = 53-0 „
30 Min. = 145 ,7 Liter, per 1 Min. = 4.856 Liter.
Redncirtauf 0®und760™«Hg: 30 Min. = 136-972, perlMin. = 4.566 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4*78 Procent COg, 15-35 Procent Og — 5-80 Procent O-Def.
Per 1 Min. also Production von 218.26°«° COg, Verbrauch von 264-83°°™ Oj.
Resp.-Quotient = 0-824.
: Production ^
Verbrauch „ 5.339 „ O^.
Per 1 Min. und 1 ^ Thier also: Production von 4-400°°" COg,
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122 0. Haoemann:
Yersuch Nr. 2. Ruhe.
Das Thier schläft Anfangs 14 Minuten lang, darnach steht es auf und
bleibt stehend.
Stand des Gasmessers:
1 Uhr 49 Min. = 727-0 Liter,
1 „ 14 „ =587»6 „
35 Min. = 139 • 4 Liter, per 1 Min. = 3-983 Liter.
Reducirt auf 0 ® und 760 °»°^ Hg: 35 Min. = 130 • 932, per 1 Min. = 3-741 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
5-79 Procent COg, 14-37 Procent Og — 6-76 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 216 - 60 <^°» COg, Yerbrauch von 262 • 90 ^ Oj.
Resp.-Quotient = 0*8565.
Per 1 Min. und 1 ^ Thier also: Production von 4-367«*°» COg,
Verbrauch „ 6-099 „ Oj.
Respirationsversuche vom 20. April 1897. Nr. VIL
Lebendgewicht = 49 . 8 ^.
Versuch Nr. 1. Ruhe.
Das Thier legt sich und schläft bald. 1 Minute vor Schluss der Probe
steht es auf und hustet.
Stand des Gasmessers:
1 Uhr 47 Min. = 633 -4 Liter,
1 „ 13 „ =487»8 „
34 Min. = 145-6 Liter, per 1 Min. = 4-282 Liter.
Reducirt auf 0 ^ und 760 "" Hg: 34 Min. = 134 - 350, per 1 Min. = 3-951 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
5-47 Procent COg, 14-92 Procent Og — 6.15 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 216 - 12 «'"" CO., Verbrauch von 242 • 99 «^ 0^.
Respir .-Quotient = Ö-889.
Per 1 Min. und 1^«? Thier also: Production von 4-340*'«" CÖj,
Verbrauch „ 4-879 „ Og.
Versuch Nr. 2. Ruhe.
Das Thier steht Anfangs nicht ganz ruhig; später legt es sich und
wiederkäut; hustet öfters.
Stand des Gasmessers:
2 Uhr 27 Min. = 808-0 Liter,
1 » 54 „ _=^664^8 „ _
33 Min. = 143 . 2 Liter, per 1 Min. = 4-339 Liter.
Reducirt auf 0*^ und 760°^°» Hg: 33 Min. = 132-271, perl Min. = 4 -008 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
5-31 Procent COg, 14-57 Procent O3 — 6-64 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 212-82«^°» CO^, Verbrauch von 266-14*^ 0,.
Resp.-Quotient = 0 - 800.
Per 1 Min. und 1^» Thier also: Production von 4-274««" COj,
Verbrauch „ 5-344 „ O-.
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BEiTRAa zuB Lehre vom Stoffwechsel deb WiedebkIüeb. 123
Versuch Nr. 3. Ruhe.
Das Thier verhält sich erst 12 Min. lang wie bei Versuch Nr. 2, dann
schläft es.
Stand des Gasmessers:
6 Uhr 16 Min. = 856-8 Liter,
6 „ 42 „ =714.4 „
34 Min. = 142 . 4 Liter, per 1 Min. == 4- 188 Liter.
Redudrt auf 0^ und 760™" Hg: 34 Min. =» 132*808, per 1 Min. = 3.906 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
5.15 Procent COj, 14-72 Procent Og — 6-49 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 201 • 16 <^^" COj, Verbrauch von 253-50 ^*^ O^.
Resp.-Quotient = 0«7935.
Per 1 Min. und 1^« Thier also: Production von 4-039<^"» COj,
Verbrauch „ 5-090 „ Oj.
Versuch Nr. 4. Fressen.
Das Thier erhält 6 Uhr 25 Min. seine Abendmahlzeit; es frisst erst
energisch, später langsamer. 6 Uhr 50 Min. säuft es einen halben Liter
Wasser. 6 Uhr 59 Min. Schluss des Fressens.
Stand des Oasmessers:
7 Uhr 0Min. = 4151-1 Liter,
6 „ 24 „ =3910-0 „
36^Min. = 24i7l Liter, per 1 Min. = 6 • 697 Liter.
Reducirtauf 0^und760""Hg: 36 Min. = 223-565, perl Min. = 6- 210 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4-86 Procent CO^, 16-23 Procent O^ — 5-92 Procent 0-Def.
Per IMin. also Production von 301-80^°' COg, Verbrauch von 367-63*^^ Og.
Resp.-Quotient = 0-821.
Per 1 Min. und 1»* Thier also: Production von 6-060^°» CO^,
Verbrauch „ 7-382 „ 0,.
Versuch Nr. 5. Ruhe.
Das Thier verhält sich ganz ruhig.
Stand des Oasmessers:
7 Uhr 33 Min. = 324-5 Liter,
7 „ 7 „ =188-4 „
26 Min. = 136-1 Liter, per 1 Min. = 5 . 234 Liter.
Reducirtauf 0^ und 760""». Hg: 26 Min. = 126-803, per 1 Min. = 4-838 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4-64 Procent CO2, 15-49 Procent Oj — 5-65 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 224-49 ^™ COg, Verbrauch von 273-35^«"» Oj.
Resp.-Quotient = 0-820.
Per 1 Min. und 1^» Thier also: Production von 4-500^^ CO,
Verbrauch „ 5-489 „ O2.
-^2»
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124 0. Haoemann:
Respirationsversuche vom 22. April 1897. Nr. VIII.
Lebendgewicht = 50 • 3 **.
Versuch Nr. 1. Ruhe.
Das Thier hustet hie und da; liegt meistens
Stand des Gasmessers:
4 Uhr 1 1 Min. = 690 . 2 Liter,
3 „ 40 „ = 559-5 „
31 Min. = 130. 7 Liter, per 1 Min. = 4« 216 Liter.
Reducirtauf 0« und 760"»°» Hg: 31 Min. = 122«369, perlMin. = 3.947Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4-69 Procent CO,, 15-89 Procent O3 — 6-13 Procent O-Def.
Per 1 Min. also Production von 185- 11 *^^"» CO2, Verbrauch von 202-48 ^ Oj.
Resp.-Quotient = 0.914.
Per 1 Min. und 1^» Thier also: Production von 3 •680*'"° COg,
Verbrauch „ 4-026 „ O^.
Versuch Nr. 2. Ruhe.
Das Thier liegt zuerst und schläft; gegen Schluss der Probe steht es
auf und hustet viel.
Stand des Gasmessers:
4 Uhr 50 Min. = 867-6 Liter,
4 „ 21 Min. = 730-2 „ _^
29 Min. = 137-4 Liter, per 1 Min. = 4 . 738 Liter.
Reducirtauf 0^ und 760"»™ Hg: 29 Min. = 128-817, per 1 Min. = 4-442 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4-68 Procent COj, 16-14 Procent Og — 4-82 Procent O-Def.
Per 1 Min. also Production von 207-89 °°"» COg, Verbrauch von 214. 10 "^ Oj.
Resp.-Quotient = 0.971.
Per 1 Min. und 1^» Thier also: Production von 4-133*^°™ COj,
Verbrauch „ 4-257 „ Og
Versuch Nr. 3. Ruhe.
Das Thier liegt zuerst und wiederkäut, dann steht es auf und hustet
einige Male.
Stand des Gasmessers:
5 Uhr 35 Min. = 5104 - 6 Liter,
5 „ 8 „ =4963-1 „
27 Min. = 141 -5 Liter, perl Min. = 5 -241 Liter.
Reducirt auf 0^ und 760"»™ Hg: 27 Min. = 132 -095, per lMin.= 4.892Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4-50 Procent COg, 15-28 Procent Og — 5-96 Procent O-Def.
Per 1 Min. also Production von 220 • 14 <^ CO,, Verbrauch von 291 • 57 «" 0^
Resp.-Quotient = 0 • 755.
Per IMin. und 1 ^^ Thier also: Production von 4-376 <«^"» CO,,
Verbrauch „ 5-797 „ Oj.
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Beitbag züb Lehbe vom Stoffwechsel der Wiedeekäübb. 125
Versuch Nr. 4. Wiederkäuen.
Das Thier liegt und wiederkäut.
Stand des Gasmessers:
6 Uhr 27 Min. = 366 • 0 Liter,
6 „ 0 „ =226.9 „
27 Min. = 139 • 1 Liter, per 1 Min. = 5 • 152 Liter.
ßeducirt auf 0^ und 760"°* Hg: 27 Min. = 129- 920, per 1 Min.=4.812 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4-54 Procent COg, 15-58 Procent 0^ — 5-57 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 218-47 ^«^ CO2, Verbrauch von 268-04<»°» 0,.
Resp.-Quotient = 0.815.
Per 1 Min. und 1 >^«f Thier also: Production von 4 • 343 <^*«* CO,,
Verbrauch „ 5-329 „ Og.
Versuch Nr. 5. Fressen.
Das Thier frisst sein Abendfutter.
Stand des Gasmessers:
7 Uhr 15 Min. = 644-4 Liter,
6 „ 39 „ =422.2 „
36 Min. = 222.2Liter,perlMin.=6-172Liter.
Reducirt auf 0^ und 760 °*°* Hg: 36 Min. = 207 • 298, per 1 Min. = 4-758 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4.74 Procent CO5, 16-86 Procent Og — 3-89 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 272-93^^"» COg, Verbrauch von 223 - 98 <^«° Og.
Resp.-Quotient = 1-2185.
Per 1 Min. und 1 ^sr Thier also: Production von 5-426*^^" CO«
Verbrauch „ 4-453 „ 0,
^2
2-
Versuch Nr. 6. Fressen.
Das Thier frisst weiter, aber weniger energisch und hustet Öfters.
Stand des Gasmessers:
8 Uhr 3 Min. = 943-4 Liter,
7 „ 27 „ =712-6 „
36 Min. = 230-8 Liter, per 1 Min. = 6-411 Liter.
Reducirt auf 0® und 760™"» Hg: 36 Min. = 215.639, per 1 Min. = 5* 990 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4-68 Procent COg, 16-53 Procent 0^ — 4-33 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 280.34«^^™ CO^, Verbrauch von 259.37^^02-
Resp.-Quotient = 1 - 081.
Per 1 Min. und 1 ^^ Thier also: Production von 5-573^*^™ CO2,
Verbrauch „ 5-157 „ Og.
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126 0. Hagemann:
Versuch Nr. 7. Ruhe.
Das Thier liegt und schläft, steht 6 Minuten vor Schluss der Probe auf
und hustet einige Male.
Stand des Gasmessers:
9 Uhr 11 Min. = 295-4 Liter,
_S_ „ 43 „ =154.8 „
28 Min. = 140 -6 Liter, per 1 Min. = 5-021 Liter.
Reducirt auf O^' und 760 «»" Hg: 28 Min = 131 • 419, per 1 Min. = 4- 693 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
5-54 Procent COg, 15-34 Procent O3 — 5 «61 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 260-00'^^"' Cb.^, Verbrauch von 263-27 *^^ 0,.
Resp.-Quotient = 0-9875.
Per 1 Min. und 1 »'^ Thier also: Production von 5 •169*^^003.
Verbrauch „ 5-234 „ 0^
Respirationsversuche vom 23. April 1897. Nr. IX.
Lebendgewicht =50.3 ^«.
Versuch Nr. 1. Ruhe.
Das Thier steht ruhig und hustet gelegentlich.
Stand des Gasmessers:
11 Uhr 6Min. = 852.1 Liter,
10 „ 44 „ =714.3 ^^
22 Min. = 137-8 Liter, per 1 Min. = 6-263 Liter.
Reducirt auf 0® und 760 "°^ Hg: 22 Min. = 129 - 910, per 1 Min. = 5-859 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4.97 Procent COj, 15-96 Procent 0., — 4-97 Procent O-Def.
Per 1 Min. also Production von 291 - 20 *^^°* COg, Verbrauch von 291 .20 <^^ Oj.
Resp.-Quotient = 1 - 000.
Per 1 Min. und 1 ^*? Thier also: Production von 5-789 ^^^'^ CO.,.
Verbrauch „ 5-789 „ 0^'
Versuch Nr. 2. Ruhe.
Das Thier liegt ruhig und schläft meist.
Stand des Gasmessers:
12 Uhr 2 Min. = 7124-1 Liter,
11 „ 32 „ =6986-7 „
3ÖMin. = 137-4 Liter, per 1 Min. = 4-546 Liter.
Reducirt auf 0^ und 760 ""» Hg: 30 Min. = 129 - 709, per 1 Min. = 4-472 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
5-02 Procent CO,, 16-11 Procent 0, — 4-77 Procent O-Def.
Per 1 Min. also Production von 224-49^«™ COg, Verbrauch von 213-32 «^«™0,.
Resp.-Quotient = 1-052.
Per 1 Min. und 1 ^? Thier also: Production von 4-463*^00,
Verbrauch „ 4-241 „ 0^.
-^2»
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Beitbag zub Lehee vom Stoffwechsel der Wiedebkadbb. 127
Versuch Nr. 3. Wiederkäuen.
Das Thier liegt und wiederkäut.
Stand des Gasmessers:
12 Uhr 54 Min. = 391 • 2 Liter,
12 „ 28 „ =254.1 „
26 Min. = 137 . iLiter, per 1 Min. = 5 • 273 Liter.
Reducirt auf 0^ und 760™" Hg: 26Min.= 129-14l, per 1 Min.=3 4. 967 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
5-34 Procent COg, 16- 10 Procent 0^ — 4-72 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 265.24«^°» CO^, Verbrauch von 234-44^^^02.
Resp.-Quotient = 1 • 131.
Per 1 Min. und 1 ^^ Thier also: Production von 5-273 «^COg.
Verbrauch „ 4*661 „ 0^,
Versuch Nr. 4. Ruhe. •
Das Thier liegt; grösstentheils wiederkäuend, theils schlafend.
Stand des Gasmessers:
5 Uhr 4 Min. = 971-3 Liter,
1 » ^^ » =830>4 „
32 Min. = 140 • 9 Liter, per 1 Min. = 4-403 Liter.
Beducirt auf 0^ und 760 ™"» Hg: 32 Min. = 132 • 265, per 1 Min. = 4-133 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
5.18 Procent CO^, 15-65 Procent Og — 5-31 Procent 0-Def.
Per IMin. also Production von 214-09 <^<^°» COg, Verbrauch von 219-46 <^^°» Og.
Resp.-Quotient = 0 • 9755.
Per 1 Min. und 1^» Thier also: Production von 4.256*^<^°» COg,
Verbrauch „ 4-363 „ Og.
Versuch Nr. 5. Wiederkäuen.
Das Thier liegt und wiederkäut.
Stand des Gasmessers:
5 Uhr 48 Min. = 194-0 Liter,
5 „ 19 „ = 51.4 „
29 Min. = 142 . 6'Liter, per 1 Min.= 4 . 917 Liter.
Reducirt auf 0^ und 760 °»°» Hg: 29 Min. = 133 . 638, per 1 Min. = 4-608 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
5-43 Procent CO3, 15-64 Procent 0^ — 5-25 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 250 . 21 '^*^'" COj, Verbrauch von 241 - 92 ^°°» 0^.
Resp.-Quotient = 1-034.
Per IMin. und 1 ^» Thier also: Production von 4-974<'<^™ COg,
Verbrauch „ 4-810 „ O3.
Versuch Nr. 6. Pressen.
Das Thier frisst sein Abendfutter.
Stand des Gasmessers:
6 Uhr 46 Min. = 572-1 Liter,
6 „ 15 Min. = 344.8 „
31 Min. = 227.3 Liter, per 1 Min. = 7 . 332 Liter.
Reducirt auf 0^ und 760°»°^ Hg: 31 Min. = 212-763, per 1 Min. = 6.869 Liter.
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128 0. Hagemann:
Die Exspirationsgase enthielten:
5 -04 Procent CO2, 15-53 Procent O3 — 5-60 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 346-20^^™ COj, Verbrauch von 377-80«^ Oj.
Resp.-Quotient =0-916.
Per 1 Min. und 1 ^^^ Thier also: Production von 6.883^^" COg,
Verbrauch „ 7-511 „ Og.
Respirationsversuche vom 24. April 1897. Nr. X.
Lebendgewicht = 50*5 ^^.
Versuch Nr. 1. Ruhe.
Das Thier liegt zuerst und wiederkäut, dann schläft es, zum Schlus8
steht es auf und hustet.
Stand des Gasmessers:
7 Uhr 51 Min. = 906-2 Liter,
7 ,. 23 „ =769.0 „
28 Min. = 137-2 Liter, per 1 Min. = 4-900 Liter.
Reducirt auf 0^ und 760"^"^ Hg: 28 Min. = 129-191, per 1 Min. = 4- 6 14 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4-27 Procent COg, 15.84 Procent O2 — 5-31 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 197-02 *^ CO^, Verbrauch von 245*00 ^^ Oj.
Resp.-Quotient = 0 • 804.
Per 1 Min. und 1 ^« Thier also: Production von 3-901«^ CO.,
Verbrauch „ 4,852 „ 0,.'
Versuch Nr. 2. Fressen.
Das Thier hat sein Futter erhalten und frisst; theilweise hustet es dabei.
Stand des Gasmessers:
8 Uhr 28 Min. = 9158-5 Liter,
7 „ 58 „ =8944.4 „
30 Min. = 214 1 Liter' per 1 Min. = 7-136 Liter.
Reducirt auf 0^ und 760 °»"^ Hg: 30 Min. = 201 - 295, per 1 Min. = 6-710 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
4-56 Procent COg, 15-26 Procent 0^ — 5-96 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 305-97 <^™ CO,, Verbrauch von 399-92 ^«'" Oj.
Resp.-Quotient = 0-765.
Per 1 Min. und 1 ^J? Thier also: Production von 6-059«^ CO^,
Verbrauch „ 7-919 „ Oj.
Versuch Nr. 3. Ruhe.
Das Thier hat sich gelegt und liegt sehr ruhig.
Stand des Gasmessers:
8 Uhr 58 Min. = 326-2 Liter,
_8^,_3^ „ =194-2 „
24 Min = 132 - 0 Liter, per 1 Min.=6 • 500 Liter.
Reducirt auf 0*^ und 760 "«» Hg: 24 Min. = 124-029, per 1 Min. = 5-168 Liter.
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Bbitbao zue Lehbe vom Stoffwechsel der WiedeekIuer. 129
Die Exspirationsgase enthielten:
4-81 Procent COg, 15.84 Procent O^ — 5- 16 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 248 • 58 <''^™ COg, Verbrauch von 266 . 67 **''™ O2.
Resp.-Quotient = 0 • 932.
Per 1 Min. und 1 ^» Thier also: Production von 4.922 <'<'™ COg,
Verbrauch „ 5.281 „ Og.
Versuch Nr. 4. Ruhe.
Das Thier liegt theils, theils steht es.
Stand des Gasmessers:
10 Uhr 31 Min. == 766 . 9 Liter,
10 „ 3 „ =622.6 „
28 Min. = 144. 3 Liter, per 1 Min. = 6. 153 Liter.
Reducirt auf 0^ und 760 ™™ Hg: 28 Min. « 135 • 332, per 1 Min. = 4-833 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
5-26 Procent COg, 15-02 Procent O, — 6-09 Procent 0-Def.
Per l.Min. also Production von 254«22<'«™CO.^, Verbrauch von 294 • 33 «^«'"^ Og.
Resp.-Quotient = 0-864.
Production
Verbrauch „ 5-828 „ 0,
Per 1 Min. und 1 ^«f Thier also: Production von 5.034*^«^" CO2,
^2'
Versuch Nr. 5. Wiederkäuen.
Das Thier liegt und steht abwechselnd, dabei wiederkäut es.
Stand des Gasmessers:
11 Uhr 17 Min. = 988 .0 Liter,
10 „ 48 „ =_848.4 „
29 Min. ==T39 - 6~Liter, per 1 Min. = 4-814 Liter.
Reducirt auf 0® und 760 ™™ Hg: 29 Min. = 130 • 640, per 1 Min. = 4-505 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
5-60 Procent COg, 14-79 Procent 0^ — 6-28 Procent 0-Def.
Per 1 Min. also Production von 252.28 «^^^»^ COg, Verbrauch von 282.91 ^^™ Og.
Resp.-Quotient = 0-892.
Production
Verbrauch „ 5-602 „ O,
Per 1 Min. und 1 >^» Thier also: Production von 4-996 ^«"> COg,
Versuch Nr. 6. Schlafen.
Das Thier schläft beständig.
Stand des Gasmessers:
12 Uhr 19 Min. = 238 -2 Liter,
11 „ 41 „ = 97-2 „
38 Min. = 141 -OLiter, perl Min. = 3* 710 Liter.
Reducirt auf 0^ und 760 "" Hg: 38 Min. = 131 - 509, per 1 Min. = 3-461 Liter.
Die Exspirationsgase enthielten:
5-60 Procent CO^, 14.91 Procent O3 - 6-13 Procent 0-Def.
Per IMin. also Production von 193-82 «^'^ COg, Verbrauch von 212-16^^^02.
Resp.-Quotient = 0-9135.
Per 1 Min. und 1 ^^ Thier also: Production von 3.838 ^^^COg,
Verbrauch „ 4-201 „ O..
Archiv f. A. u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. Suppl. ö
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130
0. Hagemann:
Die Versuche sind je nach der Art der Thätigkeit des Thieres bezeichnet
mit: Ruhe, Wiederkäuen, Fressen und Schlafen. Dabei ist zu bemerken,
dass der Schlafversuch wirklich ein reiner Schlaf versuch ist, in dem das
Thier nichts that, sondern ruhig schlafend dagelegen hat. Bei den Ruhe-
versuchen hat es öfters auch wiedergekäut, öfters auch hat es sich gelegt
und theilweise geschlafen; ebenso hat es bei den Fressversuchen stellenweise
mit dem Fressen ausgesetzt, ruhig eine Zeit lang dagestanden und dann
wieder weiter gefressen.
Die mit „Wiederkäuen" bezeichneten Versuche sind solche, in denen
das Thier fortwährend wiedergekäut hat
Um zunächst die sämmtlichen 31 Ruheversuche zusammen zu stellen,
wollen wir dieselben in drei Categorieen bringen, nämlich in „Nüchtem-
werthe", d. h. solche vor der Nahrungsaufnahme, in „Verdauungswerthe",
d. h. solche bis zu 2-5 Stunden nach der Nahrungsaufnahme, und in „Durch-
schnittsruhewerthe".
Das Thier erhielt sein Morgenfutter früh um 8 Uhr, sein Abendfutter
Abends 7 Uhr; es lassen sich also die Versuche aus der Tageszeit hier sehr
leicht tabelliren.
Tabelle IV.
Nüchtemwerthe, berechnet auf 1 ^^ Thier und 1 Minute.
Mittel (6) 4-781
Nummer
des
Versuches
0,.
Aufnahme
rem
CO,.
Production
ccra
Respirat-
Quotient
Seit Beend.
der letzten
Mahlzeit
sind ver-
strichen
Slunde.i
Bemerkungen
VII. 3.
5-090
4-039
0-793
9-0
Thier ist ruhig, schläft theil-
weise.
VIII. 1.
4-026
3-680
0-914
7-0
Thier ist ruhig, liegt meist
., 2.
4-257
4-133
0-971
7-5
Thier ist ruhig» schläft
etwas.
M 3.
5-797
4-376
0-755
8-0
Thier liegt meist, wieder-
käut.
IX. 4.
4-363
4-256
0-975
7-8
Thier liegt meist, wieder-
käut, theils schläft es.
X. 1.
4-852
3-901
0-804
11-5
Thier liegt meist, wieder-
käut, theils schläft es.
4-064
0-869
8-5
Digitized by
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Beitrag zur Lehbe vom Stoffwechsel der Wiederkäuer. 131
Tabelle V.
Verdauungswerthe, berechnet auf 1 ^«f Thier und 1 Minute.
Seit Beend.
Nummer
0,-
CO,-
Respirat-
der letzten
Mahlzeit
des
Aufnahme
Production
Qaotient
siod ver-
Benijcrkungen
Versuches
strichen
ccm
«cm
Ftanden
U. 1.
5-901
5-097
0-864
2-5
Thier steht ruhig.
V. 1.
5-125
4-637
0-905
2-5
Thier schläft od. wiederkäut.
VL 1.
5*339
4-400
0-824
2-5
desgl.
VIL 5.
5-489
4-500
0-820
0-5
Thier ist sehr ruhig.
VIII. 7.
5-234
5-169
0-987
1-0
desgl., schläft theilweise.
IX. I.
5-789
5-789
1-000
2-0
Thier steht ruhig.
„ 2.
4-241
4-463
1-052
2-5
Thier liegt, schläft theilw.
X- 8.
5-281
4-922
0-932
0 5
Thier liegt ganz ruhig.
H 4.
5-828
5-084
0-864
2-0
Thier liegt theils, theils
steht es.
Mittel (9)
5-859
4-890
0-917
1-8
Tabelle VI.
Dorchscbnittswerthe, berechnet aof 1 ^' Thier und 1 Minute.
Seit Beend.
Nummer
Or
CO,.
Respirat.-
der letzten
Mahlzeit
des
Aufnahme
Production
Quotient
sind ver-
Bemerkungen
Versuches
strichen
ocni
eero
standen
I. 1.
4-512
4-899
1-086
3-5
Thier ist im Wesentl. ruhig.
„2.
5-217
4-833
0-926
4-0
Thier kaut theilweise wieder.
„ 3.
4-821
4-304
0-892
5-0
Thier ist etwas unruhig.
U. 2.
6-588
6-667
1-012
4-5
Thier ist unruhig.
III. 1.
5-396
4-977
0-922
3-0
Thier ist meist ruhig.
H 2.
5-594
5-249
0-938
3.5
desgl.
., 3.
4-158
3-862
0-929
4-5
Thier liegt u. schläft theilw.
IV. 1.
5-331
4-452
0-835
3-0
Thier ist etwas unruhig.
,. 2.
5-107
3-862
0-756
4-0
Thier liegt u. schläft meist.
» 8.
4-778
4-075
0-853
4-5
desgl.
V 2.
4-143
4-548
1-098
3-0
Thier liegt theils. theils
steht es.
„ 8.
4-922
4-400
0-894
4-0
desgl.
« 5.
4-195
4-845
1-155
5-0
desgl., tlieils wiederkäut es.
VI. 2.
5-099
4-367
0-856
4-5
Thier liegt theils, theils
steht es.
VIL 1.
4-879
4-340
0-889
4-0
Thier schläft meist
« 2.
5-344
4-274
0-800
5-0
Thier ist etwas unruhig.
afittel(16)
5-005
4-622
0-928
4-1
Digitized by
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132
0. Haoemann:
Legen wir den SanerstofFverbraach als Maassstab för den erfolgten
Energieamsatz an^ dann sehen wir, dass derselbe bei den Nüchtemwerthen
erheblich unter dem der Dorohsclmittsruhewerthe nnd dieser wieder erheb-
lich unter dem derVerdauungswerthe liegt; dabei findet sich in den Nüchtem-
werthen ausserdem noch ein beträchtlich niedrigerer respiratorischer Quotient,
so dass der Sauerstoff auch einen niedrigeren calorischen Werth hat wie in
den Durchschnitts- und Yerdauungsversuchen.
Die Gegenüberstellung des Zeitverlaufes und des Sauerstoffverbrauches
giebt folgende Daten:
Differenzen
Zeit 0,-Aiifiiahme
4.4 Std. 0-274«^
2.3 „ 0-354 „
Gegenüber dem (als Yergleichsgrösse zu kleinen) Sauerstoffverbrauch im
Nüchtemznstande ist der Sauerstoffverbrauch während der ersten zwei
Stunden nach der Nahrungsaufnahme um 13*3 Procent erhöht , der im
Durchschnittsrubezustande, 4*4 Stunden nach Schluss der Mahlzeit, noch
um 5-8 Procent. Die Durchschnittsruhe und die Zeit gleich nach der
Mahlzeit, wo es sich also nur um eine Zeitdifferenz von 2*3 Stunden handelt,
zeigen im Sauerstoffverbrauch doch eine Differenz von 7*1 Procent
Ein Beweis dafür, ein wie energischer Stoffiimsatz für die Yerdauungs-
arbeit bei den Hammeln statt hat
Fünf Versuche wurden angestellt, in denen das Thier fortwährend
wiederkäute; dieselben folgen hier in derselben Weise wie die früheren
tabellirt
Seit der Mahlzeit
0,-Aa&ahme
Nüchtern . . ,
. 8-3 Std.
4.781 ccm
Durchschnittsruhe
. 4.1 „
5. 006 „
Verdauung . . .
. 1.8 „
5.359 „
Tabelle VII.
Wiederkänwerthe, berechnet auf 1^ Thier und 1 Minute.
Nummer
des
Versnches
0.-
Aufnahme
com
CO,.
Production
ocin
Respirat.-
Quotient
Seit Beend.
der letzten
Mahlzeit
sind rer-
strichen
standen
Bemerkungen
V. 4.
VlII. 4.
IX. 3.
,. 5.
X. 5.
4-848
5-329
4-661
4-810
5-602
4-777
4-348
5-287
4-974
4-996
0-986
0-815
1-181
1-084
0-892
5-0
9-0
8-5
8-5
2-0
Thier liegt
Thier liegt (nüchtern).
Thier liegt
Thier liegt (nüchtern).
Thier liegt thoib, ibeils
steht es.
Mittel (5)
5-049
4-865
0-972
5-6
Digitized by
Google
Beitbag zub Lehbe vom Stoffwechsel deb WiederkIueb. 133
Bei diesen Yersacben ist der Sauerstoffverbrauch ungefähr gleich dem
in den Dorchschnittsruheversuchen; eigentlich hätte er beträchtlich höher
sein müssen. Es ist nnschwer, die Momente zu erkennen, welche ihn hier
etwas herantergedrückt haben. Zunächst liegt das Tbier hier, mit Ausnahme
des emen Versuches X. 5, stets und dann sind zwei Versuche dabei, welche
als yeritable Nüchtemyersuche zu gelten haben.
Würde das Thier theils gelegen und theils gestanden haben, dann hätte
man sicher einen höheren Werth gefunden.
Der eine Versuch X. 6 zeichnet sich dadurch aus, dass das Thier wäh-
lend des ganzen Versuches ruhig liegt und beständig schläft. Der Umsatz
?on 4-201 «°> Oa und 3-838^ COj per 1 ^« und Min. ist nicht der aller-
niedrigste beobachtete, aber doch fast der niedrigste. Die 6 Versuche, welche
einen niedrigeren oder annähernd nur ebenso hohen Verbrauch zeigen, sind
theils Nnchtemwerthe, theils lag und schlief das Thier in ihnen auch.
Die letzten Categorieen von Versuchen sind die Fressversuche; bei ihnen
nahm das Thier wechselnde Mengen seines Futters auf.
Die Einzelyersuche folgen hier tabellirt:
Tabelle Vm.
Fressversuche, berechnet auf 1 ^«^ Thier und 1 Minute.
Nommer
0..
CO,-
Bespirat.-
Daaer des
des
Vereaches
Aufnahme
oem
Production
com
Quotient
Versnches
Minaten
Bemerkungen
VIL 4.
7-882
6-060
0-821
86
Thier frisst 100»^ Mais-
Bchrot lul 80»™* Lnzemehen.
VUI. 5.
4-458
5-157
5-426
5-578
1-218
1-081
86
86
.Thier frisst 170»™ Mai8-\
} Bchrot und 250»™ Lu-
' zernebeu. /
DL 6.
7-511
6-888
0-916
81
Thier frisst 120»™ Mais-
schrot U.1 60»™ Luzernehen.
X. 2.
7-919
6-059
0-765
80
Thier frisst 120»™ Mais-
schrot n.l 60»™Luzemeheu.
Mittel (8)
7-604
6-884
0-884
Der Versuch Nr. VIII 5 hat einen so niedrigen Sauerstoflfverbrauch und
einen so abnormen respiratorischen Quotienten, dass der Gedanke an einen
Analysenfehler nicht von der Hand zu weisen und dieser Versuch aus-
znschliessen ist; leider fallt damit aber auch der Versuch Nr. VIII. 6 fort,
weil das verzelirte Futter nicht für jeden Versuch bestimmt wurde, sondern
nur fär beide zusammen und weil das Thier im Versuch Nr. VIII. 6 sehr
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134
0. H AOBMANN :
viel weniger energischer frass wie vorher, so dass man auch nicht aus dem
Zeitablauf auf die genommene Futtermenge schliessen darf.
Diese beiden Versuche sind daher nicht zur Mittel bildung verwandt
worden.
Subtrahirt man von dem Sauerstoflfverbrauche hier jedesmal den mitt-
leren Sauerstoffverbrauch der Durohschnittsruhewerthe mit 5- 005^°", dann
erhält man per 1 ^« Thier und 1 Minute den Sauerstoffverbrauch, welcher
auf die Fressarbeit u. s. w. zu rechnen ist; dieser Sauerstoff?erbrauch ist
leicht auf das ganze Thier und die ganze zum Fressen verwandte Zeit zu redu-
ciren, so dass man mithin den Verbrauch für ein bestimmtes Quantum der
Futtermischung erhalt. Leider sind keine getrennten Versuche gemacht,
so dass entweder nur Heu oder nur Maisschrot verfüttert wurde, jedoch
sollen diese noch nachgeholt werden. Damals konnte mit dem betr. Ver-
suchshammel nicht weiter gearbeitet werden, weil derselbe in Folge Heraus-
gleitens der Canüle und spontaner Zusammenschnürung der Trachea erstickte.
Die auf die vorstehend beschriebene Weise berechneten Daten folgen hier.
Tabelle IX.
Resultate der Fressversuche auf Fressarbeit berechnet
Nummer
Dauer des
Versuches
Mlnaten
Lebend-
gewicht
des Thieres
kg
Oj-Verbrauch nach Abzug Aufgenommeoes
des Ruhcwerthes Futter
des
Versuches
per 1 ^* Thier
und 1 Mio.
com
für das ganze Maisfutter-
Futterquantum mehl
Luzerne-
heu
gna
VII. 4.
IX. 6.
X. 2.
86
81
80
49-8
50-3
50-5
2-877
2-506
2-914
4-26 100
8-91 120
4-41 120
180
160
160
Mittel (3)
32
50-2
2-599
4-20 118
167
Unter der allerdings willkürlichen Annahme, dass die Kauarbeit bei
der Aufnahme des Luzerneheus etwa dreimal so gross ist, wie bei der des
Maisschrotes, kann man den Sauerstoffverbrauch für das ganze tägliche
Futterquantum aus diesen Daten berechnen; der Hammel nahm das 3- Ifache
an Maisfuttermehl und das 3-6 fache an Luzemeheu auf, wir haben
demgemäss den Sauerstoffverbrauch von 4*20 Liter mit dem Factor
^ '^ = 3-5 zu multipliciren; wir erhalten dann 14-7 Liter Sauer-
stoff für das Fressen der Tagesration.
Um nun den Sauerstoffverbrauch für das Thier und den Tag zu be-
rechnen, müssen wir den Tag in die verschiedenen Perioden, deren Sauer-
stoffverbrauch bestimmt worden ist, eintheilen.
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Beitrag zur Lehre vom Stoffwechsel der Wiederkäuer. 135
ZuDächst ist für das Pressen des 'Futters nicht nur die 3-5fache
Sauerstof&nenge, sondern auch die 3-5facheZeit in Anrechnung zu bringen,
während welcher der mittlere Ruheumsatz statt hat; das sind 32 . 3*5 = 111
Minuten. Ferner haben wir 2 Mal 2 Stunden täglich mit dem als „Ver-
dauungswerth" berechneten Ruhewerthe zu rechnen, also 240 Minuten mit
5.359 <=<^™ O2 per kg Thier; dann haben wir 2 Mal 3 Stunden täglich mit
den „Nüchtern werthen** von 4.731*'*^"^ per kg Thier zu rechnen und den
Rest des Tagas als theilweise dem Durchschnittswerthe, theil weise dem
Wiederkäuwerthe und theilweise dem Schlafwerthe entsprechend zu vertheilen.
Für das Wiederkäuen sind nach den von mir gemachten Beobach-
tungen an diesem Hammel etwa 6 Stunden täglich anzusetzen, von denen
aber sicher 4 in die Durchschnittsruhewerthzeit entfallen, so dass nur 2
extra zu berechnen sind; auf die Schlafenszeit werden etwa 7 Stunden zu
rechnen sein; so dass der ganze Tag sich in folgender Weise vertheilt dar-
stellen würde.
111 Minuten Fresszeit ä 5.005°^'" Og = 0.5556 Liter O2
240 „
intensive Verdauungszeit,, 5.359 „ „ =1-2862
)} w
360 „
Nüchternwerthszeit „4-731 „ „ =1-7032
}f „
120 „
Wiederkäuzeit „ 5.049 „ „ =0-6059
W )f
420 „
Schlafenszeit „ 4.201 „ „ =1-7644
yy 99
189 „
Durchschuittsruhezeit „ 6-005 „ „ =0-9459
v yy
1440 Minuten
6.8612 Liter 0^
Da das mittlere Lebendgewicht des Thieres 50-33^^ betrug, so finden
wir als Tagessauerstoffverbrauch 345*3 Liter; hieran die vorher berechneten
14-7 Liter O2 für die Futteraufnahme, ergeben sich im Ganzen 360 Liter
Sauerstoffaufnahme.
Wie verhält sich nun die Kohlensäure- und somit die Kohlenstoffaus-
scheidung dieses Hammels?
Wenn man die respiratorischen Quotienten der Einzelversuche ansieht,
dann .findet man mitunter heftige Schwankungen bei zeitlich dicht hinter
einander liegenden Versuchen; man kann sich nicht der Ansicht verschliessen,
dass beim Wiederkäuer Unregelmässigkeiten in der Kohlensäurebildung
nnd -Ausscheidung vorliegen, welche bei den anderen Säugethieren (Mensch,
Pferd, Hund) bei weitem nicht in dem Maasse wie hier statt haben. Diese
Unregelmässigkeiten müssen auf die Gährungsprocesse zurückgeführt werden,
welche ja nach den Untersuchungen des Henneberg'schen Instituts in
Göttingen 1 bei den Hammeln einen sehr grossen Umfang erreichen.
^ Henneberg and Pfeiffer, Ucber den Einflass eines einseitig gesteigerten
Zusatzes von Eiweissstoffen zum Beharrangsfutter aaf den (iesammtstoffwechsel des
aasgewachsenen Thieres. Journal für Landtoirthschaft. Bd. XXXVlll.
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136
0. Hagemann:
Ich entnehme dem citirten Werke (S. 267 u. 263) folgende Daten,
welche zeigen, eine wie grosse Menge Sumpfgas von den Hammeln gebildet
und ausgeschieden wurde.
Tabelle X.
Kohlensäureausscheidung in Beziehung zur Sumpfgasausscheidung.
Gewicht
Verdaute
organische
Substanz
frm
Fütterung.
Koblensäureausscheidung j
Kohlenstoff-
ausscheidung
beider
Versuchs-
hammel
kg
Neben 400»"- Ger- AusRespi-und
stenschrotu.ieOO'^ Perspiration
Wiesenheu erhielten i Rü'psen und
beide Hammel: Darmgasen
frm
Aus ver-
branntem
Sumpfgas
herrührend
Krm 1
1 Als
Total Sumpf,
gas
gnn ' grm
90-1
93-5
96-8
97-0
97-3
1258
1865
1260
1119
1006
280 »"» Conglutin
420 ., desgl.
304 ., entfettetes
Fleischmebl
152 „ desgL
1541-6
1631-4
1580-4
1462-8
1352-0
114-41
86-98
112-14
118-21
144-61
451-6
468-6
461-6
481-2
408-1
31-2
23-7
30-6
32-2
39-4
Mittel
444-2
31-4
Es sind also 7 • 8 Procent des gesammten ausgeschiedenen Kohlenstoffs
in Form von Sumpfgas ausgeschieden worden. Die Sumpfgasbildung ist
aber auf die Vergährung von Kohlehydraten zu beziehen und diese dürfte
nicht gleichmässig intensiv verlaufen. Die Rohfaservergährung geht vielleicht
annähernd gleichmässig vor sich, die Stärkevergährung dürfte aber mit der
Nahrungsaufnahme schwanken. Es entstehen nun aber nach Tappeiner's
Untersuchungen bei der Kohlehydratvergährung auf 3 • 525 ^™ Sumpfgas-
kohlenstoff noch 9-136^^ Kohlensäurekohlenstoff, so dass also in der
Totalkohlenstoffausscheidung jener Hammel von 444-2*^™ enthalten sind:
3 1 . 4 grin Sumpfgaskohlenstoff , 97 - 5 *^^ Gährungskohlensäurekohlenstoff
und 315-3'^™ Stoffwechselkohlensäurekohlenstoff; die durch Gährung ge-
bildete Kohlensäure steht also zu der übrigen Kohlensaure im Verhältniss
von 97-5:315-3; sie macht demnach 30-9 Procent derselben aus. Wegen
ihrer Versuchsanordnung geben Henneberg und Pfeiffer selber an, dass
ihre Zahlen für Sumpfgas wahrscheinlich zu klein sind; femer ist der
Fütterung meines Hammels etwa die der letzten Periode am nächsten li^ende^
so dass der hier zur Berechnung herangezogene Mittelwerth aller Perioden
wahrscheinlich eine zu kleine Sumpfgasmenge gegenüber der meines Ham-
mels angiebt
Es ist also das R^ultat^ dass 31 Procent der Kohlensäureausscheidung
auf Gährungskohlensäure entfallen, eher zu klein als zu gross.
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Bbitbag zub Lbhbe vom Stoffwechsel dee Wiedebkäijeb. 137
Während nun schon die Bildung dieser Kohlensäure nicht ganz regel-
mässig vor sich geht, thut es die Ausscheidung erst recht nicht. Der
Hammel rülpst vielfach, wobei beträchtliche Mengen Gas entleert werden,
wie der Geruch beweist; dann wird bei jeder Rejection eines Bissens zwecks
Wiederkauens eine gewisse Menge Gas entleert. Für • die Gährungs-
kohlensäureausscheidung haben wir also den regelmässig functionirenden
Weg durch das Blut und den wechselnden des directen Ausstossens aus
dem Magen.
Es lässt sich also nichts Sicheres über die Kohlenstoff-
bilanz aus meinen Versuchen herleiten; es ist nothwendig, dass
dieselben mit dem Pettenkofer'schen Apparate combinirt werden,
um die Haut- und Darmausscheidung einerseits für sich und die
Gesammtkohlenstoffausscheidung andererseits auch für sich zu
erhalten.
Wenn ich mit der experimentell gefundenen Kohlensäuremenge rechne,
dann erhalte ich die folgenden Daten für den Tagesumsatz per 1 ^^ Thier:
300 Minuten ä 4-622 <'<^°> CO^ = 1-3866 Liter CO,
240 „
„ 4.890 „
»
= 1-1736 „ „
360 „
„ 4-064 „
jj
= 1.4630 „ „
120 „
„ 4.865 „
ff
= 0-5838 „ „
420 „
„ 3.838 „
ff
= 1-6120 „ „
1440 Minuten
6-2190 Liter CO,
Das sind bei 50-33 ^« Lebendgewicht 313 -0 Liter COg; hierzu kommen
noch für die Futteraufnahme etwa 13-6 Liter, so dass wir im Ganzen
haben 326-6 Liter 00^ mit 175-2 ^ Kohlenstoff. Rechne ich für Sumpf-
gaskohlenstoff 7-3 Procent mit 12-8 ^™* hinzu, so resultiren als durch die
Respiration (wahrscheinlich) nachgewiesen 188 «^ Kohlenstoff.
Aus der Kohlenstoff bilanz S. 115 war als für Fettansatz bezw. Respi-
rationszwecke disponibel eine Kohlenstoffmenge von 225*43 ^^ täglich be-
rechnet worden. Die fehlenden 225 • 43 — 1 88 = 37 • 43 *f™^ Kohlenstoff sind
aber wohl nicht vollständig als Fettkohlenstoff zu bezeichnen, sondern zum
Theil durch „Rülpsen" u. s. w. verloren worden.
Möglicher Weise könnte der ganze fehlende Kohlenstoff auf diese
Weise verloren gegangen sein, denn da, wie vorher berechnet, 31 Procent
der ganzen gebildeten Kohlensäure Gährungskohlensäure sind, so ent-
Men auf 188«^™ Kohlenstoffausscheidung 58*3 «^ Gährungskohlensäure-
kohlenstoff.
Femer scheiden reichlich ernährte Hammel wirklich so viel Kohlenstoff
im Respirationsapparate aus, wie hier die chemisch-analytische Stoffwechsel-
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138 0. Haobmann:
bilanz als für Respirationszwecke dispoDibel nachweist Dafür sprechen die
citirten Untersuchungen von Henneberg und Pfeiffer (Kern und
Watte nberg), wo einer der beiden Versuchshammel im Gre wicht von
etwa 47 •5'*» 222»^™" KohleustoflF ausschied, und die Untersuchungen von
Moritz rieisoher,* in denen ein 34-2 ^^ schwerer Hammel bei einer
Fütterung mit 200»^ Gerstenschrot und 700»^ Heu im Pettenkofer'-
schen Respiratiousapparate täglich 185- 05 »^^^ Kohlenstoff abgab. Reducire
ich diese Kohlenstoffausscheidungen auf das Gewicht meines Hammels,* dann
erhalte ich 231 bezw. 222 ^™, also ebenso viel wie die chemische Analyse
als zu Respirationszwecken disponiblen Kohlenstoff ergeben hat
Es ist nun zu erwägen, ob der fehlende Kohlenstoff als Fett angesetzt
oder ob er auf dem geschilderten Wege durch Rülpsen u. s. w. entfernt
wurde. Darüber giebt die Sauerstoffbestimmung im Verein mit
der calorimetrischen Energiebestimmung im Futter, Harn und
Koth den nöthigen Aufschluss.
Die Energiebilanz stellt sich wie folgt:
Aufgenommen: 350 »^^ Meisschrot ä 4-354 Cal. = 1524 Cal.
600 „ Luzemeheuä 3-635 „ =2181 „
SaT^ 3705 Cal.
Ab Futterreste: 2-85 *^ ä 3-240 Cal. = 9 „
Sind aufgenommen: 8696 Cal.
Davon ab: In 308-3 »^^ lufttr. Koth ä 4-320 Cal. = 1332 „
Sind verdaut: 2364 Cal.
Der Energiewerth von 2087 »^» Harn ä 0 - 06995 Cal. = 1 46 „
Bleiben im Körper: 2218 Cal.
Angesetzt waren 1.44 »f™* Eiweiss mit einem
Energieinhalt von 1-44. 5-711 Cal. = 8 „
So dass für Fettansatz und Respirationsbedürf-
nisse zur Verfügung standen: 2210 Cal.
Bei dem Hammel kommen wesentlich als verbrennende Nährstoffe in
Betracht: Eiweiss, Fett, Kohlehydrate und Rohfaser bezw. deren Gährungs-
producte.
^ Journal Sür Landtcirthschaft, 1874. S. 276.
3 3
* Nach der Formel yo^ : Vg'^ = C.c\ d.h. die KohleostofTansscheidang geht der
dritten Wurzel aas dem Quadrate des Körpergewichtes, nicht dem Körpergewichte
parallel.
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BEITfiAG ZUB LbHBE VOM STOFFWECHSEL BEB WiEDBRKÄÜEB. 139
Es lässt sich berechnen, wie viel Energie bei der Oxydation dieser
Ferechiedenen Materialien auf ein Liter verbrauchten Sauerstoffes kommt ^
Es entstehen per 1 Liter O3 bei Oxydation von Eiweiss 4-691 Cal.
V j' V 1 ti »> V » 77 Fett 4 '686 „
,7 1 ^7 ,» M „ „ Stärke 5-046 „
., 77 1 » 7> 77 » 7) Rohfaser 5-085 „
Der Versuchshammel verbrauchte, wie oben berechnet ist, 360 Liter
Sauerstoflf und setzte dadurch 2210 Cal. Energie in Wärme um; per 1 Liter
Sauerstoff ergäbe sich also eine Energieentwickelung von 6-139 Cal., was
eine baare Unmöglichkeit ist.
Laut Verdauungsbilanz verdaute das Thier:
77-31 »™ Reinproteln (1-44 ^^ angesetztes Eiweiss sind abgezogen),
40.56 „ Fett,
291.93 „ N-fireien Extractivstoff,
76.04 „ Rohfaser.
Angenommen, dies sei Alles oxydirt worden.
Es brauchen dann 77 - 31 »™ Reinprotein 80-16 Liter Og entspr. 376-1 Cal.
40-56 „ Fett
81.90 „
>>
»
383.8
W
291-93 „ Stärke
241.94 „
»
77
1221.0
77
76-04 „ Rohfaser
52-16 „
77
»
265. 2
W
Summa: 456 . 16 Liter Og entspr. 2246 - 1 Cal.
Es entspricht also je 1 Liter verbrauchten Sauerstoffs 4.924 Cal. Die
berechneten 360 Liter Sauerstoff also 1773 Cal., so dass für 2210 - 1773 =
487 Cal. entsprechenden Nährstoff keine Sauerstoffaufnahme stattgefunden
hat; dieser Nährstoff beträgt als Fett berechnet 46-2 «™ Fett und enthält
35.4 gnn Kohlenstoff, das heisst fast genau die durch die Respiration nicht
nachgewiesenen 37*4»™*.
Das Thier hat also aus seiner Ration täglich 1*44 ^°» Eiweiss
und 46-2»™ Fett angesetzt.^
^ Die einschlägigen Berechonngen v<^l. bei Znntz n. Hagemann, Landtrirthsch,
Jahrbücher. Bd. XXVII. Erganzangsband III. Cap. IV. B.
* Eine mögliebe Erklärung für das Kohlenstoffdeficit ist auch darin gegeben,
dass die Etespirationscannle nicbt immer geseblossen hat, so dass die Athemgrösse
öfters zu klein bestimmt wurde. Dann hat das Thier kein Fett angesetzt; die übrigen
SchlossfolgeruDgen würden aber hierdorcii nur unwesentlich tangirt. Weitere Unter-
suchungen werden hierüber Klarheit schaffen.
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140 0. H agbmann: Bbitbäo züb Lehbb vom Stoffwechsel u. 8. w.
Die Resultate dieser Untersuchung sind also die folgenden:
1. Es lässt sich der Stoffwechsel des Hammels unter Zu-
hülfenahme der calorimetrischen Untersuchung sowie der
Eohlenstoffbestimmung in Futter, Koth und Harn durch die
Bestimmung des Sauerstoffverbrauches und der Kohlensäure-
ausscheidung sehr genau studiren.
2. Durch die Verdauungsarbeit in Folge der Verfütterung
von 350^°* Maisfuttermehl und 600 «^ Luzerneheu wird der
Energieumsatz um rund 5'5 Procent gegenüber dem Nüchtern-
werthe gesteigert.
3. Um die Gährungsprocesse qualitativ und quantitativ
beim Hammel zu studiren, ist die Verwendung eines ßespi-
rationsapparates, welcher die gesammte Kohlensäure
und anderen Gase zu messen bezw. zu analysiren gestattet,
nothwendig.
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Ergographische Versuche ül)er die Nährstoffe als
Kraftspender für ermüdete Muskeln.
Von
Prof. Dr. Johannes Frentzel
In BtrUn.
Der grössere Theil der nachfolgenden Arbeit wurde un thierphysiolo-
gisehen Institut der Königlichen landwirthschaftlichen Hochschule, ein
kleinerer im Laboratorium der Kaiser- Wilhelm-Akademie ausgeführt. Herr
Oeneralarzt Dr. Orasnick hatte die grosse Liebenswürdigkeit, mir die Be-
nutzung des in der Kaiser-Wilhelm-Akademie vorbaudenen Mosso'schen
Ergograpben zu gestatten, bis der für mich bestimmte Apparat aus Turin
eintraf.
Die Einrichtung des Ergograpben, welcher im Jahre 1890 von
A Mosso- Turin construirt wurde, um „beim Menschen die Ermüdung der
Muskeln und Nervencentren zu studiren'^, ist kurz die folgende.^
Der rechte oder linke Unterarm wird in einem eisernen Halter durch
Terstellbare kräftige Schienen zweimal, am distalen und proximalen Ende
fiiirt, so dass jede Bewegung ausgeschlossen ist, ohne dass die normale
Blutcircnlation gehindert Wird; der zweite und vierte Finger stecken vollständig
in gleichfalls verstellbaren Metallhülsen, so dass nur eine Beugung des Mittel-
fingers möglich ist lieber das mittlere Glied dieses Fingers wird eine
Lederschleife gezogen, die am Ende einer Darmsaite befestigt ist, deren
anderes Ende, über eine Rolle laufend, ein Gewicht trägt In gleichen Inter-
vallen wird nun der Mittelfinger gebeugt und gleich wieder gestreckt Die
auf diese Weise sich ergebenden Hubhöhen werden nach Mosso's Anordnung
durch einen Schreibapparat, der mittels eines in die Darmsaite eingeschal-
' Auaffthrliche BefMshreibaDgen des Ergographen finden sich a. A. in der Litteratur:
A. M088O, üeber die Gesetze der Eroifidung; Untersuchungen an Muskeln des Men-
sdien. Diei Archiv, 1890. Physiol. Abthlg. S.89. — H eh uuihurg, Deutsche militär-
inÜiehe ZeiUchrift 1896.
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142 Johannes Fbbntzel:
teten Schlittens bewegt wird, auf ein berusstes Papier aulgezeidinet und
unter Zuhülfenahme von Zirkel und Metermaass ausgemessen und daDn
addirt. Die Gesammtarbeitsleistung ist dann das Product aus der Summe
der Hubhöhen und dem gehobenen Gewicht; bei unverändertem Gewicht
genügt zum Vergleich die Angabe der Hubhöhen.
Mit dem Ergographen sind von Mosso selbst,^ seinen Schülern
(A. Maggiora)^ und von einer Reihe anderer Forscher ausführliche Unter-
suchungen über die Ermüdung und Wiederbelebung der Muskeln unter ge-
wissen Einflüssen angestellt worden. Ich will hier nur an die Versuche
von Zoth' über die Wirkung des orchitischen Extraktes, von Frey* über
die Wirkung des Alkohols, von Benedicenti* über die Wirkung von
Kaffee, Thee, Mate, Quarana und Coca erinnern.
Von den Nährstoffgruppen sind bisher nur die Kohlehydrate, und von
diesen speciell der Zucker nach dieser Richtung untersucht worden. Mit
der Einwirkung des Zuckers auf die Muskelermüdung bezw. Belebung
haben sich u. A. Ugolino Mosso,** Vaughan Harley,^ Lange-
meijer,® Schumburg,** Prantner und Stowasser^^ eingehend beschäf-
tigt. Während die zuerst genannten Forscher sich im Wesentlichen des
Ergographen bei ihren Versuchen bedienten, haben Prantner und Sto-
wasser es für angezeigt gehalten, die Muskelarbeit durch Stemmübungen
mit schweren Hanteln auszuführen, eine Methodik, welche schon Zoth'
bei der Prüfung der Wirkung des orchitischen Extractes angewandt hatte.
U. Mosso stellte die Versuche an sich selbst an, indem er mit gleich-
massigen Pausen am Ergographen bis zur Erschlaffung Gontractionen in
regelmässigen Zwischenräumen ausführte; er fand, dass die Arbeitsleistung
> A. a. O.
' Mag^iora, Ueber die Gesetze der Ennüdang. Dies Archiv. 1890. PbjaioL
Abthlg. S. 191.
*Zoth, Zwei ergographische Versuchsreihen über die Wirkung orchitischeo
Extractes. Pf lüger ' s -4rcÄ»o. 1896. S. 335.
• Frey, Ueber den Einflass des Alkohols auf die Mnskelermüdang. Mätkeüunge»
aus den Hin. u. med. Instituten der Schweiz. 4. Reibe. Heft 7.
• Benedicenti, Archives italiennes de Biologie, Vol. XXV. p. 385.
• U. Mosso e W. Paoletti, Sur Tinflaence du sucre sur le travail des mnscles.
Ebenda. Vol. XXI. p. 293.
^ Harley, Tbe value of sugar and the effect of smoking on muscular work.
Journal of Physiology. 1894. Vol. XV. p. 97.
• Langemeijer, Ovcr den Invioed van Suikcrgebruik op den Spierarbeid. Äca-
demisch Proefschrift. Amsterdam 1895.
• A. a. O. und Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie, 1899.
Bd. IL Heft 3.
^<* Prantner und Stowasser, Ueber den Einfluss dee Zuckers auf die Muikel-
ermfldung. Centralblatt für innere Medicin, 1899. Nr. 7.
Digitized by LjOOQIC
Ergogbaphisohb Versuche ü. s. w. 143
in geringerem Maasse abnahm in den Versuchen, bei denen er seinem Körper
Zacker zuführte and vindlcirt, hierauf fussend, dem Zucker eine belebende
Wirkung. Langemeijer und Schumburg machen wohl mit Recht da-
rauf aufmerksam, dass Mosso als Versuchsansteller und Versuchsperson
gleichzeitig doch wohl zu leicht Autosuggestionen ausgesetzt war. Beide
Forscher bemühten sich daher bei der Nachprüfung der Mosso 'sehen Ver-
suche durch ihre Methodik dem Einwand des Einflusses der Suggestion
möglichst zu begegnen. Langemeijer suchte dies dadurch zu erreichen,
dass er an einer anderen Person experimentirte, ein Brett zwischen Apparat
und Versuchsperson aufstellte, mit grosser Peinlichkeit dafür Sorge trug,
dass die Contractionen gleichmässig ausgeführt wurden u. A. m., und ge-
langte auf Grund seiner Befunde zu dem Schluss, dass ein Einfluss des
Zockers, wie ihn Mosso behauptet, auf die Ermüdung der Muskeln nicht
stattfindet Auch Schumburg, der unter ähnlichen Cautelen arbeitete,
konnte zunächst nicht die Mosso 'sehen Resultate bestätigen. Es liess sich
nun, wie Schumburg fortfahrt, denken, dass die an sich unbedeutende
Leistung des Musculus flexor digiti tertii (ß^^) bei einer Arbeitsperiode so
wenig von dem im Blut kreisenden Traubenzuckervorrath verbraucht, dass
es ganz ohne Belang ist, ob vom Darmcanal noch mehr Zucker eingeführt
wird. Damit dieser zugeführte Zucker zur Verwendung als Muskelnahrungs-
mittel gelangen könne, will Schumburg den im Blutkreislauf befindlichen
Traubenzucker und das im Muskel aufgespeicherte Glycogen vorher durch
forcirte Leistungen aufbrauchen. Als zu dem Ende die Versuchsperson am
Gärtnerischen Ergostaten und bei späteren Versuchen am Zuntz'schen
Brems-Ergometer^ eine recht erhebliche Arbeit ausgeführt hatte, gelang es
Schumburg, auch seinerseits die Wirkung des Zuckers im Sinne Mosso 's
nachzuweisen, und er kommt zu dem Schluss, dass SO«^ Zucker nach
Verlauf von V2 ^^s ^/^ Stunden den Körper wieder zu neuen Kraftleistungen
befähigen.
Prantner und Stowasser konnten diese Ergebnisse durch ihreHantel-
versuche, welche Ergograph- und Ergometer- Arbeit gewissermaassen vereinigen,
durchaus bestätigen.
Mit Eiweiss und Fett, den beiden anderen Nährstoffgruppen, sind
bisher derartige Versuche nicht angestellt worden; ich will im Folgenden
meine diesbezüglichen Untersuchungen besprechen.
In der Methodik befolgte ich das von Schumburg im Laboratorium des
Hm. Prof. Znntz seinerzeit ausgebildete und als zweckmässig erkannte Ver-
fahren. Ich stellte die Versuche an Personen an, die von dem Versuchsplane
nichts wuasten, unter möglichster Ausschliessung aller psychischen Momente.
^ Beschreibnng dieses Apparates: Dies Archiv, 1899. Pbysiol. Abthlg. S. 872.
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144 Johannes Fbentzel:
Da das Ausmessen, Addiren u. s. w. der auf dem berussten Papier
verzeichneten Hubhöhen sehr umständlich und zeitraubend ist^ bediente ich
mich, nach Schumburg's Vorgang, eines Lombard'schen Hubmessers;
über drei im Dreieck angeordnete Bollen läuft ein Bandmaass ohne Ende;
dieses wird von dem Schlitten des Ergographen, welcher in die das Gewicht
tragende Darmsaite des Mittelfingers eingeschaltet ist, in Folge einer sinn-
reichen Construction mitgenonunen und verharrt beim Strecken des Fingers
und Zurückgehen des Schlittens in der neuen Stellung; auf diese Weise kann
man direct am Bandmaasse die Summe der geleisteten Hubhöhen ablesen.
Bei den ersten Versuchen mit dem Ergographen fand ich eine Schwierig-
keit darin, dass die dem Apparat mitgegebene Lederschleife für den Mittel-
finger, besonders wenn derselbe warm wird, hin und herrutscht, und die
Versuchsperson den Zug mit den verschiedensten Stellen des Fingers aus-
führt, was natürlich die Genauigkeit der Resultate beeinfiusst Ich bin
diesem XJebelstande dadurch begegnet, dass ich für jede neue in den Ver-
such kommende Person vom Schlosser einen dem obersten Theile des
Mittelgliedes ihres Fingers genau angepassten Metallring anfertigen liess, der
mit einer Oese an der Darmsaite befestigt wurde; dieser Bing schloss gut,
ohne zu drücken, und die Zuckungen wurden nun stets mit derselben Stelle
des Fingers geleistet Meine Versuchspersonen genossen 3 bis 4 Standen vor
Beginn des Versuches ein nicht zu reichliches Frühstück, so dass man an-
nehmen konnte, dass der Magen am Beginn des eigentlichen Versuches
entleert war.
Der eigentliche Versuch war dann in der Weise angeordnet, dass der
Mann zunächst in den Ergographen ordnungsgemäss eingespannt wurde und
in regelmässigen Intervallen (30 Mal in der Minute synchron mit den
Schlägen des Metronoms) Beugungen des mit 2 bis 4 Kilo — je nach der
Leistungsfähigkeit der Versuchspersonen — beschwerten Mittelgliedes des
dritten Fingers bis zur vollständigen Unfähigkeit zu einer weiteren Con-
traction ausführte. In der Zeit zwischen den einzelnen Contractionen , in
welcher der Finger wieder gestreckt wurde, war die Darmsaite schlaflF, das
Gewicht ruhte dann auf dem Schlitten des Ergographen und der Finger
waren vorübergehend entlastet. Die Summe der Hubhöhen in Centimetem
wurde notirt und genau 3 Minuten, während welcher Zeit der Arm aus
dem Ergographen entfernt wurde, bis zum Beginn der nächsten Reihe ge-
wartet. Die Anzahl solcher Perioden vor der Arbeit richtete sich danach,
ob die einzelnen Summen der Hubhöhen im Wesentlichen mit einander
übereinstimmten oder mehr oder weniger erhebliche Schwankungen zeigten.
Dann folgte die Arbeit an dem Zuntz' sehen Brems-Ergometer;^ dieselbe
» A. a. o.
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EBOOGRAPHI80HE YbRSUCHS U. B. W. 145
wurde mit zwei gleichmässigen Pansen von je 5 Minuten hinter einander
dorchgefohrt; wie aus den anliegenden Tabellen eraiohtlich, betrug dieselbe
21600^ oder 31200 Eilogramnuneter. Entweder vor Beginn der Arbeit , in
einer der Pausen oder nach Schluss der Arbeit erhielt der Mann 200 ^^'"^
Wasser allein oder mit dem auf seine Wirksamkeit zu untersuchenden
Mittel (Eiweisspräparat, Zucker u. s. w.). Da Schumburg 30^^ Zucker
als eine zur Erzielung einer erheblichen Wirkung geeignete Dosis erkannt
hat, habe ich unter Berücksichtigung der chemischen Analyse von den
Eiweisspraparaten u. s. w. die 30 «^ Zucker calorisch äquivalenten Mengen
verabreicht, mit Ausnahme von Dulcin, Natrium bicarbonicum und in einigen
anderen Fällen, bei welchen die Grabe in den Tabellen ausdrücklich notirt
ist Gleich nach Schluss der Arbeit wurde wieder am Ergographen die
Leistung des Beugemuskels des Mittelfingers festgestellt und, mit Pausen
zwischen den einzelnen Leistungen von genau 3 Minuten, 8, 10 und mehr
solche Versuche ausgeführt, um den Effect des an dem Tage genommenen
Nährstoffes u. s. w. auf die Belebung des ermüdeten Muskels ermitteln
zu können.
Die Versuchsprotocolle sind in den anliegenden Tabellen niedergelegt.
Versuch 1 bis 4 in Tabelle I bestätigt auch an mwner Versuchsperson
das von Schumburg gefundene Besultat, dass Zucker belebend auf den
ermüdeten Muskel wirkt, während eine gleich süss schmeckende, durch
Dulcin gesüsste Wassermenge nicht im Stande ist, einen derartigen Effect
hervorzurufen. Aber schon der erste Versuch mit Eiweiss (Nr. 5 der
Tabelle I) zeigte das mir zunächst auffallende Resultat, dass Eiweiss nicht
nur in derselben Zeit, wie Zucker, belebend auf den ermüdeten Muskel
wirkt) sondern dass diese belebende Wirkung beim Eiweiss quantitativ die
des Zuckers um ein Beträchtliches übertrifft In demselben Sinne sprechen
Versuch 6 bis 9 in Tabelle I, Versuch 4 bis 6 der Tabelle III, verglichen
mit Versuch 3 derselben Tabelle und eine ganze Anzahl Versuche der
weiteren Tabellen.^
Die Versuchsperson war nicht an jedem Tage gleich disponirt; wir
finden, um ein Beispiel herauszugreifen, in Tabelle I, Spalte 2, Schwankungen
^ In dem Referat des von mir in der physiologischen GeseUschaft seiner Zeit
gehaltenen Vortrages ist ein durchgehender Fehler; statt 18 000 ^^^ moss es stets
21600'^»" heissen.
' Die Versuche mit Eiweiss u. s. w. sind noch an einer Beihe anderer Versuchs-
personen aosgeführt worden, und stets mit dem gleichen Besnltate ; in Tabelle V gebe
ich noch ein solches Protocoll; diese anderen Yersnohspersonen konnten aber aus ver-
schiedenen Gründen nicht Wochen lang beschäftigt werden und habe ich deshalb die
anderen, sich jedes Mal nur auf wenige Versuche beziehenden ProtocoUe hier nicht
zum Abdruck gebracht
Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. Suppl. 10
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146 Johannes Fbentzel:
von 169 bis 302; dies illustrirt die Nothwendigkeit der Feststellung von
Vorperioden vor der Arbeit an jedem Versuchstage; wir können also ohne
Weiteres immer nur Vor- und Nachperioden desselben Tages mit einander
vergleichen, um zu sehen, ob eine Wirkung stattfand oder nicht Wollen
wir aber den Effect desselben Mittels an verschiedenen Tagen, oder zweier
verschiedener Mittel mit einander vergleichen, so wird die Uebersicht er-
leichtert, wenn man, wie das schon Schumburg gethan hat, eine Summe
der Hubhöhen vor der Arbeit =100 setzt und die Hubhöhen-Summen nach
der Arbeit darauf umrechnet Schumburg nahm die letzte Summe der
Hubhöhen als Norm; mir will es richtiger erscheinen, die Zufälligkeiten,
die bei einem solchen Zuckungsversuch doch immer vorkommen können,
durch Anwendung des Mittels aus allen Vorperioden nach Möglichkeit zu
beseitigen. Von diesem Gesichtspunkt ans habe ich dann die Tabellen I,
in und V nochmals in II, IV und VI zusammengestellt Bei Tabelle I
hatte ich stets nur zwei Vorperioden beobachtet Bei der eben besprochenen
Anordnung wird da wohl im einzelnen Falle durch Gleichberücksichtigung
der ersten Periode, in welcher der Mann noch gar keine Ermüdung zeigte
und die deshalb oft erheblich höhere Werthe giebt, als die späteren, eine
gewisse Verschiebung der Resultate zu Ungunsten des zu studirenden
Mittels hervorgerufen. Ich gebe deshalb in diesem Falle auch noch in
Tab. IIa die gleiche Berechnung, bei welcher die zweite und letzte Vor-
periode = 100 gesetzt ist
Wie sind nun die Effecte der Eiweisszufuhr zu erklären?
Die möglichen Erklärungen sind wohl die folgenden:
1. Der Magen der Versuchsperson war bei Beginn des Versuches nahezu
leer; man kann daran denken, dass durch Gabe von 200*^" Wasser mit
oder ohne Zusatz eines Nährstoffes ein gewisses flaues GefOhl im Magen auf-
gehoben und dadurch reflectorisch eine grössere Leistungsfähigkeit der
Muskeln erzielt wurde.
Wasser allein hat, wie aus Versuch 1 und 2 in Tabelle III, Versuch 1
iu Tabelle V hervorgeht, gar keine belebende Wirkung; aber die eben ge-
machte Annahme, auch nur für die Gabe von Nährstoffen aufrecht erhalten,
würde niemals die quantitativ so verschiedene Wirkung von Zucker und
Eiweiss erklären.
2. Man könnte eine Suggestion verantwortlich machen; der Mann
glaubte, etwas zu gemessen, was seine Muskelkraft hob, und deshalb war
dann seine Kraft eine grössere.
Ich bin weit davon entfernt, etwa die Einflüsse psychischer Momente,
denen diese Versuche am Ergographen zweifellos leicht ausgesetzt sind,
zu leugnen; ich habe selbst eine Anzahl solcher Einwirkungen auch bei
meinen Versuchen beobachtet; [in der Regel habe ich die Versuchs-
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Eegographische Versuche u. s. w. 147
reihen, bei denen etwas Derartiges nachweislich vorgekommen war, un-
berücksichtigt gelassen; bei Versuch 2 der Tabelle VII kommt aber eine
solche hohe Summe der Hubhöhen vor und ist im Protocoll auch als
Unr^lmässigkeit bezeichnet; in diesem Falle wurde an die Thür des
Zimmers, in welchem ich mit der Versuchsperson eingeschlossen war, an-
geklopft und ich musste eine Auskunft geben; diese kurze Unterbrechung
der gewöhnlichen Eintönigkeit und Langeweile genügte der Versuchsperson,
um von Hubhöhen von 97, 95, 101, 104, 103, 83 auf einmal auf eine solche
von 266^™ heraufzugehen, welche durchaus aus dem Rahmen herausfallt
und nur durch die damals gleich protocoUirte Störung zu erklären ist];
aber es will mir nicht einleuchten, dass man durch Suggestionswirkung
angezwungen die Differenzen zwischen Zucker und Eiweiss erklären könnte.
Wie schon erwähnt, waren Zucker- und Dulcin-Lösung, ebenso wie in
Schumburg's Versuchen, gleich süss; es hätte sich also bei diesen Ver-
guchen nahezu die gleiche Wirkung auf die Muskeln bei der Annahme einer
Suggestion ergeben müssen.
Die Versuchsperson wusste ferner nicht, dass das sandig schmeckende
gelbe Pulver (Tropon) und die klare Lösung von Nutrose die gleiche Menge
Eiweiss enthielt; da beide die gleiche Wirkung hatten, kann hier die Sug-
gestion keine Rolle gespielt haben.
Wenn nun aber die Versuchsperson zu der Wirkung eines Mittels be-
sonderes Zutrauen gehabt hätte, so wäre das nach meiner Ansicht doch der
Speck gewesen, den Jedermann aus dem Volke als Nahrungsmittel kennt>
und bei dessen Verabreichung ich der Versuchsperson deshalb auch nichts
hätte vorreden können. Die Versuche mit Speck (I, 10; HI, 7 und 8) er-
geben zwar auch eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Muskeln, aber
durchaus nicht in dem Maasse, wie die Eiweissversuche.
Schliesslich habe ich bei dem Versuche nur mit Wasser (III, 2) direct
eine Suggestion hervorzurufen versucht; als der Mann eintrat, hatte ich das
gefüllte Glas, aus dem er zu trinken gewohnt war, in der Hand, arbeitete
mit dem Glasstab in demselben herum, als wenn ich etwas zerdrückte, und
sagte dann nach einer Weile: „jetzt hat sich Alles gelöst, nun trinken Sie
aber auch gut aus, damit nichts verloren geht." Die Versuchsperson reagirte
in der Weise darauf, dass sie später in einer Pause ihre Verwunderung
darüber aussprach, dass an diesem Tage die Ermüdung so schnell ein-
trat — es ist mir also nicht gelungen, auch nur eine vorübergehende
Erhöhung der Leistungsfähigkeit durch diese beabsichtigte Suggestion zu
Stande zu bringen.
3. Man könnte daran denken, dass durch Secretion des Magensaftes in
Folge der Einführung von Substanzen in den Magen das Blut alkalischer und
10*
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148 JoHAKNBs Fbentzel:
dadurch eine — vielleicht die wesentlichste — Ursache der Ermüdung behoben
würde; denn wir wissen ja, dass die in den arbeitenden Muskeln erzeugten
Sauren die Alkalescenz des Blutes herabsetzen und dadurch ermüdend,
schliesslich sogar lähmend — wie beim zu Tode gehetzten Thiere — auf
die Muskeln wirken.
Die stattfindende Secretion des Magensaftes u. s. w. als Orund ange-
nommen, musste der gleiche Effect nach Einführung von Alkali in den
Magen stattfinden. Dies war allerdings nach Gabe von 4 «^ Natrium bicar-
bonicum (I, 11, III, 9 und 10) der Fall; indess war die Wirkung dieses
Mittels etwa gleich der des Zuckers, ohne auch nur annähernd die Wirkung
des Eiweisses zu erreichen; und sie hätte dieselbe doch wenigstens erreichen,
ja sogar übertreffen müssen, wenn die Secretion des Magensaftes u. s. w. die
zureichende Erklärung für die beobachteten Thatsachen gewesen wäre, weil
ja Alkali auch direct in's Blut übertritt, was in stärkerem Maasse entsäuernd
auf das Blut hatte wirken müssen, als die Secretion von sauerem Magensaft
allein. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass die Beeinflussung der Blut-
alkalescenz etwas bei der Erhöhung der Summe der Hubhöhen mitspricht;
diese Erhöhung ist aber in keinem Falle so gross, um die gefundenen Diffe-
renzen in der Wirkung des Zuckers und Eiweisses genügend zu erklären.
Es bleibt in der That nichts übrig, als anzunehmen, dass die Zeit von
der Gabe des Eiweisses bis zur Wirkung desselben genügt, um das Eiweiss
in die Blutbahn überzuführen und dort als Kraftquelle für die ermüdeten
Muskeln zu verwerthen.
Schumburg sagt auf der zweiten Seite seiner Arbeit: „Da die Resorp-
tion der Eiweissstoffe und Fette erheblich längere Zeit beansprucht, als die-
jenige der Kohlehydrate, so konunen für die Zwecke einer schnellen Er-
nährung der Muskeln besonders die Kohlehydrate in Betracht" Es ist
gewiss richtig, dass der Zucker, der gar keine Umwandlung durch Magen-
und Darnisäfte durchzumachen bat und der schon von den ersten Ab-
schnitten des Verdauungstractus in die Blutbahn übertreten und dort als
Muskel-Ernährer zur Wirkung gelangen kann, zeitlich wohl am ersten diese
Wirkung wird erkennen lassen. Aber beansprucht wirklich Eiweiss und
Fett eine so erheblich längere Zeit, um zur Resorption zu gelangen? Für
Eiweiss liegen zahlreiche Versuche von Voit,^ Becher,^ Feder,^ Oppen-
heim* u. A. an Menschen und Thieren vor, welche den zeitlichen Verlauf
^ Volt, Physiologisch-chemUche Untersuchungen. 1857. S. 42.
' ßecher, Studien Über Respiration. Zürich 1855. 2. Abschn. S. 32 a. 39.
• Feder, Der zeitliche Ablauf der Zersetzung im Thierkörper. Zeitschrift für
Biologie, Bd XVII. 8.531.
* Oppenheim, Pflüger's ^rcÄtr. Bd. XXIII. S. 446.
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EBG0GBAPHI80HE VeBSUGHE U. 8. W. 149
der Eiweissresorption einigermaassen zu beoriheilen gestatten; aus diesen
Befunden ist der Schluss gerechtfertigt, dass in der That schon in der ersten
Stunde nach der Nahrungsaufnahme sich ein Theil des Eiweisses in der
Ciroulation befindet, während bis zur Tollständigen Resorption 6 bis 7 Stunden
vergehen.
Eine directe Bestimmung wäre ja nur möglich an Thieren, welche
man eine bestimmte Zeit nach der Eiweissaufnahme tödtete, um die Oe-
sammtmenge des noch in ihrem Darmcanal vorhandenen Eiweisses zu er-
mitteln, also in ähnlicher Weise, wie es Ellenberger und Hofmeister^
beim Schweine ausgeführt haben. Der Umstand, dass sehr schnell nach
der Resorption von Eiweiss eine der Grösse dieser Resorption annähernd
entsprechende Vermehrung der Stickstoffiiusscheidung durch den Harn ein-
tritt, giebt uns die Möglichkeit, durch Untersuchung der im Harn aus-
geschiedenen Stickstoffmengen in kurzen Zeitiutervallen Rückschlüsse auf
zeitlichen Verlauf und Grösse der Resorption zu machen.
Auf Anregung meines hochverehrten Chefs, des Herrn Professor Dr.
Zuntz, habe ich nach diesem Princip Versuche mit den von mir benutzten
reinen Eiweisspräparaten angestellt. Nach einer wesentlich aus Kohle-
hydraten bestehenden Abendmahlzeit wurde am nächsten Morgen um 7 Uhr
eine kleine Tasse Kaffee genossen, die Urinabsouderung jeder folgenden
Stunde durch Aufnahme von 200 <^*^ Wasser unterstützt, der Urin geson-
dert aufjgefangen und analysirt. Um 9 Uhr wurde in der angegebenen
Menge Wasser 33 «^ Tropon genossen.
Die Stickstoffausscheidung der an diesem Tage in Betracht kommenden
Stunden ergab:
7 bis 8 Uhr: 0-526^ N.
8 bis 9 Uhr: 0*474 p™ N; also ein Absinken des N-Gehaltes.
9 Uhr: Eiweissaufnahme.
9 bis 10 Uhr: 0'538 ^^ N; also schon in der ersten Stunde nach
der Aufnahme du Ansteigen des N-Gehaltes.
10 bis 11 Uhr: 0-923 ^ N.
11 bis 12 Uhr: 0-730 ?™> N.
Wenn aber schon in der ersten Stunde nach der Nahrungsaufnahme
eine vermehrte N- Ausscheidung im Harne nachweisbar ist, so muss sich
ein Theil des Eiweisses zeitlich früher, also etwa V2 ^^^ ^U Stunden nach
der Aufnahme schon in der Circulation befunden haben und konnte dort
^ Ellenberger und Hofmeister, Üeber die Verdauung des Schweines. Dies
Archiv. 1884. Physiol. Abthlg. S. 145.
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150 Johannes Fbentzel:
die Effecte auf die ermüdeten Muskeln hervorbringen, die meine Befunde
am Ergographen ergeben haben.
Es liegt also kein Grund mehr vor, nach mehr oder weniger wahr-
scheinlichen Erklärungen für die zeitlich so frühe Wirkung des Eiweisses zu
suchen, wo das Experiment die Entscheidung bringt, dass in der That auch
die bei meinen Versuchen benutzten Eiweissstoffe zum Theil schon in der
ersten Stunde nach der Auftiabme resorbirt waren.
Es ist also, um dies nochmals zu wiederholen, bisher durch meine
Versuche festgestellt:
1. Eiweiss, in calorisch äquivalenter Menge wie Zucker ver-
abreicht, äussert die Einwirkung auf die Belebung ermüdeter
Muskeln in derselben Zeit nach der Gabe des Nährstoffes.
2. Die Wirkung des Eiweisses ist bei den Versuchen am
Ergographen eine erheblich höhere als die des Zuckers.
Hieran schliessen sich mehrere Fragen, von denen zwei zu beantworten
der Mühe werth erschien.
1. Wie lange hält die Wirkung des Zuckers, wie lange die des
Eiweisses vor?
2. Lässt sich vielleicht ein Unterschied in der Wirkung verschiedener
Eiweissarten, als deren Repräsentanten ich vorläufig ein animalisches und
ein vegetabilisches Eiweisspräparat benutzte, nachweisen?
Es war ohne Weiteres anzunehmen, dass die Wirkung des Eiweisses,
von dem wir ja aus den schon erwähnten Arbeiten wissen, dass bis zu
seiner vollständigen Resorption 6 bis 7 Stunden vergehen, zeitlich sehr viel
länger währen musste, als die des Zuckers. Meines Wissens ist diese Frage
aber in der von mir beabsichtigten Weise bisher noch nicht experimentell be-
antwortet worden.
Bei der Ausführung der. hierzu nöthigen Versuche wurden mir durch
die Versuchspersonen gewisse Schranken auferlegt. Ich sagte oben, dass
diese mindestens 3 Stunden nüchtern waren, ehe der Versuch begann; die
Vorperioden und die Arbeit am Brems-Ergometer, die übrigens in den
zu besprechenden Versuchen 31 200 statt wie bisher 21 600 ^»™ betrug,
nahmen über 1 Stunde in Anspruch, so dass ich günstigen Falles nur
noch 3 Stunden nach Schluss der Arbeit Beobachtungen am Ergographen
ausführen konnte. Die Protocolle sind in der Tabelle VII niedergelegt.
Eine kleine Hülfstabelle, die ich der Uebersicht halber hier gebe, zeigt,
dass die Wirkung des Zuckers in der 2. Stunde schon nachlässt, wo nicht
aufhört, während in der 3. Stunde von irgend welcher Wirkung nicht
mehr die Rede ist.
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EBGOOBAPHisoHi: Vebsuohb ü. s. w.
151
Aus Tabelle VIL
Nährstoff
Zaoker
Animalisches Tropon
Vegetabilisches TropoD
Mittel der Summe der Habh((hen in Centimetern
Vor der
Arbeit
Tropon
89
107
102
121
103
107
114
111
123
94
87
88
96
Nach Aufnahme des Nährstoffes
1 Stande i 2 Standen ! 3 Standen
109
131
117
104
69
83
102
145
119
97
80
105
116
111
81
100
127
127
268
156
186
189
106
124
114
120
84
50
184
162
180
124
84
166
Beim Eiweiss dagegen ist die Wirkung in der 2. Stunde in der Regel
höher wie in der ersten und hält in der 3. Stunde durchaus vor; ich werde
wohl nicht auf Widerspruch stossen, wenn ich behaupte, dass auch. für die
folgenden 2 bis 3 Stunden eine ähnliche Wirkung beobachtet worden wäre,
wenn es möglich gewesen wäre, die Versuche an der über 7 Stunden ohne
Mahlzeit befindlichen Person fortzusetzen.
Für die Lösung der zweiten von mir gestellten Frage wurde mir von
den Tropon -Werken in Mülheim a. Rhein in liebenswürdigster Weise der
aDimalische und vegetabilische Antheil ihres Präparates einzeln zur Ver-
fugung gestellt.
Nach den vorliegenden Protocollen hat es den Anschein, als ob in der
That dies von mir benutzte vegetabilische Eiweiss zeitlich eher bezw. reich-
licher in die Circulation überträte, als das animalische.
Ich habe deshalb auch den oben beschriebenen Resorptions-Versuch
mit stündlicher Anfsammlung von Harn und Analyse desselben bei diesen
beiden Präparaten wiederholt Die Resultate dieser Versuche sind die
folgenden:
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162 Johannes Fbxntzel:
Animal. Theil des Tropoos VegetabiL Theil des Tropoos
7Va— 8V2 Uhr 0*545^ N pro Stunde 0*487 p™ N pro Stunde.
8V2-9V2 V 0.571 „ „ „ „ 0-471 „ „ „ „
9^/j Uhr Aufnahme von 33^™* animalischen, bezw. vegetabilischen
Tropons.
91/2— lOVa Uhr 0-668»^ N pro Stunde 0-635«^ N pro Stunde.
lOVa-l^Va ,» 0-699 „ „ „ „ 0-683 „ „ „ „
N-Zuwaohs in der ersten Stunde nach der Aufnahme, bezogen auf die
letzte Stunde vor der Nahrungsaufnahme:
+ 0-092»™» N +0*164«^N
(Verhältniss des animalischen zum vegetabilischen 100:178).
N-Zu wachs in der zweiten Stunde nach der Aufnahme, bezogen auf
die erste Stunde nach derselben:
+ 0-0368^ N +0.048»"° N
(Verhältniss des animalischen zum vegetabilischen 100:133).
Es zeigt sich also zunächst auch bei diesen beiden Eiweisspräparaten,
wie zu erwarten war, dass schon in der 1. Stunde nach der Nahrungs-
aufnahme eine erhöhte N-Ausscheidung im Harne nachweisbar ist; die Er-
höhung war aber bei dem vegetabilischen Antheil erheblich grösser, als bei
dem animalischen, und dies Verhältniss beider Präparate zu einander blieb
auch in der 2. Stunde nach der Nahrungsaufnahme noch im gleichen Sinne
bestehen. Es ist aus diesen Befunden sehr wohl zu verstehen, dass die
Wirkung des vegetabilischen Antheils des. Tropons am Ergographen sich
eher zeigen musste, was ja auch der Fall war.
Es wäre aber durchaus falsch, aus diesen mit präparirtem vegetabi-
lischen Eiweiss gefundenen Resultaten Rückschlüsse auf die Verdaulichkeit
des in natürlicher Form in den pflanzlichen Nahrungsmitteln enthaltenen
Eiweisses zu ziehen; die in den Verdauungssäften zum Theil schwer, zum
Theil überhaupt nicht löslichen Zellenmembrane setzen auch bei guter
mechanischer Zerkleinerung (feine Pulverung) der Verdauung der pflanz-
lichen Eiweissstoffe die durch zahlreiche Ausnutzungsversuche genügend
illustrirten Hindemisse entgi^en.
Da also aus den der Tabelle VII zu Grunde liegenden Versuchen
hervorgeht, dass Eiweiss auch noch zeitlich länger wirkt, als Zucker, so
fordern meine Befunde zu praktischen Versuchen mit Eiweiss in all' den
Fällen auf, in welchen es sich darum handelt, ermüdenden Muskeln neues
Kraftmaterial zuzuführen und in welchen sich bisher Zucker bewährt bat,
also beim Radfahren, Rudern, Bergsteigen und ähnlichen sportliohen
üebungen, vor Allem aber in der Armee bei forcirten Märschen u. s. w.,
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Ebgoobaphisohe Vebsuohe ü. s. w. 153
um so mehr, aJs das nicht als Eraftspender zur Verwendung kommende
Eiweiss zur Begeneration des zerfallenden Zellmatenales dienen wird.
Bei derartigen praktischen Verwendungen würde es einige Schwierigkeit
madien, das trockene Eiweisspräparat im entscheidenden AugenbUck, viel-
leicht ohne Wasser, zu sich zu nehmen; Gakes, Zwiebäcke und ähnliche
Conserren zerbröckeln aber erfahrungsgemäss sehr leicht, wenn sie lange
umhergetragen werden; bis also die Industrie ein Präparat herstellt, welches
das Eiweiss in genügender Menge enthält und diese Nachtheile nicht zeigt,
ist wohl Chocolade die einzige Form, welche ernsthaft för diese Zwecke in
Frage kommt.
Ich habe deshalb noch einige Versuche mit einer 50 Prooent Tropen
enthaltenden Chocolade angestellt (VII, 15, 16, 17) und habe gefanden, dass
schon 30 »™ derselben, sicherer noch 35 «^ — das sind 6 bis 7 kleine
Tafeln — die gewünschte Erhöhung der Muskelleistungen nach anstrengender
Arbeit zu Wege bringen; wie viel an dieser Wirkung der in der Choco-
lade enthaltene Zucker, wie viel etwa auch das Theobromin betheiligt ist,
ist nicht uütei^ucht worden.
Ich beabsichtige später die Eiweissversuche in der Weise zu ergänzen,
dass ich an Stelle der Aufzeichnungen am Ergographen vor, während und
nach der Arbeit Pulsfrequenz, Zahl der Athemzüge und Athemgrösse in
Litern per Minute feststelle und den zeitUchen Verlauf der Erholung nach
der anstrengenden Arbeit in Fällen mit und ohne Nährstofifeufuhr vergleiche.
Das Fett wirkt, wie die wenigen bisher von mir angestellten Versuche
(1, 10, IV, 2 und 8) zeigen, in derselben Zeit, wie Zucker und Eiweiss, gleich-
&dls belebend auf die ermüdeten Muskeln; ich will diese Befunde durch eine
Anzahl weiterer Versuche, auch mit anderen Fettarten, noch sicher stellen
and werde seiner Zeit darüber eine diese Arbeit ergänzende Veröffentlichung
erscheinen lassen.
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154
Johannes Fbentzel:
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Digitized by
Google
Ebgoosaphibohb Vbbbdche ü. 8. w.
155
Tabelle II.
Mittel der Werihe vor der Arbeit iu Tabelle I = 100
Nr.
Vor
der
Arbeit
Auf.
genommen
Nach der
Arbeit
1
100
Daloin
29 65 62 61 57 58 57
57 55
2
100
1
S6 86 96 109 79 65 75
67
3
100
1 Zucker
64 133 120 109 107 96 81
62 54 50
4
100
J
41 60 48 56 44 60 43
39 81 105 78
5
100
82 98 101 109 227 243 251
195 134 100
6
7
100
100
Tropon
72 215 339 120 67 66 65
219 547 91 48 47 41 43
58
39
8
100
79 59 43 42 40 88 36
33 52 50 85 100 177 322
9
100
Nutrose
142 66 114 80 77 311 156
92 57
10
100
Speck
172 201 125 93 90 87 80
79
11
100
Natr.bicarb.
91 142 93 113 89 153 95
79 53 59
Tabelle IIa.
Letzte Periode vor der Arbeit in Tabelle I = 100 gesetzt
I Vor
Nr., der
Arbeit
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10 '
n I
100
100
100
100
100
100
100
100
100
100
100
Auf.
genommen
Dulcin
Zucker
Tropon
Nutrose
Speck
Natr. bicarb.
Nach der Arbeit
64
34 76 75 75 66 66 65 66
47 110 128 141 102 84 97 86
84 190 156 140 139 124 105 81 70 65
48 70 57 66 52 56 50 40 95 123 92
99 116 122 137 277 296 307 233 162 122
99 291 461 163 91 89 88 78
245 610 102 54 53 46 48 44
92 68 50 49 46 44 42 38
164 77 131 92 89 358 179 106
209 244 152 114 109 105 98 95
102 161 106 129 101 173 107 89 60 66
59 58 99 116 205 874
56
Digitized by
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156
JoHAinfES Frentzel:
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CO CO CO
CO CO CO
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CO CO
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Ol
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^^
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Digitized by
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Ebgogbaphibohe Ybbsuohb U. 8. w.
157
Mittel der Werthe vor
Tabelle IV.
der Arbeit in Tabelle III » 100 gesetzt
Nr.
der ^'^"
Arbeit ^«0""*^°
Nach der Arbeit
T
100 l Wasser
100 J
91
84
61 68
7^ 59 68~ 82~74 59 80~82~
2
9t
101
101 86
89 67 79 59 61 72 116 41
67
3
100 Zucker
104
107
120 108 143 108 123 177 155 198 152
4
100
1
96
75
82 81
93 50 55 100 44 88 76 116
54 158
5
Tropon
100 ^
1
147
91
121
83
147
80 64
98 114 116 125 132 125 136
6
100
75
48
49 54
56 76 76 97 138 90 101 116 170 120
7
100 ,1 Speck
100 J
-
79
73
87 92
86 105 75 96 70 91 88 118
86 98
8
94
109
78 96
97 105 105 84 101 88 74 70
102
9
100 \ Natrium
100 ) bicarbon.
■
98
142
90 103
60 110 84 103 105 86 174 70
68 80
10
136
87
146 74
50 84 39 44 47
11
100 1 Tropon
112
118
83 95
97 101 96 109 104 115 90 118
129
Tabelle V.
A. Tb., Schuhmacher, 81 Jahre alt, wiegt bekleidet 55 ^^.
TägL 1200 Umdreh. am mit 6^» belast. Brems-Ergom. = 21 600^^ Arbeit
Ergograph belastet mit 3 ^; linker Arm.
Die Zahlen in der Tabelle bedeuten: Summa der Hubhöhen in Centimetem.
Nr.
Datum
Vor der
Arbttt
Arbeit;
'S vor derselben
S 200«^"» Wasser
^ aufgenommen
und
Nach der Arbeit
1
2
3
8./11. 1899
7./U. 1899
30./IV.1899
108 69 105
120 69 90
201 130 140 HO
94 nor Wasser;
93 1 Tropon ;
146 Zucker;
82 68 78 83 80 78
100 83 53 83
83 180 66 113 81 88
64 91 94 103 HO
122 100 122 186 135 194
148 135
Tabelle VI.
Procentische Berechnung der Tabelle V.
Mittel der Summe der Hubhöhen vor der Arbeit =100 gesetzt
Nr.
Vor der
A rbeit
Auf.
genommen
Nach der Arbeit
100
100
100
Wasser
Tropon
Zucker
87 72 83 88 85 83 106 88 57 88
88 140 70 121 86 94 69 97 101 HO 118
84 69 84 93 93 133 101 93
Anmerkung zu Tabelle Y. Versuch 8 mit freundlicher Erlaubniss des
Hm. Dr. Bornstein aus dessen Untersuchungen über Saccharin Zeitschr, d, Vereins
der Deutsehen Bübenzueher' Industrie April 1899 entnommen, welcher mit derselben
Versuchsperson unter den gleichen Bedingungen arbeitete.
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168
JOHANNBS FbENTZEL:
Tabelle
F. K., Schuhmacher, 31 Jahre
Täglich 1800 Umdrehungen am mit 8 ^«^ belasteten
Ergograph belastet
Die Zahlen in der Tabelle bedeuten*.
Nr.
Datam
1
4./V. 1899
2
5./V. 1899
3
6./V. 1899
4
lO./V. 1899
5
21.AV. 1899
6
17./IV. 1899
7
18./IV. 1899
8
19./IV. 1899
9
20./IV. 1899
10
22./IV.1899
11
3./V. 1899
12
16./V. 1899
13
17./V. 1899
14
18./V. 1899
15
U./V. 1899
16
19./V. 1899
Vor der Arbeit
17 I 20./ V. 1899
Arbeit;
200 com Wasser auf-
genommen und
94 133 129 166 126 90 93 98 101 114
109 80 83 87 89
100 122 98 109 107
111 94 100 105 102
102 08 88 99 96
120 128 136 131 162 85 91 116 ' 121
103 114 91 104 103
102 107 118 100 107
111 124 111 HO 114
122 123 100 100 111
124 129 129 105 180 123
i
76 100 94 98 101 94
94 97 77 85 82 87
104 82 76 92 75 100 88
108 96 91 114 100 102
84 98 90 125 98 89 68 75 91
120 126 103 115 92 120 122 114
Nur Wasser; vor der
Arbeit
Zucker; vor der Arbeit
Tropon ; vor der Arbeit
Animal.
^Antheil des
Tropons;
vor der
Arbeit
15 M. nach
Beginn
Vegetabilischer Anthell
des Tropons; vor der
Arbeit
50 procent.
Tropon -
Chocolade
der Arbeit
8ü»™; vorj
der Arbeit I
Nach der
Arbeit
83 110
93
116
102
95
102;
106
102
3 83 71 82
84 92
96
94
I
I
78
87
95
104
78
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Google
Ebgogbaphisghe Yebsüohe u. s. w.
169
VIL
alt, wiegt bekleidet 62-5^«.
Bremsergometer = 31200''«™ Arbeit.
mit 4^; lioker Arm.
Samme der Hubhöhen in Centimetem.
1. stunde
1 2. Stunde
3. Stunde
Mittelzahlen
der
nach der Nahrungsauf na
hme
1. 1 2. 1 8.
Stunde
101 102 98 86
72 66 60 70
76
84
85
82
86 111 89 100 114
118 141 141 U6
111
97 85 80 101 104
266*100 87
103 83
78 95 80 73 97 91 81
fehlen noch 15 Min.
109
111
84
147 112 150 143
124 138 152 108
117
116
98 102 98 88 86
97 83 96 87
79 78
131
81
133 106 87 110
108 119 140 170
112
88
86 99 117 113 180
107 85 77 90 130
100 104
69
56 52 55 48 39
fehlen noch 30 Min.
117
100
50
94 106 tl3 82
I2t 143 100 98
114
96
111 70 167 172 158
107 109
72 113
88 172 317 92
fehlen noch 30 Min.
116
120
166
84 100 89 100
107 132 141
81
105
136 62 110 108 123
212
93 170
161
104
127
75 78 52 60
107 65 84 65
56
64
53
111 111 71 102 82
201
146 95
252 186 163
fehlen noch 35 Min.
69
127
184
97 108 111 83
72 73 85 75
71
54
86
78 210 808 317 400
317
83
263
81 113 91 82
84 141 142
73
111
188 127 132 164 218
fehlen noch 15 Min.
102
156
120 148 157 173
146 166
160
195
170 196 246 91 210 204
78 153 261
fehlen noch 30 Min.
145
186
162
96 154 138 109 184
133 98 120
96
115 102 120 391 252
123 95
197 150 96 201 260 258
148
119
189' 180
108 83 82 96
88 108 101 116
93
89
94
102
92 95 125 169 92
94 144 76 79
103 97
97
106
80 86 78 102
106 85 89 96
72
103
104
77
95 118 94 99 85
150 188
105 179
138 149 96 110
fehlen noch 35 Min.
80
I24I 124
146 93 132 103
90 128 87 104
104
86
84
107 135 118 170 106
88 112 105
98 100
88 89 79 86 82
fehlen noch 35 Min.
105
114
84
88 111 89 82
105 105 104 86
80
96
84
107
120 105 88 86 82
96 91 69 75 113
124 107
94
96
108 136 115 147
112 83 114 150
117
98
185 108 89 97 118 113
91 86 101
113 115
184 101 161
fehlen noch 45 Min.
119
103
149
121 97 90 110 132
189 150 142 150
98
122 152 145 195 142
74
184 115
108 150 145 168
fehlen noch 40 Min.
122
135
142
Störung durch Unterhaltung.
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Ueber Emährungsklysmata.
Von
C. A. Ewald.
Das Bestreben, dem Körper in Fällen, wo die Nahrungsaufnahme aus
dem einen oder anderen Grunde per os unmöglich ist, Nährstoffe durch
den Darm zuzuführen, hat seit den bekannten Versuchen von Voit und
Bauer, v. Leube, Eichhorst und mir bei den Aerzten, ja selbst bei
den Laien immer weitere Verbreitung gefunden. Ist es mir doch in letzter
Zeit wiederholt begegnet, dass die Umgebung des Kranken oder gar der
Kranke selbst mit entsprechenden Wünschen und Fragen früher an uns
Aerzte herantrat, als wir selbst dieses Vorgehen anzuregen Veranlassung hatten.
Die Versuche der erstgenannten Autoren waren an Thieren aus-
geführt und nicht ohne V^eiteres auf den Menschen zu übertragen.
Im Jahre 1887 erbrachte ich in einer längeren Reihe von Bestim-
mungen den Nachweis, dass es bei passend gewählter Zusammensetzung
und sachgemässer Application derartiger Einlaufe auch beim Menschen
gelingt, eine Resorption stickstoffhaltiger Substanz vom Mastdarm aus zu
erzielen und einen nicht unerheblichen Theil derselben zum Ansatz zu
bringen oder wenigstens den Stickstoffumsatz beträchtlich zu steigern. Die
Gleichheit der Resorptionsgrössen in den einzelnen Perioden gleicher Zufuhr
berechtigt zu dem Schluss, dass trotz starker Schwankungen im Umsatz
und Ansatz die aufsaugenden Functionen der Schleimhaut gleichmässig von
Statten gingen. Auch zeigte sich, dass ein merklicher Unterschied in der
Aufeaugungsgrösse zwischen den sog. Peptonen (Albumosen) und dem nativen
Hühnereiweiss nicht vorhanden war. Darnach erschien die Anwendung der
sog. Peptonkly stiere überflüssig; „man kommt mit einfachen Eiern ebenso
weit", sagte ich, „hat aber den Vortheil, im Ei etwa 12 Procent Fett zu
geben, welches als Sparmittel der Zersetzung des Körpereiweisses sicherlich
nicht ohne Belang ist, und kann die Wirkung durch Zusatz einer Losung
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C. A. Ewald: ÜB£B £aNÄHBUNG8JBUiY8MATA. 161
von Traubenzucker, also eines leicht verdaulichen und resorbirbaren Kohle-
hydrates, noch erhöhen Es genügen also zum Klystier schon gut
emulgirte rohe Eier, die man mit etwas Kochsalz wasser verdünnen kann.
Ich pflege ein Gemisch von Eiern, Rothwein und einer 10- bis 20 procent.
Tranbenzucdrerlösung zu geben/'
In letzter Zeit habe ich meist Milch, Eier und etwas Mehl, event. mit
Wein verrührt, angewandt, so dass im Kljsma annähernd 400 Calorien,
per Tag also etwa 1200 Calorien gegeben wurden.
Den Zusatz von Kochsalzwasser stellte ich seiner Zeit anheim mit Rück-
sieht auf die Versuche Eichhorst's, der die Resorption bei Thieren wesent-
lich von der Beigabe dieses Salzes abhängig sein liess, obwohl nach meinen
Resultaten beim Menschen die Aufsaugung auch ohne Kochsalz vor sich
ging. Später zeigte dann Huber, dass sie durch Zusatz des Kochsalzes
nicht unerheblich gesteigert wird.
Mit der Zeit scheint sich nun vielfach in ärztlichen Kreisen die An-
sicht verbreitet zu haben, dass es mit Hülfe der „Nährklystiere"
gelingen müsse, regelmässig eine wirkliche, d» lu den Körper-
bestand erhaltende Ernährung herbeizuführen, oder gar einen
Ansatz bei den Kranken zu erzielen.
Ich muss bemerken, dass meine Versuche einer solchen irr-
thümlichen Vorstellung nicht das Wort reden. Sie beweisen nur,
dass die Mastdarmschleimhaut des Menschen resorptionsfiUiig ist und dass
es im speciellen Falle, d. h. bei einer Patientin, von der ich ausdrücklich
hervorhob, dass sie eine vita minima führte und per Tag nicht mehr wie
5.4g gnn i^ [j^ ij^.^ Nahrung zu sich nahm, zweifellos gelamg, den Stick-
stoffumsatz zu steigern und eine Retention desselben, die nur in Form eines
Ansatzes stickstoffhaltiger Substanz statthaben konnte, zu Wege zu bringen.
Idi betonte vielmehr, „dass offenbar individuelle Beeinflussungen
in Bezug auf Resorption und Ansatz eine ganz hervorragende
Rolle spielen'^, und dass audi aus diesem Grunde „eine gegenseitige
Abschätzung des Nährwerthes der Pepton- und Eierklysmata unthunlich sei.^'
Wenn diese vorsichtige Beurtheilung des Erhaltungswerthes der Nähr-
klysmata nun schon bei chronisch Kranken, stark heruntergekommenen
und geschwächten Individuen geboten ist, so ist sie noch viel mehr am
Platze, wenn es sich um acute Erkrankungen solcher Personen handelt,
deren Stoffwechsel unmittelbar vor oder gar während der Krankheit ein
r^er ist und jedenCalls nicht viel unter den normalen Galorienbetrag
heruntergeht. Das gilt z. B. für alle Fälle acuter Blutungen aus den
oberen Wegen des Verdauungstractes, für die Fälle von Ulcerationsbildung,
für Vei^tungen, für functioncUe Störungen u. s. w., die eine vorübergehende
längere oder kürzere ausschliessliche Rectalemährung bedingen. Hier dürfen
Archiv f. A. u. Phys. 1899. Physiol. Abthlg. Suppl. 11
Digitized by LjOOQIC
162 C. A. Ewald:
wir UU8 dann nicht wundern, wenn wir erhebliche Gewichtsabnahmen und
einen N- Verlust während der Rectalernährung finden. Derselbe will aber
in diesen Fällen wenig besagen gegenüber dem durch die Schonung der
oberen Verdauungswege bedingten curativen Erfolge und dem Umstände,
dass nach Behebung der Krankheit der eingetretene Gewichtsverlust nicht
nur in kürzester Frist ausgeglichen, sondern oft übertroflfen wird.
Ich habe den „Nährklystieren" in den letzten 10 Jahren einen sehr
weiten Raum in meinen therapeutischen und diagnostischen Maassnahmen
zugewiesen und sie in geeigneten Fällen Tage und Wochen lang ausschliess-
lich, d. h. ohne jede Nahrungszufuhr per os gegeben, lieber die
damit erzielten Erfolge, so weit sie die ernährende Wirkung derselben
betreffen, habe ich mich wiederholt, zuletzt in v. Leyden's Handbuch der
Ernährungstherapie, geäussert. Dort heisst es:^
„Nun scheint es mir nicht unangebracht, zu bemerken, dass nach
meinen sehr zahlreichen Erfahrungen mit ausschliesslicher, Tage lang fort-
gesetzter Ernährung durch die sog. Nährklysmata — die ich seit Langem
nicht nur bei organischen Läsionen von Magen- und Darmschleimhaut, son-
dern in letzter Zeit auch bei functionellen Störungen des Intestinaltractes
vielfach und mit bestem Erfolge angewandt habe — der thatsächliche Nähr-
werth derselben oftmals keineswegs der Menge von Nährstoffen entspricht,
die man mit ihnen einbringt. Es treten dabei zuweisen recht erhebliche
Gewichtsverluste ein, und die Controle des N-Stoffwechsels zeigt, dass eine
starke Abgabe von N vom Körper stattfindet. Nichtsdestoweniger befinden
sich die Patienten subjeotiv fast ausnahmslos vollkommen wohl, sie spüren
nämlich so gut wie gar keinen Hunger, trotzdem sie auf absolute Carenz
per os gesetzt sind, und halten die Rectalernährung bis zu 7 und 10 Tagen
und mehr ohne besondere Beschwerde aus. Da ich selbst vor Jahren den
Nachweis geführt habe, dass es bei passender Rectalernährung gelingt, den
Organismus im N-Gleichge wicht zu halten, so müssen hier offenbar sub-
jective Verschiedenheiten bestehen, die sich in einer höheren oder geringeren
Intensität des Stoffwechsels geltend machen. Glücklicher Weise wollen solche
Verluste unter den obwaltenden Umständen nicht viel besagen, denn sobald
durch die Schonung des Magens und Darmes die betr. Läsion bezw. Störung
Zeit zur Heilung gefunden hat, gelingt es leicht und schnell, den Verlust
wieder auszugleichen und einen erheblichen Ansatz zu erzielen."
Es war aber von Interesse, durch eine genauere Bestimmung, als es
die einfachen Wägungen sind, das Verhalten des Stoffwechsels unter Nähr-
klysmen zu verfolgen. Mein Assistent, Hr. Dr. Rost, hat sich dieser
* C. A. E w a 1 d , Ernährungstherapie bei Darmkrankheiten, v. Leyden's Band-
huch der Ernährungstherapie, Leipzig 1898. Bd. IL L Abth. S. 268.
Digitized by LjOOQIC
ÜBER Ebnährungsklysmata. 163
Aufgabe auf meine Veranlassung unterzogen und bei einer Anzahl von
Personen derartige Stofifwechselversuche unter meiner Controle durchgeführt.
Dass ihre Zahl keine grössere, die Dauer der einzelnen Versuche keine
längere ist, begreift sich aus den Schwierigkeiten, welche solchen Ver-
suchen selbst da, wo das Personal, wie bei uns im Augusta- Hospital gut
eingeübt ist, von Seiten der Kranken entgegenstehen. Ich gebe an dieser
Stelle nur die Resultate der einzelnen Versuche, die nach bekannten Vor-
schriften ausgeführt wurden. Der Stickstoff wurde in Harn und Fäces nach
Kjeldahl bestimmt, der Koth zu Anfang und Ende des Versuches mit
Kohle abgegrenzt. Ich kann für die Genauigkeit der Bestimmungen ein-
treten und verweise übrigens auf die analytischen Beläge am Schlüsse
dieser Mittheilungen.
Fall 1. — E. B., 23 jähriges Mädchen, in sehr gutem Ernährungszu-
stande, wird wegen heftiger, durch ein Ulcus ventriculi bedingter Gastralgieen
auf ausschliessliche Rectalernährung gesetzt. Körpergewicht war in den
letzten Wochen gleichgeblieben und betrug zu Anfang des 5 tägigen Ver-
suches 57 ^^.
Jedes Ernährungsklysma bestand aus etwa 320 ^^^ Milch, 1 Eigelb,
1 Theelöffel Mehl, 70 bis 75 ^^'^ Rothwein, so dass es insgesammt 400 "™
betrug. Es wurden 3 Klysmata pro die, also 1200 ^^"^ mit 7-83 ^"» Stick-
stoff gegeben, der in verschiedenen Stichproben der gesammten für den Tag
präparirten Menge ermittelt wurde.
Patientin erhielt also in 5 Tagen . . . . =39-0 ^"" N
Im Koth wurden während dieser Zeit gefunden = 3 • 7 „ „
Also resorbirt ~. =35 -3«?^"^ N
d. i. 90« 61 Procent der überhaupt eingebrachten Menge.
Es wurden durch den Urin ausgeschieden . = 42 • 54 ^™ N
Demgemäss N- Verlust = 7.20 „ „
= 1 . 44 „ „ pro die.
Nach Schluss des Versuches betrug das Körpergewicht 53^^, 14 Tage
später hatte es sich wieder auf 58 ^* gehoben.
Fall 2. — E. H., 19 jähriges kräftiges Mädchen, in gutem Ernährungs-
zustande, wird wegen Ulcusbeschwerden ausschliesslich rectal ernährt. Körper-
gewicht bei Beginn des Versuches 54 • 5 ^^. Zusammensetzung der Emährungs-
klystiere wie im ersten Fall. Dauer des Versuches 6 Tage.
Also werden einverleibt . . . . :^ 46-97^"^ N
Im Koth fanden sich = 2*15 „ ,,
Es wurden resorbirt = 44.82"^^
d. i. 96 '42 Procent der überhaupt eingebrachten Menge.
Durch den Harn ausgeschieden . . =53«78^™^ N
Also N-Verlust = 8-96 „ „
= 1*49 „ „ pro die.
Am Schluss des Versuches war das Körpergewicht auf 53 ^* gesunken.
11*
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164 C. A. Ewald:
Fall 3. — E. L., 18 jährige Patientin, welche wegen nerTöser Gastralgieen
per rectum ernährt wird.
Körpergewicht vor dem Versuch gleichmässig 52 ^'. Dauer des Ver-
suches nur 4 Tage, weil Patientin die Klystiere nicht länger halten konnte.
Erhält in 4 Tagen im Klysma . . = 31.32 f^ N
Im Koth fanden sich = 22*10 „ „
Es wurden also resorbirt . . . . = 9 • 2 '^™* N
d. i. 29 ' 89 Procent der überhaupt eingebrachten Menge.
Im Harn wurden ausgeschieden . . = 34 • 30 ^™* N
Also Verlust an N vom Körper . . = 25*10 „ „
= 6-27 „ „ pro die.
Das Körpergewicht war auf 50-5 ^^ heruntergegangen.
Fall 4. — R. S., Mann von 36 Jahren, wird wegen leichter gastralgischer
Anfälle auf ausschliessliche Rectalem ährung gesetzt. Körpergewicht 59 • 5 ^'.
Dauer des Versuches 6 Tage.
Die Ernährungsklysmen enthielten diesmal 800 8^™* Milch, je 2 Gelb-
eier, eine Messerspitze Salz, eine Messerspitze Mehl, ein Glas Rothwein, d. h.
pro die 8*92 ^™^ Stickstoff.
Also wurden in 6 Tagen zugeführt . = 53*49»"" N
Im Koth fanden sich = 35*30 „ „
Also wurden aufgenommen . . . = 18 •19^'" N
d. i. 88 • 89 Procent von der überhaupt gegebenen Menge.
Im Harn wurden ausgeschieden . . =50*80»™* N
Also Verlust an N vom Körper . . = 32.70 „ „
= 5*45 „ „ pro die.
Das Körpergewicht war am Schluss des Versuches auf 56*1 ^» gesunken.
Fall 5. — L. B., 53 jähriger Mann. Diagnose schwankt zwischen
nervösen Gastralgieen und Ulcus. Wird 4 Tage lang auf ausschliessliche
Rectalemährung gesetzt, währenddem das Körpergewicht von 66.4^ auf
60 ^8 gesunken ist. Koth mit Heidelbeeren abgegrenzt. Erhält pro Tag
6 Eier, 600 «^ Milch, 90 «^"^ Eucasin Der Stickstoffgehalt des Klysmas
wurde in diesem Fall nicht durch eine N-Bestimmung von Stichproben der
Gesammtmasse bestimmt, sondern der N der Eier zu 21»™* N (v. Noorden)
angestellt. Der N der Milch wurde täglich analysirt (3 • 4, 3 • 4, 3 • 3, 3 . 2 »™ N),
der Gehalt des Eucasin war durch diesseitige Analyse zu 16*7 Procent N
bestimmt.
Damach insgesammt in 4 Tagen eingeführt = 85 • 40 »™* N
Im Koth fanden sich = 27*80 „ ,
Also wurden resorbirt =57-60»™* N
d.i. 67*44 Procent der überhaupt eingebrachten Menge.
Im Harn wurden ausgeschieden . . . . = 70*70»"" N
Verlust vom Körper = 13*10 „ „
= 3*27 „ „ pro die.
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ÜBEB EUNÄHBUNGSKLYSMATA. 165
Aas den vorstehenden Yeorsuch^ ergiebt sich, dass die Möglichkeil,
dem Körper durch Rectalzmfohr eine gewisse Menge stii^stoffhaltiger Sub-
stanz znznfähreD, jedenfalls vorband^ ist> dass aber die absolute M^nge der
resorbirten Substanz in den einzelnen Fällen ausserordentlich wechselt und
in unseren Bestimmungen zwischen 30 «nd 95 Procent des zugöfüfarten
Stickstoffes schwankt. Bei der von uns gewählten Zusammensetzung der
Klystiere waren dieselben aber in keinem Falle ausreichend, den Körper
auf seinem Bestände zu erhalten. Allerdings waren unsere Klysmata ver-
bal tnissmässig arm an stickstoffhaltiger Substanz , wie denn auch ihr ge-
sammter Galoriengehalt nur ein geringer ist und bei Weitem nicht das
Bedürfhiss deckt, welches bei Personen von 50 bis 55 ^ Körpergewicht, trotz-
dem sie sich in absoluter Bettruhe befanden, doch nodi zum mindesten
1500 bis 1650 Calorieen pro die betragen würde. Leider «teht zunächst einer
Steigerung des affectiven Gehaltes solcher Nährklysmen die Schwierigkeit
entgegen, dass dieselben bei stärkeren Gaben N-haltiger Substanz, sei es,
dass man das einzelne Klysma gehaltvoller macht, sei es, dass man die Zahl
der täglichen Klysmata über 8 hinaus steigert, reizend auf die Darmschleim-
haut wirken und dann zu schnell ausgestossen werden. Dies gilt sowohl
von einem grösseren Zusatz von Eiern, wie von künstlichen Nährpräparaten,
als da sind Eucasin und Somatose. v. Leube, welcher bezüglich der Eier
die gleiche Erfahrung wie wir machte, glaubt, dass die Aufsaugung der-
selben zu langsam von Statten geht, und dadurch die lujectionsmasse der
intensiven Wirkung der Fäulnissbakterien ausgesetzt ist Dabei blieb es,
was die Tolersmz des Darmes anbelangt, ganz gleich, ob wir die Klysmen
den Kranken als hohe Eingieasungen beibrachten, d. h. das Darmrohr so
hoch wie möglich in den Darm einführten, oder uns damit begnügten, die
Masse in den untersten Darmabschnitt einsospritzen. Auch hier begegneten
wir grossen individuellen Schwankungen, die aitch durch event. Zusatz von
Opium nicht ausgeglichen werd^ konnten. Manche Patienten ertrugen
die Bectalernährung Wochen lai^ — in einem FaU bis zu 30 Taigen — ,
andere konnten die Klystiere schon am 3. oder 4. Tag nicht mehr halten
ufid klagten über heftige Schmesrzeln nach iAev während ihrer Applicatton.
Höchst auffallend war aber in allen Fällen — ich entsinne mich nur
einer Ausnahme — das vollige Fehlen des Hungergefühls bei den Patienten.
Manche — übrigens auch nicht alle — klagten am 1. und 2. Tag und
verlangten nach „Essen^^ Dann aber waren sie mit ihrer Lebensweise ganz
zufrieden, gaben auch direct an, keiseai Hunger zu haben. Jedenfalls war
ihnen der durch die Rectalernährung verursachte Zustand der Scbmeiz-
freiheit so angenehm, dass sie die Begungen ihres „Hu]]^erGentrums" leicht
unterdrückten und etwaige Mahnungen desselben gern in den Kauf nahmen.
Uebrigens mögen an dieser Stelle diese kurzen Andeutungen genügen
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166 C. A. Ewald:
Lieber die klinische Seite der Frage wird Hr. Dr. Rost ausfuhrlich ander-
wärts berichten und dabei namentlich auch die Bedeutung der Wasserzufuhr
durch die Klysmen, die mit den eigentlichen Nährstoffen Hand in Hand
geht, aber in allen den Fällen, wo die Aufnahme und Zufuhr von Flüssigkeit
durch die oberen Wege bezw. den Magen behindert oder unmöglich ist, die
grösste Bedeutung hat, besprechen.
In jüngster Zeit hat Plantenga Versuche über den Werth der Nähr-
klystiere^ veröffentlicht, in welchen er zu wenig günstigen Resultaten über
das Aufsaugungsvermögen der Dickdarmschleimhaut für stickstoffhaltige
Substanzen kommt. „Mehr als 25 8™» Eiweiss am Tage \vurde kaum resor-
birt; im Ganzen war die Aufnahme eine äusserst geringe, und nur für die
Somatose etwas besser, namentlich wenn Kochsalz zugesetzt wird und nicht
zu grosse Mengen eingespritzt werden, damit die Verweildauer eine mög-
lichst grosse ist"
In der That ist die Stickstoffaufnahme bei dem genannten Autor eine
äusserst geringe, zum Theil allerdings deshalb, weil er nur sehr geringe
Mengen N-haltiger Substanz verwendete. Aber selbst in dem einzigen Falle,
in dem er 70 ^™ N in Summa per rectum einführte, sind im Mittel pro
die nur 0«375 »"" N, insgesammt bei einer 4tägigen Periode nur 1-43 ^™
„von dem per rectum eingeführten Stickstoff zurückgebüeben". Plantenga
kritisirt Eingangs seiner Arbeit die Versuche seiner Vorgänger und kommt
zu dem Schluss, dass dieselben „für eine erhebUche Eiweissresorption im
Dickdarm nicht beweiskräftig sind und die bisher gemachten klinischen
Beobachtungen theils ihrer Unvollständigkeit wegen für den Werth der
Nährklystiere nicht verwendbar sind, theils zu einem abfalligen Urtheil Ver-
anlassung geben."
So wird an meinen oben citirten Versuchen getadelt, dass der Stuhl
der einzelnen Perioden nicht durch Kohle abgegrenzt und die N- Bestim-
mung nicht durchgängig nach der KjeldahTschen Methode ausgeführt, son-
dern der Hamstickstoff nach Pflüger-Bohland bestimmt wurde. Plan-
tenga übersieht, was ersteren Punkt betrifft, dass die Patientin, über die
ich seiner Zeit berichtete, überhaupt keinen spontanen Stuhl hatte und
durch den hohen Wassereinlauf in den Darm — das sog. Reinigungs-
klystier — welches zu Anfang und zu Ende jeder Versuchsperiode vorge-
nommen wurde, der auf jede Periode entfallende Koth in vollkommen aus-
reichender Weise abgegrenzt wurde. Dagegen muss ich zugeben, dass ich
besser gethan hätte, meine Zeit nicht mit der Pflüger-Bohland'schen
Methode der N-Bestimmung hinzubringen, von deren ünbrauchbarkeit für
praktische Zwecke heut zu Tage Jedermann überzeugt ist An der Richtig-
* Inaug.-Dissert. Preiburg i. B. 1898.
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ÜBEE EBNÄHRUNG8KLY8MATA. 167
keit der damit zu erlangenden Resultate also auch meiner damaligen Er-
gebnisse wird dadurch allerdings nichts geändert
Leider gelten die Vorwürfe, welche Plantenga seinen Vorgangem
macht, aber thatsachlich für ihn selbst, insofern er es an genaueren Daten
über die Anstellung seiner Versuche fehlen lässt und seine scheinbare Aus-
führlichkeit in tabellarischer Wiedergabe der einzelnen Tage der Versuche
und der darauf entfallenden Stoffwechselfactoren bei näherem Zusehen einiger-
maassen problematisch wird. Plantenga geht nämlich offenbar so vor,
dass er in seinen 4- bezw. 5tägigen Versuchsperioden nur die Summe des
gesammten während der Versuchsdauer in Harn und Fäces ausgeschiedenen
bezw. im Hysma eingebrachten N bestimmt und durch Division für die
einzelnen Tage berechnet Dadurch stellt sich dann eine merkwürdige Gleich-
mässigkeit für die einzelnen Tage jeder Periode heraus, wie sie natürlich
in Wahrheit nie statt hat Allerdings wird dadurch am Endresultat nichts
geändert, wozu aber dann der Aufputz mit den einzelnen Tagestabellen?
Indessen das ist schliesslich nur eine harmlose Verschwendung von Drucker-
schwärze. Bedenklich wird aber folgendes Vorgehen. Plantenga bestimmt
in einer ersten 4tägigen Versuchsreihe die Menge des bei einer bestimmten
Eost in den Fäces ausgeschiedenen N. Er giebt dann ausser dieser Kost
in neuen Versuchsperioden Nährklysmata verschiedener Zusammensetzung
mit bekanntem N-Gehalt Es wird für jede Periode der N-6ehalt der Fäcal-
ausscheidung bestinmit, und der „von dem per rectum eingeführten N zurück-
gebliebene'^ Stickstoff in der Weise bestimmt, dass zu dem N des Nährklysmas
der in der anfänglichen Versuchsreihe auf die Nahrung per os entfallene N
addirt und von der Summe der in der jeweiligen neuen Versuchsreihe in
den Darmentleerungen gefundene N abgezogen wird. Dies Verfahren setzt
voraus, dass die Resorption der Nahrung per os im Darm in allen Ver-
suchen, also zu den verschiedensten Zeiten dieselbe gewesen ist — eine
selbstverständlich ganz willkürliche Annahme. Bei solchem Vorgehen werden
aber auch die gewonnenen bezw. errechneten Resultate unsicher und ent-
sprechen jedenfalls nicht genau dem thatsächlichen Verhalten. Indessen
sind — selbst wenn man diesen Fehler in Betracht zieht — unsere beider-
seitigen Resultate so sehr verschieden (95 zu 2-04 Procent effectiver N-Auf-
nahme!), dass ich nur annehmen kann, dass Plantenga die Methode der
Einbringung der Nährklysmata nicht genügend beherrscht oder das Unglück
gehabt hat, auf ganz besonders ungeeignete Individuen zu treffen.
Dass unter günstigen Umständen eine sehr erhebliche, meist
eine beträchtliche Menge des per rectum eingeführten N resor-
birt wird, geht unzweifelhaft aus unseren Versuchen und klinischen Be-
obachtungen hervor, wenn sich auch ein Ansatz von N in den vorliegenden
Fällen nicht erzielen liess. Es wird Aufgabe weiterer Versuche sein, eine
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lt)8
C. A. Ewald :
Form der Darreichang des Eiweisses zu fiDden, bei welcher dasselbe in
grösseren Quantitäten oder in oonoentrirter Form dem Darm einverleibt
werden kann, ohne dagß es zu Beizersch^ungen kommt, welche die vorzeitige
Ausstossung des Klysmas zur Folge haben.
Analytische Anlage.^
Fall I. Urin.
Tag
Menge
1. 8.-4. Febr.
820<="»
2. 4.-5. „
695 ,.
3. 5.-6. „
940 „
4. «.—7. ,.
1200 „
5. 7.^8. „
1400 ..
Reaction
Spec. Gewicht Stickstoff in Grammen
amphoter
sauer
1020»™
1027 „
1019 .,
1021 .,
1017 ..
5-74
8*05644
8*68296
9*1392
10*976
42*54
Ad 1. 3. bis 4. Februar.
5ccm Urin werden zum Ejeldahl genommen.
Vorgelegt wurden: 20-0*^*^ ^5 HgSO^, diese brauchten zur Neutralisation
12. 5 <^"*
Vg NaOH. Bleiben
Vs HjSOj, zu multipliciren mit
0-0028 = 0*086«^ N in 5«^.
Also im 820^^ 0035 X 164 « 5-74^ N.
Ad 2. 4. Ms 5. Februar.
5ccm Urin zum Kjeldahl verwandt.
Vorgelegt wurden: 25*0°®" Vs H^SO^, diese brauchten zur Neutralisation
4-3 „ Vg NaNH.
20.7 ccra ly^ HjSO^r
Also 20*7 X 0*0028 = 0*05796^™ N in 5«<^"*.
Also in 695««» 0-05796 X 139 = 8-05644^ N.
Ad 3. 5. bis 6. Februar.
5 ^^ Uriii werden verarbeitet.
20-0^«°» Vß HoSOj
16 •4«^"» i/g HjSO^ X 0-0028 — 0*04592 X 188 « 8-63296^™» N.
Ad. 4. 6. bi« 7. Febniar.
20.0 ccMD i/ßHjjSG^
_ 6^ ,^_Vß NjiOH^
13^6«^™ Vs H2SO4 X 0*0028 = 0-03808 X 240 = 9*1392^"» N.
Ad 5. 7. bis 8. Februar.
60 „ Vg NaOH
14.0 com ij^ H3SO4 X 0-0028 = 0*0392 X 280 = 10-976^™ N.
Von Hrn. Dr. Rost.
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ÜBEK EbNÄHBUNOSELYSMATA.
169
Ernährungsklysma. Jedes Ernährungsklysma bestand aus Milch,
Eigelb, 1 Theelöffel Mehl, 1 Glas Wein.
Die Menge betrug 400*^*^.
Es wurden 3 Elysmata pro die verabreicht — 1200 <'<'"*.
Es werden zwei Proben analysirt. Hierzu je 10 ^'^^ entnommen.
iQccm Ernährungsklysma.
1. SO-O"»
6-7 „
V» H,SO,
V, NaOH
23 • 3 ""
2. bO-0<^
26.6 „
V. H,SO,.
V. H,80,
V» NaOH
23.400111
also 23-3 X 0-0028 = 0-06524 X 120 == 7
V5 H,SO,
8288.
Der durch 3 Klysmata zugefuhrte N = 7*8288 ^™".
Stuhlgang. Jede Portion Stuhl wird mit schwefelsäurehaltigem Wasser
angesäuert und abgedampft. Die folgenden werden hinzugegossen, wieder
angesäuert u. s. w.
Schale ohne Koth wog . . 860«^
Schale mit Trockenkoth wog 927 „
also 67-0 8^ Trockenkoth.
Von diesen 67 -0«?™ Trockenkoth werden zwei Proben entnommen ä 1-0
und werden verarbeitet.
1.
20 «O^*^"»
0-3 „
U H2S0,
VßNaOH
30.0 com Ij^ H^go^
10» 2 „ VgNaOH
ig.gccm
also 19.75 X 0-0028 = 0.Ö553 X 67 = 3-7051 «^ N.
V5H3SO,
Fall IL
Urin.
Tag
Menge
Reaction
Spec. Gewicht
Stickstoff in Grammen
1. 24.— 25. März
920 ccm
sauer
1017 »'"
8-39776
2. 25.-26. „
530.,
,,
1029 ,.
10-888
8. 26.-27. ..
590 „
>»
1021 „
6-74016
4. 27.-28. „
830 „
„
1017 „
10-9228
5. 28.-29. .,
510 „
y.
1028 „
10-08168
6. 29.-80. „
870,.
.,
1025 „
7-252
I 58-7824
Ad 1. ö««» Urin.
30.0^0°» i/s HjSO^
13-7 „ VgNaOH
16-3 X 0-0028 = 0-04564 X 184 = 8-39776 «^ N.
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170
C. A. Ewald:
Ad 2.
Ad 3.
Ad 4.
Ad 5.
Ad 6.
5^»° Urin.
40 • 0 «<^°
ö-O „
35-0 X 0
5 «^^^^ Urin.
30« 0^^
9.6 „
20-4 X 0
5 ««'^ Urin.
40 • 0 ^^"^
16.5 „
23-5x0
5 <^^™ Urin.
40 . 0 <^®™
4.7 .
35-3x0.
5 <^™ Urin.
4Q.0ccm
5-0 „
Ö028 = 0-098 X 106 = 10-388.
U NaOH
6 H^SO,
0028 = 0-05712 X 118 = 6'74016.
U H3S0,
U NaOH
0028 = 0.0658 X 166 = 10-9228.
/e H3SO,
U NaOH
0028 = 0 . 09884 X 102 = 10 • 08168.
U H3S0,
/g NaOH
35.0x0.0028 = 0.098X74 = 7-252.
Eine Analyse des Ernährungsklysmas, von welchem zwei Proben
entnommen wurden, ergab dieselben Resultate wie in Fall I.
3 Klysmata« 7.8288^ N.
In 6 Tagen = 18 Klysmata = 46.9728»™» N.
Stuhlgang:
Schale ohne Roth . . . 85-0*^
Schale mit Roth. . . . 147'0 „
Also Roth T~6¥-ir^.
Der Roth war absolut trocken. Diesen ß2^^ Trockenkoth wurden
drei Proben entnommen.
1. 0.5»™».
2. 0.5»™».
3. 10^^.
60 -O"'"
53-6 „
'U H,SO,
Vs NaOH
6.4 ccm
20 • 0 ''"
14.1 „
1/5 NaOH
5,9ccm_
60-0«™
47-2 „
Vs H,SO,
1/5 NaOH
12-8 "<■"'.
Also 6.2 X 0.0028 = O01736X 124 = 2-15264»™ N.
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Übeb Ebnähbdkoseltsmata.
171
Fall III. Urin.i
Tag
Menge
Reaction
Spec. Gewicht! Stickstoff in Grammen
1. 14.— 15. April
970 o«m
sauer
1016 8™
5*26904
2. 15.— 16.
»»
830,,
„
1022 .,
10.292
3. 16.-17.
»>
510 „
„
1029 „
9-1392
4. 17.-18.
»> '
500 „
f>
1029 .,
9-576
1 84.27624
Ad 1.
5 com
Urin.
30 -O^^""
20.3 „
V5 H2SO,
Vß NaOH
9.7X0.0028 = 0.02716 X 194 = 5-26904^ N.
Ad 2.
5ccm
Urin.
30*0 ccm
'U H2S0,
7-5 „
V5 NaOH
Ad 3.
Ad 4.
22.5X0.0028 = 0.062X166 = 10-292^°^ N.
5ccm Urin.
50.0 ccm 1/5H2SO4
18-0 „ VgNaOH
32.Ö'x 0.0028 = 0-0896 X 102 = 9-1392 8^ N.
V» H2SO,
5ccni Urin.
40*0 <^cm
5-8 „ V«NaOH
34-2 X 0.0028= 0-09576 X 100 = 9-576«^™» N.
Klysma.
3 Klysmata . . . . = 7-8288^ N.
Also in 4 Tagen . . =31-3152 „ „
Stuhlgang:
Schale ohne Koth ... 157 «^
Schale mit Koth . . . 389-1 „
2 Proben k 0-5»^.
Also Koth 232-1 f^.
1.
20-0^«°^ i/^H^SO^
3-0 „ Vß NaOH
17-0
2.
20-0^^™ Vß H3O4
2.9 „ VßNäOH
Also 17-0X0-0028 = 0-0476.
Also in 232-18r™ Roth 0-0476 X 464-2 = 22-1.
* Der Versuch musste nach 4 Tagen abgebrochen werden, da Pat die Klystiere
nicht mehr halten konnte.
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172
C. A. EwaIiD:
Fall IV
. Urin.
Tag
Menge
c«m
Reaction
neutral
Spec. Gewicht
gnn
Stickstoff
Crm
Gew. d. Pat.
1. 29.-30. Juni
1185
1007
6-10512
^^:^d.so.vi.
2. 30.Juni -I.Juli
1365
sauer
1007
9-05814
58-0
3. 1.— 2. Juli
1200
„
1009
10*2816
57-6
4. 2.— 3. „
735
ft
1012
7-8204
57-1
5. 3.- 4. „
800
»»
1012
8-96
56-6
6. 4.— 5. „
865
tt
1011
8-62232
56-1
Ad 1.
5ccin Urin.
ßQ.Occm
41-6 „ VioNaOH
18-4 = 0.02576 X 237 = 6-10512^™» N.
Ad 2. 5«<^™ Urin.
40. 0<^ Vj^HgSO^
Ad 3.
16-3 „ VioNaOH
23.7X 0-0014 = 0-03318 X 273 = 9-058148^ N.
5ccm xjrin.
4-7 „ V.NaOH
15.3X 0-0028 = 0-04284x240 = 10-28168^ N.
5ccm xjrin.
20-0 <^^°» VßHaSO^
1-0 „ VgNaOH
19-0 X 0-0028 = 0-0532 X 147 = 7-8204»™» N.
5ccm Urin.
25-0 ccm i/gHgSO^
5-0 „ VgNaOH
20-0X0-0028 = 0-056x160 = 8-96^ N.
5ccin Urin.
25.0 ccm i/gHgSO^
7-2 „ V, NaOH
17-8X0.0028 = 0-04982x173 = 8-62232»™ N.
Gesammtmenge des N = 50-84758»™ N.
Erbrochenes. Am l./VII. 1896. Klare Flüssigkeit 322 »™. Fr. Ha
+ Acid. 43. N-Gehalt = 0.
Am 3./Vn. 1896. Fr. HCl + Acid. 46. N-Gehalt = 0.
N-Gehalt des Erbrochenen = 0.
Ad 4.
Ad 5.
Ad 6.
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ÜBEB EBNÄHBUNG8KLT8HATA. 178
Ernährungsklysma. In drei Portionen wurden 800 ^f^ verabreicht.
Jede Portion enthielt 2 G^lbeier, 1 Messerspitze Salz, 1 Messerspitze Mehl,
1 Glas Rothwein. Zur N-Bestimmung wurden entnommen je 5*0 s^^.
1. 40 -0^°» Vs H2SO4
20»! „ VgNaOH
19.9 X 0-0014 = 0-02786 X 160 = 4-4576 X 2 = 8.9152.
2. 4.51. 3. 4.44. 4. 4-45.
In 6 Tagen wurden zugeführt: 53-4912«™» N.
Stuhlgang. 412«™ trockener Koth. Zur Bestimmung entnommen 0-5«™.
3 Bestimmungen ergaben:
60-0°«"» 1/5 HjSO^
44>7 „ VgNaOH
15. 3 X 0-0028 = 0,04284X824 = 35. 30 «'"^ N.
Von Fall V sind die speciellen analytischen Daten leider nicht mehr
Torhanden. Auch hier wurden meist Doppel- Analysen angefertigt.
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Sexualfunction und Stoffwechsel.
Ein experimenteller Beitrag zor Frage der Organtherapie.
Von
Dr. A. Loewy, und Dr. Faul Friedr. Biohter,
Priratdoo. an der Unirertltftt Aadifc. der III. med. Klinik
In Berlin, In Berlin.
(Aus dem thierphysiolog. Lnboratorinm der landwirthschaftl. Hochschule zu Berlin.)
Drei Decennien sind nunmehr verflossen, seitdem Brown-Söquard
mit seiner Entdeckung der „inneren Secretion" die Grundlage zu der
modernen Gewebssafttherapie gelegt hat. Dieselbe hat eine Entwickelung
genommen, wie wir sie so oft in der Geschichte der Medicin sehen: Erst ver-
lacht und verspottet, hat nach vereinzelten stannenswerthen Resultaten die
Organtherapie in kurzer Zeit grosse Bedeutung erlangt und vielfaltige An-
wendung erfahren, ohne dass die Heilerfolge die hochgespannten Erwartungen
befriedigt hätten. Eine rohe Empirie hat die Methode discreditirt; gewisse
mystische Vorstellungen, die mit ihr verbunden sind und sie bald als einen
Ausfluss homöopathischer Denkungsweise, bald als eine Fortführung uralten
Volks- und Köhlerglaubens erscheinen liessen, haben wissenschaftlich denkende
Aerzte mit der grössten Skepsis erfüllt. Nur langsam und allmählich, wie
mit einem gewissen inneren Widerstreben, wendet sich die experimentelle
Forschung der dankbaren Aufgabe zu, eine Erklärung für diese räthselhafteste
aller therapeutischen Wirkungen zu suchen.
Die von Brown-S6quard aufgestellte Lehre lautet bekanntlich dahin,
dass in erster Reihe die Drüsen des Körpers, dann aber alle Gewebe ge-
wisse specifische Stoffe liefern, welche, in's Blut aufgenommen, durch dessen
Vermittelung alle Zellen des Organismus beeinflussen, deren Fehlen schwere
Veränderungen nach sich zieht: „Les söcr^tions internes, seit par une in-
fluence favorable directe, soit en empechant des actions nuisibles, semblent
etre d'une grande utilite pour maintenir Tetat normal de Torganisme."
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A. LoEWT UND P. F. Richter: Sexüalfünction u. Stoppwechsel. 175
Ihre glänzendste Bestätigung hat diese Lehre an der Schilddrüse
erfahren. Physiologisches Experiment, wie pathologische Beobachtung haben
einhellig erwiesen, von welch' schweren Folgen für den Körper der Ausfall
der Schilddrüsenfanction sehr häufig begleitet ist, wie andererseits die Sub-
stitution der ausgefallenen Drüse im Stande ist, diese üblen Folgen ganz
oder theilweise aufzuheben. Weniger klar li^en die Verhältnisse für eine
andere Reihe von Drüsen-Gebilden, und am skeptischsten ist die Brown-
S^quard 'sehe Lehre gerade für die Art von Drüsen aufgenommen worden,
von denen sie ursprünglich ausging, nämlich für die Geschlechtsdrüsen.
Und doch liegen für eine experimentelle Prüfung hier die Verhält-
nisse, schop oberflächlich betrachtet, am günstigsten: die Herausnahme der
Geschlechtsdrüsen ist eine verhältnissmässig einfache Operation; sie geföhrdet
das Leben des Individuums nicht; welche Veränderungen der Ausfall der
Geschlechtsdrüsen schafft, das ist durch vielfältige Erfahrungen an Thier
und Mensch festgestellt — Mehr als vom männlichen, gilt dies Tom weib-
lichen Geschlecht: der Eigenart und Bedeutung des weiblichen Organismus
entsprechend, ist hier der Einfluss des Sexualapparates auf die Körperfunc-
tioneu, ebenso wie letzterer räumlich ausgedehnter ist, auch ein weit um-
fangreicherer, als beim Manne.
Um zu erfahren, wie dieser Einfluss sich äussert, dafür haben wir über-
di^ eine Reihe von Wegen:
1. Das Studium der Veränderungen, welche die natürlich sich voll-
ziehende Atrophie der Geschlechtsdrüsen, wie sie das klimakterische
Alter mit sich bringt, herbeiführt
2. Die Beobachtung der Erscheinungen, welche nach künstlicher
Entfernung der Keimdrüsen, also bei antecipirter Klimax, eintreten. Hier-
für liegt durch die moderne operative Gynäkologie bereits ein reiches Mate-
rial vor.
3. Die Erfahrungen, welche die Thierzüchter gesammelt haben. Ist
doch die Castration weiblicher Thiere eine zu gewissen Zwecken bereits seit
Jahrtausenden geübte und eingebürgerte Operation.
Beginnen wir zunächst mit den klinischen Erfahrungen. Dieselben
ergeben, dass natürliche wie künstlich antecipirte Klimax von einer Reihe
von Veränderungen im weiblichen Organismus begleitet bezw. gefolgt sind,
die bei beiden Zuständen in gleicher Richtung ablaufen, in letzterem Falle
nur, entsprechend dem plötzlichen Verluste der Geschlechtsdrüsen, gewöhn-
lich stürmischer einsetzen und ausgesprochener verlaufen, als im gewöhn-
lichen Klimakterium, wo sich dieser Verlust langsam und allmählich vollzieht
Diese „Ausfallserscheinungen" — schon zu einer Zeit so gedeutet, als man
nur aus der zeitlichen Aufeinanderfolge der Erscheinungen auf eine Be-
ziehung zwischen Wegfall der Geschlechtsdrüsenthätigkeit und den Körper-
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176 A. LoEWT UND Paul Fbiedb. Richteb:
functioDSstörungen schloss, ohne sich theoretischen Specolationen über die
Natur dieser Beziehungen hinzugeben — betreffen die yerschiedensten
Systeme und Organe: Der Genitalapparat atrophirt; Störungen des Nerven-
systems documentiren sich durch die sogenannten „Wallungen", durch
Schweisse, durch Schwindelanfälle, in hochgradigeren Fällen wohl auch durch
Alterationen der Psyche. Daneben ist nicht selten ein deutlicher Einfluss
auf den allgemeinen Ernährungszustand unverkennbar. Die moderne Deu-
tung dieser Ausfallserscheinungen in dem Sinne der Brown-S^quard'schen
Theorie, das heisst also die Annahme, dass das Wegfallen eines Secretes,
welches die Geschlechtsdrüsen absondern und das in noch unbekannter
Weise den Gesammtorganismus zu beeinflussen vermag, das Auftreten der
Störungen verursacht, ist rein empirisch unserem Verständnisse näher
geruckt worden und erscheint uns jedenfalls plausibel, seitdem auf Ver-
anlassung von Theodor und L. Landau durch Mainzer^ gezeigt worden
ist — und eine grosse Anzahl von Autoren haben das bestätigt — wie die
meisten dieser Störungen, die mit Recht oder Unrecht auf den Ausfall der
Ovarien bezogen werden, nach Analogie der Schilddrüsentherapie durch den
internen Gebrauch von Ovarialsubstanz beseitigt werden können.
Aber ob es sich hier wirklich im Sinne der Lehre von der „inneren
Secretion" um den Ersatz eines Secretes handelt, welches mit der Ausschal-
tung der Ovarien dem Organismus verloren ging, das ist aus den mit-
getheilten Heilerfolgen doch wohl nicht mit Sicherheit zu schliessen. Wir
sehen dabei ganz von dem älteren Einwände He gar 's ab, der gegen eine
Parallelisirung des Ovarialsecretes mit dem der Schilddrüse in*s Feld führt,
dass die Schilddrüse keinen Ausführungsgang hätte und ihr Secret nicht
nach aussen, sondern vollständig in die Säftemasse abgäbe, dass dagegen
die Eierstöcke ihr Secret nicht nach innen, sondern in den Genitalschlauch
treten Hessen, von einer „inneren" Secretion also beim Ovarium überhaupt
nicht die Rede sein könnte. Wissen wir doch seit dem Beispiel des
Pankreas, wie neben dem nach aussen, hier in den Darm gelangenden
Secrete ein zweites, das in das Blut übertritt, eine für die Oekonomie des
Körpers ausserordentlich wichtige Rolle spielt
Es ist ein anderer Punkt, der der Verwerthung der therapeutischen Resultate
im Sinne der erwähnten Theorie Schranken auferlegt. Die in der Litteratur
niedergelegten Heilerfolge betreffen doch in der Hauptsache subjective Be-
schwerden aus' der nervösen Sphäre, bei denen wenigstens a priori der Ge-
danke an eine Suggestivwirkung nicht auszuschliessen ist Nun scheint ja
nach den übereinstimmenden Berichten zuverlässiger Autoren — und nament-
lich im Auslande sind wichtige Erfahrungen darüber gesammelt — eine
* Mainzer, Deutsehe medicinische WoehenMehrift. 1896.
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Sbxüalfünotion und Stoffwechsel. 177
blosse Suggestion bei der Ovarial- Organtherapie ausgeschlossen zu sein;
immerhin werden wir, wenn wir die auf der Lehre von der inneren
Secretaon beruhende Berechtigung einer solchen Therapie beziehungsweise
das Vorhandensein eines von den Ovarien ausgelösten Einflusses auf den Ge-
sammtorganismus erweisen wollen, uns nach Kriterien umsehen müssen,
die einer exacten Beurtheilung leichter zugangig sind und einen zuver-
lässigeren Maassstab abgeben, als die immerhin doch vieldeutigen Wirkungen
auf das Nervensystem.
Und solche Kriterien bieten sich nur dar in der Wirkung auf den Er-
nährungsznstand. Dass um die Zeit des Klimakteriums eine Zunahme
des Körpergewichte recht häufig zu beobachten ist, ist eine längst bekannte
und in den Volksmund übergegangene Erfahrungsthatsache. Haben wir
nun Anhaltspunkte dafür, die uns berechtigen, diese Gewichtszunahme zu
dem Aufhören der Thätigkeit der Geschlechtsdrüsen in Beziehung zu setzen
und in ihr nicht viehnehr ein mehr zufälliges Zusammentreffen zu erblicken,
das in seiner Häufigkeit vielleicht noch übertrieben wird? Diese Frage hat
schon vielfältige Bearbeitung gefunden, und da ihre positive Beantwortung
die Grundlage für unsere experimentellen Untersuchungen bildet, werden
wir zunächst auf sie einzugehen haben.
Wir können uns zunächst auf die in der Thierzucht gemachten Er-
fahrungen stützen. Die Castration der Thiere, besonders der weiblichen,
ist eine sehr alte Operation:^ Aristoteles und Plinius sprachen bereits
von ihr; Soranus von Ephesus erwähnt, dass „die Schweine darnach
starker und fetter werden." Galen spricht ebenfalls davon, „dass die
Schweine gewöhnlich castrirt werden, nicht nur bei uns, nicht nur in Klein-
asien, sondern auch in jenen nördlichen Grenzländern bis nach Kappadozien
hin. Sie werden alle sehr aufgeschwollen und fett." Hegar stellt aus
seinen sehr ausgedehnten und sorgsamen litterarischen Studien über diesen
Gegenstand fest, dass für junge Thiere allgemein eine leichte und schnelle
Mästung angegeben wird: der Uterus entwickelt sich nicht weiter nach der
Castration; die Brunst tritt nicht ein, die Thiere gewinnen ein ruhigeres
Temperament und damit die Tendenz zum Fettansatz. Anders stellen
sich die Verhältnisse bei erwachsenen Thieren; hier, allerdings weit weniger
geübt, führt die Operation nicht zu den gleichen Erfolgen, wie am jungen
Thier: Die leichtere Mästung bezw. der grössere Fettansatz sind sehr proble-
matisch; Parallel versuche, bei denen man castrirte und nicht castrirte Kühe
bei gleicher Fütterung und Pflege zusammenstellte, ergaben keine wesent-
lichen Unterschiede. Allerdings macht Hegar darauf aufmerksam, obgleich
> Die historischen ÄDgabeD s. bei Hegar, Die CastratioD der B>aaen. Volk-
maon's Klifi. Vorträge, S. 136-138.
Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physlol. Abthlg. Suppl. 12
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178 A. LoEWT UND Paul Fbesdb. Richteb:
ihm selbst die erwähnte Wirkung der Castration bei jungen Thicreu ausser
allem Zweifel steht, dass ähnliche genaue Parallelversuche, wie bei älteren
Thiereu, nicht gemacht sind.
Was ergeben nun die Erfahrungen am Menschen? Hier lauten die
Angaben über den Einfluss des Wegfalles der Geschlechtsdrüsenfunction bei
beiden Geschlechtern verschieden. Beim männlichen Geschlechte finden
entgegen der herrschenden Ansicht manche genau beobachtenden Autoren
keinen Einfluss der Castration auf den Fettansatz. So findet Bilharz^ die
Eunuchen ungewöhnlich lang und hager; Eremer^ beschreibt dasselbe.
White' macht auf die unbekannten Momente aufmerksam, die dabei be-
stehen müssen, indem die Kubier bald nach der Castration abschreckend
dick werden, während sich bei den Abessyniern die Schlankheit der Formen
nicht ändert.
Uebereinstimmend geben dagegen fast alle Autoren für das weibliche
Geschlecht eine Wirkung des Ausfalles der Geschlechtsdrüsenfunction auf
die Körperbeschaffenheit zu.
Was zunächst das Klimakterium betrifft, so meint Ploss:* „Es
machen sich in diesem wichtigen Zeitabschnitte Veränderungen an sämmt-
liehen Körperformen des Weibes bemerkbar. Dieselben sind nicht zum
kleinsten Theile bedingt durch eine nicht unbedeutende, bisweilen ganz er-
staunliche Zunahme des Fettpolsters an allen Theilen des Körpers — " und
er weist die Allgemeingültigkeit dieser Thatsache durch vergleichend an-
thropologische Studien eingehend nach.
Von statistischen Angaben, die darüber vorliegen, erwähnen wir die
ausführlichen von Tilt* Tilt findet bei der Untersuchung von 282 Frauen,
dass 5 Jahre nach dem Eintreten der völligen Menopause 121 stärker ge-
worden waren = 43 Procent, 71 ihren früheren Umfang behalten hatten
= 25 Procent, 90 magerer geworden waren = 32 Procent.
Die Gewichtszunahme ist darnach durchaus keine durchgehends beob-
achtete Erscheinung, sie gehört nicht zu den ständigen Folgen des Klimak-
teriums; immerhin muss sie bei ihrer relativen Häufigkeit die Aufmerksamkeit
auf sich lenken.
Ueber den Einfluss der durch operative Entfernung der Ovarien ante-
cipirten Klimax auf den Ernährungszustand liegt eine weit grössere, mit
der Zunahme der Erfahrungen sich noch steigernde Litteratur vor. Aeltere
Autoren, die erst über vereinzelte Operationsresultate verfügten, sprechen
» Bilharz, Senckenberg'scho Oetellschafl, Bd. V. 1864—65.
* Krem er, Egiipten. 1863.
3 White, Türkei. 1845.
* Ploss, Das Weih,
* Tilt, Citirt nach Krieger, Die Menstruation. Berlin 1869.
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Sexüalfünction und Stoffwechsel. 179
sich noch skeptisch aus. So meint Köberle:^ Uexstirpatioii des deux ovaires
n'apporte aucune modification notable dans Tetat geueral .... Les femmes
u'ont pas tendauco ä prendre un embonpoint oxagere, lorsquelles n'avaient
pas dejä une pr^disposition ä Tobesite." Dem gegenüber schreibt Hegar^
schon 1878: ^^Eine gewisse Neigung zum Embonpoint scheint mir jedoch
vorhanden, selbst wenn man den durch den Wegfall der Krankheitszustände
verbesserten Gesundheitszustand der Patientinnen in Rechnung zieht Eine
meiner Patientinnen, der ich beide Eierstöcke herausnahm, hat innerhalb
10 Monaten 20 Pfund zugenommen, eiue andere etwa 6 bis 8 Pfuntl. Bei
beiden ist keine Anlage zur Fettleibigkeit vorhanden, und das Temperament
ein sehr lebhaftes. Von 5 Hysterotomirten ist nur bei einer eine, wenn
auch gerade nicht sehr aulfallende, Zunahme des Embonpoints beobachtet
worden, welche besonders in den ersten Monat.en nach der Operation auf-
fallend hervortrat und sich später etwas verminderte." — Sieht man die
Hegar'schen Tabellen über die Resultate seiner eigenen doppelseitigen
Ovariotomieen und die bis dahin publicirten anderer Autoren durch, so
findet man öfters den ausdrucklichen Vermerk: ,sebr fettleibig nach der
Operation geworden*."
Von älteren Angaben nennen wir ferner die von Battey,* der über
einen Fall von Castration berichtet, bei welchem innerhalb dreier Jahre
nach der Operation die ganz exceptionelle Zunahme von 90 auf 250 Pfund
stattfand.
Puech* und Li6taud^ wollen keine Gewichtszunahme gefunden haben;
dagegen spricht sich Pean® im Sinne einer solchen aus: Ce qui est moins
discutable, c'est la tendance h Tembonpoint
Neuerdings verfugen wir über eine Reihe von Statistiken, die zahlen -
massig die Störungen nach Entfernung der Geschlechtsdrusen festzustellen
suchen mid auch für die uns hauptsächlich interessirende Frage des even-
tuellen Fettansatzes Material beibringen. Sehr eingehend beschäftigt sich
damit die Arbeit von Glaeveke.^ Bei 40 untersuchten Fällen findet er
Folgendes: In 22*5 Procent ändert sich der allgemeine Ernährungszustand
nicht, in 85 Procent nimmt das Körpergewicht wenig zu, in 42.5 Procent
erreicht diese Zunahme eine bedeutende Höhe. Die Gewichtszunahme be-
trägt bis zu 40 Pfund. Will man verhältnissmässig kleine Zahlen, wie es
^ Citirt Dach Hegar.
* Hegar, Die Ccutration der Frauen.
» Battey, These de Paris. 1871.
* Fnec\i, Monipellier mSdical, 1873. T. XXX.
* Li^taud, Archivfs gMrales de midecine, 1879.
* P4an, Qazette midieale. 1880. — TraiU des tumeurs de Vahdomen. 1895.
' Qlaeveke» Archiv für Gynäkologie, 1889.
12*
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180 A. LoEWY UND Paul Friedb. Richteb:
doch immerhin 40 Fälle nur sind, für statistische Vergleichszwecke be-
nutzen, dann ist es interessant, zu ersehen, dass, wie Glaeveke aufmerk-
sam macht, die Zahl von 42-5 Procent fast genau mit der von Tilt bei
Klimax gefundenen übereinstimmt
Weiterhin ist es für die theoretische Auffassung von Wichtigkeit, dass
Glaeveke zum ersten Mal genauere Vergleiche angestellt hat zwischen der
Wirkung, welche die operative Entfernung der Ovarien und die Totalexstir-
pation des Uterus nach sich zieht. Hierbei zeigt sich nun Folgendes: Nach
letzterer findet in 66 Procent der Fälle kein Fettansatz statt und nur in
25 Procent nimmt die Körperfülle in auffallender Weise zu. Diejenigen
Fälle aber, in denen der Fettansatz am bedeutendsten ist (21 und 24 Pfund),
sind solche, bei denen gleichzeitig eine Verletzung oder Zerstörung
der Ovarien während der Operation stattgefunden hat; schaltet man diese
Fälle aus, dann wird die Differenz in der Wirkung auf den Ernährungs-
zustand zwischen Castration und Totalexstirpation noch eclatanter.
Aehnliche Resultate hat Pf ist er ^ ermittelt Auch er kommt zu dem
Schlüsse, dass eine vermehrte Neigung zur Fettablagerung nach Castration
entschieden vorhanden ist. Seine Zahlen ergeben sogar bei 52 Procent der
Operirten eine Zunahme, bei 30 Procent ein Gleichbleiben, bei 18 Procent
einen Rückgang des Körpergewichtes. Dabei ist aus seinen Ergebnissen
als besonders bemerkenswerth hervorzuheben, dass in den positiven Fällen
sich die Gewichtszunahme verhältnissmässig rasch vollzieht und oft schon
nach Verlauf eines Jahres sehr angesprochen ist.
Eine auffallige Neigung zur Fettsucht bei castrirten Frauen vermeldet
ferner Sherwood Dune.^ Von Hundert seiner Ovariotomirten haben 35 an
Gewicht zugenommen, und zwar mehr die in jugendlichem Alter operirten,
als ältere Frauen, die zur Operation gelangten.
Nicht ganz in demselben Sinne, wie bei den erwähnten Autoren, ist
die Statistik Jayle's ausgefallen. Jayle' meint sogar: L'adipose est con-
trairement ä ce que Ton pensait, un des eflfets les plus rares de la castra-
tion. — Immerhin erweisen auch seine Feststellungen bei 10 von 42 doppel-
seitig Ovariotomirten eine Zunahme des Körpergewichtes, bei 4 davon sogar
eine äusserst beträchtliche. Von 13 Fällen mit gleichzeitiger Herausnahme
des Uterus ist bei 5 eine Zunahme notirt; von 14 Uterusexstirpationen
ohne Entfernung der Adnexe ist dagegen nur bei 3 Patientinnen ein Fett-
ansatz aufgetreten.
Ganz ablehnend gegenüber einer als Folgeerscheinung der Castration
auftretenden Fettsucht verhält sich, soweit wir die Litteratur übersehen, von
* P fister, Archiv für Gynäkologie. 1898.
* Shorwood Dane, Annales of gynaecolopy. Vol. XI.
^ Jayle, Revue de gyndcologie. 1897.
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Sexüaleünction und Stoffwechsel. 181
neueren Autoren nur Keppler/ der zu dem Resultate kommt: „Von der
allgemein hervorgehobenen Neigung zum Embonpoint nach Castration habe
ich in keinem Falle etwas bemerkt; vielmehr sind alle meine Patientinnen,
wenn auch nicht bedeutend, doch entschieden schmächtiger geworden."
Wir sind auf diesen Punkt etwas ausführlicher eingegangen und haben
geglaubt, die bis jetzt in der uns zugangüchen Litteratur vorliegenden An-
gaben zusammenstellen zu sollen, um nachzuweisen, inwieweit die allgemein
übliche Annahme eines Zusammenhanges zwischen Fettsucht und Geschlechts-
drüsenthätigkeit exacten, zifFermässigen Feststellungen gegenüber Stich hält.
So viel geht jedenfalls aus diesen hervor, dass nach dem Aufhören der
Geschlechtsdrüsenfunction eine Veränderung des Ernährungszustandes im
Sinne einer Gewichtszunahme eintreten kann. Durchaus nicht in allen
Fällen, nicht einmal in der überwiegenden Mehrzahl, inmierhin aber in
einem verhältnissmässig stattlichen Procentsatz, der die Erscheinung über
das rein Zufallige erhebt, zumal er bei der natürlichen, wie bei der künst-
lich antecipirten Klimax, also in verschiedenem Lebensalter, ungefähr der
gleiche ist
Nun sind allerdings die Thierversuche nicht ganz eindeutig; denn
die Thierzüchter beschranken sich ja für ihre Zwecke nicht auf die Operation
allein, sondern sie wenden daneben, worauf besonders Ebstein aufmerksam
macht, forcirte Ernährung und Einzwängen in enge Räume, also Ausschluss
von Bewegung, an, beides Momente, die allein für sich schon genügen
würden, Fettausatz zu erzeugen. In der Castration brauchte man demnach
nicht das veranlassende, sondern nur das begünstigende Moment für die
Besserung des Ernährungszustandes zu sehen.
Auch die statistischen klinischen Angaben lassen insofern eine er-
hebliche Lücke, als sie wenig oder gar nicht die anderen Momente berück-
sichtigen, welche zur Fettleibigkeit führen oder wenigstens eine dazu vor-
handene Neigung unterstützen. Abgesehen von den einer weiteren Dis-
cussion wohl nicht benöthigenden Einflüssen, wie sie die Diät, wie sie Ruhe
und Bewegung darstellen, kommt hier vor Allem die Erblichkeit in
Frage, die erfahrungsgemäss eine so grosse Rolle in der Aetiologie der Fett-
leibigkeit spielt Von Heredität ist, wenn wir von den vereinzelten An-
gaben, die in dieser Beziehung Hegar macht, absehen, in den citirten
ausführlicheren Statistiken so gut wie gai* nicht die Rede, und gerade dieser
Factor ist, wählend die anderen viel schwerer controlirbar sind und man
sich meistens mit der allgemeinen Angabe begnügen muss: die Lebens-
führung wäre vor und nach der Operation ungefähr dieselbe geblieben —
ein Umstand, der den Wert der Statistiken erheblich abschwächt — am
Keppler, Wiener klinische Wochenschrift. 1891.
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182 A. LoEWY UND Paul Frcedb. Richteb:
leichtesten zu eruiren. In dieser Beziehung ist von Interesse eine Statistik,
die Hr. Prof. Landau die Güte hatte, anstellen zu lassen: sie ergiebt —
auf die Details wird au anderem Orte eingegangen werden — dass bei
den etwa 25 Procent Frauen, welche nach Castration eine mehr oder minder
erhebliche Fettzunahme innerhalb Jahresfrist zeigten, die Heredität von
keinem deutlichen Einflüsse war; Frauen, in deren Familie keine Fett-
leibigkeit herrscht, nehmen ebenso häufig an Gewicht zu, wie die hereditär
Belasteten.
Trotz aller berechtigten Einwände bleibt jedenfalls die Thatsache be-
stehen, dass in einer nicht unerheblichen Anzahl von Fällen der. Ausfall
der Geschlechtsfunction von einem mehr oder weniger erheblichen Fett-
ansatz gefolgt ist, und es hat von jeher nicht an Erklärungsversuchen fQr
diese auffallende Erscheinung gefehlt. Allerdings können uns manche da-
von nicht gen (igen. So werden wir uns die Erklärung, die ältere Autoren,
wie Krieger, geben, dass nämlich das durch das Aufhören der Menses
überschüssige Blut zur Fettbildung verwendet würde, bei dem heutigen Stande
unserer Kenntnisse über Fettbildung nicht zu eigen machen, wie uns auch
die Ansicht von Ebstein wenig befriedigen kann, der in der „Blutarmuth"
ein beförderndes Moment für die Fettsucht nach Castration erblickt.
Gerade die Erfahrungen, welche man mit der ohne wesentliche Aen-
derung der Lebensweise eintretenden Fettleibigkeit klimakterischer und
castrirter Frauen gemacht hat, haben schon seit Längerem dazu geführt, ihr
eine gewisse klinische Sonderstellung zu verschaffen, in ihr ein Beispiel der
sogenannten „constitutionellen" im Gegensatz zur „Mastfettsucht" zu sehen,
richtiger ausgedrückt, ein Beispiel eines activen Bestrebens des Organismus,
einer Fettsucht in engerem Sinne im Gegensatz zu einem ihm passiv
aufgezwungenen Zustande, der Fettleibigkeit
Von Cohnheim rührt bekanntlich die Hypothese her, dass in der
Aetiologie der „Fettsucht" eine Herabsetzung der oxydativen Thätigkeit der
Körperzellen eine Rolle spiele; speciell mit Rücksicht auf die uns beschäf-
tigende Form derselben hebt Cohnheim ausdrücklich hervor: „Auch das
Fettwerden castrirter Menschen und Thiere wird kaum allein dadurch er-
klärt werden können, dass das Eiweiss, das sonst zur Samen- und Eiberei-
tung bezw. für die Menstruation verbraucht wird, nun zur Fettquelle dient;
vielmehr wird man auch hier eine Aenderung der Gesammtconstitution
heranziehen müssen, welche sich in der verringerten Energie der Oxydations-
processe in den Gewebszellen documeutirt." Kisch und von Noorden ver-
treten ebenfalls die Hypothese von dem krankhaft verlangsamten StofiFwechsel
gewisser Fettsüchtiger, und selbst Magnus-Levy,^ der auf Grund eigener
^ A. Magnus- Levy, Zeitschrift für klinische Afedicin, Bd. XX.
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S£XUAliFUNCTIOM UND STOFFWECHSEL. 183
und der in der Litteiatur vorhandenen Gaswechseluntersuchungen bei Fett-
süchtigen sich gegen die Annahme einer bemerkenswerthen Herabsetzung
des Umsatzes Fettsüchtiger unter die bei gesunden Individuen gefundenen
Werthe erklärt, giebt wenigstens die Möglichkeit zu, dass eine geringe
dauernde Herabsetzung der Stoffwechselenergie, wie sie allerdings nach seinen
soDstigen Erfahrungen noch innerhalb der Versuchsfehlergrenzen liegen
müsste, vorhanden sein könne, um das allmähliche Zustandekommen einer
Fettsucht bei Castration oder im Klimakterium zu erklären.
Systematisch ist auffallender Weise dieser principiell so wichtigen Frage
noch nicht auf dem Wege des Experimentes näher getreten worden; die
einzige Arbeit, die sie streift, die noch ausführlicher zu erwähnende von
Curatelo und Tarulli, ^ geht von anderen Gesichtspunkten aus und unter-
sucht in der Hauptsache den Einfluss der Ovarien auf den Stoffwechsel in
einer anderen Hinsicht, nämlich in seiner Beziehung zur Osteomalacie.
Während ein Einfluss der Ovarien auf den Gesammtstoffwechsei schon
seit Langem wenigstens wahrscheinlich erschien, ist die Kenntniss dieser
Beziehungen noch verhältnissmässig jungen Datums; sie knüpft an an die
Erfahrung Fehling's, dass die Entfernung der Ovarien einen entschieden
günstigen Einfluss auf den osteonmlacischen Process ausübt. Fehling selbst
hat versucht, einen Einblick in etwaige Stoffwechsel Veränderungen zu ge-
wmnen, die sich nach der Castration abspielen, indem er vor und nach der
Operation bei Osteomalacischen die Harnstoff-, Kalk- und Phosphorsäure-
aosscheidnug mit einander verglich. Ursprünglich^ zu positiven Ergebnissen
gelangt, ist er in einer späteren' Publication der Ansicht, „dass die Castration
keine so wesentlichen Veränderungen im Stoffwechsel macht, dass daraus
ein Schluss auf die durch die Operation bedingten Vorgänge zulässig wäre."
Neumann^ allerdings hat sehr wesentliche Unterschiede aufgefunden, deren
genaue Schilderung zu weit führen würde; wir können uns ein ausführ-
liches Eingehen auf seine Resultate um so eher versagen, als die
Stoffweohselverhältuisse bei der Osteomalacie viel zu complicirt liegen und
unser Verstandniss für dieselben noch lange nicht weit genug gediehen ist,
um aus Befunden, die gerade bei dieser Krankheit erhoben worden sind,
einen positiven Anhaltspunkt für die allgemeinen Beziehungen, die zwischen
Ovarien und Stoffwechsel obwalten, zu gewinnen. Auf die Ergebnisse, welche
Senator^ auf umgekehrtem Wege, nämlich bei Verabreichung von Ovarial-
* Curatelo c Tarulli, La secrezione interna deir ovario. Bullet, dell*
Acadtmia med. di Roma. Vol. XXII. Fase. 5 n. 6.
« Fehlinp, Zeitschrift für Gehurtshülfe. Dd. XXX.
« Derselbe, Archiv für Gynäkologie. Bd. XLVIII.
* Nenmann, Ehenda. Bd. LI.
* Senator, Berliner Hinische Wbchensohrtft. 1897.
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184 A. LoBWY UND Paul Fbiedb. Richter:
Substanz an eine Osteomalaciscbe, erhalten hat, kommen wir noch später
zarück.
Die oben erwähnten italienischen Autoren haben nun, um eine Er-
klärung der räthselhaften Wirkung der Castration bei Osteomalacie zu finden,
den Effect der Castration nach verschiedenen Richtungen hin geprüft; sie
stellten fest, dass sie die Ausfuhr der Phosphate beträchtlich vermindert, dass
die StickstoflTausscheidung unter ihrem Einflüsse nur geringen Schwankungen
unterliegt, dass der Sauerstoff- und Kohlensäureverbrauch zunächst ver-
ringert wird, dann stationär bleibt. Injection von Ovarialsaft bewirkt
Steigerung der Phosphatausfuhr, und diese Einwirkung auf den Phosphat-
stoffwechsel sehen die Autoren als den Ausdruck der Beziehungen zwischen
Ovarien und Knochenerkrankung an. Wenn die italienischen Forscher aber
als Facit ihrer Untersuchungen den Satz aufstellen: Die Ovarien besitzen
eine noch unbekannte interne Secretion; sie führen dem Körper ein Pro-
duct zu, welches in das Blut gelangt, die Oxydation der Fette, Kohlehydrate
und Phosphate begünstigt, so scheint dieser Schluss aus ihren Ergebnissen
nichts weniger als hinreichend begründet.
Will man der Frage einer inneren Secretion der Ovarien und ihres Ein-
flusses auf den allgemeinen Stoffwechsel näher treten, so wird man gut thun,
aus den oben erwähnten Gründen von den Beziehungen zur Osteomalacie
gänzlich abzusehen und sich nur an die besser gekannten und leichter der
exacten Forschung zugänglichen Aenderungen des Gesammtstoffwechsels
zu halten. Die Fragestellung, die sich dabei zwanglos für eine experi-
mentelle Prüfung ergiebt, ist folgende:
1. Hat die Castration an sich einen Einfluss auf den Fettansatz? Wenn
dei-selbe vorhanden ist, ist er bedingt
a) durch veränderte Lebensgewohnheiten, grossere Ruhe und Trägheit
in den Bewegungen, durch Wegfall des geschlechtlichen Reizes u. s. w. oder
b) ist er, unabhängig von solchen äusserlichen Momenten, die Folge
eines herabgesetzten Stoffumsatzes, einer verringerten Verbrennungsenergie
der einzelnen Zellen?
2. Kann die Wirkung der Castration durch Zuführung einer der ent-
fernten analogen Substanz, also durch Ovarialsubstanz, aufgehoben werden?
Aeudert sich damit der Stoffwechsel in der entgegengesetzten Richtung?
3. Ist die Zuführung dieser Substanz nur wirksam nach Ausfall des
betreffenden Organes, oder auch am gesunden Thier?
4. Handelt es sich dabei um eine „specifische" Organwirkung, das
heisst: übt nur die Zufuhr der ausgefallenen Substanz diese Wirkungen aus,
oder thun dies auch andere Organsubstanzen?
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Sexualfünotion und Stoffwechsel. 185
Um die erste Frage zur Entscheidung zu bringen, haben vvir die Be-
stimmung des Gesammtstoffwechsels, gemessen am Sauerstofifver-
brauch, vor und nach der Castration vorgenommen. Es giebt diese Art
der Untersuchung keinen Aufschluss darüber, welche Bestand theile des
Körpers von einer etwaigen Aenderung betroffen worden sind. Versuche
darüber, neben dem Gaswechsel gleichzeitig auch den Eiweissstoffwechsel zu
prüfen, sind noch im Gange. Wir theilen an dieser Stelle zunächst die
Resultate der Gaswechselversuche mit.
Dieselben sind am Thier angestellt; unsere ursprüngliche Absicht,
den Ölwechsel klimakterischer und castrirter Frauen festzustellen, wofür
uns Hr. Prof. L. Landau in liebenswürdigster Weise das Material zur
Verfügung stellte, scheiterte an äusseren Umständen, indem gewöhnlich
schon nach wenigen Bespirationsversuchen sich die Frauen der weiteren
Untersuchung entzogen. — Unsere Versuchsthiere waren Hündinnen. Die-
selben wurden auf eine constante Diät gesetzt, die aus Fleisch und Reis
bestand. Die Fütterung geschah nur einmal am Tage, und zwar gleich
nach beendetem Athem versuch, so dass die Thiere etwa 18 bis 20 Stunden
nach der Nahrungsaufnahme zum Versuche kamen. Darmarbeit, Resorp-
tion u. s. w. bedingen also keine Fehlerquellen; unsere Werthe stellen
Hungerwerthe dar, die stets mit einander vergleichbar sind.
Die Thiere wurden zunächst tracheotomirt. Mit den Respirationsver-
suchen wurde erst begonnen, wenn die Ränder der Tracheotomiewunde ver-
narbt waren. Die Thiere wurden in einen flachen Kasten gelagert, in die
Trachea eine Trendelenburg'sche Tamponcanüle eingeführt, die mit einem
Ventilapparat in Verbindung stand (Speck 'sehe Darmventile, durch die
In- und Exspirationsluft von einander geschieden wurden). Erstere wurde
in allen Versuchen von ausserhalb des Zimmers bezogen, letztere in eine
Gasuhr geleitet, in der sie gemessen wurde. Ein Theilstrom der respirirten
Luft wurde nach dem Zun tz-Gep per t' sehen Princip abgesaugt und nach
der modificirten Hem per sehen Methode analysirt. Jeder Versuch dauerte
etwa eine Stunde, die Hunde lagen während desselben, gut zugedeckt, stets
in voller Ruhe (Halbschlaf) da. Stets wurden Doppelproben zur Unter-
suchung entnommen und das Mittel der stets gut übereinstimmenden
Werthe zu Grunde gelegt.
Die Reihenfolge in der Versuchsanordnung vollzog sich nun folgender-
maassen: Zunächst wurde der Normalgaswechsel in einer Anzahl von Ver-
suchen festgestellt Dann wurde die Entfernung der Ovarien vorgenommen;
nach eingetretener Wundheilung wurden durch Wochen und Monate hin-
durch fortlaufende (zuweilen durch kurze Zwischenräume getrennte) Unter-
suchungsreihen angestellt, zunächst ohue weitere Beeinflussung, als sie
die Operation an sich bedingte, dann zur Entscheidung der weiteren, oben
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186
A. LoBWY UND Paul Fbiedr. Richter:
aDgeführten Fragen nach Zufuhr von Ovarialsubstanz oder anderen Organ-
präparaten. Einige Versuchsreihen wurden an normalen, nicht castrirten
Thieren mit Zufuhr von Oophorin und anderen Substanzen durchgeführt
Wir besprechen nun in Folgendem zunächst die thutsachlichen Befunde,
wie sie in den einzelnen folgenden Tabellen zusammengestellt sind.
Tabelle I.
Gelbe Hündin von 15-90»^» Gewicht
Tracheotomirt am 20. September 1898.
Datum
Körper-
gewicht
frm
15-940
15-650
16-100
15-650
Athem-
volamen pro
Min. reducirt
1828-7
2180-0
1969-1
2160-5
0 -Verbrauch
pro Min.
eem
0-Verbrauch
pro Kilo und
Min.
eem
26./IX. 1898
27./IX. 1898
28./IX. 1898
29./IX. 1898
98-69
98-01
97-37
97-55
6-110
6-268
6-048
6-288
Mittel
j 97-90
6- 163
Ovarlotomirt am 2. October. Heilung per primam.
20./X. 1898
14-400
2444-8
84-34
5-857
21./X. 1898
15-100
2172-5
82-55
5-467
25./X. 1898
15-200
2358-6
86-50
5-767
21./XI. 1898
16-700
2826-9
99-82
5-977
22./XI. 1898
16-800
2118-3
99-35
6-095
U.'XII. 1898
17-500
2332-7
92-46
5-284
16./XII. 1898
17-400
2013-6
83-00
4-770
19./XII. 1898
17-300
2153-1
86-34
4-991
23./XI1. 1898
17-500
1882-0
93-00
5-314
24./Xn. 1898
17-250
2056-9
92-72
5-375
5./I. 1899
17-670
1978-9
86-86
4-916
11. /I. 1899
17-700
2374-9
94-29(?)
5-327
13./I. 1899
18-050
2051-3
89-64
4-966
14./I. 1899
17-42C
1845-0
86-72
4-978
18./1I. 1899
17-570
1949-1
85-20
4-850
21./II. 1899
16-700
1777-2
79-26
4-716
17./1V. 1899 1 16-850
1654-7
86-38
5-126
Mittel der Werthe vom 14./XII. 1898 bis 17./IV. 1899
5-051
Betrachten wir zunächst die Tabelle I.
Die Nornialwerthe, die an den Tagen vom 26. bis 29./IX. gewonnen
sind, zeichnen sich durch eine ausserordentliche Gleichmässigkeit aus. Das
Thier wog bei Beginn des Versuches 15-940^; im Mittel betrug das Körper-
ijewicht au den vier Versuchstagen 16. 835 ^'^f. Der SauerstofiFverbrauch als
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Sbxualfünotion und Stoppwechsbl. 187
Maass des Gaswechsels stellt sich im Durchschnitt auf 97.90*'^" pro Min.;
pro Kilo Körpergewicht berechnet, betragt er im Durchschnitt 6 • 163 «*^™
pro Min. Die Werthe für die Kohlensaure wurden hier sowohl, wie in
den später noch zu besprechenden Versuchen mitbestimmt; auf eine
Wiedergabe derselben können wir aber aus dem Grunde verzichten, weil
sie gegenüber den sichereren Ergebnissen des SauerstoflFverbrauches nichts
Wesentliches aussagen.
Die Wirkung der Castration, die am 2. October an dem Thiere voll-
zogen wurde, lässt sich auf Grund der in der Tabelle mitgetheilten Resul-
tate in mehrere Perioden scheiden.
In der ersten Periode, kurze Zeit bis etwa 7 Wochen nach der
Castration, macht sich ein deutlicher Einfluss noch nicht geltend. Der Ge-
sammtgaswechsel schwankt mit der Veränderung des Körpergewichts; er
ist Ende October bei gesunkenem Körpergewicht herabgegangen, steigt aber
mit fortschreitender Erholung des Thieres, wie die Werthe für den 21. und
22./XI. zeigen, wieder bis zu seiner ursprünglichen Höhe an.
Was den Gang des Körpergewichtes betrifft, so nimmt dasselbe zunächst
nach der Operation in Folge geringer Fresslust ab, dann folgt langsame,
aber stetige Körpergewichtszunahme bis auf 16 «7*^», das ist über V2''* ^^'
höhung gegen die höchsten Werthe vor der Operation und 2 • 3 *^» gegenüber
dem niedrigsten Werthe nach der Operation.
Differenzen im Sauerstoffverbrauch pro Kilo Körpergewicht sind in
dieser Periode bereits vorhanden. Wir möchten ihnen jedoch noch keine
Bedeutung beimessen, weil, wie erwähnt, zeitweilig die Nahrungsauf-
nahme eine geringe war. In Folge dessen ging wohl auch Körpereiweiss
in Verlust und wurde die Summe des verbrennenden Körpermateriales ge-
ringer, so dass aus diesem Umstände allein sich die vorübergehende geringe
Differenz erklären lässt, die am 21. /XL, wie erwähnt, bereits ausgeglichen ist
Betrachten wir nunmehr die Werthe längere Zeit nach der
Castration.
Hier müssen wir zunächst die Periode vom 30./XI. bis 6./XII. ab-
sondern, die in der Tabelle II mit aufgeführt ist. Die in dieser er-
mittelten Werthe sind nicht ganz eindeutig, da während dieser Zeit schon
Oophorin gegeben wurde. Es zeigt sich weitere Zunahme des Körper-
gewichtes, eine beginnende Abnahme des Gesammtsauerstoffverbrauches,
allerdings nur wenig ausgesprochen; eine deutlichere Abnahme des 0-
Verbrauches pro Kilo Körpergewicht.
Eine weitere Periode bildet die Zeit vom 14./XIL bis 14./1., d. h.
also 10 Wochen bis etv;a SVy Monate nach der Castration. Hier
sind nunmehr die Unterschiede gegenüber der Zeit vor der Operation sehr
frappante. Die Einschränkung des Gaswechsels ist nunmehr eine ganz aus-
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188 A. LoEWY UND Paul Fkibdb. Riohtbb:
gesprochene; pro Kilo Körpergewicht sehen wir eine Verringerung desO-
Yerbrauches bis um 20 Procent; ebenso nimmt aber auch der Ge-
sa mm tgaswechsel trotz weiterer Steigerung des Körpergewichtes ab. Während
die Durchschnittswerthe im Normalstadium des Thieres 97 • 90 "^ pro Min.
betrugen, sehen wir jetzt ein Sinken bis auf 86 -SO; selbst wenn wir einen
Mittelwerth für die Zahlen dieser Periode annehmen, so stellt er sich mit
88.8 um etwa 9 Procent niedriger als der Normal werth des Thieres.
Die letzte Periode endlich zeigt die Zeit 4 und 6 Monate nach
der Castration (Februar und April). Der Gasweohsel verharrt jetzt
ziemlich constant auf seiner tiefen Einstellung; er sinkt am 21./II.
allerdings bis auf 79 ^<'™, erhebt sich aber Anfang April wieder auf die Zahl
von 86 *'^"». Auch pro Kilo Körpergewicht ist die Verringerung des 0- Ver-
brauches ungefähr dieselbe geblieben. —
Wie stellen sich nunmehr die Werthe für den Gaswechsel nach
Darreichung von Ovarialsubstanz? Bemerkt sei dabei, dass solche
in Gestalt der von Landau in die Praxis eingeführten Oophorintabletten
(von Dr. Freund und Redlich hergestellt) zur Anwendung kam.
Wie viel Tabletten jedesmal verabfolgt wurden, ist aus der Tabelle II
ersichtlich.
Was die erstmalige Darreichung betrifft, die 6 Wochen nach
der Castration erfolgte (vom ÜO./XI. bis 6./X1I.), so haben wir schon
oben erwähnt, dass eine Wirkung hier nicht nachweisbar war. Der Gas-
wechsel sinkt langsam weiter; die Oophorinapplication vermag sein Fallen
nicht aufzuhalten.
Die zweite Periode der Darreichung umfasste die Zeit vom 14./I.
(14 Wochen nach der Castration) bis zum 26./I. Hier ist der Effect
nun ein sehr eclatanter. Nach der Einnahme von 32 Tabletten (in vier
Tagen) ist der Normalwerth pro Kilo Körpergewicht bereits er-
reicht, und wir sehen (nach weiteren zwei Tagen) ein fast regelmässiges
Ansteigen bis zum 26./!.; an diesem Tage erreichen, nachdem der Hund
im Ganzen 96 Tabletten erhalten hat, die Werthe für den Gaswechsel
Zahlen, die mit 160*99 für den Gesammt-Sauerstoffverbrauch und
mit 8-473 pro Kilo Körpergewicht die diesbezüglichen Normal werthe
(des nicht operirten Thieres) um 54.2 Procent bezw. 37 «6 Procent über-
tefifen. Der Sauerstofifverbrauch, wie er sich im Mittel pro Kilo Thier nach
der Castration eingestellt hat (5.051 <'^'"), wird um 67-7 Procent überragt
Aber, was ganz besonders interessant erscheint, nicht nur während der
Darreichung selbst macht sich dieser frappante Effect geltend, sondern auch
seine Nachwirkung ist eine auffallend starke, bis 11 Tage nach dem
Aussetzen noch nachweisbare. Jn den ersten Tagen halten sich die Werthe
noch fast auf der Höhe des letzten Oophorintages, dann beginnt ein lang-
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Sexualfunction iind Stoffwechsel.
189
sames Absinken, nnd hierbei erscheint wieder äusserst bemerkenswerth, dass
ebenso, wie der Anstieg des Gaswechsels ein ziemlich regelmässiger war,
es auch das Abklingen der Wirkung ist. Am 6. Februar, also 11 Tage
nach dem Ende der Oophorindarreichung, ist ungefähr der Normal-
gaswechselwerth des Thieres wieder erreicht, dann beginnt wieder
die Wirkung der Castration ungehemmt in den Vordergrund zu treten,
und die in der Tabelle I ?im 18. und 21./II. mitgetheilteu Zahlen illustriren,
bis wie weit unter die Norm in kurzer Zeit die Verminderung des 0- Ver-
brauches gesunken ist.
Tabelle IL
Gelbe Hündin von 15-90^^ Gewicht.
Ovariotomirt am 2. October 1898.
Datam
j Körper-
I gewicht
Athem-
volamen pro
Min. reducirt
O-Ver- I O Ver-
brauch pro brauch pro
Min. Kilon. Min.
Bemerkungen
Erhält vom 26. September 1S98 ab täglich 8 Oophorintabletten
Frass bis zum Versuch
30./XI. 1898
17-120
l./XII. 1898
17-000
3./XII. 1898
17-220
5./XII. 1898
17-450
6./XIL 1898
17-220
1953-1
2088-0
2210-5
2002-4
2325-5
91-80
5-362
99-15
5-882
94-17
5-468
93-91
5-382
92-91
5-395
36 Tabletten
44 „
60 „
76 „
84
Letzte Tablettenzufuhr 8. December 1898; in Summa 100 Tabletten,
bleibt ohne Tabletten bis zum 14. Januar 1899, erhält vom 14. Januar 1899 ab
pro Tag 8 Tabletten
17./I.
18./I.
19./I-
20./I.
2i./I.
23./I.
24./I.
25./I.
26./I.
1899
1899
1899
1899
1899
1899
1899
1899
1899
18-100
17-950
17-350
17-920
17-840
17-800
17-900
17-500
17-820
2132-2
2180-7
2206-0
2128-1
2518-9
2270-3
2678-6
2204-7
2806-5
93-92
5-189
107-40
5-983
100-43
5-788
102-34
5-712
113-47
6-360
114-30
6-422
181-93
7-370
116-79
6-674
150-99
8-473
Frass 24 Tabletten
.. 32
„ 40
,. 48
,. 56
n 80
„ 88
„ 96
Seit 26. Januar 1899 ohne Tabletten (im Ganzen aufgenommen 100 Tabletten)
27./T.
28./I.
BO.ß.
31 ./I.
l./II.
6./U.
18./II.
1899
1899
1899
1899
1899
1899
1899
17-550
17-820
17-400
17-800
18-000
17-850
17-570
2806-0
2629-8
2281-0
2599-7
2753-9
2070-1
1949-1
140-87
145-97
113-40
114 -«5
110-71
99-05
85-20
7-810
8-191
6-516
6-441
6-150
5- 55
4- 85
. Tag ohne Tabletten
2. Tag
4.
5.
6.
11.
23.
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190
A. LoBWY UND Paul Ebiedb. Riohtee:
Zur Beantwortung der oben sub 4 mitgetheilten Frage nach der Speci-
ficität der Wirkung war es nöthig, zunächst eine Versuchsreihe mit
Oophorin am normalen, nicht castrirten Thier anzustellen. — Die
folgende Tabelle III zeigt die Yersuchsergebuisse:
Tab
eile IIL
A. Junge Hündin.
Körper-
gewicht
Athcin-
0-Ver-
O-Ver-
Datum
volumeD pro
Min. reducirt
branch pro
Min.
brauch pro
Kilo u. Min.
Bemerkungen
1898
vrm
oem
ocm
ocm
22./IVT
27 '360
2266-8
131-73
4-814
23./IV.
1898
27-510
2266-3
151-55
5-509
25./IV.
1898
27-120
2567-3
155-90
5-748
26./IV.
1898
27.700
3466-2
153-85
5 •664
27./IV.
1898
27-800
3023-2
135-90
4-896
28,/IV.
1898
27-750
2859-9
144-39
5-203
Erhält von
nan ab Oophorintabletten, pro Tag
3 Stück
Frass vor dem Versuch
29./IV.
1898
27-730
2940-7
138-22
4-840
8 Tabletten
3./V.
1898
27-500
3101-7
147-47
5-362
35
5./V.
1898
27-600
2678-7
133-22
4-827
51
1
J. Weibliche deutsche Dogge.
7./VI.
1898
24-500
2125-3
113-07
5-032
8./VI.
1898
24-620
2288-2
136-26
5-068
9./VI.
1898
24-7<0
2305-7
127-62
5-162
E
rhält pro Tag 9 Oophorintabletten.
Frass vor dem Versnch
10./VI.
1898
24-570
2793-5
123-64
6-032
9 Tabletten
11. /VI.
1898
24-450
2329-9
137-39
5-619
18
13./ VI.
1898
24-370
2292-5
128-84
5-282
30
15./VI.
1898
24-650
2137-6
126-65
5-266
39
In Versuch I sind 61 Tabletten gegeben, ohne jeden sieht- und
messbaren Erfolg. Weder Körpergewicht, noch O-Verbrauch haben
sich geändert.
Auch in Versuch II hat die Darreichung von 39 Tabletten nicht die
geringste Erhöhung des Gaswechsels zur Folge gehabt Der Unter-
schied gegenüber dem Effecte am castrirten Thier ist also markant und
bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung.
Die Tabelle IV illustrirt die Resultate, die wir — ebenfalls zur Ent-
scheidung der Frage nach der Specificität der Wirkung — erhielten, als
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Sbxüalpünction und Stoffwechsel.
191
wir die castrirte Hündin 8 bis 4 Monate nach der Operation mit Organ-
präparaten fütterten, die nicht der weiblichen, sondern der männlichen
Sexnalsphäre entstammten. — Wir haben zunächst Versuche mit der sub-
cutanen Darreichung von Sperminum-Pöhl gemacht. (Das Nähere
über Mengenverhältnisse u. s. w. siehe Tabelle.) Der 0-Verbrauch pro Kilo
Körpergewicht, wie insgesammt, steigt darnach nur unerheblich; jedenfalls
fallt diese geringe Steigerung gegenüber der exorbitanten, durch Oophorin
erzielten, nicht in's Gewicht, wenn man sie nicht überhaupt als eine inner-
halb der taglichen Schwankungen liegende auffassen will.
Tabelle IV.
Gelbe Hündin, ovariotomirt am 2. October 1898,
erhält Spermin subcutan.
Datum
Körper-
gewicht
Athem-
volumen pro
Min. rcducirt
O-Ver-
brauch pro
Min.
O-Ver-
brauch pro
Kilon. Min.
Bemerkungen
grm
com
ccm
ccm
21. /IL
1899
16-700
1777-2
79-26
4-746
Normalwerth
22./II.
1899
16-700
1655-0
81-26
4-866
4 "" Spermin
74 Stdn. vor Versuch
24./II.
1899
16-750
1918-6
89-02
5-315
ö"*" Spermin
27, Stdn. vor Versuch
25.;1I.
1899
16-995
1849-1
89-77
5-282
5""" Spermin
l74Stdn. vor Versuch
Dieselbe Hündin erhält Tabletten aus Hodensabstanz (per os) 6 pro die
6./III. 1899
7./III. 1899
8./1II. 1899
Il./ITI. 1899
17-350
2088-8
92-95
5-357
14 Tabl. bis Versuch
17-300
1903-7
83-76
4-842
20 „ „
17-100
1879-6
87-59
5-122
26 .,
17-250
2001-2
81-85
4-766
44 ,.
Ebenso wenig hat die durch 6 Tage fortgesetzte innerliche Dar-
reichung von Tabletten aus Hodensubstanz (insgesammt 44) irgend
eine Steigerung des Gaswechsels verursacht; eher ist sogar noch ein weiteres
Absinken desselben zu oonstatiren!
Fassen wir die Ergebnisse aus unseren Untersuchungen zusammen, so
habjn wir folgende Thatsachen feststellen können:
1. Nach der Castration zeigt sich im Verlaufe längerer Zeit eine deut-
liclie Reductiön des Gaswechsels.
2. Die Darreichung von Oophorin vermag, wenn sie 272 bis 3 Monate
nach der Castration erfolgt, diese Verminderung nicht nur aufzuheben, son-
dern die Oaswechselwerthe weit über das ursprüngliche Maass zu steigern.
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192 A. LoBWY UND Paul Feiedb. Richtek:
Diese Steigerung hält sogar noch eine Zeit lang nach Aussetzen des
Oophorins an und klingt dann ganz allmählich ab.
3. Am normalen, nicht castrirteo Thiere hat das Oophorin keinen Ein-
fluss auf den Gaswechsel.
4. Die Darreichung von Organpräparateu aus den männlichen Ge-
schlechtsdrüsen ist beim weiblichen, seiner Geschlechtsdrüsen beraubten
Thiere ohne jeden Effect auf den Gaswechsel.
Welche Beziehungen bestehen nun — das ist die erste principiell
wichtige Frage — zwischen der gefundenen Einschränkung des Stoffver-
brauches nach Castration und der Gewichts-, bezw. Fettzunahme?
Die Gewichtszunahme kann, wie früher bereits angedeutet, zwei Gründe
haben: Erstens könnte sie durch rein äussere Momente bedingt sein; das
Thier, dessen veränderter Körperzustand sich schon äusserlich durch die
Zunahme des Fettpolsters sowie durch die Rundung der Formen documen-
tirte, konnte in Folge des Wegfalles geschlechtlicher Erregungen ruhiger,
apathischer geworden sein; es konnte seine Bewegungen auf das noth-
wendigste Maass eingeschränkt haben, und dies allein würde bei der gleich-
bleibenden Diät ja genügen, einen gewissen Fettansatz herbeizuführen. Wir
wollen nicht leugnen, dass dies Moment mitspielen könnte; hätte indessen
die Fettzunahme nach Castration nur diesen Grund, so wäre sie durchaus
nicht etwas physiologisch Bedeutsames und würde in ihrer Aetiologie nicht
von anderen Formen abweichen.
Von viel grösserem Interesse wäre es, wenn wir für die zweite, früher
bereits erörterte Möglichkeit Beweise hätten, dass nämlich eine Herabsetzung
der oxydativen Energie in den Zellen den Fettansatz bedingte.
Die von uns gefundene Herabsetzung des Sauers toffverbrauohes,
soweit sie bei der Berechnung pro Kilo Körpergewicht zum Ausdruck
kommt, würde bei steigendem Körpergewicht nicht genügen, dieser Ansicht
zur Stütze zu dienen. Denn das sich ansetzende Fett stellt einen Ballast,
eine todte Masse dar, welche an dem Umsatz der Zellen nicht activ Theil
nimmt Der fetter gewordene Hund kann pro Kilo weniger umsetzen —
nur als Folge des Fettansatzes, aber nicht als dessen Ursache.
Wie steht es nun mit dem Gesammtsauerstoffverbrauch? Die castrirte
Hündin zeigt in Folge der Operation zunächst Gewichtsabnahme und einen
geringeren Gaswechsel. Nachdem das Thier sein früheres Körpergewicht
erlangt hat, ist auch der Gas Wechsel (vergl. die Werthe vom 21. und
22./XL) wieder auf seiner alten Höhe. Nun nimmt der Hund langsam an
Gewicht zu; der 0- Verbrauch geht aber gradatim zurück. Wenn das
Körpergewicht unverändert bliebe, würde diese Veränderung beweisen, dass
entweder der Hund eiweissärmer wird, oder aber bei gleich bleibendem Ei weiss-
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Sexüalfunotion und Stoff WE0H8EL. 193
bestand die oxydative Energie des oxydirenden Materiales abnimmt. Für
eine Verminderung des Eiweissbestandes liegt nicht der mindeste An-
haltspunkt vor; es fehlt jedes Moment, wie Fieber, Inanition, welches die-
selbe erklären könnte. Wir müssen sogar, da der Hund dauernd schwerer
wird — bei stets bleibender Nahrung — nach den bekannten Gesetzen
des Stoffwechsels eher annehmen, dass nicht bloss Fett, sondern auch
Eiweiss angesetzt wird. Wenn also die Masse des arbeitenden Materiales
sicherlich nicht abgenommen, sondern eher zugenommen hat, und trotz-
dem der Qesammtumsatz sinkt, so bleibt nichts übrig, als zu schliessen,
dass die Oxydationsenergie des den Stoffumsatz leistenden Proto-
plasmas eine geringere geworden ist.
Die Verminderung ist scheinbar keine erhebliche; sie betragt aber
immerhin im Mittel bis gegen 12 Procent Wir dürfen dabei nicht
vergessen, dass sie eine dauernde ist und dass durch die allmähliche
Summation der Sparwirkung ganz erhebliche Effecte erzielt werden müssen.
Jedenfalls liegt sie ausserhalb etwaiger, in der Methode begründeter Versuchs-
fehler, was ja schon durch die Constanz der in verschiedenen Zeiträumen
controlirten Resultate (sowohl vor als nach der Castraüon) verbürgt wird.
Sie ist auch viel grösser, als man gemeinhin geneigt gewesen ist, sich vor-
zustellen (vergl. die Ausführungen von Magnus-Levy), der übrigens schon
aus einer Steigerung von nur 5 Procent, wenn sie sich über eine längere
Periode erstreckt, einen erheblichen Fettansatz berechnet).
Wie sich die Eörpergewichtszunahme nach Castration auf Eiweiss und
Fett vertheilt, darüber sollen demnächst weitere, auch den Eiweissstoff-
wecbsel umfassende Versuche Aufschluss geben.
Wenn somit eine Verminderung der oxydativen Energie nach Ca-
stration nachzuweisen ist, so ist die weitere Frage: Kommt dieselbe auch
in Folge der Operation zu Stande? Ist es wirklich, wie ohne Beweis viel-
fach angenommen wird, der Ausfall von Ovarialsubstanz, der nach dieser
Richtung hin den Gewebsstoffwechsel beeinflusst?
Die Frage kann, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, in positivem
Sinne beantwortet werden. Denn die Substitution des ausgefallenen Organes,
die Einfuhr von Oophorin, steigert, wie wir fanden, den Ruhegaswechsel,
der nach der Entfernung des Organes gesunken war, arbeitet also dieser
Wirkung direct entgegen. Dagegen ist — und das erscheint von der
grössten principiellen Bedeutung — bei dem normalen weiblichen Thier
durch Oophorin keine Steigerung des Ruheverbrauches zu erzielen. Weiter-
hin ist bemerkenswerth, dass auch am castrirten Thier nur die Zufuhr
einer der ausgefallenen Substanz entsprechenden, also hier von
Ovarialsubstanz, steigernd auf den gesunkenen Stoffwechsel einwirkt, die
Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. Suppl. 13
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194 A. LoEWY UND Paul Fbibdb. Richter:
Substanz, die aus mäDnlicben Geschlechtsdrüsen gewonnen wird, dagegen
ihn nicht deutlich beeinflusst
Letzteres ist nicht so auffallend. Wissen wir doch u. A. aus der Ent-
wickelung der sogen, secundären Sexualcharaktere, die abhängig sind von
der Reifung der betreffenden Geschlechtsdrüsen, wahrend die frühzeitige
Entfernung oder Zerstörung derselben die Entwickelung des Geschlechtes
in einem dem ursprünglichen entgegengesetzten Sinne beeinflusst, dass die
physiolc^che Dignitat der Sexualdrüsen bei beiden Geschlechtem eine
differente ist. Für das Ovarialsecret ist überdies der experimentelle
Beweis dafür geliefert durch die Untersuchungen von Fer^ und Bechasi.^
Diese Autoren konnten nämlich zeigen, dass die Wirkung der Ovarialprä-
parate nach den verschiedensten Richtungen hin für das weibliche Geschlecht
eine ganz andere ist als für das männliche. Spritzten sie nämlich weib-
lichen gesunden Thieren Ovarialsaft ein, so verlief die Injection, auch bei
grösseren Dosen, ohne erhebliche locale oder allgemeine Reaction; bei männ-
lichen Thieren war dieselbe dagegen von besonderer Stärke; hier wirkte das
Ovarialsecret in mittleren Dosen giftig, in grösseren sogar tödtlich. —
Bisher ist nur des Einflusses der Castration und der spedfiscben
Bedeutsamkeit der Geschlechtsdrüsen für den Stoffwechsel in Bezug auf
weibliche Thiere Erwähnung geschehen; erschien bei diesen schon a priori
die Untersuchung aussichtsvoller und aus praktischen Gründen bedeutsamer,
so war es der Vollständigkeit halber doch nöthig, die einschlägigen Ver-
hältnisse auch bei männlichen Thieren zu studiren.
Die folgenden beiden Tabellen (V und VI) geben die bei diesen ge-
fundenen Thatsachen wieder, bei deren Besprechung wir uns um so kürzer
fassen können, als sie im Wesentlichen den am weiblichen Thier
festgestellten entsprechen. Es macht sich der Einfluss der Gastration
in der gleichen Richtung wie bei letzteren geltend: Deutliche Vermin-
derung des O-Verbrauches, sowohl pro Kilo Körpergewicht wie
insgesammt (Tab. V, B). Dabei ist bemerkenswerth, dass mit der Heilung
der Operationswunde auch die Verminderung der Oxydationsenergie schon
angesprochen ist. Sie ist sieben Tage post operationem angedeutet, jedoch
mögen hier die noch ablaufenden Heilungsprocesse den Stoffwechsel beein-
flussen; sie ist elf Tage nach der Gastration schon vollkommen ausgebildet.
Auf diese zeitliche Differenz gegenüber der castrirten Hündin konmien
wir zum Schlüsse zurück. Die Abnahme des Sauerstoffverbrauches pro Kilo
Körpergewicht beträgt im Mittel: 13-63 Procent. Diese ZsLhI sagt um
so mehr, als der Hund im Gegensatz zum ersten an Gewicht ab-
genommen hat —
* Fer^ und Bechasi, Gaz, hebdomad. 1897. Nr. 50.
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SBXUALFÜNOnON UND StOFFWBOHSBL.
195
Ferner erweisen sich (vergl. Tab. VI) die Organpräparate aus der Ge-
schlechtssphäre (Oophorin) völlig ausser Stande, den Stoffwechsel des ge-
sunden Thieres zu beeinflussen.
Tabelle V.
Männlicher Jagdhund.
A. Erhalt seit dem 10. März 1899 gleiches Fatter: SOC" Fleisch, 150 f"» Reis.
Datum
Körper-
gewicht
Athem-
Yolomen pro
Mio. reducirt
0-Ver-
brauch pro
Min.
0-Ver- I
braach pro
Kilo o. Min. '
Bemerkungen
13./m. 1899
U./ni. 1899
15./m. 1899
16./11I. 1899
17./lil. 1899
28-SOO
28-800
28-100
22-800
22-920
8286-8
8440-0
3215-4
2722-1
3281-4
160-07
166-84
157-71
161-97
161-56
6-870
7-160
6-827
7-104
7-180
Mittel
J61'63
7-02«
B.
Caetrirt den 18. März 1899; reactions- und fieberloser Verlauf.
25./m. 1899
21-800 3186-0
143-4
6-732 j
29./1II. 1899
21-300 2549-4
122-75
5-757
30./III. 1899
21-200 1 2799-3
138-25
6-285
1./1V. 1899
21-500 1 2516-8
132-63
6-1G9
Mittel der drei letzte
n Werthe
6-070
C. Erhält am 3., 4., 5., 6. April je 6 Tabletten ans Hodensnbstanz.
7.AV.
1899
20-870
8./IV.
1899
20-600
10./IV.
1899
21-000
11./IV.
1899
20-600
12.AV.
1899
20-520
13./IV.
1899
20-680
21. /IV.
1899
20*420
2620-0
2663-5
2582-9
2585-2
2549-1
2668*1
2603*1
132-84
6-365
137-57
6-678
135-86
6-469
140-50
6*820
138-67
6-760
138-07
6-676
133-44
6-535
6VV.
1899
19-100
8./V.
1899
19-450
13./V.
1899
19-300
D. Erhält vom 2. Mai ab Oophorin.
2726-9
2896-7
2537-0
144-26
7-553
169-41
8-773
145-87
7-643
im Ganzen 36 Tabl.
>» »t *" »»
»f »f 56 „
+ 5 *^"' Spermin
5 ««» Spermin 2 Stdn.
Yor dem Versuch
im Ganzen 35 TabL
.. ,. 47 „
bis 9./V. 59 Tabl.,
dann 4 Tage ohne Tabl.
Bei dem castrirten Hunde ergiebt sich dagegen folgende bemerkens-
werthe Thatsaehe (Tab. V, C).
Die Substitution des ausgefallenen Geschlechtsorganes in Gestalt von
Hodensubstanz oder Spermin vermag den nach Castration gesunkenen
Oaswechsel wohl in die Höhe zu treiben, aber nur in geringem Maasse.
13*
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196
A, LoEWT UND Paul Fbiedb. Richtbb:
Man kann in diesem Befunde eine Theilerscheinung der weiteren Thatsache
sehen, dass beim männlichen Geschlecht der Einfluss der Geschlechtsfunction
auf den Gesammtorganismus überhaupt viel geringer ist, als beim weiblichen.
— Dagegen ist die Wirkung des Oophorins auch beim männlichen
castrirten Thiere eine ausserordentlich intensive. Der Maximal-
werth übertriflft den Mittel werth des castrirten Thieres um 44-5 Procent,
den des normalen noch um 24-8 Procent (vgl. Tabelle V, D).
Wir haben darnach in dem Oophorin ein Mittel zu erbticken, welches
den nach Entfernung der Geschlechtsorgane gesunkenen Stoffwechsel sowohl
beim männlichen, wie beim weiblichen Thiere zu heben vermag.
Tabelle VI.
Junger Jagdhund.
Datora
Körper-
gewicht
22./IV. 1898
23./IV. 1898
25./IV. 1898
26./IV. 1898
27./IV. 1898
28./IV. 1898
27-86
27-51
27-12
27-70
27-80
27-75
Athem-
Yolmnen pro
Min. redacirt
O-Ver-
brauch pro
MiD. .
O-Ver-
braooh pro
Kilon. MiD.
2266-8
2266 -S
2567-3
3466-2
3023-2
2859-9
131-73
15i-55
155-90
153-85
135-9
144-39
814
509
748
554
896
Bemerkungen
Erhält Tom 29. April ab Oophorintabletten.
29./IV.
1898
27-73
3./V.
1898
27-50
5./V.
1898
27-60
2940-7
3101-7
2678-7
138-22
147-47
133-22
4-84
5-362
4-827
Nach 8 Tabletten
im Ganzen 35 Tabl.
.. « 51 .,
Der Nachweis, dass das Oophorin insofern eine speci fische Wirkung
entfaltet, als es nur am castrirten Thier die nach Entfernung der
Geschlechtsorgane entstandene Stoffwechseländerung beseitigt,
ist für die wissenschaftliche Begründung der Organtherapie von grosser Be-
deutung. — Eine derartige specifische Substitutionstherapie istexact
bisher fQr kein Organ nachgewiesen, auch nicht für die Schilddrüse,
mit der die Analogie sich sofort aufdrangt. Bisher war das Schilddrüsen-
secret das einzige uns bekannte Agens, durch das es gelang, den Buhe-
Umsatz in ähnlicher Weise zu steigern, wie dies für das Oophorin soeben
nachgewiesen worden ist Aber doch besteht ein durchgreifender unterschied
in der Wirkung beider: Das Schilddrüsensecret steigert wohl den Umsatz
des myxödematösen Cretins, bei welchem, wie wir annehmen, in Folge
Ausfalles der Thyreoidea der Stoffwechsel gesunken war; aber seine Wirkung
ist nicht hierauf beschränkt. Sie kommt auch bei Fettleibigen zu Stande,
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Sbxualgpünotion und Stoffwechsel. 197
bei welchen eine specifisohe Herabsetzung des Stoffwechsels bisher nicht
nachgewiesen werden konnte (Magnus Levy, Stüve u. A.); sie erstreckt
sich vor Allem aber auch, wie die Versuche von F. Voit lehren, auf den
Gesunden. Es ist vielleicht von Interesse, wenn wir hinzufugen, dass wir
fanden, dass auch bei unserer castrirten Hundin das Thyreoidin den Stoff-
wechsel steigerte, und zwar ungef&hr so weit, wie Voit es am gesunden
Thiere constatirt hatte, nämlich um 12-3 Frocent des nach der Castration
bestehenden Mittelwerthes. Es kann also die Wirkung des Thyreoidins mit
der des Oophorins quantitativ nidit in Parallele gestellt werden, was bei
den Beziehungen zwischen Schilddrüse und weiblichen Greschlechtsorganen
nicht unmöglich gewesen wäre.
Es muss dabei noch hervorgehoben werden, dass die Herabsetzung
des Gaswechsels in Folge Schilddrüsenausfalles beim Myxödem bis jetzt nur an
einer einzigen Person (vonMagnus-Levy) nachgewiesen ist, und dass derartige
Versuche an thyreoidectomirten Thieren bisher überhaupt fehlen, in Folge der
Schwierigkeit, die Thiere nach der Operation längere Zeit am Leben zu er-
halten, wohl auch nicht anzustellen, oder, wenn gelingend, bei der Grösse
des operativen Eingriffes nicht eindeutig sind. Doch kann nicht geleugnet
werden, dass in dem bisher beobachteten Falle von Myxödem die Steige-
rung des Gaswechsels durch das Schilddrüsensecret eine weit ausgesprochenere
war, als bei Fettleibigen oder Gesunden.
Bis zu einem gewissen Grade handelt es sich bei der Wirkung des
Schilddrüsensecretes allerdings um eine Giftwirkung, und es wird
sich fragen, ob Aehnliches auch für das Oophorin angenommen werden
darf, zumal eine weitere Aehnlichkeit zwischen beiden in der ausserordent-
üch intensiven Nachwirkung besteht, die wir, ebenso, wie sie für das Thyreoi-
din von den verschiedensten Autoren nachgewiesen ist, auch bei unseren
Thieren constatirten. Diese Frage führt des Weiteren dazu, nachzusehen,
welches Körpermaterial vom Oophorin angegriffen wird, welches durch seine
Verbrennung Anlass zu der erheblichen Gaswechselsteigerung giebt. Bei
den relativ grossen Dosen, welche wir g^eben haben, wäre a priori die
Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass es in solchen Fällen, ähn<
lieh wie durch die Thyreoidea, zu einer Einschmelzung von Eiweiss kommt,
und es wäre immerhin nicht ganz undenkbar, dass diese Einschmelzung
die vermehrte Oxydation erklärte. Die Frage lässt sich natürlich nur auf
Grund exacter Stoffwechsel versuche beantworten, die, wie oben erwähnt,
noch nicht abgeschlossen sind. Was aber bis jetzt darüber vorliegt, ge-
stattet den Schluss, dass, wenn überhaupt eine deletäre Wirkung auf das
Eiweiss vorliegt, dieselbe jedenfalls keine ausgesprochene und nicht im
Stande ist, einen «o hohen Ausschl^ des Gfiswechsels nach oben — und
die gefundenen Steigerungen beti*agen bis 67 Procent — zu erklären.
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198 A. LoBWY UND P. F. Bighteb: Sbxüalfunction ü. Stoppwbohbel.
Gegen einen erheblichen, Eiweiss zerstörenden, Einfluss des Oophonns
sprechen schon unsere Versuche an gesunden Thieren, die grosse Mengen
vertrugen, ohne irgend welche Störungen zu zeigen und ohne dass objectiv
sich eine Erhöhung des Gaswechsels geltend machte, die bei irgend wie
intensivem Eiweisszerfali doch, wenn auch in geringem Grade, auch hier
hätte nachweisbar sein müssen. Dagegen sprechen femer die klinischen
Erfahrungen, die von irgend wie schädlichen Nebenwirkungen, die auf
Eiweisszerfali bezogen werden könnten und bei der Schilddrüse ja schon
in relativ reichlichem Maasse gesammelt sind, nicht berichten; dagegen
sprechen endlich die Versuche von Senator,^ der wohl in einigen patho-
logischen Fällen eine Erhöhung der N-Ausfuhr nach Oophoringaben fand,
sie aber in anderen vermisste.
Wenn nach alledem ein Einfluss der Geschlechtsorgane auf den Stoff-
wechsel nachgewiesen erscheint, so wäre schliesslich noch die Frage zu er-
örtern: länd es bei dem weiblichen Geschlechtsapparat nur die Keimdrüsen,
oder ist es auch der Uterus, der emen derartigen Einfluss ausübt oder
wenigstens ausüben kann? Wir sehen aus den klinischen Erfahrungen be-
reits, dass auch die Eistirpation des Uterus, wenn auch in weit geringerem
Maasse, zu Fettansatz führte und wir wissen andererseits, dass die Exstir-
pation der Ovarien auch für den Uterus Folgen nach sich zieht; wir wissen,
dass allmählich und langsam eine Atrophie des Uterus eintritt Das dauert
Wochen und Monate. Wie die sehr exacten Untersuchungen von Sokoloff
zeigen, ist die Atrophie erst 6 bis 8 Wochen nach doppelseitiger Castration
bei Hündinnen zu constatiren. Auffallend ist nun, dass es auch bei unserem
Versuchsthier ungefähr ebenso lange Zeit in Anspruch nahm, bis die Ein-
wirkung der Castration auf den Gaswechsel anfing in die Erscheinung zu
treten. Das legt den Gedanken nahe, dass beim erwachsenen weiblichen
Individuum der Uterus an der Wirkung auf den Stoffwechsel mit betheiligfc
ist, dass er nach Fortfall der Ovarien zunächst allein genügt, die Stoff-
wechsel anregende Function auszuüben, bis sich nach eingetretener Atrophie
desselben der Ausfall der Sexualfunction in der Wirkung auf den Stoff-
wechsel deutlich bemerkbar macht
* Senator. Berliner klinische Wochenschrift. 1897. Nr. 6— 7.
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üeber den Einfluss der Rückenmarksdurchschneidung
auf die Niere.
Von
Prof. Dr. Fosner und Dr. P. Asoh
in Berlin In Strambnrg f. E.
(Ans dem physiologischen Institut der Universität Berlin.)
Es giebt eine ziemlich grosse Reihe von Beispielen, an denen man
erläutern kann, dass Seitens des Gentraineryensystems ein gewisser Einfluss
auf die Zusaounensetzung des Harns ausgeübt wird. Ein solcher zeigt sich
zunächst bereits in der Steigerung oder Verminderung der Menge, bezw. der
Concentration des Harns, welche nach bestimmen Eingriffen am Gehirn und
Rückenmark durch Yermittelung der geßsserweiternden oder -verengernden
Nerven eintritt Deutlicher und charakteristischer spricht in gleichem Sinn
die Ausscheidung pathologischer Stoffe nach solchen Eingriffen — wie dies
besonders eclatant beim Zuckerstich Claude Bernard's der Fall. Die
menschliche Pathologie kennt ähnliche Erscheinungen, ohne freilich den
Causalnexus zu übersehen, sehr wohl: wenn ein Neurastheniker dauernd
absolut oder doch relativ zu reichliche Mengen phosphorsaure Erden aus-
scheidet, so zweifelt kein Arzt, dass er eben hierin eine Folge der allge-
meinen Depression der nervösen Functionen zu erblicken hat. Und ein genau
beobachteter Fall Fürbring er 's^ bringt den Beweis dafür, dass bei chro-
nischer Entzündung des Rückenmarks die Ealkausscheidung sich beträcht-
lich erhöhen kann, während gleichzeitig das sehr seltene Sediment von
Calciumsulfat erscheint. Noch prägnanter tritt dieser Zusammenhang ge-
legentlich bei derOxalurie hervor, in der man ebenfalls heutzutage wohl
allgemein — trotz des seinerzeit von Cantani erhobenen Einspruches —
ein Symptom für eine Nervenerkrankung erblickt; und hier wäre namentlich
* Deutsches Archiv för klinische Medicin» Bd. XX.
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200 Posneb und P. Asch:
eine bekannte Beobachtang von M. Seligsohn za citiren, der bei einem
7 jährigen Madchen im Anschluss an eine Gehirnerschütterung das Auftreten
von Oxalsäuren Steinen feststellen konnte.^
Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet und an der Hand der
erwähnten Beispiele könnte eine Mittheilung, welche im Jahre 1895 aus
V. Bramann's Klinik in Halle erfolgte, wohl etwas verständlicher erscheinen,
als sie sonst auf den ersten Blick wirken möchte. Es war dort die Be-
obachtung gemacht worden, dass „bei allen denjenigen Brüchen der Wirbel-
säule, die mit stärkeren Verletzungen am Rückenmark einhergingen,
also von Lähmungen der Blase, des Mastdarmes und der Extremitäten . . .
begleitet waren, das Auftreten von Nierensteinen eine constante Er-
scheinung war." Nach Müller,* der über diese Dinge eingehend berichtet
hat, handelte es sich um 10 derartige Fälle; in der Elegel traten etwa
3 Monate nach der Verletzung Steinkoliken mit Schüttelfrösten und Tempe-
raturerhöhung auf etwa 40^ auf, und es konnte theils der Abgang von
Steinen mit dem Harn beobachtet, theils bei der Autopsie deren Vorhanden-
sein in der Niere festgestellt werden. (Genauere Angaben über die Art der
Steine fehlen; da der Harn stets alkalische Keaction gezeigt hat, so dürfte
es sich wohl um Phosphate gehandelt haben. Seiner Meinung nach handele
es sich hierbei um eine directe Einwirkung der Rückenmarksläsion; die
Mitwirkung von Bakterien sei freilich nicht zu vernachlässigen — mögen
diese nun gelegentlich der meist vorhandenen Cystitis zur Niere aufgestiegen,
oder vom Darm her in den Kreislauf eingewandert sein, oder zum Theil
auch von dem meist vorhandenen Decubitus herrühren, — für absolut noth-
wendig aber vermag Müller deren Mitwirkung oder überhaupt das Be-
stehen einer Entzündung nicht zu halten; vielmehr führe wohl die Inner-
vationsstörung zu localer Nekrose und in diesen abgestorbenen Herden zum
Ausfall krystallisirender Salze.
Von klinischer Seite ist diesen Erfahrungen der Hallenser Klinik bisher
nicht eben viel Bestätigung zu Theil geworden. Nur A. Weber hat im
Jahre 1897 einen Fall von Steinbildung veröffentlicht,* der in beiden Nieren
nach Sturz auf den Rücken sich einstellte. Hier scheint es sich jedoch
um eine directe Quetschung der Nieren mit Entzündung von Blutextra-
vasaten gehandelt zu haben, so dass der Fall, streng genommen, gar nicht
hierher gehört, auch vom Verf. nicht in diesem Sinn gedeutet wird. Sonstige
neuere Mittheilungeu über diese Frage sind uns nicht bekannt. Indes sei
' yiTchow's Archiv. Bd. LXIV.
' Ueber Nephrolithiasis nach Rückenmarksverletzangen. Langenbeck's Archiv,
1895. — Vgl. auch G. Marold, üeber Wirbelfracturen und deren Prognose. Inaug.-
Dissert. Halle 1897.
• Münchener medicinische Wochenschrift. 1897. Nr. 12.
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ElKFLUSS DER RÜOKEKMABKBDUBOHSOHNBIDUNO A(JF DIE NiEBE. 201
an analoge ältere Beobachtungen Maschka's^ erinnert, der unter 78 Fällen
Ton Nierensteinen 8 fand, bei denen gleichzeitig Rückenmarkscompression
bestanden hatte.
Müller selber suchte nach experimentellen Stützen für seine An-
nahme. Er theilt, jedoch ohne Details, einen Versuch mit, den er an einer
V, Jahr alten Hündin vornahm. Er brachte bei ihr nach aseptischer Er-
öffnung des Wirbelcanales an der Grenze zwischen Brust- und Lendenwirbel-
saule eine totale Zerquetschung des Marks, ähnlich den durch Wirbelfrac-
turen verursachten, an. Bereits nach 5 Wochen trat bei dem Hunde „trotz
klaren Urins und fehlender Cystitis" Albuminurie auf. An der durch den
Nierenschnitt 2'/^ Monate nach der Operation herausgenommenen rechten
Niere zeigte sich eine „typische" Nephritis; die mikroskopische Untersuchung
ergab Verfettung, besonders der Markstrahlen. — üeber das weitere Schick-
sal dieses Hundes ist nichts mitgetheilt worden, ebenso wenig über andere
Experimente.
Man kann wohl nicht sagen, dass dieser Versuch eine wesentliche
Stütze für die klinischen Beobachtungen ergeben hat Selbst abgesehen
davon, dass uns die Deutung der bei Hunden doch nicht allzu seltenen Ver-
fettung als „typische Nephritis" doch zweifelhaft ist, ist doch offenbar inner-
halb 2^2 Monaten keine Spur des Beginnes einer Steinbildung einge-
treten. Der Hund hatte allerdings — was wohl zu bemerken ist — auch
keinerlei Blasenkatarrh oder sonstige Zeichen bakterieller Infection.
Bei dieser Sachlage und Angesichts des hohen Interesses, welches diese
Frage für die Theorie der Steinbildung besitzt, scliien uns eine Wieder-
holung dieses Thierversuches sehr wünschenswerth. Wir waren durch die
grosse Liebenswürdigkeit des Hm. Prof. Immanuel Munk in den Stand
gesetzt, die Versuche in der von ihm geleiteten speciell physiologischen
Abtheilung des physiologischen Institutes zu Berlin ausfuhren zu dürfen,
und sprechen ihm auch an dieser Stelle für seine thätige Antheilnahme
an unserer Arbeit unseren lebhaftesten Dank aus.
Nachdem sich alsbald herausgestellt hatte, dass Kaninchen den Ein-
griff nicht hinreichend lange überleben, machten auch wir unsere Versuche
an Hunden. Wir lassen die Versuchsprotocolle hier folgen:
Exp. I.
1 V2 jähriger Hund, 20 Pfund wiegend. — Der Urin ist vor der Opera-
tion klar, enthält kein Eiweiss, erweist sich, auf Gelatine verimpft, als steril.
18./I. 1897. In Aethernarkose und nach vorheriger Einspritzung von
0-15 Morphium wird der Wirbelcanal zwischen erstem und zweitem Lenden-
wirbel eröffnet, dlis Rückenmark ligirt. Hund, nach der Operation sehr
* Zur Pathogenese der NierensteiDC. Zeitschrift für Heilkunde. 1887. Bd. VIÜ.
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202 PosNBB UND P. Asoh:
unruhig, erhält noch 0*05 Morphium, wird in den Wärmekasten verbracht
und dort zunächst dauernd (6 Wochen lang) gehalten.
19./I. Thier im Allgemeinen wohl. Complete Lähmung der Hinter-
beine, Prolapsus ani. Vollständige Harnretention. Blase wird durch Aus-
drücken entleert; der Harn ist klar, enthält kein Eiweiss, sedimentirt nicht.
Bakteriologische Untersuchung, wozu (wie stets) erst der letzte Theil des
Harns verwandt wird, völlig negativ.
20./I. Status idem. Operationswunde eitert oberflächlich, wird eröffnet
21./L Wunde wird weiter geöffnet, da Eiterung andauert.
22. bis 25. /I. Wunde granulirt; Befinden gut. Harn völlig normal, steril.
26./I. Wunde geheilt.
27./I. Bei sonst gleichem Befunde enthält der Harn Staphylococcus
albus (Gelatinestichcultur).
28. /I. Harn wieder völlig normal. Retention dauert unverändert an;
wird das Ausdrücken der Blase über die gewohnte Zeit hinaus unterlassen,
so läuft der Urin von selber ab.
29. bis 31./I. Es wird jetzt etwas Urin im Strahl entleert, doch muss
immer noch täglich exprimirt werden; Urin normal.
1 ./n. Urin enthält Streptococcus (Gelatinestichcultnr). Prolapsus ani
bildet sich zurück.
2. bis 7./n. In diesen Tagen bildet sich die Harnverhaltung voll-
ständig zurück. Lähmung der Hinterbeine ist unverändert, der Hund lernt
sich im Zimmer zu bewegen, ist übrigens stark abgemagert. Urin normal.
8. II. Erneuter Prolapsus ani. Rechts davon lO-Pfennigstückgrosses
Decubitalgeschwür, wird mit Borax bestreut.
9./IL Anusprolaps zurückgebracht, nach gründlicher Reinigung des
ganzen Hinterleibes wird, von nun an täglich, Decubitalgeschwür mit Höllen-
stein geätzt. Urin normal.
12./n. Geschwür am After granulirt gut. An der rechten Hinterpfote
3 kleine Decubitalgeschwüre.
15./II. Bildung weiterer (im Ganzen 6) Decubitalgeschwüre an der
Hinterpfote.
19./II. Alle Geschwüre granuliren gut unter Höllensteinbehandlung.
Urin dauernd normal.
20./n. Starke Diarrhöe.
28./n. Am Knie des rechten Hinterbeines breites Geschwür.
1. bis 2./in. Wegen dauernder Diarrhöe Darreichung von kohlensaurem
Kalk mit der Nahrung.
4./in. Tct. opii simpl., 10 Tropfen.
5./III. Diarrhöe beseitigt. Urin normal.
9. /in. Decubitalgeschwür am Bauch, dicht oberhalb der Symphysi.
lO./III. Nach Morphiuminjection wird in Aethemarkose durch 6 *'"* langen
Schnitt, der Wirbelsäule parallel, in der Höhe der unteren Brust und oberen
Lendenwirbel linke Niere freigelegt. Dieselbe sieht vollständig normal
aus, fühlt sich überall, auch am Nierenbecken, weich an, wird daher un-
eröffnet versenkt, Wunde vernäht.
11. /UI. Hund befindet sich wohl, Urin normal.
12./in. Eiterung der Nephrotomiewunde; Incision, starke Blutung.
Ausfüllung der Incisionswunde mit Sublimatgaze.
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EINFLUSS DBB RöOKENMAaKSBUBCHSOHllBIDUKG AUF DIE NiEBB. 203
13./in. Wunde secernirt nur seröse Flüssigkeit.
14./ni. Wunde geheilt. Urin. enthält viel Harnstoff, ist sonst normal
16./in. Starke Diarrhöe.
17. bis 20./III. Darreichung knochenreicher Nahrung. Decubitalge-
schwüre granuliren gut, müssen aber täglich mit dem Höllensteinstift geätzt
werden.
21. bis 31./in. Es tritt, bei sonst gutem Befinden, allmähliche Ab-
magerung auch des Yorderkörpers ein.
1. bis 13./IV. Hund befindet sich im (Ganzen wohl, keine Diarrhöe.
Der Harn ist andauernd normal.
14./IV. Ohne vorherige Krankheitserscheinungen gezeigt zu haben,
stirbt der Hund.
Die Section ergiebt keine bestimmte Todesursache; insbesondere sind
Lungen, Herz, Leber, Darm normal. Die Nieron sind von normaler Grösse,
auf dem Durchschnitt etwas blass, namentlich erscheint das Mark auffallend
weisslich. Der linke Ureter S-förmig gekrümmt (Folge der Zerrung bei der
Probeoperation?). Das Rückenmark ist zwischen erstem und zweitem Lenden-
wirbel total abgebunden.
Mikroskopische Untersuchung der Nieren ergiebt massige Verfettung,
namentlich der Markstrahlen. Glomeruli und Tub. contorti ganz normal,
auch mittels Eochmethode kein Eiweiss nachweisbar.
Exp.IL
Ya jährige Hündin, 6^/2 Pfund wiegend. — Urin vor der Operation klar,
eiweissfrei, steril.
2./IL 1897. In Aethemarkose Eröffnung des Wirbelcanales in Höhe
des neunten bis zehnten Brustwirbels, Rückenmark durchschnitten. Hund
kommt in Wärmekasten.
3. bis 6./n. Befinden gut. Hinterbeine gelähmt. Retentio urinae.
Harn, durch Expression entleert, normal, steril (zur bakteriologischen Unter-
suchung wird der letzte Theil des exprimirten Harnes verwandt, nachdem die
äusseren Geschlechtstheile mit Sublimat und darauf mit abgekochtem Wasser
abgewaschen waren).
7./n. Leichte Eiterung der Operationswunde. Incision. Urin normal.
9./n. Andauer der Eiterung. Urin normal.
lO./n. Vergrösserung der Incisionswunde, Sublimat wattetampon. Hund
befindet sich gut.
11. /n. Wunde geschlossen, Urin normal.
19. bis 20./n. Stat. id. Urin stets normal.
21. /n. Kleine, eiternde Fistel rechts von der Incisionswunde. Sublimat,
26./II. Fistel geheilt. Urin stets normal.
27./IL bis 3./in. Wunde ganz geheilt. Diarrhöe.
5./ni. Zufuhr kohlensauren Kalkes. Diarrhöe sistirt.
6. bis 13./III. Befinden gut. Harn normal.
14. bis 20./III. Starke Abmagerung; blutiger, einmal auch stark
eitriger Koth.
21. bis 28./in. Grosse Abmagerung, dauernd blutiger, aber fester Koth,
schlechter Appetit. Urin sehr concentrirt, sonst normal.
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204 Posneb und P. Asch:
28./IIL Hund sehr elend, eitriges Secret aus der Nase. Thier wird
mittels Chlorofonnnarkose getödtet.
Section ergiebt nichts Besonderes, insbesondere ist an der Lunge, dem
Herzen sowie auch an dem in seiner ganzen Länge aufgeschnittenen Darm
nichts Pathologisches zu finden. Blase stark dilatirt; Ureter und Nieren-
becken sind normal, Niere kaum weisslich verfärbt.
Mikroskopisch ausser massiger Verfettung der Markstrahlen nichts Be-
sonderes.
Von unseren beiden Versuchsthieren hatte also das erste nahezu 3,
das zweite fast 2 Monate mit durchtrenntem Rückenmark gelebt nnd
auch alle für Rückenmarksdurchschneidung charakteristischen Symptome
dargeboten, die freilich im ersten Fall in sehr bemerkenswerther Weise sich
wieder, wenigstens was die Blase betriflft, zurückbildeten. Es war gelungen,
während der ganzen Dauer des Versuches das Eintreten einer Cystitis zu
verhüten, selbst als (Versuch I) Eiterkokken, die wahrscheinlich von der
Wunde her ihren Eingang in den Kreislauf genommen hatten, die Ham-
wege passirten. Es war auch nie Albuminurie aufgetreten; und dem-
entsprechend erwies sich auch die Niere bei genauester mikroskopischer
Durchforschung als normal, abgesehen von einer auch von uns beobachteten
Verfettung der Markstrahlen, die wir, wie schon oben bemerkt, als besonders
pathognomonisch nicht anzuerkennen vermögen. Irgend eine Spur einer
Nekrose oder eines Infarctes war nicht zu erkennen.
Wir sind weit entfernt, aus dem negativen Ergebniss dieser beiden
Versuche allgemeine Schlüsse zu ziehen und aus ihnen etwa eine Wider-
legung von MüUer's Anschauungen zu folgern. Es ist vor allen Dingen
zu bedenken, dass ja beim Hunde, mit der bei ihm stark ausgeprägten
Acidität des Harnes, die Verhältnisse sehr wesentlich anders li^en können,
als beim Menschen.
Immerhin muss doch darauf aufmerksam gemacht werden, dass eben
im Thierexperiment ein Factor ausgeschaltet war, dessen verhängnissvolle
Einwirkung am Krankenbett jedem Arzte zur Genüge bekannt ist — das
ist der Katheterismus. Die Harnverhaltung, die sich an Rückenmarks-
verletzungen fast unmittelbar anzuschliessen pflegt, macht so gut wie aus-
nahmslos die Anwendung des Katheters erforderlich — und selbst bei
strengster Anwendung der Asepsis gelingt es gerade in diesen Fällen fest
nie, das Eintreten einer Cystitis — ja wohl gar einer Pyelitis und Pyelo-
nephritis zu vermeiden. Wir wollen hier auf die Bedingungen der Stein-
bildung nicht näher eingehen; dass wenigstens bei Phosphatsteinen — und
um solche handelt es sich hier ja wohl meist — Eiterung und Infection
eine erhebliche Rolle spielen, dürfte unbestritten sein. Gewiss können auch
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EiNFLUBS DEB RüCKENKABKSDUBOHBCHNBIBUNa AUF DIE NiEBE. 205
auf anderem Wege Bakterieo ihren Weg in Blase und Niere finden,^ in
praxi wird die Katheterinfection (bezw. das Verschleppen von Keimen aus
der Urethra mittels des Katheters) wohl immer die Hauptrolle spielen. So
können wir uns denn, trotz der von Muller erhobenen Einwände und indem
wir die Eingangs hervorgehobene Möglichkeit einer Betheiligung nervöser
Einflüsse bei der Nierensteinbildung theoretisch vollkommen anerkennen,
vorläufig noch nicht von der Anschauung losmachen , dass bei der Ent-
stehung dieser Goncremente die Infection des Harnes die Hauptrolle
spielt tJnd der Arzt wird die äusserst interessanten Beobachtungen der
Halleschen Klinik denmach vorwi^end in dem Sinne beachten müssen, dass
er mit allen nur verfügbaren Mitteln bei den an Rückenmarksverletzung
leidenden Patienten für Sterilisirung des Harnes Sorge zu tragen hat^
' VgL Posner und Lew in, Untersachongen über die Infection der Harnwege.
Centralhlatt fwr Krankheiten der Harn- und Sexualorgane. 1896.
' Ebstein empfahl in der an eine kurze Mittheilang des Einen von uns (Posner)
ftaf der Düsseldorfer Natorforsoher- Versammlung sieb anschliessenden Discussion zu
diesem Zwecke warm die prophylactische Darreichung von Urotropin.
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Ein Stoffwechselversuch beim atrophischen Säugling.
Von
Dr. Bernhard Bendix,
L AMiftenten an der Unty.-KfadwpoUkUnik d«r Kgl. Charit^.
Der Stoffwechsel des Erwachsenen ist unter normalen Verhältnissen
so weit durchforscht und durch die gemeinsame, mühevolle experimentelle
Arbeit von Physiologen, Hygienil^em und Klinikern so weit aufgebaut worden,
dass die Bedingungen für die Menge der Nahrungsaufnahme, für die Resorp-
tion derselben, für die Oxydation und Retention beinahe wie Gesetze fest-
stehen, und auch für die Pathologie des Stoffwechsels des Erwachsenen
herrscht gleichfalls bei einer grossen Zahl von Krankheiten eine in den
Hauptpunkten gesicherte Klarheit
Ganz anders hegen die Verhältnisse im Kindesalter beim noch wachsen-
den und zunehmenden Menschen, speciell beim Säugling. Finden sich auch
zahlreiche und werthvoUe Beobachtungen über die normalen Nahrungs-
mengen, welche ein Säu^ing, speciell das Brustkind zu sich nimmt, und
bei welcher Zufuhr er gedeiht, vor — ich erinnere nur an die über diesen
Gegenstand gemachten Mittheilungen von Hähner, Forster, Ahlfeld,
Pfeiffer und in neuerer Zeit an die von Feer und Johannessen, —
liegen auch Veröffentlichungen über die vom Säugling geUeferte Urin- and
Kothmenge und deren Bestandtheile vor (Gruse, Camerer, Uffelmann),
und hat Camerer 1 selbst auf Grundlage dieser Einzelbeobachtungen unter
Hinzunahme theoretischer Berechnungen in seinem Buche ein sehr werth-
voUes Fundament für den „Stoffwechsel des Kindes" geschaffen, so haben
doch alle diese Bemühungen nicht ausgereicht, um uns einen voUkonmienen
Einblick und ein klares Bild über den Stoffwechsel und den Haushalt des
Säuglings zu verschaffen.
Ich brauche mich an dieser Stelle nicht des Weiteren darüber aus-
zulassen, welche Bedingungen für die Exactheit eines Stoffwechselversnches
in Frage kommen; nur das will ich betonen, dass bis vor Kurzem beinahe
^ W. Camerer, Der Stoffwechsel des Kindes, Tübingen 1894.
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Bernhard Benbix: Ein Stofvwechselyersüch u. s. w. 207
Alles gefehlt hat, was den Stoffwechseluntersuchungen im Sauglingsalter speciell
für den wichtigen Factor der Ausscheidungsproducte durch Koth und Urin
eine genügende Garantie für die Richtigkeit der Zahlen gewährleistet hätte.
Und die Schwierigkeiten, welche sich uns bei der Feststellung der
Excretbestandtheile im Sauglingsalter entgegenstellen, liegen begründet in
der grossen Unzuverlässigkeit der für die Stoffwechselversuche nothwendigen
Apparate. Alle Autoren loben zwar ihre für derartige Versuche verwen-
deten Harnrecipienten - denn auf die verlustlose und vom Koth getrennte
Sammlung des Urins kommt ^ hauptsächlich an, weil die Kothentleerungen
des Säuglings an und für sich leichter aufzufangen sind — und geben an,
dass sie den Gesammturin entweder vollkommen oder beinahe verlustlos
gesammelt haben. Und dennoch haben wir den Eindruck gewonnen, aus
dem Vergleich der eingeführten Nahrungsmenge zu dem aus derselben ge-
bildeten Harn, dass bald grössere, bald kleinere Verluste vorliegen mussten.
Um diesem Uebelstande abzuhelfen, habe ich seiner Zeit einen Apparat
ang^eben, dessen tadelloses Functioniren es ermöglichte, Koth und Urin
verlustlos und getrennt auch im Säuglingsalter zu sammeln. Dieser Apparat
ist seiner Zeit an der Hand einer Abbildung von mir ausführlich beschrieben
worden^ Wenngleich ich nun denselben im Laufe der folgenden Jahre stets
imd zu meiner vollen Zufriedenheit bei den weiteren von mir ausgeführten
StofiFwechseluntersuchungen verwandte, und derselbe auch, soweit ich höre, von
verschiedenen anderen Autoren mit Nutzen angewendet wird, so bin ich doch
beute der Ansicht, wie ich dies bereits in der Sitzung des Vereins für innere
Medicin am 20. März 1899 gelegentlich des Baginsky 'sehen Vortrages über
Atrophie der Säuglinge ausgesprochen habe, dass ausser dem exact functio-
uirenden Apparat noch etwas unerlässlich ist, was erst die volle Garantie für
das Gelingen des Versuches abgiebt, das ist eine ständige Wache Tag und
Nacht bei dem Säugling, welche in gewissenhaftester Weise kleine Func-
tioDsstörungen im Apparat, wie solche von Seiten des Kindes, zu controliren
hat Bei allen meinen Versuchen unterstützten mich in dankenswerther
Weise junge Studirende der Medicin, von deren Verständniss und Interesse für
den Versuch auch die Angabe der kleinsten Störung vorausgesetzt werden durfte,
was auch jederzeit aus den ausgeixten Gontrolbüchern zu ersehen war.
An und für sich stellen sich schon dem Forscher ziemlich grosse Hinder-
nisse in den Weg bei der Ausführung von Stoffwechselversuchen beim Säug-
ling, denn derartige Versuche lassen sich überhaupt nur im Krankenhause
oder am eigenen Kinde vornehmen, unter welchen Verhältnissen es allein
möglich ist, quantitativ Nahrung zu verabreichen und quantitativ die Excrete
mit sammt ihren Bestandtheilen zu bestimmen. Und will man derartige
» Jahrb. für Kinderheühunde. 1896. Bd. XLIII. Heft 1.
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208 Bbbnhabd Bendix:
Versuche an gesunden Säuglingen anstellen, woran man natürlich zuerst
dachte, um Normen für das gesunde Kind gegenüber pathologischen Zu-
standen feststellen zu können, so liegt wieder die grosse Schwierigkeit vor,
woher gesunde Kinder nehmen, wofern man nicht in der glücklichen Lage
ist, wie es Camerer war, an seinen eigenen Kindern experimentiren zu
können. Im Krankenhaus selbst findet man für diesen Zweck wenig ge-
eignete Säuglinge. Auch geben Eltern ihr Kind für derartige Zwecke nur
schwer und ungern sowohl in ein Krankenhaus als auch ebenso wenig in
die Privatwohnung des Arztes; im Spital aber ist es nicht inuner so ganz
leicht, gesund aufgenommene Säuglinge, besonders wenn sie nicht isolirt
sind, bezüglich ihres Yerdauungstractus intact zu halten.
Im Uebrigen muss auch berücksichtigt werden, dass der Arzt, welcher
ein Kind zu Versuchszwecken zu sich nimmt, immerhin keine kleine Ver-
antwortung auf sich ladet, falls dem Kind irgend eine Indisposition, die
nicht vom Versuch abhängig zu sein braucht, zustössi
Mit allen den angeführten Factoren hat also ein Stoffwechselversuch am
Säugling zu rechnen; es ist daher auch nach diesen Auseinandersetzungen
nicht schwer zu verstehen, warum alle die in den letzten Jahren publi-
cirten Versuche, wenngleich sie als solche am gesunden Säugling aufge-
führt werden y doch immerhin nur Zahlen für annähernd normale Ver-
dauungsvorgänge bringen, denn entweder waren die zu den Versnoben
benutzten Säuglinge schon bei dem Beginn des Versuches nur „beinahe
normal'^ bezw. „ein wenig dyspeptisch^S wie dies fast von allen Autoren,
welche ftber diesen Gegenstand gearbeitet haben, hervorgehoben wird, oder
das in Beobachtung befindliche Kind wurde während des Versuches durch
die Versuchsbedingungen so alterirt, dass die Stühle, wenn auch nur zeit-
weise, leicht dyspeptisoh wurden.
Indessen sieht man von diesen kleinen Störungen ab, welche, wie mir
jeder, der über diese Verhältnisse selbst gearbeitet hat, zugestehen moss,
schwer auszuschalten sind, so liegen nun bereits über die Stoffwechselvor-
gänge beim normalen Säugling — normal in dem eben geschilderten
Sinne — erfreulicher Weise seit Lange's^ und meiner' Arbeit eine be-
trächüiche T^\A von weiteren Forschungen vor, in denen sich ausser der
Heubner'schen Klinik insbesondere die Czerny'sche Schule (Keller,
Freund) sowie Blauberg, Knöpfelmacher, Lange, Bohrend und
Gross betheiligt haben.
Zu den werth vollsten Beiträgen dürften unstreitig die unter Bubner
und Heubner^ in Gemeinschaft mit Bendix, Winternitz, Wolpert und
» Lange, Jahrb. f, Kinderheük. 1895. Bd.XXXIX. * Bendix, Ebenda, 1896.
' Bahn er und Heubner, Die natürliche Bmäbrung eines Säuglings. ZeUsehrifi
für Biologie. Bd. XXXVI. H. 1.
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Ein Stoffweohselyebsuoh beim atbophibohen SIugling. 209
Spitta angestellten Versuche gerechnet werden, welche neben den Aus-
gaben durch Eoth und Urin zu gleicher Zeit den Respirationsstoffwechsel
mit in Betracht zogen.
Diese Versuche sind, abgesehen von denen von Eckerlein, Büchner,
Dohrn und Scherer, welche entweder nur die Grösse des Lungen-
gaswechsels an Neugeborenen ohne Rücksicht auf den Chemismus fest-
stellten oder aber über Respirationsversuche berichten, welche an dem
üebelstande leiden, dass jeder einzelne Versuch von zu kurzer Dauer ist,
die ersten dieser Art, sowohl bezüglich ihrer Vollkommenheit als auch ihrer
Zeitdauer und dürfen aus diesen Oründen wohl als fundamental für die Er-
kenntniss der Stoffwechselvorgange am gesunden Säugling angesehen werden.
Auf die durch diese Arbeiten festgestellten Thatsachen will ich hier
nicht näher eingehen, sie mögen in den Originalien nachgelesen werden;
ausserdem sind die aus den Versuchen sich ergebenden Resorptions- und
zum Theil auch die Retentionsverhältnisse, soweit die Ergebnisse pnblicirt
sind, bereits in den verschiedenen Arbeiten Keller's^ tabellarisch zusammen-
gestellt
Für die ResorptionsTerhftltnisse des Säuglings indessen möchte ich
mir erlauben, die Aufmerksamkeit des Lesers in Anspruch zu nehmen, und
zwar speciell, was die Aufnahme des Eiweisses und Fettes aus der Milch,
welches Nahrungsmittel ja natürlich allein für den Säugling in Betracht
kommt, anbetrifft
Wenn wir die beim annähernd gesunden Säugling (Flaschenkind) ge-
fundenen Werthe för die Ausnutzung der beiden angeführten Nahrungs-
st(rffe, des Eiweisses und des Fettes, soweit über Letzteres etwas Positives
vorliegt, zusammenstellen, so ergeben sich folgende Zahlen:
Tabelle L
Künstlich ernährte (leidlich gesunde) Kinder.
A. Kahmileh ohne Zusatz von .Kohlehydraten.
Autor
Alter ■ Dauer I Durch-
1' des I des Yer- 'sohnittliche
I Kindes suches tätliche
I in Mou. in Tagen N-Zafahr
N-Resorp. Ausscheid,
tion durch den
Koth
in Proc.
Keller P
„ IIP
8
6
2V,
2-6725
1-8527
3«8312
1-2782
85-8 1
93-2
95-2
84-5
in grm
0-3805
0-1251
0-3694
0-3960
Resorption
des
Nahmngs-
fettes
in Proc.
* Centralblatt für innere Medicin, 1898. Nr. 21 u. 31; 1899. Nr. 2.
9uppe eine Nahrung ßir fnagendarmkranke Säuglinge, Jena 1898.
- MaU-
* Keller, Ceniralblatt für innere Medicin.
» Keller, Ebenda, Nr. 31.
Archiv f. A. u. Ph. 1899. Pbysiol. Abthlg. Suppl.
1898. Bd. XIX. Nr. 21.
14
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210
Bebnhabd Bbndix:
Tabelle 1. (Fortsetzung.)
B. Kiihmlleh mit Zusatz Ton Kohlehydraten.
1. Mit Milchzucker.
Autor
Alter
des
Kindes
in Mon.
Dauer i Durch-
des Ver- |schnittliGhe|
suches I tägliche
. in Tagen N-Zufuhr
Bendix^ I . . . .
„ Nachperiode
Lange u. Berend* I
„ „ .. n
Freund 8 lila . . .
Illc . . .
37,
6
3-745 1
3V,
2
3-57
6
6 1
4-5035
7
7
4-5721
Mit Kufeke-Mehl.
3 2-65 I
5 3-12
Tägl. N.
N-Resorp. Ausacheid.
tion durch den
in Proc. Koth
jn grm
0-60
0-9954
0-9428
0-385
0-152
79-8
83-22
77-9
79-4
86-5
95-1
Resorption
des
Nahrungs-
fettes
in Proc.
89-29 ^
91-97
75-2
86-5
Es erhellt aus der Tabelle, dass unter normalen Verhältnissen das Fett und
das Eiweiss der Kuhmilch vom Säuglingsdarm leidlich gut resorbirt werden.
Ueber die Pathologie des Stoffwechsels liegen ausser den weiter unten
zu nennenden Untersuchungen von Heubner und Baginsky kaum irgend
welche Untersuchungen vor. Es erschien mir daher von Werth zu sein, bei
der Krankheit des Säuglingsalters den Stoffwechsel zu untersudien, welche
durch ihr ganzes klinisches Verhalten von vornherein den Eindruck hervor-
ruft, als wenn bei ihrem Vorhandensein die Verdauungs- und Resorptions-
verhältnisse geschädigt sein müssten. Ich spreche von der Atrophie (Paed-
atrophie, Athrepsie), welche aus dem angeführten Grunde, wie ich glaube,
auch das Interesse des Physiologen för sich in Anspruch nehmen dürfte.
Um jeden Irrthum auszuschliessen, möchte ich kurz skizziren, was wir
unter Atrophie verstanden wissen wollen, und bei welcher Art derselben
ich den Stoflfwechselversuch angestellt habe.
Es handelt sich bei den Fällen von echter Atrophie klinisch um
ein äusserst abgemagertes Kind, dessen Fettpolster und Muskellager mit
der Zeit so schwindet, dass nichts weiter als Haut und Knochen von dem
Kinde übrig bleibt Es ist, wie man sich ausdrückt, skeletartig abgemagert
Der Säugling zeigt dann das bekannte, oft geschilderte Bild eines elenden,
blassen Wesens, mit greisenhaftem Gesicht, tiefli^enden Augen, eingesun-
kener Fontanelle, bei dem die Haut um die Knochen schlottert. Das Kind
bleibt dauernd im Gewicht stehen oder die Gewichtskurve fallt continuir-
lich nach unten. Dabei ist der Appetit leidlich gut und die Menge der
Nahrungsaufnahme dem Alter des Kindes ungeföhr angemessen.
Der Stuhl ist normal breiig, ab und zu auch einmal dyspeptisch oder
> Bendiz, Jahrb. für KinderheUkunde. 1896. Bd. XLIII.
> Lange und Berend, JShenda. 1897. Bd. XLIV.
' Freund, ^6<fnrfa. 1898. Bd. XL VIII.
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Ein Stoffweohselvebsuch beim atbophischen Säugling. 211
zwischendurch in Folge eines exacerbirten Darmkatarrhes diarrhöisch. Es
handelt sich meist um Ejnder, bei denen bald dieses , bald jenes gut er-
scheinende Nahrungsmittel Tersucht wurde, selbst die Mutterbrust oder
Amme requirirt wurde, um das Kind in die Höhe zu bringen. Nichts
hilft, continuirlich sinkt das Gewicht
Ausgeschieden sind von diesen Formen der echten Atrophie diejenigen,
welche hervorgerufen sind durch absichtliche Unterernährung (Verhungern-
lassen durch Engelmacherinnen) oder durch unbewusste Uiiterernähi-ung,
indem von der selbst stillenden Mutter das Nachlassen der Milchsecretion in
der Brust unbemerkt bleibt oder Unwissenheit bezüglich der, nothwendigen
Nahrungsmengen bei der künstlichen Ernährung, ausgeschlossen ferner
Atrophieen, welche ätiologisch bedingt sind durch Lues oder Tuberculose.
Aetiologisch stehen für die erstgenannten für uns hier in Betracht
kommenden Formen von Atrophie im Vordergrund, entweder hochgradige
angeborene Schwäche der Säuglinge, welche von keinem der vielen ver-
suchten Nahrungsmittel überwunden wird, oder voraufgegangene Darm-
katarrhe bilden die Ursache; für manche Fälle fehlt selbst diese Unterlage.
Einen solchen Fall von echter Atrophie habe ich mir mit gütiger Erlaub-
niss meines Chefs, des Hrn. 6eb.-R. Heubner, aus der Säuglingsabtheilung
der Kgl. Charit^ ausgewählt und für einen Stoflfwechselversuch verwerthet.
Durch die Beifügung der Temperatur-, Gewichts-, Nahrungs- und Stuhl-
tabelle glaubte ich mehr wie durch eine ausführliche Krankengeschichte
darzuthun, dass es sich in der That um einen Fall von Atrophie handelt
in dem Sinne, wie ich ihn oben geschildert habe.
Dieser durch die Curve gegebenen Skizze habe ich nur noch wenige
Worte hinzuzufügen.
Das Band P., ungefähr 4 Monate alt, wurde am 8. IL 1896 in die
Königl. Charit^ in äusserst abgemagertem Zustande eingeliefert mit einem
Gewichte von 3-890^. Bei der Untersuchung desselben wird Lues und
Tuberculose, sowie andere pathologische Zustände ausgeschlossen. Der
atrophische Zustand des Kindes bleibt trotz einer Nahrungszufuhr, welche
dem Alter und dem Gewicht des Kindes angemessen erscheint, bei Fehlen
von Erbrechen, bei bald normalem, bald djspeptischem Stuhl, bei schwan-
kendem Gewicht, während des Krankenhausaufenthaltes, der über 4 Wochen
wahrt, bis zum Tode der gleiche. Ungefähr 8 Tage vor dem Tode stellte
sich eine Otitis media duplex ein; unter voraufgehender Temperatursteigerung
trat Collaps und der Exitus ein. Das (Jewicht war einen Tag vor dem
Tode teotz verschiedenfacher Modificationen in der Ernährung (Milch, Pett-
milch, Nestle-Mehl) das gleiche wie bei der Aufnahme des Kindes, 3 •890^.
Die Section ergiebt eine Enteritis catarrhalis. Tuberculose oder Lues
nicht nachweisbar.
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Ein Stoffweohselyebsüoh beim atbophibchen SIüolino. 213
Es folgt der Stoffwechselversuch:
Derselbe währte 5 Tage. Ueber die Ausführung desselben ist an dieser
Stelle nichts Neues zu sagen. Um die Besorptionsverhältnisse zu studieren,
hatte ja neben der Analyse der Nahrung die Eothanalyse genügt, doch
habe ich auch den N im Urin bestimmt, da mir das Material hierfür zur
Verfügung stand und zugleich aus der N-Retention ersichtlich wurde, wie
Tiel von dem resorbirteu N nun wirklich zum Körperansatz verwerthet
wurde. Die Stickstoffbestimmungen wurden nach Kjeldahl, die Fett-
bestimmungen im Soxhlet'schen Extractionspparat ausgeführt Jede ein-
zelne Portion der Nahrung wurde genau gemessen. Aufhngen des ge-
sammten Urins und exacte Trennung desselben vom Eoth gewährleistete
der in der Einleitung erwähnte Apparat und die Wache beim Kinde. Für
die Abgrenzung des Kothes wurde Ghocoladenbrei gewählti ein Mittel,
welches sich mir des Wohlgeschmackes wegen für Versuche im Kindesalter
stets am besten bewährt hat; der braune Ghocoladenkoth differenzirt sich
ausserordentlich gut yon dem gelben Milchkoth.
Der an dem 4 Monate alten atrophischen Kinde, welches mit et^va
1 Liter Milch (^/g Milch mit Zusatz von 12.3 Procent Milchzucker) ernährt
wurrde, angestellte StofFwechselversuch ergiebt nach der beigefügten Tabelle
eine Resorption des Nahrungs-N von 71-^6, des Fettes von 59-09 Procent
(imd zwar als Ergebniss einer taglichen N-Zufuhr durch die Nahrung von
3*424 und Ausscheidung durch den Koth von 0-960^.
Die N- Resorption ist demnach in diesem Versuche beim Vergleiche
der erhaltenen Werthe mit denen beim leidlich normalen Kinde gefundenen
bei ungefähr der gleichen Ernährung nicht sehr beträchtlich herabgesetzt.
Wie aus den früher angeführten Zahlen hervorgeht, stellt sich die Re-
sorption für den normalen Säugling bei einer Ernährung von Milch mit
Zusatz von Kohlehydraten (Milchzucker) auf 79-8, 83-2 Procent (Bendix),
77*9, 79.4 Procent (Lange und Berend), 88-3 und 90-9 Procent
(^/2 Milch, bezw. Vollmilch + Malzzucker Keller).
Für die Fettausnutzung sind die Differenzen zwischen normalem
und atrophischem Kind bedeutend grössere.
Fettresorption.
Normales Kind. Atrophisches Kind.
81 Procent (Lange) 59-09 Procent.
89.29 „ (Bendix).
91.97 „
Zum Vergleiche für diese pathologischen Verhältnisse können natur-
gemäss nur normale Versuche herangezogen werden, in welchen die Kinder
in ungefähr derselben Weise ernährt wurden. Denn aus den Versuchen
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214
Bebnhabd Bendix:
Tabelle IL
Stoffwechselversuch an einem atrophischen Säugling.
Tag
des V. r-
I
2. I
3 '
1
4. j
5. I
Nahrun gszuf uhr
Datam
Misch -
milch
Vnn
Thee
IGesammt-
|flübsigkeit
12. Ücc.
13. „ ;
14. „
15. ,.
16. „ I
914
837
969
995
993
119
150
150
158
1033
987
969
1145
1151
üriD- '
menge |
Koth
Gewicht
des Kindes
387
852
260
460
489
1105-95
feucht
109*70 1
trocken ;
jd.h. 90-08 «/ol
I Wassergehalt .
3-830
3-810
3-800
3-790
8-830
In 5 Tagen
Abgerundet
4708
4710
577
580
i 5290 ||
1948
1950
I 9-92 0/^
Trockensubst.
Nahrungszufuhr
Zeit
Menge
Gehalt an
N . Fett
In 5 Tagen grm
Ausgabe durch d. '
Gesammtkoth j
109-70»"" . .'
Resorption grm i
„ Proc. i
Verlust in Proc.
Misch- 1
milch *
4710
17-12
— , 4-80
In Procenten
N IJett^
2T2m
0-3638
= 2-27»/oE
107-27 -
43-89'
12-32' 63-38 —
71-96
28-04
59 -09! —
40-91 —
Ausgabe durch d.
Ges.-Ürinl950»'°»|
Ges.- Ausscheid, d. j
Koth u. Urin grm 1
Retention grm 1
— ! 8-57' -
— I8-37; -
- i 3-^^; -
An Cal. werden dem Kinde
zugeführt rund (pro die):
grm
CaU
Durch Eiweiss 21 •38| 88
„ Fett 4^1 •45, 200
„ Zucker«! - 291
Zufuhr an Cal. pro die 579
Von dies. Nahrungsbestand-
theilen wurden resorbirt (p.d.)
grm
Cal.
Eiweiss
Fett .
Zucker ' ^^^
Es kommen demnach |
dem Kinde noch zu I
Gute pro die* . .| 473
I 15-38 63
il2-67j liy
!71«0 291
* Von jedem Tag der Periode wurden je 100 »"" Milch zurückgestellt, conservirt,
am Ende der Periode zusammengemischt und diese Mischung zur Analyse benutzt.
* Der Zuckergehalt ist nur geschätzt nach früheren von mir ausgeführten Analysen
der Heubner'schen «/s-Milch (650 Milch + 350«™» 12-8procent Milchzuckerlösung).
650«™ Milch sollen enthalten 28»™* Milchzucker (bei einem Zuckergehalt von 4-2 Proc.)
und dazu kommen 43 ^"* Milchzucker aus der Milchzuckerlösung = 71 »™* im Liter.
Das Kind trank zwar nur etwa 950 «™ Milch im Tage, doch glaubte ich dieses kleine
Deficit bei der Calorienberechnung ausser Acht lassen zu dürfen.
' In der Annahme, dass so gut wie aller Zucker der Nahrung vom Säugling
resorbirt wird.
* Da das Kind während der Versuchstage im Gewicht um 3-800^« herum schwankt-,
so erhält es pro Kilo und Tag immer noch zwischen 124 und 125 Galorien zugeführt
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Ein Stoffw£CH8£LVeb8uch bbim atbophischen Säugling. 215
Keller's,^ Bendix',* Lange's und Berend's^ geht hervor, dass unter
dem Einflüsse von der Maltose (Keller) und der Milchzuckerzufohr (Bendix,
liange und Berend) weniger Stickstoff aus dem Darm resorbirt wird als
bei Darreichung von Vollmilch oder verdflnnter Milch. Es. ist demnach
far die Ausnutzung des Stickstoffes im Körper des Säuglings das Yerhält-
Diss der stickstoffhaltigen zu den stickstofi&eien Bestandtheilen von höchster
Bedeutung. Die Zahlen Keller's für die Ausnutzung des Milchstickstoffes
bei Ernährung mit Kuhmilch ohne Zusatz von Kohlehydraten steUen sich
wesentlich höher als die bei Znsatz von denselben, sie liegen (s. Tab.I, S. 210)
in den Grenzen zwischen 84-5, 85-8, 93-2, 95*2 Proc bei gesunden Kindern,
nähern sich demnach sehr den Werthen, welche f&r die Ausnützung des N
bei Brustkindern gefunden wurden (83-12 bis 90-5 bis 97-57 Procent).
Sehr interessant in dieser Beziehung ist der Versuch II Freund's,^
welcher darthnt, dass sich auch unter pathologischen Yerhältnissen gleichfalls
wie unter normalen Bedingungen das Yerhältniss der stickstoffhaltigen Be-
standtheile zu den stickstoffireien in der zugeführten Nahrung für die Resorp-
tion desN geltend macht Denn Freund fand bei einem atrophischen Kinde ^
Yoa 3 Monaten bei Ernährung mit ^/^ Milch ohne Zusatz von Kohlehydraten
noch eine N-Ausnutzung von 94*9 Proc; diese steht übrigens der Ausnutzung
beim gesunden Kinde bei ungeßihr gleicher Ernährung nicht nach. Neben
diesem zufälligen Befunde in der Litteratur li^en nun noch die Mit-
theilungen Heubner's^ über Versuche (an denen ich selbst Theil nehmen
konnte) an einem atrophischen Kinde vor. Dieselben zeigen gleichfalls ver-
sduedene Ausnutzung des Nahrungs-N bei verschiedener Kost; in diesem
Versuche ist der Befund um so interessanter und gewichtiger, weil es sich
um einen fortlaufenden Versuch an einem und demselben Kinde handelte.
Dasselbe zeigte bei verdünnter Milchnahrung (mit Zusatz von Milchzucker)
eine Ausnuteung des Stickstoffes von 81-5 Procent (Nahrungs-N 2-11,
Koth-N 0*388 pro die), dagegen bei Ernährung mit Kufeke-Mehlnahrung
eine solche von ca. 57.3 Procent (Nahrungs-N 1*208, Koth-N 0*463 pro
> Cttitralblatt für innere Medicin. 1S98. Bd. XIX. Nr. 21 u. 81.
* Jahrb. för Kinderheilkunde. 1896. Bd. XLIII.
» Lange und Berend, Ebenda. 1897. Bd. XLIV.
* Ebenda. 1898. Bd. XLVIII. S. 150.
* Freund selbst fuhrt zwar den citirten Versuch nicht als solchen beim atro-
phischen Kinde auf, indessen bei Durchsicht der Krankengeschichte darf man denselben
hierher gehörig rechnen. In der Krankengeschichte heisst es: „Ausgetragenes, hereditär
nicht belastetes Kind, das bei stark verdünnter Milch als Nahrung, ohne je schwerere
Darmerscheinungen zu zeigen, an Körpergewicht immer mehr abgenommen haben soll."
Im Status heisst es: „8 Monate altes Kind; Gewicht 2870 b™, stark abgemagertes Kind
ohne pathologischen Organbefund. Gebundener Stuhl u. s. w."
* Berliner klinische Wochenschrift. 1899. Nr. l.
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216
Bernhard Bendix:
die); der N des Mehles wurde darnach von dem kranken Darme recht
schlecht ausgenutzt.
Aus all' diesem geht hervor^ dass die unter pathologischen Verhält-
nissen gefundenen Zahlen für die Stickstoffaussnutzung vom Sauglingsdarme
keine absoluten Zahlen darstellen können, sondern nur yerwerÜiet werden
können, wenn man sie in Relation setzt zu Zahlen, welche beim normalen
Säugling gefunden worden sind bei annähernd gleicher Ernährung. Der
Uebersicht wegen stelle ich die unter normalen und pathologischen Ver-
hältnissen gefundenen Zahlen für die StickstoffausnutzuDg bei gleicher Er-
nährung in einer Tabelle zusammen.
Tabelle III.
ErDährang
Normales Kind
N-Resorption
Atrophisches Kind
N-Resorption
Verdünnte Kuhmilch ohne
Zusatz von Kohlehydraten
84«5— 85 «8— 93-2-95
(Keller)
im Mittel 90^0
94«9% (Freund)
Verdünnte Kuhmilch mit Zu-
satz von Kohlehydraten:
1. mit Milchzucker . .
2. mit Malzzucker .
3. mit Kufeke-Mehl ,
|79-8— 83*2— 77-9-79*40/o
{[(Bendiz) (Lange-Berend)
|] im Mittel 50%
I 88*3 — 90-00/o
I 85-5— 95-1 «/o
„ (Freund)
7/-9ö% (Bendix)
8l'5X (Heubner)
57-8% (Heubner)
Es schemt denmach beim atrophischen Kinde eine Verschlechterung
bezüglich der Ausnutzung des Nahrungs-N in erheblichem Maasse jedenfalls
nicht zu bestehen, soweit dies bei der Schmerigkeit,^ welche für die Be-
urtheilung der N-Resorption (berechnet aus der Differenz von Nahrnngs-N —
Koth-N), besteht, überhaupt zu eruiren möglich ist. Speciell für den von mir
untersuchten Fall wird auch das normale Calorienbedürfniss des Säug-
lings noch vollkommen gedeckt. Aus der S.214 aufgezeichneten Tabelle er-
giebt sich, dass dem Kinde P. von der eingeführten Nahrung noch 473 CaL
zu Gute kommen. Da das Kind während der Versuchstage im Gewicht um
3 • 800 «™* schwankt, so erhielt dasselbe pro Kilo und Tag zwischen 124 bis
125 Cal. zugeführt, eine Zahl, welche nach vielfachen Berechnungen (Heub-
ner, Schmidt-Monnard) für ein Flaschenkind zum V^achsen und Gedeihen
* Einmal kennen wir die Grösse des N im einzelnen Falle nicht, welcher durch
die Yerdauungssafte u. s. w. geliefert wird, ausserdem giebt die Angabe der Besorption
in Procenten kein absolut klares Bild, weil die N- Verluste in Procenten um so grösser
erscheinen, je geringer die N-Zufuhr durch die Nahrung ist
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Ein Stoff weohsblyebsüoh bbim atbophischek Säugling. 217
unter normalen Verhältnissen mehr als ansreicht Wenn Baginsky^ in
einer neuesten Arbeit über Atrophie der Säuglinge bei zwei Stoffwechsel-
versachen eine bedeutend herabgesetzte N-Ausnutzung (einmal 37 Prooent
N-Yerlust, und das andere Mal 52*7 Procent) erhält, und daraus (neben
gleichzeitig gefundenen, tie%reifenden, atrophirenden und degenerativen,
anatomischen Läsionen des Darmtractus) den Satz aufstellt: ,,Die Atrophie
der Säuglinge ist die Folge der durch atrophische Veränderungen des Darm-
canales gestörten Assimilation'^ ^ ^^^^ ^i^^ Folgerung furdieBaginsky-
schen Fälle richtig sein, aber als allgemein gültig darf dieselbe nicht auf-
gestellt werden. Um so weniger wird dieselbe als richtig angesehen werden
dürfen, als die Yersuchskinder Baginsky's mit durch Zusatz von Kinder-
mehl verdünnter Milch ernährt wurden, bei welcher Ernährung, wie der
Heubner'sche Versuch deutlich zeigt, die N-ßesorption an und für sich
wesentlich herabgesetzt ist. Es geht jedenfalls daraus nicht als allgemein
gültig hervor, dass die colossale Abmagerung des atrophischen Säuglings,
dessen Stillstand, bezw. Rückgang im Gewicht, auf nicht genügender Re-
sorption, bezw. Assimilation von Nahrungs-N und daraus resultirender
Deckung des Verlustes durch N- haltige Körpersubstanz beruht; dies um
80 weniger, da in meinem Versuche das Kind pro Tag noch 0-76^™* N
von Nahrungs-N im Körper zurückhält. Eine Thatsache scheint aber mein
Versuch ausserdem sicher zu stellen, dass die Fettverdauung beim atrophi-
schen Edude bedeutend herabgesetzt ist, wir fanden einen Verlust von
40*91 Procent gegenüber den an normalen Kindern gefundenen Werthen
von 9 bis 11 Procent Verlust; man gewinnt daher den Eindruck, als ob
der Säugling, welcher in seiner Eigenschaft als wachsender Organismus noch
in höherem Grade als der Erwachsene die Fähigkeit hat, das Nahrungs-
eiweiss im Körper zurückzuhalten, dieses Bestreben auch bei der Atrophie
aufrecht hält und lieber dafür Fett vom Körper hergiebt.
Da aber offenbar die Versuche, welche nur die Resorptionsverhältnisse
und den Stickstoffverbranch in's Auge fassen, die Atrophie der Säuglinge
nicht erklären können, — denn mein Versuchskind bezog aus der zu-
gefügten Nahrung trotz hochgradig gestörter Fettresorption, bei leidlicher
N-Resorption, immer noch mehr Oalorien als es nöthig hatte — , so dürfte
es sich vermuthlich bei der in Rede stehenden Erkrankung nur um ab-
norme Steigerung des Gaswechsels handeln, welche durch irgend welche
chemische, vielleicht im Körper entstandene toxische Stoffe bedingt ist, wie
dies auch durch den Rubner-Heubner'schen^ Versuch am atrophischen
Säugling zahlenmässig hervorgeht.
^ BagiDsky, Deutsche medicinuehe Wochenschrift. 1899. Nr. 18.
* HeubDer, Berliner klinische Wochenschrift, 1899. Nr. 1.
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Beitrag zur Lehre von der fötalen Harnsecretion
und der Herkunft des Fruchtwassers.
Von
PriTatdocent Dr. F. Strassmann,
AulBteDtea der gebortalL-gyiiikolog. UnfTera.-Po1ikl{Dlk der K9I. Charit^.
(Ans der geburtsb.-gjDäkolog. ÜDiTers.-Poliklinik der Kgl. Charit^ und ans dem
thierphysiologischeD Laboratorium der EgL landwirthscbaftl. Hochsohnle zu Berlin.)
(Hierso Tftf. 1.)
Im Winter 1896/97 bot sich mir Gelegenheit, im thierphysiologischen
Laboratorium der landwirthschaftlichen Hochschule die Qeiusse einer mensch-
lichen Zwillingsplacenta bei Oligo- und Polyhydramnie der Früchte zu in-
jiciren, deren Geburt ich als Assistent der geburtsh.-gynikologischeu Poliklinik
(Kgl. Charit^) geleitet hatte.
Erhöhtes L:iteresse hatte für die Geburtshülfe der Fall schon durch
die nur äusserst selten beobachtete Einkeilung der beiden Früchte während
der Geburt gewonnen, für die Physiologie ergab die Untersuchung der
Föten Befunde, die bisher noch nicht allzu oft aufgenommen sind nnd zur
Frage von der fötalen Harnsecretion und der Herkunft des Fruchtwassers
ein wichtiges Beweisstück zu liefern geeignet sind. Zuntz hat dieser
Frage stets ein reges Interesse entgegen gebracht und durch seine
eigenen^ und die mit Cohnstein^ zusammen gemachten Studien der
Geburtshülfe neue Thatsachen zugeführt — Ein Theil der Zuntz 'sehen
Versuche knüpfte, wie die meisten neueren Arbeiten auf diesem Gebiete,
an die Experimentalstndien meines hochyerehrten langjährigen Chefs uikI
^ Znntz, üeber die Qaelle nnd die Bedentung des Fruchtwassers. Pflüger's
Archiv. Bd. XVI. S. 54.
' Zantz und Cohnstein, Untersnchungen über das Blut, den Kreislauf und
die Athmung beim Säugethierfötus. Ebenda, Bd. XXXIV.
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P. Stbassmann: Fötale Habnsecbetion u. s. w. 219
Lehrers Gusserow an, dem unzweifelhaft das Verdienst gebührt, durch
TJelfache, besonders chemische Forschungen die Frage vom Fruchtwasser
nnd der fötalen Harnsecretion in neue Bahnen gelenkt zu haben. ^ Auf
diesem Gebiete weiter zu arbeiten liegt also für den Verfasser gewisser-
maassen ein doppelter Anlass vor.
Bei Beleuchtung der Frage einer fötalen Harnsecretion erscheint es
gerechtfertigt, sich besonders an die Pathologie des Fötus zu halten. —
Selbst den besten Experimentalstudien, die bei Schwangeren und an träch-
tigen Thieren zur Prüfung des Ueberganges von Stoffen in's Fruchtwasser
— sei es direct durch Transsudation, sei es indirect nach Aufnahme Seitens
der Frucht durch fötale Excretion (Haut und Nieren) — gemacht worden
sind, hat man Einwände gegenüber gestellt, deren Berechtigung zu erörtern
hier nicht der Platz ist — Bei der Reichhaltigkeit der Krankheiten und
Missbildungen des Fötus müssen sich aus der Menge des Fruchtwassers
positive oder n^ative Thatsachen für eine fötale XJrinsecretion in der
Schwangerschaft gewinnen lassen. Eine Missbildung mit ihren Folgen
{übermässige Ausdehnung der kindlichen Harnblase bei Verschluss der
Harnröhre) gab ja auch Portal 1671 die Veranlassung, die Lehre auf-
zustellen, dass der Fötus urinire, und dass das Fruchtwasser fötaler Urin
sei. Seitdem hat man dieser Gruppe fötaler Erkrankungen hervorragende
Aufmerksamkeit geschenkt. Man hat die Folgezustande behinderter fötaler
Diurese in der Dilatation der XJreteren, des Nierenbeckens und degenerativer
Zustande der Niere nachgewiesen und das in solchen Fällen beobachtete
Fehlen des Fruchtwassers damit in Zusammenhang gebracht. Man kennt
genügend Geburten, die ohne Fruchtwasserabgang verliefen und bei denen
die Untersuchung der Frucht ein Fehlen der Nieren oder eine cystische
Degeneration ergab. Doch fehlt es noch an grösseren Zusammenstellungen
aller derjenigen Befunde, die sich im Amnion bei einer Störung der fötalen
Flüssigkeitscirculation, allgemein gesagt, geltend machen. Hierher gehören
Behinderung oder Erschwerung des Blutstromes in der Nabelschnur, Er-
krankungen des Herzens und Gefasssystemes des Fötus, des Leberblut-
stromes, Erkrankungen im excretorischen Apparate (Nieren, Ureter, Blase,
Harnröhre). Endlich wird man auch solchen Missbildungen seine Auf-
merksamkeit zu schenken haben, bei denen in Folge mangelhafter Kiefer-
entwickelung, Verschluss der Mundhöhle u. s. w. der Fötus kein Frucht-
wasser zu verschlucken im Stwide ist. Dass auf diese Weise ein Theil des
Fruchtwassers aufgenommen wird, ist durch den Befund von Vernix und
* Gusserow, Zur Lehre vom Stoffwechsel des Fötus. Archiv für Gynäkologie.
Bd. III. — Zur Lehre vom Stoffaustausch zwischen Mutter und Frucht. Ebenda.
Bdxin.
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220 P. Stbassmann:
Lanugo im Darminhalte des Fotos geschildert Wenn die Rückkehr eines
Theiles der Amnionflflssigkeit durch den Darm der Frucht, Blutkreislauf,
Nabelschnur zur Mutter unmögUch gemacht ist, so wird sich bei regel-
mässiger Nierenausscheidung Seitens der Frucht ein Ueberschuss von Frudit-
wasser finden müssen. Auch hierfür bietet die Litteratur schon viele Be-
lege. Anzureihen wären die secundären Störungen, welche bei aufgehobener
Nierenthätigkeit sich am äusseren Körper der Frucht einstellen: Ver-
wachsungen, Elumpfüsse, Klumphände, Deformitäten des Rumpfes, sowie
die Stauungszustände, die im Circulations- und fötalen Lymphapparate,
sowie in den serösen Höhlen sich einstellen. Nicht unbeachtet dürfen auch
die Fruchtwasserbefunde bei solchen Schwangeren sein, bei denen durch
mütterliche Erkrankung die Aufnahme der auf dem Wege der Nabelarterien
zur Placenta hingeleiteten fötalen Urate gestört ist
Ein weites Gebiet der Forschung hegt hier noch offen, die Pathologie
der Schwangerschaft und die Teratologie können uns auf viele Fragen Ant-
wort geben und sie fallt wahrlich für die von Gusserow und seiner Schule
vertheidigte Lehre der intrauterinen fötalen Nierenfunction nicht ungünstig
aus. Mit diesem Hinweise muss ich mir hier eine zusammenfassende und
ausführliche Darstellung aller hier nur gestreiften Beziehungen und der
dazu gehörigen Litteratur, mit deren Bearbeitung ich seit längerer Zeit
beschäftigt bin, für eine andere Stelle vorbehalten und werde nun zur
Beschreibung des Eingangs erwähnten Falles übergehen.
Am 2. November wurde die Hülfe der geburtshülflichen Poliklinik der
Kgl. Charit^ für die Frau A. K. in Anspruch genommen (W. S. Nr. 539).
Die 2 7 jähr. Ylp., welche bisher normal geboren, hatte die letzte Men-
struation am 31. März gehabt, befand sich mithin in der zweiten Hälfte
des 8. Monates. Seit 8 Tagen hat die Frau stärkere Beschwerden, der
Leib wurde so stark, dass sie nicht mehr umhergehen konnte. Der Appetit
war schlecht, am 1. und 2. November Nasenbluten und blutiges Erbrechen.
Wegen Athemnoth war schon eine Morphiuminjection gemacht worden.
6 Uhr Nachm. wurde folgender Befund aufgenommen: Temperatur 37-8^,
Puls 120. Leibumfang 111 ^"*, geringe Oedeme der Bauchdecken, Fluctuation
durch den ganzen Uterus fühlbar. Kindestheile nicht zu fohlen, Herztöne
nicht zu hören. Cervicalcanal für zwei Finger durchgängig. Vorliegend
kleine Theile. Die Fluctuation setzt sich von aussen nach innen nicht fort
Die vorgewölbte Blase wird von mir gesprengt, um die Geburt zu beschleu-
nigen. Es entleert sich nur sehr wenig Fruchtwasser. Sofort stellt sich eine
zweite Blase, in der man einen grossen Theil (Kopf) fohlt. Die Diagnose
war nun klar: Zwillingsschwangerschaft mit Oligohydramnie der einen, Polj-
hydramnie der anderen Frucht. — Die zweite Fruchtblase wird mittels einer
Stricknadel gesprengt. Im Laufe der nächsten Stunden gehen mit dem beim
Blasensprung zuerst aufgefangenen ungefähr 8 Liter Fruchtwasser ab. Die
Geburt schritt langsam bei schwachen Wehen vorwärts. Die Temperatur
stieg auf 38- 4", der Puls blieb auf 120.
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Fötalb Habnseobetion und Herkunft des Fbuchtwassbes. 221
3. November, 4 Uhr Vorm. war der Muttermund vollständig erweitert
Vorliegend sind Steiss, Füsse und Arm. Ein Fuss wird angezogen und ex-
trahirt. Der Rumpf folgte leicht, den Kopf der wenig ausgebildeten Frucht
gelang es zunächst nicht zu entwickeln. — Die Untersuchung ergab, dass
der Kopf des zweiten Kindes neben dem ersten Rumpfe in's Becken einge-
treten war und den Austritt des ersten Kopfes hinderte. — Daher wurde
unter Hochheben des ersten Rumpfes der zweite Kopf zuerst mit der Zange
entwickelt und der übrige Körper am Kopfe des ersten vorbei extrahirt.
Jetzt wird der steckengebliebene erste Kopf leicht herausgehoben. — Der
Damm war intact. Beide Früchte waren weiblichen Geschlechts, die erste
(oligohydranmiotische) frischtodt, die zweite (polyhydramniotischo) lebend.
8ie verstarb nach 24 Stunden unter den Erscheinungen der Lebensschwäche.
Die Nachgeburt folgte nach 30 Minuten. Das Wochenbett verlief normal.
lieber die klinische Bedeutung der Eiukeilung der beiden Zwillinge,
wenn der zweite dem ersten sein Erstgeburtsreoht streitig machen will,
möchte ich mich an dieser Stelle nicht verbreiten. Der Fall ist ausführ-
lich von Heiligendorff^ beschrieben worden.
Betrachten wir zauächst die Nachgeburt!
Sie besteht aus einem Kuchen, besitzt nur ein Chorion, aber getrennte
Ämnien, d. h. jeder Zwilling liegt in einem eigenen Amnion, beide Eihöhlen
sind aber von einem gemeinsamen Chorion überkleidet, so dass sich an der
Scheidewand der Eier nur die beiden Amnien, kein Chorion fanden. Die
Zwillinge stammen wie immer bei Oligo- und Polyhydramnie aus einem
Ei und waren daher auch gleichgeschlechtig.
Die grössten Durchmesser der Gesammtplacenta sind 23 und 20*^"».
Der dem zweiten Zwillinge (Polyhydramnion) angehörige Theil nimmt über
*/3 der Placenta ein, sein grösster Durchmesser betragt 13<^% die kleinere
Abtheilung des ersten Zwillings (Oligohydramnion) hat 9 «™ im Durchmesser
— ungefähr 1 *'™ kommt auf die Uebergangsstelle der beiden Placenten.
Die Nabelschnur des Polyhydramnion ist 38^™, die des Oligohydramnion
40 ^ lang, aber dünner. Sie inseriren beide am Bande fast gegenüber.
IJm den Gefä ssverlauf besser erkennen zu können, werden sämmt-
liche Systeme injicirt Die Arterie des I (0) * wird mit Mennige-Terpentinöl-
gemisch, die Vene mit warmer Berlinerblau-Gelatine injicirt Die Arterie
des n (P) wird mit Chromblei- Gelatine gelb, die Vene mit Berlinerblau-
Gelatine, der so viel Chromblei zugesetzt ist, dass sie grün erscheint, in-
jicirt. Durch die an der Nabelschnurinsertion regelmässig vorhandene
^ Heiligendorff, Ein Fall von EinkeiluDg oligo- und polyhydramniotisoher
Zwillinge während der (Geburt. Inaug.-DisserL Berlin 1S97.
* Der Ktlrze halber soll im Folgenden mit I (O) der erste oligohydramniotische,
mit Q (?) der zweite polyhydramniotisohe Zwilling bezeichnet werden.
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222 P. Steassmann:
Anastomose der beiden Nabelarterien (Hyrtl)^ kann man bekanntlich von
einer Arterie aus beide injiciren. XJeber die Technik der Injection, die ich
seit Jahren viel ausgeübt habe, möchte ich mich an dieser Stelle nicht
weiter auslassen. Sofort nach der Injection habe ich eine Zeichnung an-
gefertigt, die Eihäute wurden zu diesem Zwecke abgezogen und sind daher
fortgelassen. Die beigegebene, von Frl. P. Günther angefertigte Abbildung
ist genau auf V2 verkleinert.
Das Arteriensystem 1(0) (roth) besteht wesentlich aus einem grossen,
bogenförmig verlaufenden Gefasse. Dem Rande parallel entlang ziehend
giebt diese Arterie drei grössere Aeste erster Ordnung ab. Der Hauptstamm
verläuft nur wenig verschmälert unter der Insertion der beiden Amnien
nach der Placenta II (P) hinüber und senkt sich unweit davon in die
Tiefe. Aus demselben Cotyledo steigt eine grosse Vene des II (P) auf.
Ein derartiges Verhältniss, dass der eine Zwilling durch eine Arterie sein
Blut in eine Vene des zweiten hinüber transfundirt, bezeichnet Schatz* als
Zottentransfusion. — Die zweite Arterie I (0), welche unmittelbar aus
der Insertion des Nabelstranges entspringt, stellt nur ein dünnes Gefass
von 1 bis 2™™ Caliber dar, das in gerader Richtung in eine Arterie des
II (P) übergeht. Um sie deutlicher hervorzuheben, sind die Zottentrans-
fusionsbezirke mit kleinen punktirten Kreisen hervorgehoben.
Die venösen Bahnen des I (0) (blau) verlaufen nahezu parallel mit
den Arterien. Es besteht daher auch hier wesentlich ein Hauptgefass mit
vier Aesten erster Ordnung. Drei kleine venöse Zweige werden von der
Placenta II (P) herübergenommen, die ihre arterielle Transfusion von kleinen
Aesten einer Arterie II (P) erhalten. In diesen drei Transfusionsbezirken
geht also der Strom von II (P) zu I (0), in der grossen Transfusion geht
er von I (0) zu II (P),
Das Gefasssystem des II (P) ist, wie man auf den ersten Blick sieht,
viel stärker entwickelt. Aus der Nabelschnur entspringen zwei grosse
Arterien (gelb), die vom Rande zum Centrum des Kuchens hin in mehrere
grosse und vielfach geschlängelte Aeste fächerförmig zerfasern und reich-
liche Aeste abgeben. Die oberste Arterie verläuft nach Abgabe mehrerer
Aeste als schmales Endgefäss hinüber und verbindet sich an der Scheide-
wand in directer Anastomose mit der dünnen Arterie I (0). — Die Haupt-
vene II (P) (grün) theilt sich in sieben grosse Stämme, die über die Placentar-
fläche verlaufen, an den Kreuzungsstellen mit den Arterien stets unter
* Hyrtl, Die BliUgefässe der menschlichen 'Nachgeburt. Wien 1870.
' Schatz, Eine besondere Art von einseitiger Polyhjdramnie mit anderseitiger
Oligohydramnie bei eineiigen Zwillingen. Archiv für Gynäkologie, Bd. XIX. — S. auch
ebenda, Bd. XXIV, XXVII, XXIX u. f.
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Fötale Habnseobbtion und Hbbkünpt des Fbuchtwassebs. 223
diesen, wie es Hyrtl als typisch dargestellt hat Eine venöse Anastomose
ist nicht nachweisbar zwischen I (0) und II (P). Die längste Vene triiBft,
wie schon gesagt, in einem Transfusionsbezirke mit der Hauptarterie I (0)
zusammen.
Was die Anastomose der Arterien betrifft, so ist der Uebergang der
rothen (I) in die gelbe (II) Farbe gerade an der Ansatzstelle der Amnien
gelegen. Es mag hier bemerkt sein, dass zuerst die Gefasse I (0) injicirt
worden sind. Wahrscheinlich ist, wie di?r Augenschein lehrt, das Caliber
des anastomotischen Theiles so eng, dass auch in der letzten Zeit nur wenig
Blut diese Stelle hat passiren können. Auch mag gerade die an der Ver-
bindungsstelle der beiden Placentartheile unter dem Ansatz der Amnieu
gelegene Stelle fQr eine stärkere Ausbildung von Gefassen ungünstig ge-
wesen sein. Denn die übrige Strecke ist frei von oberflächlichen Gefassen.
Auf die Stromrichtung in dem anastomosirenden Arteriengebiete lassen die
Zweige einen deutlichen Rückschluss zu. Aus dem auf der Placenta 11 (P)
befindlichen Abschnitte gehen drei kleine Aeste ab, die der Scheidewand
zuströmen, aus der Strecke I (0) nur einer, der in der entgegengesetzten
Kchtuug etwa auch zur Scheidevvand hingerichtet ist. Die Anastomose
selbst giebt keine Aeste ab und hat sich wenigstens in der letzten Zeit der
Schwangerschaft indifferent verhalten, als schwaches Rinnsal, das seine
Bedeutung verloren hat. Auch die {Z^fZ^, Z^) drei kleinen Zottentransfusionen
II (P) zu I (0) sind zusammengenommen viel geringer, als der {Z) gegenüber
befindliche grosse Transfusionsbezirk I (0) zu 11 (P). Die Anastomosen und die
5k)ttentransfu8iünen zwischen den Gefässgebieten der beiden Zwillinge hat
Schatz^ sehr treffend mit dem Namen des dritten Kreislaufes eineiiger
Zwillinge belegt. Augenscheinlich findet sich hier eine Asymmetrie des
dritten Kreislaufes, und zwar zu Gunsten des Zwillings II (P). Denn für
die starke Transfasion {Z), die II (P) von I (0) erhält, können weder die
drei kleinen Transfusionen (Z^, Z^, Z^), noch die geringfügige Anastomose
irgend einen Ausgleich bilden.
Die Entstehung des dritten Kreislaufes der eineiigen Zwillinge und die
vitale Bedeutung desselben sind von Schatz in unermüdlicher, Jahrzehnte
langer Arbeit untersucht und beschrieben worden. Es sind vier verschiedene
Typen von Transfusionsbezirken und Anastomosen möglich. Die uuserige
w^rde dem Schatz'schen Typus £ entsprechen, der ziemlich häufig ist
und bei dem sich neben verschiedenen Zottentransfusionen eine arterielle
Anastomose findet Indem ich auf die erwähnten, hochinteressanten
Arbeiten verweise, wollen wir sehen, welche Folge nun die Asymmetrie des
dritten Kreislaufes bei den Föten gezeitigt hat.
^ Schatz, a. a. O.
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224
P. Stbassmann:
Der ZwilliDg II erhält mehr Blut als Zwilling I, er befindet sich in
einer Art Plethora oder Polyhämie. Seine placentaren Bahnen sind stärker
entwickelt und verästelt, die Gefasse und die Nabelschnur stärker ge-
schlängelt. Seine gesammte Entwickelung wird b^ünstigt.
Als Ausdruck geben sich folgende Maasse:
LäDge
Gewicht Kopfumfang
I (O)
II (P)
38 <^
42,
1010«
1265
27«
30,
Während das Herz 1(0) entlastet wird, wird das Herz II (P) über-
lastet Die Folge davon ist, dass das eine im Wachsthum zurückbleibt^
während das andere, um die andrängende grössere Blutmasse aufzunehmen,
dilatirt wird und hypertrophirt, denn nur so kann es den geforderten
Ansprüchen genügen. Es kommt dadurch zur Mikrocardie des I (0) und
zur Makrocardie beim II (P). Die höchsten Grade führen bekanntlich zur
Bildung eines Acardius, d. h. einer herzlosen Missgeburt, die durch die
Anastomose von dem einengen Zwillingsgesohwister ernährt wird.^ Auch in
unserem Falle war die Mikro- und Makrocardie sehr deutlich ausgeprägt
Grösse
He r z
Dicke des
linken Ventrikels
1(0)
U(P)
fanstgross
zweifanstgross
Dicke des
rechten Ventrikels
Besonders auffallend war die Differenz in der Dicke der linken Ven-
trikel Nun ist ja beim Fötus in Folge des offenen Foramen ovale die
Strömung des noch nicht eingeleiteten Lungenkreislaufes so, dass fast alles
Blut dem linken Ventrikel zugeführt wird. Ihm fiel also hier bei dem
Makrocardius die Hauptaufgabe der Weiterbeforderung des überreichlichen
Blutzuflusses zu. Das Herz hatte die Grösse der doppelten Faust des Fötus.
Leider wurden die Gewichte aus äusseren Gründen nicht genommen. Auch
die übrigen Organe konnten nicht gewogen werden. Schatz hat nämlich
durch sehr sorgfältige Vergleiche der Zwillingsorgane unter einander und
mit anderen Früchten nachgewiesen, dass sehr erhebliche Gewichtsdifferenzen
zu Gunsten des Polyhydramnioten bestehen. An den Nieren unserer beiden
^ Schatz, Die Gefassverbindungen der Placentarkreisläufe eineiiger Zwillinge,
ihre Entwickelung und ihre Folgen. — Die Acardii und ihre Verwandten. Archiv fwr
Gynäkologie, Bd. LV.
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Fötale Habksbobbtiok und Hbbkünpt des Fbüchtwassers. 225
Zwillinge war die Differenz zwar erkennbar, aber nicht so in die Augen
fallend, wie an den Herzen.
Was die Leber betrifft, die ja als erstes Organ in den übermässigen
venösen Zustrom eingeschaltet ist, so hat Schatz gezeigt, dass sie zuerst
an Gewicht zunimmt, hypertrophirt, dann aber wie bei der Lebercirrhose
der Erwachsenen schrumpft und deshalb kleiner werden kann als beim
Oligohydramnioten. Eine Vergleichung der beiden Lebern konnte hier nicht
exact gemacht werden, weil sich in der Leber des II (P) ein zweimark-
stückgrosses Hämatom fand. Früher erklärte ich^ mir dieses als entstanden
durch den Geburtsvorgang, da ja der Rumpf dieser Frucht an dem im
Becken befindlichen Kopfe des ersten Kindes vorbeigeführt werden musste.
Heute möchte ich doch noch ausserdem die Möglichkeit offen halten, ob
nicht die Stauung der Leber eine besondere Prädisposition für die Ent-
stehung des Hämatoms gegeben hat
Wie entledigte sich nun der Zwilling II (P) dieses Ueberdruckes?
Es li^ nahe, eine vermehrte Diurese als Ausgleich anzunehmen, zumal
sich ja diese auffallende Fruchtwasserdifferenz fand. In der letzten Arbeit
hat Schatz nun den unzweifelhaften Beweis dafür geliefert Er liess in
drei Fällen durch Fachanatomen die Nieren der Früchte, deren Gewichte
schon auffallende Differenzen erkennen Hessen, untersuchen. Es sei gestattet.
Folgendes aus dem von dem verstorbenen Professor der Anatomie v. Braun
angefertigten Berichte über eine Untersuchung^ hier wieder zu geben:
„Der ünterscliied im Baue der Niere I und II ist ein ausserordent-
lich grosser, so dass man mit grösster Leichtigkeit beide unterscheiden
kann. Die Grösse der Glomeruli ist beim Polyhydramnioten doppelt so
gross- (0- 16°*°») wie beim Oligohydramnioten (0*08"™). Die Tubuli oontorti
sind beim Polyhydramnioten mit starkkömigem, hier und da deutlichen
Stäbchenzerfall zeigendem Epithel bekleidet, einschliesslich des Epithels
0-05 bis 0*055™™ dick, beim Oligohydranmioten viel dünner, ohne die
charakteristische Zusammensetzung des Epithels.''
Der Polyhydramniot hat also auch Polyurie, der andere Oligourie, der
Polyhydramniot besorgt die Diurese für seine Zwillingsschwester mit. Aber
es findet sich noch ein weiterer Beweis, dass die XJeberfüUung des einen
Amnions einer reichlichen XJrinentleerung, die Leere oder geringe Füllung
des anderen Amnions einer auffallend verminderten ihre Entstehung ver-
dankt, das ist der vergleichende Befund an den Harnblasen.
Auch hierfür giebt Schatz schon Belege. So schreibt er z. B. über
einen Fall: „Die Harnblase des Polyhydramnioten war auffällig dickwandig
* Heiligendorff, a.a.O.
« Archiv für Gynäkologie. 1898. Bd. LV. S. 576.
Archiv C A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. Suppl. 15
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226
P. Stbassicakk:
und gross, die des OligohjdranmioteD dünnwandig and klein, beide von so
deutlichem Unterschiede, dass auch der weniger Aufmerksame ihn bemerkte.^'
So weit mir bekannt ist, ist ausser von Schatz auf diesen Unterschied
der Harnblasen noch nicht wieder aufinerksam gemacht worden und des-
wegen erscheint mir die Mittheilung der Befunde bei unseren Früditen
beachtenswerth.
1(0)
n(P)
Harn blase
Län^e
vom Scheitel bis
zum Sphincter
25
Breite der
aufgeschnittenen
Harnblase
38 „
Dicke
in der Mitte
am Fandns
1—2»»
4-5 .,
Dicke
der Wand
am Sphincter
Die Blase II (P) war also hypertrophirt und dilatirt. Die Unterschiede
waren makroskopisch höchst charakteristisch, es bestand kein Hindemiss in
der Urinentleerung, die Harnröhre war bequem für eine Sonde durchgangig.
Auch hätte ja dann analog anderen Fällen die Dilatation viel gewaltiger
sein müssen. Nein, es handelte sich hier um eine functionelle Hypertrophie,
so gut der Harnblase, wie oben der Nieren und des Herzens. In Folge des
durch die Gefassüberfullung gesteigerten Blutdruckes wurde eine stärkere
Diurese angeregt, die fötale Blase musste sich öfter und reichlicher füllen,
der Blasenmuskel wurde zu häufigeren Gontractionen angeregt, und als Aus-
druck dieser gesteigerten Thätigkeit ist dann die Hypertrophie eingetreten.
Die andere Blase dagegen war zur Unthätigkeit genöthigt und blieb dünn-
wandig und klein. Die physikalischen Verhältnisse und der anatomische
Befund sind so klar, dass sich unter gleichen Bedingungen immer wieder
derselbe Befund muss erheben lassen. Es sei nur bemerkt, dass von Blasen-
hypertrophieen ohne Hindemiss in der Urethra sonst gar nichts in der
Litteratur bekannt ist Eine entzündliche Veränderung der Harnblasen-
wandung konnte ich durch die mikroskopische Untersuchung ausschliessen.
Diese ergab nichts Anderes, als eine Vermehrung der Musculatur. Wenn
man also diese seltsamen Zwillinge mit einem das Verhältniss ihrer Blasen
kennzeichnenden Namen belegen will, gerade so, wie man sie nach ihren
Herzen als Mikro- und Makrocardius benannt hat, so müsste man sie als
Mikro- und Makrocystius benennen.
So haben wir also eine deutliche Ueberlastung des Gefässsystemes,
Herzdilatation und Hypertrophie, massige Vergrösserung der Nieren, Hyper-
trophie der Harnblasenmusculatur und enorme Vermehrung des Fruohtr
wassers beim H (P), — auf der anderen Seite Entleerung des Gefäss-
systemes durch Entleerung der einen grossen Arterie in den Kreislauf der
Zwillingsschwester ohne entsprechende Compensation, kleines Gefasssystem,
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Fötale Habnseobetion und Herkunft des Fbüohtwassebs. 227
kleinere Nieren, kleine Harnblase und Feblen des Frachtwassers. Es bleibt
gar keine andere Erklärung übrig, als dass auch hier die in anderen
Fällen mikroskopisch bewiesene Niereothätigkeit verschiedener Art an den
verschiedenen Fruchtwasserbefunden die Schuld trägt Oligo- und Poly-
hydranmie sind als Oligo- und. Polyurie zu deuten.
Man könnte immer noch irrthümlich einwenden, dass vermehrte Trans-
sudation auf Seiten der Placenta des überlasteten Polyhydramnioten in die
Amnionhöhle hinein erfolgt sei. Dafür ist aber gar keine anatomische Grund-
lage vorhanden. Die Jungbluth'schen Gefasse, welche die Transsudation in
die Amnionhöhle besorgen sollen, sind makroskopisch in keiner Weise nach-
weisbar. Auch Schatz hat sich in seinen zahlreichen Injectionen niemals von
dem Vorhandensein dieser Gefasse überzeugen können. Ich bin überhaupt
geneigt, mich gegen eine Beziehung oberflächlicher weiterer Gapillaren zum
Hydramnion auszusprechen, denn ich habe sie bei zahlreichen Injectionen
normaler und pathologischer Placenten noch niemals anschaulich machen
können. Kleine, zwischen Ghorion und Anmion verlaufende Gefasse findet
man sehr häu% am Bande der Placenten, sie hängen mit der Ent-
wickelung der Placenta zusanunen und sind Ueberreste von Zotten, die
sich jenseits des sogenannten Schutzringes der Placenta befanden, sie ge-
hören zu Nebenplacenten, circumvallirenden Zotten u. s. w. Eine sichere
Beziehung zum Fruchtwasser ist ganz gewiss bei den Hydramnien gerade
der eineiigen Zwillinge nicht festgestellt Im Ganzen fristen die Jungbluth'-
schen Gefasse auch in der Litteratur ein von Jahr zu Jahr mehr hin-
schwindendes Dasein. Indessen liegt es mir fem, die Möglichkeit einer
Transsudation in den Amnionsack überhaupt zu leugnen. Z. B. hat auch
Gusserow inmier die Wahrscheinlichkeit einer solchen für die allererste
Zeit der Schwangerschaft zugegeben, und manche Beobachtungen sprechen
dafür. Schliesslich ist doch das Ei in enger organischer Verbindung mit
der Mutter, und warum sollte eine massige Transsudation nicht in die
Amnionhöhle hinein stattfinden. Hier bei den Fruchtwasserbefunden der
eineiigen Zwillinge kann aber eine directe Transsudation nicht mit heran-
gezogen werden. Denn obwohl die bei der Mutter sich ausbildenden
Stauungserscheinungen, die starke Fülle des benachbarten Eies, der gemein-
same Placentarboden, die durch kein Chorion getrennte unmittelbare An-
lagerung der Amnion alle günstigen Bedingungen für ein Transsudat ge-
währten, so blieb doch das Ei fast leer oder es wurde leer, da die Frucht I
die spärlich vielleicht in der Eihöhle befindlichen Flüssigkeitsmengen sehr
bald verschluckt hatte.
Der Befund eines fast trockenen Eisackes ist für die Frage der Frucht-
wasserherkunft und der fötalen Nierensecretion von nicht geringerer Wichtig-
keit als der eines überfüllten. Klare anatomische Belege sind uns an die
15*
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228 P. Steassmahn:
Hand gegeben, dass verminderte und vermehrte Nierenexcretion diese beiden
von der Norm abweichenden Verhältnisse geschaffen hat^
Nur ein Punkt fordert noch Erklärung, das ist, dass die Fruchtwasser-
menge des Polyhydramnioten doch weit die Menge übersteigt, die sidi
sonst in zwei Eiern, zumal des 8. Monates, zu finden pfl^ Es sind in
unserem Falle 8 Liter Fruchtwasser aufgefangen worden, in anderen sogar
mehr gemessen worden. Auch sind 6ei dem Oligohydramnioten einige
100»™ gefunden und nicht so hohe Unterschiede zu Stande gekommen,
wie in unserem Falle.
Jedenfalls bewirkt die übermassige Blutzufuhr eine Reizung der Nieren
und eine functionelle Steigerung der excemirenden Thätigkeit, und es prägt
sich das, was sich am Muskel des Herzens und der Blase als Hypertrophie
ausspricht, in einer Hypersecretion aus. Möglich auch, dass schliesslidi
eine erhöhte Durchlässigkeit der Glomeruli und eine Schädigung der Niere
zu Stande kommt, wie es z. B. für die Leber schon durch die der Stauung
folgende cirrhotische Verkleinerung erwiesen ist In der letzten Zeit kommt
dann noch ein weiteres Moment hinzu, das ist die durch die übermässige
Ausdehnung des Abdomens bei der Mutter bewirkte Störung der Girculation.
Hierdurch kommt es zu einer Aufstauung der Auswurfisstoffe beim mütter-
lichen Blute, was eine entsprechende Vermehrung auch im fötalen zur Folge
hat, und dadurch wird die Hamsecretion des Fötus noch weiter angeregt
So erklärten auch Zuntz und Cohnstein die vermehrte Hamsecretion
des Fötus in einzelnen Fällen als Folge der Anhäufung hamföhiger Stoffe
im fötalen Blute bei irgendwelchen Störungen in der Schwangerschaft oder
der Geburt
Ferner kommt hinzu, dass die Schluckthätigkeit des Kindes I (0) sich
an der Fortschaffung der in die andere Höhle entleerten Fruchtwasser-
menge, die ja theilweise doch ihm zugehörte, nicht wie sonst bat betheiligen
können. Die Flüssigkeitsmenge ist in früheren Monaten langsam, in den
^ Bei dieser GelegeDheit sei es gestattet, einer Ansicht entgegen zn treten, die
in Arbeiten^ welche sich mit der V^iderlegnng einer fötalen Nierenseoretion beschäftigen,
öfters wiederkehrt. Es wird so dargestellt, als ob durch den von Zuntz bekanntlich
experimentell gelieferten Nachweis einer Transsudation direct in's Amnionwasser (durch
Injection von indigschwefelsaurem Natron in die Vena jugularis des Mutterthieres)
überhaupt jede Möglichkeit einer Beisteuer der fötalen Nierenseoretion zum Frucht-
wasser von Zuntz geleugnet worden sei. Das ist ebenso wenig geschehen, wie in
der zweiten Arbeit, wo die Blutdruckverhältnisse beim Schaffötus geprüft worden sind.
Obschon die Blutdruckverhältnisse als einer Secretion ungünstig hingestellt werden,
80 wird doch wörtlich gesagt:
,,Wenn beim menschlichen Fötus der Druck in den letzten Wochen so steigt,
wie beim Schaf, so steigt damit auch die Wahrscheinlichkeit einer regelmässigen Ham-
secretion in der allerletzten Zeit der Schwangerschaft.
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Fötale Habmbeobbtiok und Hebkukft des Fbughtwassebs. 229
späteren schnell gewachsen. Schatz^ weist mit Recht darauf hin, dass
sich die Asymmetrie und folglich auch die colossale, functionelle Herz-
und Nierenhypertrophie frühestens vom £nde des dritten Monates an aus-
gebildet hat
„Wird da Jemand noch zweifeln können, dass der Zwilling viel Urin
producirt hat, um damit in gleicher Zeit die gefundene Polyhydramnie zu
erzeugen? Im vierten Monate ist natürUch die Differenz der Zwillinge noch
gering und wenn da auch schon relativ reichlich Urin gebildet wird, so
kommt die Polyhydramnie doch höchstens in der Weise zur Geltung, dass
der Uterus statt bis zwei Finger über der Symphyse, schon bis gegen den
Nabel reicht. Bis dahin wird der Frau die Vergrösserung des Uterus noch
nicht unbequem. Im 5. bis 6. Monate aber muss wegen der Vergrösserung der
Differenz der Zwillinge die Urin-, bezw. Fruchtwasserbildung beim bevor-
zugten viel massenhafter vor sich gehen und die Ausdehnung des Uterus
wird nunmehr nicht nur viel schneller grösser, - sondern durch Dehnung
der Banchdecken auch lästig bemerkbar. Daher die in Wirklichkeit sehr
schnelle, aber scheinbar noch schnellere Bildung des Fruchtwassers, welches
so gut wie nur Urin ist."
Die von uns geschilderte Schwangerschaft hat vom Termin der letzten
Menstruation an 216 Tage gedauert. Rechnen wir rund auf die Zeit der
Asymmetrie 100 Tage, so entfallen:
auf 100 Tage = 8 Liter Anmionflüssigkeit = 8000^
„ 1 Tag =80»™,
„ 1 Std. = 3- 3«™ = 33 Tropfen,
auf etwa 2 Minuten gestörter Asynmietrie 1 Tropfen.
Dabei ist hervorzuheben, dass die Secretion Anfangs geringer, gegen
Ende starker gewesen ist, und dass die Mengen, welche durch Schlucken
aufgebraucht worden sind, nicht mit in Rechnung gezogen werden können.
In der Untersuchung der eineiigen Zwillinge und ihrer Anhänge ist ein
ausgezeichnetes Vergleichsobject gegeben, wie sich bei zwei von derselben
Mutter stammenden Früchten gleichen Alters, aber mit ungleicher Cir-
colation das Fruchtwasser verhält Aus der Beschaffenheit der Organe,
welche zur Aufnahme, Fortleitung, Verarbeitung und Ausscheidung der
Flüssigkeit dienen, haben sich für die Physiologie dieser Früchte wichtige
Thatsachen ergeben. Zu der anatomisch nachweisbar vermehrten Nieren-
thätigkeit des einen, der verminderten des anderen stimmen die Mengen
des Fruchtwassers.
Dass hierin für eine unter normalen Verhältnissen bestehende, mittlere
Nierenthätigkeit auch ein Beweis gegeben ist, dürfte nicht zu weit gefolgert sein
> Archiv für Gynäkologie. Bd. LV. S. 614.
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230 F. Stkassmann: Fötale Haun8£0Betion u. 8. w.
Erklärung der Abbildung.
(TatL)
Aaf Vs verkleinerte AbbildaDg der Placenta oligo- and poljhjdramniotisoher ZwilUoge
aas dem achten Monate.
I{0) = Nabelschnar bezw. Piacentartheil des 1. oligohydramniotischeo Zwillings,
II (P) ^ „ „ „ „ 2. polyhjdramniotischen „
Seh, = Ansatzstelle der Scheidewand der beiden Amnien,
/ Are i, 1 Art 2 = roth gezeichnete Arterien Yon I (O),
II Art 1, II Art 2 = gelb „ „ „ II (P),
Blaa »die Venen von 1(0),
Grän= „ „ „ II (P).
Anast, = Anastomose der Arterien von I (0) and II (P).
Z = grosse S^ttentransfosion von I (O) za II (P),
Z /, 2, d = 3 kleine Zottentransfosionen von II (P) za I (O).
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lieber den Kheotropismus bei Thieren.
Von
J. DewitB.
Seit der Zeit, als ich meine üntersuchongen über die Reizbarkeit der
SpermatozoGn veröffentlichte^ und damit, so viel ich weiss, das erste Bei-
spiel tactischer Erscheinungen im Thierreich gab, haben sich die Yerhält-
nisse in der Thierbiologie wesentlich geändert und eine Zahl von Biologen
ist diesen früher der Fflanzenbiologie vorbehaltenen Fragen naher getreten.
Man kann vielleicht sogar behaupten, dass, nachdem diese Art von Arbeiten
den Reiz der Neuheit verloren hat, der Eifer etwas nachgelassen habe, neue
Thatsachen fflr die Bewegung der Thiere auf äussere Reize hin aufzudecken.
So viel aber auch auf diesem (Gebiete bereits gethan ist, far die Erforschung
des Rheotropismus, dessen Erscheinungen uns die Botaniker gelehrt haben,
scheint erst sehr wenig geschehen zu sein. In gleicher Weise scheint mir
aber noch ein anderer Gegenstand dieses (Gebietes vernachlässigt zu sein.
Es sind nämlich nur wenige Versuche gemacht worden, die im Laboratorium
aufgefundenen Thatsachen mit den Erscheinungen in der Natur und in
der Oekonomie der betreffenden Thierart in Beziehung zu setzen. In der
folgenden Skizze habe ich den Versuch unternommen, die Aufmerksamkeit
des Lesers auf beide Oegenstände zu lenken.
Der Rheotropismas bei Pflanzen.
Die meisten Versuche über die rheotropischen Erscheinungen, welche
die Botaniker beschäftigt haben, wurden an den Plasmodien von AethaUum
septicom angestellt Schon 1868 hat S. Rosanoff^ nach dieser Richtung
^ JreJUv für die ges. Physiol. 18S5. Bd. XXXVU. S. 219; 1886. Bd. XXXVIU.
8. 358.
' De l'inflnence de rattraction terrestre snr la direction des plasmodia des myxo-
mjcbUB. Mim. Soe. $o, nat. CherUmrg, 1868. T. XIV. p. 149-172.
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232 J. Dewitz:
hin experimentirt; er schrieb aber die erhaltenen Resultate dem negativen
Geotropismus zu. E. Strasburger, ^ in Gemeinschaft mit Schleicher,
stellte die wahre Ursache der Beizerscheinung fest, indem er erkannte,
dass die Bewegung der Plasmodien durch den zugeführten Wasserstrom
veranlasst werde.
Die Plasmodien, sagt Strasburger, streben dem Wasserstrom ent-
gegen und man vermag sie mit Hülfe desselben in jeder beliebigen Rich-
tung fortschreiten zu lassen. Diese Deutung fand darauf durch andere
Untersuchungen, nämlich durch diejenigen von Bengt, Jönsson* und
E. StahP weitere Bestätigung. Der Erstere schildert die Verhältnisse in
folgender Weise. Man bringt ein lebenskräftiges Plasmodium von Aethalium
septicum auf einen Streifen von Fliesspapier und hängt diesen in der Weise
in ein Glas mit Wasser, dass das eine Ende des Streifens in das Wasser
taucht, während ein Theil des Streifens und mit ihm das entgegengesetzte
Ende desselben sich ausserhalb des Glases befinden. Es entsteht nun in
dem Fliesspapier ein Wasserstrom, welcher von dem eingetauchten Ende
des Papieres nach dem ausserhalb des Glases befindlichen gerichtet ist
Beeinflusst von diesem Strom bewegen sich die Plasmodien dem Strom ent-
gegen, der Wasserquelle zu. Vertauscht man die Enden des Papierstreifens,
so dass das vorher freie Ende jetzt in das Wasser eintaucht, so wandert
das Plasmodium wieder zurück und macht an dem Wasser Halt Gleiche
Erscheinungen treten zu Tage, wenn man eine horizontale Glasplatte mit
FUesspapier bedeckt und durch dieses einen Wasserstrom leitet Man kann,
bemferkt der Autor, bei diesen Vorgängen nicht an den Einfluss von Feuch-
tigkeitsdifferenzen denken, denn die Feuchtigkeit ist in dem Papierstreifen
gleichmässig um das Plasmodium vertheilt Man muss viehnehr in der
Wasserströmung die Kraft suchen, welche das Plasmodium veranlasst, sich
nach der Seite, auf der der Wasserstrom auftnfft, hin zu begeben.
Ausser der Bewegung des Aethalium septicum hat Jönsson an dem
Wachsthum gewisser Pilze und an dem von Pflanzenwurzeln die richtende
Wirkung der Strömung erkannt Hinsichtlich der Pilze wurden unter einem
auf Fliesspapier markirten Strich Sporen von Phycomyces und Mucor aus-
gesäet und einem durchlaufenden Strom von Nährfiüssigkeit ausgesetzt.
Die Sporen keimten und das Mycelium entwickelte sich. Die Hyphen
wuchsen aber mit dem Strome. Ebenso verhielt sich Botrytis cinerea.
Sodann wurden gut entwickelte Keimlinge von Mais, von Getreidearten und
* WirkuDg des Lichtes und der Wärme anf Schwärmsporeo. Jena, ZeÜMkrifL
1878. Bd. XII. S. 621.
^ Der richtende EIdAqss strömenden Wassers auf wachsende Pflanzen nnd Pflanoen-
theile (Rheotropisrous). Ber. d. deutschen bot, Ges. 1883. Bd. I. S. 512—521.
» Zur Biologie der Myxomyceten. Bot. Zeitung, 1884. Bd. XLU. S. 147—156.
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Über den Rheotbopi8M(7s bei Thiebbn. 283
anderen Pflanzen so befestigt, dass die gerade Wurzel frei in das Wasser
einer Wanne mit durchströmendem Wasser hing. Schon nach einigen
Standen zeigten sich an den Maiswurzehi Andeutungen von Krümmungen
ond nach 20 Stunden nahm man Biegungen im rechten Winkel wahr.
Die Wurzel wuchs mit der Wasserfläche parallel und gegen den Strom.
Wurde darauf die Pflanze so umgewandt, dass die Wurzel mit dem Strome
gerichtet war, so machte sie bei ihrem weiteren Wachsthum eine bogen-
förmige Krümmung und war schliesslich wieder gegen den Strom gerichtet.
Die Wurzeln der anderen als Versuchsobjecte dienenden Pflanzen zeigten
gleichfalls ein Wachsthum gegen den Strom. Der Autor fasst am Schlüsse
seiner Mittheilung alle diese Beizerscheinungen mit dem neuen Ausdruck
„Ubeotropismus^^ zusammen. In den Untersuchungen Stahl's ist die Yer-
sachsanordnung die gleiche wie in denen Jönsson's. Auch er bedient
sich eines in das Wasser tauchenden Streifens von Fliesspapier. Daneben
verwendet er Fäden und Leinwandstreifen. Um die Bichtung des Stromes
im Substrat zu erkennen, bestreute er dasselbe mit Kömchen von löslichen
FarbstoSien und beobachtete die Ausbreitung des Farbstoffes. Schliesslich
wurden die Versuche, um den Einfiuss des Lichtes abzuhalten, im Dunkeln
ausgeführt
In etwas neuerer Zeit hat A. Both ^ rheotropische Erscheinungen bei
Bakterien entdeckt, welche er unter dem Deckglase einem Flüssigkeits-
strom aussetzte. Die Bacillen standen, sagt er, „wie eine Fischbrut im
Bache'^ Er nimmt aber für diese Erscheinung eine mechanische Ursache,
Drehen des Körpers durch den Strom, an.
Der Bheotropismas bei Thieren.
Wie Eingangs erwähnt, ist die rheotropische Erscheinung an Thieren
noch wenig studirt Es wird darauf hingewiesen, dass Fische bei ihrem
Aufisteigen aus dem Meere in die Flüsse rheotropisch wären. Auch gehört
eine Beobachtung von Loeb^ hierher, nach der der Stamm des Hydroid-
polypen Eudendrium sich in seinem Wachsthum gegen den Strom krünunte,
welchen eine in der Nähe befindliche Ascidie hervorrief. Es muss ferner auf
eine kurze Angabe von A. Both^ hingewiesen werden, welcher ausser bei
Bakterien auch bei Spermatozoon rheotropische Beizerscheinungen wahr-
nahm. Er habe sich davon überzeugt, führt der Autor aus, dass sich die
* üeber das Verlialten beweglicher OrganisnieD in strömender Flüssigkeit. Deutsche
medicinische Wochenschrift, 1893. Nr. 15. S. 351— 352.
' üntersuehuMgen zur physioL Morphologie der Thiere. 1891. Bd. L S. 3Q,
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234 X Dbwitss:
Spermatozoon mit grosser Gonsequenz einem unter dem Deckglase erzeugten
Strome entgegenstellen und er könne sagen , dass es kein passenderes Ob-
ject zur Beobachtung des Strömungsgesetzes (mechanische Drehung durch
den Strom) gebe, als diese Gebilde. Es sei bekannt, dass die Spermatozoon
rasch und zielbewusst den Weg durch die Tuben zum Ovarium zurück-
legen und er sehe in dem Tubenstrom eine Einrichtung, welche ihnen
die nöthige Biohtung gebe. Hervorzuheben sind die Beobachtungen von
L. Camerano, welcher feststellte, dass in den Bergwässem der italienischen
Alpen die Larven von Bana muta längere Schwänze hatten als diejenigen
der stehenden Gewässer. Analoge Modificationen wurden experimentell bei
Bufo vulgaris erzeugt
Im Nachfolgenden möchte ich nun einige Beispiele auffuhren, welche
zeigen sollen, dass der Rheotropismus bei den Thieren eine weit verbreitete
Reizerscheinung zu sein scheint. Meine Angaben gründen sich vielfach auf
Beobachtungen, welche ich in der freien Natur anstellte. In den Aquä-
ducten, welche zwischen Oliven- und Citronenbäumen den Campj^nen von
Mentone Wasser zuführen, habe ich oft dem Thun der in diesen Canalen
lebenden Thiere zugeschaut und ihr Benehmen gegen das heftig strömende
Wasser studirt Hier leben neben Schnecken Insectenlarven und auf der
Oberfläche des Wassers laufen die bekannten Wasserläufer (Hydrometra)
einher. Diese Beobachtungen habe ich dann prüfen und ihnen neue hin-
zufügen können, denn die Herren Professoren Gaule und M. von Frey
hatten die Güte, mir zu gestatten, die nothwendigen Experimente im phy-
siologischen Institut zu Zürich auszuführen.
Anordnung der Yersuche.
Zur Beobachtung des Rheotropismus im Laboratorium benutzte ich
Anfangs, hauptsächlich für Wasserschnecken, ein Glasrohr von weitem
Durchmesser. Ich verschloss die beiden Oeffnungen durch einen durch-
bohrten Gummipfropfen und versah den einen dieser Pfropfen mit einem
Abflussrohr, den anderen mit einem Zufiussrohr, welche ich mit dem Gunmii-
schlauch der Wasserleitung verband. Durch das weitere oder geringere
Oefifhen des Wasserleitungshahnes wurde die Geschwindigkeit des Stromes
im Glasrohr geregelt Diese Einrichtung bewies sich aber als wenig
bequem, da beim Hineinsetzen und Herausnehmen der Thiere, beim
Wechseln der Stromrichtung und ähnlichen Maassregeln der Wasserstrom
unterbrochen und das Glasrohr geöffnet werden musste. Häufig wurden
* Boll. Mus, ZooL ÄnaU Comp. Torino. 1893. Vol. VIII. — ÄU. Aeead. Throne.
CLßsich. 1890-91. Vol. XXVI.
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Übes bbn Bheotbopismub bbi Thiebbn. 235
die Thiere auch gegen die Ausflussstelle geschleudert und verstopften die-
selbe. Ich habe daher später in anderer Weise einen Wasserstrom erzeugt
und mich auch ausschliesslich dieser Anordnung des Experimentes bedient.
In die Mitte einer flachen Schale wurde eine andere von kleinerem Durch-
messer und mit höherem Rande gestellt. Ein Stein, ein Stück Eisen oder
etwas Aehnliches wurde in diese zweite Schale gelegt, damit sie auf ihrem
Platze blieb. Zwischen den beiden Schalen entstand ein ringförmiger Baum,
und in diesen leitete ich den Strom. Zu die-sem Zwecke wurde an dem
Hahn der Wasserleitung ein Gummischlauch befestigt, in das andere Ende
des Gummischlauches ein Glasrohr gesteckt, auf dieses Glasrohr ein durch-
bohrter Kork geschoben und dieser zwischen die beiden Glasschalen ge-
klemmt Das Wasser bewegte sich zwischen den beiden Schalen als ein
ringförmiger Strom und verursachte keine Nebenströmungen. Selbstredend
läuft eine bestimmte Wassermenge über den Rand der niedrigeren, das
heisst der äusseren Schale; dieser Strom verursacht aber keine besonderen
Störungen. Ich habe aber nie die Vorsicht ausser Acht gelassen, jedes Mal
den Strom zu prüfen. Dazu bereitete ich eine massige Papierkugel, presste
sie unter Wasser mit zwei Fingern und warf sie in den Strom. Die Kugel
ist in Folge des Stoffes, aus dem sie besteht, leicht genug, um dem Strom
keinerlei Widerstand zu leisten; andererseits aber macht sie der aufgeweichte
Zustand genügend schwer, damit sie den Boden des Gefasses, auf dem sich
die Versuchsthiere aufhalten, nicht verlässt So rollt die Kugel auf dem
Boden der Schale, dem Strome folgend, im Kreise herum. Die innere
Schale kann man gut dazu benutzen, um in ihr die zu prüfenden Thiere
vorläufig au&uheben. Da der Strom kein Ende hat, so kann man die Thiere
ihm beüebig lange aussetzen, während sie in dem oben erwähnten Glas-
rohr bald das Ende des letzteren erreicht hatten. Ebenso setzt man nach
Belieben die Thiere in den Strom und hebt sie heraus, ohne dass es nöthig
wäre, den Strom zu unterbrechen. Vor Allem aber kann man ohne Wei-
teres die Richtung des Stromes wechseln, indem man dem zwischen den
beiden Schalen liegenden Kork nur eine entgegengesetzte Lage giebt. Ich
bediente mich Anfangs einer kleinen Zinkwanne mit Zu- und Abflussöffhung;
doch hier geschieht es oft, dass an den Seiten der Wanne störende Neben-
stromungen entstehen, besonders wenn die Oeffnungen, durch welche das
Wasser passirt, im Verhältniss zur Wanne eng sind. Sollte für Thiere mit
wenig ausgesprochenem Rheotropismus der zwischen den beiden Schalen
eingepresste Strom zu gewaltsam sein, so kann man mit Yortheil eine
einzige Schale gebrauchen. Man hält das Glasrohr, aus welchem das
Wasser fliesst, dem Rande der Schale genähert und schräg gerichtet. So
erhält man an der Peripherie der Schale eine ringförmige Bewegung de^
Wassers von geringer Heftigkeit.
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236 J. Dewitz:
Thiere, welche auf strömendes Wasser reagiren.
Mollusken. Im strömenden Wasser, so bei Dieuze in dem zu Deutsch-
land, gehörendem Lothringen und in Mentone in den Alpes Maritimes, sah
ich häufig die kleinen Limaeiden in einer zum Strome gleichförmig ge-
richteten Stellung. Bewegten sich die Thiere, so gingen sie gegen den
Strom; waren sie aber in Ruhestellung, so hatten sie die Längsaxe ihres
Hauses senkrecht zum Strom gestellt. Meine diesbezüglichen Experimente
bestätigten beide Erscheinungen. Doch kam es auch vor, dass die Quer-
stellung nur eine scheinbare war. Denn wenn auch das Gehäuse quer
gegen den Strom gerichtet ist, so kann das Thier selber, der Eopf und der
Fuss, doch mehr oder minder gegen den Strom gerichtet sein, weil das
Haus mit der Längsaxe des Fusses oft einen Winkel bildet Diese That-
sache Hess sich bei Schnecken, die im Glasrohr dem Strome ausgesetzt
waren, beobachten. Immerhin passirt es auch ebenso gut, dass die Schnecken
sich wirklich in der Ruhestellung derart quer gegen den Strom festsetzen,
dass ihr Fuss von der Richtung des Stromes senkrecht durchschnitten wird.
Diese Erscheinung trat häufig ein, wenn das Wasserleitungswasser kalt
war und die Thiere wenig Leben zeigten. Der ringförmige Strom zwischen
den beiden Glasschalen eignete sich sehr dazu, den Rheotropismus der
Schnecken zu demonstriren. Die Thiere durchwandern, alle gegen den
Strom gerichtet, den ganzen Ereis ein, zwei, auch mehrere Male, je nach
ihrer augenblicklichen Beweglichkeit
Nicht minder macht sich die rheotropische Reaction bei einer anderen
Gruppe von Mollusken, den Zweischalem (Lamellibranchiaten) bemerkbar.
Da diese Thiere im Grunde der Gewässer stecken, so kann es sich bei ihnen
nur um die Art der Orientirung der Doppelschale handeln. Einige An-
gaben H. Jordan 's ^ werden diese Verhältnisse illustriren. Die Najaden,
zu denen Anoden ta, Unio und Margaritana gehören, leben in stehendem
und fliessendem Wasser, in Teichen und in Seeen mit heftigem Wellen-
schlage, in kleinen Flüssen und in Bächen mit reissendem Strom. Es
machen sich, wie Jordan ausführt, an einzelnen Najadenarten eines jeden
Standortes gewisse, durch den Aufenthalt bedingte Veränderungen bemerk-
bar. Die Unionen reissender Flüsse und Bäche haben den vorderen Theil
stets gegen den Strom gerichtet. In den Seeen sehen wir die Unionen
nicht in bestimmter Lage, wie auch das Wasser nicht in bestimmter Rich-
tung bewegt ist.
Die rheotropische Reaction ist bei diesen Thieren jedoch nicht allein
auf die Einstellung beschränkt, sondern sie zeigt sich auch im Waohsthum
^ Einflass des bewegten Wassers auf die Gestaltung der Muscheln aus der Familie
der Najaden. Biologisches CejUralblatt Bd. I. S. 392—399.
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ÜBEB DEN Rheotbopisicüs bbi Thibben. 237
der Schale. Im Gegensatz zu den Seeunionen, bemerkt weiter Jordan, ist
bei den Flussonionen das durchw^ gegen den Strom gerichtete Yordertbeil
immer unverhältnissmässig dicker als das Hintertheil, welches oft ganz
dünn bleibt Während femer die Seeunionen durchweg, besonders in der
Wirbelg^end bauchig und au%eblasen sind, bleiben die Flussunionen
schlank und zeigen selten hervorragende, spitze Wirbel. Der fortwahrend
in einer Richtung thätige Strom veranlasst die Unionen, sich in ihrem
Wachsthum in der Richtung des Stromes auszudehnen.^
Nephelis. Von den Würmern habe ich nur die zu den Hirudineen
gehörende Form Nephelis untersucht. Dieser Wurm zeigte keinen aus-
gesprochenen Rheotropismus. Er tastete hin und her, wandte sich rück-
wärts und vorwärts und stellte sich am Anfange des Experimentes au&echt
mit der Bauchseite gegen die Strömung. Das schliessliche Resultat all
dieser Bewegungen bestand aber darin, dass der Wurm gegen den Strom
vorging und wenn er sich an den ungewöhnlichen Zustand seines Mediums
gewöhnt hatte, so fanden sich Exemplare, welche sich in befriedigender
Weise gegen den Strom fortbewegten. Es ist dabei aber, wie bei allen
übrigen Thieren, von denen hier die Rede ist, vorausgesetzt, dass die Yer-
suchsobjecte möglichst frisch gefangen sind und nicht viele Tage in Gläsern
mit schlechtem Wasser zugebracht haben.
Gammarus. Diese Erebsthiere zeigten in der kreisförmigen Strömung
auf das Deutlichste negativen Rheotropismus. Sie schwammen gegen den
Strom oder meist setzten sie sich in den Kanten der beiden Glasschalen
fest, mit dem Kopf gegen den Strom gerichtet, und bewegten sich oft in
dieser Stellung rückwärts. Auch legten sie sich mit ihrem seitlich com-
primirten Körper — wie sie es auch im Freien an Blättern, Holz, Steinen
zu thun pflegen — auf einer Seite platt auf den Boden der Schale, den
Kopf stets gegen die Richtung des Stromes gekehrt.
Phryganidenlarven. In einem der erwähnten Aquäducte bei
Mentone bemerkte ich eine Anzahl von Phryganidenlarven. Sie hingen an
den Wänden des Ganais; die Köpfe waren sämmtlich gegen den Strom
gerichtet, das hintere Ende durch die Schwere etwas aus der horizontalen
Linie herabgezogen, so dass das Gehäuse mit dieser einen spitzen Winkel
bildete. Auch Fritz Müller' erwähnt in seiner Beschreibung brasilianischer
Phryganidenlarven die richtende Wirkung des Stromes auf diese Thiere.
VonRhyacophylax, einer Phryganidenlarve aus den Quellen von sehr raschem
Lauf der kleinen Colonie Blumenau, sagt er Folgendes: Ihre Gehäuse
* Vergl. auch: Clesssin, Locard, L'influenc, d. milieux s. L dSvü. d, Moll,
Lyon 1892.
• üeber die von den Trichopterenlarven der Provinz Santa Catharina verfertigten
Gehaase. Zeiigehrtfl für wuaenscJurfÜiche Zoologie, Bd. XXXV. S. 52.
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238 J, Djewitz:
gehören zu den interessantesten der Insecten. Sie sind auf der Oberseite der
Steine befestigt and sind kunstlos aus Pflanzenfasern oder Steinchen gebaute
Röhren von etwa 7"" Lange, bei 2"*"» Durchmesser. Jedes Gehäuse hat
einen Vorhof oder eine Veranda, die sich trichterförmig erweitert und deren
Eingang 7 ™"» Höhe bei doppelt so viel oder mehr Breite misst Die Gehäuse
sind unabänderlich derart orientirt, dass der Wasserstrom in den EingaDg
des Trichters schlagen muss. In seltenen Fällen leben diese Larven einzeln.
Gewöhnlich machen sie ihre Gehäuse dicht neben einander, so dass sie bis-
weilen eine lange, ununterbrochene Reihe bilden, die senkrecht zum Laufe
des Wassers steht
Unter den Phryganidenlarven, welche ich untersuchte, fand ich eine
Art von grosser Reizbarkeit, ja sie gehörte zu den reizbarsten Thieren,
welche zu beobachten ich Gelegenheit hatte. Die Larve lebte in kleinen
Teichen und fertigte ihr Haus aus grünen Pflanzentheilen, Blattausschnitten,
Grasstücken oder grünen Stengeln. Die Thiere richteten sich auf das Be-
stimmteste gegen den Strom und gehorchten gleich Soldaten jeder Aenderang
desselben. Sie kehrten sich aber nicht allein gegen die Strömung, sondern
sie machten auch im kreisenden Strom die Runde, bis sie schliesslich er-
müdet waren. Um den Thieren das Kriechen am Boden der Glasschale
zu erleichtern, schnitt ich aus rauhem Papier eine Scheibe von dem Durch-
messer der Schale aus und legte diese auf den Boden derselben.
Ich habe bei Phryganiden und anderen Thieren bemerkt, dass sie
nicht sogleich dem Strome gehorchen, sondern dass dieser erst eine 2Seit
lang auf sie einwirken muss, damit sie auf die Beizung reagiren.
Perlidenlarven. Sie gehören zu den Thieren, welche sich erst dann
emstellen, wenn sie einige Zeit der Strömung ausgesetzt waren. Dann aber
geschah die Einstellung gegen den Strom mit grosser Sicherheit, und mit
derselben Sicherheit wurde mit der Aenderung der Stromrichtung die
Aenderung ihrer Stellung ausgeführt. Oft gehen sie rückwärts, den Kopf
gegen die Strömung gewandt. Sie leben in schnellfliessenden Bergwässem
und halten sich hier unter Steinen auf.
Ephemer idenlarven. Die Ephemeridenlarven, welche ich in kleinen
Teichen fing, durch welche schnellfliessende Bäche flössen, reagirfen weniger
sicher als die Perlidenlarven. Sie Hessen sich viel vom Strome passiv
herumführen; sobald sie sich aber auf den Boden der Schale niedersinken
Hessen, wendeten sie jedes Mal den Kopf gegen den Strom.
Notonecta glauca. Diese Wasserwanze, welche durch ihr Schwimmen
auf dem Rücken, sowie durch ihre, wie zwei Ruder abstehenden Beine auf-
fallt, Hess sich oft vom Strome passiv herumführen, stürmte aber dann mit
Gewalt vor, stets gegen den Strom ankämpfend. Die Thiere zeigten einen
sehr ausgeprägten negativen Rheotropismus.
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Übeb den Bheotbopismits bbi Thiebbn. 239
Nepa cinerea. Dieses ebenfalls zu den Wasserwanzen gehörende
Insect reagirt nar sehr schwach and unregelmässig. Es wurde in einer
flachen Schale, ohne die zweite Schale in der Mitte, dem schwach
kreisenden Strom ausgesetzt Dabei lässt sich das Thier meist passiv
herumtragen. Wenn aber der Strom nicht zu stark ist, stellt es sich mit
dem Kopf gegen die Strömung und bewegt sich nach rückwärts.
Hydrometra und verwandte Gattungen (Hydromici): Hydro-
metra, Velia, Halobates. Wir haben bisher nur solche Thiere betrachtet,
welche im Wasser selbst leben. Es giebt aber auch Insecten, welche
sich auf der Oberfläche des Wassers bewegen und hier ihr ganzes Dasein
verbrii^en. Jedermann kennt jene Wasserwanzen oder Wasserläufer (Hydro-
metra), die mit ihren langen dünnen Beinen auf der Oberfläche von
Wasseransammlungen , Teichen, Seeen oder anderen fliessenden Oewässern
umherlaufen, als ob sie Schlittschuhe anhätten. Wenn der Wind das
stehende Wasser bewegt und leichte Wellen g^en das Ufer treibt, so sehen
wir eine Schaar dieser Thiere sich auf den Wellen auf- und niederbewegen.
Jedes Stück ist in gleichem Sinne gerichtet, mit dem Kopf gegen die an-
drängende Wassermenge. So gleichen sie auffallend einer Anzahl von Fischer-
kähnen, welche die Fischer in einer Bucht des Seees, den einen neben den
anderen, festgeankert haben und die von den Wellen auf- und niedergehoben
werden. Häufig liegt nicht weit von der durch die Wellen gerichteten
Hydrometra-Schaar ein winziger Einschnitt im Ufer, hinter Gebüsch und
Schilf gegen das offene Wasser geborgen. Hier ist das Bild ein anderes.
Die Wasserfläche ist glatt und die Wasserläufer eilen hier vereinzelt und
ohne Ordnung umher, die einen in dieser, die anderen in jener Richtung.
In den Aquäducten der Gampagnen von Mentone lebt ebenfalls die Hydro-
metra und in dem strömenden Wasser sieht man sie in Gesellschaften
beständig gegen den Strom gerichtet stehen oder der Strömung entgegen-
laufen, wenn sie sich nicht an den Seiten wänden in einer Miniaturbucht
bergen. Wo ich eine solche Herde von Hydrometra bemerkte, machte ich
bisweilen folgendes Naturexperiment, um ihren Bheotropismus zu erproben.
Ich stellte vor sie in den Canal ein Bret, so dass die Strömung um dieses
herumging und die Wasserwanzen gegen den Strom geschützt waren. So-
gleich Hessen sie in ihrem Bemühen, stromaufwärts zu laufen, nach und
breiteten sich hinter der schützenden Wehr unregelmässig aus. Wurde das
Brett wieder fortgenommen und der Strömung der Weg frei gegeben, dann
ordneten sich die Thiere gleich Soldaten und begannen wieder gegen den
Strom ihre Beine in Bew^ung zu setzen. Nicht weit von Mentone liegt
in einem engen Thal die erste italienische Eisenbahnstation Ventimiglia.
Vom Massif des Col di Tenda herabkommend, eilt hier die Roja dem
Meere zu. Hier fand ich auf dem heftig strömenden, breiten Gewässer
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240 J. Dewitz:
die grossen Arten von Hydrometra, welche die obige Species an Grösse
und Starke bedeutend übertreffen. Auch diese Thiere waren in grösserer
Oesellschaft, alle Mitglieder gegen den Strom gerichtet, und es bot ein
interessantes Schauspiel, wie die Wanzen kraftig ausschreitend dem Strom
Stand hielten. Es muss bemerkt werden, dass in so heftigen Strömungen
die Hydrometra nicht eigentlich vorwärts gehen, sondern im Ganzen
auf der gleichen Stelle verbleiben, wenngleich sie ihre Beine beständig in
Bewegung setzen und ausschreiten. Eine dritte Gattung, Yelia, kleine
schwarze Thiere von gedrungenem Körperbau und kurzen Beinen, bewohnen
die schattigen Bäche. Wo an den Bändern hinter Felsblöcken ruhige
Buchten gebildet sind, leben sie auf der Wasserfläche ruhig und zurück-
gezogen. Wenn sie umhereilen, könnte man sie für Spinnen halten. Ueber-
schreiten sie den Bach oder gelangen sie auf andere Weise in die Strömung,
so suchen sie sich zwar derselben wieder möglichst bald zu entziehen, richten
sich aber ebenso wie die anderen Gattungen gegen den Strom.
Leider vermag ich nichts über den Bheotropismus der meerbewohnenden
Verwandten der obigen drei Gattungen, der Halobatesarten,^ zu sagen. Da
dieselben aber alle Eigenschaften der Süsswasserform besitzen, so mödite
ich es als sehr wahrscheinlich ansehen, dass auch sie sich der Richtung
der Wellen entgegen bewegen. Diese merkwürdigen Thiere sind die einzigen
Insecten, welche das Meer bewohnen und sich auf offener See aufhalten.
Oft hunderte von Meilen vom Festland entfernt, führen sie, zu Gesell-
schaften wie die echten pelagischen Thiere vereint, ein wahres pelagisches
Leben. Frauen feld fing sie auf der Fahrt von Manila nach Hongkong,
mitten in dem chinesischen Meere; Giglioli fand sie im südlichen Atlan-
tischen Ocean, 400 Miglien von der amerikanischen Küste entfernt, und
andere Beisende berichten in gleichem Sinne. Da sie sich in allen tropischen
Meeren finden, so darf man vermuthen, dass sie, in Folge ihrer rheotro-
pischen Eigenschaften den Wellen und der Strömung der Meere gehorchend,
sich überallhin ausbreiten.
Wie es nicht anders zu erwarten war, haben die Gattungen Hydro-
metra und Velia, besonders die erstere, die Prüfung im Laboratorium
auf das Glänzendste bestanden. Um ihren Bheotropismus zu constatiren,
benutzte ich wieder den kreisenden Strom. Ich verwandte hierzu eine
grosse Glasglocke mit durchbohrtem Griff". Durch den letzteren wurde
ein Gummistöpsel mit einem Abzugsrohr gesteckt und in die nach oben
gekehrte Glocke wurde mittels eines Schlauches der Strom geleitet Das
Ende des Schlauches wurde gegen die Wand der Glocke und vorwärts
* Vergl. die monographische Darstellung dieser Thiere: F. B. White, Pelagic
Hemiptera. Report scient. results Challenger, Vol. Vil. Part. 19.
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Über bbn Bheotbopismub bei Thieben. 241
gerichtet und so ein kreisender Strom erzeugt Die Richtung des Stromes
konnte wieder duroh die Haltung des Endes des Schlauches geändert werden.
Die Zone des strömenden Wassers befand sich natürlich nur in gewisser
Entfernung von der Wand der Glocke, war aber von genügender Breite.
Man konnte an den drei Gattungen drei Abstufungen der rheotropischen
Erscheinung wahrnehmen, welche sich auch bereits im Freien hatten
erkennen lassen. Velia mied gern die Strömung nahe der Wandung der
Glocke und hielt sich mehr in der Mitte auf, wo das Wasser unbewegt
war; sie lässt sich auch leicht vom Strom passiv forttragen, dabei stellt sie
sich aber ohne Zögern mit dem Kopf gegen den Strom. Die kleineren
Hydrometra bewegten sich regehnässig und ohne dass irgend eine Ausnahme
zu verzeichnen gewesen wäre, gegen den Strom. Die grossen Arten setzten
ihre gewaltigen Beine in Bewegung und fuhren ohne Unterlass mit kräftigen
Stössen gegen die Strömung. Die Gattung Hydrometra ist ein klassisches
Beispiel rheotropischer Beaction und ist geeignet, diese Erscheinung zu
jeder Zeit vor den unkundigsten Zuschauem zu demonstriren. Die Thiere
halten sich gut in einem Gefass (Topf), in den man angefeuchtetes Moos
gelegt hat
Es giebt auch Spinnen^ die sehr geschickt über das Wasser hinlaufen,
und ich habe auch sie in* dem kreisenden Wasserstrom einer Prüfung
imterworfen; ich habe aber keine Art gefunden , die durch den Strom
gerichtet wurde.
Verbreitung des Rheotropismus und seine Bedeutung
in der Natur.
Eine Anzahl von Thieren hat sich theils in deutlicher, theils in aus-
gesprochener Weise als rheotropisch erwiesen. Aber es ist zu bemerken,
dass sie alle negativ rheotropisch waren. Ich habe jedoch in den Aquä-
ducten von Mentone einen Fall von positivem Rheotropismus zu beobachten
Gelegenheit gehabt Dieser Fall betraf eine nach Art der Spannerraupen
sich fortbewegende Dipterenlarve. Hielt man in einiger Entfernung von
der auf dem Steine festsitzenden und der Strömung nach lang ausgestreckten
Larve das Ende des Spazierstockes oder auch nur dasjenige eines dünneu
Zweiges in das Wasser, aber in der Richtung des Thieres, so bog sich
die Larve sofort nach dem Stocke zu zurück. Der letztere hatte offenbar,
ebenso wie das vor die Hydrometra gestellte Brett, den Strom abgehalten,
dem das Thier, sich ausstreckend, gefolgt war.
Ich will nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass, wie der Leser aus
meinen Angaben schon ersehen haben wird, die Thiere, welche im Freien
rheotropische Reaotionen zeigen, sich in grösseren oder kleineren Haufen
Archiv f. A. n. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. Suppl. 16
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242 J. Dewitz:
beisammen finden. Es scheint, dass die VergesellschaftigDng sehr oft eine
Begleiterscheinung des Bheotropismus ist
Es ist nicht zweifelhaft , dass der Rheotropismus eine weit verbreitete
Erscheinung im Thierreich ist. Bei den obigen Experimenten habe ich es
unterlassen, Fische zu prüfen, da ihre rheotropische Reizbarkeit so klar ist,
dass ich es für überflüssig hielt, dieses Factum noch besonders zq oon-
statiren. Beim Aufsteigen der Fische aus dem Meere in die Flüsse, gel es
der Laichfische oder der Brut, tritt der Rheotropismus zu Tage. Aber
auch bei anderen Gelegenheiten zeigt ihn die Thiergruppe auf das Deut-
lichste. Man kann häufig junge Cypriniden oder kleinere Arten dieser
Fische in Schaaren beisammen gegen die Strömung schwimmen sehen.
Andere Fische stehen häufig wie angewurzelt, den Kopf dem Strome zu-
gewandt Auf der niedrigen Brücke eines kleinen Flüsschens oder eines
Baches stehend und in das Wasser hinabschauend, kann man leicht mit
jenen Erscheinungen bekannt werden. Ich sah einst in einem Wasser-
tümpel, in welchen sich ein winziger Wasserfall ergoss, eine Menge kleiner
Fischchen, alle wie von einem Magneten gegen die Strömung gerichtet
Camerano stellte rheotropische Erscheinungen an Batrachierlarven fest
Auch ich fand solche Larven, wenn auch selten, in den Aquäducten bei
Mentone. Die Thiere Hessen sich nicht, wie man es erwarten sollte, von
der heftigen Strömung des Wassers thalwärts treiben, sondern kämpften
gegen den Strom und eilten trotz aller Schwierigkeiten stromaufwärts. Das
merkwürdigste Beispiel von Rheotropismus — wenn es ein solches ist, wie
ich glaube — betrifft aber einen Vogel. An den Bächen der Montanen
bis hoch in die alpinen Regionen der Gebirge lebt, dem Eisvogel ähnlich,
die Wasseramsel, Cinelus aquaticus. Sie ist an die Bäche gebunden und
liebt die reissenden Bergwässer, die Wasserfalle und den Strudel der Mühlen-
räder. Dieser Yogel nun taucht behend wie der Eisvogel und sucht am
Boden des Wassers seine aus Insecten bestehende Nahrung. Er springt
nach Art der Frösche vom Ufer ab und geht auf dem Grunde einher, hier
1 — 2 Minuten verweilend. Nach Tschudi^ liebt er es aber, unter dem
Wasser stromaufwärts zu wandern.
Ohne Zweifel würden sich bei einem eingehenden Studium viele See-
thiere als rheotropisch erweisen, besonders unter den pelagischen. Ich
möchte aber hinsichtlich der Seethiere schon hier auf zwei Beispiele auf-
merksam machen, die deshalb besonders interessant sind, weil sie Thiere
früherer Erdepochen betreffen. W. WeissermeP sagt in einer Arbeit über
fossile Korallen Folgendes. Das Individuum richtete seine Tentakeln und
^ ThierUhen der Alpenwelt 10. Aafl. S. 157.
* Zeitschrift der deutsehen geotog. Ges, 1897. Bd. IL. S. 865.
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Über den Rheotbopismüs bei Thieebn. 243
die die Nahrung aufnehmende Fläche nach derjenigen Seite, von welcher
die Nahrung kam. Kam diese gleichmässig von allen Seiten, so breitete
sich diese gleichmässig aus; kam die Nahrung aber von einer bestimmten
Seite, entweder durch die Meeresströmung öder durch den Wellenschlag
herbeigeführt, so richtete sich der Kelch dieser Seite zu. Daraus resultirte
dann die gekrümmte, hornformige Gestalt, welche man häufig bei gewissen
fossilen Einzelkorallen findet Man muss nun bei dieser Ausführung des
Autors bemerken, dass die Nahrung nicht beständig, wie ein continuirlicher
Strom herbdfloss und dass demnach das von der Nahrung gelegentlich nach
einer gewissen Seite hingezogene Korallenthier seine Stellung nicht bestandig
einhielt Solches war aber nöthig, damit die Hartgebilde der Koralle ein
bestimmt gerichtetes Wachsthum annahmen. Dieses konnte also nur in
Folge einer fortwährend wirkenden Ursache geschehen, und diese war die
Strömung. Weissermel folgt in seiner Erklärung dem Beispiel JäkePs,^
welcher gleiche Verhältnisse bei fossileu Crinoiden behandelt An diese Bei-
spiele müssen wir noch die Beobachtungen Semperas anreihen,^ welcher
das Wachsthum der Korallenriffe aus dem Einfluss der Strömung auf die
Korallenthiere erklärt
Gehen wir weiter in unserer Umschau, so würden wir erwarten, dass
auch im strömenden Blute der Adern die weissen Blutkörperchen eine be-
stimmte Richtung annehmen. Leider vermag ich aber hierüber nichts zu
sagen. Ich muss mich darauf beschränken, darauf hinzuweisen, dass andere
Gewebstheile, die Spermatozoon, durch fioth als rheotropisch erkannt wurden.
Auch ich habe vor Jahren bemerkt, dass die Spermatozoon von Faludiua
vivipara, die haarformigen sowohl wie die wurmförmigen Spermatozoon, durch
eine mittels Fliesspapier erzeugte Strömung negativ gerichtet werden.
An den durch strömende Flüssigkeit hervorgerufenen Rheotropismus
und im Besonderen an jene Beispiele, die uns Hydrometra und ihre "Ver-
vrandten gaben, schliesst sich meiner Meinung nach eine andere Erscheinung.
Ich möchte nämlich jene Erscheinungen, welche sich bei der Wanderung
der Yögel äussern, als eine Art von Rheotropismus in Anspruch nehmen.
Obgleich die Ansicht der Beobachter und Autoren darüber getheilt ist, ob
die Vögel beim Wandern mit dem Winde oder gegen den Wind fliegen,
so geht doch aus ihren Angaben hervor, dass der Wind, die strömende
Atmosphäre, hierbei eine grosse Rolle spielt. Man liest nicht selten in
omithologischen Fachzeitungen und in Jagdblättem, dass eine bestimmte
Vogelart zum Ziehen den Wind abwartet, oder anders ausgedrückt, dass
der Vogel, so lange der Wind nicht weht, sich ruhig verhält und nicht
» ZeiUchrifl der deuischen geolog, Ge$, 1891. Bd. XLILL S. 595.
* Die natürlichen Existenzbedingungen der Tkiere. 18S0. Bd. II. S. 65.
16'
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244 J. Dewitz: Übeb den Rheotbopismüs bei Thieben.
das Bedürfbiss, sich fliegend fortzubewegen, spürt. Es ist aber ein be-
stimmter, von der Jahreszeit und der Windrichtung abhängiger Wittenmgs-
charakter, welcher auf die Yögel wirkt und sie zum Ziehen antreibt Den
Züchtern von Brieftauben sind diese Verhältnisse sehr wohl bekannt und
sie bedienen sich ihrer, um bei dem Yersuchsfliegen günstige Resultate zu
erzielen.^ Es scheint aber, dass der Organismus der meisten Y^el nur in
gewissen Perioden geeignet ist, auf strömende Lufb zu reagiren, ähnlich
den die Flüsse aufsteigenden Laichfischen.
Beim üeberblicken der Fälle, in denen der Rheotropismus zur Geltung
kommt oder für welche er in Anspruch genommen wurde, bemerken wir
seine oflenbar grosse Verbreitung in der organischen Matur und gleich-
zeitig seine nicht geringe Bedeutung in derselben. Beschränken wir uns
auf die Thierwelt, so scheint er zunächst eine wichtige Rolle in den Vor-
gängen der Befruchtung zu spielen. Bei der Ausbreitung der Süsswasser-
und Meeresthiere ist seine Wirkung vielleicht nicht geringer. Der Rheo-
tropismus, welcher Fische in die Flüsse und Bäche aufzusteigen veranlasst,
sichert diesen femer die Fortexistenz der Species. Aber seine Wirkung
geht noch weiter. Denn Semper hat, sich auf den Einfluss der Strömung
auf die Wachsthumsriohtung der Korallen stützend, seine Theorie über die
Entstehung der Riffe und Inseln gegründet und sie deijenigen Darwin' s
entgegengestellt. Es scheint demnach — und was wir von fossilen Korallen
sagen konnten, bestätigt diese Ansicht — dass die rheotropische Reaction
mitwirkt, Inseln und Festland zu gründen.
* Vgl.JE. F. V. Homeyer, Die Wanderungen der Vögel, 1881. — H. E. Ziegler,
Geschwindigkeit der Brieftaube. Zool. Jahrb. Syst. 1898. Bd. X. S. 238.
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Zur Methodik der Messung des peripheren Wider-
standes in einer Arterie.
Von
J. Bioh. Ewald.
Es giebt bisher keine brauchbare Methode, den peripheren Widerstand
in einer Arterie zu bestimmen. Dies ist um so mehr zu beklagen, als
wir in den meisten Fällen, wenn es sich um Untersuchung der Kreislauf-
verhältnisse bei einem Thiere handelt, gerade die Grösse und die Ver-
änderungen des peripheren Widerstandes in den Gefassen zu kennen
wünschen. Die Bestimmung des Blutdruckes ist gewöhnlich nur ein Noth-
behelf. Zwar kann man unter Annahme gewisser Voraussetzungen ver-
suchen, vom Blutdruck auf die Widerstände zu schliessen. Aber solche
Schlüsse sind stets sehr unsicher und bleiben es auch, selbst wenn man
gleichzeitige Bestimmungen der Blutgeschwindigkeit mit in Rechnung ziehen
kann.
Gelänge es, directe, wenn auch nur einigermaassen genaue Messungen
des peripheren Widerstandes eines Arteriengebietes auszufuhren, so würde
dies für die Physiologie und die Pharmokologie von gleich grossem Nutzen
sein. Man soll daher alle Mittel versuchen, um zum Ziele zu gelangen und
ich will in Folgendem den von mir eingeschlagenen Weg beschreiben, auf
dem ich trotz vieler fehlgeschlagenen Hoffnungen doch schon eine gute
Strecke weiter gekommen bin, so dass wenigstens gewisse Erfolge bereits
gesichert sind.
Die Methode lässt sich an einem Beispiele mit wenigen Worten und
in einer für Jeden verständlichen Weise beschreiben. Hat man zur Be-
sprengung eines Gartens einen langen Wasserleitungsschlauch an einem
Hydranten befestigt und strömt nun das Wasser durch den Schlauch, so
kann man in einfachster Weise bestimmen, wie gross etwa die Ausfluss-
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246 J. RiCH. Ewald:
öfifhung am Ende des Schlauches ist, aus der das Wasser herausspritzt Es
sei dies Ende des Schlauches im Gebüsch verborgen, wir können also nicht
sehen, wie dick der austretende Wasserstrahl ist. Wir kennen auch nicht
den Wasserdruck im Hydranten, so dass wir auch nicht nach der Härte,
wie sich der Schlauch anfühlt, die Grösse der Ausflussöffnung beurtheilen
können. Nun giebt es aber doch ein einfaches Mittel, um zum Ziele zu
gelangen. Man tritt einfach mit dem Fuss auf den Schlauch und com-
primirt ihn ganz allmählich auf diese Weise. Ist die Ausflussoffnung sehr
klein, so können wir den Schlauch fast vollständig zusammendrücken, ohne
etwas Besonderes zu bemerken. Ist aber die Ausflussöftoung gross, so ge-
nügt eine geringe Verkleinerung des Lumens des Schlauches, um demselben
vor und nach der comprimirten Stelle ein anderes Aussehen zu geben.
Wir sehen ihn zwischen Hydrant und Fuss anschwellen und sehen ihn zu
gleicher Zeit hinter dem Fuss schlaffer werden. Führen wir diesen einfachen
Versuch etwas sorgfaltiger und mit geeigneteren Hülfsmitteln aus, so eigiebt
sich, dass ein deutlicher Einfluss der Comprimirung des Schlauches immer
erst dann eintritt, wenn das Lumen des Schlauches an der Compressions-
stelle ungefähr so klein geworden ist wie die Grösse der Ausflussoffnung.
Wir können letztere also auf diese Weise ziemlich genau bestimmen, und
da sie offenbar den peripheren Widerstand des Schlauches darstellt, so giebt
uns unser Versuch eine Methode an, den peripheren Widerstand, den eine
durch einen Schlauch fliessende Flüssigkeit zu überwinden hat, direct
zü messen.
Auf die Arterien übertragen ergiebt sich dann folgende Methode. Wir
comprimiren eine Arterie an einer Stelle ihres Verlaufes ganz allmähhch und
messen währenddessen den Blutdruck (Seitendruck) oberhalb und unter-
halb der Compressionsstelle. Aus der Veränderung dieser Druckwerthe
müssen wir den Moment bestimmen können, in welchem die Compressions-
stelle der Blutströmung einen ebenso grossen Widerstand darbietet wie der
periphere Widerstand, den das Blut zu überwinden hat.
Man erhält ein Schema des Blutlaufes in einer Arterie, wenn man
Wasser, das sich unter einem dem Blutdruck entsprechenden Drucke be-
findet, durch einen Gummischlauch abfliessen lässt. Der Druck wird am
einfachsten durch eine Wassersaule mit constantem Niveau erzeugt. Ein in
die Abflussrohre wandständig eingefügtes Manometer stellt in dem Schema
ein Blutdruckmanometer dar. Es ist klar, dass, wenn der Druck im Mano-
meter dem Blutdrucke entsprechen soll, der Abfluss des Wassers kein freier
sein darf. Wir müssen also, um das Schema zu vervollständigen, den
freien Abfluss durch einen angefügten Widerstand behindern. In Wirklich-
keit wird der Widerstand, den das Blut zu überwinden hat, durch die Ge-
fässe mit engem Caliber erzeugt und wir können einen ganz ähnlichen
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MsSSUNa DES PEBIPHSBEN WiDEBSTANDES. 247
Widerstand unserem Gunimischlauch anfügen. Es steigt dann das Queck-
silber im Manometer bis zu einer bestimmten Höhe.
Offenbar kommt es aber nun gar nioht auf die Art des angefügten
Widerstandes an, sondern allein auf seine Grosse, von welcher bei con-
stanter Höhe des Wasserniveaus der Manometerstand allein abhängig ist.
Man kann also den angefügten Widerstand durch einen anderen ersetzen
und weiss, dass der neue ebenso gross wie der firühere ist, wenn das Mano-
meter wieder den vorher vorhandenen Druck anzeigt
Der einfachste Widerstand, welcher angefügt werden kann, besteht in
einer Verkleinerung der Ausflussöffhung. Man wird also den Gummisohlauch
durch ein metallenes Verschlussstück mit senkrechter Wand verschliessen
und in dieser letzteren ein Loch von genau der Grosse machen, dass das
Manometer wieder den früheren Stand einnimmt. Ich nenne eine solche
absperrende Wand mit dem betreffenden Loch einen „Loch widerstand**
und die Oeffhung in demselben das „Widerstandsloch*^ Wir gelangen
auf diese Weise zu folgendem Satze:
Jeder Abflusswiderstand lässt sich durch einen Lochwiderstand von
bestimmter Oeffnung ersetzen.
Um Messungen verschiedener Abfiusswiderstände auszuführen, kommt
es darauf an, die Widerstandslöcher ihrer Grösse nach fein abstufen und
genau messen zu können. Es liegt nahe, kreisförmige Löcher anzuwenden
und den Durchmesser des Kreises als Maass für den Widerstand zu ver-
werthen. Ich bin aber bei den Versuchen mit kreisförmigen Löchern auf
praktische Schwierigkeiten gestossen. Denn ob man die Löcher in einem
beweglichen Schieber oder an der Peripherie einer drehbaren Scheibe an-
bringt<, die grosse Zahl der Löcher bedingt immer unbequeme Constructionen.
Eine Einrichtung nach Art der Irisblende der Mikroskope ist ebenfalls für
den vorliegenden Zweck nicht verwerthbar, und so büeb nichts übrig, als
auf die runde Gestalt der Löcher zu verzichten.
Ich benutze ein quadratisches Loch, welches von zwei über einander
liegenden und verschiebbaren Platten mit quadratischen Ausschnitten gebildet
wird* Liegen die beiden Platten derart über einander, dass die beiden qua-
dratischen Ausschnitte sich decken, so hat das Widerstandsloch seine maximale
Grösse. Durch eine Schraubenvorrichtung lassen sich nun die beiden qua-
dratischen Ausschnitte in der Richtung einer gemeinschaftlichen Diagonale
verschieben und von einander entfernen, wobei das Widerstandsloch immer
seine quadratische Form behält, aber natürlich bis zum völligen Verschwinden
immer kleiner wird. Zu gleicher Zeit gestattet die Schraubenvorrichtung
an einem Index abzulesen, wie viel die Verschiebung in Millimetern beträgt
Man misst also direct die Diagonale des quadratischen Widerstandsloches.
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248 J. RioH. Ewald:
Um einen beliebigen an unseren Gommischlaach angefügten Widerstand
— nehmen wir an ein System von Glascapillaren — zu messen, entfernen
wir ihn also, nachdem wir den Manometerstand abgelesen haben und be-
festigen statt seiner den Lochwiderstand. Dieser möge zunächst weit ge-
öfiEnet sein, das Wasser äiesst daher frei ab und das Manometer zeigt einen
ganz niedrigen Stand. Mittels der erwähnten Schraubenvorrichtung wird
dann das Widerstandsloch allmählich inuner kleiner gemacht, bis das Mano-
meter wieder seine ursprüngliche Höhe erreicht hat. Gesetzt, wir finden
auf diese Weise am Index die Zahl 1 • 35, so wäre die Oeffnung des Loch-
Widerstandes -^g— . Da der Widerstand mit der Grösse der Oeffnung ab-
nimmt, so ist es empfehlenswerth, den reciproken Werth der in Quadrat-
millimetem gemessenen Grösse des Widers tandsloches als Widerstand zu
bezeichnen. Wir erhalten also, wenn wir den Widerstand mit R bezeichnen,
7?- 2
Dies ist natürlich eine ganz willkürlich gewählte Maassbestimmung,
sie bezieht sich nur auf den Lochwiderstand von der angegebenen Form.
Sie gewährt aber doch den grossen Vortheil, dass wir die verschiedensten
Widerstände mit einander vergleichen und künstliche Widerstände von
gleicher Grösse wie natürlich gegebene herstellen können.
Wir kommen zu unserem bisher benutzten Schema zurücL Den
ursprünglich vorhandenen Abfluss widerstand, der aus einem System von
Glascapillaren bestand, können wir nun entfernen und ihn durch einen
Lochwiderstand, den wir auf 1 • 35 einstellen, ersetzen. Es gilt jetzt zu unter-
suchen, ob es möglich ist, die Grösse dieses Loch Widerstandes, die wir zu-
nächst als unbekannt annehmen, durch Compression einer Stelle des
Gummischlauches zu ermitteln. Statt wirklich den Schlauch zu comprimiren,
benutzen wir in sehr bequemer Weise noch einen, dem bereits vorhandenen
ganz gleichen Lochwiderstand, den wir in den Gummischlauch einschalten.
Wir erzeugen auf diese Weise in der Leitung eine Verkleinerung des Lumens,
welche nur eine minimale Strecke der Leitung betrifft (Dicke der Wand, in
der sich das Widerstandsloch befindet) und welche beliebig grösser oder
kleiner gemacht werden kann. Wir haben also jetzt zwei Lochwiderstande in
der Leitung, von denen der erstere, stromaufwärts gelegene, den wir Loch-
widerstand Ä nennen wollen, uns dazu dienen soll, die Grösse des zweiten,
der den peripheren Widerstand darstellt und der Lochwiderstand B heissen
möge, zu bestimmen. Um zu beobachten, wie die Veränderungen der
Oeffnung des Loch widerstandes Ä auf die Druck Verhältnisse in der Leitung
wirken, befinden sich an diesem Instrument unmittelbar vor und hinter dem
Widerstandsloch zwei seitliche Abzweigungen, die zu einem Differential-
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Messung dbs pebiphesen Widebstandbs. 249
manometer f&hren. Dies letztere zeichnet seine Corve auf eine Glasplatte
auf, welche gleichzeitig mit der allmählichen Verschliessung des Widerstands-
loches durch eine Uebersetzung fortbew^ wird.
Was geschieht nun, wenn wir den Lochwiderstand A langsam schliessen?
Weldie Gurve zeichnet das Differentialmanometer? Das Wasser wird ge-
zwungen, durch ein inmier kleiner werdendes Loch zu fliessen. Hierbei wird
Druck verbraucht, indem sowohl Eteibui^ flberwunden werden muss, wie
auch Geschwindigkeit zu erzeugen ist. Diese letztere wird freilich jenseits
des Loches gleich wieder in Druck verwandelt, da der periphere Widerstand
(der Lochwiderstand B) ein schnelleres Fliessen nicht gestattet Was die
Reibung betriflt, so ist diese nur sehr gering, da die Strecke, auf der das
Wasser schneller fliessen muss, äusserst klein ist Wäre diese Reibung ver-
schwindend klein, so würde die Gurve des Differentialmanometers erst in
dem Moment zu steigen beginnen, wenn der Lochwiderstand A die gleiche
Oeffnung wie B erreicht hat und man würde aus dem Beginn des Anstieges
der Gurve die Uebereinstinmiung der beiden Lochwiderstände und daher die
Grosse des peripheren Widerstandes entnehmen können. Die Reibung im
Lochwiderstand, welche zum Theil auf Strudelbildung beruht, ist nun leider
nicht verschwindend klein und macht sich so stark bemerkbar, dass man
sie nicht vernachlässigen darf. Doch gelingt es glücklicher Weise, ihre Grösse,
d. i. ihre Wirkung auf das Differentialmanometer von vornherein zu be-
stinmien. Wir machen zu dem Zwecke Vorversuche derart, dass wir dem
rx)chwiderstand B alle möglichen SteUungen nach einander geben und gleich-
zeitig den Lochwiderstand A genau die gleichen Stellungen durchlaufen
lassen. Wir erhalten eine Curve des Differentialmanometers, die uns die
Reibungswiderstände von A angiebt, falls dieser Loch widerstand dieselbe
Grösse wie B hat. Diese Curve können wir ein für allemal auf der Glas-
tafel verzeichnen, und wenn wir nun bei unserem oben beschriebenen Ver-
such, den Lochwiderstand A zu schliessen beginnen, so erhalten wir von
dem Differentialmanometer eine Curve, welche so lange unterhalb der
Reibungscurve bleibt, wie die Oeflfhung von A noch grösser als die von B
ist Sobald sich dann aber bei weiterem Schliessen von A die beiden Curven
schneiden, hat man in dem Lochwiderstand A die Oeffnung von B erreicht
Bei unserem Versuch finden wir also auf diese Weise die gesuchte Stellung
des Lochwiderstandes ^ bei 1 • 35 und erfahren daraus, dass auch der Loch-
widerstand B dieselbe Oeffnung besitzt
Wir entfernen nun den Lochwiderstand B und fugen an unseren
Schlauch einen ganz beliebigen peripheren Widerstand au. Um diesen zu
messen, öffiien wir zunächst den Lochwiderstand A vollständig und schliessen
ihn dann allmählich, bis die Curve des Differentialmanometers die vor-
gezeichnete Reibungscurve erreicht Aus der Zahl, die wir am Index
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250 J. BiCH. Ewald: Messung des pbbiphbben Widebstandbs.
ablesen, ergiebt sich ohne Weiteres die Grosse des peripheren Wider-
standes.
So wäre theoretisch und praktisch unsere Aufgabe gelöst Praktisch
allerdings erst für die einfachsten, nur ein Schema des Blutlaufes darstellen-
den Fälle. Um die Methode auf die Arterien anwenden zu können, müssen
die bisher benutzten Apparate zweckentsprechend umgeändert werden, auch
sind noch andere Schwierigkeiten, die in der besonderen Art der Stiom-
verzweigung und den Druckschwankungen in den Arterien ihren Onmd
haben, zu überwinden. Aber diese neu hinzutretenden Schwierigkeiten er-
scheinen nicht unüberwindlich, und es ist zu hoffen, dass die schon jetzt
für das Studium der Widerstandsverhältnisse an schematischen, den Blutlaaf
darstellenden Apparaten genügende Methode auch am lebenden Thiere
brauchbare Resultate liefern wird.
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Beitrag zur Kenntniss des Energiegehaltes des
menschlichen Harnes.
Von
Dr. med. F. Tangl,
Professor der Physiologie an der thlerirztliehen Hochschule io Badapest
Während meines Aufenthaltes in Berlin im Sommer 1897 wurden im
thierphysiologischen Laboratorium der landwirthschaftlichen Hochschule von
den Hrn. Prof. Dr. J. Prentzel und Dr. Reach Versuche über den Bin-
fluss der Arbeit auf den Stoffwechsel bei verschiedener Ernährungsweise
ausgeführt^ Es bot sieb da eine sehr günstige Gelegenheit , neben den
Respirationsversuchen Untersuchungen darüber anzustellen, wie sich einer-
seits der Energie- (Calorien-) Gehalt des Harnes im Verhältniss zum N-
und C-Gehalte gestaltet und andererseits, wie sich dieses Verhältniss wäh-
rend der Arbeit eventuell verändert
Mein hochverehrter College und Freund, Hr. Prof. Zuntz, hatte die
grosse Liebenswürdigkeit, mich in die Methodik der calorimetrischen Unter-
suchungen einzuführen und die entsprechenden Apparate und Einrichtungen
seines Laboratoriums mit der grössten Bereitwilligkeit mir zur Verfügung
zu stellen, wofür ich ihm auch an dieser Stelle meinen wärmsten und ver-
bindlichsten Dank ausspreche. Zu besonderem Danke verpflichteten mich
auch die Hm. Prof. J. Frentzel und Dr. Reach durch freundliche Ueber-
lassung des Untersuchungsmateriales und Mittheilung der nöthigen Daten
aus ihten Versuchen.
In den Versuchsreihen, welche die geannten Herren zur Zeit meines
Aufenthaltes an sich ausführten, sollte durch Bestimmung des Og-Veibrauches
und der CO2- und N- Ausscheidung festgestellt werden, in welcher Weise
sich der Stoffwechsel bei überwiegender Ernährung mit Fett und dann bei
* Diese Versuche sind bereits in der sub 1 und 19 citirten Arbeit von Frentzel
bezw. Znntz erwähnt.
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252 P. Tangl:
überwiegender Emährang mit Kohlenhydraten gestaltet bezw. unter dem
Einfluss der Muskelarbeit verändert. Die näheren Details über die Anord-
nung dieser Versuche werden sich in der demnächst erscheinenden Publication
der Hrn. Prof. Frentzel und Dr. Keach finden. Ich werde sie nur so
weit beschreiben, als es zum Yerständniss meiner Untersuchungen noth-
wendig ist
Wie bereits erwähnt, wurde in den einzelnen Versuchsreihen die Kost
so gewählt, dass entweder Kohlenhydrate (bei mögUchster Vermeidung von
Fett) oder Fett (bei möglichster Vermeidung von Kohlenhydraten) vor-
herrschten. Da es sich um keine Bilanzversuche handelte, wurden die Ein-
nahmen weder genau abgewogen, noch analysirt Als Beispiele fär die Kost
einer Versuchsreihe mit Kohlenhydraten bezw. Fett mögen folgende dienen:
21./VII. (Kohlenhydratreihe): Morgens 2 Tassen KaflFee mit 2 Stück
Zucker, 4 Stück Zwieback, 100 ^™* Honig. Vormittags 100 ^™ Trauben-
zucker als Limonade. Mittags: Reissuppe, Maccaroni mit Käse und etwas
Schinken, gefüllter Kalbsrücken mit Compot, V4 Liter Münchener Bier.
Abends: Torte.
16./Vn. (Fettreihe): Morgens: Kaffee mit Saccharin, Butter, 4 Oel-
sardinen. Mittags: Fischmayonnaise, Rumpsteak, Käse mit Butter, 1 Stück
Pumpernickel, V2 Schrippe, V4 Liter Rothwein. Abends: Krebsmayonnaise,
V4 Liter Bordeaux.
Jede Versuchsreihe dauerte mehrere Tage. An jedem Tage wurde auf
der von Lehmann und Zuntz beschriebenen^ Tretbahn des Institutes
20 bis 40 Minuten hindurch eine gemessene Arbeit durch Steigen geleistet
Sowohl während der Arbeit als nach derselben wurde (von den Hm. ProL
Frentzel und Dr. Reach) der respiratorische Gas Wechsel bestimmt (Arbeits-
werthe, Ruhewerthe des Oa-Verbrauches und der COg-Production). Zur Be-
stimmung der Eiweisszersetzung während der Arbeit und der Ruhe wurde
der 24 stündige Harn in folgender Weise in zwei Portionen getheilt: un-
mittelbar vor Beginn der Steigarbeit wurde die Blase entleert; der in den
folgenden 2 — 4 Stunden entleerte Harn wurde nun als Arbeitsham in
einem besonderen Oefässe für sich aufgefangen und verarbeitet; der übrige
an di^em Tage entleerte Harn, zusammen mit dem vor der Arbeit ent-
leerten, wurde als der der Ruheperiode entsprechende betrachtet (Ruheham).
(Eine solche Theilung von Arbeits- und Ruheharn nahm Frentzel (l)
schon bei seinen am Hunde ausgeführten Untersuchungen vor). Arbeits-
ham, Ruheharn s 24 stündige Harnmenge. — Sowohl die Arbeits- als die
Ruhehame wurden auf eine runde Zahl mit destillirtem Wasser aufgefüllt
Diese verdünnten Harne habe ich nun zu calorimetrischen Bestim-
mungen verwendet. Da es sich bei meinen Untersuchungen nur darum
* Landwirthschaftliche Jahrbücher, 1889. S. 7.
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ENEBOIEaBHALT DES MENSOHUOHEN HaBNES. 253
handelte, festzustellen, ob bezüglich des Energiegehaltes des Arbeits- und
Buhehames bei der erwähnten Kost ein Unterschied besteht oder nicht und
Cal C
wie sich eventuell die Quotienten -^ und -^ des Harnes verhalten, so
verzichtete ich darauf, den Arbeits- bezw. Ruheham täglich zu untersuchen
j^i begnügte mich damit, richtige Durchschnittswerthe zu erbalten. Das
erreichte ich durch Vermischen von proportionalen Theilen der Arbeits- bezw.
Buhehame von mehreren Tagen einer Versuchsreihe. Es wurden jene
2 bis 3 Tage je einer Versuchsreihe gewählt, an welchen die Arbeitsperiode
gleich lange dauerte. (Die täglichen Arbeitsperioden einer Versuchsreihe
vraren nämlich nicht immer ganz gleich lang.)
Bestimmt habe ich in diesen proportional gemischten Hamen Arbeits-
ham und Buheham natürüch für sich den Energie-, N- und C-6ehalt.
Die Bestimmung des Energiegehaltes — der Verbrennungswärme —
des Harnes geschah nach der Berthelot- (2) Stohmann'schen (3) Me-
thode mit der Berthelot-Mahler'schen calorimetrischen Bombe, wobei
ich das von 0. Kellner ersonnene exacte Verfahren befolgte. Kellner (4)
bereitet den Harn zur Verbrennung in der Weise vor, dass er ihn in Ab-
sorptionsblöckchen aus Cellulose eindampft und die so imprägnirten und
getrockneten Blöckchen verbrennt. Auch ich habe die von Schüll und
Schleicher nach den Angaben von Kellner hergestellten Blöckchen ver-
wendet, nur habe ich den Harn nicht ganz in der Weise eingedampft wie
Kellner. Kellner füllt etwa 20 «^^'^ Harn in reine, trockene Tropfgläschen,
die mit Kork und Gummikappe verschlossen und gewogen werden; „aus
letzteren wird dann auf die gewogenen Papierblöcke, die auf kleine Olas-
schälchen gestellt werden, stets so viel aufgetropft, dass die Unterlage nicht
benetzt wird. Die Blöcke werden dann bei 60^ G. getrocknet und die Ope-
ration des Auftropfens und Trocknens so lange wiederholt, bis 10 bis 15 sm»
Harn, je nach dessen specifischem Gewicht, eingedampft sind.'' Ich ging
in folgender Weise vor: Um den N- Verlust während des Eindampfens zu
verhüten, setzte ich zum Harn einige Tropfen verdünnter HCl. Durch diesen
Saurezusatz entsteht allerdings ein grösserer Verlust an CO2, also an C,
doch kann diese ausgetriebene Carbonat- Kohlensäure, in welcher also der
C nicht mehr in einer organischen Verbindung vorhanden ist, wohl unbe-
denklich ausser Acht gelassen Werden.^
Von dem angesäuerten Harne wurden mit einer geaichten Pipette
10 «n° in ein kleines Porcellan- oder Glasschälchen gebracht und das abge-
^ Der Zusatz dieser sehr geringen Menge von HCl dürfte kaum eine in Betracht
kommende Zersetzung einer organischen Substanz (Hamstofif) bewirkt haben. Jeden«
falls waren die beim Eindampfen unvermeidlichen Zersetzungen kaum grosser, als sie
ohne Saurezusatz gewesen wären.
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254 F. Tangl:
wogene Celluloseblöckchen hineingestellt. Das Blöckchen konnte nur etwa
den zehnten Theil der Flüssigkeit einsaugen. Schale mit Blöckchen kamen
dann in einen Trockenschraiik, der auf 50 bis 60^ C. erhitzt war. Nachdem
die 10 ^^^^^ eingedampft waren, wurden wiederum 10 oder 5^*^ Harn mit
der Pipette zugelassen, wieder eingedampft und die Procedur so lange wieder-
holt, bis im Ganzen je nach der Concentration 15 bis 25 «^™ Harn zur Trockne
eingedampft waren. Um den an den Wänden des Schalchens haften ge-
bliebenen Trockenrückstaiid in das Celluloseblöckchen zu bringen, hob ich
letzteres mit einer Pincette heraus, goss in das Schälchen einige Tropfen
bis Va ^"^ Wasser, schwenkte es vorsichtig herum, stellte dann das Blöckchen
hinein, welches die Flüssigkeit sofort ganz einsog. Mit dem am unteren
Ende feuchten Blöckchen, welches immer nur mit der Pincette angefasst
und gehalten wurde, wischte ich das Schälchen, meist nach abermaligem
Zusatz von einigen Tropfen destill. Wassers aus. Dann wurde wieder bei
50 — 60^ C. getrocknet und dieses Auswischen des Schälchens so oft wieder-
holt, bis es auch nach dem Trocknen spiegelblank blieb; Man kann auf
diese Weise ganz sicher den ganzen zum Eindampfen aufgestellen Harn
quantitativ genau in das Blöckchen bringen.^
Von jedem Harne habe ich 4 Celluloseblöckchen auf diese Weise be-
schickt Das eine — ungewogene — Blöckchen verwendete ich zur N-Be-
stimmung, um zu controliren, ob beim Eindampfen nicht doch N verloren
gegangen ist Ich kann gleich hier bemerken, dass keine in Betracht kom-
menden Verluste stattgefunden haben. Von den übrigen 3 Blöckchen wurden
2 zu den calorimetrischen Bestimmungen und zur Bestimmung des C-Ge-
haltes verwendet, das 3. diente als Reserve für den Fall, wenn die 2 anderen
Bestimmungen entweder für den Calorien- oder den C- Gehalt nicht gut
übereinstimmende Daten lieferten.
Da ich mich, wie bereits erwähnt, bei der Bestimmung der Verbren-
nungswärme genau an die von Berthelot (2), 8tohmann(3) und Kellner(4)
gegebenen Vorschriften hielt, so gehe ich auf diese weiter nicht ein.
Die Bestimmung des C- Gehaltes erfolgte nach der von Zuntz und
Frentzel (5) angegebenen Methode in Verbindung mit der calorimetrischen
Verbrennung, indem nach der Verbrennung im Inhalt der Bombe die CO3-
Menge gasanalytisch ermittelt wurde. Die Analysen wurden nach der von
Zuntz modificirten Hempel'schen Methode mit dem Zuntz'schen Appa-
rate^ ausgeführt: Die Abzugsröhre der Bombe wird mit einem l-Rohre
' Ich rnuss an dieser Stelle auch bemerkeD, dass, da die einzelnen Harne bis
znm Eindampfen mehrere Tage stehen mossten, ihre Zersetzung durch Thymolznsati
verhindert worde. Beim Eindampfen verschwindet das Thymol vollständig, wie ieh
mich überzeugte, — es störte also die Untersuchung gar nicht.
• Beschrieben von Magnus-Levy, Pflüger's Archiv. Bd. LV. S. l.
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Enebgiegehalt des menschliohen Hahnes. 255
yerbuDden, dessen einer Schenkel mittels E^aatsohukschlauches zu einer
genau geaichten Elster'schen Gasuhr, der andere zu den Gasbüretten des
Analysenapparates führt. Das Ventil der Bombe wird dann vorsichtig so
weit geöffnet, dass das Gas in langsamem Strome durch die Uhr strömt.
(Thermometer- und Barometerablesung.) Stets wurden Doppelanalysen
gemacht
Aus der gefundenen (auf 0® und 760 ^^ reducirten) COg-Menge wurde
dann der C berechnet und davon der auf die Cellulose des Blöckchens ent-
fallende Teil in Abzug gebracht.
Aus den für den C-, N- und Caloriengehalt ermittelten Zahlen wurden
dann die Quofienten -^- und -^ berechnet. Ausserdem habe ich, um
für den Ruhe- und Arbeitsham vergleichbare Werthe zu erhalten, den N-,
C- und Calorien-Gehalt des Harnes auf je 1 Stunde der Arbeits- bezw. Ruhe-
periode berechnet
Schliesslich ergab Arbeitsham und Ruheham einer Yersuchsperiode die
Durchschnittswerthe für den N-, C- und Caloriengehalt des in 24 Stunden
entleerten Harnes.
Als Beispiel des besprochenen Ganges der Untersuchung möge das
ProtoooU einer Versuchsreihe ausführlich mitgetheilt werden:
Versuchsreihe V.
Versuch an Dr. R. — Vorwiegende Nahrung: Fett.
Versuchstage: 14., 15. und 16. Juli.
Tagliche Arbeitsperiode: 4 Stunden. Ruheperiode: 20 Stimden.
Harn der Arbeitsperiode Harn der Ruheperiode
aufgefüllt auf
vom 14./Vn.
„ i5./vn.
„ i6./vn.
200 <^«°» 1000 ^<^™
300 „ 1750 „
700 „ 1400 „
A. Summe . 1200 <^<^™ B. Summe . 4150 <**^">
A. Gesammtham der Arbeitsperiode der ganzen Versuchsreihe.
B. Gesammtham der Ruheperiode der ganzen Versuchsreihe.
A. = 1200««™ enthält 7-7724^ N
B. =4150 „ „ 41-4180 „ „
Pro 1 Stunde der Arbeitsperiode wurden also entleert 0-6477^™ N
,f 1 „ „ Ruheperiode „ „ „ 0.6903 „ „
Von Harn A wurden eingedampft:
1. 25 <^ auf Blöckchen Nr. 1, welches lufttrocken 0-6550 «^ wog
2. 25 „ „ „ „ 2, „ „ 0.6501 „ „
3. 25 „ „ „ „ 3, „ „ 0.7226 „ „
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256 F. Tangl:
Von Harn ß wurden eingedampft:
1. 25 '^^^ auf Blöckchen Nr. 4, welches lufttrocken 0»5946 *™* wog
2. 25 „ „ „ „ 5, „ „ 0«6965 „ „
3. 25 „ ,. „ „ 6, „ „ 0-6642 „ „
Die Absorptionsblöckchen Nr. 1 bis 6 enthielten 93*21 Procent Trocken-
substanz = reine Cellulose.
1 «^ reine Cellulose lieferte 4133-1 Cal. (Mittel aus 6 Bestimmungen).
L Calorimetrisohe Bestimmungen.
Harn A.
A, lieferte bei d. Verbrennung (Temp.-Erhöhung corr. 1 • 4133^0.) 3924 • 76 Cal
Hiervon entfallen auf die verbrannte Cellulose 2523*40 „
Caloriengehalt von 25 ^*^™ Harn 1401 -36 Cal.
A2: calorimetrische Bestimmung missglückte.
A3 lieferte bei der Verbrennung (Temp.-Erh. corr. 1-4133^ C.) 4181-29 Cal.
Hiervon entfallen auf die verbrannte Cellulose 2783-40 „
Caloriengehalt von 25 ~™ Harn 1397-89 Cal.
25°^"> von Harn A enthalten also (Mittel von A, und A3) 1399-63 CaL
1 <^«" von Harn A = 55-985 Cal.
Pro 1 Stunde der Arbeitsperiode wurden mit dem Harn entleert 5-5985 Cal.
Cal.
Für Harn A ist -^^ = 8-644.
N
Harn B.
B^ lieferte bei der Verbrennung (Temp.-Erh. corr. 1-5969** C.) 44S2 00 Cal.
Davon entfallen auf die verbrannte Cellulose 2290-61 „
Also Caloriengehalt von 25 °*^ Harn 2141-39 CäT.
B2 lieferte bei der Verbrennung (Temp.-Erh. corr. 1-7367^ C.) 4823- 10 CaL
Davon entfallen auf die verbrannte Cellulose 2683 - 39 ,,
Also Caloriengehalt von 25 *'*^°» Harn 2139-80 Cal.
25 *^^ von Harn B enthalten also (Mittel von B^ und B^) 2140*1 CaL
1 ^'"^ von Harn B enthält 85-604 CaL
Pro 1 Stunde der Ruheperiode wurden mit dem Harn entleert 5-9209 CaL
Cal.
Für Harn B ist - - = 8- 577.
N
n. Bestimmungen des C-Gtohaltes.
Harn A.
Ay In der Bombe waren nach der Verbrennung bei 22-80® C. und
753-51 °»°» Bar. 9335-8 •^<'™ Gas.*
* 8960-1 *«■ gingen durch die Gasuhr; 386-7««" blieben bei jeder Bestimmaog
in der Bombe zurück.
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ENEBaiBOEHALT DBS MENSCHLICHEN HaBNES. 257
In diesem Gas waren l^*^^^^«'*y«^i' ^'^^P'^^' ^^2 iMittel: 8 • 73 Proc. C0„.
l „ „ 2:8-75 „ CO2) 2
Auf 0® und 760 "*™ reducirt, sind also im Gas 722.31 ^^"^ COg.
(1 <'<^°> CO2 = 0-001 967 «^ COg enthält 0-00 053 634 «^ C.)
In 722.31 <^«°» CO2 sind enthalten 0-3874 p™ C
Davon entfallen auf die verhrannte Cellulose . . 0.2713 „ „
In 25 ^°* Harn waren also 0-1161 ^°^ C
Ag. In der Bombe waren nach der Verbrennung bei 22.2® C. und
7ÖÖÜ4 °^°» Bar. 9274-8 ^°» Gas.
In diesem Gas waren 1 ^^^^ ^^^^^^ VI' ^2 ^''''''' ^^' 1 Mittel: 8 • 59 Proc. CO,.
l V 97 ^' 8. Dl „ „ j
Auf 0® und 760 "»°» reducirt, sind also im Gas 709-90 «^°^ COg.
709-90 ecm cOg enthalten 0-3807^^0
Davon entfallen auf die verbrannte Cellulose . . 0-2693 „ „
In 25 ~°» Harn waren also 0-1114^^ C
Mittel aus A^ und Ag: C-Gehalt des Harnes A 0 1138»^^ C in 25^^°».
1 cc°» enthält 0-004 552 ^°> C.
Pro 1 Stunde der Arbeitsperiode wurden mit dem Harn entleert 0 - 4552 ^™* C.
-^ = 0-7028.
N
Harn B.
Bj. In der Bombe waren nach der Verbrennung bei 21-70® C. und
756-48 °»™ Bar. 9172-6 *^*^°» Gas.
In diesem Gas waren | ^^^^ ^"^^^^^ II' ^^ P""^«- ^^2 1 Mittel: 9 • 48 Proc. CO^.
\ ji tj 2: 9*51 „ „1
Auf 0® und 760 °»°> reducirt sind also im Gas 778-34 ^nn CO2.
773.3400111 CO2 enthalten 0-4175 ^ C
Davon entfallen auf die verbrannte Cellulose . . 0-2463 „ „
25 ^*^°^ Harn enthalten also 0-1712 e^™ C
B^. In der Bombe waren nach der Verbrennung bei 21-80® C. und
757.44 °^™ Bar. 8995-6 <^«°» Gas.
In diesem Gas waren 1^*«^ Analysel: 10-62Proc.CO3|^ttel: 10-66Proc.CO2.
l „ „ 2:10-71 „ „ j '
Auf 0® und 760 °»"» reducirt sind also im Gas 859-04 ^°°» COg.
859-04 «^°» COg enthalten 0-4608 ^™^ C
Davon entfallen auf die verbrannte Cellulose . . 0-2885 „ „
25«^ Harn enthielten also 0-1723^™^ C
Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. Suppl. 17
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258
F. Tangl:
Mittel aus Bj und B^ = C-Gehalt des Harnes B 0-1718»™ C in 25*^.
1 ccra enthält 0-006 872 ^ C.
Pro 1 Stunde der Ruheperiode wurden also mit dem Harn entleert 0-4753 ^^ C.
^ = 0-6885.
HL Bereohnung des C-, N- und Energiegehaltes für die 24 8tündige
Hammenge.
— - — =3 24 stündige Hammenge.
ö
Auf Grund vorstehender Analysen und Bestimmungen ergiebt sich:
pro 1 Tag der Versuchsreihe V wurden mit dem Harn entleert:
N 16.397«^ Cal.
C 11. 327 „ „
Caloriengehalt . . 140-812 „ „
Cal. ^ _^ C
N
8.588.
N
= 0-691.
Meine Untersuchungen erstrecken sich im Ganzen auf 6 Versuchs-
reihen, von welchen 4 an Prof. Frentzel und 2 an Dr. Reaoh ausgeführt
wurden. Von den 6 Versuchsreihen waren 3 Kohlenhydrat- und 3 Fett-
reihen. Die Resultate sind in den folgenden Tabellen I und n zusammen-
gestellt. Ich bemerke nur, dass sammtliche Zahlen die Mittelwerthe von
mindestens 2 gut übereinstimmenden Bestimmungen bezw. Analysen sind.
Tabelle I.
9 g
S 00
Datum
und Tage
der Versuchs-
reihen
I(F)
81./V.,2.,3./VI.
II (F) 8., 10., ll./VI.
m(F) 1., 2./VII.
IV (F) 5., 7./VII.
I
V(R) 14,15.,16./VII
VI(R) 21.,22.,28./VIL
O 0
Fett I
Kohlen- l
bydrate \
Fett I
Kohlen- /
hydrate \
Fett I
Kohlen- f
hydrate \
Arbeit
Rabe
Arbeit
Rahe
Arbeit
Ruhe
Arbeit
Ruhe
Arbeit
Rahe
Arbeit
Rahe
5 §.9
t— ( OQ
4
20
8
21
3-
20'
2'
21-
4
20
4
20
Pro 1 Stande der Ver-
Buchsperiode wurden
mit dem Harn entleert
N
ingrm
n Chem.
. Z. Ener».
in grm inc^u
0*4166,0«
0'5909
0-3423
0*4072
2510
4616
2850(?)
3995
0-4579 0'3943
0«65240«5014
0«4429;0-5048
0*5065 0-4884
0-6477
0-4562
0-6903
0-4753
0-3586
0-3569
0-2883
0-2656
355
590
933
736
829
2085
849
722
599
921
438
294
Cal.
N
C_
N
23
46
48
63
54
52
20
80
64
58
38 0
42
691
781
838(?)
981
861
76»
140
964
703
689
995
0-921
Kilogramm-Calorien .
Digitized by
Google
Eneboieoehalt des mbnsohliohen Habnbs.
259
Tabelle ü.
Mr. der
Ver-
Datom nnd
Tage der
Versuchsreihe
In der
Nahrung
waren vor-
wiegend
Der in 24 Stunden entleerte
Harn enthielt
Cal.
N
C
snolis-
reihe
N
in grm
C
in grm
Chem.
Energie in
Ctlorten»
N
I(F)
n(P)
m(F)
IV (P)
V(R)
vi(ß)
31./V., 2., 8./VI.
8., 10., ll./VI.
1.. 2./VIL
5., 7./VII.
14., 15., 16./VII.
21., 22., 23./Vn.
Fett
Kohlenhydrate
Fett
Kohlenhydrate
Fett
Kohlenhydrate
13-272
9-578
14-977
11-996
16-397
7-139
10-236
9-245
11-668
11-762
11-327
6-788
125-22
111-26
144*184
137-650
140-812
85-160
9-43
11-62
9-63
11-47
8-59
11-93
0-771
0-965
0-779
0-981
0-691
0-944
Bevor ich auf die BespreohnDg dieser Tabellen eingehe, möchte ich
noch darauf hinweisen, dass durch die Bepirationsversuche der Hrn. Prof.
J. Frentzel und Dr. Reach unzweifelhaft festgestellt wurde, dass in diesen
Versuchsreihen wirklich Kohlenhydrate bezw. Fett am Stoflfwechsel den über-
wiegenden Antheil hatten. Als Beweis dessen seien nachstehend die von
Hm. Prof. Frentzel mir freundlich mitgetheilten durchschnittlichen respira-
torischen Quotienten der Arbeits- und Ruheperiode je einer Versuchsreihe
angeführt:
Bezeichnung
der Versuchsreihen
Ueberwiegende
Ernährung mit
Respirat.-Quotient in der
Arbeitsperiode t Ruheperiode
Versuchsreihe I . . . .
Fett
0-767
0*779
II ... .
Kohlenhydraten
0-896
0-876
III ... .
Fett
0-773
0-759
IV ... .
Kohlenhydraten
0-880
0-889
V . . . .
Fett
0-766
0-752
VI ... .
Kohlenhydraten
0-901
0-921
Betrachten wir nun zunächst die Zahlen der Tabelle II. Die abso-
luten Werthe für C-, N- und Energie-Gehalt des 24 stündigen Harnes wollen
wir ausser Acht lassen, weil die Nahrungsaufiiahme quantitativ nicht be-
stimmt und der Menge nach ganz willkürlich und die Ausgaben mit dem
Kothe ebenfalls unbekannt waren. Wie bereits erwähnt, handelte es sich
ja nicht um Bilanzversuche, sondern es kam mir nur darauf an, Aufschluss
darüber zu erhalten, wie sich unter den gegebenen Verhältnissen die Quo-
tienten -~- und -^ verhalten (-^ soll im Folgenden „Calorischer Quotient
des Harnes" und -^ „Kohlenstoff- Quotient des Harnes" genannt werden).
Kilogramm-Calorien.
17^
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260 F. Tangl:
Beide Quotienten sind, wie ein Blick auf Tabelle II beweist, in den Ver-
suchsreihen mit überwiegender Ernährung mit Kohlenhydraten ohne Aus-
nahme bedeutend grosser als in den Fettreihen. Während in den Fettreihen
der calorische Quotient zwischen 8-59 bis 9-63, der Kohlenstoffquotient zwi-
schen 0*691 bis 0-771 schwankte, schwanken sie in den Kohlenhydratreihen
zwischen 11*5 bis 11-9 bezw. 0-944 bis 0-981. Es ergiebt sich daraus, dass
beim Menschen bei Zufuhr grosser Mengen von Kohlenhydraten, also bei
überwiegender Ernährung mit Kohlenhydraten sowohl der calo-
rische Quotient (-^-) als auch der Kohlenstoffquotient f^j
des Harnes stets grösser ist als bei überwiegender Ernährung
mit Fett
lieber den calorischen Quotienten des Harnes fand ich in der Litteratur
nur wenig Angaben. Rubner (6), der am Harn die ersten calorimetrischen
Bestinmiungen, allerdings nicht mit der Berthelot'schen Bombe ausführte,
fand bei einem Hunde bei reiner Eiweissfütterung, dass im 24 stündigen
Harne auf 1 »™ N 6-69 Cal. fallen, also ^ = 6-69. In einer anderen
Arbeit giebt Rubner (7) an, dass ein kleiner Hund, der täglich 80 »™
frisches Fleisch und 30 ^™» Speck erhielt, in 12 Tagen mit dem Harne
30 ^"° N entleerte und dass die Verbrennungswärme des Harnes 223 • 5 Cal.
Cal
betrug. Also ist -^- = 7-45.
Noch eine Angabe konnte ich für den calorischen Quotienten, und zwar
für den des Ochsenhames finden. Bei den bereits erwähnten schönen, für
calorimetrische Harnuntersuchungen grundl^enden Untersuchungen Kell-
ner's (4), bei welchen er die calorimetrische Methode in wahrhaft muster-
gültiger Weise für Stoffwechselversuche benutzte, ermittelte er aus je einer
längeren Versuchsreihe für den 24 stündigen Harn des Ochsen folgende
Durchschnitts werthe :
Ochse A
(Ffttterong mit Wiesenhen)
N = 61.28ef™
C = 203-2 „
Cal. = 1945.0 Cal.
Ochse B
(Fattemng mit Wiesenhen a. Haferatroh)
46-63«™
161.3 „
1549-4 Cal.
Daraus berechnet sich:
33-2
S = ä-82
3-46
Die Ton Rubner beim Hunde gefundenen calorischen Quotienten Rind
also kleiner, die von Kellner beim Ochsen gefundenen grösser, als die von
mir beobachteten.
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ENEBGISaEHALT DBS MENSCHLICHEN ELlBNES. 261
Viel zahlreicher fioden sich in der Litteratur Angaben über den Kohlen-
stoffquotienten, dem neuerdings erhöhtes Interesse zugewendet wird. Erst
kürzlich hat Scholz beim Menschen das Verhalten dieses Quotienten unter
physiologischen (8) und pathologischen (9) Verhältnissen untersucht und aus
der Litteratur die hierauf bezüglichen Daten gesammelt Daraus ist ersicht-
lichy dass nach den Befunden von Voit und Pettenkofer, Bubner,
Frz. Meyer die Werthe beim Hunde, bei Hunger,* bei Fütterung mit
Fleisch, mit Fleisch und Speck, mit Fleisch und Starke, mit Brod zwischen
0-45bisO*81 schwanken.— Ein 71 ^« schwerer Mann entleerte, wie Petten-
kofer und Voit (10) ermittelten, bei Hunger 12-51 ff™ N und 8.25 ^ C,
bei reichlicher gemischter Kost 17 «35^" N und 12*60^^ C, daraus ergeben
sich: -^ 0-66 und 0-73. Nach J. Munk (11) schwankte beim Hunger-
künstler Breithaupt an den Hungertagen der Quotient -tt- zwischen 0-68
und 0.95, an den Esstagen zwischen 0-76 und 0-84. Bei Bouchard's (12)
17 Versuchspersonen variirte der Quotient zwischen 0-64 und 1.12.
Scholz (8) fand ihn bei gesunden Menschen zwischen 0*68 bis 0-95. In
den zwei bereits angeführten Versuchsreihen Kellner 's (4) an Ochsen war
der Kohlenstoffquotient 3-32 und 3-46. In älteren Versuchen der Ver-
suchsstationen Möckern — mitgetheilt von Kellner (13), die ebenfalls
an Ochsen ausgeführt wurden, variirte er zwischen 2-69 bis 3*49. Die eben-
falls für Ochsenham angegebenen Werthe Henneberg's (8) schwanken
zwischen 1 -8 bis 4- 1. In 4 Versuchsreihen von Zuntz und Hagemann (14)
war im Harn des Pferdes ~- = 1-56, 1-57, 1-72, 1-59.
Aus den angeführten Angaben ist es ersichtlich, dass die Kohlenstoff-
quotienten meiner Versuchsreihen innerhalb jener Grenzen schwanken,
welche die Untersuchungen Anderer für den Harn des Menschen ergaben.
Nur die Quotienten des Harnes der Pflanzenfresser sind bedeutend höher,
während beim Hunde bedeutend niedrigere beobachtet wurden.
Meine Versuche ergaben aber in ganz deutlicher Weise einen Zu-
sammenhang zwischen der Grösse des Kohlenstoffquotienten (und auch des
calorischen Quotienten) und der Ernährungsweise, während bisher ein solcher
Zusammenhang, so weit mir bekannt, deutlich nicht constatirt worden ist.^
Scholz (8) suchte die Bedingungen zu ermitteln, welche die Schwankungen
des Quotienten -jj. beherrschen. Er versuchte den Quotienten durch ver-
* Eb ist vielleicht nicht überflüssig, zo erwähnen, dass auch daran gedacht wurde,
ob nicht etwa in den Eohlenhydratreihen unveränderter Zucker in den Harn übergeht
und der ^ - Quotient nur deshalb ansteigt. Es fand sich aber kein Zucker im Harn,
wie es durch directe Untersuchung festgestellt wurde.
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262
F. Tangl:
schiedene Art der Ernährung anders zu gestalten. Bei seiner Versuchs-
person liess er auf eine Periode gewohnter, gemischter Diät ^^Excesse in
der Aufnahme von Eiweisskörpem und hierauf solche in der Zufuhr von
Kohlenhydraten und des Fettes folgen^^ In der ersten Periode schwankte der
Quotient zwischen 0-76 bis 0-95, bei „Eiweisseicess" zwischen 0.75 bis 0-94
und bei Excess in Kohlenhydraten und Fett zwischen 0-73 bis 0-87. Scholz
bemerkt zu diesen seinen Versuchen: ,, Einen durchsichtigen Einflnss der Art
der Ernährung vermochte ich nicht nachzuweisen," und sagt dann weiter-
hin: „auch ältere ähnliche Versuchsreihen von Voit und Pettenkofer
lassen eine Beeinflussung des Verhältnisses -^ bei verschiedener Ernährung
nicht erkennen." Dass Scholz den von mir beobachteten deutlichen Ein-
fluss der Kohlenhydrate und des Fettes nicht sah — (über den Einfluss
des Eiweisses besitze ich keine eigenen Erfahrungen) — daran war wohl
seine Versuchsanordnung Schuld, denn er gab Fett und Kohlenhydrate
gleichzeitig in grosser Menge. Da aber diese, wie meine Versuche er-
gaben, den Quotienten -^ in entgegengesetzter Richtung beeinflussen, so
wurde die Wirkung beider nicht augenscheinlich. Dabei dürfte auch der
Umstand von Einfluss gewesen sein, dass in meinen Versuchen die Eiweiss-
zufuhr eine massigere war, als bei Scholz. — Beim Hunde müsste es auch
erst mit einer geeigneteren Versuchsanordnung festgestellt werden, ob durch
Fett und Kohlenhydrate der Kohlenstofl"-Quotient nicht in ähnlicher Weise
beeinflusst werden kann wie beim Menschen, denn dass die Kohlenhydrate
bei Pflanzenfressern und Omnivoren den Quotienten in derselben Weise be-
einflussen, wie ich es beim Menschen constatirte, lässt sich aus Versuchen
von Kellner und Meissl leicht ableiten, am schlagendsten wohl aus den
bekannten schönen Versuchen MeissPs, die er an Schweinen anstellte.
Wie Kellner (13) mittheilt, wurden 2 Ochsen einmal mit Heu und
dann mit Heu und Stärke gefüttert. Für den O und N-Gehalt des Harnes
fand er folgende Werthe:
Daraus berechnet sich:
FütteruDg
C
N
c
N
Oohse I:
Heu
201-4
74-9
2-49
1. Heu und Stärke . .
209-2
67-1
8-12
2. Heu und Starke . .
214-2
67-1
8-14
Ochse U:
Heu
195-0
65-9
2-96
Heu und Stärke .
190-4
54-5
1 3-49
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EnSBGIEQEHALT des MEKSCHIilOHEN HaBNES.
263
Also bei Zusatz von Starke zum Heu erhöhte sich der Kohlenstoff-
quotient
Aus den Durchschnittswerthen für den C- und N-Gehalt des Harnes
des Schweines, welche Meissl (15) auf S. 133 seiner Arbeit in einer
Tabelle zusammengestellt hat, berechnete ich folgende Werthe für den
Quotienten -^ :
Füttenug
Nährstoffverhältniss
im Futter = N^^ : N^
N
Reis
Reis
Gerste
Fleischmehl, Reis und saure Molke
1:11«3~13«7
1 :ll«3-13-7
1:7
1:2-44
1-04
1*17
0'971
0«568
Hanger
Durchschnitt von 8 Tagen
1. Tag
2. Tag
8. Tag
0«766
0'846
0-960
0-743
Je weiter das Nährstoffverhältniss im Futter war, je mehr also die
Menge der N-freien Substanzen — der Kohlenhydrate — das Eiweiss über-
wog, desto grösser wurde der Quotient. Werden die Kohlenhydrate, wie im
Hunger, ganz entzogen, so sinkt der Quotient ebenfalls, und zwar, wie es
scheint, mit fortschreitendem Hunger immer mehr. Beim hungernden
Schwein finden wir dann ähnliche Werthe, wie beim hungernden Menschen,
oder hungernden Hunde. Auch beim hungernden Kaninchen war der Quo-
tient nicht grösser; Bubner (16) fand ihn bei einem Kaninchen am
3. Hungertage bei 0-7956; bei zwei Carenzkaninchen May's (17) schwankte
er zwischen 0-708 und 0-823.
Mit Rücksicht auf die geringe Zahl und die Unvollständigkeit meiner
Versuche verzichte ich jetzt auf eine eingehendere Erörterung der Ursachen
Cal
des in meinen Versuchen beobachteten Verhaltens der Quotienten -^,-und
n
-TjT , die für die Beurtheilung der Stoffwechselvorgänge eine grössere Bedeu-
tung haben dürften. Dazu sind doch vor Allem genaue Bilanzversuche
nöthig, auch müsste erst der Einfluss der Eiweisszufuhr festgestellt werden,
worüber meine Versuche gar keinen Aufechluss geben. Ich möchte nur
noch bemerken, dass der Gehalt des Harnes an Harnstoff da jedenfalls eine
Ausschlag gebende Bedeutung haben dürfte, wo er mit seinem relativ hohen
N- und geringen Energiegehalt die Grösse der -r^- und ^-Quotienten des
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264
F. Tangl:
Harnes in erster Reihe bestimmt. (Für den Harnstoff sind: ^ = 0.43 und
Cal
-^ = 5-42.) Dass neben dem Harnstoff auch die Menge der anderen
C-reichen und N-armen organischen Verbindungen, besonders wenn sie wie
im Harn der Pflanzenfresser z. B. die Hippursaure in relativ grosser Menge
auftreten, entscheidend sein kann, ist selbstverständlich. (Für die Hippar-
Cal.
saure sind -^^j- = 7-71 und -^ = 72-4.) Der hohe Gehalt des Pflanzen-
fresserhames, speciell des Ochsenharnes, an Hippursaure dürfte auch die
C Cal
bedeutende Grosse der Quotienten -^^ und -r^ dieser Harne bedingen. Nicht
unwichtig für weitere Untersuchungen ist eine Angabe von Pregl (18),
die er unlängst in einer sehr beachtenswerthen Arbeit machte, dass nämlich
c
der hohe, d. h. im Verhältniss zum -^ -Quotienten im menschlichen Harn,
Werth des Kohlenstoffquotienten im menschlichen Harn zum Theil auf die von
Bondzynski und Gottlieb entdeckte Oxyprotelnsäure zurückzuführen ist
Betrachten wir nunmehr Tabelle I, welche eine Vergleichung der
Quotienten -^ und -^ während der Ruhe und während der Arbeit zulässt-.
Ich beschränke mich auch hier auf die Besprechung dieser Quotienten, da
die absoluten Werthe für den C-, N- und Energiegehalt des Arbeits- und
Ruhehames, soweit sie für die Beurtheilung der Stoffwechsel Vorgänge von
Bedeutung sind, in der Arbeit der Hm. Prof. J. Frentzel und Dr. Reach
entsprechende Würdigung finden werden. Wie die Daten der Tab. I be-
weisen, variiren die Quotienten:
Cal.
" N
Arbeit
während der
Rahe
In den: ||
Pettreihen . . . || 8«644— 10«54
Kohlenhydratreihen i|ll«48 — 13'20
c^
N
Arbeit
während der
I Rnhe
8«577— 9*519 I 0«69l-0«861 ! 0'689-O-781
n«30 — 11«63 1 0-838-l'l40 0'92l-O-981
Ohne Weiteres ist aus diesen Zahlen ersichtlich, dass der calorische
Quotient und der Kohlenstoffquotient auch während der Arbeit ebenso wie
während der Ruhe ihre für die Kohlenhydrat- bezw. Fetternährung charak-
teristische Grösse beibehalten. Es bleiben also die Quotienten der Fettreihe
auch während der Arbeit bedeutend kleiner als die Quotienten des Arbeits-
hames der Kohlenhydratreihen. Allerdings sind beide Quotienten während
der Arbeit — in den Fett- als auch in den Kohlenhydratreihen — meist
etwas grösser als in der Ruhe, wir finden aber auch das Gegen theil. Wir
können also aus unseren Beobachtungen folgern, dass die Quotienten
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Enebgiegbhalt des menschlichen Habnes. 265
Cal C
-vr^und ns^ des Harnes sich während der Muskelarbeit ebenso
N N
wenig verändern wie die respiratorischen Quotienten (s. S. 259).
Welche Bedeutung hat nun diese Thatsache? Wir sahen, dass die
fraglichen Quotienten des Harnes in dem Falle, wenn im Stoffwechsel vor-
wiegend Kohlenhydrate verbraucht werden, bedeutend höher sind als bei
vorwi^endem Fettverbrauch. Würden also unter allen Umständen, also auch
bei überwiegender Fettzufuhr, während der Muskelarbeit die Kohlenhydrate
als Quelle der Muskelkraft dienen — wie es Seegen und Chaveau an-
C Cal
nehmen — , so wäre zu erwarten, dass die Quotienten -^ und -p,~ wäh-
rend der Muskelarbeit auch in den Fettreihen die Werthe annehmen, die
für die Kohlenhydratreihen charakteristisch sind, oder sie müssten wenigstens
bedeutend, jedenfalls um einen grösseren Betrag als in den Kohlenhydrat-
reihen, sich erhöhen. Das findet nun ebenso wenig statt wie eine Erhöhung
C Cal
des respiratorischen Quotienten. Die Gleichheit der Quotienten -j^- und -^-
verträgt sich also sehr gut mit der von Zuntz (19) und seiner Schule auf-
gestellten und mit Erfolg vertretenen Theorie, dass bei Ruhe und bei Arbeit
dieselbe Mischung von Nährstoffen umgesetzt wird. Bei vorwiegender Ernäh-
rung mit Fett wird also dieser Theorie entsprechend die zur Leistung einer
Arbeit nöthige Energiemenge hauptsächlich durch Verbrennung von Fett, bei
Kohlenhydraternährung durch Verbrennung von Kohlenhydraten gewonnen.
Meine Untersuchungen gestatten es nichts mich in weitere Erörterungen
einzulassen; diese seien eingehenderen und umfassenderen Arbeiten, die be-
reits begonnen sind, vorbehalten. Die mitgetheilten Versuche sollten ja
auch nur über die von der eingeschlagenen Richtung zu erwartenden Er-
folge Orientiren. Die bereits erlangten Resultate sprechen jedenfalls für ein
eifriges Weiterforschen auf diesem Wege.
Die Ergebnisse meiner Untersuchungen lassen sich kurz in folgende
Sätze zusammenfassen:
1. Die Quotienten -^ und -^ des Harnes sind bei überwiegender Er-
nährung mit Kohlenhydraten bedeutend grösser als bei vorwiegender Er-
nährung mit Fett. Sie können also durch die Ernährungsweise deutlich
beeinflusst werden. Unter den angegebenen Bedingungen ändern sich dabei
beide Quotienten in gleichem Sinne.
% Beide Quotienten ändern sich während der Arbeit nicht, was in
Uebereinstimmung mit den Ergebnissen des respiratorischen Gaswechsels
gut vereinbar ist mit der von Zuntz und seiner Schule aufgestellten Theorie,
dass „bei Ruhe und bei Arbeit dieselbe Mischung von Nährstoffen umge-
setzt wird", also jene Nährstoffe, die im Organismus in der nöthigen Menge
gerade zur Verfügung stehen.
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266 F. TakGL: ENEBOIEaEHALT DES MBN8GHLI0HEK HaBNBS.
Litterataryerzelchiiiss.
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und Pharmakologie, Bd. XL. S. 326.
10. Voit, Hermann's Handbuch der Physiologie, Bd. VI. S. 512.
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F.Müller, I. Munk, H.Senator und N. Zuntz. Virchow's Archiv, Suppl.-Bd.
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für Biologie, Bd. XXII. S. 63.
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nach Versuchen an Menschen. Dies Archiv, 1897. Physiol. Abthlg. S. 535.
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Ein Beitrag zur Frage nach der Quelle des Milchfettes.
Von
Dr. Wilh. Caspari,
AMisteiitttn de« Institatei.
{Ans dem thierphysiolog. Institut der landwirthschaftl. Hochschule zu Berlin.)
Zu den Fragen, welche noch immer einer exacten Beantwortung harren,
gehört diejenige nach dem Ursprünge des Milchfettes. Die zahlreichen Ver-
suche, welche über den Fettgehalt der Milch bei verschieden zusammen-
gesetzter Nahrung vorliegen, sind nicht geeignet, über die Abstammung des
Milchfettes befriedigenden Aufschluss zu geben. Zwar ist wohl als sicher
feststehend anzunehmen, dass durch grösseren Eiweissgehalt der Nahrung
der Gehalt der Milch an Fett steigt, doch ist damit noch nicht erwiesen,
dass diese in erhöhtem Maasse zugefuhrten Eiweissstoffe in der That auch
die directen Büdner des Milchfettes sind.
Andere Versuche haben es in hohem Grade wahrscheinlich gemacht,
dass das Fett der Milch zum Theil aus der Nahrung stammt. Zwar sind
die Arbeiten von Stutzer, Sebelien, Fleischer, Kühn, Stohmann u. A.,
welche sich mit der Frage beschäftigen, ob durch Erhöhung des Fettgehaltes
des Futters eine Vermehrung des Milchfettes bewirkt wird, nicht zu ver-
werthen, da sie sich in ihren Resultaten allzu sehr widersprechen. Auch
die Versuche von Soxhlet* lassen keinen sicheren Schluss zu, ob Fett aus
der Nahrung in die Milch übergegangen ist Der Autor selbst verneint es,
ist vielmehr anf Grund seiner Untersuchungen der Ansicht, dass zwar das
Fett des Putters den Fettgehalt der Milch steigere, aber nicht dadurch,
dass das Nahrungsfett direct in die Milch übergehe, sondern dadurch, dass
vermehrter Uebertritt von Körperfett statthat.
Dagegen scheinen eine Anzahl anderer Versuche den unmittelbaren
Uebertritt des Futterfettes in die Milch zu beweisen. Dieselben haben das
* Ueber Erzeugung fettreicher Milch. Wochenbl. landw, Vereine Bayerns, 1896.
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268 WiLH. Caspabi:
Gemeinsame, dass die Verfasser Dicht sowohl durch die Vermehrung des
Milchfettes bei erhöhtem Fettgehalte der Nahrung die Herkunft desselben
aus dem Fette des Futters beweisen wollen, sondern vielmehr dadurch, dass
sie Fette mit besonderen öhemischen Eigenschaften verfüttern und unter-
suchen, inwieweit dann das Milchfett dem Nahrungsfette ähnelt
So verfütterte Klien^ an Milchkühe Palmkemfett und Eüböl, und
wies nach, dass der Schmelzpunkt des Milchfettes sich demjenigen der ver-
fütterten Fettart näherte. Dasselbe fand Heinrich* bei Fütterung mit
Cocosfett Auch F. Lehmann* verfütterte Kopra und glaubte den üeber-
gang dieses Nahrungsfettes in die Milch nachweisen zu können.
Deutlicher als bei Verfütteruug von Fett, welches sich von dem des
betreflenden Thieres im Wesentlichen nur durch den veränderten Schmelz-
punkt unterscheidet, liess sich der Uebergang des Nahrungsfettes in die
Milch durch Versuche von Winternitz* constatiren.
Derselbe verwandte nämlich ein von ihm hergestelltes Präparat, welches
er als „Jodfett*' bezeichnete und das jetzt auch unter dem Namen „Jodipin^^
von der Firma Merck -Darmstadt in den Handel gebracht wird. Dasselbe
wurde in folgender Weise dargestellt. Winternitz schüttelte das be-
treffende Fett, welches als Grundlage des Jodfettes dienen sollte, mit Jod-
monochlorid in einem grossen Volumen Alkohol bei 40 bis 50** kräftig
durch und trennte das so erhaltene Jod-Chlurfett vom Alkohol. Es bildet
sich, nach Ansicht des Autors, auf diese Weise eine feste Fettverbindung,
in dem die Fettsäuren Jod und Chlor in äquivalenten Mengen addiren.
Dies wird durch zwei italienische Forscher, Coronedi und Marchetti,*
bestätigt, welche gleichzeitig und unabhängig von Winternitz in ähnlicher
Weise eine Jodchlorstearinsäure darstellten.
Mit seinem Jodfette fütterte nun Winternitz Ziegen und fand, dass
im Aetherextracte der Milch Jod nachweisbar war, woraus er den Schluss
zieht, dass diese jodirten Fette aus der Nahrung in die Milch über-
gegangen seien.
Bendix® hat diesen Versuch gleichfalls mit positivem Resultate am
' Chemisches CentralblatL 1889. S. 722.
' Bericht über die YerhältDisse nnd Wirksamkeit der VersachsstatioD zu Kostock.
Citirt Dach Centralhlatt für Agricullur- Chemie, 1896.
" Baltische Wochenschrift für Landwirthschaft. 1896. Nr. 3.
^ Findet ein onmittelbarer Uebergang von Nahrangsfetten in die Milch statt?
Deutsche medicin, Wocherischrift. 1897. Nr. 30. — üeber Jodfette und ihr Verhalten
im Organismus, nebst Untersuchungen über das Verhalten von Jodalkalien in den
Geweben des Körpers. Zeitschrift für physioL Chemie, 1898.
^ Pharmakologische Untersuchungen über das Jod und neuer Beitrag zur physio-
logischen Chemie der Fette. Annali chim. farm. Vol. XXIV. p. 438.
® Deutsche medicinische Wochenschrift. 1898. Nr. 14.
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Edu Beitbao züb Frage nach deb Quelle des Milohfettes. 269
säugenden Weibe angestellt und kommt auf Orund seiner Untersuchungen
zu den gleichen Folgerungen wie Winternitz.
Andere Forscher haben geglaubt, aus ihren Versuchen schliessen zu
dürfen, dass Fett aus den Eörperd6p6ts in die Milch übergehen kann.
Die diesbezügliche Arbeit von Soxhlet habe ich bereits erwähnt Ausser
ihr ist hier noch diejenige von Bosenfeld^ zu nennen, welcher bei einem
Hunde Hammelfett zum Ansätze* brachte und nachwies, dass dieses dann
aus den Eorperd6p6t8 in die Milch überging.
Im Folgenden möchte ich über einige Experimente berichten, welche ich
auf Anregung meines sehr verehrten Lehrers und Chefs, Hrn. Prof, Zuntz,
angestellt habe, in der Absicht, die Frage nach der Herkunft des Milch-
fettes der Klärung etwas näher zu bringen, und den Versuch zu machen,
wenigstens einen annähernden Begriff von den quantitativen Verhältnissen
des Fettes verschiedener Herkunft in der Milch zu geben.
Ich folge bei diesen Versuchen im Wesentlichen den von Winternitz
eingeschlagenen Wegen. Ich verwandte also ein 1 proc. Jod-Sesamöl, welches
mir durch Vermittelung des Hrn. Dr. Winternitz, dem ich auch sonst
für seinen liebenswürdigen Rath zu Danke verpflichtet bin, von der Firma
Merck in freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde. Es wurde ein
Fett mit niedrigem Jodgehalte deshalb gewählt, weil Winternitz con-
statirt hat, dass höherwerthige Jodfette schlecht resorbirt und ausge-
nutzt werden.
Bevor aber zu den eigentlichen Versuchen geschritten werden konnte,
musste festgestellt werden, ob im Körper eine Synthese von Jodfetten in
in irgend erheblichem Grade möglich ist. Denn es ist klar^ dass, wenn
eine solche Synthese in irgend ausgedehnterem Maasse statt hätte, aus dem
Auffinden von Jodfetten in der Milch für die Herkunft derselben kein An-
haltspunkt vorläge. So hat, wie ich aus der Arbeit von Winternitz er-
sehe, Barral nach der Einführung von Jodkali in der Butter Jod nach-
weisen können. Winternitz kann diese Angabe bestätigen, konmit aber
zu dem Resultate, dass die vom Milchfett bei Jodkaligebrauch addirten
Mengen Jod so klein sind, dass sie die in den Jodfett-Versuchen ermittelten
Zahlen nicht beeinflussen können.
Ich selbst suchte festzustellen, ob bei Fütterung mit einer Jodalkali
und freies Jod enthaltenden Lösung unter günstigen Bedingungen der Fett-
ablagerung ein Ansatz von Jodfetten im Körper statt hat Denn nachdem
der Ansatz fremden Fettes im Thierkörper durch die Versuche von Lebe-
^ Giebt es eioe fettige Degeneration? Verh, des Congressea für innere Mediein,
1897. S. 427.
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270 WhiH. Cabpam:
deff,' I. Munk,^ Bosenfeld,^ und für das Jodfett speciell auch doich
Winternitz nachgewiesen war, konnte man erwarten, dass, wenn überhaupt
eine Synthese von Jodfett im Körper statt hatte, diese sich unter diesen
Umstanden durch den Nachweis von Jodfetten in den Fettdepots des
Thieres würde nachweisen lassen. Ich liess daher einen kleinen Hund von
7700 fi^ Gewicht mehrere Tage hungern und gab ihm dann nur unzu-
reichende Mengen mageren Fleisches. Als der Hund auf diese Weise nach
IStägiger Unterernährung 900«^™ seines Körpergewichtes verloren hatte,
erhielt er nunmehr zu seiner bisherigen Kost eine sehr erhebliche Fettzolage.
Zu diesem Futter bekam er per Schlundsonde zwei Mal des Tages je 15«™
einer LugoTschen Lösung, welche auf 300 »f^ Wasser 1*5^™ Jod und
die doppelte Menge Jodkali enthielt Diese Lösung wurde stets unmittelbar
nach Aufnahme des Futters eingegeben, das zu diesem Zwecke in mehreren
Portionen verabfolgt wurde, um so einer Beizung der Magenschleimhaut
vorzubeugen. Mit dieser Kost wurde am 1. Juni 1898 begonnen, bereits
am 2. Juni zeigten sich geringe Spuren von Eiweiss im Urin und am 8.
nöthigten schwerere Vergiftungserscheinungen zum Abbrechen des Versuches.
Der Hund hatte in den 7 Tagen 0-7*^^ Jed, l-4«f™^ Jodkali und etwa
600^™* Fett zu sich genommen.
Das Thier wurde an demselben Tage geschoren, die Haare nach Aus-
kochen mit Alkohol durch Aether extrahirt und die ätherische Lösung auf
ihren Jodgehalt untersucht, weil Howald^ in dem Fette der Haare nach
Gaben von Jodkali Jod nachgewiesen hatte, was übrigens von Winternitz
bestätigt wird. Dagegen war das Resultat meiner Untersuchung völlig negativ.
Hierauf wurde dem Hunde per laparotomiam das Omentum exstiipirt,
welches ausserordentlich reich an Fett war, wie denn überhaupt der Hund
sich während der 7 Tage stark angemästet und fast sein Anfangsgewicht
wieder erreicht hatte. Aber auch die Untersuchung des Netzfettes ergab
keine Gegenwart von Jod, so dass also in diesem Falle eine Synthese von
Jodfetten im Körper nicht nachweisbar war.
Später habe ich, um ganz sicher zu gehen, dann noch untersucht, ob
bei Einführung von Jodalkali und sehr fettreichem Futter eine Ausscheidung
von Jodfett in die Milch statt hatte. Diese Probe wurde am Schlüsse des
Versuches angestellt, zu ersetzen durch: „welcher Gegenstand dieser Mit-
theilung sein soll".
Nachdem die Hündin, welche zu diesem Versuche gedient hatte, längere
Zeit hindurch kein Jod mehr erhalten hatte, und auch ihr Urin jodfrei
geworden war, erhielt sie bei einem Futter von 500^™* Pferdehackfleisch,
» Centralhlatt für medic. WUsenschqften, 1882. Nr. 8.
* Virchow's Archiv, 1884. Bd. XCV. » A. a. O.
* Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. XXIII. S. 209.
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Ein Bettbao zub Fbagb nach beb Quelle des Milohfettes. 271
50 p™ Fleischmehl und 200»™ Fett täglich in einer Lösung 0.33«^ Jod-
kalL In dem Fette der Milch konnte ich niemals mit Sicherheit Jod nach
der weiter unten beschriebenen Methode nachweisen; nur einmal war das
Chloroform, welches zur Ausschüttelung benutzt wurde, etwas gelblich ver-
färbt Es waren also vielleicht Spuren von Jodfett in der Milch vorhanden,
doch wäre damit noch nicht bewiesen, dass in der That eine Synthese des
Jodfettes stattgefunden hat, da nicht ausgeschlossen ist, dass sich damals
noch von der voraufg^^angenen Fütterung Jodfette im Körper befanden.
Dagegen scheint mir, im Einklänge mit den Erfahrungen von Winternitz
dadurch bewiesen zu sein, dass jedenfalls die Synthese von Jodfetten im
Körper, wenn sie vorhanden sein sollte, so gering ist, dass sie für das Re-
sultat des Versuches nicht in Betracht kommt
Nach Betrachtung dieser Vorversuche erscheint es an der Zeit, auf die
Absicht des Versuches selbst näher einzugehen und seinen Plan zu erläutern.
Die zum Versuche verwandte Hündin erhielt in der ersten Periode bei
einem Futter, welches eben ausreichte, um sie auf ihrem Körpergewichte
zu erhalten, Jodfett, und zwar neben möglichst geringen Gaben anderen
Fettes. Da eine Synthese von Jodfett im Körper nach den obigen Ver-
suchen nicht mit in Rechnung zu ziehen ist, so muss das Jodfett der Milch
aus der Nahrung stammen und stellt die für Jodfett gefundene Zahl den
Minimalwerth des unmittelbar aus der Nahrung in die Milch übergegangenen
Fettes dar. Denn es ist klar, dass noch mehr Fett unmittelbar aus der
Nahrung der Milch zu Gute kam, dieses aber durch das Alkali des Blutes
sein Jod und Chlor abgespalten hat, wie denn auch das Serum der Milch
reich an Jodalkali war. Zudem war es ja nicht zu vermeiden gewesen,
dass auch jodfreies Fett in der Nahrung gereicht wurde. Wenn ferner aus
der gefundenen Jodzahl das Jodfett unter der Annahme berechnet wurde,
dass das als Jodfett übergegangene Fett unverändert geblieben sei, also
1 Procent Jod enthalte, so entspricht aller Wahrscheinlichkeit nach diese
Annahme den Thatsachen nicht völlig. Doch hat Winternitz für die
abgelagerten Jodchlorfette nachgewiesen, dass sie mehr Chlor, als der Jod-
menge äquivalent ist, enthielten. Da unbedenklich anzunehmen ist, dass,
wenn die Jodfette nicht unverändert in die Milch übergingen, sie im Darm-
canal und Blute dieselben Veränderungen erlitten, wie die im Körper an-
gesetzten Fette, so ergiebt sich auch in dieser Beziehung, dass bei der
Berechnung auf 1 Procent wenn nicht eine der gefundenen Jodzahl ent-
sprechende Menge Fett, so doch sicher eine zu niedrige Zahl für den Gehalt
der Milch an Nahrungsfett gefunden worden ist Hieraus folgt, dass
die für in der Milch enthaltenes Jodfett gefundenen Zahlen
zwar nicht als absolute zu betrachten sind, wohl aber alsMini-
malwerthe für die Menge des Nahrungsfettes in der Milch.
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272 WiLH. Caspabi:
Um nun zu bestimmen, wie viel unter denselben Umstanden von dem
im Körper vorhandenen Fette in der Milob erscheint, wurde in einer zweiten
Versuchsreihe das Jodfett durch Schmalz ersetzt, in der wohl berechtigten
Annahme, das dann erscheinende Jodfett müsse aus dem während der
ersten Periode im Körper angesetzten Materiale stammen. Auch hier sind
die Zahlen als Minimalwerthe anzusehen.
Es wurden alsdann noch zwei Yersuchsreihen angestellt, bei denen
das Erhaltungsfutter durch kohlehydratreiche Nahrung ersetzt wurde, um
festzustellen, ob sich bei dieser Diät mit und ohne Beigabe von Jodfetten
die Jodmenge im Aetherextracte der Milch anders verhielte, als bei kohle-
hydratarmem Futter.
Die Methode der Untersuchung war im Allgemeinen an Baumann's^
und Winternitz' Angaben angelehnt. In der abgemolkenen Milch wurde
nach Behandlung mit Alkohol das Fett nach Soxhlet extrahirt, der Aether
verjagt und der Rückstand gewogen. Nach dem Wägen wurde das Fett
mit alkoholischer Kalilauge verseift, der Alkohol auf dem Wasserbade mög-
lichst verjagt und durch Zusatz von verdünnter Schwefelsaure die Fett-
säuren zur Abscheid ung gebracht Hierbei wurden einige Tropfen schwefliger
Säure hinzugefügt, um die Bildung von jodsaurem Alkali zu vermeiden.
Es wurde dann von den Fettsäuren abfiltrirt, die Säuren wiederum verseift,
nochmals mit Schwefelsäure angesäuert und filtrirt Die vereinigten Fil-
trate wurden auf ein gemessenes Volumen aufgefQUt und, nachdem das
Jod durch Kaliumnitrit in Freiheit gesetzt worden war, mit Chloroform
ausgeschüttelt und das Jod colorimetrisch bestimmt
Die colorimetrische Bestimmung wurde mittels eines von dem Mecha-
niker Heele construirten Apparates ausgeführt Derselbe besteht im Wesent-
lichen aus zwei Geßssen: einem kleinen, durch planparallele Glasplatten
vorn und hinten abgeschlossenen Cylinder von etwa 3 ^^ Längendurchmesser.
In dieses Qefass wurde die Vergleichsflüssigkeit, d. h. also in diesem Falle
eine Jod -Chloroformlösung von bekanntem Jodgehalte eingefüllt Zweitens
zeigt das Colorimeter einen keilförmigen Glastrog, welcher in seiner obersteo
Schicht genau den gleichen dicken Durchmesser besitzt wie der oben ge-
nannte Cylinder. Dieser Glastrog kann nun durch ein Zahnrad an dem
Auge des Beobachters vorbeigeführt werden. Dieser blickt durch ein Be-
obachtungsrohr auf ein in der Mitte getheiltes Gesichtsfeld. Die eine Hälfte
desselben zeigt die Farbe der Normallösung, die andere die der zu unter-
suchenden Flüssigkeit. Durch Verschieben des Keiles wird Farbengleich-
heit beider Hälften des Gesichtsfeldes hergestellt und an einer Scala der
jeweilige Dickendurchmesser des Glastroges abgelesen. Um die Belichtung
^ Zeitschrift för physiologUche Chemie. 1895/96. S. 316.
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Em Beitrag züb Fbaoe nach dbb Quelle des Miloheettes. 273
und damit den Farbenton gleichmässiger zu gestalten, hat Hr. Prof. Zuntz
den Apparat in folgender Weise vervollkommnet Hinter den Apparat
wird ein schwarzlackirter Schirm derartig aufgestellt, dass zwei in denselben
eingelassene Prismen den beiden Hälften des Gesichtsfeldes entsprechen.
Diese Prismen bilden einen Winkel mit einander in der Art, dass das von
einer davor befindlichen matten Milchglasscheibe ausgehende Licht vertheilt
wird, und so in gleichmässiger Weise beide Hälften des Gesichtsfeldes be-
lichtet werden.
Die Vergleichslösung bereitete ich zuerst nach den Vorschriften von
Baumann, ^ indem ich eine Jodkalilösung herstellte, welche im Liter
0-1 ß™ KJ = O.OT?"«^ J enthielt l^^"^ dieser Flüssigkeit enthielt also
O'l"» KJ. Da die Operationen bei der colorimetrischen Bestimmung
des Jods in der Chloroformlösung mit grosser Schnelligkeit vor sich
gehen müssen, so schien es mir zweckmässig, eine Lösung von reinem
Jod in Chloroform vorräthig zu halten. Ich sublimirte daher Jod in
ein gut verschliessbares Wägegläschen und bestimmte die Gewichtsmenge
des Jods. Hierauf spülte ich mit einer genau gemessenen Menge Chloro-
form das Jod in eine Flasche aus dunklem Glase, welche einen luftdichten
Verschluss gestattete. Diese Flasche bewahrte ich an einem vor Licht
geschützten Orte auf. Es stellte sich jedoch heraus, dass trotz dieser Vor-
sichtsmaassregeln die Lösung theils durch Verdunstung des Chloroforms,
theils auch durch Verflüchtigung des Jodes ihre Zusammensetzung änderte,
da es mir nicht gelang, den Verschluss genügend dicht zu machen. Ich
half mir schliesslich dadurch, dass ich vor dem Einfüllen den Hals der
Flasche auszog und unmittelbar nach dem Einfüllen der Jodchloroform-
lösung zuschmolz.
Obgleich also, wie man sieht, das Verfahren der Jodbestimmung ein
ausserordentlich mühsames und zudem, wie alle colorimetrischen Be-
stimmungen, mit individuellen Fehlerquellen behaftet war, so gelang es
mir doch, nach längeren Vorübungen eine relative Genauigkeit zu er-
zielen, wie eine Anzahl Bestimmungen von Lösungen mit bekanntem Jod-
gehalte ergab.
Um nun die Vorgänge bei der Bestimmung des Jods durch ein
Bdspiel zu illustriren, gebe ich die Zahlen für die Bestimmung am
12. Juli.
Die in der oben dargelegten Weise aus dem Milchfette gewonnene
Seifenlösung wurde mit lö«23<^<^ Chloroform zur Gewinnung des Jods
* Baumann, üeber das oormale Vorkommen von Jod im Thierkörper. Zeitschr.
für physiologische Chemie, 1896/96. S. 369. — Derselbe und Roos, a. a. O. S. 481.
~ Derselbe, a.a.O. 1896/97. S. 1.
Archiv f. A. u. Ph. 1890. PhysioL Abthlg. Suppl. 18
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274 WiLH. Caspabi:
geschüttelt. Nachdem im Scheidetrichter eine Absetzung erfolgt war,
wurde die Chloroformlösong in das keilförmige Gefass des Colorimeters quan-
titativ hineingegeben, wobei man sich vor einem Mitreissen von Wasser zu
hüten hat. Denn durch letzteres nimmt die Chloroform-Jodlösung einen
gelblichen Farben ton an, der einen colorimetrischen Vergleich wesentlich
erschwert. Nachdem ein weiterer Zusatz von Chloroform keine rothe Farbe
mehr angenommen hatte, wurde der Apparat auf Farbengleichheit beider
Hälften des Gesichtsfeldes eingestellt Dies wurde mehrmals wiederholt
und der Mittelwerth der selten wesentlich difFerirenden Ablesungen be-
rechnet
Der kleine Cylinder, welcher die Vergleichslosung enthielt, fiasste
5.5 ccm Chloroform. In diesen waren in unserem Falle enthalten 0*54°^ Jod.
Zu dieser Vergleichslösung verhielt sich die zu untersuchende Flüssig-
keit hinsichtlich ihres Jodgehaltes wie 100:22-7. Also enthielt die aus-
geschüttelte Chloroformlösung
in b'b'<^ ^^^^^'^^ mg Jod, also
in 15.28 e- 15>23^100.0-54^e^^Q^ j^^
Um nun aus der in einer gewogenen Menge Milch gefundenen Jod-
zahl auf die Jodausscheidung in der Gesammtmilch des Tages zu schliessen,
musste die Gesammtmenge Milch bekannt sein, welche die Hündin an diesem
Tage producirt hatte. Dieselbe wurde in folgender Weise berechnet:
Das Thier wurde taglich vier Mal gemolken und das Gewicht der ab-
gemolkenen Milch der verschiedenen Tageszeiten addirt Unmittelbar nach
dem Melken wurden die beiden Jungen angelegt, welche man am Leben
erhalten hatte, um die Milchsecretion des Mutterthieres dauernd anzuregen.
Die Zeit des Saugens wurde festgestellt und die Jungen vor und nach dem
Sauggeschäfte gewogen. Die Gewichtszunahme wurde als durch Milchauf-
nahme bedingt angesehen und zu der abgemolkenen Milchmenge addirt.
Schliesslich wurde noch eine Correctur angebracht, welche sich aus der
Gewichtsabnahme der Säuglinge zwischen den einzelnen Mahlzeiten ergab.
Denn da die Zeit zwischen den Mahlzeiten und das Gewicht der Jungen
zu Beginn jeder Mahlzeit bekannt war, so liess sich leicht daraus berechnen,
wie viel von ihrem Gevrtchte die beiden Jungen für ihre vitalen Processe
in der Zwischenzeit abgaben. Diese Zahl wurde nun für die jeweilige
Zeit des Sauggeschäftes berechnet und zu der Gewichtszunahme der Säug-
linge hinzu addirt.
Als Beispiel lasse ich hier die Berechnung der Gresammtmilch für den
15. März 1898 folgen.
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Em Betteag zub Frage nach dbk Qublle des Milghfettes. 275
Es worden abgemolken:
8*»20'Vm 73.87^ Milch
l»»10'Nm 37.0 „ „
5M5' „ 14.35 „ „
9M0' „ ■ 22>öl „ „
Summa 147.83«^ Milch.
Die Jungen nahmen folgende Mengen Milch auf:
8^ 40' bis 9»» 55' Vm 89-3»™
1»»30' „ 2*^40' Nm 27-1 „
6^05' „ 7M5' „ 22.1 „
9^ 20' „ 10»» 35' „ . 93>5 „
Summa 232- 0«^
Die oben erwähnte Correctur betrug pro Minute dieser Periode im
Durchschnitt O-l^f™, also für die Zeit der einzelnen Nahrungsaufnahme:
8^ 40' bis 9^ 55' = 75' = 7-58^™
»
1»»30' „ 2*» 40' = 70' =7.0
6^ 5' „ 7^ 15' =70' = 7.0
r = 75 =7.5
Summa 29- 0^™
9»» 20' „10^ 35' = 75' = 7.5 „
Es betrug demnach die Gesammtmenge der Milch dieses Tages:
147. 83 p^"»
232-0 „
29-0 „
Summa 408-8 ^™
Das Gewicht der Hündin wurde taglich nach der zweiten Melkzeit
festgestellt Dann folgte Fütterung und das Anlegen der Jungen.
Während der ersten Periode vom 10. bis 16. VII. 1898 erhielt die
Hündin im Futter:
70^^ Reis,
1 Liter Magermilch,
50 «rra» Fleischmehl,
25 „ 1 procent. Jodfett,
30 „ Zucker.
Das Resultat des Versuches gebe ich in einer Tabelle wieder.
18*
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27Ö
WmH. Gaspabi:
Tabelle I.
Datum
Fett im
Futter*
1 procent.
Jodfett
in der
Nahrung
grm
Fettgehalt
der Miloh
Fettgehalt
in Proc. d.
Gesammt-
milch
Jodfett
in der Milch
Gewicht
des
Hundes
frin
lO./VIL 1898
64-7»
50
—
—
— 18 787
ll./VIL 1898
39-7«
25
26-22
7-19
3.84»™=14-647o' 19450
des Gesammtfettes
12./ VII. 1898
39-7«
25
37-77
9-00
8-84«™ = 23-42% l^l'^O
des Gcsammtfettes
13./VII. 1898
35-5»
25
49-39
11-72
1.12»™= 2-45 «>|o 19100
des Gesammtfettes
14./Vn. 1898
35-5»
25
25-75
6-14
0-77»™=- 2-99 «/o 19 270
des Gesammtfettes
15./VII. 1898
35-6»
25
23-14
5-66
Spnren, quantitativ 1 9 000
nicht zu bestimmen
16./VII. 1898
35-5»
25
20-86
4-47
desgl.
, 18 870
Während der ersten 3 Tage der Versuchsreihe wurde Fleischmehl
gegeben, welches 14-28 Procent Fett enthielt, so dass also neben den 25^
Jodfett 7-14^™ Fett im Fleischmehl verabreicht wurden. Vom 4. Tage
ab wurde während des übrigen Versuches mit Aether extrahirtes Fleisch-
mehl verabfolgt, wobei zu den 25^^ Jodfett immerhin noch 2-89^"" im
Fleischmehl hinzukamen. Dieser verhältnissmässig geringe Unterschied in
der Fettzufuhr prägt sich recht deutlich aus, sowohl in der Menge des in
der Milch ausgeschiedenen Fettes, als auch in dem Procentgebalte der Milch
an Fett und endlich im Körpergewicht des Thieres. Auffallend ist auch,
dass an den ersten Tagen die Menge des in der Milch enthaltenen Jod-
fettes besonders gross war. Als sicheres Eesultat ergiebt dieser Versuch,
dass nicht unerhebliche Mengen Jodfett aus der Nahrung in die Milch über-
gehen können, so dass an dem einen Tage mindestens 23 Procent
des Fettgehaltes der Milch der Nahrung entstammten, wobei noch
zu beachten ist, dass das Nahrungsfett an diesem Tage nur zu etwa 63 Procent
aus Jodfett bestand.
Auf diese erste Versuchsperiode folgte eine zweite, in welcher dieselbe
Nahrung gereicht wurde wie im zweiten Theile der ersten Periode, nur
wurde das Jodfett durch die gleiche Menge Schmalz ersetzt. Das dann in
^ Das Fett des Fleischmehles wurde analytisch bestimmt, der Fettgehalt ddr
übrigen Nahrungsmittel nach König's TabeUen der menschlichen Nahrungs- und
Genussmittel berechnet.
■ Nicht entfettetes Fleischmehl.
• Mit Aether extrahirtes Fleischmehl.
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Ein Beitbag zub Fbage nach der Quelle des Milchfettes. 277
der Milch enthaltene Jodfett mnss aus den Körperd^pCts stammen , wo es
wairend der ersten Versuchsreihe abgelagert worden war. Das Resultat
der zweiten Reihe war folgendes:
Tabelle n.
Datum
Fett un
Futter
1 procent.
Jodfett
in der
Nahrung
n./Vn. 1898
18./Vn. 1898 I 36«0»
19./VII. 1898 ! 86-0
85'5 —
Fettgehalt
der Miloh
Fettgehalt
in Proc. d.
Gesammt-
milch
36-99
29-15
39-49
7-73
6-99
6-66
Jodfett
in der Milch
Sparen, quantitativ
nicht za bestimmen
2-84 grm _ 8-03%
des Gesammtfettes
1-6»™= 4-05 %
des Gesammtfettes
Gewicht
des
Hundes
18 750
18 700
18 600
Dieser Versuch beweist, dass unter denselben Bedingungen wie
in der ersten Versuchsreihe auch aus dem Fettbestande des
Körpers Fett in die Milch ausgeschieden werden kann, und zwar
bis zu einem Minimalwerthe von 8 Procent
In der folgenden Versuchsreihe wurde die gleiche Menge Jodfett ge-
geben wie in der ersten Reihe, aber die Diät war eine andere, kohlehydrat-
reiche. Die Absicht war, zu entscheiden, ob auch unter diesen Bedingungen
das fremde Fett aus der Nahrung oder den Fettdepöts in die Milch über-
geht, oder ob das Thier aus den Kohlehydraten die ihm eigenthümliche
Fettart bildet und für die Ernährung der Jungen nur diese allein ver-
wendet Das Futter setzte sich zusammen aus:
80^^ Fleischmehl,
1 Liter Magermilch,
150^™^ Rois,
100 „ Zucker,
25 „ Jodfett
Die Daten über diese Reihe folgen in Tabelle III.
Aus diesen Zahlen ergiebt sich, dass auch bei sehr stark kohlehydrat-
reicher Nahrung und Beigabe von Jodfett letzteres in ziemlich grosser
Menge, bis zu einem Minimalwerthe von 32 Procent, in die Milch über-
geht Dabei hat die Gesammtfettmenge gegenüber dem Fettquantum,
welches bei einfachem Erhaltungsfutter in die Milch übergeht, nicht wesent-
lich zugenommen. Auch das Körpergewicht ist in dieser Periode nicht
wesentlich verändert.
* 10*^" entfettetes Fleiscbmehl als Zalage.
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278
WiLH. Gaspabi:
Tabelle III.
1 prooent.
I Fett im Jodfett
Datum ! Futter ' ^^ ^^^
i Nahrung
Fettgehalt lÄÄ,
der Milch ' Gesammt-
mn 1 milch
Jodfett
in der Milch
Gewicht
des
Hundes
20./VII. 1898
37-9
25
1 36-0
6-25
2.06«™=: 5-72%
des Gesammtfettes
18 620
21./VU. 1898
37-9
25
47«4
7-63
10-8«™ = 22-78%
des Gesammtfettes
18 600
22./Vn. 1898
37-9
25
1 25-36»
4-43
8-24«™- 32-49%
des Gesammtfettes
17 920
23./Vn. 1898
87-9
25
1 38-84
5-67
8-16«™ = 21-01%
des Gesammtfettes
18 820
24./Vn. 1898
87-9
25
' 30-96
4-2
7.88««- 25-45%
des Gesammtfett^
19 050
25./Vn. 1898
37-9
25
! 46-06
1
7-0
5-87«™= 12-75%
des Gesammtfettes
18 800
Es folgte schliesslich eine Versuchsreihe, in welcher wiederum das Jod-
fett durch die gleiche Menge Schmalz ersetzt wurde. Die Tabelle IV be-
weist, dass nur noch am ersten Tage wesentliche Quantitäten Jodfett in
der Milch nachgewiesen werden konnten; bereits am zweiten Tage ist die
unterste Grenze erreicht, welche einer quantitativen Bestimmung noch
einigermaassen zugangig ist, und schon am dritten Tage finden sich nur
noch Spuren, d. h. eine geringe Gelbfärbung des bei der Ausschüttelung
verwendeten Chloroforms.
Tabelle IV.
Datum
1 procent.
Fett im Jodfett | Fettgehalt
Putter '}\ <ier , der MUch
I Nahrung {
gnn gnn 1 grm
26./VIL 1898
27./Vn. 1898
28./VIL 1898
37-9
87-9
37-9
33-83
31-74
63-82
Fettgehalt
in Proc. d.
Gesammt-
müch
4-25
3-6
6-52
Jodfett
in der Milch
Gewicht
des
, Hundes
7.0«™= 20-69% 18 880
I des Gesammtfettes !
0-09«™ = 0-28% 18 820
des Gesammtfettes
uantitativ 18 850
timmen
Spuren, quantiti
Dicht zu bestimi
Betrachten wir nun die Ergebnisse des gesammten Versuches, so finden
wir zunächst eine auffallige Schwankung des Fettgehaltes der Milch wäh*
rend der einzelnen Tage. Die Schwankungen in der ersten Reihe sind
durch den verschiedenen Fettgehalt der Nahrung wohl hinlänglich erklärt
und bedürfen in Folge dessen keiner weiteren Erläuterung. Der geringe
^ Verluste bei der Fettbestimmung, also auch zu geringe Jodfett-ZahL
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EiM Beitrag zus Fsagb nach beb Quelle des Milchfettes. 279
Fettgehalt am 22. VIL ist durch Verluste bei der Analyse bedingt, was
um so mehr zu bedauern ist, als gerade dieser Tag den höchsten Procent-
satz von Jod im Fette zeigt. Dagegen ist es schwer, f&r den 23., 24., 26.
und 27., bei denen ebenfalls der Fettgehalt der Milch hinter dem Durch-
schnitt der übrigen Tage zurückbleibt, eine Erklärung zu finden. Es scheint
hier trotz der darauf verwendeten Mühe nicht gelungen zu sein, eine Durch-
Schnittsprobe zu erhalten (denn es ist ja bekannt, dass die Milch, welche
in den verschiedenen Tageszeiten abgemolken wird, in ihrer Gesammt-
zusammensetzung wesentlich differirt). Andererseits muss es auffallen, dass
diese Tage mit geringer Fettausscheidung sich gegen Ende des Versuches
einstellen, und es ist nicht ausgeschlossen, dass es sich hier um eine Wirkung
des Jods handelt. Dasselbe kann bekanntlich störend auf die Functionen
der Milchdrüse wirken.
Als sicheres Resultat des Versuches ergiebt sich: 1. dass ein nicht
unerheblicher Procentsatz des Milchfettes der Nahrung ent-
stammen, 2. dass unter denselben Bedingungen auch Fett aus
den Eörperd^pöts in die Milch übergehen kann und schliesslich,
dass auch bei kohlehydratreicher Nahrung Nahrungsfett oder
Fett des Körpers in die Milch übergeht, selbst wenn dasselbe,
wie in unserem Falle, ein pflanzliches Fett war, dem noch ein
fremder Bestandtheil hinzugefügt wurde.
Eine andere Frage ist es, ob die Zahlen, welche wir für Jodfett in
der Milch gefunden haben, weitergehende Schlüsse auf di6 Absonderungs-
verhältnisse des Milchfettes gestatten. Wir haben Eingangs gesehen, dass
das in der Milch gefundene Jodfett nicht dem wirklichen in die Milch
übergegangenen entspricht, dass vielmehr diese Zahlen nur den Anspruch
haben, als Mmimalwerthe zu gelten. Darum erscheint es aber nicht aus-
geschlossen, dass in der That zwischen dem im Fette der Milch nachweis-
baren Jod und der Gesammtmenge des in die Milch übergegangenen
Nahrungsfettes eine gewisse Proportionalitat besteht Aus dieser Annahme
würden sich nicht uninteressante Schlüsse ergeben: Wir sehen zunächst
in der ersten Versuchsreihe, dass in den ersten drei Tagen, in denen eine
erhöhte Fettzufuhr statt hatte, auch nicht unwesentliche Mengen Jodfett in
der Milch vorhanden waren. In dem Augenblicke aber, wo wir statt des
fetthaltigen Fleischmehles entfettetes geben, sinkt nicht nur der Oesammt-
fettgehalt der Milch, sondern in noch höherem Grade die Ausscheidung des
Jodfettes in derselben. Schon dieser Umstand scheint dafür zu sprechen,
dass die Annahme einer derartigen Proportionalität nicht ohne jede Be-
rechtigung ist
In der zweiten Äeihe steigt dann wiederum die Ausscheidung von Jod-
fett zu einer geringen Höhe an, offenbar, weil das Fett der Nahrung den
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280 WiLH. Caspari: Ein Bbitbag zur Frage u. s. w.
wachsenden Ansprächen der Fettausscheidong in der Milch nicht mehr
gerecht werden konnte und Jodfett aas den Eörperdepdts, welches man
sich als in den ersten 3 Tagen der ersten Reihe angesetzt vorstellen kann,
in die Milch überging.
Von besonderem Interesse ist das Verhalten des Jodfettes in der Milch
bei kohlehydratreichem Futter. Hier werden verhältnissmässig sehr grosse
Mengen Jodfett in der Milch gefunden und es kann uns eigentlich nicht
Wunder nehmen, dass die Jodfettausscheidung bei kohlehydratreichem Futter
die während der ersten Reihe noch übertrifft, deswegen, weil die reichlich
verabfolgten Kohlehydrate den Energieumsatz im Körper im Wesentlichen
bestreiten und in Folge dessen das Fett der Nahrung in höherem Maasse
in die Milch übergehen kann. Dass es in der That Fett der Nahrung und
nicht Körperfett ist, welches wir als Jodfett in der Milch finden, ergiebt
eine Betrachtung der letzten Versuchsreihe, welche in einem deutlichen
Gegensatz zu der ihr entsprechenden zweiten Reihe steht. Denn während
in letzterer nach vorhergehendem fast völligen Verschwinden des nachweis-
baren Jodfettes in der Milch von Neuem eine Steigerung des Jodfettgehaltes
sich bemerkbar macht, die nur den Fettdepöts entstammen kann, sinkt in
der vierten Reihe die Curve der Jodfettausscheidung steil ab, offenbar, weil
das in der Nahrung gegebene und eventuell aus den Kohlehydraten ge-
bildete Fett genügt, den Fettgehalt der Milch zu decken, ohne dass die
Körperdöpöts angegriffen zu werden brauchen. Es scheint mir also im
Ganzen als Resultat dieser Betrachtungen hervorzugehen, dass zwar Fett
aus dem Bestände des Körpers in die Milch übergehen kann,
dass aber der Organismus unter gleich bleibenden Verhältnissen
es doch wohl vorzieht, das Fett der Nahrung für die Milch zu
verwerthen.
Doch betone ich zum Schlüsse nochmals, dass die letzteren Ueber-
legangen nur den Werth der Wahrscheinlichkeit für sich haben. Um einen
exacten Beweis in dieser Hinsicht zu liefern, müsste man ausser dem Jod
im Fette der Milch täglich auch das Jod im Milchserum und Caseln, sowie
in den Excreten des Körpers untersuchen. Es wurde mir schon während
des Versuches klar, dass eine endgültige Lösung dieser Frage nur auf
diesem Wege zu erreichen sei, jedoch erschienen mir die Schwierigkeiten
einer derartigen Untersuchung so gross, dass ich sie als unüberwindlich
für einen Arbeiter ansehen musste. Ich behalte mir eventuell vor, die-
selben später in Gemeinschaft mit Anderen zu vervoUkonunnen.
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Einfluss der Anämie und der Plethora auf die Wii*kung
des Tetanusgiftes.
Von
J. F. Heymans und L Bonsse
in Gent.
Wie bekannt, wurden während Jahrzehnten in ausgiebigster Weise
Blutaderlasse besonders gegen Infectionskrankheiten ausgeführt; da es nun
durch die jüngsten Versuche dargethan ist, dass bei letzteren Krankheiten
die Toxinvergiftuug das Hauptmoment darstellt, schien es uns von Inter-
esse — was unseres Wissens bisher in diesem Sinne noch nicht vorge-
nommen worden ist — experimentell zu eruiren, ob eine Abnahme, bezw.
eine Zunahme des Blutvolumens irgend welchen £influss auf den Verlauf der
Toxinvergiftuug hat.
Als Toxin wurde das Tetanin gewählt, speciell weil dessen Vergiftungs-
symptome so charakteristisch sind, dass über das Wesen, den Anfang und
Verlauf der Erkrankung des Thieres nicht der mindeste Zweifel vor-
liegen kann.
Air unsere Versuche wurden in kurzer Frist mit ein und demselben
trockenen Tetanusgift, welches College Ehrlich uns bereitwilligst zur Ver-
fügung stellte, beim Kaninchen ausgeführt.
Für jede Versuchsreihe wurde 0«1 ^™» trockenes Tetanusgift abge-
wogen, in 20 ^'^ destillirtem Wasser gelöst, während 15 Minuten centri-
fugirt, und von der klaren Lösung immer mit derselben Spritze die pro
Mille berechnete Menge in die Vena marginalis des Ohres dem Thiere
beigebracht.
Nach vorheriger Bestimmung der einfachen tödtlichen Dosis — wir
lassen die betreßenden Versuche, weil ohne besonderes Interesse, hier
weg — wurde diese Dosis (O-S**^ pro Kilo) Thieren gegeben, unmittelbar
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282 J. F. Heymans und I. Ronbse:
nachdem denselben Blut entweder ans der Carotis entnommen oder aas
der Carotis eines nicht vergifteten Thieres in die Vena transfondirt
worden war; bei einer Reihe von Versuchen wurde die Blutsoustraction
oder Transfusion nach 24 und 48 Stunden wiederholt Gleicherzeit wurde
für jede Versuchsreihe dieselbe Dosis derselben Lösung Controlthieren ein-
gespritzt.
Wir geben zuerst aus unseren Protocollen den hier interessirendeu
Auszug, wobei von den Versuchen höchster Anämie zu denjenigen höchster
Plethora übergegangen wird.
Versuch L 9. April 1899. Gewicht 3040»™». 18 U. 32' Blutentziehung
von 72*'«"^, 2-4 Procent. 18 U. 38' 0-3 <« Tetanin pro Kilo.
20. April. Gewicht 2865»™. 12 U. 25' Blutentziehung 62^*^"^, 1.8Proc.
21. April. Tetanusanfang.
21. bis 22. April. Tod.
Controlthier siehe Versuch XX.
Versuch n. 20. Aprü 1899. Gewicht 2110 »™. 11 ü. 37' Blut-
entziehung von 50^"», 2-4 Procent 11 U. 39' 0-3<« Tetanin pro Kilo.
21. April. Gewicht 1910 »^n». 11 ü. 32' Blutentziehung von 34 «^,
1-7 Procent.
22. April. Tetanusanfang.
26. April. Tod.
Versuch m. 19. April 1899. Gewicht 2315»™. 17 U. 50' Blut-
entziehung von 52^™, 2-4Proc. des Körpergewichtes. 17U. 58' 0*3^ Tetanin
pro Kilo intravenös.
20. April. Gewicht 2365»™. 12 U. 20' Blutentziehung von 36*^,
1'5 Prooent.
21. April. Tetanusanfang.
22. bis 23. April. Tod.
19. April. Controlthier. Gewicht 1483 »'°*. 18 U. 0*3^ pro Kilo.
22. April. Tetanusanfang.
26. April. Tod.
Versuch IV. 20. April 1899. Gewicht 2728 »™. 12 ü. 6' Blut-
entziehung von 60«°"*, 2-2 Procent. 12 U. 7' 0-3*^» Tetanin pro Kilo.
21. April. Gewicht 2482 »™. 12 U. Blutentziehung von 40 <^^, 1 • 6 Proc.
Um 11 U. desselben Tages schon deutlich erkennbare Tetanus. Abends todt.
Versuch V. 29. April 1899. Gewicht 1562 »™. 18 U. 30' Blut-
entziehung von 21 °<'™ 1-4 Procent. 18U. 37' 0*3'^» Tetanin pro Kilo.
30. April. Gewicht 1550 »™. ID U. 40' Blutentziehung von 21 ^
1«4 Procent.
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ElKEliüBS DER AnIMIB UND DEB PLETHORA U. 8. W. 283
1. Mai 1899. Tetanusanfang.
5. bis 6. Mai. Tod.
Controlthier siehe Versuch VII.
Versuch VI. 29. April 1899. Gewicht 1285 «^. 18 U. 15' Blut-
entziehung Ton 13 *'^, 1 Procent. 18U. 21' 0-3 <^ Tetanin pro Kilo.
30. April. Gewicht 1269 8^. 10 ü. 30' Blutentziehung von 13 <^",
1 Procent.
1. Mai. Tetanusanfang.
2. Mai. Tod um 7 Uhr Morgens.
Controlthier siehe Versuch VII.
Versuch VII. 29. April 1899. Gewicht 1395 8™. 18 U. Blutentziehung
10«^, 0-7 Procent. 18 U. 5' 0-3 <« Tetanin pro Kilo.
30. April. Gewicht 1370»™. 10 U. 20' Blutentziehung von 11 <^,
0*8 Procent.
1. Mai. Tetanusanfang.
4. Mai. Tod.
Controlthiere A und B zu den Versuchen V, VI und VQ.
29. Aprfl, A. Gewicht 1445»^. 18 U. 45' 0-3 ^ Tetanin pro Kilo.
2. Mai. Tetanusanfang.
3. bis 4. Mai. Tod.
29. April, B. Gewicht 1530«™. 18 U. 47' 0-3*» Tetanin pro Kilo.
3. Mai. Leichter Tetanus, welcher etwas zunimmt, verschiedene Tage
anhält und dann allmählich verschwindet.
Versuch VlII. 4. Mai 1899. Gewicht 1952«™. 11 U. Blutentziehung
Ton 56^ 2*4 Procent. 11 U. 5' O'S'« Tetanin pro Kilo.
6. Mai. Tetanusanfang.
12. Mai. Tod.
Controlthier siehe Versuch X.
Versuch IX. 4. Mai 1899. Gewicht 2013»™. 12 U. Blutentziehung
von 33^% 1-5 Procent. 12 U. 7' 0-3*^» Tetanin pro Kilo.
6. Mai. Tetanusanfang.
8. bis 9. Mai. Tod.
Controlthier siehe Versuch X.
Versuch X. 4. Mai 1899. Gewicht 1968»™. 11 U. 25' Blutentziehung
von 26*^, 1-3 Proc. IIU. 32' 0-8 *"» Tetanin pro Kilo.
7. Mai. Tetanusanfang.
15. Mai. Tod.
Controlthiere A und B zu den Versuchen VHI, IX und X.
4. Mai, A. Gewicht 1515»™. 12 U. 20' 0-3'^» Tetanin pro Kilo.
5. Mai. Tetanusanfang.
7. Mai. Tod.
4. Mai, B. Gewicht 1350»™. 12 U. 22' 0-3*^» Tetanin pro Kilo.
6. Mai. Tetanusanfang.
9. Mai. Tod.
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284 J. F. Hbymans und I. Ronssb:
Versuch XI. 1. Mai 1899. Gewicht 1295»^. 11 U. 23' Blutentziehuug
von 12*^°», l Proc. 11 ü. 27' 0.3<« Tetanin pro Kilo.
3. Mai. Tetanusanfang.
4. Mai. Abends todt.
Controlthier siehe Versuch XII.
Versuch XH. 1. Mai 1899. Gewicht 1480 «^. 11 ü. 29' Blut-
entziehung von 8^^°*, 0-5 Proc. IIU. 32' 0-3*^ Tetanin pro Kilo.
4. Mai. Tetanusanfang.
14. Mai. Tod.
Controlthier zu den Versuchen XI und XII.
1. Mai. Gewicht 1970^™. 11 U. 37' 0-3^» Tetanin pro Kilo.
3. Mai. Tetanusanfang.
6. Mai. Tod.
Versuch Xm. 25. April 1899. Gewicht 2580 ^. 10 ü. 45' Blut-
entziehung von 60*^^™, 2-3 Proc. 11 U. bis 11 U. 7' 100*^«"* physiologische
Kochsalzlösung intravenös, 3 »8 Proc. des Körpergewichts. 11 U. 7' 0«3**
Tetanin pro Kilo.
26. April. Gewicht 2518 s^. 10 U. Blutentziehung von 46 «^™ 1 • 8 Proc.
10 U. 5' bis 10 U. 13' 75 °*'™ physiologische Kochsalzlösung intravenös, 3 Proc.
27. April. Tetanusanfang.
28. bis 29. April. Tod.
Controlthier siehe Versuch XIX.
Versuch XIV. 25. April 1899. Gewicht 2276^»™. 17 U. 30' Blut-
entziehung von 35 «<'™ 1-5 Proc. 17U. 42' bis 17U. 52' 100^^ physio-
logische Kochsalzlösung intravenös, 4 • 3 Proc. 1 7 U. 53' 0 • 3 <^^ Tetanin pro Kilo.
26. April. Gewicht 2190 «^. 10 ü. 30' Blutentziehung von 38 **",
1.7 Proc. 10 U. 35' bis 10 U. 52' 75 <^"" physiologische Kochsalzlösung
intravenös, 3 • 4 Proc.
27. April. Tetanusanfang.
29. April. Abends todt.
Versuch XV. 4. Mai 1899. Gewicht 1410^^. 11 U. Transfusion von
43 ^'^^ frischem Blut, 3 Proc. 11 U. 10' 0-3^ Tetanin pro Kilo.
6. Mai. Tetanusanfang.
7. Mai. Morgens todt.
Controlthier siehe Versuch XVII.
Versuch XVI. 4. Mai 1899. Gewicht 1525»™^. 11 ü. Transfusion
von 20^*^"* Blut, 1-3 Proc. IIU. 10' 0-3^» Tetanin pro Kilo.
5. Mai. Gewicht 1617^°». 12 U. Transfusion von 25^™ Blut, 1-6 Proc
6. Mai. Tetanusanfang.
8. Mai. Morgens todt.
Versuch XVII. 4. Mai 1899. Gewicht 1468^™». 12 U. Transfusion
von 29*^*^™ Blut, 2 Proc. 12 U. 12' 0-3^ Tetanin pro Kilo.
5. Mai. Gewicht 1437^™». 12 U. 15' Transfusion von 23 «^ Bhit,
1-6 Proc.
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EINFLUSS DEE AnAMIE UND DER PlETHOBA U. 8. W. 285
8. Mai. Tetanusanfang.
9. Mai. Morgens todt.
Controlthier A und B zu den Versuchen XV, XVI und XVII.
4. Mai, A. Gewicht 1515^™. 12 U. 30' 0-3 ^«^ Tetanin pro Kilo.
5. Mai. Tetanusanfang.
7. Mai. Morgens todt.
4. Mai, B. Gewicht 1350^™». 12U. 32' 0-3<« Tetanin pro Kilo.
6. Mai. Tetanusanfang.
9. Mai. Morgens todt.
Versuch XVUI. 25. April 1899. Gewicht 1002»™*. 17 ü. 30' Trans-
fusion von 38*^*^™ Blut, 3-8 Proc. 17 U. 33' 0-3 <« Tetanin pro Kilo.
26. April. Gewicht 1070 ^™>. 18U. 30' Transfusion von 55«^ Blut,
5-1 Proc.
27. April. Gewicht 1033»™. 18U. 30' Transfusion von 37 ^"^ Blut,
3-6 Proc.
30. April. Tetanusanfang.
2. Mai. Tod.
Controlthier. 25. April. Gewicht 1335»™. 17U. 40' 0-3 **» Tetanin
pro Kilo.
29. April. Tetanusanfang.
6. Mai. Tod.
Versuch XIX. 25. April 1899. Gewicht 1184»™. lOU. 45' Trans-
fusion von 63«^ Blut, 5 Proc. 10 ü. 47' 0-3*'» Tetanin pro Kilo.
26. April. Gewicht 1117»™. 18 U. Transfusion von 48^*™ Blut, 4 Proc.
27. April. Gewicht 1070»™. 18 U. Transfusion von 57^™ Blut, 5- 3 Proc.
30. April. Tetanusanfang.
3. Mai. Tod.
Controlthier. 25. April. Gewicht 1150»™. 10 U. 50' 0-3 <^» Tetanin
pro Kilo (theilweise hypodermatisch, was vielleicht das Ueberleben erklärt).
1. Mai. Tetanusanfang; während mehrerer Tage besteht ein mittel-
mässiger Tetanus, welcher allmählich vollkommen verschwindet.
Versuch XX. 19. April 1899. Gewicht 1385 »™. 18 U. 32' Trans-
fusion von 77 <^ Blut, 5-5 Proc. 18 U. 38' 0-3*'» Tetanin pro Küo.
20. April. Gewicht 1415 »™. 18 U. 30' Transfusion von 55 '^^"^ Blut,
4 Proc.
22. April. Gewicht 1300»™. 18 U. Transfusion von 38 ^'^ Blut, 3 Proc.
22. April. Tetanusanfang.
25. bis 26. April. Tod.
Controlthier. 19. Aprü. Gewicht 1290»™. 18U. 40' 0-3 <« Tetanin
pro Kilo.
22. April. Tetanusanfang.
23. bis 24. April. Tod.
Fassen wir jetzt die Ergebnisse dieser 20 Versuche in einer Tabelle
der Uebersicht wegen kurz zusammen.
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286
J. F. Heymans und I. B0N88B:
Zusammenstellung.
Versuchs-
nnmmer
Proc. des
Gewichtes
+ Tod
— Leben
Controlthiere
I
Blntsonstraction
f a) 2.4
\ b) 1.8
+ 2-3 Tagen
+ 4-5 Tagen
n
>»
r a) 2-4
i b) 1.7
+ 6
III
ti
t a) 2.4
) b) 1.5
+ 3-4 „
+ 7
IV
»
aj 2-2
\ b) 1-6
+ 1-2 „
V
VI
1 a) 1.4
1 b) 1.4
( a) 1-0
) b) 1-0
+ 6
+ 2-3 „
A + 4-5 „
B-
VII
ti
1 a) 0-7
\ b) 0-8
+ 5
vm
IX
X
2-4
1-5
1-3
+ 8
+ 4-5 „
+ 16 „
1 A + 3
1 B + 5
XI
»»
1-0
+ 13 .. / ^'
xn
>»
0-5 -
Blutsoustraction
2-3
xm
Kochsalzinfasion
Blntsoostraction
3«8
1.8
+ 3-4 „
Eochsalzinfusion
Blutsoustraction
3-0
1«5
1
1
SieheVers.XVni
und Xa.
XIV
Kochsalzinfusion
Blutsoustraction
4.3
1.7
1
+ 4 „ 1
Kochsalzinfusion
3.4
XV
Transfusion
3-0
+ 3 „ 1+5 Tagen
XVI
»
l a) 1.3
i b) 1.6
+ 4
xvn
»>
j a) 2-0
l b) 1*6
+6 „ 1 + 3 „
XVIII
9»
( a) 3-8
1 b) 5.1
1 c) 3.6
+ 7 „ j + 11 .,
XIX
»>
( a) 5.0
b) 4.0
1 c) 5.3
+ 8 „ 1 - (?)
XX
»>
r a) 5.5
b) 4-0
l c) 3-0
+ 6-7 „
+ 4-5 „
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EINFLU68 DEB ANÄMIE UND DEB PlETHOBA ü. 9. W. 287
Bei den Thieren der Versuche I bis IV besteht unmittelbar vor der
Injection des Tetanins fast die höchste Anämie, welche mit dem Leben
zuträglich ist, da nach unseren Erfahrungen* eine Blutsoustraction von
über 2 • 5 Procent des Körpergewichtes auf einmal bald tödtlich wirkt. Die
nach 24 Stunden wiederholte Blutsoustraction von 1-8 bis 1*5 Procent ist
ebenfalls auch dem tödtlich wirkenden Blutverlust nahe. Wenn wir an-
nehmen, dass das Blutvolumen des Kaninchens V^ oiev 6 bis 7 Procent des
Körpergewichtes beträgt, wurde beim ersten Aderlass etwa Vs und beim
zweiten (wenn inzwischen das Blutvolumen sich wieder hergestellt haben
sollte) etwa V4 der Blutmenge abgezogen.
Besitzt eine vorhandene Anämie im Moment des Eindringens des Te-
tanins in's Blut oder im Laufe der Tetaninvergiftung irgend welchen Ein-
fluss, dann müsste derselbe wohl hier zum Ausdruck gelangen. Thatsäch-
lich sterben die anämisirten Thiere der Versuche I bis IV ebenso wie die
Controlthiere, nicht aber später, sondern durchschnittüch ein wenig früher.
Dieses etwas schnellere Verenden der stark anämisirten Thiere erklärt sich
naturlicher Weise durch den dadurch hervorgerufenen abgeschwächten Zustand.
In den Versuchen V bis XII haben wir die Blutsoustraction mehr und
mehr herabgesetzt und uns den klinisch gemachten Aderlässen genähert,
speciell in den Versuchen VII und XII (kleine wiederholte oder nicht
wiederholte Blutaderlässe). Obwohl 0.3 '^sr Tetanin pro Kilo die Grenze
der tödtlichen Dosis darstellt, wie Versuche mit kleineren Dosen und das
Ueberleben des entsprechenden Controlthiere^ B zeigen, sterben alle die
mehr oder weniger leicht anämisirten Thiere der Versuche V bis XII;
massige wie kleine Blutsoustractionen haben also wenigstens nicht die ge-
rmgste hemmende Wirkung auf die Tetaninvergiftung, eher liesse sich noch
eine leicht beschleunigende Wirkung annehmen; der Unterschied aber
zwischen dem Ueberleben der Versuchs- und Controlthiere ist zu gering,
um dieselbe Formel anzuerkennen.
Aus diesen Versuchen schliessen wir demgemäss, dass eine hoch-
gradige, durch Aderlass hervorgerufene Anämie Kaninchen dem
Tetanin gegenüber empfindlicher macht und eine massige oder
geringe Anämie ohne deutlichen Einfluss ist Auf die celluläre
Toxinabsorption und Wirkung hat der Blutaderlass in keinem
Fall eine heilende Wirkung.
Einerseits um den Einfluss der anämischen Blutdruckerniedrigung zu
eUminiren und andererseits um ein „lavage du sang^' hervorzurufen, wurde
in den Versuchen XIII und XIV eine zweifache hohe Blutsoustraction und
gleich darauf jedesmal ungejfähr eine doppelte Menge physiologischer Koch-
' I. Rons 8 e, Arch, intern, de pharmacodynamie. Vol. IV. p. 79.
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288 J. F. Hetmans und I. Eonsse: Einfluss deb Anämie ü. s. w.
Salzlösung infundirt Die Thiere sterben in normaler Frist; von einer Ver-
spätung kann keine Rede sein. Die Infusion physiologischer Koch-
salzlösung, wie Ersatz des Blutes durch Soustraction uod Trans-
fusion,^ beeinflusst also nicht im geringsten Grade die Tetanin-,
bezw. die Toxinvergiftung im Allgemeinen.
Da hochgradige Anämie die Tetaninwirkung etwa beschleunigt, wurde
untersucht, ob Plethora etwa im entgegengesetzten Sinne dieselbe beeinflusse.
In den 6 mitgetheilten Versuchen XV bis XX wurde den Thieren un-
mittelbar vor der Tetanininjection frisches arterielles Blut bis zu 5*5 Procent
des Körpergewichtes direct transfundirt, d. h. die Blutmenge wurde fast
verdoppelt; in 5 Versuchen wurde die Transfusion nach 24 Stunden^ in den
Versuchen XVIII und XIX auch nach 48 Stunden und im Versuch XX
nach 72 Stunden wiederholt Die Kaninchen der Versuche XIX und XX
erhielten also eine Blutmenge, welche bezw. 14-3 Proc. und 12-5 Proc.
des Körpergewichtes oder über das Doppelte der normalen Blutmenge ent-
spricht. Bei diesen 6 Thieren bestand also im Moment der Tetanininjection
wie im Laufe der Vergiftung eine hochgradige Plethora. Trotzdem gehen
sie alle zu Grunde, und in einem Zeitintervall, welcher nicht deutlich den
der Controlthiere, wohl aber denjenigen der 4 stark anämisirten Thiere
(Versuche I bis IV), übertriflfb.
Im Gegensatz zur starken Anämie hat also hohe Plethora
keinen beschleunigenden, aber auch kaum einen verlangsamenden
Einfluss auf die Tetaninvergiftung: eine besonders eingreifende,
specifische Wirkung des Blutes, eine qualitative oder quanti-
tative, besteht nicht.
Wenn wir diese mit Tetanin erhaltenen experimentellen Ergebnisse ver-
allgemeinern, möchten wir sagen, dass das Blut sich den Toxinen gegen-
über absolut indifferent verhält; letztere verschwinden aus demselben fast
momentan.' Je normaler die Beschaffenheit des Blutes ist, desto besser
sind die fixen Gewebe ernährt und auch desto widerstandsfähiger. Alle
symptomatischen therapeutischen Maassregehi gegen die Intoxicationen — über
die Bekämpfung der Infectionen an sich durch Anämie, Plethora oder Koch-
salzlösunginfusion sollen unsere Versuche kein Urtheil abgeben — sollen
dahin convergiren, wie die Praxis in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts
auch erkannte, den Streit des Organismus g^n das eindringende Gift
durch möglichste normale Beschaffenheit zu unterstützen.
* Decroly et Ronsse, Areh. intern, de pharmaoodynamie. Vol. VI. H. 3—4.
^ Heymans, BuU, de VAe, r. de mid. de Belg. 1898. p. 751.
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JAN 11 1900
Ueber die Bedeutung von Kola, Kaflfee, Thee, Mat6
und Alkohol für die Leistung der Muskeln.
Von
Oberstabsarzt und PriYatdooent Dr. Sohiimbiirg
in Hannorer.
Es sind nmimehr 6 Jahre verflossen, dass mir die Auszeichnung zu
Theil ward, zum Laboratorium des Hm. Prof. Zuntz commandirt zu werden,
um mit meinem hochverehrten Lehrer gemeinschaftlich Versuche anzustellen
zur Grewinnung physiologischer Merkmale für die zulässige Belastung des
Soldaten auf Märschen. An diese Versuche knüpfte sich dann der Auftrag,
mittels des Mosso'schen Ergographen, welcher schon bei den oben ge-
nannten Versuchen von uns benutzt wurde, die namentlich von der Turiner
Schule behauptete günstige Einwirkung des Zuckers auf die Muskelleistung
zu Studiren. Ich konnte dabei den Nachweis führen, dass, wenn die Be-
sultate am Ergographen völlig einwandsfrei sein sollen, man bei der Ver-«
suchsanordnung die Suggestion gänzlich ausschalten muss, eine Forderung,
welche die italienischen Forscher bis dahin nicht immer erfüllt hatten. Es
gelang mir damals, eine einwandsfreie Versuchsanordnung für Experimente
am Mosso'schen Ergc^raphen zu gestalten, welche ich ausführlich zu-
sammen mit den für den Zuckergenuss günstig ausgefallenen Besultaten im
Jahre 1896 in der militärärztlichen Zeitschrift niederlegte und welche seit-
dem sowohl von mir wie von Anderen, insbesondere von Prof. Frentzel,
bewährt befunden wurde. Bezüglich aller Einzelheiten muss ich auf jene
Veröffentlichung verweisen; nur die Grundzüge möchte ich hier kurz
skizziren.
Die Gontractionen der Flexoren des dritten Fingers der im TJebrigen
fixirten und unbeweglichen rechten Hand hoben alle 2 Secunden 4^ bis
zur völligen Ermüdung. Nach 3 Minuten Pause erfolgte eine solche zweite
„Arbeitsperiode**. Die — messbare — (Jesammthubhöhe oder, multiplicirt
Archiv i: A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. Snppl. 19
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290 Schuhbubg:
mit dem gehobenen Gewicht, die Gesammtleistong dieser zweiten Arbeits-
periode war nun meist schon geringer, diejenige der dritten noch niedriger
und so weiter abMend bis zur zehnten Arbeitsperiode. Nach der zweiten
Arbeitsperiode wurde nun der Versuchsperson, welcher der Zusammenhang
der Versuche durchaus unklar bleiben muss, 100<^<™ einer stets gleich süssen
Flüssigkeit eingegeben, welche an dem einen Versuchstage 30 «f™ Zucker,
an einem anderen eine Spur Dulcin, eines in dieser Menge gänzlich in-
differenten Süssstoffes, enthielt Im üebrigen war das Verhalten u. s. w.
der Versuchsperson an allen Versuchstagen peinlich genau das gleiche.
Wirkte nun der Zucker auf die Muskelleistungsfahigkeit ein, so mussten die
Gesammtleistungen der späteren Arbeitsperioden höher sein, als wenn kein
Zucker oder vielmehr statt Zucker Dulcin verabreicht war. Es zeigte sich
damals bei dieser Versuchsanordnung, dass auch bei Ausschaltung des psy-
chischen Momentes die Darreichung selbst kleiner Zuckergaben die Leistungs-
fähigkeit der ermüdeten Muskeln erhöht; allerdings nur der „ermüdeten^^
Muskeln, da, falls noch Nahrungsstoffe, zumal Glycogen und Tranben-
zucker, vorhanden waren, die Ausschläge unr^lmässig wurden. Aus
diesem Grunde schaltete ich nach der zweiten Arbeitsperiode eine Dreh-
arbeit von 18 bis 20000™^ ein, in der Absicht, dadurch den grössten Theil
jener Nahrungsstoffe zu consumiren und den nun neu eingeführten Zucker
zur Geltung zu bringen.
Eine zweite^ veröffentlichte üntersuchungsreihe sollte aufklären, in wie
weit das Müdigkeitsgefühl bei den eben geschilderten Besultaten eine Bolle
spielte. Es kam deshalb darauf an, in der einzelnen Arbeitsperiode die
specifische Muskelleistung zu trennen von derjenigen, welche durch Ueber-
windung des Müdigkeitsgefiihls erreicht wurde. Dies erreichte ich dadurch,
dass ich die intelligente Versuchsperson anwies, während der Arbeitsperiode
anzugeben, wann sie eine Ermüdung ihres ziehenden, dritten Fingers be-
merkte und sie nur mit Anspannung energischen Willens den Versuch
fortsetzen konnte. In der That gelang es, in die Arbeitsperiode gewisser-
maassen eine „Marke'' zu machen, so dass nun alle nach der Marke ge-
leistete Arbeit auf Rechnung der Energiezufuhr zu setzen war. Bei dieser
neuen Versuchseinrichtung stellte sich nun heraus, dass der Zucker in der
•That ein schnell zur Wirkung gelangendes Muskelnahrungsmittel darstellt^
dass er aber femer auch fsing ist, durch Beeinflussung des Nervensystems
das Ermüdungsgefühl zu überwinden.
Mit Hülfe der eben geschilderten TJntersuchungsmethode habe ich
nun in weiteren Versuchen es unternommen, die Wirkung der Eingangs
ZeiUehrift für diätetische und phytikalisehe Therapie, Bd. IL Heft 3.
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Bedbutüng von Kola u. s. w. füe die Muskeln. 291
erwähnten sogenannten Ezoitantien auf die Leistungsfähigkeit der Muskeln
etwas genauer zu studiren.
1. Kola.
Es war die Angabe, die in einer Broschüre des Gorpsstabsapotiiekers
Bernegau hervorgehobenen Verzuge eines Ton ihm dargestellten EäLtractum
kolae siocum als Labe- und ErMsohungsmittel zu prüfen, in Sonderheit
festzustellen, ob Eola als zweokentspreohender Zusatz bei der Ernährung
der Soldaten mit Zucker verwendet werden kann.
Bernegau benutzt zur Herstellung seiner Labetabletten, sowie anderer
Präparate, wie Eola-Bonbons, Kola-Chooolade, Kola-Cacao, Eola-Leguminosen,
abgesehen vom Kolapulver (getrocknete und pulverisirte Nüsse) ein von ihm
un Yacuum hergestelltes Eitract der Kolanüsse, das Extractum kolae sio-
cum, welches die Hamburg-Altonaer Nährmittel-Gesellschaft Besthorn und
Gerdtzen in Altena fabricirt und in den Handel bringt.
Das von der genannten Firma bezogene trockene Kolaextraot stellt ein
trockenes braunes, aromatisch riechendes und nicht unangenehm, etwas
süsslich schmeckendes Pulver dar. Seine chemische Zusanmiensetzung ist
nach einer im hgyienisch-chemischen Laboratorium der Kaiser Wilhelms-
Akademie zu Berlin angestellten Analyse folgende:
Wasser 17.53 Proc,
Milchzucker 77-69 „ ,
Gesammtalkaloide 0*69 „ ,
Tannin 3-7323
w
Während der nachfolgenden Untersuchungen wurde dem Bericht-
erstatter eine Broschüre über ein französisches Kolapräparat übergeben,
welche die Anwendung der Kolanuss im Allgemeinen zur Erhöhung der
Leistungsfähigkeit behandelte und dann ein von Astier in Paris hergestelltes
Eolapräparat empfahl, die Cola grannig Astier. Die mir von der Firma
Astier in Paris übersandten kleinen braunen Zuokerkügelchen schmeckten
recht angenehm aromatisch; sie hatten nach einer im Laboratorium der
-Kaiser-Wilhelms-Akademie angestellten Analyse folgende Zusanmiensetzung:
Wasser 0-99 Proc,
Tannin 0-913
Bohrzucker 96-5
Invertzucker 0-7
Alkaloide 0*964
JJ 9
19*
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292 SoHUMBUBO:
Der Alkaloidgehalty auf welchen es bei der Benrtbeünng von Eola-
pr¶ten im Wesentlichen ankommt, ist also bei Kola Astier nur sehr
wenig höher als bei dem Extraotmn siccum Bernegao.
Das Extractnm kolae siccum Bemegan lässt sich mit Zacker gnt
mischen und zu Tabletten comprimiren.
Es blieb demnach nur noch festzustellen, ob der Genuss von Kola
m der That jene viel behauptete, bisher aber nur mangelhaft experi-
mentell bewiesene Erhöhung der Leistungsßhigkeit hervorzubringen im
Stande ist
Die wichtigsten bisherigen Angaben in der litteratur nach dieser Bich-
tong hin sind nach Bernegau folgende:
1. Schuchardt^ eraählt, dass Heckel in seinen der Akademie der
Medicin zu Paris am 8. und 22. April vorgelegten Arbeiten unter Anderem
ausführte, dass er der technischen Commission des Armee-Oesundheitsdienstes
ein Outachten, betreffend Versuche mit Eolanuss abgegeben, dahin gehend,
dass die Eola den Menschen und den Pferden ausserordentliidie Märsche
(Me Ermüdung und ohne schweres Athmen gestatte.
2. M. Kirchner berichtet,* dass die Franzosen im Madagascar-Feld-
zuge vorzügliche Erfolge mit der Verwendung der Kolanuss in der Ver-
pflegung gehabt haben.
8. Nach G. Koenig' haben Versuche, welche im Jahre 1889 in der
Klinik der Militair-Lehrschmiede zu Berlin gemacht wurden, ergeben, dass
die Kolanuss bei Pferden den Appetit verbessert
4. Der Forschungsreisende Eugen Wolff^ hat in seinen Berichten
über den Madagascarfeldzug seine Thiere mit Kola gefüttert Dieselben
blieben trotz der gewaltigen Kriegsstrapazen bis zum Ende des Marsches
in bestem Ernährungszustände, „während die Pferde und Maulthiere der
französischen Armee vor lauter Ermüdung das Futter versagten'^
5. Bernegau hat seine ersten Versuche mit Kola an sich selbst^
dann an einem Hunde angestellt (1889). Er stellte „günstige Wirkungen
auf das Allgemeinbefinden'' bei sich selbst fest Das Thier „frass stets mit
Appetit und befuid sich in guter Gondition''. Ein Versuch bei Qfifioier-
pferden misslang zunächst, da die Thiere das Futter versagten. „Zu be-
^ Die E6Umu$9. S. 80.
* Müitär'QeiwMeiUjfiege. S. 1092.
> Zeit$ekrtft für Veterinärkunde, 1896. Nr. 7.
« BerUmer Tageblatt. 1896.
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BEDBUTÜNa YOK EOLA ü. 8. W. VÜB DIE MUSEELK. 293
fiiedigendeu Ergebnissen f&hrten die Yersache erst im Jahre 1895 , als
die Kolanoss nach dem Prinoip des Eola-Feptons mit leicht verdaalichem,
?egetabilischen Eiweiss bei der Fütternng eines Offioierpferdes angewandt
wurde".
In der oben citirten Broschüre^ sind auch (Jewiohtstabellen von
Fatterongsversuohen mit 2 Kerden veröffentlicht, welche darthon sollen,
dass man bei Eolafütterong eines Theiles der gewohnten Mais-Haferration
entrathen könne. Das beweisen nun die Tabellen nicht Beiden Pferden
wurde Monate hindurch 40 «^ Eolafutterstoff gegeben. Während nun bei
dem ersten Pferd — nach anfanglichem Grewichtsverlust von 16*« in
10 Tagen bei der Verminderung der Mais-Haferration um 1 Pfund — nach
3 Monaten eine Zunahme von 2 ^ zu notiren war, nahm das zweite Pferd
unter gleichen Bedingungen 22 ^ in 23 Tagen ab.
Bernegau schiebt die Glewichtsverminderung auf starke Arbeit der
Pferde innerhalb jener Zeit
Jedenfalls fehlt es zur Zeit noch an einem genügenden experimentellen
Nachweis der Behauptung, dass Eolagenuss die Leistung erhöhe.
Diesen zu erbringen, hat der Berichterstatter eine Beihe von Versuchen
mit dem Mosso'schen Ergographen angestellt
Die Versuchsanordnnng war die vom Berichterstatter bereits Eingangs
geschilderte.
Als Eolapräparat wurde das Extraotum kolae siccum Bernegau be-
nutzt, welches einen süssen und dabei adstringirenden Geschmack hat
Dasselbe wurde in 100 ^'^ Wasser möglichst gelöst. Zu den CJontrolver-
suchen dienten 100^°°^ Wasser, dem als Süssmittel eine entsprechende,
etwa 0«1«™ betragende Menge Dulcin zugesetzt wurde, während wir die
brarme Färbung der Flüssigkeit und den adstringirenden Geschmack durch
eine Spur Kaffeesurrogat — welches gerade im Laboratorium zu anderen
Zwecken untersucht wurde — nachzuahmen suchten. Die Spur Dulcin und
EafTeesurrogat sind in diesen Mengen gänzlich indifferent gegenüber der
Leistungsßhigkeit
Die Versuchsperson erhielt nun an jedem Versuchstage die gleiche
Menge einer braunen, schwach süss schmeckenden Flüssigkeit, deren Zu-
sammensetzung sie nicht ahnte. In Wirklichkeit bestand die Flüssigkeit
aber an dem einen Versuchstage aus einer Losung von Extractum kolae
siccum, an einem anderen dagegen aus Dulcin und dem Surrogat Die
^ Bernegau, Die Bedeutung der Kolanuse.
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294 SOHVMBUBG:
Eolatage, sowie die Dnlcintage wechselten nun nicht einfach, sondern sie
folgten sich meist in ganz unregelmässiger Weise, bald mehrere Dulcin-
yersuche hinter einander, bald mehrere Eolatage, gelegentlich auch in
regelmässigem Wechsel.
Nach einem Versuchstage kam regelmässig ein Ruhetag.
Die Versuche sind nun sowohl am nicht ermüdeten Organismus an-
gestellt worden, als auch dann, wenn der Körper durch eine gewaltige
Dreharbeit am (von Zuntz verbesserten) Ergostat (18000 bis 21000^^
in '/^ Stunden) erschöpft war. Diese Dreharbeit wurde nach der zweiten
Arbeitsperiode eingeschaltet Nach derselben erfolgte unmittelbar die Auf-
nahme von Kola oder Dulcin.
Bei den einzelnen Arbeiteperioden wurde nun femer darauf geachtet,
wann während der Gontractionen des Fleior digiti tertii dextri eine be-
sondere Energiezufuhr nothwendig war, so dass Mitbew^ungen anderer
Muskelgruppen, besonders auch im Gesicht, auftraten. Diesen Zeitpunkt
lernte die intelligente Versuchsperson bei einiger üebung leicht fest-
stellen.
Diese Theilung der ganzen Hubarbeit einer Arbeitsperiode klärt uns
darüber auf, ob Kola mehr auf die eigentliche, ohne besonderes Aufgebot
von Willen erfolgende Muskelarbeit (1. Abschnitt) einwirkt, oder aber oh
Kola mehr (im 2. Abschnitt) das Ermüdungsgefühl nach der Art anderer
Excitantien unterdrückt.
Die Betrachtung der nachfolgenden Tabellen giebt uns darüber Aus-
kunft.
Die bei den Versuchen gewonnenen absoluten Zahlen sind, um Baum
zu sparen, hier fortgelassen worden; es sind nur die Procentzahlen auf-
geführt, welche auf Grund folgender Erwägung aus den absoluten Zahlen
hergeleitet sind. Da die Versuchsperson bezüglich ihrer Kraftentfaltung
nicht jeden Tag gleich gut disponirt ist, lassen sich die einzelnen Versuchs-
tage nicht gut mit einander vergleichen; es kommt uns vielmehr darauf
an, zu erfahren, wie viel von der im Anfange des Tages (z. B. der ersten
oder der zweiten Arbeiteperiode) geleisteten Arbeit noch in den spateren
Arbeiteperioden dieses Tages verrichtet wird, mit anderen Worten, wie
schnell an diesem oder jenem Versuchstage die Versuchsperson ermüdete.
Deshalb ist die zweite Arbeitsperiode, welche meist die höchsten Werthe
aufwies, als Norm angesehen und deshalb sind auf sie als 100 die Werthe
aller anderen Arbeiteperioden procentisch bezogen. Diese Procentzahlen
finden wir in Tab. L
Tab. n giebt nun die reine Muskelleistung wieder (die erst« Zahl jeder
Arbeiteporiode aus Tab. I), während Tab. III uns zeigt, welche Arbeit durch
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Bedeutung von Kola u. s, w. püb die Muskeln. 295
XJeberwindnng des Müdigkeitsgefühls geleistet wurde (die zweite Zahl jeder
Arbeitsperiode aus Tab. I, minus die erste). Tab. n und III leiten sich
also aus Tab. I ab, sie smd in ihr schon enthalten und nur der Ueber-
sicbtliohkeit wegen noch einmal abgedruckt.
Aus den Tabellen ergiebt sich nun, dass
1. (Tab. I) die Hubleistungen der einzelnen Arbeitsperioden ohne vor-
anfgegangene Dreharbeit bei Eolaeinnahme meist weniger schnell abnehmen
als ohne Kolaeingabe. Indess ist eine absolute Begelmässigkeit nach dieser
Hinsicht nicht zu verzeichnen; eine Ausnahme bildet etwa der Versuch
Yom 14./II.
2. Wird dagegen Dreharbeit vorher geleistet, der Körper also mehr
ermüdet, so tritt auch in Tab. I der Einfluss der Kola deutlich hervor.
3. Die reine Muskelleistung (Tab. II) wird durch Kola bei nicht er-
müdetem Körper gleichfalls nicht regelmässig gesteigert, wie der Versuch
vom 7./n. und die auf ihn zeitlich folgenden lehren, während, wenn der
Organismus durch die voraufgegangene Dreharbeit erschöpft ist, der die
Hnbleistung mehrende Einfluss des Kolagenusses deutlich zu Tage tritt
Ob indess diese Beeinflussung ledigUch der Kola zuzuschreiben ist, erscheint
mir deshalb nicht unzweifelhaft bewiesen, weü das eingenommene Extractum
kolae siccum Bemegau zu 78 Procent aus Zucker besteht. Wenn nun
auch bei jedem Versuche 5 «^ Kolaextract mit nur etwa 4 «^ Zucker
eingeführt wurden, so ist es doch nicht von der Hand zu weisen, wenn
die Steigerung der reinen Muskelleistung mehr als auf Kola auf diese
Kohlehydratmenge zurückgeführt wird.
4. Die Zahlen der Tab. III lehren uns den Einfluss, welchen die Kola-
gabe auf die üeberwindung des Ermüdungsgefühls ausübt Bei nicht er-
schöpftem Organismus ist auch nach dieser Richtung keine regelmässige
Einwirkung zu verzeichnen, wie besonders ein Vergleich des am 11. /IL
angestellten Dulcinversuches mit den nun folgenden Kolaversuchen zeigt,
obschon eine Beeinflussung durch Kola im Allgemeinen nicht zu verkennen
ist Auch beim ermüdeten Körper ist der auf üeberwindung des Müdig-
keitsgefühls kommende Antheil der Kolawirkung zwar meist, aber nicht
ohne Ausnahme (vergleiche den Versuch vom 7./X.) zu beobachten.
Diese Resultate zusammenfassend, komme ich zu dem Schluss, das»
das Extractum colae siccum Bemegau in der That geeignet ist, den er-
müdeten Körper zu erhöhten Leistungen zu befähigen; beim nicht er-
schöpften Organismus tritt diese Wirkung nicht so deutlich hervor.
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296 Sohümbubg:
Dass ein Theil dieser Wirkung auf den Zuckergehalt des Präparates
zu beziehen ist, erscheint nicht ausgeschlossen. Nachdem es Bernegau
nunmehr gelungen ist, auch ohne Milchzucker anderen Eolaextract her-
zustellen, welcher reine Theobromin-Goffeln-Qerbsäure ist und sich in
heisser Milch leicht und angenehm schmeckend löst, so müssen die Ver-
suche noch mit dem anderen Extract ohne den Milchzucker wiederholt
werden.
Kola Astier- Paris hat vor dem Kola Bernegau, abgesehen von einem
um 0*2 Procent höheren Alkaloidgehalt, in physiologischer Beziehung nichts
und sonst nur die elegante Verpackung und den hohen Preis voraus.
2. Kaffee.
Die Untersuchungen wurden auch bei dieser und bei den folgenden
Versuchsreihen sowohl am nicht besonders ermüdeten, als auch an dem
durch Leistung einer gewaltigen Dreharbeit (21600™^) erschöpften Orga-
nismus angestellt. Die Versuchsanordnung war die oben beschriebene.
Die einzelnen Präparate in diesen und den übrigen Experimentalreihen
wurden in Mengen von 100*^ Flüssigkeit einverleibt, soweit sie Infuse
waren. Das Kaffeeinfus wurde aus 10^^ gebrannter Kaffeebohnen, das
Theeinfus aus 3»^ Thee, das Matöinfus aus 10»™ Mat6 hergestellt Von
letzterem wurde nicht der erste Aufguss, sondern der zweite benutzt.
Alkohol wurde in der Menge von 10 ~" zu 100 "^^ Wasser genossen. Alle
Getränke wurden durch eine Spur Dulcin versüsst und es wurde durch
ein Kafieefärbungsmittel eine bestimmte Färbung erzeugt Zu den Gontrol-
versuchen erhielt die Versuchsperson nur 100 ^'^^ Wasser zu trinken, ge-
süsst mit derselben Menge Dulcin und gefärbt mit demselben Färbemittel.
Coflfeln löste ich gleichfalls in 100^°™ Wasser, versetzt mit Dulcin und
dem Färbemittel. Die Flüssigkeiten wurden nach der zweiten Arbeits-
periode gereicht oder, bei den Versuchen mit eingeschalteter Dreharbeit^
nach dieser.
Durchmustern wir nun nach diesen allgemeineren Vorbemerkungen
die Tabellen unter Nr. II (Kaffee), so finden wir dabei folgende Resultate.
Kaffeegenuss steigert sowohl in der Buhe, wie nach vorausgegangener
Arbeit die Leistungsfabigkeit Besonders in der Ruhe tritt diese Thatsache
in die Erscheinung, also in den Versuchen, bei welchen keine Dreharbeit
geleistet wurde. Ein Blick auf Tab. II und III (Kaffee) lehrt, dass die
vermehrte Leistung bei Kaffeegenuss sowohl auf genuine Muskelarbeit als
auch auf eine Ueberwindung des Ermüdungsgefühls zu beziehen ist
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Bedsütüng von Kola u. s. w. püb die Muskeln. 297
8. Thee.
Aehnliche Resultate wie beim Eaffeeinfiis fanden sich auch beim Thee-
infus: Die Gesanmitleistang steigert sich nach dem Theegenuss, besonders
aoffallig bei nicht gänzUcher Erschöpfung (Tab. I). Die reine Muskelleistung
wird massig, aber deutlich im Sinne der Yermehrung beeinflusst, aber nicht
bei Erschöpfung (Tab. II). Ebenso wird das Müdigkeit^efühl besonders
dann kraftig unterdrückt, wenn der Körper nicht aUzu sehr erschöpft ist,
also Nahrungsstoffe zur YerfOgung stehen (Tab. III).
4. Mat6.
Das vom Kaffee und Thee Gesagte gilt auch vom Mat4, wie ein Ein-
blick in die Tabellen lehrt: Die Arbeitsleistung wird deutlich gewaltig ver-
mehrt, zumal wenn keine zu grosse Erschöpfung durch Dreharbeit gesetzt
ist (Tab. I).
Die Arbeit ohne Energie wird in der Buhe durch Mat^genuss ein
wenig vermehrt; ebenso bei Erschöpfung.
Auch die Arbeit mit Energiezufuhr (Tab. IQ) erföhrt bei Buhe eine
Zunahme; nach vorausgegangener Dreharbeit nützt Mat6 allein nicht
mehr viel.
Dies eigenartige Verhalten der genannten Exeitantien, nämlich nur
dann vorzüglich ihre specifische Wirkung zu entfalten, wenn Nahrungsstoffe
zu Gebote stehen, erklärt auch die Gewohnheit, dass man zum Kaffeeinfus
noch Nährstoffe, wie Milch und Zucker — zugleich allerdings ja auch als
OeschmacksGorrigens — hinzuzusetzen pflegt, und dass man gerade nach
yoraufgegangenen Mahlzeiten Kaffee zu reichen gewohnt ist, also zu Zeiten,
wo der durch den Kaffee angeregte Muskel auch wirklich Nährstoffe reich-
lich vorfindet. Die Wirkungsweise der Anr^ungsmittel lässt sich nach
alledem vielleicht so erklären, dass dieselben den Muskel befähigen, aus
den noch circuhrenden Nahrungsstoffen sich reichlicher seinen Bedarf
auszusuchen. Sind indess z. B. durch die Dreharbeit diese Stoffe ganz
oder fast ganz aufgebraucht, so ist natürlich die Anregung der Ikiüttel
nutzlos.
Inwieweit das Verhalten des Muskels auf das Nervensystem zu über-
tragen ist, ob auch das Neuron besonders dann zu hervorragenden Leistungen
durch den Genuss von Kaffee u. s. w. angeregt wird, wenn ihm zu gleicher
Zeit Nährstoffe, sei es im Verdauungskanal, sei es in den Körpersäften, zu
Gebote stehen, wage ich nicht ohne Weiteres zu entscheiden. Jedenfalls
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298 Sohumbübq:
erscheint von diesem (Gesichtspunkte aus eine Gombination von Kaffee mit
dem am schnellsten resorbirbaren Zucker als geeignetstes Erfnschungsmittel
angezeigt.
5. Coffein.
Wenn wir statt des Eaffeeinfuses das Alkaloid des Kaffees, das Coffein,
in Dosen von 0-1 8™^ gaben, so konnten wir (Tab. I) beobachten, wie das
oben beim Kaffeeinfus geschilderte Verhalten in noch viel pradserer Weise
sich geltend machte: Bei nicht erschöpftem Körper, also bei reichlich vor-
handenen, leicht zu erlangenden Nahrungsstoffen, eine deutlich und aus-
nahmslos zu beobachtende Steigerung der Muskelleistung, bei voraus-
gegangener maximaler Dreharbeit ein gänzliches Ausbleiben dieser
Wirkung.
Coffein wirkt auch vermehrend auf die einzelnen Theile der Leistung
(Tab. n und III), aber immer nur beim Vorhandensein von Nahrungs-
stoffen.
Dass der unterschied zwischen der Wirkung bei erschöpftem und bei
nicht erschöpftem Organismus beim Coffein deutlicher zu Tage tritt, als
beim Kaffeeinfus, mag darin seinen Grund haben, dass im Kaffeeinfus
inmier noch, wenn auch geringe Mengen yon Nahrungsstoffen (Fett, N-freie
Extractivstoffe) sich vorfinden, welche die Einwirkung compliciren. Diese
Stoffe fehlen natürlich dem Coffein und es tritt deshalb der Mangel einer
erhöhten Leistung beim Fehlen von Nahrungsstoffen (nach vorangegangener
Dreharbeit) besonders auffällig hervor.
6. Alkohol.
Beim Vorhandensein von Nahrungsstoffen steigerte in meinen Versuchen
eine massige Alkoholgabe (10*^) die Leistung (Tab. I); waren solche nicht
da, so fehlte auch diese Steigerung, ja, die Leistungsfähigkeit der Muskeln
schien fast geringer zu werden. Hiemach war es fraglich, ob Alkohol durch
seine einfache Verbrennung Muskelarbeit zu leisten im Stande ist
Auch die genuine Muskelleistung (Tab. II) wird durch Alkohol yer-
mehrt, aber auch diese nur dann, wenn Nahrungsstoffe im Blute drculiren.
Man könnte deshalb die Wirkung des Alkohols vielleicht, gleich wie die-
jenige der vorher abgehandelten Excitantien, als eine zur Nahrungsaufnahme
anregende auffassen. — Die Energiezufuhr (Tab. III) wird durch eine
Alkoholgabe von 10^™ ganz gewaltig gesteigert, aber wieder nur im Falle
der Anwesenheit von Nahrungsstoffen. Fehlen solche, dann fehlt auch die
vermehrte Leistung.
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Bedeutung von Koul u. b. ir. püe die Muskeln. 299
Die duroh Alkohol bewirkte Steigerung der Leistung hält nicht lange
vor. In unserem Versuche war schon bei der achten Arbeitsperiode der
Erfolg zweifelhaft
Als praktisches Ergebniss dieser Versuche könnte man bezeichnen:
L Die Eaflfee-, Theo-, Mat^infuse und wahrscheinlich auch die aus der
Eolanuss hergestellten Extracte (namentlich die Bernegau'schen Präparate)
wirken bei völ% erschöpftem Körper durchaus nicht anregend; nur, wenn
noch Nahrungsstoffe (Kohlehydrate, Fette, Eiweisskörper) vorhanden sind,
oder in Form von Zucker oder Müch zugleich eingeführt werden, tritt die
excitirende Wirkung jener Mittel zu Tage.
2. Alkohol scheint nicht ein Nahrungsstoff wie die Kohlehydrate zu
sein, welche durch ihre Verbrennung Arbeit leisten. Der Alkohol ist viel-
leicht mehr in die Beihe der erwähnten Eidtantien zu verweisen, welche
wirken, wenn zugleich Nahrungsstoffe im Vorrathe sind.
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300
SOHüMBüBG-:
Datum
Dreharbeit
Zahl der
Umdreh-
ungen
geleistete
Arbeit
in mkg
Eingeführt worde
Tabelle
17. Januar
10-1— 29-8
10-6—100
9.7—89.9
19. „
88-0— 67-1
89.2—100
ö«~ Extr. colae sicc.
Bemegau
37-9-101-2
21. „
88-7— 70-6
60-1-100
Dulcin + Wasser
88.1—90-2
24. „
32 •8-81 -2
33-0-100
5*™ Extr. colae sicc. Bern.
41.1-14-0
26. „
84- 4-60- 7
39-3—100
Dulcin + Wasser
84-6-76-0
29. „
41«0-114«1
41.7—100
6«™ Extr. colae sicc Bern.
53-6-116-1
31. „
30.7-Ö7-6
44.7-100
Dulcin + Wasser
54-0-77-1
2. Februar
49-8-179-1
24-8-100
desgl.
44-6-120-6
4. „
4Ö-5-182-9
ÖÖ.O-IOO
desgl.
64-0-119-9
T. „
32-0~4ö-2
39-2-100
desgl.
25-3- 96-8
9. „
19.7—58.8
27.7-100
5«'" Extr. colae sicc. Bern.
22.0-96-1
11. ..
20-4-50-3
33.8-100
Duloin + Wasser
29.5-99-3
u. „
26 -8-04 -6
23-8—100
5(™ Extr. colae sicc Bern.
33-7-101-9
16. „
24-9— 6Ö«0
82-7—100
desgl.
82-9-88-0
18. „
27-9-48.8
30-4-100
desgl.
86.7-98-2
21. ,.
17.9-27.8
89-2-100
desgl.
37.9-90.3
23. „
24-7— 62-3
31-4-100
desgl.
34-7-96-4
15. Septbr.
36.7—84.2
49-2-100
1200
18 000
Dulcin
36-6-62-4
26. „
46.9—96.4
48-3—100
1200
18 000
5«'" Extr. colae sicc. Bern.
39-7-89-2
5. Ootober
39-5- 73-8
52.6—100
1200
21 600 \ Duloin
60-9-99-6
7. „
27.8-90.8
36-2-100
1200
21600
Kola
83-7-111-5
11. „
88.5— 88-5
42.1-100
1200
21 600 1 • Dalcin 80-2-86-3
Tabelle
17. Januar
10. l
10-6
1 9.7
19. „
38.0
39-2
5 rra» Extr. colae Bemegauj 87 »9
21. .,
33-7
60-1
Dulcin
33-1
24. „
82*3
33-0
5 '"^ Extr. colae Bemegau 41 . 1
26. „
34.4
39-3
Dulcin
34-6
29. „
41.0
41-7
5«'» Extr. colae Bemegau
58-6
81. „
30.7
44-7
Dulcin
54-0
2. Februar
49*8
24-8
Dulcin
44-6
4. „
45.5
55-0
Dulcin
64-0
7. ..
32.0
39-2
Dulcin
25-3
9. „
19.7
27-7
5frm Extr. colae Bemegau
22-0
Digitized by
Google
Bedbütüng von Kola ü. s. w. fOb die Muskeln.
301
Kola.
Ar
beit am
Erg ographen
4
5
6
7
8
9
10
I.
8-8-80-1
7-5—86-0
7-8-84-6
7-2-20-4
5-4—24-7
5-9—19-3
8-8-16-1
42-2-188-0
82-8-142-7
88-4-97-1
80-0-100-7
28-2-78-2
25-0-65-9
26-7-88-0
89-8-180-0
28-9-67-1
22-6—58-1
22-5—88-9
28-1-48-3
17-7-44-5
18-6—50-1
ö7-8-126*6
44-8—81-8
41-8—89-8
80-0-113-8
25-0-128-9
28-9—69-9
25-2-70-4
48-5-189*9
85-1-135-0
27-1-66-7
30-9-61-1
27-4-82-3
24-0—58-7
22-8-61-5
47-3-116-8
51-8-129-8
51-5-128-4
51-5-106-4
55-5-124-2
52-5-108-3
50-6-86-4
47-4-82-6
89-1—78-4
80-5—66-5
84-8—50-0
23-3-54-3
19-0-40-5
15-8-89-0
86-7-108-2
44-2-128-4
42-1-119-1
86-8-83-8
86-4-84-8
81-8—73-9
26-4—73-4
61 •4-120-0
60-2-116-0
60-2-111-6
59-8-116-4
58-8—99-5
47.9—84-1
44-6-88-6
49-9-102-0
82-1-96-7
47-0-102-4
46-6-95-2
44-8—97-0
40-2—98-2
89-4-92-1
42-2-118-2
51-2-119-1
47-8-108-8
35-0-100-0
84-0-104-1
88-4-104-8
82-8-104-2
85-2-91-9
41-5-110-0
87-2-90-4
29-6-90-2
28-8-92-4
29-1-80-5
26-9-78-7
88-1-108-7
44-7-99-8
48-5-92-9
32-8—75-8
28-2-74-8
27-1-77-3
26-4-68-5
40-1— 82-6
55-7-95-6
61-5-115-4
63-7-123-5
61-4-115-4
60-8-112-0
46-2- 98-2
86-8-106-1
77-6-120-6
56-0-152-5
50-1-143-0
48-2-106-9
67-1-112-2
48-5—94-8
42-9—85-8
54-5-107-9
37-4-98-6
88-4^110-5
55-4-111-7
53-6-115-5
68-0-123-8
35-6-104-8
60-5-111-4
58-2-110-8
57-3-110-2
59-4-106-4
52-6-105-8
48.7—99-6
44*8— 91-3
44-2—83-7
44-3—84.0
25-1-78-5
24-6-80-9
24-7—66-3
24-3-65-4
49-6-100-5
51-7-112-8
51-5-111-1
55-3-114-0
46-0-111-2
44-5-102-4
88-0-82-7
45-2—81-0
89-4-82-8
87-6-68-8
21-7—70-6
23-1-48-9
31 -5-59-8
18-4-37-8
82-5—98-0
51-7-82-9
48-0—84-9
45-4—98-8
42-0-72-4
50-9-82-2
41-2-66-4
84-1—82-7
47-8—99-8
48-6—80-8
82-6—79-2
84-2—79-9
88-2-83-7
80-5-58-8
n.
8-8
7-5
7-8
7-2
5-4
5-9
8-8
42-2
32-8
88-4
80-0
28-2
25-0
26-7
89-8
28-9
22-6
22-5
28-1
17-7
18-6
57-8
44-8
41-8
80-0
25-0
23-9
25-2
48-5
35-1
27-1
80-9
27-4
24-0
22-8
47-8
51-8
51-5
51-5
55-5
52-5
50-6
47-4
89-1
80-5
84-8
28-3
19-0
15-8
86-7
44-2
42-1
86-8
36-4
81-8
26-4
61-4
60-2
60-2
59-8
53-8
47-9
44-6
49-9
82-1
47-0
46-6
44-8
40-2
89-4
42-2
51-2
47-8
35-0
34-0
88-4
32-8
Digitized by
Google
802
SOHÜMBüBO:
1.
Datum
Arbeit am Ergographen
1 I 2
Dreharbeit
Zahl der
Um-
drehungen
Arbeit
in mkg
Eingeführt wurde
3
11. Februar
20-4
88-8
14. „
26*8
28-8
16. ,.
24-9
82-7
18. ,.
27-9
80-4
21. „
17-9
89-2
28. „
24-7
81-4
15. Septbr.
86*7
49-2
26. „
46*9
48-8
5. Octbr.
89*5
52*6
7. „
27-8
86*2
11. ..
88-5
42-1
17. Januar
1». «
21,. ..
24. „
26. „
29. .,
«l. ..
2. Febmar
4. ,.
^. „
9. ,t
11. ,.
14. „
16. „
18. .,
21. „
28. „
15. Septbr.
26. „
5. Octbr.
7. ,.
11. ,.
19*2
84-0
86*9
48*8
26*8
78-1
26*9
129-7
187»8
18*2
89-1
29*9
27-7
40-0
15-9
9-9
37-6
47«5
49-5
84*8
68-0
50-0
89*8
60-7
89*8
66*9
60*6
58*2
55-2
75-1
45*0
60*7
72*8
66*1
76-1
67-2
69-5
60*7
68-6
50-8
51-7
47-4
68-8
57-9
1200
1200
1200
1200
1200
Ta
Duloin
5»™ Bxtr. colae Bemegau
desgl.
desgl.
desgl.
desgL
18 000
Dulcin
18 000
5«™ Eztr. oolae Bemegau
21600
Dulcin
21600
5«~ Extr. colae Bemegau
21600
Dulcin
1200
1200
1200
1200
1200
18 000
18000
21600
21600
21600
5nm
5«™
5«n»
Extr. colae
Dulcin
Eztr. colae
Dulcin
Eztr. coli^
Dulcin
desgl.
desgl.
desgl.
Eztr. colae
Dulcin
Eztr. colae
desgl.
desgl.
desgl.
desgl.
Dulcin
Eztr. colae
Dulcin
Eztr. colae
Dulcin
Bemegau
Bemegau
Bemegau
Bemegau
Bemegau
Bemegau
Bemegau
belle n.
29-5
88-7
22-9
86*7
87-9
84-7
86-6
89-7
60-9
38-7
80-2
Tabelle
80-2
68*2
57-0
99-6
41*8
62-5
28*1
75*0
55-8
70-6
74-0
69*8
68-2
65-1
61*4
52*4
61-6
25*8
49-5
88*7
77-8
56-1
Digitized by
Google
Bedeutung yon Kola d. s. w. füb die Muskeln.
303
Arbeit am Ergographen
6
10
(Fortsetzung.)
85-2
41-5
28*1
44-7
40-1
55-7
85-8
77-6
42*9
54-5
85-6
60-5
44-3
44-2
49*6
öl -7
45*2
39-4
82-5
51-7
84-1
47«8
m.
71-2
28-5
95-7
109-9
90-2
88*2
68*1
87-0
91-8
99-9
69-0
78-0
85-2
84-8
66-5
79-1
59-5
55-8
52-1
64-6
71-0
67*9
56*5
68-Ö
70*6
55-0
42-5
89-9
70-2
42-9
42*4
58-8
68*7
50-8
47«0
89-5
50*9
61-1
86-9
42*9
62-5
81-2
48*6
52-0
37-2
48*5
61-5
56-0
37-4
58-2
44*8
51 -ö
87-6
48-0
48*6
27-3
68*6
80*5
47-9
89«6
71-9
36-0
77*2
51-4
55*4
61-0
58-2
49*8
53-8
96*4
61-2
52*0
39-7
59*6
81«2
41-9
31«7
29«6
32«3
68-7
50-1
88-4
Ö7-8
25« 1
55*3
21-7
45*4
82*6
18«1
70-7
16-8
88-7
80-1
54*9
18«7
47 «0
56«5
48*5
64-9
60-6
42*9
Ö9-7
92*8
72-1
53-0
53-4
58-7
48*9
48-4
46*6
28.8
29-1
28-2
27-1
61*4
60*8
48-2
67«1
55-4
53-6
59*4
52«6
24-6
24-7
46-0
44-5
28-1
31-5
42-0
50-9
34-2
38*2
19-2
13-4
45*6
40-8
20*2^
26*8
98-8
45-9
64-9
34*7
68-6
50-8
31-0
21*5
47*9
42-1
46-2
36«2
Ö2-7
58-0
70-1
71-3
68-5
50-3
46*5
Ö0*1
53-9
öl -8
68-7
46-1
56-3
61-9
46»9
52-6
56-3
41-6
65-2
57-9
2Ö-8
28-3
30-4
31-3
45*7
45-5
26-9
26-4
46*2
48-5
68-0
48-7
24*3
38-0
18-4
41*2
30*5
12-3
56*2
81«5
45-2
38*8
3ö«8
23-2
46-9
43-9
52-7
71-4
51-8
42-0
52-0
46-8
60-7
50-8
41-1
44-7
19«4
25*2
28*3
Digitized by
Google
304
SCHUMBUBG:
9.
Datum
Arbeit am Ergographen
1 A
Dreharbeit
Zahl der geleistete
um- Arbeit
Eingef&hrt wurde
3
1
"
drehnngen
in mkg
Tabelle
16. April
36-1— 96«0
46-4-100
Inf. coffeae e 10»™
90-1-149-8
20. ,.
86-2-76-5
36-4-100
Dulcin
88-3-91-5
22. „
87-7— 97-0
50-9—100
desgl.
36-6-67-5
26. „
83-3--71-6
87-4-100
Inf. coffeae e 10»™
44-9-105-8
28. „
50-8-87-2
89-8-100
Dulcin
46-4-100-1
3. Mai
26«4— 51*5
48-4—100
desgL
48-1— 91-8
10. „
42-l-73'8
51-6-100
Inf. coffeae e 10»™
63-4-108-8
14. „
37«9-65-7
53-6-100
desgL
57-9-102-8
14. Juni
Ö8-6-80-1
35-7—100
Dulcin
Ö3-3-69-7
16. „
53-6-87«9
57-0—100
Inf. coffeae e 10 »™
66-1-102-S
15. Septbr.
36-7-84-2
49-2—100
1200
18 000
Dulcin
86-6-62-4
11. October
38'5— 88*5
42-1—100
1200
18000
desgL
80*2— 86-8
14. „
50-7-86-8
58-9—100
1200
21600
Inf. coffeae e 10»™
58-2-103-0
19. ..
56-0-104-5
52-0-100
1200
21600
Dulcin
56.8—99-6
Tabelle
16. April
86-1
46-4
Inf. coffeae e 10»™
90-1
20. „
36-2
36-4
Dulcin
88-3
22. „
87-7
50-9
desgl.
86-6
26. „
33-8
37-4
Int coffeae e 10 »™
44-9
28. „
50-3
39-8
Dulcin
46-4
8. Mai
26-4
43-4
desgL
48-1
10. „
42*1
51-6
Inf. coffeae e 10 »™
68-4
14. .,
87-9
58-6
desgl.
57-9
14. Jnni
88-6
35-7
Dulcin
58-8
16. H
58«6
57-0
Inf. oofleae e 10 »™
66-1
15. Septbr.
36-7
49-2
1200
18000
Dulcin
36-6
11. October
38-5
42-1
1200
21600
desgL
80-2
14. „
50-7
58-9
1200
21600
Inf. coffeae e 10 »™
58-2
19. „
56-0
52-0
1200
21600
Dulcin
56-3
Tabelle
16. April
59-9
53-6
Inf. coffeae e 10 »™
59-7
20. ,.
40-3
«3-6
Dulcin
53*2
22. „
59-8
49-1
desgl.
30-9
26. ,.
38*8
62-6
Inf. coffeae e 10»™
60-9
28. ,.
86-9
60-7
Dulcin
53-7
3. Mai
25-1
56-6
desgL
43-7
10. „
31-7
48-4
Inf. coffeae e 10 »™
40-4
14. .
27*8
46-4
desgL
44-9
14. Jnni
41-5
64-8
Dulcin
16-5
16. „
34-4
43-0
Inf. coffeae e 10 »™
36-5
15, Septbr.
47-5
50-8
1200
18000
Dulcin
25-8
11. October
50-0
57-9
1200
21600
desgL
56-1
14. „
86'1
41-1
1200
21600
Inf. coffeae e 10 »™
44-8
19. „
48-5
48-0
1200
21600
Dulcin
48-3
Digitized by
Google
Bedeutuno von Kola u. s. w. füb die Muskeln.
806
Kaffee.
Arbeit am Ergographen
5 I 6 j 7 I 8
10
I.
68*1-101«4
49-9-98-4
53-6— 98-0 1 67-4-105-4
48-8-96-0
39.7-80-6
24-8—69-5
41 -2-77-5
21-8-58-8
22-7-44-8
23-8-46-2
19-5-47-8
20-1—41-2
18-8-88-6
42-5-69-7
30-6-52-1
36-8-54-7
29-0—54-3
38-1-56-8
30-7-49-9
27-3-47-5
60-2-113-8
70-4-111-1
66-9-97-8
55-5-84-9
54-9-82-4
80-1—64-8
36-2-66-2
38-1—80-1
31-7—78-7
30-3—59-1
29-3-59-3
27-1-53-6
26-3-51-5
24-7—49-4
58-3-89-5
33-8-54-4
36-4—52-0
34-3—61-1
35-5-53-9
30-7—57-9
30-7-57-5
66-7-105-4
64-9-116-2
67-8-98-8
59-8—99-6
56-9-84-7
42-9—72-6
41-6—68-4
61-3-107-9
60-8-104-6
61-1—94-2
52-4—89-1
53.8-76-4
42-1-72-1
42-0-64-2
42-0-71-1
30-2—48-5
36.6—59-8
31-4-45-1
22-5-37-02
28-2-89-9
22-1-38-1
71-7—93-6
64-8-121-0
62-6—85-4
64-8-105-1
67-8-106-0
52-7-64-8
48-4-78-5
44-3-91-3
44-2—83-7
44-8-84-0
25-1-^78-5
28-6-80-9
24-7-66-3
24-3—65-4
34-1-82-7
47-3-99-3
48-6—80-3
32-6—79-2
84-2-79-9
38-2—83-7
30-5—58-8
59-9-101-8
46-5-104-1
51-4-115-9
49-2-103-0
37-9-101-3
86-7-90-6
33-3—88-2
45-1-87-8
42-0-87-9
42-8-81-7
36-4—82-6
36-9— 86-5
39-4—82-8
35-5—80-7
IL
*
68-1
49-9
53-6
67-4
48-3
39-7
24-8
41-2
21-8
22-7
23-8
19-5
20-1
18-8
42-5
30-6
86-8
29-9
38-1
30-7
27-8
60-2
70-4
66-9
55-5
54-9
30-1
36-2
38-1
31-7
80-8f
29-3
27-1
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36-4
34-3
35-5
30-7
30-7
66-7
64-9
67-3
59-7
56-9
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41-6
61-3
60-8
61-1
52-4
53-3
42-1
42-0
42-0
30-2
36-6
31-4
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28-2
22-1
71-7
64-8
62-6
64-8
67-8
52-7
48-4
44-3
44-2
44-3
25-1
24-6
24-7
24-8
34-1
47-3
48-6
32-6
84-2
88-2
80-5
59-9
46-5
51-4
49-2
87-9
36-7
33-3
45-1
42-0
42-8
36-4
86-9
39-4
35-5
m.
33-3
48-5
44-4
1 38-0
47-7
40-9
44-7
86-3
37-0
22-1
1 22-4
28-3
21-1
19-8
27-2
21-5
17-9
24-4
23-2
19-2
20-2
53-6
40-7
80-9
' 29-4
27-5
34-7
30-0
42-0
47-0
28-8
30-0
26-5
25-2
24-7
31-2
20-6
15-6
26-8
18-4
27-2
26-8
38-7
j 51-3
31-5
39-8
27-8
29-7
26-8
46-6
43-8
33-1
36-7
28-1
80-0
42-2
29-1
18-3
23-2
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16-0
21-9
56-2
22-8
40-3
38-2
12-1
30-1
47-0
89-5
39-7
53-4
56-3
41-6
41-1
48-6
! 52-0
31-7
t 46-6
45-7
45-5
28-3
41-9
57-6
64-5
53-8
63-4
58-9
1 54-9
42-2
1 45-9
1 38-9
46-2
49-6
43-4
45-2
Archiv f. A. u. Ph. 1899. Pbysiol. Abthlg. Suppl.
20
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306
Schombubg:
Datum
Arbeit am £rgographen
1 2
Dreharbeit
Zahl der geleistete
Um- Arbeit
drehangen in mkg
EiDgeflihrt wurde
3
Tabelle
S. Mai
26'4-5l'5
48-4-100
Dnlcin
48-1-91-8
12. „
80-4-64-8
43-4-100
Thee
52-1-107-9
20. „
38'6— 63'4
46-5-100
iDfos. theae
48-2-101-5
14. Juni
88'6~80-l
35-7-100
Dnlcin
53-3-69-8
20. „
44-5— 70-1
51-3-100
Thee
54-3-104-9
24. „
41 •4-64-2
52-3-100
desgl.
52-1-103-4
5. October
39'5— 78'8
52-6-100
1200
21600
Dnlcin
60-9-99-6
29. „
52-8-109-1
59-5—100
1200
21600
desgl.
62-0-96-4
8. Novbr.
49-4— 97-0
50-9-100
1200
21600
Thee
36-2-103-1
5. .,
49-4-113-4
55-4—100
1200
21600
Duicin
54-1-97-6
Tabelle
3. Mai
26-4
48-4
Dnlcin
48-1
12. „
30*4
43-4
Thee
52-1
20. „
88-6
46-5
desgL
48-2
14. Juni
38-6
35-7
Dnlcin
53-3
20. „
44-5
51-8
Thee
54-3
24. „
41-4
52-8
desgl.
52-1
5. October
39-5
52-6
1200
21600
Dnlcin
60-9
29. „
52-3
59-5
1200
21600
desgl.
62-0
3. Novbr.
49-4
50-9
1200
21600
Thee
36-2
5. „
49-4
55-4
1200
21600
Duicin
54-1
Tabelle
3. Mai
25-1
56-6
Dnlcin
43-7
12. ..
34-4
56-6
Thee
55-8
20. ..
29-8
53-5
desgl.
53-3
14. Jani
41-5
64-3
Dnlcin
16-5
20. „
25-6
48-7
Thee
50-6
24. „
22-8
47-7
desgl.
51-3
5. October
34*3
47-4
1200
21600
Dnlcin
38-7
29. „
56-8
40-5
1200
21600
desgl.
34-4
3. Novbr.
47-6
49-1
1200
21600
Thee
66-9
5. „
64-0
44-6
1200
21600
Dnlcin
43-5
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Bedeutung von Kola u. b. w. füe die Muskeln.
307
Arbeit am ErgographeD
I
8
10
38-8— 54«4 I 86-4-52-0
56-8-109-6 , 56«8-94*2
51-3— 97-8 j 49-4— 97-5
80-2— 48-5 ' 86'6— Ö9-8
51-9-101 -9
51 -8-101 -9
89-4— 82-8
48-5— »8-1
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47-4— 86-9
47-3— 92-6
86-4-96-4
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48-4-98-6
52-0-91-8
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81-4-45-1
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40-6-85-2
54-5-111-8
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31-0— 59-6
58-3
61-9
61-5
42-0
56-6
56-4
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62-9
47-0
42-3
31-2
52-5
52-7
29-1
46-9
56-0
35-9
54-6
58-5
47-7
83-8
56-8
51-8
30-2
51-9
51-8
39-4
48-5
41-2
47-4
20-6
52-8
46-0
18-3
50-0
50-1
42-9
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56-8
49-4
36-6
47-3
36-4
37-6
44-1
48-4
52-0
15-6
37-4
48-1
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60-0
31-2
49-0
55-2
39-8
43-3
52-6
48-9
31-4
40-4
48-5
21-7
40-6
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49-6
48-9
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43-2
36-5
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40-7
39-0
14-5
48-7
23-2
25*8
32-3
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26-7
30-7
30-7
45-4
40-5
36-8
36-9
28-2
22-1
41-5
41-2
36-8
86-1
31-5
18-4
37-0
38-5
37-6
45-2
34-9
31-0
27-2
26-8
38-7
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27-8
26-9
11-8
16-0
30-8
28-2
32-6
29-1
28-3 •
19-4
30-9
7-4
46-4
47-2
35-4
1 28-6
20*
Digitized by
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308
Sohumbubg:
Datam
Arbeit am Ergographen
l I 2
Dreharbeit
Zahl der ! geleistete
Um. I Arbeit
drebapgen , in mkg
Eingeführt warde
28. April
30. „
3. Mai
27. „
14. Jnni
18. „
22. „
29. „
8. JuU
5. October
19. „
21. „
24. „
50-8-
56-8-
26-4-
53 -6-
38 «6-
62-4-
48-5
24 '9-
38-3-
39'5-
56-0-
60-0-
46 • 3-
-87-2
-97-2
-51-5
-81 -9
-80-1
-86-8
-78-6
-69«2
-56-1
-73-8
104 -5
112-5
-94-1
39-3—100
63-8-100
43-4-100
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35-7-100
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41-3-100
52-6-100
1200
52-0—100
1200
56-2-100
1200
48-9-100
1200
21600
21600
21600
21600
Dalcin
Mat^
Daloin
Matö
Dnlcin
Mat^
desgl.
desgl.
Dnlcin
desgl.
Mat^
Dnlcin
28.
April
50-3
39-3
30.
»»
56-3
63-8
3.
Mai
26-4
43-4
27.
>»
53-6
51-7
14.
Jnni
38-6
37-7
18.
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62-4
61-9
22.
»»
48-5
52-4
29.
»»
24-9
46-3
8.
Jnli
38-3
41-3
5.
October
39-5
52-6
19.
f»
56-0
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21.
j,
60-0
56-2
24.
tt
46-3
48-9
1200
1200
1200
1200
21600
21600
21600
21600
Dnlcin
Mate
Dnlcin
Matö
Dnlcin
Matä
desgL
desgl.
desgl.
Dnlcin
desgl.
Matö
Dnlcin
28. April
30. „
8. Mai
27. „
14. Jnni
18. „
22. „
29. „
8. Jnli
5. October
19. „
21. „
24. „
36*9
40-9
25-1
28-3
41-5
34-4
80-1
44-8
17-8
34-3
48-5
52-5
47-8
60-7
36-2
56-6
48-3
64-3
38-1
47-6
53-7
58-7
47-4
48-0
43*8
51-1
1200
1200
1200
1200
21600
21600
21600
21600
Dnlcin
Mat^
Dnlcin
Mat^
Dnlcin
Mat^
desgl.
desgl.
desgl.
Dnlcin
desgl.
Mat4
Dnlcin
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Bedexttung von Kola ü. 8. w. füb die Muskeln,
309
Arbeit am Ergographen
5 I 6 1 7 I 8
10
I.
38-1— 80-1
31-7-78-7
80-8—59-1
29-8—59-3
27-1—53-6
26-3-51-5
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30-7-57-5
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68-4-1 11 -l
58-8-105-2
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54-9-88-1
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51-2-105-1
50-3-101-4
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40-1-85-1
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34-6-75-1
43 •4-103-1
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35-5-80-7
6M-117-2
62-8-111-1
49-8—93-9
48-9-108-9
46-2—89-2
47-8-91-1
42-1-75-4
47- 9-101 «1
IL
38-1
46-4-78-7
40-7-87-2
46-9—72-8
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34-0-69-5
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81-7
30-8
29-8
27-1
26-3
24-7
72-1
63-4
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88-6
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42-1
58-3
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35-5
80-7
30-7
64-5
63-4
58-8
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53-4
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28-2
22-1
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40-7
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83-6
m.
42-0
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26-5
25-2
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37-6
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26-8
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47-7
46-4
41-5
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27-7
25-7
29-1
18-8
23-2
13-7
14-5
11-8
16-0
88-8
35-7
85-7
29-0
44-9
24-8
21-8
46-8
89-6
87-0
80-4
83-2
38-9
86-8
55-5
53-9
51-3
40-7
45-0
89-9
40-5
69-7
42-0
51-2
46-0
26-7
28-2
25-9
35-9
42-9
81-2
48-9
25-8
28-3
19-4
42*2
45-9
38-9
46-2
49-6
43-4
45-2
W-l
48-8
44-1
54-0
48-0
43-3
88-3
54-2
82-8
46-5
25-9
48-2
85-5
17-4
Digitized by
Google
310
SOHÜMBÜBO:
5.
Datum
Dreharbeit
Zahl der
üm-
drehangeD
geleistete
Arbeit
in mkg
EiDgeffihrt wurde
Tabelle
8. Mai
26-4-51-5
43.4—100
Dulcin
48-1-91.8
18. „
89-1— 68-9
43.4-100
0.1»™ Coffein
48.1-121-1
25. „
84»8-69-l
35.4-100
desgL
52-3-112.6
14. Juni
38-6— 80-1
35.7-100
Dulcin
53. 3-69-7
5. Juli
48 -6— 63-9
54.4-100
0.1»™ Coffein
51.3-107-6
U. M
24.3— 69-1
43.1-100
desgL
48- 1-104-5
5. October
39.5—73-8
52.6-100
1200
21600
Dulcin
60.9-99.6
11. .,
88-5— 88-5
42.1-100
1200
21600
desgl.
30.2-86.3
17. „
44.9—90.1
57.5-100
1200
21600
O-l«™ Coffein
36-3—74.8
19. „
56.0-104.5
52.0—100
1200
21600
Dulcin
56-3-99-6
Tabelle
8. Mai
26.4
43.4
Dulcin
48-1
18. „
89-1
48-4
0.1»™ Coffein
48-1
25. „
34-8
35.4
desgL
52-3
14. Jaoi
38.6
35.7
Dulcin
53-3
5. Juli
48.6
54.4
0.1»™ Coffein
51-8
14. ,.
24.3
43.1
desgl.
43-1
5. October
39.5
52.6
1200
21600
Dulcin
60-9
11. ,.
38.5
42.1
1200
21600
desgL
80-2
n. „
44*9
57.5
1200
21600
0-1»'°» Coffein
36-3
19. „
56.0
52-0
1200
21600
Dulcin
56-3
Tabelle
8. Mai
25-1
56.6
Dulcin
43-7
18. ..
29.8
56*4
O.l»'" Coffein
73-0
25. „
34.3
64.6
desgL
60-3
14. Juni
41-5
64.3
Dulcin
16-5
5. Juli
20-3
45.6
0.1»™ Coffein
56-3
u. „
44*8
56.9
desgl.
61-4
5. October
34.8
47.4
1200
21600
Dulcin
38-7
11. ,,
50.0
57.9
1200
21600
desgl.
56-1
17. ,
45.2
42*5
1200
21600
0.1»™ Coffein
36-5
19. ..
48*5
48.0
1200
21600
Dulcin
48-3
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Google
Bedeutung von Kola ü. b. w. füb die Muskeln.
311
Arbeit am Ergographen
8
10
I.
58-3-89-5
38'8-54-4
36'4— 52«0
34-3—61 -1
85-5-53-9
30-7-57-9
30-7-57-5
68-4-136-3
71 •9-142-4
69 •8-134 «2
56-7—96-8
47-8—97-4
46-8—84-2
45-9—83-6
6l*l-118-4
49'5-104*5
52-1-116-4
52-3-106-6
46-9-84-5
45-6—82-1
43-4-76-4
42*0-7l-l
30-2— 48*5
36-6-59-8
31.4—45-1
22-5-87-0
28-2—39-9
22-1—38-1
61-4-112-6
63-6-99-4
49-5-109-4
52-3-96-8
52-1-95-3
41-7-76-1
40-9-75-6
48-4-n5-l
61-3-106-3
46*4— 97-6
46-1-91-3
39 -5-92-1
36-9-68-4
36-6-68-2
45-2— 81*1
39-4— 82-3
37-6— 68-8
21.7—70-6
23-1- 48-9
31-6—59-8
18-4—87-8
34-1— 82-7
47-8— 99 «3
48-6-80-3
82-6— 79-2
84-2—79-9
38-2—83-7
30-5-58-8
26-l~59-9
27-6— 57-6
30-0-54-8
30-1- 69-6
82-9-65-1
27-4—65-2
33-7—62-1
45-1— 87-3
42-0— 87-9
42-8— 81-7
36-4— 82«6
36-9-86-5
39-4-82-8
35-5-80.7
IL
58-3
33-8
36-4
34-3
35-5
30-7
30-7
68-4
71-9
69-8
56-7
47-8
46-8
40-3
61.1
49-5
52-1
52-3
46-9
45-6
48-4
42-0
30-2
36-6
31-4
22-5
28-2
22-1
61*4
63*6
49-5
52-3
52-1
41-7
40-9
48-4
51-3
46-4
46-1
39-5
36-9
36-6
45-2
39-4
37-6
21-7
23-1
31-5
18-4
84*1
47-3
48-6
32-6
34-2
38-2
30-5
26-1
27-6
30-0
30-1
32-9
27-4
38-7
45*1
42-0
42-8
36-4
36-9
89-4
35-5
ni.
31*2
20*6
16-6
26-8
18-4
27-2
26-8
67-9
70-5
64-4
40-1
49-6
37-4
37-7
57-3
55-0
64-3
53-3
37-6
36-5
33-0 •
29-1
18-3
23-2
13-7
14-5
11-8
16-0
51-2
36-8
59-9
44-5
43-2
34-4
34-7
66-7
55*0
51-2
45-2
52-6
31-5
31-6
35-9
42-9
31-2
48-9
25-8
28-3
19-4
48-6
52-0
81-7
46-6
45-7
45-5
28-3
33-8
29-9
24-3
39-5
32-2
37-8
28-4
42-2
45-9
88-9
46-2
49-6
43-4
45-2
Digitized by
Google
312
Sohumbübg:
6.
Dreharbeit
Zahl der
üm-
drehnngeD
geleistete
Arbeit
in mkg
Eingeführt wurde
8. Mai
5. ,.
T. „
14. Juni
29. October
1. Novbr.
26-4— 61 «5
57-8— 89-1
46*7--82«4
88'6-80-l
52- 8-109 -1
45-9— 88-5
49-4-113-4
48-4— 100
60-1-100
62-8— 100
85-7—100
59-Ö-100
61 -4— 100
55-4—100
1200
1200
1200
21600
21600
21600
10
10'
Dulcin
^ Alkohol
desgl.
Dülcin
desgl.
t™ Alkohol
Dulcin
Tabelle
48-1—91-8
91-6-152-6
94-2-184-4
63-8— 69-7
62-0-96-4
27-6— 88-2
54-1— 97-6
Tabelle
8. Mai
26-4
48-4
Dulcin
48-1
5. n
67-8
60-1
10«™ Alkohol
91-6
7. „
46-7
52-8
desgl.
94*2
14. Juni
88-6
85-7
Dulcin
53-8
29. October
62-8
96-Ö
1200
21600
desgl.
62*0
1. Novbr.
45*9
51-4
1200
21600
10«« Alkohol
27-6
5. „
49-4
65-4
1200
21600
Dulcin
54-1
Tabelle
8.
Mai
U
»»
7.
ff
14.
Juni
29.
October
1.
Novbr.
5.
»»
25-1
21-8
85-7
41-5
56-8
42-6
64-0
56-6
89-9
47-2
64-8
40*5
48-6
44-6
1200
1200
1200
21600
21600
21600
Dulcin
10«™ Alkohol
desgl.
Dulcin
desgl.
10«™ Alkohol
Dulcin
48-7
61-0
40-4
16*5
84-4
65-6
43-5
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Google
Bedeutung von Kola u. 8. w. püb die Muskeln.
313
Arbeit am Ergographen
5 I 6 I 7 I 8
10
38-8— 54-4
58-9-118«3
62-7-112-0
30*2— 48-6
48*5— 98-1
39-7— 78-7
47-4— 86-9
36-4 -52-0
67 •8-109 -7
63-6-106-8
36-6— 59«8
44-1— 93-1
34.3—79.5
52-0-91-8
34- 8— 61-1
53.7—94.3
52«2— 91-8
81« 4—45 •!
40*6-85-2
42«3— 69-2
41-4— 82-7
35-5— 58-9
51*7- 82*5
48-3— 86-1
22-5-37-0
87 -5—69 «8
38«0-65-8
36'5-73-2
30«7— 57-9
46-9— 65-4
48-2— 67*7
28-2— 39-9
37-0— 67-9
25«6— 63-8
84-9— 70-3
30.7—57-5
44 '8— 62 -4
40-1— 62-4
22«1— 38-1
88 '5— 45-9
29-1- 46-9
81 •0—59-6
58-3
61-6
94-2
42*0
62*9
45*6
42*2
33«8
58^9
62^7
30-2
48^5
39-7
47^4
36*4
67^8
68-5
36*6
44-1
84-3
52^0
34-8
53-7
54-2
31-4
40-6
42-3
41^4
35-5
51^7
48-3
22-5
37-5
38^0
36 -5
30^7
46*9
48*2
28^2
87-0
25-6
84^9
30-7
44*8
40^1
22-1
38^5
29-1
31 «0
31-2
49-6
47-0
29^1
54*6
40-4
47^7
20-6
54^4
49*3
18«8
49*6
34^0
39^5
15*6
41^9
43-8
23-2
49-0
45^2
89-8
26-8
40*6
87-6
13-7
44-6
26*9
41*3
18*4
80-8
87^8
14*5
32-3
27-8
26-7
27-2
18-5
19«6
*11^8
30-9
37*7
35*4
26«8
18«1
22*3
16-0
7-4
17-8
28-6
Digitized by
Google
Der Lungengaswechsel des Menschen in den
verschiedenen Altersstufen.
Von
A. MagnuB-Levy aod Ernst Falk
In Straitbarg 1. E. In QerdAuen.
(Aas dem stadt. Krankenhans am Urban zu Berlin. AbtheU. des Prof. A. Fraenkel.)
Einleitung.
Der Oaswechsel des Menschen in den verschiedenen Lebensaltern ist
bereits mehrfach Gegenstand genauer Untersuchung gewesen; jede Ver-
besserung und Erleichterung der Methodik, jede Gewinnung neuer Gesichts-
punkte rief eingehendere und die neueren Anschauungen berücksichtigende
Versuche hervor. Der wesentlichste dieser neueren Gesichtspunkte
ist der von Rubner (8)^ aufgestellte, dass der respiratorische Gaswechsel,
bezogen auf die Einheit der Eörperoberfiäche, annähernd constant sei.
Die wichtigste Vervollkommnung der Methodik besteht in der schon früher
geübten, aber erst von Speck (4), dann von Zuntz (9) und seinen Schülern
im grossen Maassstabe durchgeführten, auch von den Franzosen vielbenutzten
Technik, den Säuerst off verbrauch neben der Kohlensäureabgabe in kurz
dauernden Versuchen zu bestimmen.
Da umfassende Versuche über den Gaswechsel des Menschen in den
verschiedenen Lebensaltem mit Benutzung dieser letzten Technik bisher
noch ausstanden, haben wir es unternommen, hierfür die nöthigen experi-
mentellen Unterlagen zu beschaffen.
Unsere Untersuchungen sind im Frühling 1895 begonnen und einige
Zahlen bereits im Juli 1895 mit einer Andeutung unseres Planes ver-
öffentlicht (30). Im September des gleichen Jahres erschien die umfiEtösende
Arbeit von Sonden und Tigerätedt (1) über Respiration und Gesammt-
' Litteratanrerzeichniss im Anhang.
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A. Magnüs-Levt und Ernst Falk: Lüngbngasweohsel u. 8. w. 315
Stoffwechsel des Menschen, die auch das Kindes- und Greisenalter ausgiebig
berücksichtigte und somit eine Fortsetzung unserer Arbeit überflüssig zu
machen schien. Wir glaubten sie trotzdem fortsetzen zu sollen, weil wir
1. eine andere Versuchsanordnung gewählt hatten, 2. weil wir neben der
COg-Abgabe auch den Og -Verzehr und die Mechanik des Athmens berück-
sichtigten. Ad 3. hatten wir beabsichtigt, bei Erwachsenen die grössten
vorkommenden Differenzen in Bezug auf Länge und Gewicht (unter Aus-
schluss fettleibiger Individuen) in ihrem Einfluss auf den Gaswechsel zu
studieren. — Ganz abgesehen aber von der principiellen Wichtigkeit dieser
Untersuchungen für den normalen Gaswechsel, lag uns auch daran,
für die zahlreichen von uns an kranken Menschen durchgeführten
Analysen ein brauchbares Vergleichsmaterial am gesunden Menschen zu
erhalten.
Unsere Versuche sind, abgesehen von einer kleineren Reihe, die der
Eine von uns in Franfurt bei Prof. von Noorden 1895 durchführte,
vfährend unserer gemeinschaftlichen Thätigkeit an der Abtheilung des
Prof. A. Fraenkel im stadtischen Krankenhause am Urban zu Berlin 1895
bis 1897 ausgeführt; sie sind durchgeführt mit der in den Fachkreisen
genügend bekannten Geppert-Zuntz'schen Methode^ und mit dem von
N. Zuntz seiner Zeit angegebenen Apparate.
Die Methodik besteht, um das hier nur kurz anzudeuten, darin, dass
die Versuchsperson bei geschlossener Nase vermittelst eines Gummimund-
stückes und zweier Ventile die ganze Exspirationsluft durch ein Gasometer
treibt, und dass ein aliquoter Theil dieser Exspirationsluft in Doppelanalysen
nach dem HempePschen Princip analysirt wird. Diese Methode, bezüg-
lich deren Einzelheiten ich auf frühere Publicationen des Zuntz 'sehen
Laboratoriums verweise, gestattet uns, neben der Kohlensäureproduction
auch den Sauerstoffverbrauch und zugleich die ganze Athemmechanik in
kürzeren Versuchen zu studiren.
Eine genauere Kritik des Werthes dieser Untersuchungstechnik braucht
an dieser Stelle nicht wiederholt zu werden; sie ist von uns früher aus-
führlich gegeben worden. Ueber den Werth der verschiedenen Methoden
der Untersuchungen des Gas- und Kraftwechsels, ihre grössere oder ge-
ringere Berechtigung und Verwendbarkeit je nach dem Zweck und der
Idee des Experimentes, ist eine ziemliche Uebereinstimmung unter den
Vertretern der verschiedenen Schulen allmählich erzielt worden.^ — Wir
* DieMlbe ist beschriebeo bei Magnns-Levy, Pflüger's Archiv. Bd. LV;
siehe daselbst anch die VersuchsaoordnuDg und genaue Begründong derselben.
"Ich yerweise speciell auf A. Magnus-Levy, Pflüger's Archiv, Bd. LV.
S. 108 ff. — Fritz Voit, ZeiUehHß für Biolos/ie. Bd. XXXV. 8.119. — Rubner
bei Rubner-Heubner, Ebenda. Bd. XXXVI. S. 16 letzter Absatz.
Digitized by LjOOQIC
316 A. Magnus-Levy und Ernst Falk:
brauchen somit an dieser Stelle nur die für unsere Arbeit und deren Yer-
sucbsanordnung maassgebenden Gresichtspunkte anzufahren:
Im absolut nüchternen Zustande (12Stimden nach der letzten Nahrungs-
aufnahme), in liegender Stellung bei möglichst weitgehender Muskel-
entspannung wird bei jedem Menschen ein Minimum des Gaswechsels er-
reicht, das für das einzelne Individuum annähernd constant ist, (und sich von
den Verhältnissen im Schlafe kaum unterscheidet). Die so erhaltenen
Werthe bedeuten den Aufwand, der zur Erhaltung normalen Lebens un-
bedingt nöthig ist. Sie erfahren eine bei verschiedenen Menschen natur-
gemäss sehr ungleiche Erhöhung durch die Yerdauungsarbeit und durch
die Thätigkeit der Muskeln, und zwar föllt der letztere Factor schon stark
in's Gewicht bei jenem Zustande, den man, wie im gewöhnlichen Leben,
so auch in zahlreichen früheren Untersuchungen als „Ruhe" bezeichnet. —
Für eine rein theoretische Betrachtung, für den Vergleich der in der
inneren Organisation begründeten verschiedenen Intensität des
Kraftwechsels erscheinen uns einzig und allein die Untersuchungen in
dem oben angeführten Zustande berechtigt
Wir haben dementsprechend hier nur solche Versuche wiedergegeben,
in denen unsere Individuen ganz nüchtern, bei vollkommener körperlicher
Ruhe im Bette, ohne jeden Druck von Seiten der Kleider und andere
störende Momente untersucht worden sind. Die Experimente wurden in
den frühen Tagesstunden in einem dafQr reservirten Zimmer zumeist an
Insassen des Krankenhauses durchgeführt Die Dauer der eigentlichen
Untersuchung erstreckte sich auf etwa '/^ bis 1 Stunde, während welcher
Zeit zwei Versuche unmittelbar nach einander mit je zwei Analysen durch-
geführt wurden. Der eigentlichen Untersuchung und Probeentnahme ging
eine 10 bis 15 Minuten währende Vorathmung voraus, bis sich die In-
dividuen auf eine gleichmässige Athemmechanik eingestellt hatten.
Die Personen athmeten während der 2 bis 3 Minuten dauernden Pause
zwischen je zwei Probeentnahmen gleichmässig durch die Gasuhr fort; die
Dauer des ganzen Versuches betrug somit meist über eine Stunde (60 bis
80 Minuten), von welcher Zeit etwa drei Viertel auf die eigentliche Unter-
suchung fiel. Die Zerlegung unserer Versuche in zwei Hälften hatte nur
den Zweck, durch den Vergleich zwischen diesen beiden Hälften eine
Controle zu gewinnen, eine grössere Richtigkeit unserer Resultate zu sichern ;
nur selten sind, wenn entweder der eine Halbversuch bei den Analysen
verunglückte, oder die Beschaffenheit der Versuchspersonen zu kürzeren
Untersuchungen zwangen, Versuche von der halben Dauer der oben an-
gegebenen Zeit angestellt worden. Letzteres war z. B. der Fall bei dem
kleinsten von uns untersuchten Knaben (2^2 Jahre), sowie einige Male
bei unseren Greisen. Die meisten Personen mussten sich an die leichten
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LUNOENGASWECHSEL IN VEBSOHIEBENEN ALTEBSBTUFEK. 317
ünannelunlichkeiteii der Yersuchstechnik erst gewöhnen, so dass vielfach das
erste oder die beiden ersten Experimente unrichtige und zu hohe Werthe
ergaben. Ausser derartigen, von uns hier nicht berücksichtigten Versuchen
sind nur solche weggelassen, in welchen die Versuchsprotocolle ausdrücklich
störende Momente, Unruhe und Unbehaglichkeit seitens der Versuchs-
personen anführten. Es ist das im Allgemeinen nur selten der Fall ge-
wesen, und so giebt unsere Arbeit möglichst objectiv und vollständig un-
corrigirt und ungesiebt die Resultate unserer Untersuchungen.
Es dienten zu denselben 1(5 Knaben im Alter von 2^2 bis 16 Jahren,
9 Mädchen von 6V2 bis 14 Jahren; 10 Männer zwischen 22 und 56 Jahren,
15 Frauen von 17 bis 57 Jahren; 5 Greise von 64 bis 78 Jahren und
7 Greisinnen von 71 bis 86 Jahren, im Ganzen also 62 Individuen. Das
Säuglingsalter blieb ausgeschlossen. Zumeist lagen für jedes Individuum
3 bis 6 tadellose Versuche vor, hier und da mussten wir uns mit minder
zahlreichen begnügen; in wichtigen Fällen jedoch wurden zur Gewinnung
möglichst sicherer Besultate längere Untersuchungsreihen angestellt.* Die
meisten unserer Individuen waren Krankenhausinsassen aus der weniger
begüterten Classe der Gesellschaft Doch waren es im Uebrigen gesunde
Individuen, die wegen leichten Affectionen in Behandlung gewesen waren,
und fanden die Untersuchungen erst geraume Zeit nach vollständiger Ab-
heilung statt Ein Theil der Personen, namentlich in den jüngsten und
ältesten Altersclassen, war freilich körperlich weniger gut ausgebildet, als
es für einzelne Zwecke unserer Arbeit wünschenswerth gewesen wäre.
Nach dieser Richtung hin stehen unsere Versuchsindividuen, theilweise
wenigstens, hinter jenen von Sonden und Tigerstedt zurück, die in der
Lage waren, fast ausnahmslos gut genährte Personen aus den wohlhabenden
Kreisen zu untersuchen; doch glauben wir, dass unsere Versuche darum
nichts Wesentliches an Werth einbüssen.
Unsere Versuche sind, nach Geschlechtern getrennt, sämmtlich nach
steigenden Gewichten angeordnet Für die Kinder fallt, abgesehen von
einzelnen Ausnahmen, das steigende Gewicht im Allgemeinen mit steigendem
Alter zusammen; für das Mannesalter (in unseren Versuchen 22 bis 67 Jahre
beim Mann, 17 bis 57 Jahre beim Weib) kam auschliesslich das Princip
des steigenden Gewichtes (und dementsprechend das der steigenden Körper-
oberfläche) in Betracht, da eine wesentliche Veränderung des Gaswechsels
durch das verschiedene Alter in dieser Lebensperiode aprioristisch aus-
* Viele der so gewonnenen Zahlen erfahren weitere Bestätigung durch Versuche,
die sich an die hier wiedergegebenen ansohliessen , zum Zweck der Ermittelung des
Einflusses gewisser Medicamente auf den Gaswechscl; meist fehlte ein solcher, und
erhielten wir dann die gleichen Werthe wie vorher, doch haben wir solche Versuche
mit Medicamenten, auch wenn sie wirkungslos blieben, hier nicht berücksichtigt
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318 A. Magnus-Levy und Ebnst Falk:
geschlossen werden durfte. Auch für das Greisenalter wurde lediglich das
Grewichtfiprincip durchgeführt, da nur auf diese Weise eine gute Vergleich-
barkeit mit dem Gaswechsel im Kindes- und Mannesalter erzielt werden
konnte. Es wäre ja wohl wünschenswerth gewesen, im Mannes- und vor
allen Dingen im Greisenalter den Vergleich für gleichschwere Individuen
in verschiedenem Alter durchzuführen; doch ist dafür die Zahl der Versuchs-
individuen, da wir eben auf ein beschränktes Material angewiesen waren,
zu gering gewesen. Der Vergleich nach steigendem Lebensalter wird aber,
so weit möglich, im Texte der Arbeit berücksichtigt werden.
Wir theilen in der folgenden Abhandlung zunächst unsere eigenen
Untersuchungen und die aus ihnen zu entnehmenden Folgerungen mit.
Mit dieser räumUchen Voranstellung, die wir aus Zweckmässigkeitsgründen
wählen, wollen wir keineswegs eine Originalität unserer Anschauungen und
Versuchsanordnung gegenüber der früheren in Anspruch nehmen und ebenso
wenig die Neuheit unserer Schlüsse damit documentiren. Vielfach, wenn
auch nicht durchweg, können wir ja geltende Anschauungen bestätigen. —
In der dann folgenden Besprechung früherer Arbeiten verzichten wir auf
eine Schilderung des historischen Entwickelungsganges der Lehre vom
menschlichen Gaswechsel (sie findet sich bei Sondön und Tigerstedt),
wie auch auf eine vollständige Uebersicht aller vorliegenden Arbeiten.
Wir haben nur solche berücksichtigt, die wesentliche Gesichtspunkte bringen,
und solche, die ein grösseres und mit dem unserigen gut und direct ver-
gleichbares Material enthalten.
L TheU.
Eigene Untersuchungen.
1. Der Gaswechsel pro Individaum nnd Kilo.
Wir geben zunächst die in unseren Versuchen erhaltenen Zahlen für
jedes Individuum auf 1 Minute berechnet wieder.
a) Männliches Geschlecht
Zur Untersuchung kamen 16 Knaben^ von 2V2 bis 17 Jahren und
11-5 bis 57-5^ Gewicht, 10 Männer im Alter von 22 bis 56 Jahren und
43 bis 88^ Gewicht und 5 alte Männer von 64 bis 78 Jahren und 48
bis 70^ Gewicht. Die Anordnung der Tabelle bedarf wohl keiner Er-
läuterung. AUe Gewichte sind früh bei nüchternem Magen nach Abzug
' um einen ungeföhren Anhalt für die Entwickelang unserer Kinder zu geben,
theile ich hier die Gewichte und Langen von Knaben verschiedenen Alters nach
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LUNGENGAS WECHSEL IN YEBSCUIEDENEN AlTEBSSTUFEN. 319
der Kleider bestimmt Sämmtliche Gasvolumina sind auf 0^ 760 °*°* Druck
und Trockenheit reducirt (s. Tabelle I).
Zunächst einige Worte über die Athemmechanik.
Die Werthe für die Ventilationsgrösse, d. h. die Menge der in der
Minute ausgeathmeten und die für die Ausnutzung der eingeathmeten
Luft, d. h. die Menge des Sauerstoffes, die der Mensch ihr entnimmt und
diejenige der Kohlensäure, die er an sie abgiebt, schwanken in folgenden
Breitengraden. Es betragt in abgerundeten Zahlen
VenülationsgrÖBse 0,-Deficit CO,-Pliis
bei kleinen Knaben 3 • 5—5 • 6 Lit. 2 • 62—3 • 89 Proc. 2 • 19- 3 • 29 Proc.
„ grösseren „ 4-3— 6-0 „ 2.92—4.26 „ 2-40—3.60 „
(einmal 8-3 Lit.)
„ Männern . . . 4-5— 70 „ 3.23—4.47 „ 2.63—3.71 „
„ Greisen . . . 6.0—8.7 „ 2.45—4.07 „ 1.79—3.30 „
Im Allgemeinen steigt in unseren Versuchen^ bei den Männern die
Menge der exspirirten Luft mit dem Gewicht des IndiTiduums und mit
der Grösse des chemischen Gaswechsels und nutzen sie die Luft ziemlich
gut aus.
Die Ventilation ist bei den Knaben nicht viel geringer als bei den
Erwachsenen, bei den Greisen hingegen höher. Greise und Kinder athmen
weniger ökonomisch, sie nutzen die Luft schlechter aus. Für die kleineren
Knaben mag das daran liegen, dass die, absolut freilich nicht sehr grossen
Widerstände bei der Athmung durch Ventile und Gasuhr sich für ihre kleinere
Exspirationskrafb stärker bemerkbar machen als bei den Männern; und
vielleicht spielt etwas AehnUches eine KoUe für die Greise, deren Lungen
und Brustkorb ja weniger elastisch sind. — Ueber die Zahl der Athem-
züge ist nicht viel zu sagen. Sie beträgt zumeist zwischen 11 und 20 in
der Minute, nur bei dem Knaben Nr. 15 und dem Manne Nr. 3 findet sich
eine Frequenz von 8. Dem entsprechend variirt die Tiefe des einzelnen
Athemzuges. Es giebt eben Individuen, bei denen die Frequenz stets so
Quetelet (citirt in Vierordt's Physiologie des Kindeaalters, 1877. S. 14 u. 23) in
abgenindeteu Zahlen zum Vergleich mit.
Alter 23456789 10 Jahre
Gewicht 11-34 12-5 14-2 15-8 17-2 19-1 20-8 22«7 24-5'*«
Lange 80 87 93 99 105 110 116 122 128 «»
Alter 11 12 13 14 15 16 17 18 25 Jahre
Gewicht 27«! 29-8 34-4 38«7 43-6 49-7 52-9 57-9 62-9*'«
Lange 133 138 143 149 155 160 164 166 168 ^
> Das Resultat der einzelnen Versache bei jenen Individuen findet sich im Anhang.
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320
A. Magnüs-Levy und Ebnst Falk:
Tabelle
Der Gaswechsel männlicher Personen
Nummer
und
Alter
Gewicht
Länge
Exapira-
0,.
CO,-
Resp..
tionsluft
Deficit
Plus
Qnot
Name
in V,#o#
Jahre
kg
cm
ccm
Proc.
Proc.
Knaben
1. C. St
2V.
11.5
4289
2*62
2*19
837
2. M. N.
6
14.5
110
3696
3.62
2-91
804
8. Fr. H.
6
18.4
110
4320
8*24
2-62
806
4. G. B.
7
19-2
112
4984
3-06
2-62
859
5. K. W.
7
20-8
110
5650
2*93
2-42
824
6. E. J.
9
21.8
115
8804
3-89
3-29
845
7. P. Oe.
11
26-5
129
5171
3«20
2-59
809
8. A. T.
10
30-6
181
5101
3-76
3«13
833
9. 0. Gr.
14
36-1
142
5739
8'28
2-74
834
10. E. K.
14
36-8
141-5
4327
4-26
3-60
844
11. K. Ke.
16
39-3
149
6032
3*23
2-67
826
12. R. D.
17
40-0
154
5276
3-75
3-29
876
13. A. N.
14
43-0
149
5998
3-67
2-99
813
14. K. W.
17
44-3
154
5982
3-57
8-35
940
15. L. Z.
16
57-5
ca. 160
ca. 4—5 1.
—
—
820
16. B.
16
57-5
170
8806
2-92
2-40
821
Männer
1. Rud.
24
43«2
ca. 148
5581
3-51
2-68
750
2. L.
80
50.8
158
5874
3.28
2-66
826
3. Rutt.
26
53-0
158
5518
3-98
3«31
833
4. W.
56
56-5
ca. 170
—
—
—
766
5. B.
32
58-0
161
5623
3-94
2-99
760
6. Prof. Z.
43
65-0
ca. 161
ca. 4500
—
—
740
7. Dr. M.-L.
25
67*5
167
5180
4-47
8.71
830
8. Dr. L.-Z.
22
67-5
167
—
—
865
9. Sp.
29
82-7
175
6958
4-28
3-24
757
10. Schm.
22
88-3
176
6850
4*26
3.47
814
Greise
1. A. Kr.
71
47-8
164
6040
2-70
2.13
790
2. Be.
70
60-0
165
6544
2-86
2-46
862
3. Ki.
78
68.5
162
7200
2«4H
1-79
725
4. Wa.
77
69*3
172
8706
2-45
1.94
795
5. He.
64
70-4
160
6234
4-07
3-30
811
Normalmänner
6. 7. 8
22-48
66-7
166
oa.5000
ca.4.56
ca.3.70
812
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LüNGENGASWBOHSEL IN VEB8CHIE0ENBN AlT£BSSTOF£N.
321
pro IndiTidaom and Minute.
Öl-
verbrauch
ccm
CO,-
Aus-
athinang
ccm
Relatioi
0,
iszahlen
CO,
il
ig
i
N >
Bemerkungen
112-2
93-9
49
51
38
120
3
normal
133-6
107-3
59
58
16
100
5
etwas zurückgeblieben
139-9
112-6
61
61
--
—
4
normal
152-2
130.6
67
71
20
92
3
»»
165-7
136-7
73
74
—
—
3
»»
148-0
125-1
65
68
18
94
4
etwas klein
165-5
133-6
73
72
—
—
8
normal
192-0
159-9
84
87
16
5
sehr gut entwickelt
188-1
157-0
83
85
17
74
7
normal
184-3
155-5
81
85
13
92
4
9»
194-4
160-6
85
87
17
80
5
etwas zurQckgeblieben
198-0
173-5
87
94
15
56
3
W »f
220-4
179-2
97
97
16
62
4
normal
212-7
200-0
93
108
16
94
2
etwas zurückgeblieben
235-6
242.2
192-2
199-2
103
106
104
108
8
22
92
8
3
l sehr gut entwickelt
195-8
146-9
86
80
19
72
2
sehr klein u. mager
189-4
156-4
83
85
13
66
5
klein u. mager
219-5
182-8
96
99
8
68
4
fettarm
222-0
168-5
97
91
—
—
ca. 40
»»
22V2
168-2
97
91
16
76
5
normal
220-6
162-5
97
88
—
—
3
massiges Fett am Bauch
231-3
231-3
192.2
200-2
101
101
104
108
—
—
4
2
l fettarm, sehr muskulös
297-6
225-4
131
122
14
82
3
»» f» »•
291-7
237-4
128
128
14
64
4
gutes Fettpolster
163-2
129-0
72
70
18
68
6
sehr fettarm, rüstig
187-6
161-6
82
88
18
64
4
fettarm, rüstig
178-8
129-3
78
70
20
66
5
„ äusserst rüstig
218-9
169-6
94
92
18
90
8
M rüstig
258-7
205.5
111
111
11
76
4
sehr muskulös (keinerlei
Anzeichen v. Senium)
227.9
185-0
100
100
—
—
Archiv f. A. u. Ph. 1800. Physiol. Abthlg. Suppl.
21
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322 A. Magnüs-Levy und Ernst Falk:
niedrig und die Tiefe des einzelnen Athemzuges besonders gross ist (Speck
atbmete 6 Mal in der Minute, ebenso das anter Nr. 11 in unserer Tabelle II
verzeichnete Madchen).
Die absolute Grösse des Sauerstoffverbrauches und der
Kohlensäureproduction schwankt in folgenden Grenzen
Relationszahlen
Oj ccm COj ccra O^ CO,
kleinere Knaben 112—166 94—137 49— 73 51— 74
grössere „ 184—242 155—200 81—106 85—108
Männer . . . 189—298 147—237 83—131 80—128
Greise . • . 163—254 129-206 72—111 70—111
Der Gaswechsel des kleinsten Knaben (Nr. 1) von IIV2** Gewicht ist
halb so hoch, wie der der 6 Mal so schweren, ausgewachsenen Männer
(66.7>^fif).
Im Allgemeinen steigt innerhalb der einzelnen Gruppen mit dem Gewicht
der absolute Betrag des Sauerstoflfverzehrs und der Kohlensäureabgabe, jedoch
nicht in arithmetischer Proportion, was bereits die ältesten Untersucher
erkannt hatten.
Um die in der Tabelle I niedergelegten absoluten Zahlen bequem
unter einander vergleichen zu können, empfiehlt es sich, als Maasseinheit
die Werthe für gut entwickelte und normale Durchschnittsmänner ein-
zusetzen.^ (Das Gleiche geschieht an entsprechender Stelle für das weib-
liche Geschlecht.) Als solche betrachte ich die drei unter Nr. 6, 7 und 8
angeführten Individuen von 22, 25 mid 43 Jahren (Aerzte in vollkommener
Gesundheit); der erste, 161«™ lang, damals 65** schwer, ist gracil gebaut,
hatte zur Zeit der Versuche nur eine massige Fettansammlung am Bauche,
im Uebrigen eine leidlich gut entwickelte, ziemlich straffe und eingeübte
^ Eine ähnliche Relation haben Sonden nnd Tigerstedt in ihrer grossen Arbeit
' dnrchgeffihrt. Nor haben sie nicht, wie wir, als Maasseinheit Männer bezw. Frauen
von einer guten Entwickelung und Normal maassen als Vergleichseinheit gewählt,
sondern allemal (vgl. ihre Tabellen auf S. 78 u. 89) die schwersten Personen (Männer-
gruppe Nr. 18 = 84*6 ^' = 57 Jahre, und Fraueugruppe Nr. 12 = 66*9 "^ = 65 Jahre),
lieber die Grösse ihrer Individuen finden sich nirgends Angaben, fiber deren Constitution
nur einige Andeutungen. Da sie im Allgemeinen Personen aus den wohlhabenden Classen
zu ihren Versuchen benutzen konnten, so ist das in denselben fast überall hervor-
tretende Ansteigen des Gewichtes mit dem Lebensalter bei den Gruppen der Erwachsenen
wohl nicht auf eine grössere Körperlänge, als vielmehr auf einen erheblicheren Fett-
reichthum ihrer älteren Individuen zu bezieben. Solche wohlbeleibteren Personen be-
sitzen aber, sowohl pro Kilo Gewicht wie pro Quadratmeter Körperoberfläche, einen
geringeren Umsatz als erwachsene, „normal gebaute" Menschen. — So faUen natur-
gemäss die Relationen bei Sonden und Tigerstedt etwas anders aus als bei uns. —
Für unsere Zwecke erscheint uns die von uns gewählte Beziehung auf Normalmenschen
richtiger.
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LüNGEMGASWECHSEL IN VEBSCHIEDENEN ALTEBSSTDFEN.
323
Tabelle II.
Der Gaswechsel männlicher Personen
pro Minute und Kilo.
Nr.
Alter
Länge
Gewicht
pro Kilo 1
0,
Q. Minute
CO,
Relationssahlen
t
Jfthre
cm
_!?-_
ccra
com
0,
CO,
Knaben
1.
2V,
?
U-5
9-76
8-16
285
295
2.
6
110
14-5
9-21
7-39
269
267
3.
6
110
18-4
7-61
6-12
223
221
4.
7
112
19-2
7-93
6-80
232
245
5.
7
110
20-8
7-97
6-57
233
287
6.
9
115
21-8
6-79
5-73
199
207
7.
11
129
26-5
6-24
5-04
183
182
8.
10
131
30-6
6-28
5-23
184
189
9.
14
142
36-1
5-21
4-37
152
158
10.
14
141-5
36-8
5-01
4-23
146
153
11.
16
149
39-3
4-94
4-08
144
147
12.
17
154
40-0
4-95
4-34
145
156
18.
14
149
43-0
5-13
4-17
150
150
14.
17
154
44-3
4-80
4-52
140
163
15.
16
160
57-5
4-10
3-34
120
120
16.
16
170
57-5
4-21
3-46
123
125
Männer
1.
24
148
43-2
4-53
3-40
132
123
2.
30
153
50-8
3-78
3-08
109
111
3.
26
153
53-0
4-14
3-45
121
125
4.
56
170
56-5
3-93
2-98
118
108
5.
32
161
58-0
3-81
2-90
111
105
6.
43
161
65-0
3-39
2-50
1
7.
25
167
67-5
3-43
2-86
}ioo
100
8.
22
167
67-5
3-43
2-97
1
9.
29
175
82-7
3-60
2-72
105
98
10.
22
176
88-3
3-30
2-69
96
97
Greise
1.
71
164
47-8
8-42
2-70
100
97
2.
70
165
60-0
3-13
2-70
91
97
3.
78
162
68-5
2-61
1-89
76
68
4.
77
172
69-3
3-08
2-44
90
88
5.
64
160
70-4
3-60
2-92
105
105
Normalmänner
6.7.8
22-43
165-167
66-7
3-41
2-77
100
100
21"
Digitized by
Google
324
A. Maonus-Levy und Ernst Falk:
Musculatur; die beiden jüngeren Aerzte (je Ißl^^ hoch, 67 «5^ schwer)
sind stark knochig, fettarm, von sehr kräftiger, gut entwickelter Musculatur
und beide weit über das Durchschnittsmaass hinaus gut trainirt Diese
drei Personen standen sich in ihrem Gaswechsel ziemlich nahe und dürften
die Durchschnittswerthe des letzteren dem eines gut entwickelten kraftigen
leistungsffihigen Mannes von mittlerer Grösse und Gewicht auf der Höhe
des Lebens etwa entsprechen. Diese „Nornmlwerthe für den Durchschnitts-
maun" würden somit betragen: 66« 7^, 165*^"^, 5 Liter Exspirationsluft,
227. 7 «'^ Oj, 185-0^ COg pro Minute; respiratorischer Quotient: 812
(auf das Kilogramm entfallen 3.42<^<^"> 0^ und 2-77<'«™ COg).
In Tabelle II stelle ich die pro Kilogramm und Minute erhaltenen
Grössen, sowie die Relationszahlen, verglichen mit dem eben angeführten
Normalmaasse, zusammen (s. vor. Seite).
Die in Tabelle II angeführten Belationszahlen zeigen, dass der Gas-
wechsel kleiner Knaben pro Kilogramm, 2 bis 3 Mal so gross ist als der-
jenige des „Normalmenschen", derjenige grösserer Knaben betragt 120 bis
190 Procent dieser Grösse; bei den Männern finden sich Schwankungen
von 96 bis 130 Procent des Solls, wobei im Allgemeinen die grösseren
Zahlen dem geringeren Gewichte entsprechen. Bei den Greisen betragen
die Selationszahlen, wenn wir den 64 jährigen Mann ausnehmen, dessen Gas-
wechsel und körperliches Verhalten noch keine Eigenthümlichkeit des
Greisenalters zeigten, 68 bis 100 Procent
Wir führen nunmehr die entsprechenden Zahlen und Berechnungen für
das weibUche Geschlecht auf.
b) Weibliches Geschlecht
Die Anordnung der Versuche in unserer Tabelle ist genau dieselbe wie
bei den Männern. Zur Untersuchung kamen: 9 Mädchen von 6^/2 bis
14 Jahren^ im Gewicht von 18-2 bis 42 ^fi^, 15 Fraaen von 17 bis 57 Jahren
und 31 bis 76-5^ Gewicht sowie 7 Greisinnen von 71 bis 86 Jahren mit
dem Gewichte von 30-3 bis 59 •3*«.
In der folgenden Tabelle III finden sich einige Individuen, deren Zahlen
nicht ohne Weiteres mit den anderen in Vergleich zu stellen sind. Die
Frau Nr. 6 (67 Jahre) zeigte deutliche Spuren des Seniums und hatte wohl
' Gewicht nod Länge der Mädchen beträgt nach Quetelet (bei Vierordt):
Alter
2
3
4
5
6
7
8
9
10 Jahre
Gewicht
10-7
U-8
13«0
14-4
16-0
17-5
19-1
21-4
28'5»*
Länge
78
85
91
98
103
109
115
121
126 «•
Alter
11
12
13
14
15
16
17
18
25 Jahre
Gewicht
25-7
29-8
32-9
36»7
40-4
43-6
47-3
51-0
53-3»^»
Länge
129
134
142
148
150
152
155
156
158 «"
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LüNGENGASWBCHSBL IN VERSCHIEDENEN AlTEE88TüFEN. 326
besser ihren Platz unter den Greisinnen gefunden, da auch ihr Gaswechsel
dem der alten Weiber ähnlich war. Die Frau Nr. 15 zeigt relativ niedrige
Werthe; sie war, wenn auch nicht fettleibig, so doch, bei sonst äusserst
robuster Constitution, mit einem recht reichlichen, straffen Fettpolster aus-
gestattet. Die Werthe für Nr. 5 und 6 der alten Frauen sind entschieden
zu hoch ; bei beiden konnten wir nur je einen Versuch anstellen und „völlige
Ruhe" nicht erzielen. Wir haben sie in die Tabelle mit aufgenommen, da
die bei ihnen erhaltenen „Maximalwerthe*^ die Schlüsse für den Gaswechsel
der Greise stützen.
Die Ventilationsgrösse und die Ausnützung der Luft betragen
in unseren Versuchen für:
VentilatioDsgröese
0,-Deficit
CO.Plus
Mädchen .
. 3.2— 6. 7 Liter
2-05-4.22
1.65— 8- «5
Frauen . .
. 4.1—6-6 „
2.75-418
2.27—3-42
Greisinnen .
. 5-1—7.0 „
229— 3 19
1.83—2.42
Der obige Befund, dass unter unseren Versuchsbedingungen junge und
sehr alte Individuen weniger haushälterisch athmen als solche in mittleren
. Lebensaltern, gilt also auch für das weibliche Geschlecht; und wenn auch
dieses Resultat für alte Leute in unseren Versuchen dadurch etwas un-
günstig beeinflusst ist, dass mehrere der alten Frauen nur 1 bis 2 Ver-
suche mitgemacht und sich somit noch nicht auf den ihnen voraussichtlich
zukommenden niedrigeren Gaswechsel eingestellt hatten, so ist die Ven-
tilationsgrosse doch auch bei unseren besten alten Versuchsindiviluen
Nr. 4, 7), bei denen wir unter Fortfall der ersten üebungsversuche über
sechs bis acht vorzügliche Experimente verfügen, entschieden sehr hqch.
Für den Vergleich des chemischen Gaswechsels pro Minute, bezogen
auf das Individuum (wie auf das Kilogramm Gewicht), empfiehlt es sich
auch hier, Normalzahlen für ein gesundes, kraftiges „Durchschnittsweib^^
aufzustellen, wie wir das oben für das männliche Geschlecht gethan haben.
Als solche Personen betrachten wir die drei unter Nr. 11, 12 und 13 an-
geführten Weiber im Alter von 20, 26 und 28 Jahren. Ihr Gewicht
l>etrug 61 bis 62-7'«, ihre Grösse 156 bis 167^™; ihr Gaswechsel weicht
unter einander freilich etwas mehr ab als derjenige meiner „Normal-
männer**. Wir haben speciell den Eindruck, dass die Werthe für Nr. 11
etwas hoch liegen und dass die niedrigsten für Nr. 12 eigentlich dem
Normalsoll am nächsten kommen. Trotzdem haben wir, um jede Willkür-
lichkeit auszuschliessen, den Durchschnitt für diese drei Weiber berechnet
und unseren Berechnungen zu Grunde gelegt; er würde betragen:
61.7 k», 234.1<^<^™ Üjj, 188.4 «<^°> COj, RQ:805; pro Kilogramm be-
rechnet 3-79^^'" 0^, 3-05^^™ CO3.
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326
A. Magnüs-Levt und Ernst Falk:
Tabelle
Der Gaswechsel weiblicher Per5X)nen
Nummer
und
Alter
Gewicht
Länge .
Ezspira-
tionsluft
0,.
Deficit
Name
Jahre
J^^„
om
ccm
Proc.
Mädchen
1. A. K.
7
15'3
107
6110
2-05
2. D. M.
6Va
18.2
—
8495
3-87
3. A. M.
12
24-0
129
3519
3*84
4: Fr. W.
12
25-2
128
8194
4-22
5. E. Gl.
18
31 -0
138
4198
4-09
6. H. Seh.
11
35-0
141
5446
3-45
7. . Pr. Th.
14
35-5
143
4847
3-87
8. H. Seh.
12
40-2
—
6704
2-94
9. M. P.
11
42*0
149
5720
3-69
Frauen
1. B. K.
40
31
135
5580
2-75
?. Gd.
88
32-2
133
4184
3-82
8. W. Spr.
85
37-9
142
5136
3-42
4. 0. K.
25
39-0
139
5403
3-66
5. L. Gr.
21
47-2
147
5180
3-74
6. Gu.
(57
47-4
? klein
4998
3-89
7. M. W.
20
49*0
159
5903
3-25
8. H. M.
28
51-2
157
6091
3-46
9. H. Seh.
18
54«0
152
5830
4-12
10. M. Kl.
17
54.0
156
4837
4-18
11. E. Spl.
28
61-3
156
6634
8-81
12. L. W.
20
61.0
167
5385
4-03
13. Schw. M.
26
62-7
(155)?
6247
3-73
14. A. Sehe.
22
68-2
159
6300
8*68
15. Br. K.
(27
76«5
169
5565
4-18
Greisinnen
1. Ki.
75
30«3
sehr klein
5135
2-51
2. He.
74
39-4
klein
7040
2«44
3. Kn.
75
41-2
»»
6728
2-29
4. Kl.
71
49-5
145
6086
2«59
5. Schm.
(83
51 «0
146
5998
3-19
6. Ho.
(83
53«5
klein >
6336
2-82
7. Schä.
86
59-3
150
6784
2«41
Normalfrauen
11. 12. 18
21—28
61-7
155-167
6085
3-85
3-10
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LuMGENOASWECHBKIi IN VERSCHIEDENEN ALTEESSTOFEN.
327
ni.
pro lodividnam und Minute.
O.-
Verbrauch
CO,-
Aos-
athmuDg
125'1
100-9
135.0
109-6
135*2
124-2
135-0
111-3
171-7
153-1
187-6
157-3
187-4
153-8
197-6
154-5
211. 0
169.2
153-5
126-6
159-7
129-5
175-5
133-3
197.4
148-1
193*6
156-6
169-5
123.2
191-6
169-4
210-8
172-0
219-8
181-1
202-1
165-4
252-7
206-1
216-8
177-0
232-9
182-1
232-0
190-6
232-4
168-2
128-6
98-6
172-0
128-7
153-6
137-6
156-6
126-5
191-3
145-4
179-0
141-3
163-8
135-2
234-1
I8v4
BelatioDBzahlen
0,
CO,
53
54
58
58
58
66
58
60
73
81
hO
83
80
82
vS4
82
90
90
66
67
6^
69
75
71
84
79
83
83
72
65
82
90
90
91
94
96
86
88
108
109
93
94
100
96
99
101
100
90
55
52
73
68
66
73
67
67
82
77
77
75
70
72
100
100
ei 0
15
16
16
16
15
28"
19
13
21
20
20
22
20
18
14
6
18
23
19
18
22
20
12
t9
a
00
a>
D
a
rr*
Oh
2
ta
80
76
96
84
84
96
62
76
60
60
80
84
80
70
67
3
3
6
3
3
4)
3
3
2
3
5
3
1
3
2)
2
3
2
6
1)
l)
8
Bemerkangen
etwas dürftig
gut entwickelt
i etwas zurückgeblieben
normal
in d. Entwickelung voraus
normal
in d. Entwickelung voraus
tf w >» 8. weit ,,
sehr klein und mager
») t> »9 t>
klein und mager
»» »»
fettarm
„ Senium proecoz
normal
sehr robust, fettreich
äusserst mager, Marasmus
mager, leidlich rüstig
•» »t t9
fettarm, rüstig
f» *»
9» »»
normal, ausserord. rüstig.
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328 A. Magnüs-Levy und Ebnst Falk:
Der Vergleich zwischen diesen Durchschnittswerthen mit denjenigen
des unter Nr. 12 angeführten Mädchens, welches uns, wie gesagt, am
ehesten das Normale zu reprasentiren scheint, erweist, dass diese Dnrch-
schnittswerthe nur um 6V2 Procent fär den Sauerstoff und um 5 Procent
für die Kohlensäure die Werthe für Nr. 12 übersteigen. —
Der niedrigste Werth von 125«"" 0, und 100««" CO^ findet sich bei
dem 7 jährigen Kinde von 15**; er beträgt bereits über die Hälfte des
Slittels der ausgewachsenen Weiber, die etwa vier Mal so schwer sind.
Die absoluten Zahlen steigen bei den Kindern langsam und erreichen bei
einem Gewichte von 35 bis 42^ fast schon die Werthe der normalen
ausgewachsenen Personen. Auch der Gaswechsel der kleinen und leichten
Frauen von 31 bis 32^» beträgt etwa 70 Procent von dem der doppelt so
schweren „Normalfrauen". Sowohl bei den Mädchen wie bei den Frauen
nimmt mit steigendem Gewichte der Gaswechsel zu; er ist hingegen für die
Greise erheblich niedriger. So z. B. bei einer noch sehr rüstigen Frau von
86 Jahren und fast 60^ Gewicht (mit 163-8««"» O3 und 135*2««°» CO^)
niedriger als bei allen erwachsenen Frauen über 38^; er steht in diesem
Falle auch zurück hinter dem aller Kinder über 30 ^ Gewicht Eine sehr
marantische und auPs Aeusserste abgemagerte Greisin von 30^^ wies mit
128-6««"» O2 und 98- 6««"» CO^ ein Minimum auf, welches dem bei dem
kleinsten Mädchen von 7 Jahren und 15** gleichkommt
Die folgende Tabelle IV giebt wie bei den Männern die Berechnung
des Gaswechsels auf das Kilogramm Gewicht und die entsprechenden
Relationszahlen.
Die Zahlen unserer „Normalfrauen'' zu 100 eingesetzt, zeigt unsere
Uebersicht, dass die relativen Werthe pro Kilogranmi bei unseren Kindern
schwanken von etwa 130 bis 220 Procent und bei den Frauen (Nr. 15 aus-
genommen) von 90 bis 134 Procent; bei den alten Frauen finden sich Werthe
von 73 bis 112 Procent der Normalwerthe. Mit anderen Worten: Die
Schwankungen innerhalb der Gruppe der erwachsenen Frauen, wie auch die
Difierenzen zwischen Kindern, Erwachsenen und Greisinnen sind durchaus
ähnlich denjenigen bei den Männern. Die Differenz zwischen den Ejndem
und den Erwachsenen ist freilich nicht so erheblich wie beim männlichen
Geschlechte; zum Theil deshalb, weil die niedrigsten Alters- und Gewichts-
classen bei den Mädchen fehlen, vor Allem aber, weil der Gaswechsel der
drei als Normalmenschen betrachteten Weiber den drei „Normalmännem"
gegenüber absolut etwas höhere Werthe aufweist und femer noch deswegen,
weil diese Weiber ein niedriges Gewicht und dem entsprechend einen
relativ höheren Umsatz zeigten als die Männer (61 •7'«, 3*79««"» 0^ und
3.05 com CO2 pro Kilo gegen 66-7 >*, 3-41 ««"» 0^ und 2-72««™ COg pro Kila
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LUNGEMGASWECBSEL IN YEBSCHIEDENEN ALTEBSSTUFEK.
329
Tabelle IV.
Der Gaswechsel weiblicher Personen
pro Minute und Kilo.
Nr.
Alter
Läpge
Gewicht
pro Kilo 1
0,
a. Minute
CO,
Kelationszahlen
Jahre
cm
kff
ccm
ccm
0,
CO,
Mädchen
1
7
107
15-3
8-19
6-60
218
216
2
6V,
?
18-2
7-42
6-02
196
197
3
12
129
24-0
5-63
5-18
149
170
4
12
128
25'2
5-36
4-42
142
145
5
13
138
31-0
5-54
4-94
146
162
6
U
141
35-0
5-36
4'49
142
147
7
14
143
35-5
5'28
4-33
139
142
8
12
145 (?)
40-2
4-91
3-84
130
126
9
11
149
42-0
5-02
4-03
133
132
Pranen
1
40
135 (?)
31-0
4«95
4'09
131
134
2
3b
133
32-2
4-97
4-03
131
132
3
35
142
37«9
4-63
3-52
122
115
4
25
139
39-0
5-06
3-80
133
125
5
21
147
47-2
4-10
3-32
108
109
6
57
(?)
47-4
3-58
2-60
94
85
7
20
159
49-0
3-88
3«43
102
112
8
28
157
51-2
4«12
3-36
109.
110
9
18
152
54-0
4-07
3-35
107
110
10
17
156
54«0
3-74
3-06
98
100
11
28
156
61-3
4-12
3-36
1
1
12
20
167
61-0
3-55
2-90
iioo 1 Uoo
13
26
156
62-7
3-71
2-90
1
1
14
22
159
68-2
3-40
2-80
90
92
15
27
169 (?)
76-5
3-04
2-20
80
72
Oreiflinnen
l
75
sehr klein
30-3
4-25
3-26
112
107
2
74
»»
39*4
4-36
3-27
115
107
3
75
»»
41-2
3-73
3'34
98
ll-
4
71
145
49«5
3-16
2-55
83
84
5
83
146
51 «0
3-75
2-85
99
93
6
83
klein
53«5
3-85
2-64
88
87
7
86
150
59-3
2-75
2-27
73
74
i
Nornialfraaen ; 11,12
21-28
156—167
61-7
3.79
3-05
100
100
13
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330 A. Magnus-Levy und Ernst Falk:
Wir sind bisher auf die Verschiedenheit des respiratorischen Quo-
tienten in unseren Versuchen und auf dessen Bedeutung nicht eingegangen.
Letztere ist ja ziemlich klar. Kommen nur die drei wesentlichen Nahrungs-
und Körperbestandtheile, jeder fdr sich allein, zur Verbrennung, so stellt sich
der respiratorische Quotient ein auf 0*707 bei der Oxydation von Fett, auf ■
0-793 beim Körpereiweiss (Muskelsubstanz) und auf 1*000 bei Starke oder
Glykogen. Bei dem von uns gewählten Zeitpunkt der Nüchternheit ist das
Eiweiss stets nur zu einem kleinen Antheil an der Verbrennung betheiligt,
der sich nach Rubner's u. A. Bestinmiungen auf ca. 15 Proc. beziffert; je
niedriger der respiratorische Quotient, um so mehr treten die Kohlenhydrate
im Stoffwechsel zurück gegen die Fette; je höher er ist, um so mehr wiegen
die ersteren vor. Das gilt freilich nur so lange die Athemmechanik normal
ist;^ bei forcirtem Athmen" addirt sich ein Quantum COg zu demjenigen,
das normaler Weise ausgeschieden worden wäre, bei „sparsamem" bleibt ein
Theil (zeitweise) im Körper zurück; im ersten Fall wird der respiratorische
Quotient erhöht, im zweiten erniedrigt Bei der häufigen Wiederholung
unserer Versuche und der für diese Zwecke genügend langen Dauer der-
selben (45 bis 60 Minuten) war die Athemmechanik fast durchweg normal.
Wir glauben somit die Verschiedenheit des respiratorischen Quotienten in
unseren Versuchen als Ausdruck der wirklich vorhandenen Unterschiede io
der Betheiligung der Kohlehydrate und der Fette an dem Umsatz ansehen
zu dürfen.
Wir haben gefunden:
Mittel werthe
bei kleineren Knaben Werthe von 0.804—0.859 0-826
„ grösseren „ „ „ 0 • 813—0 • 876 (nur 1x0- 940) 0 • 845
„ Männern. . . . „ „ 0.750—0.865 0-794
„ 0.790— 0.862 (nur 1x0. 725) 0-816
„ ü. 783—0.918 0-837
„ 0.750-0.884 (nurlxO-723) 0-805
„ 0-750—0.825 (nurlxO.898) 0.800
Die Schwankungen innerhalb der einzelnen Gruppen sind, wenn wir
von wenigen Ausnahmen absehen, nirgends sehr erheblich. Unter Aus-
schaltung von 4 extremen Zahlen finden wir bei 58 nüchternen Personen
0-750 und 0.884 als Grenzwerthe. Nirgends finden wir, wie das ja zu
* Wir sehen hier auch davon ab, dass durch zeitweise Bildung und Ablagerung
von Kohlehydraten aus Eiweiss und von Fett aus Kohlehydraten der respiratorische
Quotient sich erheblich ändern kann. Letzteres findet unseres Erachtens (im Gegen-
satz zu französischen Autoren) nur bei ,,Mästung mit Kohlehydraten** in grösserem
Umfang statt
„ Greisen . . .
V
„ Mädchen . .
»
„ Frauen . . .
»>
„ Greisinnen . .
>»
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LüNGENGASWECnSEL IN VERSCHIEDENEN AlTBESSTüFBN. 831
erwarten war, den neben der Eiweisszersetzung stattfindenden Umsatz
allein von Kohlehydraten oder von Fett bestritten. Bei Kindern ist der
respiratorische Quotient meist etwas höher als bei Erwachsenen.
Wir haben in dieser Arbeit vielfach Gas- und Kraftwechsel als identisch
oder doch als fast ganz gleich hingestellt; das ist nicht ganz richtig.
Rubner (8b) in erster Linie hat stets davor gewarnt, aus dem Gaswechsel,
namentlich in kurzen Experimenten, den Kraftwechsel zu berechnen. Wir
haben die principielle Richtigkeit seiner Einwände stets anerkannt Eines
der wesentlichsten von ihm geäusserten Bedenken besteht darin, dass das
calorische Aequivalent des Sauerstoffes verschieden sei, je nach der zur
Verbrennung gelangenden Substanz; zwischen den Werthen bei Oxydation
von Mnskelfleisch, Fett, Rohrzucker sei das Verhältniss wie 100:109:
118-6. Nach neueren Untersuchungen sind die Differenzen aber wesent-
lich geringer. Einerseits ist das calorische Aequivalent für Muskelfleisch
grösser, als es Rubner angegeben hat (Zuntz), andererseits das für Stärke
und Glykogen kleiner als für Rohrzucker, der ja jenen beiden gegenüber
nur wenig in Betracht kommt — Dass thatsächlich im nüchternen Zustand
der in Fn^e kommende calorische Werth des O3 nicht innerhalb sehr
weiter Grenzen schwankt, soll folgende Berechnung erweisen. Wir ent-
nehmen die hier benutzten Zahlen einer Arbeit von Zuntz.^
Darnach beträgt der respiratorische Quotient und der calorische Werth
eines Cubikcentimeters 0.^ bei Verbrennung von
Muskelsubstanz . . . . 0-793 und 4-476 Cal.
Fett 0-707 „ 4.686 „
Starke 1000 „ 5-047 „
„Die Zunahme des respiratorischen Quotienten um 0*293 bedingt also,
so lange nur Fett und Starke (Glykogen) in Betracht kommen, eine Zu-
nahme der Energieentwickelung für jeden Cubikcentimeter verbrauchten
Sauerstoffes um 0-361 Cal.; für ein Wachsen des respiratorischen Quotienten
um 0-01 haben wir also eine Zunahme des Wärmewerthes um 0-00123 Cal."
Kommen also nur diese beiden Stoffe zur Verbrennung, so entspricht
dnein respiratorischen Quotienten = 1-000 0-950 0-900 0-850 0-800 0-750 0-707
ein calorischer Werth för 1«"» 0, = 5-047 4-986 4-924 4-863 4-801 4-740 4-686
Nun betheiligt sich aber die diesen Zahlen entsprechende „Mischung
von Fett und Starke'^ nur zu 85 Procent an dem Gesammtumsatz im
» Pflüger*8 Archiv. Bd. LX VI II. S. 201 ff.; vgl. dazu auch die ausführlichen
Darlegungen yon Zuntz und Hagemann, Untersuchungen über den Stoffwechsel des
Pferdes, Berlin 1898. S. 236 ff.; die dort gefundenen Zahlen gelten allerdings nur
fOr das Pferd.
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332 A. Magnus-Levy und Ernst Falk:
Hunger bezw. im nüchternen Zustand, 15 Procent entfallen auf Verbrennung
von Muskelsubstanz; dieser Procentsatz ist ziemlich constant Bei einer
Combinatiou, in der 15 Procent des Gesammtverbraucbes von 0^ auf Muskel-
substanz und 85 Procent auf die verschiedenen obigen Mischungen von
Fett und Starke entfallen, erhalten wir nach einer leicht aufzustellenden
Gleichung folgende Zahlen.
Es entspricht
einem respirat. Quotienten von 0«969 0-937 0«884 0«842 0-799 0-756 0-720
ein calor. Werth von 1 •=«» Oj = 4-961 4-909 4-857 4-805 4-752 4-700 4-654
Der höchste und niedrigste Werth des unter diesen Bedingungen in
Betracht kommenden respiratorischen Quotienten verhalten sich
4-961 107
4-645 100 •
Thatsachlich fanden wir in unseren Versuchen mit verschwindender
Ausnahme für den respiratorischen Quotienten nur Werthe zwischen 0-750
und 0-900, für die der calorische Werth des Og 4-693 und 4-877 be-
tragen würde fVerhältniss = ~r^); ziehen wir als Mittel den Factor für
den respiratorischen Quotienten von 0-825 mit 4-785 zur Berechnung, so
würden die Fehlergrenzen nur ± 2 Procent betragen.
Mit diesem Factor 4-785 wäre die verbrauchte Ojj-Menge zu berechnen,
um die für den Zeitraum und die Bedingungen unserer Versuche
statthabende Wärmeproduction zu finden.
Wir selbst verzichten hier auf eine Durchführung dieser Umrechnung,
deren sonstige Fehlerquellen wir nicht verkennen; zu einer approximativen
Bestimmung und zum \'ergleich mit den experimentell gewonnenen Zahlen
anderer Autoren aber dürfte eine solche Umrechnung immerhin von Werth sein.
Die bisherige Tabelle giebt mit ihren Relatiouszahlen pro Kilogramm
nur eine rohe Vorstellung über die verschiedene Intensität des Gaswechsehs
bei verschiedenem Alter. In Folgendem werden wir zunächst die Be-
rechnung des Gaswechsels bezogen auf die Körperoberfläche, bringen und
hinterher einen directen Vergleich ziehen zwischen dem Gaswechsel in ver-
schiedenen Lebensaltern bei gleichem Gewicht und gleicher Oberfläche der
betreflenden Individuen.
2. Der Gaswechsel, bezogen auf die Einheit der
KorperoberflAche.
Nach Rubner's (8) Forschungen ist der Kraftwechsel und mithin
auch annähernd der Gaswechsel eine Function der Körperoberfläche und
von ihr abhängig, dergestalt, dass pro Quadratmeter der Körperoberfläche
verschieden grosse Individuen einer Öpecies gleichen Umsatz zeigen. Dieses
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LUNGEKGASWECHSEL IN YEBSCHIEDENEN ALTERSSTUFEN. 333
Gesetz soll nach Rubner auch gültig sein für die verschiedenen Alters-
stufen; Kinder und Greise sollen nach ihm pro Quadratmeter annähernd
den gleichen Umsatz zeigen, wie Erwachsene.
Welche inneren Ursachen diesem Gesetze zu Grunde liegen, ob die
behauptete Abhängigkeit eine directe oder indirecte ist, haben wir hier
nicht zu erörtern; wir wollen bloss prüfen, ob unsere Zahlen mit dieser
Annahme übereinstimmen oder nicht — Eine ausführliche kritische und
theoretische Erörterung der obigen Lehre findet sich in v. Hoe sslin 's (23)
gedankenreichem Aufsatze: „Ueber die Ursache der scheinbaren Abhängig-
keit des Umsatzes von der Grösse der Körperoberfläche".
Wir führen in Folgendem die Reduction des Gaswechsels auf den
Quadratmeter der Körperoberfläche für unsere Individuen durch. Zur Be-
rechnung bedienen wir uns der Meeh'schen Formel 0 = CyG^j wobei wir
für die Constante C den Durchschnittswerth von 12-312 benutzen. In-
wiefern vrir durch Einsetzen der von Meeh ermittelten, für die einzelnen
Altersclassen verschiedenen Werthe für C etwas andere Resultate erhalten
würden, werden wir weiter unten besprechen.
Die folgende Tabelle V giebt für die männlichen Individuen die Körper-
oberfläche in Quadratmetern, die Mengen Sauerstoflf und Kohlensäure, die
pro Quadratmeter auf das einzelne Individuum entfallen, sowie die Relations-
werthe für letztere, wobei wir, wie früher, die Werthe für unsere drei
Normalmänner gleich 100 einsetzen.
a) Männliches Geschlecht
Die Tabelle V zeigt sofort das auffallende Resultat, dass der Gasumsatz
pro Quadratmeter für die Kinder erheblich höher und für die Greise
niedriger ist, als für erwachsene Männer; während für die letzteren inner-
halb der verschiedenen Grössenclassen das Rubner'sche Gesetz annähernd
gilt, ist das für Kinder und Greise nicht der Fall. Es betragen pro Quadrat-
meter (und Minute) die Werthe für:
RelatioDszahlen
O, CO2
0, CO,
Männer . . 111— 129<^^" 82— lOö*'«" 100—115- 100—115
ältere Knaben 128—159 „ 105—133 „ 114—142 115—146
jüngere „ 154—179 „ 122—150 „ 137—163 134—164
Greise . . . 87—103 „ 63-86 „ 78-108 69—108.
Je jünger das Individuum, um so grösser sind die entsprechenden
Werthe. Die Relationszahlen der obigen Tabelle zeigen, dass bei einem
Gewichte von IIV2 und H^a^^ der Gaswechsel für die Einheit der Körper-
oberfläche auf. über 160 Procent der Normal werthe steigt, und dass er bei
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334
A. Magnus-Levt und Ebnst Famc:
Tabelle V.
Der Oaswecbsel männlicher Induviduen
pro Minute
und Quadratmeter Körperoberfläche.
EnabeD
Mftnner
Greise
„Normal-
werthe**
Nr.
Alter
Jahre
LäD^e
cm
Ge-
wicht
Körper-
ober-
fläche
qm
pro Qnadratm.
0, CO,
com ocm
RelatioDs-
zahlen
0, CO,
1
2V.
?
ll«5
0-627
179
150
160
164
2
6
110
14-5
0-732
182
147
168
162
8
6
110
18-4
0-858
168
181
145
144
4
7
112
19«2
0-878
172
148
154
163
5
7
110
20-8
0-981
178
147
159
162
6
9
115
21-8
0-961
154
180
187
143
7
11
129
26-5
1-094
154
122
137
134
8
10
181
30*6
1-205
159
188
142
146
9
14
142
86-1
1-345
140
117
125
129
10
14
141-5
86*8
1-362
185
114
121
125
11
16
149
39-8
1-423
187
113
122
124
12
17
154
40-0
1-440
188
120
123
182
13
14
149
43-0
1-511
146
119
130
131
14
17
154
44*8
1-541
188
130
123
143
15
16
160
57-5
1-834
128
105
114
115
16
16
170
57*5
1-834
182
109
119
120
1
24
148
43-2
1-516
129
97
115
107
2
80
158
50-8
1-689
112
98
100
102
3
26
153
58-0
1-787
126
105
112
115
4
56
170
56.5
1-818
122
93
109
102
5
82
161
58-0
1-845
120
91
107
100
6
48
161
65*0
1-990
111
82
7
25
167
67-5
2-041
113
94
100
100
8
22
167
67-5
2-041
118
98
9
29
175
82-7
2-387
127
96
118
105
10
22
176
88-3
2-441
119
97
106
106
1
71
164
47*8
1-622
101
80
90
88
2
70
165
60-0
1-887
100
86
89
95
8
78
162
68*5
2-061
87
68
78
69
4
77
172
69-3
2-077
103
82
92
90
(5
64
160
70-4
2-099
121
98
108
108)
Mittel der
3 Männer
Nr. 6, 7, 8
22-43
165
66*7
2*024
112
91
100
100
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LUNG£NGAS\VECH8EL IN YEKSCHIEDENEN AlTEBSSTUFEN. 335
einem auffallend rüstigen Greise von 78 Jahren auf 78, bezw. 69 Procent
fallen kann! Der Umsatz des letzteren beträgt noch nicht die
Hälfte von dem des zweijähriger Knaben!
Wir haben in vorstehender Tabelle V für sämmtliche Individuen den
gleichen Werth von 12.312 für C eingesetzt; würden wir statt dessen die
einzelnen von Meeh für die verschiedenen Gewichtsclassen eruirten Werthe
von C benutzen, so würden die von uns aus unserer Tabelle ermittelten
Differenzen nicht kleiner, sondern grösser werden. Thatsächlich beträgt der
Werth C für die Individuen unter 20^ (im Mittel der unter einander
wenig abweichenden Messungen Meeh's Nr. 1, 2, 3, 5, 6, 7,^ 11-98, für
die Knaben von 28 bis 60^ (Nr. 8, 9, 10, 11 von Meeh) 12-85 und für
die erwachsenen Männer (Nr. 12 bis 16 von Meeh) 12-53. Es ist mithin
unter Benutzung dieser einzehien Werthe die Körperoberfläche bei Männern
im Durchschnitt um 2 Procent grösser, bei kleineren Knaben um 3 Procent
kleiner, bei grösseren Knaben um 4 Proceut grösser als unsere Tabelle an-
giebt. Umgekehrt verhalten sich natürlich die Werthe für den Gaswechsel;
und so würden die Differenzen in dem auf die Einheit der Oberfläche be-
zogenen Gaswechsel zwischen den Männern und kleineren Kindern sich
noch um mehrere Procente erhöhen (um etwa 6 Procent), für die mittleren
Knaben allerdings etwas (um 2 Procent) erniedrigen.
Wollte man selbst die aus unseren Versuchen berechneten Werthe
unserer „Normalmänner*' nicht als richtig gelten lassen, weil ihre Träger
zufällig den niedrigsten Gaswechsel unter den Männern zeigten, so würde
auch eine etwas andere Berechnung der „Normalwerlhe'* an den Resultaten
nichts Wesentliches ändern. Wenn wir das Mittel aller 7 Männer von
Nr. 4 bis 10 unserer Tabelle ziehen (56*5 bis 88-3^), so erhalten wir
statt der von uns zur Berechnung gezogenen Werthe von
112ccmOj, 9lccm (jQ^ p^o Quadratmeter als Mittel von 6—8,
nunmehr
llo „ „ yo „ „ „ „ „ „ „ 4 lU,
d. h. Werthe, die nur um 5, bezw. 2 Procent über den von uns angenom-
menen liegen. Auch bei Benutzung dieser etwas höheren Zahlen bleiben
unsere Schlussfolgerungen zu Recht bestehen.
b) Weibliches Geschlecht.
Wir fahren die gleiche Berechnung durch für das weibliche Ge-
schlecht. Leider liegen für dasselbe keine Messungen der Körperober-
^ Den äosserst niedrigeD Werth fftr Nr. 4, der nach Meeh 's Angabe durch eine
nngewöhnlich kräftige Entwiokelnng nnd fehlerhafte Proportion des betreffenden Kindes
bedingt ist, lassen wir dabei noch ansser Spiel.
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336 A. Magnüs-Lbvy und Ernst Falk:
fläche vor, und sind wir gezwungen, bei der Berechnung den für das
mäonliche Geschlecht ermittelten Werth für die Constante C= 12*312 zu
benutzen. Für kleinere Mädchen, deren Bau sich nicht sehr wesentlich
von dem der Knaben unterscheidet, dürfte diese Zahl wohl Geltung haben,
desgleichen für die kleinen dürftigen Frauen und Greisinnen, deren Fett-
polster ein minimales war; für erwachsene, vollentwickelte Frauen mit
ihrem reichlicheren Fettpolster aber dürfte die Constante C mit 12-312 zu
hoch und die auf diese Weise berechnete Körperoberfläche sicher zu gross
ausfallen, da sie bei gleichem Gewichte zumeist kleiner sind als bei Männern
und ihre Oberfläche sich mehr der Kugelgestalt nähert.^
Die folgende Tabelle VI ist genau wie die entsprechende für die Männer
angeordnet.
Die Tabelle VI zeigt uns das gleiche Resultat wie die Tabelle V. Der
Gaswechsel der Kinder ist erheblich höher als der der Frauen, und der-
jenige der Greisinnen ist abermals geringer.
Pro Quadratmeter betragen die Werthe für:
EelatioDBzahlen
O, CO,
93—114 95—106
105—135 107—135
71—99 74—96.
Die „Belationszahlen^' erreichen bei den Mädchen freilich nicht so
hohe Beträge, wie bei den Knaben. Die Gründe dafür haben wir schon
oben erörtert Es fehlen unter den Kindern die allerkleinsten, die die
höchsten Werthe aufweisen würden; und anderentheils sind die Normal-
werthe 3 Weibern entnommen, deren Gaswechsel unseres Erachtens eher
etwas höher liegt als beim Durchschnitt Würden wir beispielsweise die
Normal werthe berechnen für die 6 Frauen (Nr. 9 bis 14), so würden wir
erhalten:
statt 122«'^ Og, 98 ''<^™ CO3 pro Quadratmeter bei Nr. 11 bis 13,
nur 120 „ „ 97 „ „ im Mittel bei Nr. 9 bis 14.
Diese Differenz ist freilich nicht sehr gross. Sie wurde wesentlich
grösser werden, wenn wir, ähnlich wie bei den Männern, als Vergleichs-
person eine „normale" Frau von höherem Gewichte (Nr. 14) mit 68^ wählen.
(Die Vergleichspersonen der Männer wogen etwa 67^.) Im Allgemeinen
Frauen (excl. Nr. 6
0.
CO,
und 15) . . .
113—139«"
93—108 «"»
Mädchen ....
128—165 „
108-135 „
Greisinnen . . .
87—121 „
12-94 „
^ Die durch die Entwickelung der Mammae beim Weibe bedingte, nur geringe
VergrösseTung der Oberfläche kommt nicht weBentlich in Betracht, da sie beim Manne
durch die relativ grössere Entwickelnng der (auch relativ längeren) Extremitäten und
durch das Vorhandensein der äusseren Genitalien weit ttbercompensirt wird.
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LuNGENGAgWECHSEL IN YBB8CUI£D£NSN ALTEBSSTüFEK.
337
Tabelle TL
Der Gaswechsel weiblicher Individuen
pro Minute
und Quadratmeter Eörperoberfläche.
Nr.
Alter
Jahre
Länge
cm 1
Ge-
wicht
kg
Körper.
Ober-
fläche
qm
pro Qas
0.
ccm
kdratm.
CO,
com
Belat
zah
ions-
len
CO,
Mädchen
1
7
107
15«3
0-759
165
133
135
185
2
6V.
?
18«2
0-852
158
129
130
131
8
12
129
24-0
1-024
132
121
108
123
4
12
128
25-2
1-058
128
105
105
107
5
18
138
31-0
1-215
141
126
116
128
6
11
141
35-0
1-317
142
119
117
121
7
14
148
35-5
1-830
141
116
116
118
8
12
145?
40-2
1-445
137
107
113
109
9
11
149
42-7
1-488
142
114
117
116
Franen
1
40
185(?)
31-0
1-215
126
104
108
106
2
38
133
32*2
1-246
128
104
105
106
8
85
142
37-9
1-389
126
96
108
98
4
25
139
39*0
1-416
139
105
114
107
5
21
147
47-2
1-608
120
97
98
99
(6
57
? (z. kl.)
47-4
1-613
105
76
86
78)
7
20
159
49-0
1-649
116
103
95
105
8
28
157
51-2
1-698
124
101
102
103
9
18
152
54-0
1-759
125
108
103
105
10
17
156
54-0
1-759
115
94
94
96
11
28
156
61*8
1-914
182
108
1
1
12
20
167
61-0
1-908
114
93
JlOO
>100
13
26
156?
62-7
1-943
120
94
J
J
14
22
159
68-2
2-055
118
93
98
95
(15
27
169
76*5
2-219
105
76
86
78)
Greisinnen
1
75
8. klein
80-3
1-196
107
82
88
84
2
74
„
89.4
1-426
121
90
99
92
8
75
?
41-2
1-469
104
94
85
96
4
71
145
49-5
1-660
94
76
77
78
5
88
146
51*0
1-693
118
86
93
88
6
88
klein
53-5
1-748
102
81
83
83
7
86
150
59*3
1-872
87
72
71
74
JB^orinal-
werthe-
Mittel d. 8
Weiber Nr.
11. 12. 18
20—28
160
61-67
1-922
122
98
100
100
Archiv f. A. u. Ph. 1889. Physiol. Abthlg. SuppU
Digitized by
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888 Ä. Maonüs-Levt und Ebnbt Falk:
findet ja auob^ wie aus den Tabellen hervorgeht, bei erwachsenen Individuen
ein geringes Absinken des Gasweohsels für die Einheit der Eörperobeifläche
mit steigendem Gewichte statt
Auf jeden Fall können wir, auch wenn wir von jeder Correetur ab-
sehen, aus unseren zwei Tabellen V und YI folgenden Schluss ableiten:
Im jugendlichen Alter ist der Gaswechsel und der Kraft-
umsatz nicht nur bei der Berechnung auf die Gewichts-, sondern
auch bei einer solchen auf die Oberflächeneinheit grösser, im
Senium geringer als im Mannesalter.
Das Lebensalter übt also an und für sich, ganz abgesehen
von der Gewichts- und Oberflächenentwickelung, die freilich
von grösserer Bedeutung sind, einen mftassgebenden Einfluss
auf den Umsatz aus.
Das hat zum ersten Male v. Hoesslin (23) in seiner schon citirten Arbeit
(S. 377) ausgesprochen. „Die Verschiedenheit der Grösse a (der Wärme-
menge pro Quadratmeter Oberfläche) in Jugend und Alter kann wohl nur auf
eine (einstweilen in ihrem Wesen unbekannte) Verschiedenheit des ZellprotO'
plasmas zurückgeführt werden." Bewiesen haben diese Lehre auf Grund
zahlreicher eigener Versuche Sonden und Tigerstedt Wir befinden uns
mit ihnen in vollster Uebereinstimmung. Wenn auch die von den skan-
dinavischen Forschem gewählte Versuchsanordnung von der unserigen etwas
abweicht und hinter dieser für unsere rein theoretischen Betrach-
tungen an Zweckmässigkeit zurücksteht, worauf vidr weiter unten zurück-
kommen werden, so legen wir doch Werth darauf, mit einer etwas anderen
Methode zu dem gleichen Resultate gekommen zu sein, wie jene Autoren.
3. Der Oaswechsel gleich grosser und gleich schwerer IndiTiduen
im Kindes-, Mannes- und Oreisenalter.
Wir sind im Stande, noch auf eine andere, uns viel eleganter er-
scheinende Weise den Nachweis zu fuhren, dass der Gas Wechsel in der
That mit dem Alter absinkt.
Wir hatten von vornherein, beim Beginn unserer Arbeit, die Absicht
gehabt, gleich grosse und gleich schwere Individuen im Kindes-, Mannes-
und Greisenalter mit einander in Parallele zu stellen; bei der Durchführung
dieser Idee sind wir vom Zufall, der uns, namentlich beim weiblichen Ge-
schlecht, zahlreiche besonders kleine und leichte Individuen zuführte, sehr
begünstigt worden.
Die auf diese Weise gewonnenen Zahlen sind direct unter einander
vergleichbar. Sie erlauben uns, den Einfluss des Alters auf die
Intensität des Gaswechsels für sich allein zu studiren, ganz
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LUKGEMGASWECHBEL IN YEBSCHIEDBNEN ALTEBSSTUPEN. 339
loslöst von dem AbhäDgigkeitsverbältDiss, in dem der Umsatz von der
Gewichts- and Oberflächenentwickelung steht; letztere ist eben bei dieser
Anordnung innerhalb der einzelnen Gruppen gleich schwerer Individuen
annähernd gleich und brauchten wir sie somit in dieser Tabelle nicht mit
anzuführen.
Es entfallt natürlich, da unsere leichtesten Weiber 31^ und unser
kleinster Mann 43^ wogen, der Vergleich mit den jüngsten Kindern.
Wir haben sowohl für das männliche, wie für das weibliche Geschlecht
mehrere Gruppen gebildet, innerhalb deren das Gewicht der zu vergleichenden
ludividuen bei verschiedenem Lebensalter annähernd gleich ist. Solcher
Gruppen finden sich bei den lYauen vier, bei den Männern drei Bei den
zur Berechnung herangezogenen Erwachsenen und Kindern haben wir,
soweit Individuen der betrefiTenden Gewichtsciasse in unserer Tabelle vor-
vorkommen, keinerlei Ausschaltungen vorgenommen, wohl aber bei den
Greisen. Hier wurdeu weggelassen der eine 64jährige Mann („Greis" Nr. 5
der Tabelle I), weil bei demselben unseres Erachtens das Greisenalter noch
nicht eingetreten war, sowie- zwei alte Weiber, bei denen wir nur über je
einen Versuch (mit zu hohen Werthen) verfügen (Nr. 5 und 6 der Tabelle III).
Die Tabelle VII bringt neben der Bezeichnung und Classificirung der
Individuen nach Alter, Gewicht und Länge einmal die absoluten Zahlen des
Gaswechsels, daneben aber auch, da ja die Gewichte innerhalb der einzelnen
Gruppen nicht absolut gleich sind, die Berechnung auf das Kilogramm,
femer die Relationszahlen der letzteren Werthe, wobei diejenigen für die
Erwachsenen in jeder einzelnen Gruppe gleich 100 gesetzt werden.
Die Zusammenstellung der Tabelle VII ergiebt ein ausserordentlich klares
und schlagendes Resultat: ausnahmslos ist in allen 7 Gruppen der
Gaswechsel der Greise bei annähernd gleichem Gewichte und
Grösse viel niedriger und der der Kinder um etwas höher, als
derjenige der erwachsenen Individuen.
Im Durchschnitt aller 7 Gruppen ist der Sauerstoflfverbrauch bei den
Greisen um 20 Procent, die Kohlensäureausathmung um 18 Procent niedriger,
als bei den Erwachsenen, bei den Kindern um 8 und 18 Procent höher.
Die Differenz zwischen dem Kndes- und dem Mannesalter tritt in dieser
Zusammenstellung nicht so sehr hervor, aus einem leicht ersichtlichen
Grunde: es konnten ja nur grössere Kinder bei diesem Vergleiche benutzt
werden, deren Umsatz sich dem der Erwachsenen schon einigermaassen
nähert Man sieht ja auch in dieser Tabelle deutlich, dass der Umsatz
jüngerer und kleinerer Kinder (Gruppe A I und ß I) den der Erwachsenen
gleicher Grösse um erheblichere Procente übertrifH; als derjenige grösserer
Kinder (Gruppe All und BII).
22*
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340
A. MAaNüS-LsTT UND Ebnst Falk:
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841
Tabelle VIL (Fortsetzung.)
Differenz im Gasweclisel bei Kindern and Greisen
gegenüber den Erwachsenen.
Greise
Kinder
Gruppe
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CO,
Proc.
Proc.
Proc.
Proc.
AI
- 14 - 20
+ 12
+ 22
AH
- 19 - 10
+ 8
+ 8
Am
- 21 - 16
A IV
- 27 . - 26
BI
-25
-21
+ 10
+ 28
B U
-19
- 9
+ 8
+ 15
B III
-17 1 -22
. Mittel
-20
-18
+ 8
+ 18
Wir müssen zunächst den möglichen Einwand zurückweisen^ dass die
Abnahme des Oaswecbsels mit dem steigenden Lebensalter in unseren
Versuchen bedingt gewesen sei durch eine grössere Buhe der älteren In-
dividuen, namentlich der Greise. Ihr Bewegungsdrang ist ja sicher ein
geringerer als bei den Erwachsenen und Kindern. Thatsächlich aber
konnten wir diesen durch ,,Trainirung<' unserer Versuchspersonen stets fiast
ganz ausschliessen oder auf ein Minimum herabdrücken, auch bei jüngeren
Kindern. Dass wir bei Erwachsenen, namentlich den 3 Männern der
Gruppe B I, ein Minimum des Umsatzes erreicht haben, werden wir weiter
unten eingehend erörtern. Zum Theil waren unsere Greise eher schwieriger
als leichter zu unseren Versuchen zu erziehen als Kinder und Erwachsene.
Sie fanden sich schwerer mit den geringen Unannehmlichkeiten des Ver-
suchesab, so dass wir einen Zustand grösserer Buhe und Muskelentspannung
für sie nicht zugeben können.
Es erübrigt uns noch, den Gasweohsel in den verschiedenen Lebens^
altem zu dem Protoplasmagehalte des Körpers in Beziehung zu
setzen. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir dem als todtes Beserve-
und Heizmaterial im Bindegewebe und Nervensysteme eingelagerten Fette
(wie auch dem Glykogen) jeden eigenen Umsatz ganz abrechen, wenn
wir den Knochen und dem Bindegewebsgerüste nur einen geringen zu-
erkennen und den grössten Betrag des Kraftumsatzes und des Gaswechsels
den protoplasmareichsten Geweben, den Muskeln und Drüsen zutheilen*
Dass die „Gewichtseinheit des Protoplasmas'' (wenn wir von einer solchen
sprechen dürfen), des Trägers thierischer Functionen, im kindlichen Alter
einen erheblich höheren Umsatz zeigt als in der Zeit voller Beife, geht ja
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842 A. Maonus-Levy und Ebmst Falk:
aas den absolut hohen Zahlen der Kinder klar hervor. Fraglich könnte
nur erscheinen, ob nicht das ja nur massige Absinken des Gaswechsels
im Greisenalter bedingt sei durch ein relatives Zurücktreten des Froto-
plasmagehaltes, vor Allem der Drüsen and Muskeln in höheren Jahren.
Thatsachlich erscheint ja das Bindegewebe bei alten Leuten mehr ent-
wickelt, die Drüsen kleiner, die Maskeln härter und weniger succulent.
Dem steht aber die Abnahme des Fettpolsters gegenüber; in anserer
Tabelle YII hatten, wie die Notizen besagen, die alten Leute zumeist
weniger Fett am Körper wie die jüngeren.
Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir den Satz aussprechen, dass das
Protoplasma im Alter einen geringeren Umsatz besitzt als in
der Zeit völliger Reife.
4. Uer Gaswechsel beim männlichen und weiblichen Geschlecht«
•
Wir haben nunmehr einen Vergleich zu ziehen zwischen dem Gas-
wechsel bei beiden Geschlechtern.
Wie auch sonst, stellen wir männliche und weibliche Individuen von
annähernd gleichem Gewichte zusammen, sind jedoch gezwungen, da wir
bei beiden Geschlechtern nicht stets Personen von gleichem Gewichte zur
Verfügung haben, mehrere Individuen in eine Gruppe zusammenzufassen.
Namentlich f&r den Vergleich zwischen Frauen und Männern macht sich
der beregte üebelstand für unsere Zusammenstellung sehr fühlbar geltend,
so daß wir hier eigentlich nur drei wirklich gut vergleichbare Gruppen
(e, f, g) haben. Noch erheblicher sind die DiflFerenzen des Körperbaus für
das Greisenalter. Bei den Mädchen haben wir in Gruppe h noch zwei
jugendliche Weiber von 17 und 18 Jahren eingereiht und sie der ent-
sprechenden Gruppe zweier jungen Männer von 16 Jahren gegenüber-
gestellt. Diese Einbeziehung ist gerechtfertigt, da es sich bei diesen jungen
Weibem um gut entwickelte Individuen handelte, die bereits die volle Ge-
schlechtsreife erlangt hatten, deren vollständiges Breiten- und Längen- Wachs-
thum jedoch wohl noch nicht abgeschlossen war, genau so wie bei den
entsprechenden beiden jungen Männern. Demgegenüber kommt in den
beiden Gruppen f und g der Mädchen und Knaben die Zeit unmittelbar
vor und während der Pubertät zum Ausdruck. Die folgende Tabelle zeigt
neben einander den Gaswecbsel beider Geschlechter auf die Gewichtseinheit
bezogen; die „Eelationszahlen" weisen nach, wie viel Procente der Gas-
wechsel weiblicher Individuen von dem der Männer beträgt (vgl Tab. VIII).
Die Tabelle zeigt ein recht klares und deutliches Bild. Bei den jüngeren
Kindern (Gruppe b bis e) ist der Gaswechsel der Mädchen etwas kleiner
als bei den Knaben, im Verhältniss von je 91 Procent für SauerstoflF und
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844 A. MA0Nim-LEVY und Ebitot Faubl:
Kohlensaure; bei den grösseren Individuen im Eindesalter ist er annähernd
gleich (99 und 96 Procent); im Durchschnitt aller sieben Gruppen betragt
der Gaswechsel bei den Madchen 94 bezw. 93 Procent von dem der Knaben.
Für das Mannesalter stehen uns eigentlich nur drei gut vergleich-
bare Gruppen (e, f, g) zur Verfugung. Wir haben ausserdem noch die
Gruppe 0 (1 Mann) mit der combinirten Gruppe b und d) (5 Weiber) in
Vergleich gebracht , obgleich diese Combination bei den weit auseinander*
liegenden Gewichten der betreffenden Frauen nicht ganz einwandsfrei ist
In allen diesen vier Gruppen zeigt sich der Gaswechsel bei Erwachsenen
beider Geschlechter fest genau gleich; im Mittel der vier Gruppen beträgt
der Gaswechsel des Weibes 99 bezw. 103 Procent von dem des Mannes.
Bei den beiden vergUchenen Alten (Greisen und Greisinnen) ist eine
Differenz von 10 und 11 Procent zu Ungunsten der Weiber vorhanden.
Im Allgemeinen ist also der Gaswechsel weiblicher Indivi-
duen bei gleichem Lebensalter in mittleren Jahren annähernd
gleich demjenigen ebenso schwerer männlicher Personen; bei
Kindern und Greisen ergiebt sich eine geringe Differenz (um
6 bis 10 Procent) zu Ungunsten des weiblichen Geschlechtes.
Wesentlich günstiger gestalten sich für dieses die Verhältnisse, wenn
wir einen anderen Maassstab als den des Gewichtes dem Vergleiche zu
Grunde legen.
Eine Umrechnung des Gaswechsels statt auf das Kilo auf
die Einheit der wirklichen Korperoberfläche würde das oben be-
rechnete Verhältniss zu Gunsten des weiblichen Geschlechtes verschieben.
Wir versagen uns hier eine genaue Umrechnung auf diese Einheit, weil
wir hier ja nur weibliche und männliche Individuen gleichen Gewichtes
mit einander in Beziehung setzen; somit würden die Relationszahlen
ebenso ausfallen wie in Tabelle Vni, da die Oberfläche der Frauen rech-
nerisch ebenso gross ist wie die gleich schwerer Männer; nämlich wenn
wir für sie die Constante C der Meeh'schen Formel ebenso wie
bei den Männern = 12*312 setzen würden« ThatsächUch muss dieser
Wert, wie wir bereits oben ausgeführt haben, für die Frauen kleiner sein
als 12-312. In der Tabelle VIII ist fast ausnahmslos die Grösse der weib-
lichen Individuen geringer als die gleich schwerer männlicher Personen.
(Besonders erhebliche Differenzen finden wir in Gruppe g und h der Kinder,
g der Erwachsenen und in der Rubrik a und b der Greise [— 5*5, —11,
-6, -19, —15 (I) ^ bei den Weibern].)
Wäre der Wert von C für die Frauen bekannt, so würden bei der
Berechnung auf die Einheit der Körperorberfläche die Relationszahlen, die
wir bei der Beziehung auf die Einheit des Gewichtes gefunden haben, sich
zweifelsohne zu Gunsten des weiblichen Geschlechtes erhöhen.
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LuN0£NaA8W£OH8BL IN Y£B8CHISD£B£N AlTEBSSTüFBN. 845
und das Oleiohe ist der Fall, wenn wir, wie das schon oben bei der
Erörtenmg des dem Oreisenalter zukommenden Oaswechsels gescdiehen,
den letzteren auf die Gewichtseinheit des lebenden Protoplasmas
beziehen. Die Menge des letzteren zu bestimmen^ sind wir ja vollkommen
ausser Stande. Selbst eine Feststellung des im Körper enthaltenen Stick-
Stoffes, oder die kaum ausführbare des Gehaltes an ^^Eiweiss^' würde für
unseren Zweck uns keine verwerthbaren Zahlen ergeben. — Thatsächlich
aber unterliegt es wohl kaum einem Zweifel, dass bei dem erheblich grosseren
Fettreichthum des Weibes jedenfalls die Musculatur an dem Aufbau ihres
Körpers einen geringeren Anteil ninmit als beim Mann. Die ,, Gewichts-
einheit des Protoplasmas^' würde somit beim weiblichen Geschlecht keinen
geringeren, eher sogar einen noch etwas höheren Umsatz zeigen als beim
männlichen.
IL Theil.
Vergleich mit den Untersuchungen früherer Autoren.
Von früheren Forschern haben sich vor allen Dingen Scharling (2),
ferner Andral und Gavarret (3), sowie Speck (4) mit dem Gaswechsel in
verschiedenen Lebensaltem und bei den beiden Geschlechtern systematisch
beschäftigt; das weitaus grösste und beste Material haben vor vier Jahren
Sonden und Tigerstedt (4) beigebracht. Ausser diesen werden wir jedoch
zahlreiche andere Untersuchungen zu berücksichtigen haben, so namentlich
solche von Pettenkofer-Voit (5), Lewin (6), Forster (7), Bubner (8),
von Zuntz (9) und seinen Schülern (Löwy (11), Katzenstein (10) u.s.w.),
von Johannson (12) u. A. m.
Ein Vergleich unserer Zahlen mit denen verschiedener früherer Autoren,
die allerdings grösstentheils bloss über Eohlensäureabgabe berichten, erfor-
dert eine kleine Umrechnung, da in jenen Versuchen die Wertbe zumeist
in Grammen für eine Stunde pro Kilo wiederg^eben sind.^ Die so ange-
gebenen Zahlen sind mit 60 mal 1*966 (dem Gewicht eines Liters CO^)
= 118 zu dividuren, um sie mit den unseren vergleichbar zu machen, die
auf eine Minute und auf Kubikcentimeter ausgerechnet sind (oder unsere
Zahlen sind mit diesem Factor zu multipliciren).
Die Zusammenstellung unserer Zablenwerthe mit den meisten unserer
Vorgänger zeigt sofort das zunächst auffallende Resultat, dass die unserigen
^ Wenn udb auch mit Ausnahme der Arbeiten von Scharling sowie Andral
und Gavarret alle anderen Originalarbeiten zagangig gewesen sind, so entnehmen
wir die von ihnen gewonnenen Zahlen zumeist der Arbeit von Sonden und Tiger-
stedt, da sie in deren Arbeit bereits einheitlich bereehnet sind.
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346 A. Magnus-Levt und Ebnbt Falk:
erheblich kleiner sind, als die früher gefundenen. Wir müssen diesen
Unterschied erst erklären und den Nachweis erbringen, dass unsere niedrigen
Zahlen unter den gewählten Yersuchsbedingungen den thatsächlichen Ver-
hältnissen entsprechen, dass sie nicht etwa durch Mängel unserer Methodik
oder fehlerhafte Handhabung derselben bedingt sind.
Rechtfertigung unserer Werthe.
Wir haben, wie in allen früheren Untersuchungen, so auch hier aus-
nahmslos den Zustand absoluter Muskelruhe und vollständiger
Nüchternheit untersucht. Die Begründung dafür haben wir an anderer
Stelle ausführlich niedergelegt und auch in diteer Arbeit auf S. 316 kurz
wiedergegeben.
Die erheblichen Differenzen zwischen unseren Zahlen und denen
früherer Autoren müssen wir darauf beziehen, dass in deren Versuchen
zwar auch ein ruhiger Zustand gewählt wurde, dass aber diese „Buhe'' im
gewöhnlichen Sinne des Wortes (bequemes Sitzen und die dabei statt-
findenden leichten Bewegungen) von derjenigen erheblich abweicht, die wir
zu erzielen bemüht waren, und die wir thatsächlich auch fast durchweg
erreicht haben.
Wir wollen zunächst mit einigen Worten die Eohlensäurezahlen unserer
„Normalmänner'' mit ihren anscheinend so sehr niedrigen Werthen zu
rechtfertigen suchen. Für dieselben hatten wir im Durchschnitt 185 <^®" COj
pro Minute bei rund 67^ Gewicht ermittelt, das sind 21-8»™ COa für
die Stunde; dem gegenüber finden wir bei Sonden und Tigerstedt
(S. 73) für den Erwachsenen 34 bis 38^ CO,, bei Eubneri für 70^
33 bis 38«^ COg; ähnliche Werthe kommen in den Versuchen Voit-
Pettenkofer's vor, sowie bei den erwachsenen Personen Scharling's,
und zumeist noch höhere bei Andral und Gavarret, die leider die Ge-
wichte ihrer Versuchspersonen nicht notirt haben.
Dass aber die von uns seit Jahren gewählte Versuchsanordnung richtig
ist und unsere Zahlen thatsächlichen Verhältnissen entsprechen, dafür
können wir die schlagendsten Beweise den Arbeiten Johannson's und
denen von Sonden und Tigerstedt entnehmen. Diese Autoren sind sich
gleich uns darüber vollkommen klar gewesen, dass der im gewöhnlichen
Leben als „Ruhe" bezeichnete Zustand erheblich abweicht von dem voll-
ständiger Muskelruhe. Sie haben die Differenz zwischen diesen beiden
Zuständen, die wir auf Grund des Vergleiches unserer Zahlen mit anderen
' Archiv für Hygiene. Bd. XXIX. S. 45.
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LUNGSNaASWECHBBL IK YSB8CHIEDENEN AliT£B88TUF£N. 347
nur sobätzen^ konnten , durch eigene, sehr zahlreiche, vorzügliche Unter-
sachungsreihen genau bestimmt. Jobannson (12) hat den Zustand grösster
willkürlicher Muskelruhe in Experimenten an sich selbst untersucht Er
nennt diesen Zustand ,,Yorsatzliche Muskelruhe'S und meint, dass dieser
nur bei der nötbigen Intelligenz und Selbstbeherrschung der Yersuohs-
individuen zu erzielen sei. Es ist das genau der gleiche Zustand, den wir
bei unseren 3 Aerzten leicht und sicher, und auch bei fast allen anderen
Individuen durch stete Wiederholung der Versuche fast durchweg erreicht
haben. So sind Jobannson 's Zahlen mit den unseren direct vergleichbar.
Er fand in zwei vorzüglich durchgeführten, gut übereinstinmienden
Reihen im Mittel 21*5^™ COg in der Stunde; das ist die gleiche Zahl^
die wir berechneten (21* 8). Auf das Kilogramm und die Minute entfallen
bei ihm (73>w) 2-46<^°^C02, *>ei uns (66.7^ 2-77«»" COj. üeber seine
Körperconstitution finden wir in seinen Arbeiten keinen Vermerk; wir wissen
nicht, ob er ebenso muskelkraftig gewesen, wie unsere Individuen, oder
nicht vielmehr einen etwas höheren Fettreichthum besessen hat Auf jeden
Fall können wir aus Johannson's Zahlen entnehmen, dass unsere niedrigen
Werthe nicht durch Fehler der Versuchsanordnung und der Technik be-
dingt sind.
Femer haben, und zwar schon vor ihm, Sonden und Tigerstedt
das Minimum des Gaswechsels durch Untersuchungen im Schlafe an ver-
schiedenen Individuen ermittelt Löwy (11) und Magnus-Levy (14)
hatten ja im Gegensatze zu früheren Forschem (Pettenkofer, Voit,
Lewin u. A.) behauptet, dass der Gaswechsel im Schlafe von dem im
wachen Zustande bei völliger Ruhe sich nicht wesentlich unterscheide, und
Johannson's zahlreiche Versuche haben das über allen Zweifel sicher ge-
stellt Thatsächlioh findet sich kaum ein Unterschied zwischen dem Gas-
wechsel bei „vorsätzlicher Muskelruhe'' und dem im Schlafe, und so können
wir die von Sonden und Tigerstedt (13) an von schlafenden Menschen
gewonnenen Zahlen mit den unserigen direct vergleichen.
Wir stellen die von diesen Autoren für den Schlaf erhaltenen Mittel-
werthe (S. 140), wie ihre Minima (S. 150), auf 1 Minute und 1 ^ in Cubik-
centimeter umgerechnet, zusammen mit unseren Werthen im wachen Zu-
stande bei vollkommener Ruhe. (Tabelle IX.)
Die im Schlafe von Sonden und Tigerstedt erhaltenen Minimal-
werthe liegen zum Theil etwas niedriger, als die von uns im wachen Zu-
stande gefundenen; die Mittel werthe im Schlafe liegen unseren Zahlen recht
^ Vgl. Magnns-Levy, Pflüger's Archiv, Bd. LV. S. 110 Anroerkang; statt
„willkürlicher BewegüDg" rnnss es dort natürlich, wie es ja auch aas dem Sinne jener
Besohreibnng hervorgeht, heissen „nnwillkürliche Bewegungen".
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848
A. Magnub-Ley Y UND Ebnst Falk:
nahe. Wir entnehmen aus dieser far physicdogiscbe Daten recht gateo
Uebereinstimmung eine weitere Stütze für die annähernde Richtigkeit der
von uns erhaltenen Zahlen.
Tabelle IX.
GOj-Abgabe im Schlaf (Sonden und Tigerstedt) und in „vorsatzUcher
Muskelruhe
' (Magnus-Levy und Falk).
Nr.»
CO,
-Abgabe im Schlaf
Nr.»
CO,-Abgabe „in vor-
sätzlicher Rnbe««
Alter
Ge-
wicht
pro Kilon. Min.
ccm CO,
Alter
Ge-
wicht
pro Kilo
u.Min.
Jahre
kg
Minim.
Mittel
Jahre
kg
ccm CO,
-*»
Knaben
1
11
32.1
4-83
5.86
1 8.
10
80.Q
6-28
TS
2
12
38.3
4-45
4.80
9. 10
14
86-5
4-30
CD
3
18
57-0
2-93
3-31
15.16
16
57-5
8.40
bD
Mädchen
4
20
71-2
2-93
8-22
'S l
5
22
72*7
2.68
2-89
8
22
67*5
2-97
0
6
80
63-0
2-60
2*94
6
48
65.0
2.60
p
7
82
69.5
2-72
8-07
7
25
67.5
2.85
a
o
05
Qreise
9
69
66-6
2.33
2-45
1
; 1
71
47-8
2-70
10
78
59-0
2-40
2-75
1 4
77
69-3
2.44
11»
84
61.3
2*56
2-92
7»
86
59-8
2-27
Mittel
4—7
20—32
69-1
2-70
8«04
6*78
22—43
66.7
2.77
L
ewin *
?
76-0
—
2.96
Sonden und Tigerstedt liaben, gleich den meisten ihrer Vorgänger,
in ihren anderen Versuchen, und zwar „aus praktischen G^chtspunkten^',
wie sie ausdrücklich hervorheben, den Ruhezustand im gewöhnlichen Sinne
des Wortes untersucht; sie sagen aber selbst (S. 149): „Wenn es gilt, zu
untersuchen, welchen Einfluss das Lebensalter und die Körpergrosse an
und für sich auf die Grösse des Stofiwechsels ausüben, dürften Versuche
über den Stoffwechsel im Schlafe am meisten befriedigend sein, denn da
befindet sich ja die Versuchsperson in der grössten möglichen Muskelruha*^
Diese uebereinstimmung des Gedankenganges bei den schwedischen For-
schem und bei uns ist für beide Theile befriedigend.
» Die Ziffern beziehen sich auf die Tabelle S. 150 von Sonden and Tigerstedt
' Die Ziffern beziehen sich auf unsere Tabellen I and IL
' Weibliches IndiTidaam.
* Angaben nach Sonden nnd Tigerstedt S. 149.
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LUKaBNGA8W£0H8!BL IN VBBSOHIEBBNEN iLTEBSSTüFBK. 349
Dieser Zustand ,,yorsatzlicher Muskelrnhe*' ist auch bei Speck, dessen
grosse Yerdienste dadurch keinerlei Einschränkung erfahren, nicht erreicht,
da er in sitzender Stellung während des Versuches seine Apparate beobachten
und controliren musste. Er fand in den Versuchen, die er auf S. 215
semes Buches als seine Normalreihen aufführt, für sich 285®^ 0, und
234 com co^^ also bei 62»« Gewicht 4.60«»" 0, und 3.77««» CO, pro Kilo;
das sind rund 30 Procent mehr als bei .uns. Auch bei zahlreichen Ver-
suchen aus dem Zuntz'schen Laboratorium (Eatzenstein, L5wy u. A.)
liegen, obgleich die Versuche th eil weise im nüchternen Zustande und
fast immer in der „Buhe^ gemacht sind, die Zahlen etwas höher als bei
uns. In diesen Versuchsreihen ist es den Autoren zumeist nicht so intensiv
darum zu thun gewesen, das Minimum des Stoffumsatzes zu erreichen;
sie konnten sich damit begnügen, ihm einigermaassen nahe zu konmien,
da ihre Absicht meist dahin ging, erhebliche und sehr grosse Ab-
weichungen von der Norm zu studiren (Abkühlungs- und Arbeitsversuche).
Auch hier treten wir jenen Autoren nicht zu nahe, wenn wir für unsere
theoretischen Betrachtungen unseren Zahlen eine grössere Bedeutung
yindiciren als den ihren.^
Von anderen Autoren findet Eykmann (15) mit der von uns benutzten
Methode Werthe, die nur etwas höher sind, als unsere. Das Mittel seiner
Werthe an 11 Europäern in den Tropen (S. 70) ist nach Umrechnung auf
64^ (vrgl. die Details auf S. 68 bis 70 seiner Arbeit):
245.7ccm Og und 193»4^ CO, pro Minute,
oder
3-84,, „ „ 3-02,, „ „ „ und Küo,
denen er einen ähnlichen Durchschnitt für Europäer in Deutschland, aus
Zahlen von Geppert, Löwy, Katzenstein und Magnus-Levy be-
rechnet, gegenüberstellt
Wir erwähnen noch, dass Johannson (12) (S. 119) den Zustand
„vorsätzlicher Muskelruhe'' von dem „gewöhnlicher Muskelruhe" und
von dem „der Ruhe im gewöhnlichen Sinne des Wortes" unterscheidet
Der Qaswechsel in diesen drei Zuständen verhielt sich bei ihm wie
66:77:100 oder wie 100:117:150; er ist also in dem letztgenannten
' Uebrigeos finden sich in Loewy'ß Arbeit (Pfltiger's Archiv. Bd. XLIII)
Zahlen, die den nnseren recht nahe liegen, so z. B. für einen kraftigen, mnson lösen
Mann von 67-5^ im Mittel 222-9«» O, und 202-7««" CO,, das sind B-30««» 0,
und 8«0««" CO, pro Kilo, femer fftr einen schwächlichen Mann von eO'ö** S-öS«^ O,
und 8*04 "» CO,. — In seiner späteren Arbeit finden sich höhere Wertiie. Wir können
an dieser Stelle natürlich nicht alle Zahlen früherer Autoren (Henrijean, Fr^dericq,
Geppert, Hanriot, Riebet u.s. w.), die wir wohl kennen, aufoebmen und im Ein-
zelnen erörtern.
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350
A. Maonü8-Leyt und Ernst Falk:
Tabelle X.
Vergleich zwischen den Werthen von Sonden und Tiger ste dt
and unseren über die COj-Abgabe.
Nr.
Son
Tigc
d^n and
jrstedt»
Nr.
Magnus-Leyy
und Falk
Belations-
Ge-
wicht
kg
pro Kilo
a. Minute
ccm CO,
Ge-
wicht
kg
pro Kilo
u. Minute
ccm CO,
zahlen
Proeent
KDaben
1
20-1
9-73
4. 5. 6
20-6
6.87
153
2
27-5
10-22
7
26*5
5-04
203
4. 6
30.9
9-19
8
30-6
5*23
178
7
34-1
8-45
9. 10
36-5
4-30
197
9. 10
44.9
8-32
13. 14
43-7
4.35
191
12
55.5
6-90
15. 16
57-6
3-40
203
MäDoer
14. 15. 16
67.8
4-71
6. 7. 8
66-7
2-77
170
Mädchen
1
21-8
9-60
2
18-2
6*02
160
2
26.6
7-20
3. 4
24-6
4-80
150
3
31.0
7-16
5
31-0
4*94
145
4
36.2
6-30
' 6.7
35-3
4-41
143
5
39.5
5«90
: 8
40-2
3-84
156
6
44.3
5-60
9
42'0
4-08
139
Frauen
9
53.9
4-26
9. 10
54*0
3-21
133
10. 11
60. 5
4-64
11. 12. 13
61-7
3-05
152
Scharling'
' Knabe
1 Jüngling
I Mann
I Madchen
22.0
58.0
66.0
2S.0
56.0
7.83
Knabe
5*01
Jüngling
4.28
Mann
7.O8
Mädchen
3.83
»>
Frau
Speck»
38.0 5.20
55.0 4. 80
62.0 3. 80
25.0
47.0
51.5
58.0
5.90
4.10
4.30
3.40
^ Berechnet und zosammengeBtellt aus den TabeUen bei Sonden und Tiger-
Btedt S. 77 und 90.
* Ebenda S. 54.
' Ebenda S. 57.
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LUNGBNGASWBOHSBL IN YBBSOHIEDSNBN AlTEBSSTUFEN. 851
Zustande bei ihm um die Hälfte höher als in dem ersten. Doch ist diese
Differenz bei verschiedenen Individuen in verschiedenen Lebensaltern
jedenfalls nicht ooiistant in dem Sinne, dass es erlaubt w&re, durch einen
Abzug von Vs ^^ Werthes von den Zahlen, die Sonden und Tiger-
st edt u. A. ermittelt haben, den Minimum-Gaswechsel zu berechnen.
Wir geben in der nebenstehenden Tabelle X eine Uebersicht der von
Sonden und Tigerstedt und der von uns ermittelten Werthe für die
COj-Ausscheidung pro Kilo bei den verschiedenen Altersdassen. Der letzte
Stab in dieser Tabelle zeigt, um wie viel Procent die Werthe der skandi-
navischen Autoren die unseren übertreffen.
Aus der Tabelle X geht hervor, dass die Differenz zwischen den beider-
seitigen Besultaten, die im Allgemeinen auf die Yerdauungsarbeit und
die geringe Muskelthätigkeit in den „Ruheversuchen'' von Sonden
und Tigerstedt zurückzuführen ist, in den diversen Gruppen verschiedene
Werthe zeigt, dass sie beim männlichen Geschlecht viel grösser ist als beim
weiblichen. Daraus werden sich eine Reihe Unterschiede in den Resultaten
erklären, zu denen wir, im Gegensätze zu Sonden und Tigerstedt, ge-
kommen sind. Scharling's und Speck's Zahlen, die wir auch in unsere
Tabelle aufgenommen haben, stehen in der Mitte zwischen unseren und
denen von Sonden und Tigerstedt.
Nachdem wir somit die verschiedene Grössenordnung der in der Litte-
ratur niedergelegten Zahlenwerthe erörtert und beleuchtet und die unserigen
gegen etwaige Einwände sichergestellt haben, wollen wir nun die Schlüsse,
zu denen wir gekonmien sind, mit denen unserer Vorgänger in Parallele
setzen. Wir werden uns dabei zumeist auf den Vergleich mit Sonden
und Tigerstedt beschränken können, da ihre Untersuchungen die weitaus
zahlreichsten sind und die Verdienste früherer Autoren bei ihnen eine
sorgfaltige und gerechte, historische und kritische Würdigung bereits er-
fahren haben.
Vergleich unserer Resultate mit den früher erhaltenen.
Wir stellen zunächst die Punkte voran, in denen wir trotz verschiedener
Versuchsanordnung mit den früheren Autoren übereinstimmen.
Es war längst bekannt und von allen früheren Untersuchern (Schar-
ling, Andral, Gavarret, Forster, Speck u. A.^) hervorgehoben, dass
der Gaswechsel und der Kraftumsatz bei Kindern, auf die Gewichtseinheit
bezogen, weit erheblicher sei, als bei den Erwachsenen. Das wird ja auch
von den schwedischen Forschem und ebenso von uns selbstverständlich
^ Wir führen hier nar solche Aatoren auf, die den GasiunBatz gemessen, nicht
solche, die ihn, wenn auch richtig, ans der Nahmngsaafnahme berechnet haben.
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352 A. Magnü8-Lbvy ükd Ernst Falk:
bestätigt. Bubner hat darauf hingewiesen, dass man aas diesem Ueber-
wiegen des auf die Gewichtseinheit bezogenen Gaswechsels im kindlichen
Lebensalter eine grössere, nur durch das jugendliche Alter bedingte Inten-
sität des Gaswechsels bei Kindern nicht herleiten dürfe; der Kraftumsatz
sei nicht eine Function des Gewichtes und des Lebensalters, sondern eine
solche der Körperoberfläche und abhängig von den durch die Entwickelung
derselben bedingten Wärme Verlusten; pro Quadratmeter der Körperober-
fläche sei der Gas- und der Kraftwechsel in den verschiedenen Lebens-
altern und bei verschiedenen Körpergrössen gleich.
Sonden und Tigerstedt haben die Unrichtigkeit dieses Satzes nach-
gewiesen. Sie fanden die Kohlensäureabgabe, auf die Körpereinheit bezogeu,
bei Kindern viel grösser als bei Erwachsenen. Bei ihren jüngsten Alters-
dassen im männlichen Geschlechte fanden sie die Belationszahlen gleich
147, 167, 157 und 153 (2) verglichen mit dem Erwachsener von 67^
Gewicht,^ und ähnlich beim weiblichen Geschlechte; je junger das be-
trefiende Individuum, um so grösser ist der auf die Oberflächeneinheit be-
zc^ene Gaswechsel.
Auch fOr das Greisenalter soll nach Rubner das Gesetz der Ab-
hängigkeit des Gaswechsels von der Körperoberfläche zu Recht bestehen.*
Das aus der Erfahrung genugsam bekannte geringere Nahrungsbedürfhiss
der Greise ist nach ihm nur durch das niedrigere Körpergewicht und die
geringere Arbeitsleistung bedingt, so dass man nicht berechtigt sei, „hieraus
etwa auf einen aus unbekannten Gründen verminderten StofTverbrauch zu
schliessen^'. Diese Erklärung des thatsächlichen Minderverbrauches der
Greise ist aber nur zum Theil richtig. Sonden und Tigerstedt konnten
an der Hand ihrer Versuche an drei älteren Individuen im Zustande ge-
wöhnlicher Muskelruhe wie im Schlafe beweisen, dass der Gaswechsel der
Greise in der That niedriger sei als derjenige Erwachsener und der Kinder
(8. 90 und 150). v. Hoesslin hat das bereits ausgesprochen. Sie aber
haben zum ersten Male den Nachweis geführt, dass in der That das
Lebensalter einen wesentlichen und maassgebenden Einfluss auf den Gas-
wechsel ausübt und diesen unabhängig von der Entwickelung des Gewichtes
und der Körperoberfläche beeinflusst
Wir schliessen uns in diesem Punkte den schwedischen Autoren rück-
haltslos an und verweisen nochmals auf das überaus schlagende Resultat
unserer Tabelle VII auf S. 340, in der einzig und allein der Einfluss des
Lebensalters auf den Gaswechsel zum Ausdruck hommt
^ Wir berechDen hier die Belationszahlen Sond^n's and Tigerstedt's nicht,
wie sie, aof ihre schwersten Indiyidaen, sondern aaf „Normalmänner" von 67 ^ Gewicht
' Leyden's Handhuek der EmahrungHherapie, S. 179.
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LUIYQBNOABWEOHSEL IN YEBBOHIEDENEN AlT££8STüFEN. 853
Dass unsere Belationszahlen nicht überall vollkommen übereinstimmen
mit denen Sondön's und Tigerstedt's, ist ans der verschiedenen Versuchs-
anordnung erkl&rlich, aber für diese Betrachtung belanglos.
Wohl aber macht sich, die Verschiedenheit der Yersuchsbedingungen
hä jenen Autoren und uns für einige andere Betrachtungen und Schlüsse
geltend.
Sonden und Tigerstedt hatten aus ihren Versuchen gefolgert ad 1,
dass der Gaswechsel in der Pubertätszeit beim männlichen Geschlechte,
selbst bei geriugerem Gewichte, absolut erheblich grösser sei als im Mannes-
alter (S. 75), und femer 2., dass der Gaswechsel beim weiblichen Ge-
schlechte wesentlich geringer sei als beim männlichen, zum mindesten
bei jüngeren Individuen (S. 93 ff.). Bei letzteren sei die Eohlensäure-
ausscheidung um 31 bis 56 Procent höher, als beim weiblichen Geschlechte
(bei der Berechnung auf die Gewichtseinheit und ähnlich bei der Berech-
nung auf die Einheit der Eörperoberfläche).
Wir besprechen zunächst den zweiten Punkt Wir befinden uns hier
in entschiedenem Gegensätze zu den schwedischen Autoren. Wir konnten
an der Hand unserer Tabelle Vni auf S. 343 mit Sicherheit beweisen, dass
der Gaswechsel weiblicher Individuen, auf das Kilogramm bezogen, nur
bei einzelnen Altersclassen für das weibliche Geschlecht geringer sei,
und zwar um nicht mehr als etwa 5 bis 10 Procent. Die Differenz der
Besultate ist leicht zu erklären. Wir glauben aus dem Vergleiche unserer
Zahlen mit denen Sond^n's und Tigerstedt's (vergl. Tabelle X) den
Schlufis ziehen zu dürfen, dass bei den jüngeren Altersclassen die „Buhe'^
(im gewöhnlichen Sinne des Wortes) bei den Mädchen eine erheblich
grössere gewesen sei, als bei den Knaben, und dass nur dadurch in jenen
Versuchen für sie ein geringerer Gas Wechsel erzielt worden seL^ Es ent-
spricht das den Erfahrungen des täglichen Lebens, denen zu Folge Mädchen
viel leichter zum „Stillsitzen'^ gebracht werden können und überhaupt
weniger in- und extensive Bewegungen lieben als Knaben. Letztere sind
elrheblich schwerer zu der gleichen Ruhe zu bringen als Mädchen. Bei
den erwachsenen Männern hingegen, die sich besser beherrschen, kann ein
annähernder Ruhezustand etwa in gleichem Betrage erzielt werden wie
bei Frauen, und so unterscheidet sich denn auch in den Versuchen der
schwedischen Autoren ebenso wie bei uns der Gaswechsel erwachsener
Männer nicht wesentlich von dem der Frauen.
Für praktische Zwecke (Ernährang, Ventilation der Lufträume
und Anderes) kommt der durch die stärkeren Bewegungen bedingte, that-
säohlich grössere Nahrungsbedarf des männlichen Geschlechtes, namentlich
* Das geben anch Sonden lud Tigerstedt zum Theil so.
Archiv f. A. u. Ph. 188Q. PhysioL Abthlff. Suppl. 28
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854 A. Magnüs-Levt und Ernst Falk:
der Knaben, wesentlich in Betracht; die theoretische Betrachtang
hingegen erweist, dass das weibliche G^eschlecht in der Intensität seines
Gaswechsels nicht hinter dem männlichen zurücksteht.
Für Knaben in den Pubertätsjahren liaben Sonden und Tiger-
st edt ein erhebliches Ueber wiegen der von dem einzelnen Individuuih um-
gesetzten Gasmenge über die Werthe ausgewachsener und viel schwererer
Männer gefunden. Im Alter von 13 bis 17 Jahren finden sie (S. 73)
41 bis 45 «^ CO3 pro Stunde bei einem Gewichte von 44 bis 55 ^, während
erwachsene Individuen von 65 bis 84 ^ nur 34 bis 38 «^ CO3 producirten-
Auch dieses Plus glauben wir nicht, wie die schwedischen Autoren, durch
die grössere „Lebensenergie" in jenem Alter (schnellerer Längen- und Gewichts-
zuwachs) erklären zu müssen, sondern führen es auf einen in jenem Alter
auch in der Ruhe besonders gesteigerten Bewegungsdrang zurücL Die
von unseren, in den Pubertätsjahren befindlichen Knaben umgesetzten ab-
soluten Gasmengen übersteigen die der erwachsenen Normalmenschen nichts
oder nicht wesentlich; sie sind bei unseren Knaben Nr. 12 bis 14 (G^
wicht 40 bis 44^) geringer und bei Nr. 15 und 16 (Alter 16 Jahre, Ge-
wicht 57.5^^) annähernd gleich denen erwachsener Männer:
0.
CO,
Knaben
40 bis 44"«
16 Jahre
206.4
178-3
»>
57.5^»
16 „
238-9
195.7
Männer
67.0,.
22 bis 42 Jahre
227-7
185-0.
Wir können speciell den unter Nr. 15 angeführten Knaben mit dem
unter Nr. 8 angeführten jungen Manne vergleichen, da es sich um das-
selbe Individuum handelt. Im ersten Versuche war er 16 Jahre alt und
wog 57-5^, in dem späteren 6 Jahre älter und 10^ schwerer. Er hat
als Sohn von Prof. Zuntz zu zahlreichen Respirationsversuchen gedient, war
daher vorzüglich geübt, und beanspruchen daher diese Zahlen eine besondere
Beweiskraft. Es fanden sich in der Pubertätszeit:
235-6«'°» Oj, und 192.2«"» COg;
nach Erlangung der vollständigen Reife:
231.3^«°» Ojj und 200.2 «^^^^ CO,,
d. h. ziemlich die gleichen Werthe. Es wird also in den späteren Stadien
der Pubertätszeit der (Jaswechsel bereits erreicht, der dem völlig ausgereiften
Zustande entspricht Da aber mit dem Erreichen der Pubertät Längen-
und Gewichtszunahme noch nicht abgeschlossen sind, so sinkt naturgemäss
bis zum Ende des Wachsthumes der auf das Kilogramm (wie auch auf
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LUNGENGASWSOHSEL IN TBB80HIEDENBN AlT£B88TüFEK. 355
den Quadratmeter) bezogene Qasumsatz, und zwar in unserem Falle von
4.1000m Ojj und 3-34««"» CO, auf 3-43 bezw. 2.97^°» (pro Kilo).
Für die Yerschiedenheit der Intensität des Oaswechsels in den yer-
schiedenen Lebensaltem wird natürlich nicht das Alter als solches aus-
schliesslich maassgebend sein, sondern die körperliche Entwickelung, die
dem betreffenden Individuum zukommt So dürfen wir beispielsweise aus
den Zahlen für ein ungewöhnlich entwickeltes Madchen von 11 Jahren,
welches 149 <^ lang war und 42^ wog, dessen Menstniation bereits ein
halbes Jahr später eintrat, nicht Werthe für ein 11 jähriges Mädchen be-
rechnen, sondern etwa für ein 13- bis 14 jähriges, da dieses Mädchen eben
in seiner ganzen Entwickelung den körperlichen Zustand eines solchen be-
reits erreicht hatte. Das Oleiche gilt natuigemäss auch für Kinder, die
in ihrer Entwickelung zurückgeblieben sind.
Ebenso dürfen wir nicht erwarten, dass der Oas Wechsel älterer Per-
sonen alle Mal in dem gleichen Lebensalter absinkt. Wir haben z. B.
gefunden, dass ein 64 jähriger Mann noch den gleichen Graswechsel zeigt,
wie gleich grosse und gleich schwere jüngere Individuen; wir fanden hin-
gegen bei einem Manne von 70 JsJiren und einer Frau von 71 Jahren
dieses Absinken bereits deutlich ausgesprochen. Im Oegensatse zu jenem
64jährigen Manne fanden vrir bei einer Frau von 57 Jahren (Nr. 6 unserer
Tab. lU) den Oaswechsei so niedrig, dass wir ihn auf das Senium beziehen
zu müssen glaubten. Auch Speck sah seinen Oaswechsel nach dem
50. Lebenq'ahre absinken.^ Im Allgemeinen wird wohl das Absinken de»
Oaswechsels im höheren Alter Hand in Hand gehen mit dem Eintreten
des Oreisenalters im gewöhnlichen Sinne des Wortes; dass es aber, selbst
bei recht rüstigen Individuen, nicht ausbleibt, zeigen unsere Versuche an
der alten Frau Nr. 7, und vor allem die an den 78jährigen Manne Nn 3.
Trotzdem der letztere noch vorzüglich conservirt, sehr fettarm und recht
muskelkräftig war, stand sein Gaswechsel (179^ Oj und 129 <^ CO^) um
etwa 24, bezw. 32 Procent hinter demjenigen gleich schwerer jugendlicher
Männer zurück.
^ Wie coDStant übrigens soDst im Mannesalter im Lauf der Jahre der Gaswechsel
eince Menschen bleibt (Magnas-Leyy-Johannson), dafür können wir noch ein
gutes Beispiel aufnehmen. Prof. Z. hatte
im Jahre 1889—1892 einen Gaswechsel von 220-6«™ 0, nnd 162-5«»» CO,
„ „ 1897 „ ., y, 218-2 „ „ „ 167-8 „ „
(bei Johannson S. 112).
Er hatte im Lauf dieser Jahre nur einige (4) Kilo Fett angesetzt
23*
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S56 A. Magnus-Levt und Ebnst Falk:
IIL Theü.
Der Gasweohsel der Säuglinge.
Wir besitzen über deDselben keine eigenen Untersuchungen. Unsere
Yersuchsmethode ist ja für diese kleinsten Kinder überhaupt nicht an-
wendbar. Es liegen aber eine Reihe von Angaben in der Litteratur vor,
so dass ein Vergleich des ersten Lebensalters mit dem spateren wenigstens
möglich ist. Forster (7) hat zuerst die Eohlens&ureausscheidung eines
Säuglings (von 14 und 60 Tagen) unter natürlichen Bedingungen im
Pettenkofer'schen Apparate während 3 Stunden untersucht und dsurüber
kurze Notizen veröffentlicht Persönlicher liebenswürdiger Mittheilung von
Seiten des Hm. Prof. Forster verdanke ich folgende genaueren Zahlen.
Sein Mädchen schied ^ bei ziemlicher Buhe in der Pause zwischen zwei
Mahlzeiten aus:
im Alter bei einem Id der pro Kilo in der pro Minute
Yon: (Gewichte: Stunde: und Stunde: Minute: und Kilo:
14 Tagen 2-70^ 2.52«™C02 O-OS^^CO^ 21.40««C03 7.89~»COj
60 „ 8.78,, 3.68,, „ 0.97,, „ 31.07,, „ 8.22,, „.
Bubner und Heubner (17) fonden im Mittel einer sechstagigen, fast
ununterbrochenen Untersuchung mit der gleichen Methode für ein Kind
von 9 Wochen und 5-235^ Gewicht^ pro Stunde 4.72»™ COg, für die
Minute und das Eolo also 7*64<»°'. Annähernd ebenso hoch scheint^ so
weit si<di das aus der zweiten vorläufigen Mittheilung von Heubner (18)
übersehen lässt, der Oaswechsel für ein Kind von 7 Monaten und 7*68^
Gewicht gewesen zu sein, während bei dem dritten atrophischen Kinde
(von 31/2 Monaten und 2-95 ^^ Gewicht) der Werth etwa 30 bis 35 Proeent
für das Kilo höher gewesen zu sein scheint Einige Zahlen für den Gas-
wechsel der Säuglinge lassen sich auch aus der Arbeit v. Becklings-
hausen's (19) berechnen, doch sind seine Werthe unter einander so ab-
weichend, dass ich dieselben zur Berechnung nicht heranziehen möchte.
Sehr zahbdche Versuche überCOa-Abgabe und Gj-Aufhahme hat Scherer (20)
an Säuglingen verschiedenen Alters bis zu 77 Tagen gemacht, und zwar
nach dem Princip von Begnault und Beiset. Seine Versuche wurden
theils im Sommer, theils im Winter angestellt Wir glauben, dass die
Sommerversuehe mit ihrer mittleren Temperatur den natürlichen Ver-
^ Bubner und Heubner haben ihre Berechnung f&r das „dannreine" Kind mit
5 ^ durchgeführt. Das thatsächliche mittlere Gewicht in ihrer Reihe betrog aber nach
ihren Angaben 5*285 ^, und dieses haben wir für unsere Btehnung benutst
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LUNGENGABWEOHSEL IN YEBSOHIEDBNBN ALTEB88TU7EN. 867
faältnissen besser entsprechen nnd richtigere Werthe ergeben als die Winter-
yersache, bei denen die Temperatur, nicht etwa im Aussenraume, sondern
(wie aus den Yersuchsprotocollen hervorgeht) in dem Bespirationskasten
selbst erheblich unter der Säuglingen zuträglichen Norm war. Wir werden
daher nur die ersteren berücksichtigen.
Auffallend ist in Scherer 's Versuchen freilich Eines, nämlich der
ungewöhnlich niedrige respiratorische Quotient, der in den meisten Sommer-
versuchen unter 0.727 sinkt bis herab zu 0*627 (im Winter liegen sogar
alle Werthe unterhalb 0«598!). Da anderweitige ähnliche Versuche^ über
O2- und COj-Wechsel noch nicht vorUegen, so wissen wir nicht, ob diese
Zahlen der Wirklichkeit entsprechen, oder einem Fehler der Methodik ihren
Ursprung verdanken. Sollten diese Zahlen wirklich richtig sein, so können
wir in ihrer Erklärung jedenfalls nicht mit Scherer übereinstimmen, der
sie ganz allgemein darauf zurückführt, dass „der Assimilationsprocess den
Dissimilationsprocess bei Neugeborenen erheblich überwiege".
Ein starkes Absinken des respiratorischen Quotienten können wir nach
unseren jetzigen Kenntnissen nur so erklären, dass entweder die Kohle-
hydrate vom Körper nicht verbrannt werden (Diabetes), oder aber, dass
Kohlehydratgruppen (Glykogen u. s. w.) aus Eiweiss (und Fett?) gebildet
und am Körper zurückgehalten werden;* da, wo umgekehrt aus Kohle-
hydraten Fett gebildet imd am Körper angesetzt wird, steigt im Gegen-
theile der respiratorische Quotient, unter Umständen weit über 1*0
(Hanriot [32], Magnus-Levy [14], Bleibtreu [29]).
Die Brustkinder Scherer 's erhielten in der Muttermilch eine Nahrung,
an deren Calorien und Kohlenstoffgehalt der Milchzucker etwa annähernd
zur Hälfte betheiligt war. Da sicher im Laufe des Wachsthumes im
Körper erheblich mehr Fett und Eiweiss zur Aufspeicherung kommt als
Kohlehydratgruppen, so wäre für den nicht hungernden Säugling im
Allgemeinen ein respiratorischer Quotient über 0'85 zu erwarten. Wenn
somit, wie wir vermuthen, die Scherer'schen Zahlen nicht richtig sein
sollten, dann ist entweder die Kohlensäure zu niedrig oder der Sauerstoff
zu hoch bestimmt. Bei der grossen Genauigkeit der Kohlensäurebestim-
mung halten wir letzteres für wahrscheinlicher, und wollen wir somit nur
die Kohlensäurewerthe seiner Kinder in den Sommerversuchen hier be-
' Bei Mensi, dessen Arbeit wir erst bei der Correctnr entdeckten (Maly's Jahres-
hericht. Bd. XXIV. S. 472), finden sich aUerdings ähnliche Zahlen und ähnliche respi-
ratorische Quotienten. Das Original war uns nicht zngängUch.
' Winterschlaf der Thiere; beim Menschen sind niedrige respiratorische Quotienten
bisher beobachtet gelegentlich am normalen nüchternen Menschen, beim schweren
Diabetes und bei hysterischem Schlaf (?).
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358
A. Magnus-Lxyt und Ebnst Faiik:
sprechen. Wir geben zunächst einige Mittelwerthe aas seinen Yersuchen^
die wir aus seiner Tabelle II (S. 488) selbst combinirt haben. Es betragen
die Werthe:
Tabelle XI.
Die Eohlensaureproduction des Säuglings pro Minute und Kilo.
Autor
Alter
Gewicht
pro Kilo uud
Minute CO,
grm
ccm
Scherer
1— 9 Std.
2994.
5-39
»»
9-24 „
8085
5-40
>»
2- 3 Tage
2770
7-20
t*
4- 6 „
2997
7-08
»9
6—18 „
2841
8-09
»
19-77 ,.
2759
10-28
Forster
14 „
2700
7-89
t»
60 .,
8780
8*22
Babner und Heubuer
ca. 66 „
5235
7-64
Aus Scherer's Analysen geht hervor^ dass, auf das Kilogramm be-
rechnet, die Eohlensäureausscheidung mit dem Alter bis zum 77. Lebens-
tage (so weit reichen seine Versuche) zunimmt. Bis zum 6. Tage bleibt
der Kohlensäurewerth pro Kilogramm und Minute unter 7 •20**™, um
später aber bei den meisten Kindern anzusteigen. (Vielfach handelt es
sich übrigens bei diesen um recht dürftige Kinder.) Wir finden also bei
Forster 7*89 bis 8-22, bei Rubner 7.64 <^"^ pro Minute und Kilogramm
und bei Seh er er bis zum 6. Lebenstage noch niedrigere Zahlen. Werthe
von der gleichen Höhe finden wir aber bei den von uns untersuchten
kleinsten Knaben Nr. 1 und 2 (8-16, 7-39^°°» CO,). Das Gesetz, das
dem jüngeren und leichteren Individuum einen grösseren Gaswechsel für die
Gewichtseinheit zuspricht, gilt jedenfalls nicht ohne Weiteres für die aller-
ersten Lebensmonate des Säuglings im Vergleich zu der darauf folgenden
Zeit der ersten Kinderjahre.
TJebrigens sind aber die Zahlen bei den Säuglingen nicht mit denen
unserer Kinder direct zu vergleichen, weil in ihnen — und das gilt auch
für den besten jener Versuche, dem über 6 Tage sich erstreckenden von
Rubner und Heubner — das Kind mit seiner normalen Verdauungs-
arbeit und mit den natürlichen Bewegungen zur Untersuchung kam. Diese
beiden Umstände lassen sich ja selbstverständlich beim Säuglinge nicht
ausschliessen; und wenn auch die Bew^ungen des letzteren in liegender
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LUNQENGASWEOHSEL IN YEBSOHIEDBNEN AlTBBSSTÜFEN. 359
Stelluug sich nur auf geringe Veränderungen der Körperlage während des
Wachens beschränken und keinen erheblichen Kraftaufwand erfordern, so
kommen sie doch wohl neben der Yerdauungsarbeit mit einem mehr oder
minder grossen Antheil an dem Gesammtumsatz zur Geltung. Die Werthe
in absoluter Buhe und im nüchternen Zustande beim Säuglinge, die man
ja nicht untersuchen kann, würden sonach wahrscheinlich geringer sein, als
bei Kindern in den ersten Jahren nach der Säuglingszeit.
Vergleicht man etwa die oben angegebenen Zahlen des Säuglings mit
denen, die Förster,^ sowie Sonden und Tigersted t bei älteren ;,ruhigen<^
und nicht ganz nüchternen Kindern erhalten haben, so gewinnt unsere
Annahme des relativ geringeren Gaswechsels im ersten Säuglingsalter gegen-
über des folgenden Jahres eine weitere Stütze.
Wenn unsere Annahme — wir sprechen ausdrücklich nur von einer
Annahme, da wir absolut vergleichbare Zahlen zur sicheren Beweisführung
nicht besitzen — richtig ist, so glauben wir, eine Erklärung daftir in
Folgendem zu finden. Der grösste Antheil an dem Kraft- und Gaswechsel
fallt jedenfalls, wie wir bereits oben erörterten, den Drüsen und den
Muskeln zu. Der Tonus der letzteren bedingt zu einem wesentlichen Theile
die Höhe des Graswechsels. Wird er ausgeschaltet, so sinkt der Gaswechsel
um 35 bis 37 Procent (Roehrig und Zuntz [24a], Pflüger [24b]. Beim
Säuglinge ist zu Folge der grossen Entwickelung des Kopfes und der
dürftigen der Extremitäten die Musculatur zu einem erheblich geringeren
Theile an dem Aufbau des Körpers betheiligt als in den späteren Lebens-
altem,* und femer glauben wir für den Säugling eine erheblich geringere
Normalmuskelspannung voraussetzen zu dürfen, und zwar einfach aus dem
Gmnde, weil die Anfordemngen an die Musculatur in diesem Alter
minimale sind.
Wir halten es für möglich, dass der Tonus der Musculatur beim
Säugling nach der Geburt nur langsam zuninmit und eine bedeutende
Höhe erst zu jenem Zeitpunkte erreicht, wenn mit den ersten Gehversuchen
stärkere Anfordemngen an die Musculatur der Beine und des Rumpfes
und wohl auch der Arme herantreten; letztere haben ja zur Unterstützung
des Körpers in jenem Zeitpunkte ebenfalls eine gegen vorher erhöhte Arbeit
zu leisten.
Wir können uns der Au%abe nicht entziehen, den Vergleich zwischen
* Pro Kilo und Minute ca. 9 •90"^ COj im Alter von 3 bis 7 Jahren bei „ruhigem
Verhalten nach einem kleinen Frühstfick" bei einem Nettogewicht von ca. 10 bis 15 ^
(persönliche Mittheilnng von Prof. Forst er).
* Nach H. Vierordt (S. 29) betragt beim Neugeborenen die Musculatur 25 Proc.
des Gesammtgewichtes, beim Erwachsenen 48 Froc; das Qehim dagegen 12*29 Proc.
beim Neugeborenen, beim Erwachsenen nur 2*16 Proc.
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360
A. Magnus-Lbyy und Ebnst Falk:
Säuglingen und älteren Kindern auch f&r die Einheit der Eörperober-
fläche durchzuführen.
Wir haben diese in der folgenden Tabelle XII nach Meeh's Formel
mit dem von diesem Autor fftr den Säugling ermittelten Werth von
C« 11.989 berechnet In Wirklichkeit dürfte für die älteren, sehr dürf-
tigen Kinder Scher er' s dieser Werth zu niedrig und ihre Oberfläche
etwas grösser sein, als in der Tabelle angegeben ist, da ihr geringeres
Gewicht nur zum Theil durch ihre geringere Grösse, hauptsächlich aber
durch ihre grössere Magerkeit bedingt ist. Es sind ja wohl diese dürftigen
Spitalkinder seit der Geburt noch etwas gewachsen, und hat sich trotz des
geringen Gewichtes ihre Oberfläche g^n den ursprünglichen Werth bei
der Geburt etwas vermehrt,
Tabelle XIL
Kohlensäureabgabe pro Quadratmeter Oberfläche und Minute
bei Säuglingen und in späteren Altersstufen.
Autor
Alter
Gewicht
Quadratmeter
Oberfläche
pro Min.n.
Qaadratm.
Oberfläche
ccm CO,
Scherer
1- 9 Std.
2994»™
0-249
65
9-24 „
3U85 „
0-254
66
2- 3 Tage
2770 „
0-287
84
4-6 „
2997 „
0-249
85
7-18 „
2841 „
0.240
96
19-77 „
2759 ,.
0-286
120
Kobner xl Uenbner
9 Wochen
6235 „
0.350
114
Forster
14 Tage
2700 „
0-230
93
60 „
3780 ,.
0-291
107
Magnas-Levy and
27, Jahre
11 -6 k»
0-627
150
Knabe
Falk
6 Jahre
14-5 ,.
0-732
147
n
7— 11 Jahre
19.2-26-5''«
0.873-1-094
122-148
»»
7 Jahre
15.3^
0-759
133
Mädchen
6V,-14 J.
18-2-42-7'^
0-852-1-488
105—129
t»
22-43 J.
66-7»^
2-024
91
Männer
20—28 J.
61-7 ..
1-922
98
Franen
Während wir bei Knaben unter 7 Jahren Werthe von 122 bis 150«*^
CIO2 pro Quadratmeter fiuden und für die kleinsten Mädchen solche von
121 bis 133, ergeben Seh er er' 8 Sommerkinder nur 65 bis 96^"^ CO, und
nur seine letzte Gruppe 120. Auch Rubner's und Heubner's, sowie
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LüKGENGA8WE0H8EL IN YEBSOHIBDElinEN AlTEBSBTUFBN. 361
Forster's Säuglinge bleiben hinter den von uns g^nndenen Zahlen
jüngerer Kinder noch deutlich zurück« Dagegen stimmen ihre Werthe
annähernd überein, bezw. übertreffen um Einiges die CO,- Werthe der Er-
wachsenen bei vollständiger Buhe und Nüchternheit
Wir haben es uns an dieser Stelle, wie auch bei der Besprechung des
Oaswechsels im Eindesalter versagt, die Zahlen von Camerer zum Ver-
gleich heran zu ziehen. Wir erkennen die Bichtigkeit seiner Berechnungen
gern an, hielten es aber für nothwendig, überall nur durch den directen
Versuch ermittelte Werthe des Gaswechsels zu berücksichtigen. Im TJebrigen
sind auch Gamerer's werthvolle Untersuchungen, ebenso wie die von
Pettenkofer-Voit, Bubner u. A. nur für den Gesammtumsatz und das
Nahrungsbedürfniss zu verwerthen und sind för unsere Betrachtungen nicht
in Vergleich zu stellen. Dass im TJebrigen Camerer (S. 109) nicht be-
rechtigt war, aus seinen Zahlen im Sinne von Bubner zu schliessen, dass
„der NahruugsbedarP' (und dementsprechend auch der Gaswechsel) ^
Orossen und Ganzen proportional der absoluten Grösse der Eörperober-
fläche sei, und zwar in jedem Alterns haben Sonden und Tigerstedt
{S. 218 ff) überzeugend nachgewiesen. Auf Grund eigener Stoffwechsel-
versuche hat auch schon v. Limbeck (22) einen Minderverbrauch im
Greisenalter nachzuweisen gesucht. Auch auf seine Arbeiten sind wir aus
den oben angefahrten Gründen nicht eingegangen.
8 c h 1 n 8 8.
Das Besultat unserer Untersuchungen lässt sich etwa folgender-
maassen zusammenfassen:
1. Der Gaswechsel der Kinder ist, auf die Gewichtseinheit be-
zogen, grösser als der erwachsener Personen, und zwar in um sb stärkerem
Maasse, je jünger und leichter das betreffende Individuum ist; nur für das
erste Lebensjahr trifft das nicht zu.
2. Im Mannesalter bleibt der G^tswechsel, sofern das Individuum
seine Eörperzusammensetzung nicht wesentlich ändert, annähernd constant;
das kleinere Individuum hat einen relativ (pro Eilogramm) höheren Umsatz
als das grössere.
3. Im Greisenalter sinkt der Gaswechsel, auch wenn das Indi-
viduum seine Eörperzusammensetzung nicht wesentlich ändert; er ist
auf das Eilogramm umgerechnet geringer als das (gleich schwerer) Indi-
viduen in mittleren Jahren.
4. Auf die Einheit der Körperoberfläche bezogen ist der Gas-
wechsel bei erwachsenen Individuen verschiedenen Gewichts annähernd
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362 A. Magnos-Leyy und Ernst Falk:
gleich, ganz erheblich höher bei Eindem und niedriger bei Greisen. Auch
hier steht das Säaglingsalter wahrscheinlich gegen die folgenden ersten
Einderjahre zurück. Auf welche rechnerischen Einheiten auch immer wir
den Gas Wechsel beziehen, welche inneren Gründe wir auch für seine ver-
schiedene Grösse znr Erklärung heranziehen, in jedem Falle zeigt sich der
Einfluss des Lebensalters auf die Intensität des Gas- und Eraftwechsels.
Die Zellen des jungen Individuums besitzen eine ganz andere ,,Energie''
als die des angewachsenen, und im Greisenalter sinkt diese Energie weiter
herab. In Bezug auf den Gaswechsel zeigt sich also dasselbe, was wir
auch sonst im physiologischen G^chehen und in den Leistungen des
menschlichen Eörpers in den yerschiedenen Altersstufen tagtäglich vor
Augen sehen.
Die von uns angeführten Sätze bleiben auch dann zu Becht bestehen,
wenn vnr den Gaswechsel auf die Gewichtseinheit Protoplasma beziehen.
5. Der Gaswechsel des weiblichen Geschlechtes steht hinter dem des
männlichen nicht oder nicht wesentlich zurück; namentlich bei erwachsenen
Individuen findet sich kein Unterschied.
Bei gleich schweren Männern und Weibern zeigte sich der Gaswechsel,
absolut und pro Eilogramm berechnet, etwa gleich. Bei Betrachtung der
Eörperoberfläche würde bei einem Vergleiche gleich schwerer Männer und
Weiber, bei letzteren eher ein grösseres Quantum Sauerstoff und Eohlen-
säure auf die Oberflächeneinheit entfallen, da weibliche Personen bei gleichem
Gewichte zumeist kleiner sind und somit eine kleinere Oberfläche besitzen
als die Männer. Auch bei einer, freilich exact nicht durchzufahrenden
Beziehung des Umsatzes auf die Gewichtseinheit des Protoplasmas würden
die Frauen gegenüber den Männern sicher nicht im Nachtheile sein, da
an ihrem Eörpergewichte im Allgemeinen das Fett mit einem grösseren,
die Muskelsubstanz mit einem kleineren Procentsatze betheiligt ist als
bei jenen. ■
Wir halten es für principiell wichtig, im Gegensatze zu den Schlüssen,
die man etwa aus den von den unseren theilweise abweichenden Besultaten
Sonden' s und Tiger stedt's ziehen könnte,^ nut Sicherheit festgestellt zu
haben, dass in Bezug auf den Ruheumsatz eine Inferiorität des weiblichen
Geschlechtes nicht existirt Es ist in den vielfachen Erörterungen der
Frauenfrage immer wieder darauf hingewiesen worden, dass die angeb-
liche geistige Inferiorität der Frau auch in ihrem körperlichen Verhalten
Analogieen finde und durch die körperliche Minderwerthigkeit bestimmt sei;
ihre Musculatur sei schwächer entwickelt, ihr Himgewicht sei niedriger als
das der Männer, und vor einigen Jahren hat auch noch Beinert die
Im MannesaUer finden auch sie kein Zorflokbleiben des weiblichen Oeschlechttt»
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LüNGSNGABWEGHSBL IN YEBSOHIEDENEN AliTBRSSTUFEN. 363
geringere Zahl der rothen Blutkörperchen des Weibes (4^1^ gegenüber
6 Mülioneb) in ähnlich^Bm Sinne herangezogen« Mit allen diesen rohen
Vergleichen lässt sich unseres Erachtens die Sache der Gegner der Frauen-
bewegung nicht fuhren; unsere Untersuchungen liefern jedenfalls für solche
Argumentation keinen brauchbaren Anhalt
Wir müssen ganz allgemein und nicht nur im Hinblick auf die
^Beweisfuhrung^^ in der Frauenfrage gegen die Methode Einspruch erheben,
aus der unseren Sinnen unmittelbar zuganglichen groben Organisation all-
gemeine Schlüsse auf die Leistungsfähigkeit eines Organismus zu ziehen.
Wir wollen das hier bloss im Hinblick auf die grobe Muskelkraft
kurz erörtern*
Für gewöhnlich wird angenommen, dass der sehr muskelkraftige,
körperlich ausdauernde Mensch einen wesentlich höheren Verbrauch auch
in der Ruhe zeige, als der schwächliche. Da der erste ja mehr Musculatur
besitzt, so erscheint diese Annahme ja zunächst nicht ungerechtfertigt.
Zweifelhaft bleibt aber, ob etwa auch die ,,Gewichtseinheit der Musculatur'^
im ersteren Falle einen höheren Ruheumsatz besitzt. Man hat sich zu
Gunsten dieser Annahme auf Loewy's Angaben^ berufen, wo in derThat
die zwei kräftigsten' Individuen auffallend hohe Werthe zeigen. Aber bei
demselben Autor finden sich an anderen Stellen* Notizen, denen zu Folge
das nicht der Fall ist (sehr kräftiger, musculöser Mann von 67*« mit
3.30«<'"» O2 und 3.00^°°» CO3).
Am geeignetsten zur Entscheidung dieser Frage wären Versuche an
Athleten. Ueber solche verfügen wir nicht Trotzdem sprechen unsere
Resultate entschieden gegen die obige Annahme. Unsere beiden jungen
Aerzte (7 und 8) und der unter 10 angeführte P. S., ein wahrer Riese,
zeigten trotz einer das Durchschnittsmaass weit überragenden und grosser
Leistungen fähigen Musculatur einen Umsatz, der den anderer Männer
nicht übertraf, eher dahinter zurückblieb. Der Umsatz pro Gewichtseinheit
der Musculatur wäre bei ihnen eher kleiner als bei anderen Männern.
Es braucht also die Maschine, die grössere Arbeit leistet, in
der Ruhe nicht stärker angeheizt zu sein als die unvoll-
kommenere; aus dem Zustand der Ruhe, in der ein gleich grosser Ver-
brauch an Heizmaterial statthat, darf also auch hier nicht auf gleich grosse
Arbeitsleistung bei voller Inanspruchnahme der Maschine geschlossen werden.
Wir haben uns noch mit einigen Worten über den Zusammenhang
zwischen dem Gaswechsel und der Temperatur in den ver-
schiedenen Lebensaltern zu äussern.
> Pflttger'g Archiv. Bd. XLVI.
* Ebenda. Bd. XLIU.
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364 A. Maonus-Levy und Ebnst Falk:
Kinder haben eine etwas höhere Temperatur als Erwachsene; das
Gleiche galt bisher auch för Greise, bis Chelmonski (27) ^ neuerdings das
Gegentheil mit Sicherheit nachwies In früheren Zeiten war man viel-
fach — ich erinnere an die Erörterungen über das Zustimdekommen
der erhöhten Temperatur im Fieber — geneigt, die Erhöhung (bezw. Er-
niedrigung) der Eigenwarme als von einer Erhöhung bezw. Verminderung
des Wärmeumsatzes abhängig zu erklären.
Das ist nicht zulässig. Wir müssen zunächst daran festhalten, dass
da, wo es sich um constante Einstellung auf irgend eine, auch solche
von der Norm abweichende Temperatur handelt, die Wärmeabgabe mit der
Production gleichen Schritt halten muss. (Wir sehen hier ab von den
Veränderungen des Wärmeumsatzes im Fieber während desjenigen Zeit-
raumes, in dem die Temperatur noch steigt, oder noch sinkt). Nun kann
aber der Körper einerseits bei einer von der Norm nicht abweichenden
Wärmeproduction und -Abgabe sich auf verschiedene Temperaturgrade ein-
stellen (Fieber), und andererseits kann er auch die normale Temperatur
bewahren, wenn innerhalb gewisser Grenzen sein Umsatz sich ändert.
(Gleichbleiben der Temperatur bei massiger Arbeitsleistung.)
Der Gedanke, die verschiedene Eigenwärme Erwachsener, Greise und
Kinder in Beziehung zu setzen zu deren verschiedenem Wärmeumsatz, ist
also ganz unzulässig. Chelmonski hat in einer allerdings nur „hypo-
thetischen Erklärung'^ diesen Fehler begangen und die von ihm nach-
gewiesene geringere Temperatur der Greise durch eine ^erhöhte Wärme-
abgabe zu erklären versucht.^ Das Vorhandensein einer solchen suchte er
mit theoretischen Gründen zu beweisen. — Das Gegentheil ist durch
Sondön-Tigerstedt und unsere directe Untersuchung erwiesen: Greise
haben einen erniedrigten Gaswechsel, somit Verminderung der
Wärmeproduction und somit auch (da ja ihre Temperatur sich nicht,
oder im Laufe von Decennien nur um wenige Vio Grade ändert) eine
verminderte Wärmeabgabe!
Zur theoretischen Erörterung kann unseres Erachtens (immer ab-
gesehen von den Stadien eines Temperaturanstieges oder -abfalles) nicht
die Frage kommen, ob Veränderungen des Wärmeumsatzes zu constanten
Aenderungen der Temperatur führen; das ist eben nicht der Fall, sondern
nur die Frage, ob bei einer Alteration des Wärmehaushaltes die Aenderung
der Production eine gleiche der Abgabe nach sich führt, oder umgekehrt
^ In allerletzter Zeit von Loebl-Wien (2S) bestätigt.
^ Die von ihm angenommene geringere Kegalationsfahigkeit der Wärmeabgabe,
die die stärkereu Temperatarschwan kangen and die geringere Resistenz der Greise be-
dingt, in kürzeren Zeiträumen geben wir als richtig zu.
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LüNGENOASWEOHSEIi IN YSBSOHIEDENEN AlTEBSSTDTEN. 365
jjst im Greisenalter die Verminderung der Wärmeabgabe das primäre,
maassgebende Moment oder ist eR die Abnahme der Wärmeproduction?''
Wir entscheiden uns aus allgemeinen Gründen für die letztere An-
nahme. Eine Steigerung der Wärmeproduction bis zum Sechs- und Zehn-
fachen des Betrages kann ^u jeder beliebigen Zeit willkürlich vom Menschen
herbeigeführt und Stunden lang innegehalten werden (tagelanges Fahren
der Berufewettradler!); die Wärmeabgabe passt sich der erhöhten Wärme-
production dabei auf die Dauer an. Auch einer Verminderung der
Wärmeproduction (innerhalb^gewisser enger Grenzen) folgt eine verminderte
Wärmeabgabe.
Künstlichen primären Veränderungen der Wärmeabgabe (abkühlende
bezw. Schwitzbäder u. A. m.) aber passt sich die Wärmeproduction nicht
stets unmittelbar und leicht an.
Wir haben in die^r Arbeit ein annähernd gleichmässig gewonnenes
Material von Zahlen niedergelegt und daraus allgemeine Schlüsse gezogen.
Wir glauben und hoffen, dass die letzteren, soweit sie von bisherigen An-
schauungen abvreichen, in der Zukunft Bestätigung finden. Für unsere
einzelnen Zahlen absolute Gültigkeit in Anspruch nehmen zu wollen, liegt
uns vollständig fem, dazu ist die Breite physiologischer Schwankungen zu
gross und die Spärlichkeit des von uns benutzten Materiales zu erheblich.
In dem Ausbau der nun seit über ein Jahrhundert bearbeiten Lehre
vom menschlichen Gaswechsel sind ja nur selten prindpiell neue und
wichtige G^chtspunkte zur Geltung gekommen; vielfach handelt es sich
ja nur um eine genauere Feststellung und grössere Präcisirung phy-
siologischer Constanten u. s. w.; ebenso wie beispielsweise auf dem
Gebiete der Physik die Forscher noch heute bemüht sind, mit neuen
Methoden gewisse Grundwerthe ihrer Wissenschaft inuner wieder von Neuem
zu messen nnd der Wahrheit näher zu bringen (Gewicht der Erde u. s. w.).
Wir halten es für wunschenswerth, dass durch die fortschreitende Arbeit
mit den zur Zeit vorhandenen Methoden auch unsere Zahlen weiterer
Prüfung und, wenn nöthig, einer CJorrectur unterzogen werden; wir hoffen,
dass neue Methoden die Arbeit auf diesem Gebiet weiter führen. Die
Schaffung* einer solchen nach dem Pettenkofer'schen Prinzip, die es er-
lauben soll, neben der Kohlensäureausscheidung auch den Sauerstoffverbrauch
des Menschen unter ganz natürlichen Bedingungen direct zu messen, ist
die Absicht von Professor Zuntz. Wir bringen unserem Ijehrer, dem
wir diese Zeilen zu seinem 25 jährigen Professoren-Jubiläum widmen, den
Wunsch dar, dass es ihm gelingen möge, im Interesse der Wissenschaft
seine Idee bald zu verwirklichen.
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366 A. Magnus-Levt und Ernst Falk:
LitteraturTerzeichniss.
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Oitirt nach Sonden nnd Tigerstedt.
8. Andral et Gavarret, Annales de chemie et pharmacie. 1848. 8. S^rie.
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1887. — d) Physiologie der Nahrang and Emährang. Leyden's Handbuch der Er-
nährungstherapie. 1897. — e) and Lewascheff, üeber den Einflass der Feachtig-
keitsschwankungen n. s. w. Archiv für Hygiene. 1892. Bd. XXIX. S. 1; sowie lahl-
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der meisten Arbeiten aas N. Zantz' Laboratorium.)
10. Eatzenstein, üeber die Einwirknng der Maskelthätigkeit aof den Stoff-
rerbraach des Menschen. Pflüger's ^roAtv. 1891. Bd. IL. S. 330.
11. Loewy, Verschiedene Arbeiten, vgl. in erster Beihe die in Pflüger 's Archiv.
Bd. XLUL S. 515 a. Bd. XLVI. S. 189.
12. Johannson, üeber die Tagessch wankangen des Stoffwechsels n. s. w. Skand.
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14. A. Magnus-Leyy, üeber die Grösse des respiratorischen Gaswechaels anter
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1896. Bd. LXIV. S. 57.
Digitized by LjOOQIC
LüNGENOASWECHSEL IN YEB80HIBDENEK ALTERSSTUFEN. 367
16. Geppert, Die Einwirkung des Alkohols anf den Gaswechsel des Menschen.
Arehiv für experimentelle Pathologie und Fharmaeie. Bd. XXII. S. 867.
IT.-Bnhner nnd Henbner, Die natürliche Ernähning eines Sängtings. Zeit-
Mhrift für Biologie. 1898. Bd. XXXVI. S. l flf.
18. H enbn er, Betrachtungen über Stoff- und Eraftwechsel des Säuglings. Ber»
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ArMv. Bd. IV. 8. 57 ff. — b) Pflüger, Ueber Wärme und Oxydation der lebendigen
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26. H. Vierordt, Anatomisch-physiologische und physikalische Tabellen. II. Aufl.
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Berichtigung und Ergänzung zu dem Aufsätze
„Beitrag zur Lehre vom Stoffwechsel der Wiederkäuer".^
Von
Dr. O. Hagemann,
Profenor der Thierphjfiologie an der Landw.-Akademie sa Bonn-Poppeledorf.
Aeossere, von mir unabhängige umstände nöthigten mich, die Be-
rechnung und Niederschrift der Versuchsergebnisse in ganz kurzer Zeit
vorzunehmen.
In Folge dessen ist mir denn auch bei der S. 138 gemachten Energie-
aufstellung insofern ein Fehler unterlaufen, als ich vergessen habe, die
Energie, welche den Körper in Form von Sumpfgas (CH^) verlässt, von
den Einnahmen in Abzug zu bringen.
Wird die Sumpfgasausscheidung als 17 -l«^ pro Tag betragend an-
gesehen, dann gehen mit diesem Gase 17- 1 x 13*26 = 227 Gal. Energie fort
Es stehen also nicht, wie S. 138 berechnet, 2210, sondern nur 1983 Cal,
für Kespirationszwecke und Fettansatz zur Verfügung. Da für den als auf-
genommen berechneten Sauerstoff 1773 Gal. in Anspruch genommen sind,
so standen für Fettansatz nur 1983 — 1773 = 210 CaL entsprechend
22-ignn p^tt zur Disposition.
Femer bemerke ich, um Missverstandnissen vorzubeugen, ausdrücklich
dass der „Nüchtemwerth", von dem S. 140 These 2 die Rede ist, durchaus
kein Nüchtemwerth im Sinne der Physiologie, also ein absoluter Nüchtem-
werth, ist, sondern dass es sich um einen Werth 8 bis 10 Stunden nach der
letzten Nahrungsaufnahme handelt In diesem Zustande ist der wieder-
käuende Hammel immer noch in mittlerer Verdauungsthätigkeit, da seine
Eingeweide stets mit Futtermassen angefüllt sind.
Der Energieumsatz dieses Zustandes nun wird durch die Steigerung
der Verdauungsarbeit in den ersten Stunden nach Aufnahme des betreffenden
Futters starker und dann abklingend schwächer, im Mittel um rund
5-5 Procent gesteigert.
^ Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. Suppl. S. 111— UO.
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üeber Amylaceenverdauung im Magen der Carnivoren.
Von
Dr. Hans Friedenthsl
tn Berlin.
(Ans der speoiell-physiologischen AbtheiluDg des physiologischen Institutes zu Berlin )
In zweierlei Hinsiebt ist die ausserordentlioh energische Yerdauung
stärkehaltiger Nahrung im Magen der Carnivoren^ spedell des Hundes,
bemerkenswerth. Es fehlt erstens dem Speichel der typischen Carnivoren
jedes starkeverdauende Ferment, und zweitens zeigt ihr Mageninhalt so
hohe Sauregrade, 0*2 bis zu 0*6 Procent, dass selbst der Nahrung bei-
gemischtes Ptyalin sofort unwirksam gemacht werden müsste.
Schon Claude Bernard ^ war es aufgefallen, dass Hundespeichel im
G^ensatz zu menschlichem Speichel erst nach Tage langem Stehen an der
Luft sich gegen Starkelösungen wirksam erwies, was sich leicht durch die
alsdann eingetretene intensive Spaltpilzvermehrung erklären lässi Spätere
exacte Untersuchungen von Bidder und Schmidt^ haben dann gezeigt,
dass weder PtyaUn noch eine Vorstufe desselben im Oesanmitspeichel der
Carnivoren nachgewiesen werden kann.
Trotzdem zeigten vergleichende Untersuchungen von EUenberger
und Hofmeister,^ dass die Stärkeverdauung beim Hunde noch intensiver
vor sich geht, als selbst beim Schwein, welches doch an eine äusserst kohle-
hydratreiche Nahrung angepasst sein muss. Schon nach 3 Stunden ist
etwa die Hälfte der eingeführten Stärkemengen selbst bei grossen Gaben
verdaut, nach 4 Stunden sogar schon 80-3 Procent, so dass nach dieser
Zeit erneutes Hungergefühl bei den Hunden sich bemerkbar macht
* Le^ons sur les propri4tis phi/siologiques «. *. w. Paris 1859. T. IL
' Die Verdauungsiäfte und der Stoffwechsel, Mitan und Leipzig 1852.
' Dies Archiv. 1891. PhysioL Abthlg. S. 212.
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384 Hans Fbi£D£Nthal:
Stets wurde im Magen lösliche Starke und Erythrodeitrin gefunden,
in der vierten Stunde bis zu 2 Procent des Mageninhaltes, ebenso Milch-
säure, ohne dass sich die Herkunft dieser Umwandlungsproducte der Stärke
genau ermitteln liess. Das diastatische Ferment der rohen Amylaceen kam
nicht in Betracht, da* die Nahrung gekocht worden war, das Luftferment
(Bakterien) wirkt sehr langsam, da nur wenig Keime verschluckt werden;
der Speichel enthält, wie schon oben angegeben, überhaupt kein Ferment.
Die Verff. vermuthen daher, dass der Magensaft die Umwandlung der
Stärke allein bewirken könne. Allerdings war auch bei Beisnahrung, die
mit Fleisch gemengt gegeben wurde, der Säuregrad des Mageninhaltes ein
erheblich höherer als bei Omnivoren und Herbivoren.
Im Pferdemagen hatte H. Ooldschmidt^ eben&lls starke Amylolyse
bei saurer Beaction des Mageninhaltes oonstatiren können. Diese Befunde
mussten um so mehr befremden, als Versuche von Maly und Anderen^
dargethan hatten, dass die Speichelfermente schon bei einem Gehalt von
0-081 Frocent an freier Salzsäure unwirksam, bei höheren Säuregraden sogar
zerstört wurden. Es blieb daher aufzuklären, wie die Umwandlung der
Stärke im sauren Magensaft zu Stande kommen kann.
Brücke,' der besonders genau die Stärkeverdauung im Hundemagen
untersucht und stets grosse Mengen von Milchsäure gefunden hatte, glaubte
die Umwandlung der Stärke auf Milchsäuregährung, also nach unseren
heutigen Anschauungen auf bakterielle Zersetzungen zurückführen zu müssen,
da jedoch bakteriologische Untersuchungen die starke antibakterielle Kraft
von Salzsäurelösungen von 0*04 Procent dargethan haben, ist eine Milch-
säuregährung in einer 10 Mal so starken Salzsäurelösung nicht mehr wahr-
scheinlich. Nach Versuchen von E. Hirschfeld* genügt ein Gehalt von
0*08 Procent an freier Salzsäure, um die Milchsäuregahrung wie die Essig-
säuregährung vollständig zu verhindern. Ob diese Wirksjunkeit der Salz-
säure auch bei Anwesenheit von viel Eiweiss und sonstigen Nährstoffen zu
Tage tritt, ist freilich noch nicht genügend untersucht worden.
Wenn auch der Speichel der Camivoren kein Ptyalin enthalten kann,
weil er, frisch aufgefangen, sich völlig unwirksam erweist, so lag es doch
nahe, ein „Zymogen'^ in ihm zu vermuthen, welches, an sich unwirksam,
durch noch unbekannte Factoren im Magen der Carnivoren gespalten, eine
Umwandlung der Stärke hätte bewirken können. Für den Pferdespeichel
haben in der That die Versuche von H. Goldschmidt* ein solches Verhalten
» Zeitschrift für physiologische Chemie, Bd. X. S. 841 u. Bd. XI. S. 286.
' Hermann's Handbuch der Physiolo(tie. Bd. Va. S. 341.
» Sitzungsberichte der Wiener Akademie, Ahthl, IIL 1872.
* Pflägor'8 ^rcÄiv. Bd. XLVII. S. 610.
* Zeitschrift ßr physiologische Chemie, 1886. Bd. X. S. 278.
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Übeb Amtlaceenybbdauuno im Magen beb Gahniyoben. 385
bewiesen. Der steril aufgefangene Parotisspeichel des Pferdes vermag
sterilisirte Stärkelösung selbst bei 14tägigem Aufenthalt im Brutschrank
nicht umzuwandeln, während einfaches Durchleiten von nicht erhitzter Luft
genügt, um das Ptyalin aus dem Zymogen abzuspalten. Die blosse An-
wesenheit gewisser chemischer Substanzen, z. B. des Alkohols, soll denselben
Effect hervorrufen können.
Beim Hundespeichel liess sich dagegen ein solches Verhalten nicht
nachweisen. Ein ^tract sänmitlicher Speicheldrüsen eines frisch getödteten
Hundes mit physiologischer Kochsalzlösung zeigte im Brütschranke bei 40^
mit Chloroform versetzt innerhalb 24 Stunden keine Spur einer Wirksamkeit
auf eine Iprocent Lösung von löslicher Stärke. Es entstand kein Zucker
und die Jodreaction blieb auch beim ersten einfallenden Tropfen der Jod-
jodkalilösung rein blau. Dasselbe Verhalten zeigten ebenso behandelte
Speicheldrüsen der Katze. Auch Zerreiben der gesammten Drüsenmasse
mit nichtsterilisirtem feinen Quarzsand und Ausziehen mit Natriumcarbonat-
und Natriumbicarbonatlösungen lieferte keinen wirksamen Extract, selbst
nicht nach 24 Stunden bei Chloroformzusatz. Der Befund von Claude
Bernard, welcher nach 24 Stunden den Hundespeichel sehr wirksam fand,
ist also wohl auf Bakterienwirkung zu beziehen.
Dass nicht etwa durch die Berührung mit der Salzsäure des Magen-
saftes eine Zymogenabspaltung bewirkt wird, wurde durch eine Beihe von
Versuchen sichergestellt Speichel vom Hunde und von der Katze mit
Salzsäure von 0*01 bis 0-2 Procent bei Körpertemperatur Stunden lang
digerirt, liess nach Neutralisiren der zugesetzten Säuremeuge keine Wirk-
samkeit gegen Stärkelösungen erkennen.
Bei Zusatz von neutralisirtem Hundemagensaft, der aus einer per-
manenten Magenfistel gewonnen war, zu einem Wasserextract der Parotis
des Hundes liess sich eine starke diastatische Wirkung des Gemenges
durch reichliche Zuckerbildung aus Stärkekleister und Abnahme der blauen
Jodreaction wohl auf's Deutlichste nachweisen, doch zeigte sich bald,
dass in diesem Falle nicht ein Speichelferment zur Wirksamkeit gelangt
sein könne, da der Magensaft des Hundes allein Stärke umzuwandeln im
Stande ist.
Magensaft, welcher einem Hunde mit permanenter Magenfistel 2 Stunden
nach reiner Eleischfütterung entnommen war, zeigte deutliche diastatische
Wirkung in Stärkelösung.
Versuch. 10 ''^^ Iprocent. Lösung von löslicher Stärke mit 3*^™ un-
filtrirtem Hundemagensaft und etwas Chloroform versetzt, 3 Stunden im
Brütschrank bei 40^ digerirt, ergab starke Reduction von Fehling' scher
Lösung, die Jodreaction erwies die Anwesenheit von Erythrodextrin. Die
Beaction der Stärkelösung war sauer.
Archiv i: A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. Suppl 25
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386 • Haks Fbiedenthal:
Um kleine Mengen von Erythrodextrin neben viel löslioher Stärke
nachzuweisen y wurde die Farbe der Jodreaotion nach dem Einfallen des
ersten Tropfens einer sehr verdünnten Jodjodkalilösung beobachtet Bei
den benutzten Lösungen von löslicher Starke, die durch Einwirkung von
Natriumsuperoxyd gewonnen war, erzeugte der erste Tropfen der Jod-
jodkalilösung eine himmelblaue Färbung; bei Anwesenheit von Erythro-
dextrin entstand Anfangs eine Bothßrbung, welche bei weiterem Jodzusatz
einer rein blauen Färbung Platz machte, wenn noch viel lösliche Stärke
zugegen war. Die Reductionsprobe mit Fehling'scher Lösung als Beweis
für die diastatische Wirkung des Hundemagensaftes konnte nur bei Be-
nutzung mehrmals filtrirten Magensaftes neben der Veränderung der Jod-
reaction herangezogen werden, da der Mageninhalt in ungelösten Fartikelchen
Substanzen enthält, welche ihrerseits schon Fehling'sche Lösung zu redu-
ciren im Stande sind. Durch dreimaliges Filtriren durch doppeltes Filter
schwand jede Reductionskraft des Mageninhaltes, nicht aber seine diastatisohe
Wirksamkeit
Versuch. 10 o°" löslicher Starke mit 2*^" mehrmals filtrirtem Hande-
magensaft und etwas Chloroform im Brütschrank bei 40^ 3 Stmiden digerirt,
zeigten Erythrodextrinbildung, die Lösung reducirte nachher Fehling's
Reagens. Reaction des Stärkegemisches deutlich sauer gegen Lackmus.
Durch zahlreiche Versuche konnte sichergestellt werden, dass stets der
Hundemagensaft diastatische Wirksamkeit besass. Da auch ein Hund, welcher
nach Pawlow ösophagotomirt worden war, das gleiche Verhalten zeigte,
nachdem 8 Tage lang der Gesammtspeichel nach aussen abgeleitet war,
erscheint es wohl ausgeschlossen, dass ein ümwandlungsproduct des Speichels
als Ursache für das diastatische Vermögen des Magensaftes angesehen wird,
wir müssen wohl mit grösserer Wahrscheinlichkeit die Magendrüsen als die
Bildungsstätte des Fermentes ansehen. Eine geringe diastatische Wirksam-
keit kommt dem Hundeblut und fast allen Gewebsflüssigkeiten und Secreten
zu; um so wunderbarer erscheint es, dass gerade der Hundespeichel gänzlich
unwirksam gefunden wird.
Da der Magensaft als morphologische Elemente stets kleine, stark licht-
brechende Eügelchen enthält, welche bei Centrifugiren oder längerem Stehen
sich absetzen, so lag es nahe, in diesen Elementen den Sitz der fermen-
tativen Wirkungen zu suchen. Durch Filtration gelang es aber nicht, dem
Magensaft seine diastatische Wirksamkeit zu nehmen. Speciell für die
Diastaselösungen haben Brown und Heron behauptet, dass Filtriren durch
Thonzellen die fermentative Wirksamkeit zu nehmen im Stande sei Eine
Bestätigung dieses Befundes wäre von principieller Wichtigkeit gewesen
für die Auffassung der Fermente als nicht eigentlich gelöster Substanzen,
sondern nur als gequollener abgesprengter Plasmatrümmer. Eine Beihe
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ÜBEB Amtlageenyebdauüng IM Maubn deb Gabnivoben. 387
von Versuchen konnte aber die Unrichtigkeit der oben erwähnten Behaup-
tung beweisen.
Allerdings zeigte einmal eine sehr schwach wirksame Lösung von
Diastase in Wasser, in welchem sie stark aufquillt, einen gänzlichen Verlust
ihrer Wirksamkeit gegen Stärkelösungen, aber dieses Resultat wurde mit
wirksamen Lösungen niemals erhalten. Durch Lösen von käuflicher Diastase
in Natriumcarbonat- und NatriumbicarbonaUösungen kann man sehr wirk-
same Diastaselosungen erhalten, welche auch nach dem Passiren von
Chamberland- und Berkefieldfiltern Stärke noch kräftig umzuwandeln ver-
mögen. Um bei diesen Versuchen ganz sicher zu sein, dass nicht Bak-
terien oder bei Verwendung von Chloroform von Bakterien abgesonderte
Fermente eine Umwandlung bewirken, wurde auf sorgfaltigste Asepsis ge-
achtet Aber schon nach 1 Stunde zeigte eine mit sterilisirter Natrium-
carbonatlösung erhaltene Diastaselösung nach Filtriren durch eine sterili-
sirte Chamberlandkerze in eine sterile Lösung von Iprocent Stärke eine
solche Wirksamkeit, dass nach dieser Zeit die blaue Jodreaction bereits
verschwunden war. Versuche mit Berkefieldfilter ergaben das gleiche
Resultat
Durch diese Versuche ist wohl sichergestellt, dass Fermente ohne Ver-
lust ihrer Wirksamkeit Thonwände passiren können; die Aufhebung der
Wirksamkeit in Fermentlösungen von geringem Fermentgehalt lässt aber
die Filtration als ungeeignet erscheinen ffäv die Entscheidung der Frage,
ob im Magensaft die Körnchen als Träger der fermentativen Wirkung an-
zusehen sind, da nach Obigem das Unwirksamwerden von Magensaft beim
Filtriren durch Thonzellen nicht auf Abfangen der ungelösten Kömchen
bezogen zu werden braucht.
Der Nachweis eines diastatischen Fermentes im Hundemagensaft genügt
nun noch nicht, um zu erklären, wie in dem stark sauren Mageninhalt
die Umwandlung der Stärke vor sich gehen kann. Der Mageninhalt von
Hunden hat bereits nach 2 Stunden eine Acidität gleich 0-2 Procent HCl
angenommen, und es lässt sich auch leicht nachweisen, dass nach dieser
Zeit organische Säuren sich nicht wesentlich mehr an, diesem Säur^ehalt
betheiligen. Ob der Hund fast nur Kohlehydrate oder reine Fleischnahrung
bekommt, scheint für die Abscheidung der Salzsäure gleichgültig zu sein;
in einem Falle von Fütterung mit 75^™ mit Fleischbrühe gekochtem Reis
war die Gesammtacidität des Mageninhaltes nach 1 Stunde bereits gleich
0*4 Procent HCl. Trotzdem hatten sich in dieser sauren Lösung reichliche
Mengen von löslicher Stärke und Erythrodextrin gebildet, während Zucker
nur in Spuren nachweisbar war. Reine Salzsäure von dieser Concentration
ist bei 40^ nicht im Stande, Erythrodextrin aus Stärke zu bilden, wie die
Versuche ergaben.
25*
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888 Hans Fbiedenthal:
Yersuch 1. 20 ^^ 1 procent. Stärkelösung, mit Salzsäure bis zu
0*6 Procent versetzt, ergab bei 40® nach 24 stündiger Einwirkung keine
Bildung von Erythrodextrin.
Versuch 2. 20^*^°* 1 procent. Stärkelösung, mit Salzsäure bis zu
1 Procent versetzt, ergab nach 24 stündigem Digeriren bei 40® keine Bildung
von Erythrodextrin.
Im G^ensatz zum Ptyalin zeigte sich aber, dass sowohl pflanzliche
Diastase wie das Ferment im Hundemagensaft noch bei recht betrachtlichem
Gehalt an freier Salzsäure Erythrodextrin zu bilden vermögen, wenn auch
die Wirksamkeit nur langsam und in abgeschwächtem Grade sichtbar wird.
Während diese Fermente in schwach alkalischen, neutralen und schwach
sauren Lösungen rasch Achroodextrin und Zucker (Maltose) bilden, kommt
es in Lösungen mit einem Gehalt von 0*06 bis 0*6 Procent Salzsäure nur
zur Bildung von löslicher Stärke und Erythrodextrin. Maltose scheint nur
in minimalen Mengen gebildet zu werden. Nimmt man eine Spaltung der
löslichen Stärke in Erythrodextrin und Maltose an, so müssten bei einem
Moleculargewicht der löslichen Stärke von 9702^ für 1»^ Erythrodextrin
nur 0*036«^^ Maltose entstehen, was mit den Yersuchsergebnissen im
Einklang steht'
Die in den Versuchen verwendete Fermentmenge ist bei Anwendung
saurer Losungen durchaus nicht gleichgältig, da schwache Lösungen ?on
Diastase durch weniger Salzsäure in ihrer Wirksamkeit gehemmt werden
als starke. Da die Umwandlung im Hundemageninhalt bei starkem Säure-
gehalt vor sich geht, kann also die vorhandene Menge des diastatischen
Fermentes nicht zu gering sein.
Versuch 1. 25®®™ 1 procent. Stärkelösung, mit 0-02 Procent HCl
und etwas käuflicher Diastase versetzt, ergab nach 24 Stunden bei 40^
Bildung von Erythrodextrin. Viel lösliche Stärke.
Versuch 2. 10®®" 1 procent. Stärkelösung, mit 0-1 Procent HCl und
etwas Diastase versetzt, ergab nach 24 Stunden bei 40^ Bildung von Erythro-
dextrin.
Versuch 3. 10®®™ 1 procent. Stärkelösung, mit 0-2 Procent HCl und
Diastase versetzt, zeigte nach 24 Stunden bei 40^ Erythrodextrinbildung.
In der Lösung entstand bei dieser und allen höheren Concentrationen ein
Niederschlag, wahrscheinlich von Diastase, welcher sich wie ein Nucleoprote'id
verhält und durch Salzsäure in der Kälte gefällt wird.
» CentralblcUi für Physiologie. Bd. XII. Nr. 26.
' Biedermann fand im Raapendarm ebenfalls ein Ferment, welches, allerdings
bei alkalischer Reaction, die Spaltung der Stärke nur bis zum Erythrodextrin bewirkt,
wobei ganz geringe Maltosemengen entstehen. Biedermann, Pflüger*B Archiv,
Bd.LXXV. S.46.
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Über Ahylacbbnvbbdauüng im Magek dbb Cabnivorän. 989
Versuch 4. 26*^°™ Iprocent. Stärkelösung von löslicher Stärke, mit
0-6 Procent HCl und viel Diastase versetzt, ergab nach 24- Stunden bei 40^
Erythrodextrinbildung.
Versuch 6. 26"^^ Iprocent. Stärkelösung, mit 0-519 Procent HCl
und Diastase versetzt, ergab nach 24 Stunden bei 40^ keine Erythrodextrin-
bildung.
In allen Versuchen war durch Chloroformzusatz die Wirkung von
Bakterien ausgeschlossen. Da in Versuch 5 keine Veränderung der Starke-
lösung mehr oonstatirt werden konnte, trotzdem in Versuch 4 noch eine
0-6procent Salzsäure nicht gänzlich hemmend gewirkt hatte, so kann wohl
0-5procent Salzsäure als Grenze angegeben werden, bei welcher Erythro-
dextrin noch aus Stärke gebildet werden kann.
Eine andere als die oben beschriebene Umwandlung der Kohlehydrate
findet im Hundemagen nicht statt. Brücke^ hatte bei seinen Versuchen
stets grosse Mengen von Milchsäure gefunden und glaubte daher, dass durch
Milchsäur^ährung die Stärke hauptsächlich umgewandelt würde. Bei Dar-
reichung von gekochtem Beis als Nahrung kommt es zu keiner erheblichen
Milchsäurebildung im Hundemageninhalt schon wegen der intensiven Sälz-
säureabscheidung. Auch für den Menschen ist es wohl sehr unwahrschein-
lich, dass die Milchsäure, welche hauptsächlich V2 bis 1 Stunde nach der
Nahrungsaufnahme sich findet, von Bakterienwirkung herrührt, denn inner-
halb dieser kurzen Zeit können sich genügende Bakterienmassen gar nicht
bilden. Für den Hundemagensaft konnte das Fehlen eines milchsäure-
bildenden Fermentes durch Versuche nachgewiesen werden , da weder aus
Stärke, noch aus Maltose, noch aus Traubenzucker, noch aus Milchzucker
bei Chloroformzusatz durch Magensaft Milchsäure gebildet wurde.
Versuch 1. 25°^ Iprocent. Stärkelösung mit 5®^™ Hundemageninhalt
mit etwas Chloroform, 24 Stunden bei 40 ® digerirt, ergab keine Vermehrung
des Säuregehaltes. Der Säuregehalt war vor und nach dem Digeriren gleich
0-04 Procent HCl.
Versuch 2. 25^™ Iprocent. Maltoselösung mit 5^^™ Mageninhalt mit
etwas Chloroform, 24 Stunden bei 40® digerirt, ergab keine Säurebildung.
Die Acidität war gleich 0 • 04 Procent HCl vor und nach dem Versuch.
Versuch 3. 25 ®®™ Iprocent. Traubenzuckerlösung mit ö*'^ Hunde-
mageninhalt, 24 Stunden bei 40® digerirt, ergab keine Säurebildung. Die
Acidität war gleich 0 • 04 Procent HCl vor und nach dem Versuch.
Versuch 4. 25°*^ Iprocent. Milchzuckerlösung mit b^^^ Hundemagen-
saft, 24 Stunden bei 40® unter Chloroformzusatz digerirt, ergab keine Ver-
mehrung des Säuregehaltes.
» Wiener Sitzungsberichte, Ähthlg. III. 1872. S. 126.
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890 Hans Fbiedenthal: Über AMYLACEENVEBDAuuNa u. s. w.
Auf die Inversion des Rohrzuckers wirkt der Hundemagensaft nicht
anders als Salzsaure von derselben Concentration bei 40^. Zum Vergleich
wurden 20^°* Iprocent Rohrzuckerlösung mit 10*'^ Hundemagensaft,^
femer 20*^ (Iprocent Rohrzuckerlösung) mit derselben Menge gleich-
starker Salzsaure versetzt und bei 40^ unter Chloroformzusatz digerirt.
Nach 24 Stunden ergab die Polarisation keinen wesentlichen Unterschied
in der Drehung der beiden Rohrzuckerlösungen.
Ausser der Bildung von löslicher Starke, von Erythrodeitrin und von
ganz geringen Maltosemeugen durch ein diastatisches Ferment, scheint also
eine Veränderung der Kohlehydrate im Hundemagen nicht stattzufinden.
' Der Hnndemagensaft drehte etwas nach links, aber unwesentlich.
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Ueber die Gehörcentra der Hirnrinde.
Von
Prot Dr. W. v. Bechterew
in St P«tanbarg.
Bezüglich des Verhaltens der Acosticnscentra sind von den Saugethieren
bekanntlich Hunde and Affen G^enstand der TJntersuchang gewesen. Als
Grundlage nach dieser Richtung und mit Bezug auf die genannten Ge-
schöpfe erscheinen die Ermittelungen von Ferrier und Munk. Ferrier^
erbrachte den Nachweis, das Gehörcentrum entspreche bei den Affen der
oberen Schläfenlappenwindung. Zerstörung dieses Gyrus auf der einen Seite
führt nach Ferrier zu Verlust des Gehöres auf der entgegengesetzten Seite,
Ausschaltung der Gyn temporales I beider Hemisphären zu completter
Taubheit. In der Folge sind diese Sätze nicht ohne Anfechtung geblieben,
doch glaubte Ferrier selbst aus seinen späteren, im Vereine mit Teo an-
gestellten Versuchen^ eine völlige Bestätigung seiner früheren Befunde ab-
leiten zu sollen. Munk's' Untersuchungen beziehen sich auf Hunde und
Affen, im Einzelnen jedoch entwickelt dieser Forscher seine Ansichten im
Hinblick auf die Verhältnisse beim Hunde. Nach den Experimenten von
Munk führt Abtragung des hinteren Theiles der II. und III. Schläfen-
windung zu completter oder, wie er sich ausdrückt, zu Rindentaubheit des
entgegengesetzten Ohres. Wird aber der genannte Windungsbezirk beider
Lobi temporales ausgeschaltet, so ist doppelseitige totale Taubheit mit nach-
folgender Stummheit der Effect
* Proeeedings of the Royal Society qf Zondon. Phil, Transact. VoL CLXXXV.
p. 165. — FoDctioD of the Bram. British med. Journal. 1875. Angost.
• PhUos. Transact. 1884. Vol. CLXXV.
' üeber die Functionen der Grosshimrinde. Oesamm. Mittheü. Berlin 1881. —
Monatsschrift der Akademie der Wissensch. zu Berlin. 19. Mai 1881. — üeher die
Functionen der Grosshimrinde. 1890.
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392 W. V. BeohtbbbW:
Im Gebiete der Hörsphäre bezeichnet Munk am Orte der zweiten
Furche einen besonderen Bezirk, dessen Zerstörung nicht complette Taub-
heit, sondern s(^enannte Seelentaubheit zur Folge hat Es ist dies ein Zu-
stand, bei welchem zwar Töne und Worte vernommen werden, aber ohne
Verständniss von deren Bedeutung in Folge des Verlustes der akustischen
Vorstellungen und des akustischen Erinnerungsbildes. Erfahrung und Er-
ziehung bringen einem so operirten Thiere das Verständniss für Töne und
Worte nach und nach wieder. Spätere Versuche aus dem Jahre 1881
ergaben ausserordentlich überraschende Aufschlüsse bezüglich der parüellen
Zerstörungen der Hörsphäre. Durch Zerstörung der Schnecke erzeugte
Munk am Hunde zunächst einseitige Taubheit. Sodann beschädigte er
die Hörsphäre auf der nämlichen Seite und prüfte schliesslich das Gehör
der Thiere mittels verschiedener Schallreize und Töne. Es ergab sich
dabei, dass der vordere, der Fossa Sylvii näher liegende Theil der Hör-
sphäre zur Reception der hohen Töne bestimmt sei, während der nach
hinten gelegene Theil der Hörsphäre zur Reception der tieferen Töne in
Beziehung stehe. Das gewöhnliche Hören steht beim Hunde nach Munk's
Ansicht vorzugsweise in Zusammenhang mit der unteren Region der Hör-
sphäre, denn nach Beschädigung derselben hört der Hund sehr schlecht
und bellt abgebrochen, während er nach Beschädigung des oberen Theiles
der Hörsphäre anscheinend alles hört, ohne jedoch für die einzelnen Töne
ein Verständniss zu haben. Auf Grundlage solcher Versuche kommt Munk
zu dem Schlüsse, dass die verschiedenen Gebiete der Hörsphäre zur Re-
ception differenter Töne bestimmt sind, und dass der-successive Uebergang
von den tiefereu Tönen zu den höheren in der Richtung eines nach unten
convexen Bogens erfolgt, welcher das Ende der Fissura postsylvia Owen
oder das Hinterende der zweiten Furche umbiegt.
Zufolge der erwähnten Untersuchungen von Munk werden Hunde und
Affen nach beiderseitiger completter Abtragung der Hörsphäre völlig taub
und mit der Zeit sogar taubstumm. Es müssen somit in der Hirnrinde
dieser Geschöpfe nicht nur Vorstellungen, sondern auch Empfindungen
localisirt sein. Diese seine Anschauung über die Localisation der akustischen
und optischen Empfindungen in der Gehirnrinde hat Munk späterhin auch
auf niedere Geschöpfe einschliesslich der Vögel ausgedehnt. Specielle Ver-
suche über die Entfernung der Hemisphären bei Kaninchen und Vögeln
führten ihn zu der Ueberzeugung, dass diese Geschöpfe nach dem genannten
Eingriffe völlig taub und blind werden. Dass diese seine Ergebnisse mit
denen der früheren Autoren nicht übereinstimmen, findet nach Munk's
Ansicht darin seine Erklärung, dass von ihm die Hirnhemisphären wirkhch
vollständig entfernt worden seien, was vor ihm den Experimentatoren nicht
gelungen sein soll.
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ÜbEB die GeHÖBOEKTHA DEE HntNHtNDB. 393
Die XJntersuchungsergebDisse Mank's sind bekanntlich auf heftigen
Widerstand gestossen. Goltz, ^ welcher anfanglich das Vorkommen irgend
welcher bestimmt localisirbarer Gentra in der Hirnrinde strict geleugnet
hatte, wandte sich späterhin einer weniger entschiedenen Stellungnahme
gegenüber der Lehre von den Hirnlocalisationen zu, ja er neigte sich zu
Gunsten dieser Lehre und konnte sich nur mit der Annahme scharf locali-
sirter Centra in der Hirnrinde, wie unter anderem eines Gehörcentrums,
nicht einverstanden erklären. Zugleich hatte Goltz gegen eine Localisation
der eigentlichen Empfindungen und speciell der Gehörsempfindungen in
der Hirnrinde sich ausgesprochen. G^en die Localisation der Empfindungen
in der Binde sprachen ganz besonders die späteren Versuche von Goltz
über complette Hemisphärenabtragung beim Hunde. Ein Hund, welchem
Goltz beide Hemisphären in mehreren Sitzungen entfernt hatte, war nicht
völlig taub, was auch Ewald bestätigt Dieser Hund erwachte auf Ge-
räusche, bei lauten Trompetentönen bewegte er die Ohrmuscheln, schüttelte
den Kopf, erhob sich von seinem Lager und näherte sogar eine seiner
Pfoten dem Ohre; gewöhnliche Geräusche dagegen hatten gar keinen Ein-
fluss. Dabei machte sich das Thier durch seine Stimme in der mannig-
faltigsten Weise bemerkbar, brummend, bellend u. s. w. Die Schlüsse,
welche Goltz aus diesen Versuchen ableitet, sowie seine früheren Dar-
legungen sind übrigens von M unk einer scharfen Kritik unterzogen worden:
sämmtliche Erscheinungsformen von akustischer, optischer und tactiler Re-
action bei dem Goltz'schen Hunde sind nach Ansicht von Munk nicht
als bewusst, sondern als reflectorisch zu betrachten.
Mit Ferrier's und Munk's Befunden über die Localisation des Q«hör-
centrums stimmen nun nicht alle späteren Beobachter überein, und die
letzten, so ungemein interessanten Versuche Munk's sind bisher von keiner
anderen Seite geprüft worden.
Von den Einwendungen, die seinerzeit Goltz gegen Munk erhoben,
ganz absehend, erwähnen wir hier nur noch die Untersuchungen von Lu-
ciani und Tamburini, Luciani und Sepilli, Tonnini, Horsley,
Schäfer, Brown u. A.
Nach den Ermittelungen von Luciani und Tamburini' findet sich
das Hörcentrum beim Hunde in dem hinteren oberen Theile der dritten
XJrwindung; bei einseitiger Zerstörung der Hörsphäre war die Taubheit auf
der entgegengesetzten Seite ungemein deutlich ausgesprochen und erschien
nahezu complett, während sie auf der entsprechenden Seite erheblich
schwächer ausgeprägt war; mit der Zeit gleicht sich die Gehörfahigkeit aus.
» Pflttger's Archiv. 1879.
" Rivista speriment, di freniairia, 1879.
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394 W. V. Bbohtbbew:
doch wird eine vollständige Restitution ad integrum nicht erreicht Wird
die Hörsphäre der oberen Seite entfernt , so wird das Thier auf beiden
Ohren fast völlig taub, doch lässt sich mit der Zeit eine merkliche Besse-
rung wahrnehmen.
Luciani und Sepilli^ bestätigen die von anderen Autoren ang^ebene
Localisation der Centra für die Bew^Uchkeit und für die Sinnesorgane
und auch die Localisation des Gehörcentrums, nur erscheinen diese Centra
nach ihrer Ansicht nicht völlig streng abgrenzbar, sondern überlagern
einander bis zu einem gewissen Grade und gehen dabei in einander über.
Die genannten Forscher weisen ferner auf das Vorkommen einer unvoll-
ständigen Kreuzung der Gehörnerven hin, wobei sowohl die kreuzenden, wie
die nicht kreuzenden Fasern ihrer Ansicht zufolge sich nicht über bestimmte
Theile des Hörcentrums, sondern über die ganze Oberfläche desselben zer-
streuen.
Die Untersuchungen von Tonnini' sind im Ganzen übereinstimmend
mit den Befunden der schon genannten Autoren. Er kommt aber auf
Grundlage seiner Experimente zu dem Schlüsse, dass Beschädigung der
oberen Abschnitte des Schläfenlappens nur auf der entgegengesetzten Seite
die Gehörfahigkeit herabsetzt, wogegen Zerstörung des abwärtjgea Theiles
des Schlafenlappens Alterationen des Gehörs auf beiden Seiten zur Folge
hat Diese Schlüsse stützen sich übrigens nur auf eine beschränkte Anzahl
von Experimenten an Hunden.
Es fehlt in neuerer Zeit auch nicht an negativen Untersuchungs-
resultaten bezüglich des Gehörcentrums. Hierher gehören die Ergebnisse
von Horsley und Schäfer.' Um die Lehre von Ferrier und Teo über
den Einfluss von Beschädigungen des Gjrus uncinatus auf die Sensibilität
der entgegengesetzten Eörperhälfte näher zu prüfen, zerstörten sie beim
Affen einen grossen Theil des Schläfenlappens und fanden das Gehör dabei
erhalten. Zu beachten ist jedoch, dass, wie Ferrier und Yeo selbst zu-
geben, die obere Schläfenwindung nicht vollständig entfernt worden war.
Auf der anderen Seite äussert sich Schäfer auf Grundlage seiner
im Verein mit S. Brown ^ ausgeführten Untersuchungen dahin, dass
nach totaler beiderseitiger Entfernung der oberen Schläfenwindungen beim
Affen das Gehör keine auffallende Abschwächung darbot
Nach diesen Autoren hat Ferrier seine Versuche über Zerstörung
des oberen Temporalgyrus an Affen wiederholt und konnte dabei nur das
* Die Functionslocalisaiion auf der Grosshimrinde. Leipzig 1886.
* Bivisia »periment, di freniatria. 1898. Vol. XXII. Fase. III.
» Fhilos, Transact. 1888.
* Br<Un. 1888.
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Übbb die Gehöbcentba deb Hibnbinbe. 395
Ergebniss seiner früheren Experimente besiegen, dass nämlich die corticalen
Gehörcentra in der oberen Schläfenwindung ihre Lage haben.
Was Versuche über Reizung der Schläfenregion des Gehirnes betrifft,
so beobachtete schon Ferrier bei electrischer Eeizung des Gyrus tempo-
ralis superior von Affen und der entsprechenden Rindenpartieen (hinterer
Theil der dritten äusseren Windung) anderer Thiere Seitwärtswendung und
Aufrichtung des anderseitigen Ohres mit nachfolgender Oeffnung der Augen,
Pupillenerweiterung und Abwendung von Kopf und Augen nach der ent-
gegengesetzten Seite. Ferrier erklärt die obere Schläfenwindung als Cen-
tram des Gehöres und ninmit an, dass auch die vorhin genannten Bewe-
gungen subjective Gehörsapperceptionen zum Ausdrucke bringen, bedingt
durch Uebertragung der akustischen Impulse auf die motorischen R^ionen
des Stimlappens. Ganz ähnliche Erscheinungen konunen jedoch auch bei
ganz gesunden Affen, wenn ein lauter Pfiff die umgebende Stille unter-
bricht, zur Beobachtung. Auf der anderen Seite erzeugte Hitzig^ durch
elektrische Beizung der dritten und vierten Windung von Hunden und
Katzen Bewegungen der Ohrmuscheln nach vorne und nach hinten mit
Drehung des Kopfes nach der entgegengesetzten Seite, Seitwärtsbew^ung
des contralateralen Mundwinkels und dw hinzugehörigen Wange und
Schliessung der Augen. Dabei wurden Rückwärtsbewegungen der Ohren
ausgelöst von Punkten in der Nähe des Oberendes der Fissura Sylvii und
hinter dieser Furche, Yorwärtswendung der Ohren hingegen durch Reizung
von Punkten, die unmittelbar vor dem oberen Ende der Sylvi'schen Furche
ihre Lage hatten.
Annähernd in derselben Gegend erhielt ich bei Hunden, Katzen und
Kaninchen einerseits Emporhebung und Aufrichtung des contralateralen
Ohres, wobei die Thiere manchmal das gleichseitige Ohr spitzten. Anderer-
seits konnte ich bei den soeben genannten Thieren ein Anziehen des ent-
gegengesetzten Ohres, wie vor Schreck, hervorrufen.*
Wiewohl im vorderen Theile der motorischen Zone, meinen Ermitte-
lungen zufolge, besondere Gentra für die Bewegungen des contralateralen
Ohres vorhanden sind, so können doch die vorhin erwähnten Centra der
Temporalregion nach meinen Versuchen nicht als Reflexcentra im Sinne
von Ferrier betrachtet werden. Denn wenn man diese Centra rings um-
schneidet, so wird hierdurch die Auslösung von Ohrbewegungen bei Reizung
der erwähnten Centra nicht aufgehoben. Bei electrischer Reizung der
Spitze der ersten Schläfenwindung erzielten S. Brown und Schäfer*
^ Untersuchungen über das Gehirn, Berlin 1S74.
' W. Bechterew, Physiologie der motorischen Zone der Grosshirnrinde. Arck
psieh. 1887. VoL XL Nr. 1. — Arch. slav. de biologie. 1887.
« Philos, Transact. 1888. p. 803. — Brenn, 1888.
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396 W. V. BbchteeeW!
Rückwärtsbewegungen des entgegengesetzten Ohres; bei electrischer Beizung
der oberen Theile des Gyrus temporalis superior erzielten die genannten For-
scher Abweichung der Augapfel nach der entgegengesetzten Seite, was auch
bei Beizung der angrenzenden Nachbarschaft der Schläfenwindung auftrat.
Endlich erzielte Baginsky^ (in Munk's Laboratorium) von dem unteren
hinteren Abschnitte der 2., 3. und 4. Windung aus, bei Anwendung stärkerer
Ströme auch von der mittleren Abtheilung der 3. und 4. Windung aus
Contractionen des entgegengesetzten Ohres und Oeffnung der Augen; gleich-
zeitig war Pupillenerweiterung und Drehung der Augen nach der entgegen-
gesetzten Seite zu beobachten. Von einer Stelle im unteren Theile der
zweiten Windung erzielte Baginsky ausserdem Vorwärtsbewegung des
contralateralen Ohres.
Es wäre noch zu erwähnen, dass bei Beschädigungen der Schläfen-
lappen keinerlei Störungen im Gebiete der Sensibilität und Mobilität auf-
treten, was auch aus den neuerlichen Versuchen von Tonnini hervorgeht
So stand es nach der experimentellen Seite hin um die Frage nach den
Gehörcentren der Hirnrinde, als ich im Jahre 1896 dem in meinem Labo-
ratorium beschäftigten Hm. Dr. Larionoff den Vorschlag machte, alle nach
dieser Bichtung hin vorhandenen Untersuchungen einer Prüfung zu unter-
ziehen. Seitdem sind von mir zu verschiedenen Zeiten Versuche mit totaler
Abtragung einer oder beider Hemisphären an Vögeln (Taube und Huhn)
und solche mit Entfernung der Hemisphären und Zerstörung der Hörsphäre
der Hirnrinde an Säugethieren (Hund und Katze) angestellt worden. Auf
Grundlage der erstgenannten Versuche, über deren Ergebnisse ich seiner
Zeit* in der St. Petersburger psychiatrischen Gesellschaft mit Demonstration
der operirten Thiere berichtet habe, konnte ich feststellen, dass Vögel nach
Verlust einer der Hörhemisphären ihre Seh- und Gehörfahigkeit auf der
contralateralen Seite einbüssen, woraus folgt, dass die Fasern der Gehör-
nerven vor ihrem Eintritte in die Grosshimrinde bei diesen Geschöpfen
offenbar einer totalen Kreuzung unterliegen. Nach Fortnahme beider Hemi-
sphären erscheinen Vögel völlig blind und taub, besonders in der ersten
Zeit nach dem Eingriffe. Nach einiger Zeit jedoch, wenn das Thier sich
von dem Eingriffe erholt hat, reagirt es auf Lichtreize und plötzliche
Geräusche in entsprechender Weise. Ich will die Frage nach der Seh-
fahigkeit solcher Vögel bei einer anderen Gelegenheit erörtern und bemerke
hier nur, dass ihrer Hemisphäre beraubte Vögel auf intensive Töne den
Kopf erheben und sich nach den Seiten hin umsehen. Es li^ also kein
* Dies Archiv. 1891. Physiol. Abthlg.
" Sitzungsber, der psychiatr. Geeellseh, in 8t. Petersburg. 1883. Ref. in Newrol.
Centralblatt. 1883. Nr. 28. S. 586.
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Übe^ die Gehöboentba deb Hibnbinbb. 397
ausreichender Orund vor, hier von einer völligen Taubheit zu reden , und
man darf annehmen, dass elementare akustische Empfindungen bei Yögeln
mit abgetragenen Hemisphären sohon in den suboorticalen EOurnregionen
zur Entwickelung gelangen können.
Katzen und junge Hunde zeigen nach Fortnahme der Hemisphären —
sie überleben den Eingriff um mehrere Tage — keinerlei Reaction auf
akustische und optische Reize, sie erscheinen also durchaus taub und blind.
Dies schliesst natürlich in keiner Weise aus, dass diese Thiere im Falle
längeren Ueberlebens, bei allmählicher Fortnahme einzelner Theile der Hirn-
rinde bis zu völliger Ausschaltung der Hemisphären, wie dies bei den
Goltz'schen Hunden der Fall war, nicht mehr oder weniger deutliche
akustische und optische Beactionen aufweisen würden.
Was die Localisation der Hörsphäre beim Hunde betrifft, so haben
meine diesbezüglichen Versuche mir gezeigt, dass bei Entfernung der Rinde
des Schläfenlappens einer Hemisphäre bei den Versuchsthieren constant fast
völliger Verlust des Gehöres auf der entg^engesetzten Seite und Abschwä-
chung des Gehöres auf der entsprechenden Seite zur Beobachtung gelangt,
was auf eine unvollständige Durchkreuzung der Hömervenfasem in den
subcorticalen Gebieten des Hundegehirnes hinweist Weiter in's Einzelne
gehende Untersuchungen über die Verhältnisse der Gehörsphäre des Hundes
hatte ich keine Gelegenheit anzustellen. Dieser Aufgabe hat sich Herr
Larionoff in meinem Laboratorium mit bestem Erfolge unterzogen. Die
Ergebnisse seiner ungemein mühsamen und ausgedehnten Untersuchungen
sind niedergelegt in einer Arbeit,^ welche unsere Kenntnisse von den
GehöTcentren bei den Thieren wesentlich gefordert hat und die Topographie
der einzelnen Theile der Hörsphäre in der Hirnrinde besonders eingehend
behandelt. Als Versuchsthiere dienten Larionoff vorzugsweise Rassehunde,
die auf Schallreize mit Bewegungen des Kopfes, der Augen und des Rumpfes
gut reagirten. Jedes Versuchsthier wurde zunächst mittels guter Stinun-
gabeln genau geprüft. Zum Anschlagen der Töne diente ein weiches
Hämmerchen und eine Vorrichtung, um die Stärke des Anschlages und
somit die Intensität des Tones zu bemessen. Die Gtehörsreaction wurde
mehrfach geprüft, vor und nach der Operation, und wurde je nach ihrer
Stärke als t> tt oder ttt (schwach, gut, sehr gut) notirt Die Stimm-
gabeln wurden aus folgenden sechs Octaven genommen: aus der Contraoctave
Ä^j aus der grossen Octave Äy aus der kleinen Octave c und e, aus der
einfach gestrichenen Octave ff\ a^, b^ und h\ aus der zweifach gestrichenen
Octave c^ cü^ und a^ und aus der dreifach gestrichenen Octave c'. Nach
' Larionoff, Ueber die aorticalen Gehorcentra, In russischer Sprache. StPetera*
borg 1898.
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398 W. V. Bechtebbw: •
Helmholtz haben diese Töne folgende Schwingungszahlen: Ä^ 55, Ä 110,
c 132, ö 165, ff^ 269, a^ 435, h^ 495, c^ 528, a« 880 und c» 1056. Ver-
Wendung fand femer der Blasekammerton Nr. 1 mit den Tönen b^ und
cis^ und Nr. 2 mit der chromatischen Tonleiter ff^ bis /£jp*, deren Töne mit
den gewöhnlichen identisch waren. Sammtliche Stimmgabeln wurden vor
dem Gebrauche geprüft Die Versuchsthiere wurden ferner auf Reception
von Geräuschen geprüft, und zwar 1. durch Aneinanderreihen von Sand-
papierstückchen von bestimmter Grösse und Nummer (knitterndes Geräusch);
2. durch Erschütterung einer Papierschachtel mit Sand (zischendes Ge-
räusch); 3. durch Erschütterung eines Blechschächtelchens mit Metallringen
(klingendes Geräusch), und 4. durch Erschütterung eines Papierschächtel-
chens mit Steinchen und Enochenstückchen von verschiedener Grösse und
Form (unbestimmte Geräusche).
Der zu untersuchende Hund wurde mittels eines Halsbandes an den
Fuss eines Tisches befestigt. Der Experimentator fasste nun mit einer
Hand die Schnauze des Thieres und näherte mit der anderen von vorne
her die schwingende Stimmgabel dem Ohre desselben. Man liess die Stimm-
gabel ^/j, 1 oder 2 Secunden lang einwirken, entfernte sie dann, um sie
spater wieder dem gleichen Ohre zu nähern. Am allerempfanglichsten für
Töne erwiesen sich bei der Untersuchung schwarze Pudel und Setter, gegen
Geräusche waren Rattenfänger am empfindlichsten. Ausserdem wurde das
Gehör durch einfaches Zurufen: „hierher**, „komm", „da", bei dressirten
Hunden mittels angelernter Worte geprüft. Es versteht sich von selbst,
dass die ganze Untersuchung bei grösster Ruhe vor sich ging.
Abgesehen vom Gehör wurden die operirten Thiere untersucht auf ihre
Seh-, Schmeck- und Riechßhigkeit, auf ihre Schmerz- und Muskelempfind-
lichkeii Die operierten Thiere befanden sich im Verlaufe vieler Monate unter
Beobachtung und wurden vielfach mit möglichster Genauigkeit bezüglich
des Gehöres und der übrigen Sinne untersucht. Im Ganzen wurden 14 Ex-
perimente mit Zerstörung der Rinde der Temporallappen ausgeführt, 2 Ver-
suche mit Reizung der Riudenoberfläche und 3 Versuche dienten speciell
zur Untersuchung der Taubheit.
Die Ergebnisse sämmtlicher von Dr. Larionoff ausgeführten Versuche
können wie folgt zusammengefasst werden.
Schon Entfernung geringer Riudenflächen an einer der drei Schläfen-
windungen führt in den ersten (1 bis 2) Tagen zu völliger Ton- und Ge-
räuschtaubheit auf der contralateralen Seite und zu Abschwächung der
Ton- und Geräuschempfindlichkeit auf der gleichen Seite. Späterhin kehrt
das Gehör wieder, mit Ausnahme einiger Töne, für welche das Gehör auf
der entgegengesetzten Seite völlig erloschen oder äusserst abgeschwächt,
auf der entsprechenden Seite etwas verringert ist Es ergab sich somit
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Übeb die Gehöboentba deb Hibnbinde. 399
nicht nur der Nachweis einer unvollständigen Kreuzung der
Gehörnerven, sondern auch ein verschiedenes Verhalten der
einzelnen Gebiete der Schl&fenlappenrinde zur Perception von
Tönen differenter Höhe.
Wurde z. B. die vierte Windung (Gyrus angularis)* des Hundes zer-
stört, so fielen die hohen Töne von c^ aus. Bei Zerstörung des hin-
teren temporalen Abschnittes der dritten Windung ging die
Perception der mittleren Octaven, etwa von e bis c*, verloren.
Wurde ferner die Binde im Gebiete des hinteren unteren Endes
der zweiten Windung abgetragen, so war Ausfall der tiefen
Octaven, etwa von e bis A^ und darüber, die Folge. Entfernung
aller drei Schlafenwindungen in Gestalt eines queren Streifens bedingte
endlich Ausfall der Töne aller 6 Octaven, jedoch mit Erhaltung der
Zwischentöne, wodurch sich Rückschlüsse über den Verlauf der Tonscala in
den Schläfenwindungen gewinnen Hessen. Eine Zusanmienfassung aller Ex-
perimente über Beschädigung der Gyri temporales und eine graphische
Zusammenstellung der ausgeführten Läsionen und der ausgefallenen Töne
liess erkennen, dass die Toncentra der niederen Octaven gegen
die Mitte der hohen Octaven hin anfänglich an dem hinteren
unteren Abschnitte der zweiten Windung von oben nach unten
verlaufen, sodann, von unten das Hinterende der zweiten Furche
(Fissura postsylvia Owen) bogenförmig umziehend, in der dritten
Windung sich von unten nach oben begeben, nach Erreichung
der Spitze dieser Windung sich nach unten wenden und über
die dritte Furche (Fissura ectosylvia Owen) oder richtiger unter
dieser in die hintere Hälfte des Gyrus angularis übergehen.
Bei partiellen unilateralen Beschädigungen des Gehörscentrums ent-
wickelt sich nach theilweisem Tonausfall auf der entgegengesetzten Seite
nach und nach fast complette Tontaubheit, auf der entgegengesetzten sowohl,
wie auf der entsprechenden Seite. Diese consecutive Taubheit steht nach
Ansicht von Larionoff in Zusammenhang mit dem Auftreten secundärer
Degenerationen von Commissuren-, Associations- und Projectionsbahnen.
Die Perception der Geräusche ging bei den Thieren im Ganzen zu-
sammen mit der Perception der Töne verloren. Offenbar werden Geräusche
von der nämUchen Scala, wie die Töne, appercipirt, was mit der neueren
Anschauung, deren zufolge an der Peripherie sowohl Töne wie Geräusch
von der Schnecke aufgenommen werden, bestens im Einklänge steht Wenn
^ Diese Windang ist nicht za verwechseln mit dem Gjrns angnlaris des Menschen.
Die dem Gyrns angularis des Hnndes entsprechende Windung ist beim Menschen in
der Tiefe der Insula Reilii verbolzen.
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400 W. V. Beghtbeew:
bisweilen bei Ausfall vieler Töne kein Ausfall von Oerauscben statthatte,
so konnte dies nach Ansicht von Dr. Larionoff bedingt sein durch Per-
ception von übertönen, an denen ja Geräusche überhaupt sehr reich sind.
Was die Perception von Wortlauten betrifft, so war für gewöhnlich kein
Ausfall derselben zu bemerken, und zwar auch bei erloschener Reaction gegen
fast alle Töne und Geräusche. Im Hinblick auf diesen Befund vermuthet
Larionoff beim Hunde die Anlage eines dem Wernicke'schen ent-
sprechenden Centrums, welches sich wahrscheinlich im mittleren Theile der
dritten Windung, vorfindet. Das Experiment zeigt, dass die Zungentone den
Bedelauten entsprechen. Die Versuche über Beschädigung des Lobus parie-
talis und frontalis fOhrten bezüglich der Gehörsperception zu völlig negativen
Besultaten.
Die speciellen Versuche über Munk'sche Seelentaubheit, welche La-
rionoff angestellt, ergaben ebenfalls negative Resultate. Dressirte Hunde
erscheinen in der ersten Zeit nach der Fortnahme der centralen Partieen
der Hörsphäre wie schwachsinnig und scheu oder betäubt, erholten sich
aber sehr schnell und leisteten dann Zurufen, die ohne Gesticulation an
sie gerichtet wurden, prompt Folge. Eine genaue Specialprüfung ergab
bei derartigen Hunden Ausfall der Perception der tiefen und mittleren Töne
beiderseits, ganz entsprechend der Localisation der Bindenbeschädigung.
Mit der Zeit entwickelte sich bei diesen Hunden, wie auch in anderen
Fällen, fast complette Taubheit, was wahrscheinlich durch consecutive De-
generation von Rindenfasem zu erklären ist
Nach Ansicht Larionoff 's waren die Erscheinungen von Seelenblind-
heit in Munk's Versuchen höchst wahrscheinlich dadurch bedingt, dass
die Läsionen die zweite Windung mehr nach oben oder mehr nach hinten
getroffen hatten, wodurch die Hörsphäre von dem hinteren Associations-
centrum Flechsig's losgelöst oder letzteres selbst beschädigt worden sei
Was faradische Reizung der Hirnrinde betrifft;, so wurden in den Ver-
suchen Larionoff's Ohren-, Augen- und Eopfbewegungen constant von
jener Region der Schläfenrinde ausgelöst, welche die Tonscala in sich be-
herbergt. Diese Bewegungen entsprechen offenbar einem Zustande auf-
merksamen Hinhorchens. Ich habe diese Bewegungen, wie hier beiläufig
zu bemerken, auch beobachtet bei Beizung des hinteren Vierhügels, welches,
wie meine Experimente dargethan haben, eines der subcorticalen Acusticus-
centra vorstellt^
Die im Obigen dargelegten Untersuchungen von Dr. Larionoff ver-
leihen somit der Frage nach der Anordnung der Perception verschiedener
Töne in den verschiedenen Theilen der Hörsphäre des Schläfenlappens eine
^ Neurolog. wettnik. (Bassisch.) 1895. Bd. UL — Neurolog. CentrMlaU. 1896.
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ÜBBB DIB GeHÖBOENTBA BEB HlBNfilNDE. 401
feste Grundlage. Diese for die Physiologie der Gehirnrinde so bedeutungs-
yolle Frage, die bisher nur von Mnnk allein berührt worden war^ erhält
durch die erörterten Erhebungen Larionoffs eine weitere Förderung, da
wir nunmehr von einer mehr oder weniger regelmässigen Lagerung einer
sechsoctavigen Tonleiter in dem Gehörcentrum des Hundes eine Vorstellung
besitzen. Die Toncentra der Rinde sind in strenger Reihenfolge gelagert,
mit anderen Worten: in der Rinde des Schläfenlappens giebt es eine ähn-
liche Tonleiter, wie in der Schnecke, und die Schneckensaiten sind hier
offenbar durch an einander gereihte Nervenzellgruppen repräsentirt.
Femer haben die in meinem Laboratorium angestellten galvano-
metrischen Untersuchungen des Dr. Larionoff dargethan, dass gleichzeitig
mit der akustischen Reizung des contralateralen Ohres im Gebiete des ge-
nannten Centrums das Auftreten von Strömen während der Thätigkeit wahr-
nehmbar ist
Um alle diese Ergebnisse auf das menschliche Hirn zu übertragen,
muss man nach der Homologie der Windungen annehmen, das Gebiet des
Gehörcentrums habe bei dem Menschen seine Lage in der zweiten und
ersten Schläfenwindung und im hinteren Theile der Insel, da ja die yierte
Windung des Hundes den hinteren Querwiudungen der Insel entspricht.
In diesem Gentrum müssen, ganz wie bei den Thieren, Töne sowohl wie
Geräusche zur Perception gelangen. Ein gewisser Theil dieses Centrums,
welcher dem Orte der Perception der grossen Sexte b^ bis g^ (die nach
Helmholtz und Hermann^ die Mehrzahl der Grundtöne für <üe Yocale
unserer Sprache beherbergt) entspricht, beim Hunde einen beträchtlichen
Theil des hinteren Abschnittes der dritten Windung (von innen gerechnet)
einnimmt, bei dem Menschen aber in den hinteren zwei Dritteln der ersten
Schläfenwindung seine Lage hat, muss für die Perception der Yocallaute
bestimmt sein und das sogenannte Wernicke'sche Centrum bilden.
Es besteht somit bezüglich der Localisation des Gehörcentrums und
seiner einzebien Theile eine völlige Uebereinstimmung zwischen den Er-
gebnissen des Thierezperimentes und den pathologischen Befunden am
Menschen, mit der Einschränkung jedoch, dass die Entwickelung der Sprache
bei dem Menschen zur Entwickelung eines besonderen akustischen Sprach-
oentrums oder des Wernicke'schen Centrums auf Kosten eines bestimmten
Theiles des Toncentrums Anlass giebt
Die anatomischen Untersuchungen von P. Flechsig und mir am Ge-
hirne Neugeborener, sowie die Ermittelungen von Larionoff an Hunden
mit Beschädigung des Gehörcentrums (Marchi-Methode) bestätigen vollauf
^ Pflüg er' B ^reA»v. 1893. Bd. Lm.
Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. Snppl. 26
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402 W. Y. Beohtebbw: Übbs die Gehöbcentba dbb Hibnrinbe.
die Localisation des in Bede stehenden Centrams in der Rinde des SchlSfen-
lappens.
Was klinische Befunde anlangt^ so sprechen dieselben bekanntlich mit
aller Entschiedenheit fär eine Localisation des menschlichen Gehörcentroms
in den nämlichen Rindenregionen, wie bei den Thieren, d. L in den oberen
Theilen des Lobus temporaUs, wie beispielsweise die von Ferrier^ ange-
fahrten Fälle von completter Taubheit bei Zerstörungen der ersten Schläfen-
windung darthun. Aus den klinischen Beobachtungen geht gleichzeitig
hervor, dass beim Menschen in Folge der ausserordentlichen Entfaltung
der Sprache und des musikalischen Gehöres, das primitive Toncentrum der
Säugethiere sich zu zwei mehr oder weniger gesonderten Centren entwickelt,
von welchen das eine als musikalisches, das andere als Sprachencentrum
im engeren Sinne betrachtet werden muss. Wenigstens muss dies zweifel-
los erscheinen im Hinblicke auf von verschiedenen Autoren beschriebene
zahlreiche Fälle von Amusie ohne Worttaubheit, sowie mit Rücksicht auf
die Fälle von Worttaubheit ohne Amusie. Wir verfügen gegenwärtig schon
Qber eine ganze Reihe von mit Secüonsbefunden begleiteten Fällen von
Worttaubheit, wo die Affection im hinteren Theile der oberen Schläfen-
windung der linken Hemisphäre localisirt erschien. Auf der anderen Seite
fehlt es nicht an Fällen von reiner Amusie ohne Worttaubheit (veröffent-
licht von Edgren), wo bei der Section links die vorderen zwei Drittel
der ersten Schläfenwindung und die vordere Hälfte der zweiten Schläfen-
windung, rechts die hintere Hälfte der ersten Temporalwindung destruirt
gefunden wurden. Es sind also auch bezüglich der Localisation der Affection
diese Fälle in grösster üebereinstimmung mit den vorhin dargelegten experi-
mentellen Befunden betreffend die topographische Anordnung der einzelnen
Theile des Toncentrums in der Hirnrinde.
The Croonian leetvre on cerebral loealisaüon. 1890.
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Beiträge zur Lehre von dem
Mechanismus der Bewegungen des Schultergürtels.
Von
Dr. Steinhausen,
Ob«nUbMnt in HuiooTer.
L
Die Drehung des Schulterblattes bei der Armerhebung In
ihrem zeitlichen Ablaufe.
Seit Dachenne's (1) in sich vollendeter und glänzender Darstellung
der Physiologie der Bewegungen hat sich bis heute die Annahme allgemein
verbreitet und anerkannt erhalten, dass für die Gesammterhebung des Armes
gegen den Rumpf eine Theilang der Arbeit unter den hauptsächlich in
Betracht kommenden Muskeln, dem Deltoides und dem Serratus, in der
Weise stattfinde, dass jenem durch Abduction des Oberarmes gegen die
Scapala die Erhebung bis 90^, diesem die weitere Erhebung durch Drehung
der Scapula zufalle. Neben dieser Scheidung der Arbeitsleistung beider
Muskeln wird, ebenso allgemein und ebenfalls nach Duchenne's Vorgang,
die innige functionelle Verknüpfung gelehrt Am klarsten ist diese Ver-
knüpfung von Heule (2) formulirt worden. Nach ihm hat für den unteren
Quadranten der Erhebung der Serratus die Aufgabe, zu verhüten, dass das
Schulterblatt durch die Thätigkeit des Deltoides dessen Armbeininsertion
entgegen- und herabgezogen werde, was beim Lebenden die immer zugleich
mit dem Deltoides erfolgende Zusammenziehung des Serratus bewirke.
Höher als bis zu einem Winkel von 90^ vermöge der Deltoides den Arm
nicht zu fördern; die weitere Erhebung finde dann durch die Drehung des
Schulterblattes statt In diesem Sinne ist die Lehre sowohl von dem Gegen-
einanderwirken als auch von dem engen Zusammenwirken beider Muskeln
in alle Lehrbücher und sonstigen einschlägigen Arbeiten übergegangen, in
demselben Sinne spricht man daher auch allgemein von einem Antagonismus
beider Muskeln« So geht synergistische und antagonistische Betrachtung
26*
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404 Steinhaubbn:
überall Hand in Hand, ohne dass man sich der mechanischen Widersprüche
bisher bewusst geworden wäre. Auch die Trennung von Antagonismus und
Pseudoantagonismus, wie sie von Hering (3) für die Beuger und Strecker
der Hand und des Fusses u. s. w. durchgeführt wurde, ist bisher auf die
Schultermusculatur nicht angewandt worden. Eine Fortentwickeinng in
der Auffassung des Synergismus des Deltoides mit dem Serratus, zu denen
als dritter der Trapezius hinzutritt, ist bisher nur in yereinzelten An-
deutungen in der Litteratur zu bemerken, so von Gaupp (4) und Broe-
sicke (5). Ueber die Art und Weise und den zeitlichen Ablauf des
Zusammenwirkens liegen Untersuchungen bisher nicht vor.
Auch für die klinische Praxis mussten sich in Folge der Widerspräche
des alten Duchenne'schen Schemas mit Nothwendigkeit Unklarheiten er-
geben, die bis heute besonders auf dem Gebiete der Lahmungen einzelner
Muskeln des Schultergürtels ihr Wesen treiben. So erklart es sich, dass
Fälle von isolirtem Ausfall des Serratus, des Trapezius und des Deltoides,
die mit jenem Schema nicht in Einklang zu bringen waren, wiederholt den
Anstoss zu neuen Studien über die Bewegungen des Schultergürtels gegeben
haben. Es sei nur auf den von Lewinski (6) angefachten Streit über
gewisse Symptome der Serratuslähmung, die interessanten Erörterungen
von Bäumler (7), Bruns (8), Bemak (9) u. s. w. über andere Symptome
dieser Lähmung, auf die Arbeit von Gaupp (4), angeregt durch Cucullaris-
lähmung, hingewiesen. Auch die Erörterung der Aetiologie der sog. hohen
Narkosenlähmungen des Plexus brachialis (Nonne, Hoedemaker, Bern-
hardt, Goldscheider, Rissom, Büdinger, Krön, Gaupp) und das
dadurch angeregte Studium der Glavicular-Bewegungen ist hierher zu
rechnen. Zu welchen Widersprüchen die klinische Beobachtung mit jenem
Schema führt, dafür kann als ein Beispiel für viele eine Veröffentlichung
über einen Fall von Lähmung des Deltoides (Hoffmann) (10) aus jüngster
Zeit angeführt werden. Dort wurde ein „vicarürendes" Eintreten, dessen
Widerspruch mit den Lehren der Physiologie der Verfasser einräumen muss,
des Serratus für den Deltoides, in der Art beobachtet, dass „ausnahmsweise^
der Serratus die Erhebung bis zur Horizontalen besorgte, worauf far die
weitere Erhebung die Abductoren eintraten. Es beweist hier ein Fall von
isolirter Muskellähmung am Lebenden die Umkehrung des Duchenne'schen
Schemas, zu der ich auf anderem Wege ebenfalls gelangt bin.
Dass die in jenem Schema ausgedrückten Anschauungen mindestens
ungenügend, und dass ein gesetzmässiges Zusammenwirken der Dreher der
Scapula mit den Abductoren des Oberarmes in einem ganz anderen zeitlichen
Sinne statthaben müsse, ergab sich für mich zunächst aus der Beobachtung
isolirter Serratus- und Trapeziuslähmungen, bei welchen trotz des Ausfalles
des einen oder des anderen Muskels eine anfällig geringere Störung der
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Mechanismus der Sohültebbeweounoen. 405
hohen Armerhebimg festzustellen war, als sie bisher ganz allgemein für
typisch gehalten wird. Eine Znsanunenstellnng von 95 in der Armee in
den letzten zwei Jahrzehnten beobachteten Lahmnngen des Serratas, über
welche an anderer Stelle eingehend berichtet werden soll^ lieferte dann das
überraschende Ergebnisse dass die Erhebung des Armes weit über die Hori-
zontale für die rein isolirte Lähmung geradezu als Regel gelten muss. Mit
dem bisher gültigen Schema ist dies Ergebniss ganz und gar nicht yer-
einbar. Bei dieser Gelegenheit erschloss sich eine Reihe von Beobachtungen
über den gesetzmässigen Verlauf der normalen Schulterbewegungen, über
welche nachstehend zu berichten mir gestattet sei.
Die für die normalen Bewegungen des Schultergürtels grundlegende
Thatsache, auf welche an erster Stelle hingewiesen sei, ist die weit über
einen rechten Winkel hinausgehende Abduction des Oberarmes gegen das
Schulterblatt durch die Abductoren (als deren Repräsentant im Folgenden
der Kürze halber stets nur der Deltoides angeführt sei). Die Winkelgrösse
der Abduction wird bekanntlich sehr versclueden angegeben. Sie betragt
nach Duchenne und Henle 90^, nach Gaupp und wohl den meisten
Anatomen ebenso viel oder doch nur wenig mehr als 90^ [Aeby (32),
Langer-Toldt (43), Krause (27), Gegenbaur (88), Hyrtl (24)i
Poirier (31), G. H. Meyer (28), Testut (30) u. s. w.], nach E. Fick
und Weber (14) dagegen eher noch weniger als 90^ Albert (11) giebt
sie auf 100 bis 110^, in seltenen Fällen auf 120^ und Rauber (13) allein
sogar auf 150^ an. Braune und Fischer (12) fanden als Maximum der
Excursion am Präparat 109^, wobei aber, wie die beiden Forscher aus-
drücklich heryorheben, die Rollung des Oberarmes nicht in die Unt^uchung
hineinbezogen ist. Welche Linie innerhalb des Schulterblattes etwa zur
Bestinmiung des Winkels gewählt wurde, ist nicht überall pricise an-
gegeben, gemeint ist wdil gewöhnlich der äussere Schulterblattrand. Die
grossen Differenzen der Angaben dürften auf folgende Weise zu erklären
sein. Offenbar ist bisher nicht genügend für die Abmessung jener Winkel-
grösse der Giad der Drehung des Humerus um seine Längsaxe berück-
sichtigt worden. Auch Duchenne giebt hierüber nur einen ganz kurzen
Vermerk (S. 48, § 67). Ein Blick auf den von einem Gesunden in natür-
licher Weise senkrecht erhobenen Arm lehrt, dass es sich hier um ganz
erheblich grössere Winkelstellung als nach dem Durchschnitt der Angaben
handelt Thatsächlich beträgt sie in maximo etwa 150^ Aber — und
das ist der springende Punkt — diese Abductionsgrösse hat zur Voraus-
setzung eine gleichzeitige AuswärtsroUung des Oberarmes um mindestens
50^ gegen die bei der Ruhelage, dem unthätigen Herabhängen des Armes,
angenommene Grundstellung des Gliedes, zum Zweck der Erhaltung des
Contactes zwischen den Gelenkflächen. Bekannt ist, dass bei stark ein-
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406 Stbinhausbn:
wärts gerolltem Oberarm die seitliche Erhebmig bedeutend eingescbruikt
wird: beim Lebenden ergiebt sich hier bei stärkster EinwärtsroUung ein
Maximum der Abduction von nur etwa 50 bis 60^ gegen das Schulterblatt
Daraus erhellt, dass zur maximalen Armerhebong die Ausschaltung aller
durch EinwärtsroUung yerursachten Hindemisse, seien dieselben knöchernen
oder musculären Ursprungs, und also ein gewisses Maass von Auswärts-
rollung des Armes Vorbedingung ist. Das bestätigt auch ein Blick auf
das Skelet des Schultergürtels: aus der Stellung, welche der Homerus gegen
die Scapula bei ruhigem Herabhängen einnimmt, rein frontal erhoben, wfirde
derselbe sehr bald eine Hemmung finden, dagegen zugleich um 60^ und
darüber um seine Längsaxe gedreht, wird er der grössten Winkelstellung
gegen die Scapula fähig, ohne dass seine überknorpelte Gelenkfläche den
Gontact mit der Gelenkpfanne verliert und ohne durch Hemmung seitens
der genügend weiten Gelenkkapsel beeinträchtigt zu werden.
Es sei mir gestattet, an dieser Stelle eine vorläufige Mittheilung aus
einer später zu veröffentlichenden Arbeit eizuschalten, welche den Einfluss
der Humerusbewegungen auf die Verschiebungen der Gelenkflächen des
Schultergelenkes gegen einander betrifft Von den in Betracht konmienden
Factoren seien die beiden hauptsächlichsten hier erwähnt: das Grössenver-
hältniss des Flächeninhaltes der Gelenkpfanne zu dem des Oberarmkopfes
von etwa 1:6 und die Neigung der Axe des Gelenkkopfes zur Längsaxe
des Humörus von 140<> (Rauber (18)).
Die rein frontale Abduction des Oberarmes aus der Buhelage wird
für einen beliebigen Punkt der Pfanne, beispielsweise für deren Mittelpunkt^
zur Folge haben, dass er auf einem grössten Kreise des Kopfes, also hier
in einem in der Frontalebene gelegenen Meridian, sich fortbewegt Anderer-
seits wird eine Drehung des Humerus um seine Längsaxe bewirken, dass
derselbe Punkt auf einem zu jener Ebene senkrecht stehenden grössten
Kreise sich bewegt. Aus der Combination beider Bewegungen lässt sich
nun ableiten, dass dieser Punkt — wie auch jeder beliebige andere — eine
Curve auf der convexen Kugelfläche beschreiben muss, deren nähere Be-
stinmiung hier zu weit führen würde, die aber jedenfalls eine in sich
zurücklaufende Figur darstellt, welche nur einen Theil der ganzen über-
knorpelten Gelenkfläche einnimmt und so auf verhältnissmässig engem
Räume weite Excursionen des Gliedes innerhalb der Gelenkflächen sich
abzuspielen gestattet Eine unmittelbar sich ergebende weitere F(dgerung
ist die, dass die Combination von Abduction und Rotation die Spannung
des Kapselbandes und seiner Verstärkungen ungleich weniger in Anspruch
nimmt, als jede der beiden Bewegungen einzeln. Jedenfalls leitet sich aus
dem Gesagten der Satz ab, dass die Abduction des Oberarmes gegen das
Schulterblatt um so grösser wird, je mehr Rotation innerhalb gewisser
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Mechanismus deb Schui/tebbeweoünoek.
407
Grenzen der erstere nm seine Längsaxe erfährt, und ferner, dass die
Abdaction nnter dieser Yoranssetenng einen Winkel von 150® zweifellos
erreichen kann. Auf die mnskelphjsiologischen Beziehongen zwischen Ab-
daction und Botation wird noch zurückzukommen sein.
Die grossen, einer directen Messung am Lebenden sich entgegen-
stellenden Schwierigkeiten haben mir den Oedanken nahe gelegt, zur Be-
stimmung der Winkelverschiebung zwischen Humerus und Scapula im
Yeriaufe der Armerhebung die Röntgendurchleuchtung zu Hülfe zu nehmen.
Dies Hülfsmittel hat, unter Berücksichtigung natürlich der zweifellos vor-
handenen und nicht ganz auszuschaltenden Fehlerquellen, immerhin recht
beachtenswerthe Resultate ergeben, indem es, sinnfälliger als die Schätzung
der Verschiebungen am Lebenden, wenigstens annähernd einen Einblick
in die Gesetzmässigkeit des Ablaufes der Bewegungen des Schultergürtels
am Lebenden selbst gestattet. Nach
Feststellung der Brauchbarkeit der
Methode zunächst am Leuchtschirm
wurden Actinogramme aufgenom-
men, von denen die hier beigefügten
fünf auf den Ruhezustand und die
vier Achtelkreise der Erhebung
sich beziehenden Abbildungen her-
stammen.
Die Aufnahmen sind mit mög-
lichster Einhaltung gleicher Be-
dingungen an einem gesunden
19 jährigen jungen Manne von
mittelkräftiger Musculatur in der
Weise gemacht, dass sich der Spiegel jeweilig senkrecht zur Scapular-
ebene über dem Mittelpunkt des Oberarmkopfes in einem Abstände von
42^ von der Platte befand.^ Die doppelt beschichteten Platten standen
möglichst* genau parallel zur Scapularebene und beide im Räume senk-
recht, so dass die active, natürliche und unbelastete Armerhebung Gegen-
stand der Aufnahme wurde. Expositionsdauer 1 Minute, Funkenlänge 20 <^
und nach längerem Gebrauch 25^. Um die mit wachsender Erhebung
zunehmende Drehung der Scapolar- gegen die Frontalebene auszugleichen,
musste eine jedesmalige gegensinnige Drehung des Rumpfes vorgenommen
werden. Wird schon bei stärkster Abduction der Schulterblätter — bei
„Brust heraus*' — eine rein frontale Stellung der Schulterblattebene nie
Fig. 1.
^ Von Hrn. Collegen F. Bahr in Hannover hergestellt, dem Ich auch an dieser
Stelle meinen Dank ausspreche.
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408
Steikhausen:
erreicht, so kann selbst für die ersten Momente der Erhebung nicht die
Bede davon sein, die rein frontale Erhebung zum Object des Stadiums
machen zu wollen* Die Drehung der Scapula erfolgt überhaupt nicht rein
frontal, nicht einmal beim ersten Beginn aus der Buhelage heraus, bei
welcher die Neigung der beiden
Ebenen schon ungefähr 20^ aus-
macht Die Scapularbew^fung
schliesst sich dann genau dem
hinteren Tboraxumfang an und
durchläuft Neigungen gegen
die Frontalebene nach einander
von 20 bis 45^ Werthe, die
mit den Angaben der anato-
mischen Lehrbücher ungeßhr
übereinstimmen (vgl. Tabelle).
Will man daher die allmähliche
^' ' Winkelvergrösserung in einer
Ebene beobachten, so muss die Abduction desHumerus gegen die Scapula
stets annähernd in der Scapularebene sich abspielen, und folglich muss
man die Neigung der Abductions- und
damit auch der Projectionsebenen gegen
die Frontalebene in gleichem Maasse
mit der Grösse der Abduction durch
Bumpfdrehung wachsen lassen. In den
Figuren 1 bis 5 findet diese Drehung
ihren Ausdruck in der zunehmenden
Verschiebung der Bippenbögen in der
Projection.^
Dass man der rein frontalen Er-
hebung nicht zu folgen vermag, ist
deswegen kein Mangel, weit die Aus-
gangs- und Endpunkte der von der
Scapula beschriebenen Bahn für alle
Ebenen der Erhebung des Armes bis
^* ' zur Senkrechten die gleichen sind.
Unterschiede finden nur statt in der Geschwindigkeit der Drehung und Yer-
sdiiebung, namentlich innerhalb der ersten Abschnitte, wie sich solches ja
am Lebenden ohne Weiteres feststellen lässt. Man gewahrt hierbei, dass bei
^ Die Abweichungen der üra risse in den Figaren sind durch die in den ver-
schiedenen Stellungen bedingten Ungleichheiten der Scbattirung bedingt
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Meohanismüs beb Schultbrbewegükgen.
409
rein frontaler Armerhebung die Excursion der Scapula im ersten Achtelkreis
geringer, bei rein sagittaler dagegen grösser ausMt, als sie in der nach-
folgenden Darstellung in die Erscheinung tritt Es mag daher gleich vorweg
bemerkt sein, dass die Anpassung der Projection an die Verschiebung der
Scapularebene gerade für den beabsichtigten Zweck besonders geeignete
Mittelwerthe ergiebt und dass sie eine ziemlich gleichmässige Zunahme des
Drehungswinkels in allen Abschnitten zur Anschauung bringt, aus welcher
die Abweichungen der Wachsthumsgrosse in allen anderen Ebenen der Er-
hebung sich unschwer ableiten lassen.
Ein zweiter Fehler, der Berücksichtigung fordert, ist die Grefahr schiefer
Projection bei der Röntgendurchleuchtung. Erwagt man indess, dass bei
Fig. 4.
Fig. 5.
stets m^lichst genauem Zusammenfall des Schultergelenkmittelpunktes mit
dem Spiegehnittelpunkt in eine auf der Projectionsfläche senkrecht stehende
Grade alle durch den Oelenkmittelpunkt gehenden, der Projectionsebene
parallelen Linien in gleichem Winkel und ohne alle Verschiebung projicirt
werden müssen, und dass femer bei möglichst klein bleibender Abweichung
der Humeruslängsaxe und der Scapularfläche von ihrer Parallelität zur Pro-
jectionsebene keine grosseren Verschiebungen für die Projection entstehen
werden, so wird dieser Fehler auf ein so geringes Maass reducirt sein, dass
er praktisch ausser Betracht bleiben kann.
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410
Stbinhausbn:
Die so entstandenen Bonl^enaufhahmen wurden durcfagepaast, die
Pausen auf photographischem Wege unter Einhaltung völlig gleicher Be-
dingungen, d. h. bei gleicher Entfernung des Objectives und gleicher Ein-
steUung verkleinert und so die beigefugten Abdrücke gewonnen.
Der Oberarm wurde nach einander bei senkrechtem Herabhängen und
in Erhebung gegen die Buhelage um 45, 90, 135 und 180^ aufgenommen.
Die Längsaxe desselben ergiebt sich mit genügender Genauigkeit ohne
Weiteres, die durch die gleichzeitige LangsroUung bedingten Terschiebongen
des Mittelpunktes des Gelenkkopfes sind durch die Verjüngung des Maass*
Stabes relativ stark verkleinert, so dass grössere Differenzen kaum resultiren.
Wie natürlich bei dem vorliegenden Zweck kann es auf mathematisch ab-
solut genaue Winkelmessung nicht ankqmmen. Aus dem gleichen Grunde
sind von untergeordnetem Einfluss (bei der räumlichen Nähe der Lage des
Gelenkkopfmittelpunktes zur Humeruslängsaxe) die durch die oben bereits
erörterte Drehung des Humerus bedingten Projectionsverschiebungen zwischen
Epiphysen- und Diaphysenaxe.
Als am besten „zeichnende'^ Linie in der Scapula markirte sich stets
der äussere Rand. Diese Contourlinie fallt ziemlich genau zusammen mit
einer vom Gelenkmittelpunkt nach dem unteren Winkel der Scapula ge-
zogenen Graden, welche denn auch zur Winkelmessung benutzt worden
ist. Die von ihr mit der Humeruslängsaxe und der Horizontalen gebildeten
Winkel seien als a bezw. ß bezeichnet.
Die vier Achtelkreise der von 0® bis 180^ getriebenen Erhebung sind
von der Ruhelage als Nullpunkt aus gezählt Die Ergebnisse der Messungen
sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt:
Achtel-
kreis
der
Arm-
erhebung
Ab-
duction
des
Ober-
armes
00
45
90
135
180
Absolute
< Grösse
des
Winkels
1 32»
61
86
110
152
Grösse der
Zunahme
von a von
einem zum
anderen
Achtelkreis
29»
25
24
42
Absolute
Grösse
des
Winkels
Grösse der'
Zunahme
von ß von
einem zum
anderen
Achtelkreis
Grösse
der
Differenz
zwischen
ß und «
Ungefähre
Neigung der
Scaputar- und
AbductioDs-
Frontalebene
1.
2.
3.
4.
580
74
96
114
120
210
22
18
6
-h21«
+ 18
+ 10
+ 4
-82
20«
25
35
40
45
Summe
120 <> 1
Summe
67«
Aus der vorstehenden Tabelle ergiebt sich Folgendes:
1. Die Gesammtzunahme des Winkels a während der Erhebung um
180<^ beträgt 120*^, die von /? 67^, also nur wenig über die Hälfte von «.
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Mbchanismüs beb Sohültebbewegunoen. 411
Dies Verhältniss von fast 1 : 2 stellt die Grösse der Antheile der Abductoren
des Annes zu den Botatoren des Schulterblattes von dem alten Du-
chenne'scheH Schema erheblich abweichend dar, nach welchem sie sidi
wie 1:1 stellen sollten; woraus folgen würde, dass die Drehung der Sca-
pula ebenfalls 90^ betragen müsste, eine Annahme, die sich am Lebenden
ganz und gar nicht bestätigt.
2. Der Winkel a wächst, wenn auch nicht ganz gleichmässig, so doch
beständig, während nach dem alten Schema seine Zunahme auf die beiden
ersten Achtelkreise beschränkt und bei der Erhebung bis zur Horizontalen
ungeföhr beendigt sein sollte.
3. Dass die grosste Winkelstellung zwischen Humerus und Aussen-
rand der Scapula 150^ erreicht, stimmt mit dem früher Gesagten überein.
Die Excursion von 120** fallt schon zwischen 0** und 180^ der Erhebung
grösser aus, als der Durchschnitt der Angaben; dies ist aber noch nicht
ihr Maximum, welches sie erreicht, wenn die Adductionsgrössen unter 0^ —
hier also negativ — und über 180** hinaus, wenn auch nicht ganz in fron-
taler Ebene, hinzugerechnet werden.
4. Während die Äbduction des Humerus bis 45** der Erhebung mit
29** fast V4 *ler gesammten ausmacht, hat die Scapula bereits eine Drehung
von 21**, fast Ys ^^"^ gesammten, ausgeführt, eine Wirkung hauptsächlich
des Serratus, die keineswegs bloss als Fixation der Scapula gegen die dis-
locirende Wirkung der Abductoren angeseh^ werden kann. Es geht dies
aus der weiteren, annähernd gleichmässig raschen Drehung in den beiden
nächsten Achtelkreisen hervor. Das Richtige an Henle's Auffassung des
Zusammenwirkens von Serratus und Deltoides würde dies sein, dass nur
im allerersten Moment, beim Uebergang aus der Buhe in die Bewegung,
ein blosses Fixiren der Scapula Seitens des Serratus ohne Drehung statt-
haben kann. Hierin aber einen Antagonismus erblicken zu wollen, dürfte
durch die weitere Thätigkeit des Serratus beim Armerheben nicht gerecht-
fertigt sein.
5. Verfolgt man die Grösse der Zunahme von a durch die vier Achtel-
kreise, so ergiebt sich für den letzten derselben eine gegen die vorher
ziemlich gleichmässige Zunahme verhältnissmässig erhebliche Steigerung, ein
Beweis, dass die Äbduction des Humerus g^en die Scapula gerade zuletzt
ihr Maximum erreicht.
6. Dagegen wächst ß in den ersten drei Achtelkreisen zwar gleich-
massig, nimmt aber gerade im letzten unverhältnissmässig ab.
7. Noch mehr in die Augen fallend stellt sich dieser Wechsel dar in
der die Differenz beider Winkel in den einzelnen Abschnitten wieder-
gebenden vorletzten Spalte der Tabelle. Während die Differenz in den
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412 Stbinhaüsen:
ersten drei Abschnitten stetig abnimmt, aber noch positiv, i.h. ß > et aus-
fallt, sinkt sie plötzlich im vierten aufTallend rasch und wird sogar erheb-
lich negativ. Dasselbe in Worten ausgedrückt würde lauten:
a) Die Drehung der Scapula läuft im Wesentlichen in den
ersten drei Achtelkreisen der Erhebung ab und wird im vierten
auffallend klein;
b) dieAbduction des Oberarmes gegen die Scapula dagegen
wächst in den ersten drei Achtelkreisen gleichmässig mit der
Scapula und wird im vierten auffallend gross.
Es fragt sich, entspricht die überraschende Umkehrung der Verhältnisse
der Beobachtung am Lebenden, und wie ist sie zu erklären? In der That
ei^ebt sich eine volle Uebereinstimmung des dargestellten Verhaltens mit
der ja leicht zu beobachtenden Bewegung am Lebenden. Lässt man einen
gesunden gelenkigen Menschen den Arm bis zur Senkrechten erheben, so
bleibt der untere, hinreichend durch die Haut hindurch palpable Schulter-
blattwinkel im letzten Achtelkreis, nämlich über 150^ hinaus, relativ still
stehen, d. h. die Scapula macht im Vergleich zu dem Ausschlag des Ober-
armes nur noch ganz geringe Verschiebungen durch. Noch deutlicher lässt
sich dies relative Stehenbleiben veranschaulichen, wenn man einmal den
erhobenen Arm zwischen 150 und 180^ abwechselnd ab- und adduciren
lässt und dann zum Vergleich die Abduction um die Horizontale herum
zwischen etwa 75 und 105^ mehrfach hinter einander ausführen lässt
Ich halte gerade diesen Vergleich für überzeugend. Dass hierbei individuelle
Abweichungen walten, davon habe ich mich durch die Untersuchung von
über 100 gesunden jungen Leuten mit allen möglichen Varietäten des
Knochen- und Muskelbaues überzeugen können. Bemerkenswerth ist aber,
dass bei einer Anzahl von Individuen, 25 bis 30 Procent, sich sogar ein
absolutes Stillstehen des Schulterblattes und damit des ganzen Schulter-
gürtels schon ungefähr 30 ** vor der höchsten Erhebung unzweideutig fest-
stellen liess, indess der Humerus frei beweglich die Ab- und Adduction
ausführte. Charakteristisch für den bei höchster Armerhebung gänzlich
veränderten Mechanismus der Bewegungen des Humerus gegen die Scapula
ist auch der Umstand, dass bei dieser Stellung die Drehung des Humerus
um seine Längsaxe nahezu = 0 wird. Die dann noch mögliche BoUung
beschränkt sich durchaus auf Pro- und Supination des Unterarmes.
Am extrem mageren Menschen und natürUch noch besser am ana-
tomischen Präparat mit elastisch erhaltenem Bandapparat ergiebt sich als
Ursache der relativ freien Beweglichkeit des Oberarmes im Schultergelenk
bei 150® Erhebung Folgendes: Die Gelenkpfanne steht hierbei stark nach
oben und schräg nach vorn gerichtet, so dass von dieser Seite kein Hindemiss
für die freie Beweglichkeit des Oberarmes in der bezeichneten Richtung
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MeOHANISMÜS DBB SOHULTESBEWEGÜNOEK. 418
vorliegen kann. Analog mit der Verschiebung der Skelettheile steht ja
zuletzt auch bekanntlich die Oeffnnng der Achselhöhle stark nach yom
gerichtet
Stösst der Oberarm, wenn man ihn am Skelet oder Präparat rein seit-
lidi g^en die nicht mit bewegte Scapnia erhebt, sehr bald mit seinem
grossen BoUhöcker an das Acromion an, so liegt bei der äussersten Drehung
der Scapula das Acromion so weit nach hinten hinüber, dass der Humems-
schaft sich vor ihm und dem Ligamentum ooracoacromiale in der frontalen
Ebene frei hin- und herbewegen kann, eine Bewegung, die in der Ueber-
adduction des Oberarmes medianwärts bis vor das Gesicht ihre grosste
Excursion erreicht
Aus Allem ergiebt sich, dass die Drehung der Scapula bei der Arm-
erhebung schon relativ früh aufhört und nur so lange anhält, bis dem
Oberarm die weitere selbständige Beweglichkeit gegen den nunmehr — etwa
bei 150^ — fixirten Schultergürtel gewährleistet ist
Aus dem Ablauf der Bewegungen des Schulterskelets am Lebenden
dürfen nun gewisse Schlussfolgerungen auf die Betheiligung der Muskehi
in den einzelnen Abschnitten der Bewegung gezogen werden, und da ergiebt
sich denn Folgendes:
1* Den Abductoren des Humerus gegen die Scapnia fallt eine viel
bedeutendere Bolle f£ü: die Gesammterhebung zu, als bisher allgemein an-
genonmien wird. Namentlich leistet der Deltoideus weit mehr, als ihm
nach dem alten Schema zuerkannt wurde, und neben ihm der Infra-
spinatus, der nach Fick und Weber (14) über 60^ der Abduetion hinaus
überwiegend zum Erheber wird, den Deltoides wesentlich unterstützt
und noch wirksam bleibt, nachdem die Kraft des Deltoides bereits auf-
gebraucht ist.
2* Die Wirkung der Scapuladreher setzt viel früher ein als bislang
gelehrt wurde und läuft wesentlich früher ab. Ja man kann geradezu
sagen, zwischen Abductoren und Drehern findet das umgekehrte Verhalten
statt, als das alte Schema dicürte.
3. Aber auch die genannten Muskeln reichen für die letzte Erhebung
allein nicht mehr aus, da ihre Kraft gewiss noch vor der höchsten Erhebung
des Armes erschöpft sein dürfte. Da tritt denn zuletzt noch ein Muskel
ein, dessen Portionen physiologisch bekanntlich streng zu trennen sind:
des Pectoralis major claviculärer Theil, welcher bei der schliesslich erreichten
Stellung des Systems in die Lage versetzt wird, als kräftiger Heranzieher
des erhobenen Humerus an die Mittellinie in Wirksamkeit zu treten. Sehr
leicht lässt sich sein finales Eintreten an der festen Gontraction am Lebenden,
sowie mittels kräftiger isolirter Faradisation nachweisen. Allerdings bedarf
es für ihn der vorherigen Feststellung des Schultergürtels, da er an diesem
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414 Steinhaüsbn:
sein panctnm fixum gewinnen mnss. Auch muss seinem durch die Lage
seiner Endpunkte bedingten, auf die Senkung des Armes nach vom ge-
richteten Moment das Gleichgewicht gehalten werden, eine Leistung, zu da
die äusserste Zusammenziehung des Infraspinatus wohl hinreichen därfte.
Auf eine derartige Mitwirkung des grossen Brostmuskels hat^ sUlerdings auf
Grund im XJebrigen nicht zutreffender Voraussetzungen, schon B. Bemak
1858 (15) hingewiesen.^ Nach ihm erfolgt im ersten Abschnitt der Arm-
erhebung die Feststellung der Scapula durch den Serratus, die PeotoraleSy
Ehomboidei, Cucullaris unter Contraction des Deltoides bis zur Horizontalen,
im zweiten „Luxirung^^ des Humerus nach unten durch den Infraspinatus
und Erschlaffen aller anderen Muskeln, und schliesslich bemächtigt sich im
dritten Abschnitt der Pectoralis major des Humerus und erhält ihn luxirt
4. Schon oben ist auf die mechanische Nothwendigkeit der mit der
Erhebung gleichzeitig sich vollziehenden Längsrotation des Oberarmes hin-
gewiesen worden.^ Bei stark nach innen rotirtem Arm ist bekanntlich, wie
bereits betont wurde, eine Erhebung in allen Ebenen nur bis höchstens
60^ möglich, sie steigert sich mit Abwickelung der um den Schaft auf-
gerollten Muskeln durch zunehmende Auswärtsroliung. Lasst man einen
Gesunden ohne Beeinflussung in natürlicher Weise den Arm erheben, so
tritt die AuswärtsroUung um 60 bis 9ü^ regehnässig und jedes Mal von selbst
ein, ein Beweis, dass mit den Abductoren die Auswärtsroller (Supra- und
Infraspinatus) innervirt werden und dass auch in dieser Beziehung der
Deltoides, dem selbst for einen Theil seiner Bündel ein Moment der Aus-
wärtsdrehung seiner anatomischen Lage nach faglich nicht abgesprochen
werden kann, an den Grätenmuskeln natürliche Synergisten besitzt
Für die Physiologie der Schultermuskeln ergiebt sich aus der ganzen
voraufgegangenen Darlegung der Schluss, dass die anatomische Abgrenzung
der Muskeln mit der physiologischen Wirkungsweise niemals völlig sich
deckt Hat man schon für den Trapezius, den Pectoralis major, den Del*
toides u. s. w. nachgewiesen, dass diese Muskeln physiologisch nichts weniger
als eine Einheit bilden, so wird man sogar nicht umhin können, zu sagen,
dass Abschnitte physiologisch zusammenwirkender, anatomisch dag^;en
geschiedener Muskeln sich näher stehen als Theile eines anatomisch ein-
heitlichen Muskels. Jedenfalls müssen die Dreher des Schulterblattes und
die Abductoren des Oberarmes physiologisch als ein Muskel, als ein ein-
heitliches System betrachtet werden, welches in sich so eng zusammen-
gehört, dass willkürlich einzelne Abschnitte daraus gar nicht innervirt
^ Auch B 66 vor (37) kam, und zwar auf ähnlichem W6g6, zu dem £rgebnias,
dass dieser Muskelabschnitt Erheber des Humerus ist
* Die Rotation im Röntgenbild darzustellen ist bei diesen Aubahmen nidit
geglückt
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Meohanibmus beb Sohultebbewegünoek. 415
werden können. Auch hierfür liefert den Beweis die Beobachtung am
Lebenden. Versucht man die Scapula während der Armerhebung noch so
fest am Bumpf zu fiiiren, so wird man sich, abgesehen von der Schwierig-
keit manueller oder instrumenteller Fixirung, überzeugen, dass die Abduction
des Armes gegen das Schulterblatt dann auch aufhört und keine weitere
Erhebung mehr ausführbar ist Damit soll selbstredend nicht behauptet
werden, dass der Serratus nicht für andere Bewegungen als die Armerhebung
auch getrennt willkürlich in Thätigkeit versetzt würde.
Es kann hiernach von Antagonismus z. B. zwischen Serratus und
Deltoides nicht mehr, höchstens von einem Pseudo-Antagonismus im Sinne
Hering's für die kritische Betrachtung die Bede sein, wobei aber inmier
festzuhalten ist, dass die Muskelwirkung am gesunden Lebenden einen
F&eudo-Antagonismus ebenso wenig kennt. Bei Lahmungen wird das Zu-
sammenwirken freilich gewaltsam geändert, und die klinische Erfahrung
lehrt, dass bei den mehr oder weniger plötzlich entstandenen Lahmungen
des Serratus, Deltoides und Trapezius, falls diese Muskeln isolirt betroffen
sind, immer eine gewisse Zeit vergeht, ehe der neue Innervationsmodus
erlernt wird. Auch aus dieser Thatsache erhellt die enge, vererbte oder
früh erworbene Verknüpfung des Grebrauches der Schultermuskeln.
Der Sinn der Ausschliessung jedes Antagonismus ist zweckmassige
Eraftersparniss, d. h. Verwendung von nur so viel Muskelarbeit, als eben
fÄr die jeweilige Leistung erforderlich ist „Wir lernen," sagt A. Fick (16)
in seiner specieUen Muskelphysiologie, „im Verlaufe des individuellen Lebens
die Bewegungen so ausführen, dass das Gefühl der gesanmiten Anstrengung
und des damit verknüpften Unlustgef übles ein Minimum wird, und dass
die Arbeitsleistung mit dem geringsten Aufwand von Material hervorgebracht
wird." Jede Annahme eines habituellen Antagonismus würde dem Princip
des geringsten Kraftaufwandes widerstreiten. Auch Hitzig (17) wies ge*
legenüich der Erörterung über die Symptomatologie der Serratnslähmung
auf diese Frage hin.
Es bereift sich schliesslich, dass in: der Symptomatolc^e isolirter
Lähmungen des Serratus und Trapezius, beides Dreher des Schulterblattes,
die Horizontale bei der Erhebung des Armes eine Grenze gar nicht abgeben
kann, und dass mit erhöhter Genauigkeit der Beobachtung und strengerer
Ausschliessung der Betheiligung anderer Muskeln an der Lähmung in den
letzten Jahren die verhältnissmässig hohe Erhebung des Armes in zu-
jaehmender Häufigkeit beobachtet worden ist [Hoffmann (10), Bäum-
ler (7), Bruns (8), Jelly (18), Placzek (19), v. Bad (20), Clutton (21),
Tilmann (22), Gaupp (4), Kennedy (26) u. A.].
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416 Steikhaüsek:
n.
Die Längsdrehang des Schlflsselbeines und die Bedeatnng des
Processus coracoides bei der Armerhebung.
Wenn der im ersten Theil nntemommene Versuch einer näheren Fest-
stellung des zeitlichen Zusammenhanges zwischen der Drehung 4es Schulter-
blattes und der Armerhebung ein Neues ergeben hat, so kann dies nur von
der Beobachtung am Lebenden selbst herröhren, auf welche zurückzugehen
sich immer wieder als unabweisliche Forderung aufdrängt. Die auf das
Studium des anatomischen Präparates sich beschränkende Betrachtung be-
dingt mit Nothwendigkeit allerlei willkürliche und subjectiv gefärbte Auf-
fassungen, wofar die Ursachen, soweit sie anatomischer Natur sind, leicht
erkennbar; eine Erörterung derselben würde hier zu weit führen.
Die Beobachtung der Bewegungen des Schultergürtels am Lebenden
führte mich zu der Frage nach dem mechanischen Zusammenhang der
Bewegungen des Schlüsselbeines mit denen des Schulterblattes. Der Um-
stand, dass die Schlüsselbeinbewegungen nicht allgemein hinreichend ge-
kannt, vielfach sogar falsch aufgefasst werden, dass die in der Litterator
niedergelegten Beobachtungen mit den Verhältnissen am Lebenden nicht
immer übereinstimmen, und dass namentlich die jüngste und wichtigste
der einschlägigen Arbeiten, die schon im ersten Theil mehrfach erwähnte
von Gaupp (4), zu mehreren meiner Ansicht nach irrigen Anschauungen
geführt hat, dürften es rechtfertigen, wenn ich die gewonnenen Ergebnirae
hier mitzutheilen mir gestatte.
üeber die Grosse des Antheiles der beiden Gelenke des Schlüsselbeines,
des Stemal- und des Acromialgelenkes, an den Annbewegungen ist vielfach
gestritten worden, sicher zum Theil mit Unrecht, denn 1. bestehen be-
trächtliche individuelle Abweichungen, auf welche im Folgenden hmgewiesen
werden soll; 2. differirt nach Braune und Fischer (12) der Antheil nach
den Flexionsebenen nicht unwesentlich; 3. wird die Betheiligung auch des
Acromialgelenkes selbst von Henke (26), dem Verfechter der Lehre v(m
der „allseitigen Beweglichkeit des wie ein unbew^liches Stück sich ver-
haltenden Schultergürtels um das Stemalgelenk'^, keineswegs gänzlich ge-
leugnet, und 4. schliesslich müssen die Vertheidiger des angegriffenen
Acromialgelenkes, wie Gaupp z. B., trotz aller einschränkender Versndie
auch dem Stemalgelenk seine nicht viel kleineren Ansprüche zuerkennen«
Lnmerhin muss Henke's Ansicht in einem gewissen Sinne als richtig
gelten, denn zweifellos giebt es Individuen, bei denen die Verbindung
im Acromialgelenk straff ist und verhältnissmässig sehr wenig Spielraum
übrig lässt
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MeOHANIBMUS DBB SOHÜLTBBBEWBOUNGBN. 417
Was die absolute GrOsse der Excnrsion des Stemalgelenkes in den
verschiedenen Ebenen betnfit, so schwanken die Angaben darüber nicht
nnbeträchilich: nach den meisten Anatomen betragt sie 45 bis 50^ nach
Albert (11) sogar 60^; nach Braune und Fischer (12) geht der Antheil
des Gelenkes an den Bewegungen des Schultergfirtels bis zu 38 ^ Jeden-
falls ist die Bolle, die dem (Gelenk als der einzigen Skeletverbindung
zwischen Schultergürtel und Bumpf zufallt, eine mechamsch wichtige, wie
dies auch in den verschiedenen Auffassungen der Anatomen sich ausspricht
Wird das Schlüsselbein als Stütze, als „Strebepfeiler^^ für die Schulter
allgemein bezeichnet [Hyrtl (24), Henle (2)], so erscheint es Anderen
[Lewinski (6), Krause (27)] als die Bleuelstange für den Eurbel-
mechanismus der Bewegungen des Schultergürtels, nähert es sich nach
O. H. Meyer (23) der Bedeutung eines Meniscus.
Es ist aufTallend, dass die Drehung des Schlüsselbeines um seine Längs-
aie bei der Armerhebung, eine bei der Mehrzahl der Menschen leicht zu
constatirende Thatsache, so wenig gekannt, von mancher Seite sogar in Ab-
rede gesteUt wird, z. B. von Testut (30) und Poirier (31), oder auf ein
Minimum reducirt wird, so z. B. von Krause (27). Als Erster scheint
G. H. Meyer (23) auf eine Längsdrehung hingewiesen zu haben, allerdings
als auf eine gegensinnige. Erst viel später wurde Bfidinger (44) bei dem
Studium der Entstehung hoher Plexuslähmungen am Cadaver auf die Drehung
von Neuem aufmerksam, und zwar in dem richtigen Sinne, dass nämlich
die vordere Kante der Glavikel gehoben, die hintere gesenkt wird. Dann
aber hat Gaupp, von dem pathologisch veränderten Mechanismus der
Cucollarislähmung ausgehend, die Drehung der Clavikel zum Gegenstand
einer eingehenden Prüfung gemacht.^ Hatte Büdinger — und nach
ihm auch Krön — am Präparat studirt, so stützte sich Gaupp aach
auf die Beobachtung am Lebenden. Leider aber hat er nur ein einziges
Modell vor sich gehabt, und so entgingen ihm die durch grosse indivi-
duelle Schwankungen bedingten Yerschiedenheiten. Bei der Bedeutung
von Gaupp 's Aufisatz muss hier noch auf einige Punkte eingegangen
werden, die auf Grund meiner Untersuchungen einer Berichtigung bedürfen.
Zunächst ging auch er von der, wie im ersten Theile gezeigt, irrigen An-
sicht aus, dass der Deltoides den Arm nur wenig über 90^ gegen die
Scapula abducire, eine Annahme, die das richtige Yerständmss der Arm-
und Schulterbewegungen geradezu unmögUch macht Sodann verl^ er,
wie auch Büdinger, die Drehung der Clavikel auf das Ende der Arm-
* Es ist such nicht recht verständlich, wenn in einer Besprechung der Gsnpp'-
sohen Arbeit Merkel (88) von der Drefanng der Clavikel, einem der wichtigsten Punkte
der Arbeit, keine Notis nimmt.
Archiv CA. n-Ph. 1899. PhysioU Abthl«. BnppL 27
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418 Steinhaüsen:
erhebong, wahrend bei den Menschen, bei denen überhaupt eine Drehong
erkennbar — also der Mehrzahl — dieselbe schon viel früher stattfindet
und bereits abgelaufen ist» lange, bevor der Arm die senkrechte Erhebung
erreicht hat. Femer lässt Gaupp den Trapezius als Botator der Clavikel
auftreten, eine Auffassung, die ich sonst von keiner Seite habe bestätigt
finden können. Ist der Muskel Rotator, so kann er es nur in dem von
Meyer ausgesprochenen Sinne sein, dass er die hintere Kante, an der er
sich ansetzt, hebt, die vordere senkt Es entspricht dies nicht nur der Art
der Anbefkung des claviculären Abschnittes des Muskels, sondern auch der
bei vielen Individuen, bei etwa 30 Procent meines Untersuchungsmateriales,
zu beobachtenden, im Sinne Meyer' s erfolgenden schwachen Drehung beim
Heben der Schulter, welches gerade der obere Theil des Trapezius zu be-
sorgen bestimmt ist. Diese Bewegung ist aber strengstens von der die
Armerhebung begleitenden zu unterscheiden, worauf auch Gaupp nach-
drücklich hinweist Bei den Schulterbewegungen allein macht das Schlüssel-
bein ungleich grössere Excursionen im Stemalgelenk durch, als bei den
mit Armerheben verbundenen. Wäre der Trapezius ein Botator, wie
Gaupp annimmt, dann müsste sein Ansatz über die obere Fläche der
Clavikel bis zur vorderen Kante hinübergreifen; dies bestätigt sich aber
weder am Lebenden, noch an der Leiche. Schliesslich muss noch auf einen
Irrthum hingewiesen werden, welcher Gaupp unterlaufen ist, indem er sich
auf Braune's und Fischer's IJntersuchungsergebnisse beruft und sagt,
dieselben stellten die Hauptausgiebigkeit der Verbindung zwischen Acromion
und Clavicula in üebereinstimmung mit seinem Ergebniss in der Nähe der
Frontalebene fest Gerade das Gegentheil ist der Fall: Das Stemodavicular-
gelenk betheiligt sich am meisten in der Nähe der Frontalebene, wie die
Yer&sser dies noch im Anschluss an pathologische Beobachtungen erläutern.
Zunächst sei nun das Ergebniss der Untersuchung an einem grösseren
lebenden Material mitgetheilt Ich habe etwas über 100 junge Männer,
theils bereits bei der Truppe gediente, theils auf ihre Tauglichkeit unter-
suchte, von jeder Art des Schulter- und Rumpfbaues und jedem Grade der
Muskelentwickelung einer Prüfung der Schulter-, insbesondere der Schlüssel-
beinbewegungen unterworfen. Als besonders geeignet erwiesen sich einer-
seits solche mit geringem Fettpolster, andererseits solche mit Deformitäten
des Schlüsselbeines nach den ja nicht seltenen Fracturen, mit Knochen-
auftreibungen, vorspringenden Kanten, starker geschwungenen Krüm-
mungen u. s. w. Die Lage des Knochens unmittelbar unter der Haut er-
möglicht ein ausgiebiges Palpiren, in welchem ein gewisser Grad von
Genauigkeit durch Uebung bald zu erreichen ist Besonders aber eignet
sich das stemale Ende des Knochens in seiner dreikantigen, meist noch
durch Leisten und Yorsprünge an den Ecken und Bändern ausgezeidmeten
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Mechanismus der Sghultbhbeweoungen. 419
Gestalt zur Controle der Drehung; gerade hier ist die Haut relativ fett-
arm und sehr Terschieblich, so dass die Epiphyse leicht sich umgreifen und
alle Ortsveränderungen deutlich fühlen lasst
Die Bewegungen wurden in den verschiedensten Graden der Geschwin-
digkeit und mit belastetem wie mit unbelastetem Arm geprüft, wobei für
den Ablauf. der Skeletbew^ungen bemerkliche Unterschiede nicht statt-
haben. Es wurden sowohl die Bewegungen der Schulter nach allen Sich-
tungen als auch die Armerhebung in allen Ebenen zum Gegenstand der
Untersuchungen gemacht Die nachstehenden Mittheilungen jedoch beziehen
sich vorzugsweise auf die Bew^ungen, besonders die Längsdrehung der
Clavikel bei der Armerhebung als die physiologisch wichtigsten und inter-
essantesten. Die Schulterbewegungen ohne Betheiligung des Armes sind
weniger complicirt und lassen sich ihrer mechanisch einfacheren Verhält-
nisse wegen leicht aus den combinirten Arm-Sohulterbewegungen ableiten.
Bei der Armerhebung vollzieht das Schlüsselbein Ortsveränderungen,
die hauptsächlich in der horizontalen Ebene verlaufen. Nur im Beginn
der Abduction in allen Ebenen findet eine geringe Erhebung des Acromial-
endes um eine anni^emd sagittale Axe im Stemalgelenk statt, die aber
willkürlich unterdrückt werden kann.^ Die rein horizontale Adduction der
Clavikel, die regelmässig im Verlauf der gesammten Armerhebung eintritt,
ist keineswegs eine einfache Drehung um einen festen Punkt einer senk-
rechten Axe, sondern eine complicirtere , individuell in weiten Grenzen
diflforirende Bewegung, wie sie dem unbestimmten Charakter des Stemal-
gelenkes und seiner Vielgestaltigkeit entspricht, in Folge deren dasselbe
theils als Synchondrose (Heule, Waldeyer), theils als der Arthrodie nahe
stehend aufgefasst wird. Eine Bewegung in Form eines Doppelkegels, welche
von Foirier und Testut beschrieben wird, dürfte, soweit ich gefunden,
nur selten vorkonunen und nicht die Regel bilden; häufiger dagegen sind
seitliche Verschiebungen der Gelenkflächen, variirt durch die eingelagerte
Bandscheibe, in allen Nuancen zu beobachten. Schon von vornherein aus
dem anatomischen Bau lässt sich schliessen, dass auch die Längsdrehung
der Clavikel nicht ganz constant sein wird.
Nimmt man der Einfachheit halber ein schematisches Stemalgelenk
mit einem Drehpunkt für alle Bewegungen an, so schwankt die Wate
der horizontalen Excursion der Clavikel bei der Armerhebung zwischen 20
und 26 ^ Dieser Winkelaussohlag entspricht den von Waldeyer (28)
^ Dieselbe ist an einer Anzahl von Individuen von mir im Verein mit Dr. Bleck
mittels senkrecht hängenden and über BoUen laufenden Gewichten gemessen worden
and betrag bei mittlerer Körpergrösse dorchschnittlich 1*8<>". Gaupp stellt diese
Erhebung ganz in Abrede.
27*
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420 Steinh AÜ8EN :
angestellten Messungen:^ Annäherung des Aoromialendes der Glavikel um
6 bis 7^ an die Medianebene, welcher die Scapola folgt und wodurch
das mit der Anssendrehnng des Angulus scapulae sonst nothwendig er-
folgende zu weite seitliche Heraustreten ausgeglichen wird.
Mit dieser Adduction verbindet sich eine Langsdrehung des Schlüssel-
beines, welche den grössten indiyiduellen Schwankungen unterworfen, häufig
sogar auf beiden Seiten bei einem und demselben Individuum verschieden
ist Wie im ersten Theil seien auch hier die vier Achtelkreise der frontalen
Erhebung von 0—45—90—135—180® unterschieden. Ohne Zwang ergab
sich eine Eintheilung aller Untersuchten in folgende 8 Gruppen:
1. Gruppe — etwa 10 Procent — mit ausgesprochener Drehung wäh-
rend der ganzen gleichmässigen Adduction des Schlflsselbeines;
2. Gruppe — etwa 30 Procent — ohne jede erkennbare Drehung mit
vielmehr rein horizontaler Adduction;
3. Gruppe — 60 Procent — mit Drehung und Adduction in den ver-
schiedensten Combinationen zu einander.
Die ausgiebigste Drehung der ersten Gruppe verlauft nun während des
1. bis 3. Achtelkreises der frontalen Armerhebung, dauert noch etwa bis in
den 4. hinein, hört aber stets bei etwa 150® ganz auf.
Die reine Adduction ohne alle Drehung der 2. Gruppe beginnt mit
dem 2. Achtelkreis und dauert bis in den 4. hinein, endigt aber ebenfalls
stets bei ungefähr 150®.
Für die 3. Gruppe ist bezeichnend, dass alle möglichen Uebergänge
zwischen den beiden anderen Gruppen beobachtet werden können. Die
Drehung fällt bald starker, bald geringer aus, sie tritt bald früher, bald
q)äter auf. Ueberwiegend fallt ihr Beginn erst in das Ende des 2. Achtel-
kreises, sie tritt also später als die Adductionsbewegung auf und fiberdauert
den 3. Achtelkreis nicht, während alsdann die Adduction noch fortdauert^
und zwar wiederum stets nur bis zu ungefähr 150® der Armerhebung.
Die Grösse der Längsrotation der Clavikel schwankt hiemach in ziem-
lich weiten Grenzen, sie beträgt in maximo etwa 25® und durchläuft alle
Werthe bis zu 0® herab. Jedenfalls aber — und das ist das wichtigste
Ergebniss — steht die im ersten Theil erläuterte Drehung der Scapula mit
der der Clavicula in einem bestimmten gesetzmässigen Zttsanmienhang.
Dieser Zusammenhang würde zunächst wie folgt zu formuliren sein:
1. Die Drehung der Clavicula liegt zeitlich innerhalb der Drehungs-
dauer der Scapula und hält nicht über diese hinaus an.
^ Waldeyer's von ValentiD (29) in einem damaligen Beferat f^würdigtes Yer-
dienst ist es, auf die typischen Addactionsbewegangen der Clavicala saerst hinge-
wiesen zu haben.
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MeOHAKISMITS D£B SCHUliTBBBEWBaUKGfilf. 421
2. Die horizontale Adduction der Clavicala li^ ebenfalls innerhalb
der Drehungsdauer und hält nicht über diese hinaus an.
S. Dass sowohl die Drehung wie die reine Adduction spater als die
Drehung der Scapula beginnt, lässt voraussetzen, dass in beiden Fällen die-
selben mechanischen Ursachen den späteren Eintritt bedingen.
4. Beide Bewegungstypen ersetzen sich wechselweise und gehen in
einander über, sie erfüllen daher eine und dieselbe physiologische Aufgabe.
Ebenso wie die Scapula bleibt auch die Clavicula bei einer Armerhebung
von etwa 150^ fest stehen, und zwar bei der Mehrzahl der Individuen fast
unbeweglich, d. h. dieselbe macht bei der weiteren Armerhebung bis zur
Senkrechten und über diese hinaus keine oder keine irgend erh^lichen
Bew^ungen mehr durch. Diese finale Feststellung des Schultergürtels,
welche ihre Analogie zu der im ersten Theile beschriebenen Fixirung der
Scapula findet, lässt sich an jedem Lebenden leicht bestätigen.^
Aus den vorstehenden Sätzen, die unmittelbar der Beobachtung am
Lebenden entstammen, lassen sich nun Schlüsse auf die Betheiligung der
Gelenke und die Mitwirkung der Muskelkräfte ziehen. Die individuellen
Verschiedenheiten^ im Bau der (Gelenke genügen zur Erklärung der beiden
hauptsächlichen Bewegungstypen nicht, offenbar müssen die Unterschiede
zwischen beiden in gleichem Maasse von der Länge des gesanmiten Band-
apparates und dem von diesem gewährten Spielraum abhängen. Es handelt
sich einerseits um die die beiden daviculären Gelenke unmittelbar ver-
stärkenden Bandmassen, sodann aber auch um die zwischem dem Processus
ooracoides und dem Schlüsselbein eingeschalteten Ligamente. Für die
1. Gruppe würde Henke mit seiner starren Auffassung des Schnltergürtels
so Unrecht nicht haben, da die Beweglichkeit des Acromialgelenkes und
seine Bethäligung gegenüber der des Sternalgelenkes entschieden nur gering
ausfallt. Für die übrigen Gruppen dagegen wird, und zwar um so mehr,
je weiter die Adduction die Drehung vordrängt, dem Acromialgelenk ein
grösserer Antheil zuzuerkennen sein. Durch Einbeziehung dieser indi-
viduellen Differenzen dürften auch die Braune-Fischer'sehen Werthe
eine nicht unwesentliche Modification erfahren.
Bezüglich der Bewegungen im Acromialgelenk, welche von den Ana-
tomen als solche des „Gleitens'^ au%efasst werden, wäre hier noch zu
^ Man mnss sich hierbei nur von dem stark contrahiiten PectoraUs major nicht
tänaohen lassen.
* Diese beschreibt He nie in Bezog anf das Acromialgelenk in sehr charakte-
ristischer Weise (Bänderlehre, S. 65): „Zwischen den einander zugewandten Endflächen
des Acromion nnd der Clavicala, welche bald plan, bald leicht vertieft oder leicht
gewölbt nnd nicht ganz selten aneben sind, liegt eine bind^ewebige Substanz, deren
verschiedenartige ZerklQftangen dem Qelenk eine wechselnde Form geben u. s. w."
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422 Steinhaüsbn:
erwähnen, dass sie viel unbestimmter ausfallen müssen, als die des Stemal-
gelenkes. Für dies Gelenk bedingt schon die ausser der Drehung stets
sich abspielende Adduction an die Medianebene eine etwas grossere Constanz
im anatomischen Bau.^
Bevor ich mich der Besprechung der Aufgabe zuwende, welche der
Processus coracoides als der zweite Stützpunkt zwischen Scapula und Cla-
vicula zu erfüllen hat, sei noch kurz die Frage erörtert, welche Muskeln
etwa für die Drehung und Adduction der Glavicula bei der Armerhebung
in Thätigkeit treten. Von der kleinen Gruppe von Muskeln, welche un-
mittelbar an der Glavicula ihren AngriÖ'spunkt haben, kommt f&r dfe
fraglichen Bewegungen wohl nur der Trapezius in Betracht Es wurde
bereits darauf hingewiesen, dass er mit seinem claviculäxen Abschnitt als
Dreher in dem bewussten Sinne zu wirken nicht wohl im Stande ist
Zweifellos Adductor der Glavicula, besitzt er eine auf die Erhebung des
Acromialendes derselben gerichtete Gomponente, welche die bloss addudrende
überwiegt; mit jeder Adduction verbindet sich beim Lebenden eine Er-
hebung, oder mit anderen Worten: die Contraction des Trapeeius heisst
die Clavikel ein Stück eines Kegelmantels beschreiben, welcher zur hori-
zontalen Ebene tangential gestellt ist, und welcher wegen seines kleinen
Radius nicht lange in der Nähe dieser Ebene bleibt Nun ist aber die
Erhebung der Glavikel um eine sagittale Axe im Sternaigelenk für die
Armerhebnng geradezu zweckwidrig; erhebt man zuerst die Schulter starker
und dann den Arm, so kann dieser erst zur Senkrechten erhoben werden,
nachdem die vorher aufgerichtete Glavicula wieder herabgestiegen ist, eine
unter Erschlaffen des Trapezius für die volle Wirkung des Serratus voraus-
zuschickende Gorrection, welche bedeutet, dass der claviculäre Trapezius bei
der Armerhebung nur in untergeordnetem Maasse betheiligt ist
Aehnlich liegen die Dinge für die Wirkung des Gleidomastoideus; dieser,
vom oberen Rande des stemalen Endf3S entspringend (Henle), ist nicht
geeignet, dem Schlüsselbein eine nennenswertbe längsrotirende Bewegung
zu ertheilen; seiner anatomischen Lage nach fallen ihm ganz andere Auf-
gaben zu. Dass er die Glavikel in demselben Sinne wie der Trapezius
ttufrichten, d. h. um eine ungefähr «agittale Axe, um das Sternaigelenk
drehen kann, ist nicht zweifelhaft, aber damit ist hier auch nichts ge-
wonnen.
Als dritter Muskel wäre der Feotoralis major zu nennen, der, am
Unterrand entspringend, kein Dreher in dem beregten Sinne und auch
als solcher nicht bekannt ist. Ebenso wenig dürfte diese Eigenschaft den
^ Den Bau dieses Gelenkes anf einfache Typen zarfickznfQbren hat schon Lndwig
{Phjfsiologie, Bd. I. S. 518) versneht, jedoch ohne rechten Erfolg.
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MbOHAIOSMüS DEB dOHUIiTERBBWBGÜKGBK. 428
noch übrig bleibenden Muskeln, dem Deltoides und dem SubolaviuS; zu-
zusprechen sein.
Es muss also sowohl für die Drehung, als auch für die horizontale
Adduction der Glavikel nach einer anderen, auf dieselbe erst mittelbar
einwirkenden treibenden Kraft gesucht werden. Diese kann keine andere
sein, als die Uebertragung der Scapulardrehung auf die Clavikel, wobei die
letztere sich passiv verhält Die Art, wie ihr die Drehung der Scapula
aufgezwungen wird, wird je nach dem Ueberwiegen des einen oder des
anderen Bewegungstypus verschieden sein müssen, ist aber physiologisch
gleichwerthig. Diese Gleichwerthigkeit beider Typen ergiebt sich daraus,
dass es, wie die gewöhnlichste Erfahrung lehrt, keinen Unterschied macht,
in welchen von beiden die Scapulardrehung umgesetzt wird. Dass die
grösser^ oder geringere Straffheit des Bandapparates dabei eine wichtige
KoUe spielt, wird noch näher zu erörtern sein.
Den Weg der Uebertragung der Scapulardrehung auf die Clavicula
bildet nur zum geringeren Theil das Acromialgelenk, ein viel wichtigeres
Mittelglied ist im Processus coracoides gegeben, welcher — man muss es
geradezu so bezeichnen — eine besondere und eigenthümliche Art von
„Gelenkverbindung^^ mit dem Schlüsselbein besitzt, und zwar nicht als
Anomalie, sondern als Regel
Schon Henke (25) spricht davon, dass der Processus coracoides an
die vordere Kante des Schlüsselbeines anstosse. Nach ihm dient das An-
stossen indessen nur zur Beschränkung der Beweglichkeit zwischen Schlüssel-
bein und Acromion« Sonst findet sich das Anstossen so gut wie gar nicht
beachtet — . bis zu Qaupp 1894 hin, der aber, wie erwähnt, die Drehung
der Clavikel hauptsächlich dem Trapezius zuschreibt, und in ähnlichem
Sinne wie Henke durch das Anstossen des Processus coracoides beide
Knochen zu einem unbeweglichen „Ganzen^ durch einen „Sperrmechanismus''
werden lässt, wie dies, allerdings für die Minderzahl, zutrifit
Bei dem Anstossen hat man es seither bewenden lassen und merk-
würdiger Weise den weiteren Schritt zur Würdigung der Typen des coraco-
claviculären Mechanismus nicht gethan.
Dass tbatsächlich von anderen Skeletverbindungen abweichende, aber
dem echten Gelenk nahestehende Beziehungen zwischen dem Processus
und der Clavikel vorliegen, dafOr ist eine wenig gekannte Aeusserung von
Luschka (34) charakteristisch, welche wörtlich wiederg^eben sei, weil sie
beweist, dass es sich hier nicht um seltene Anomalien handelt, wie Henle,
Gaupp, Hyrtl u. A. wollen: „Das platt gedrückte Acromialende der Cla-
vicula ruht nach innen auf dem Processus coracoides, mit welchem sie
durch das Ligamentum coracoclaviculare verbunden ist. Li die nach vom
und innen offene Nische zwischen den beiden Theilstreifen dieses Bandes
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424 Steinhaü8£n:
(Lig. coracoides und trapezoides) ist ohne Ausnahme ein Schleimbentel ein-
geschoben, welcher aber vom fibrösen Gewebe derselben so umschloeBen
wird, dass er wie die Höhle einer Articulatio coracoclavicularis erscheint,
was um so tauschender wird, als die jenen Bändern zur Anheftung dienenden
EnochensteUen stets einen faserknorpeligen XJeberzng haben.'' Diese üeber-
kleidung mit Faserknorpel bezeichnet auch Henle ids durchaus regelmässig.
Aehnlich spricht sich Gurlt (35) aus „über den gar nicht selten zu einem
Oelenk sich ausbildenden Schleimbeutel''. Um auch ein gegentheiliges
IJrtheil anzuführen, lässt Sappey (36) zwar auch den Processus coracoides
sich an die Clavicula anlegen, „mais ponr cette union il n'y a ni surfao^
articulaires ni synoviales". *
Man wird jedenfalls zu dem Schluss gedrängt: Ist hier stets eine
gelenkähnliche Bildung, häufig sogar ein echtes Gelenk vorhanden; ist ein
faserknorpeliger Ueberzug ausnahmslos an den Gelenkflächen zu finden,
dessen Anwesenheit allein schon auf besondere mechanische Anforderungen
hinweist, die über ein blosses Anstossen der Knochentheile hinausgehen, —
dann müssen doch auch die mechanischen Bedingungen dafür gegeben sein;
es muss sich um mehr als ein einfaches Anlegen des Processus an die
Clavicula handeln.
Am Lebenden geht der Ablauf des Mechanismus so von statten, dass
beim Beginn des Armerhebens zuvörderst ein bei der Buhe nur unvoll-
ständiger Gontact des Processus mit der Clavicula erreicht werden muss.
Beim passiven Herabhängen des Armes beträgt, wie die Röntgendurch-
leuchtung lehrt, der Yerticalabstand beider Theile ungefähr 1 '^, hergestellt
durch Schleimbeutel, Bänder und Enorpelüberzüge. Bei Belastung der
Schulter vermindert sich der Abstand, wenn nicht zugleich Drehung der Sca-
pula eintritt, nur unbedeutend, wird aber sofort geringer, sobald die Scapula
irgend eine ihrer typischen Bewegungen vollzieht Es sind vier Arten von
Scapularbewegung, welche Annäherung zur Folge haben, zu unterscheiden:
1. Durch die Drehung der Scapula um eine nahezu sagittale Axe im
Acromialgelenk, bewirkt durch Contraction des Serratus und Trapezius,
wird der Processus coracoides gehoben, etwas medianwärts gedreht und so
der Clavicula näher gebracht.
2. Die schon erwähnte initiale Erhebung des Acromialendes der Cla-
vicula verkleinert den Winkel, der von ihrer Längsaxe mit einer die Spitze
des Acromions und den unteren Winkel der Scapula verbindenden Graden
bildet, und in diesem Winkel liegt der Processus, so dass eine Annäherung
desselben an die Clavicula erfolgen muss.
3. Auch die horizontale Adduction der Clavicula, welcher die Scapula
auf der dorsalen Thoraxfiäche folgt, bringt den Processus der Clavicula
näher.
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MeGHAKISMÜS DBB SOHULTBBBBWEGü^^GEN. 425
4. ffierzu tritt noch far die sagittale Armeifaebung die entgegen-
gesetzte laterale Verschiebung der Scapola hinzn, in Folge deren der spitze
Winkel zwischen Glavicala und Scapularebene eine Yergrösserung erföhrt,
die wiederum eine Annäherung bewirken muss.
Es sei hier kurz der Unterschiede gedacht, welche für den Mechanismus
statt haben zwischen der frontalen und sagittalen Armerheburg. Dreht
sich, wie im erst.en Theil bereits gesagt, die Scapula in den beiden ersten
Achtelkreisen der sagittalen Erhebung unter gleichzeitiger lateraler Ver-
schiebung rascher als bei der frontalen, so bringt für den dritten und vierten
Achtelkreis die Beadduction der Scapula an die Wirbelsäule eine Abweichung
hervor. Hiemach müsste denn auch die Längsdrehung der Glavicula etwas
früher ablaufen, als bei der frontalen Erhebung, und dies ist in der That
der FalL Naturgemäss tritt auch bei sagittaler Erhebung das Fixirtwerden
des Schultergürtels schon etwa 30^ vor Erreichung der Senkrechten ein.
Die auf welchem Wege auch immer bewirkte Annäherung des Anfangs
abstehenden Processus beansprucht eine gewisse Zeitdauer, und wir finden
hier somit die anatomische Erklärung für den am Lebenden beobachteten,
gegen die Scapuladrehung verspäteten Beginn der Clavicularbew^ung. Ist
nun der Contact hergestellt, so hängt alles Weitere von der grosseren oder
geringeren Straffheit der Gelenks- und Hül&bänder ab. Es entspricht den
Verhältnissen am Lebenden, wenn die beiden Typen der Adduction mit
Drehung und der horizontalen Adduction ohne alle Drehung auch hier
scharf getrennt werden.
a) Bei kurzem, straffem Bandapparat wird die Glavicula so an den
Processus fixirt, dass sie, alle freie Beweglichkeit einbüssend, der weiteren
Scapulardrehung zu folgen gezwungen wird. Die relative Kürze der coraco-
olaviculären Bänder gestattet der Glavicula nicht, auf der Fläche des Pro-
cessus entlang zu gleiten; diese und die untere Claviculafläche legen sich
vielmehr und mit weiterer Scapulardrehung zunehmender Festigkeit an
einander, und so wird ein Mechanismus geschaffen, der vollkonunen dem
ans der Statik bekannten „Bad an der Welle^ entspricht. Das Stemal-
gelenk wird zum Axenlager; von den treibenden Kräften fällt dem mit
seiner Hauptmasse an dem unteren Winkel angreifenden Serratus das
denkbar günstigste statische Moment zu. Die mit der Drehung der Gla-
yikel verbundene Adduction übermittelt gleichfalls der auch seitlich immerhin
drehbare Processus coracoides, der sich um so mehr der Medianebene
nähert, je weiter der untere Schulterblattwinkel sich von ihr entfernt, da
der Drehpunkt zwischen diesem und dem Processus liegt
b) Bei lockerem und genügende seitliche Verschieblichkeit zulassendem
Bandapparat erhält die Clavikel freien Spielraum, der drehenden Wirkung
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42Ö Stbinhaüben:
des Processus auszuweichen. Dieser wird im Verlauf der Drehung zu einer
mehr und mehr geneigten schiefen Ebene, auf welcher die Clavicula hinab-
gleitet, ohne ihre horizontale Lage aufgeben zu müssen, oder anders aus-
gedrückt: der Processus gleitet am Unterrand der Clavicula vorbei, ohne
sie in seine Bewegung hineinzuziehen. Die gleichzeitige Adduction wird
durch den andringenden Processus in demselben Sinne wie unter a) be-
wirkt, indem dessen Convexitat, in der KrüDunung der Clavikel liegend,
diese horizontal heranschiebt und ein Ausweichen der Clavicula unm^-
lich macht.
Wenn die beiden Typen in ihrer xeinen Form, wie schon oben gesagt,
in der Minderzahl bleiben, so sind um so häufiger die Uebergänge zwischen
beiden, die aber alle auf diese selbst zurückzuführen sind. Offenbar müssen
daher die sich zugekehrten Flächen der betreffenden Enochentheile nach
ihrer Gestaltung geeignet sein, den Anforderungen beider Typen der
Clavicularbewegung sich anzupassen, dann aber müssen die Flächen auch
am Skelet ihre physiologische Zusammengehörigkeit erkennen lassen. Das
.ist nun zweifellos der Fall. Die glatte, einer Gelenkfläche durchaus ähn-
liche Beschaffenheit der unteren Clavicularfläche in der Mitte ihrer distalen,
nach vom offenen Krümmung, von der Gestalt ungefähr eines B^lb-
mondes, findet sich ebenso constant wie die geglättete, zum Gleiten vor-
gebildete convexe Oberfläche des Processus. Ich hatte an einer grosseren
Anzahl von Skeleten und frischen Leichen mich hiervon zu überzeugen
Gelegenheit
Die enge Zusammengehörigkeit andererseits ergiebt sich indess nicht
bloss aus den einander zugekehrten Flächenstücken, sondern auch aus der
Grundform beider Enochentheile: der concave Ausschnitt der Clavicula
einerseits und der der Clavicula Anfangs fast senkrecht nach oben entgegen-
strebende, dann in seine Krümmung sanft umbi^ende und in zwei auf
einander senkrechten Ebenen convex geformte Processus. Welche andere
Bedeutung sollte die Krümmung der Clavicula sonst haben? Eine andere
Antwort als die hier versuchte kann ich auf diese Frage nicht finden.
Zu Gunsten der in Bede stehenden Erklärung lassen sich mehrere ge-
wichtige Umstände anführen.
1. Der Ausschnitt der Clavicula hat stets annähernd die Form eines
Kreissegmentes, und zu diesem Segment ist der Processus coracoides stets
bei herabhängendem Arm radiär gestellt. Man kann sich hiervon an jedem
Skelet überzeugen, an welchem die natürliche Lage des Schultergürtels
nicht durch eine künstliche Befestigung entstellt ist Auch hier kann
Henle als Zeuge genannt werden, der, bekanntlich ein genauer Beobachter
und Zeichner, in einer aus der Vogelschau gesehenen Figur (Fig. 198 der
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Mechanismus deb Sohültbbbewegukoen. 427
Knochenlehre) dies Verhalten, wohl ohne dessen Darstellung beabsichtigt
2ü haben, wiedergiebt Ganz unzutreffend ist zweifellos die Annahme
(z. B. von G. H. Meyer) ^, der Processus coracoides stände beiderseits parallel
zur Medianebene.
2. Der Grad der Krflmmung und Entwickelung des Schlüsselbeines
steht bekanntlich in einem directen Yerhältniss zu der Starke des Gebrauches
des Armes. Daher ist das rechte in der Regel stärker gekrümmt als das
linke, ausnahmsweise dies, aber dann bei Linkshändern (Henle, Gurlt U.A.).
Aus demselben Grunde sind die Schlüsselbeine beim Weibe weniger ge-
krümmt üeber die analoge Entwickelung des Processus coracoides habe
ich in der Litteratur keinen Vermerk gefunden.
8. Die Zeit der frühen Ossification beider Skelettheile ist bezeichnend
für die frühzeitig an dieselben gestellten mechanischen Anforderungen.
4. Die Constanz der hohen typischen Entwickelung des Processus
coracoides spricht dafür, dass er noch andere mechanische Aufgaben zu
erfollen hat, als bloss zu Muskelansätzen zu dienen.
6. Für die vorliegende Frage ebenso praktisch wichtige als interessante
Aufischlüsse gewährt die vergleichende Anatomie. Zunächst die Thatsache,
dass auch hier eine Analogie zwischen der Entwickelung des Processus
coracoides und der Clavicula vorliegt Während bei den niederen Verte-
braten bis zu den Vögeln das Goracoid zwischen Scapula und Brustbein
die Clavicula im primären SchultergQrtel ersetzt, erfährt es, die Monotremen
ausgenommen, weitgehende Bückbildung weiter hinauf und dient als Pro-
cessus coracoides nur noch zum Muskelansatz. Die im secundären Schulter-
gürtel auftretende Clavicula zeichnet sich durch besondere Entwickelung
bei den Säugern aus, deren proximale Extremität stark ausgebildete Be-
w^lichkeit und Leistungsföhigkeit besitzt Eine Clavikel neben kräftiger
entwickeltem Processus coracoides findet sich nur bei den Chiropteren, in
seiner am höchsten ausgebildeten Form trifft er mit der gleichfalls am
stärksten ausgeprägten Clavicula nur bei den nach Bau und Leistungen
der oberen Gliedmaassen auf gleicher Stufe stehenden Affen und Men-
schen zusammen [Gegenbaur (38), Wiedersheim (39), Räuber (40),
Nuhn (41)].
Der Sinn des coracoclavioulären Mechanismus ist der der Vereinigung
grosser Beweglichkeit mit einem hohen Grade von Festigkeit für jede
Stellung der Extremität Auch in dieser Beziehung muss der Mechanismus
zwei von einander verschiedenen Aufgaben nach Form und Function ge-
wachsen sein. Dient der distale Ausschnitt der Clavicula zur Führungs-
» A. a. O. S. 108
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428 Stbenhaüsbm:
linie far den Processos und als knöcherne Sicherang neben der ligamentosen
g^en zu weitgehende Verschiebung, so vrird andererseits durch die Yer-
schieblichkeit des Processus in dem Bereich jenes Ausschnittes, durch, die
Möglichkeit, den Contact aufzugeben und wieder herzustellen, durch die
relative Unabhängigkeit des Mechanismus von der Oestalt der beiden Haupt-
gelenke die Möglichkeit freiester Bewegung gesichert Die Feststellung in
jeder Lage und namentlich bei 150^ der Erhebung gewährt den den
Humerus abducirenden Muskeln den Yortheil des Besitzes eines punctum
fixum für die volle Ausnutzung ihrer Kraft
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Mechanismus beb Sghultebbewbgukgbn. 429
Litterataryerzelchiilss.
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thiere. 1893. S. 151.
40. Ranber, Lehrbuch der Anatomie. 1897. Bd. L 1. S. 258.
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42. Büdinger, lieber Narkosenlahmungen. Archiv für klinische Chirurgie.
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43. Langer-Toldt, Lehrbuch der Anatomie. 1893. 8. 119.
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Heber den Einfluss von Salzlösungen auf das Volum
thieriseher Zellen.
Zugleich ein Versuch zur quantitativen Bestimmung deren Oerttstsubstanz.
Von
H. J« Hamburger
in Utreehi
Zweite Mittheilung.
Darm-, Trachea-, Harnblasen- and OeBophagosepitheL
In einem voriges Jahr erschienenen Aufsatz^ besprachen wir den
Einfluss von Salzlösungen auf das Volum rother Blutkörperchen, weisser
Blutkörperchen und Spermatozoa. Wir können jetzt die Resultate mit-
theUen von gleichartigen Untersuchungen , angestellt bei Epithelzellen von
vier verschiedenen Stellen: Darm, Trachea, Harnblase und Oesophagus.
Stets wurde das Epithel dadurch erhalten, dass man dasselbe beim
frisch getödteten Thier vorsichtig vom Organ abschabte. Das Schabsei
wurde in ein wenig des frischen Blutserums oder in eine 0*9proc. NaCl-
Lösung vertheilt und dann durch ein Filter von nichtpraparirter Gaze
colirt. Durch letztere Manipulation wurde erzielt, dass die Zellen theilweise
in isolirtem Zustande, theilweise höchstens in kleinen Aggregaten vorhanden
waren. Von der also gewonnenen trüben Flüssigkeit wurden mittels einer
fein angezogenen Pipette gleiche Volumina (± V«^''"') abgemessen und in
Beagircylinder gebracht« in welchen sich gleiche Quantitäten (10 zu 15^
der Salzlösungen befanden, deren Einfluss die Epithelzellen ausgesetzt werden
sollten. Nach halbstündiger Einwirkung wurden gleiche Volumina der
^ ZüHngsverslag d. koninJcL Akad, v. WeteMch. Amsterdam 189S. 28. Mai. —
Dies Archiv. 1898. Physiol. Abthlg. S. 817. — H. Eoeppe hat diesen Aufsatz einer
Kritik unterzogen, welche hier in einer Nachschrift beantwortet ist.
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432 H. J. Hambubgeb:
Gemische -in die bekannten trichterförmigen Böhrchen gebracht^ und centri-
fagirt. Wenn das Niveau des Bodensatzes eine constante Stelle an-
genonunen hatte , wurde das Yolum der Epithelsaule festgestellt. Wenn
bereits nach kurzem Centrifugiren die Zellensaule nicht voUkonmien homogen
aussah, wurde die klare Flüssigkeit grösstentheils abpippetirt, die Säule mit
der zurückgebliebenen Flüssigkeit mittels eines Platindrahtes zu einem
homogenen Gemisch durchgerührt und wieder aufs Neue centrifugirL War
dies nothwendig bei einem der drei Böhrchen, so wurde dasselbe auch mit
den drei anderen gethan.
L Darmepithel.
Versuch I.
Epithel des Dünndarmes eines Pferdes, auf etwa ^/^ ™ Distanz yom Pylorus.
Das Epithel ist yertheilt in ein wenig Blutserum des nämlichen Thieres.
SalzlösiuigeD
NaGMiÖBODg von 0*7 Procent
,. 0-9
1*0
Yolom des Epithels
85-5
34
88
29
Aus dieser Tabelle geht hervor, dass das Yolum des Epithels
ziemlich regelmässig abnimmt, wenn die Goncentration der
Salzlösung sich steigert
A priori hätte man ein anderes Ergebniss erwarten können. Darf ja
die Darmmucosa als ein trefFliches Kesorptionsorgan betrachtet werden, und
wie denn auch die Erfahrung lehrt, werden verdünnte NaCl-Lösungen
äusserst leicht aufgenommen. Darum schien es auf der Hand zu liegen,
dass, wenn abgeschabtes Darmepithel in grosse Quantitäten NaCl-Losung
verschiedener Concentration vertheilt werden würde, die Zellen sich mit den
betreffenden Lösungen tränken würden, so dass von einer Differenz in
osmotischem Druck zwischen Zellinhalt und Umgebung bald nicht mehr
die Bede sein würde; mit anderen Worten, man hätte erwarten können,
dass das Yolum des Darmepithels sich unter dem Einfiuss von Salzlösungen
verschiedener Goncentration nicht oder wenig ändern würde.
Das folgende auf dieselbe Weise und mit derselben Epithelart aus-
geführte Experiment gab jedoch ein ganz anderes Besultat als der erste
Yersuch.
^ Dies ArcUv. 1898. PhysioL Abthlg. 8. 819.
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EINFLUSS VON Salzlösungen auf das Yolum thiebischeb Zellen. 433
Versuch IL
Epithel des Dünndarmes eines Pferdes auf etwa ^/g™ Distanz vom Pylorus.
Das Epithel ist vertheilt in ein wenig Blutserum des nämlichen Thieres.
SalzlöBUDgeD
NaGl-Lösungvon 0-5 Procent
Volum des Epithels
106
103
108
105
In diesem Experiment ist das Yolum des Epithels in allen
vier Salzlösungen ungefähr gleich.
Der Gegensatz zwischen den Besultaten der beiden Versuche machte
es erwünscht) dieselben zu wiederholen.
Versuch HI,
Epithel des Dünndarmes eines Schweines , etwa ^/^™ vom Pylorus.
Epithel ist vertheilt in NaCl 0*9 Procent.
Das
SalzlGsongeu
NaGl-Lösmig von 0*5 Procent
0-7
1*5
Volum des Epithels
76
76
78
76
Wie ersichtUoh) hat die Oncentration der Salzlösung keinen Einfluss
auf das Volum ausgeübt Von den vielen Experimenten haben noch drei
ein entsprechendes Besultat ergeben. Ich lasse dieselben weiter unerwähnt
und theile die anderen Versuche mit, aus welchen der Einfluss der Con-
centration wohl hervorgeht
In der ersten Spalte der nächstfolgenden Tabelle findet man angegeben
die gebrauchte Salzlösung, in der zweiten das Volum des Bodensatzes; in
der vierten Spalte haben wir, um die Grösse der durch die Salzlösungen
herbeigeführten Volumsänderungen anzugeben , den Volumsunterschied der
Zellen in NaCl 0»7 Proc. und 1-5 Proc. in Procenten ausgedrückt
Auf den ersten Blick scheint es willkürlich, dazu die beiden ge-
nannten Lösungen zu wählen^ und man darf die Frage vorlegen, ob denn
die anderen Salzlösungen unter einander ein entsprechendes Besultat gebeji.
Um über die Proportionalität der durch die verschiedenen Salzlösungen
hervorgerufenen Volumsänderungen ein Urtheil aussprechen zu können,
haben wir darum nach der früher gegebenen Methode,^ aus den verschie-
1 Wanun gerade diese beiden Concentrationen und nicht zwei andere gebraucht
worden sind, ist darin gelegen, dass von den stets angewandten die ersteren am
weitesten ans einander lagen (vgL Nachschrift).
* Vgl. hierzu dies Archiv. 1S9S. Physiol. Abthlg. S. 828.
Archiv f. A. u. Ph. 1890. PhysioL Abthlg. Suppl. 28
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434
H. J. Hambubgbb:
denen Zahlen derselben Versuchsreihe, das Yolnm des Protoplasmagerüstes
berechnet (unter der Annahme, die Zellen seien bloss für Wasser und nicht für
Salz permeabel). Die Resultate sind aufgenommen in Spalte III. In allen
Versuchen stanmit das Epithel vom Schweinsdarm, etwa V* ™ vom Pyloms.
I
n
m
IV
Salzlösungen
Volum
des
Epithels
Protoplasmagerfist p
berechnet ans
VolumsunterHchied
zwischen b und d
Versuch IV.
a) NaCl
0«5 Proo.
57
45
a und d
b) „
c) „
0-7 „
1-0 „
55
65(?)
48-8
78(?)
b „ d
a „ c
^^^X 100= 10-9 Proc
55
d) „
1-5 „
49
Versuch Vm. -
a) NaCl
0-6 Proc.
50
27-5
a und d
b) „
c) ,.
0-7 „
1-0 „
39
42
31
34
b ,. d
a „ c
^* -^''x 100- 10-2 Pm.
d) „
1-5 „
1 85
Versuch X.
a) NaCl
0«6 Proo.
114
75
a und d
b) ,.
c) ,.
0-7 „
1-0 .,
108
98
70-5
82
b ., d
a „ c
^^'J^g^^X 100- 18-5 Proc
d) ,.
1-5 „
88
Versuch XL
a) NaCl
0-5 Proc.
140
117-5
a und d
b) „
c) ..
0-7 „
1-0 „
184
126
117
112
b „ d
a „ c
"tL^^'^X 100- 8-2 Proc
d) „
1-5 ,.
125
Versuch XIL
a)NaCl
0-5 Proc.
68
56*75
a und d
b) „
c) „
0-7 „
1-0 „
66
62
55*6
56
b ., d
a „ c
««-J-'^Xl00 = 8.SProc
d) .,
1-5 „
60-5
Versuch XTTT.
a) NaCl
0-5 Proc.
69
46-5
a und d
b) „
c) „
0-7 „
1-0 „
64
60
45-2*
51
b „ d
a „ c
^^^X 100= 16.6 Proc
64
d) .,
1-5 „
54
Versuch XV.
a) NaCl
0-5 Proc
74
62
a und d
b) .
c) ,.
0-7 ,
1-0 „
72*5
69
60*3
64
b „ d
ft ,. 0
'2;^-/« X 100 = 8-9 Proc
d) „
1-5 , 1
66
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EiNTLüSS TON Salzlösungen auf das Yolüm thiebisoheb Zellen. 435
Was die sieben anderen Versuche betrifft, will ich, um Baum zu er-
sparen, nur erwähnen, dass die Volumsunterschiede in NaCl-Lösung 0-7
und 1.5 Procent betrugen: 17.9, 10-1, 18-2, 9-2, 8-7, 9-8 und lO-S
Procent.
Fassen wir dann die Versuchsresultate zusammen, so erhellt:
1. Dass, wie aus den Spalten IE der Tabellen hervorgeht, in jedem
Yersuche die Werthe des aus a und d^ b und dy a und c berechneten
Protoplasmagerüstes zwar bei Weitem nicht so genau, wie bei den Blut-
körperchen, aber doch im Grossen und Ganzen wohl so viel mit einander
übereinstimmen, dass die bei den NaCl-Lösungen 0*7 und 1-5 Procent
gefundenen Volumsunterschiede eine Vorstellung der Volumsanderung im
Allgemeinen geben.
2. Der Volumsunterschied zwischen den Zellen in NaCl 0-7 und 1*5
Procent schwankt in den meisten Fällen zwischen 10-9 und 8*2 Procent;
in yier Fällen beträgt die betreffende Differenz 18-8 bis 15-6 Procent
Wie sind die letzten, unter 2. genannten Abweichungen zu erklären?
Meines Erachtens kann mau hier an zwei Möglichkeiten denken: entweder
die üntersuchungsmethode ist nicht zuyerlässig, oder das in den yerschie-
denen Versuchen von entsprechenden Stellen bezogene Epithel verkehrt
nicht immer in demselben Zustand.
Die erste Möglichkeit ist zu verwerfen, weil unsere Methode bei den
rothen und weissen Blutkörperchen, bei den Spermatozoon und auch bei dem
ebenfalls durch Abschaben erhaltenen Blasen- und Oesophagus-
epithel übereinstimmende Resultate gegeben hat
£8 bleibt also nichts Anderes übrig, als anzunehmen, dass das Darm-
epithel nicht immer in demselben Zustand von Permeabilität
verkehrt
In dieser Hinsicht kann man sich wieder zwei Vorstellungen machen:
a) Man kann sich denken, dass in den FäUen, wo der bewusste Procent-
gehalt sich bewegt um 18-5, die Zellen vor dem Gentrifugiren nicht lange
genug in den Salzlösungen verweilt haben, um sich mit denselben zu
tranken. Wenn das wirklich der Fall ist, so muss bei längerem Verweilen
der Procentgehalt abnehmen und etwa 10 werden;
b) das Epithel verkehrt zuweilen in einem besonderen Zustand, welcher
nur unter bestimmten Einflüssen aufgehoben werden kann.
Die Möglichkeit a) war nicht schwer zu prüfen.
Zu diesem Zweck fertigten wir (Gemische von Epithel und Salzlösung
an und centrifugirten nach verschiedenen Zeiten.
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436
H. J. Hambübgeb:
Aus der folgenden Tabelle ist das Resultat ersichtlich:
Versuch XXVH.
Epithel des Dünndarmes eines Schweines , etwa Vi™ ^^^ Pylorus. Das
Epithel ist vertheilt in NaCl 0 • 9 Procent. Es werden Gemische dargestellt,
welche ^2 Stunde, 1, 2 und 3 Stunden sich selbst überlassen werden.^
Salzl68Qngen
Volam des Epithels nach einer Einwirkongsdaner von
Vs Stunde 1 Stunde 2 Stunden 3 Stunden
NaCl 0*5 Proeent
0-7
1-0
»> 1*5
114
108
98
88
113
109
99
113
107
99
89
112
107
98
91
Man sieht) dass die Einwirkungsdauer keinen wesentlichen Einfluss auf
das Yolum ausgeübt hat
Ich werde noch ein paar von den vielen Versuchen erwähnen, welche
ich behufe des vorliegenden Fragepunktes angestellt habe.
Salzlösungen
Volum des Epithels
nach einer Einwirkungsdauer yon
Vt Stunde 1 2 Stunden 1 8 Stunden
Naa
0*7 Procent
0.9 „
1-2 „
1*5 „
Versuch XVm.
81
Naa
0*5 Procent ,
0-7 „
0-9 „
1-5 „
76
61
65
Versuch XXXT.
69
64
60
54
80
76
62
66
68
68
60
78
73
64
68(?)
69
68
60
55*5
Auch in diesen zwei Versuchen hat eine längere Einwirkung als von
einer halben Stunde kaum einigen Einfluss auf das Volum ausgeübt
Man darf also schliessen, dass bereits nach halbstündiger Ein-
wirkung der Einfluss der Eochsalzconcentration auf das Epi-
^ Wenn wir hier von einer Einwirkungsdauer einer Vt Stunde sprechen, so denken
wir an die Zeit, welche verlauft zwischen der Anfertigung der Gemische und dem
Anfang des Centrifugirens. Also wird die Zeitdauer des Centrifugirens ausser Betracht
gelassen. Das ist zwar nicht ganz correct, aber die Epithelzellen werden nach dem
AnÜEUDg des Centrifugirens so rasch gegen einander gelegt, dass von einer bedeutenden
Einwirkung der umgebenden Salzlösung auf die Zellen innerhalb weniger Minuten
kaum die Rede mehr ist.
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EmFLuss VON Salzlösungen auf das Volum thibbisoheb Zellen. 487
thelvolum sich geäussert hat in demselben Maasse, wie dieser
Einflnss sich nach mehrstündiger Einwirkung offenbart
Hierdurch wird die Erklärung a auf S. 435 hinfallig und erübrigt per
exclusionem noch die Erklärung b:
Dass nämlich das Epithel zuweilen in einem besonderen physiologischen
Zustand yerkehrt, in welchem die Durchgängigkeit für Kochsalzlösungen
verringert ist
Dass nun wirklich das Darmepithel mit Bezug auf dessen Permeabilität
in einen anderen Zustand gerathen kann, lehren uns die sorgfaltigen Unter-
suchungen Hay's,^ wobei nachgewiesen wurde, dass die purgative Wirkung
des MgSO^ theilweise auf einer Abnahme des resorbirenden Vermögens der
DarmmucDsa beruht, was dann die Verflüssigung der Ficalstoffe befördert
Hay hat gezeigt, dass nach Auhiahme von MgSO^ das Thier Stryohnin-
mengen verträgt^ wodurch es sonst fast unmittelbar verendet
Wir haben nun versucht, auch in vitro die Permeabilität des Darm-
epithels mittels MgSO^ zu modificiren.
Versuche, um die Permeabilität des isolirten Darmepithels zu
modificiren.
Zu diesem Zweck nahmen wir Darmepithel, welches sich, wie z. B. in
Versuch XII, nur in geringem Maasse durch die Concentration der Koch-
salzlösungen beeinflussen Hess, und versetzten dasselbe mit MgSO^-Lösungen
verschiedener Stärke.
. Versuch XXXTI.
Epithel des Dünndarmes eines Pferdes, ^1^^ vom Pylorus. Die Zellen sind
vertheilt in ein wenig MgSO^-Lösung isotonisch mit NaCl 0 * 9 Procent
Salzlösungen
Volnm der Bpithelzellen
MgSO^-Lösung isotonisch mit NaCl 0-7 Procent . . .
n » » n 0*0 « ...
» n » w *** „ ...
M V n »1*^ n ...
45
60
51
64
Versuch XXXTTT.
Epithel des Colons eines Pferdes, ^/^^ vom Pylorus. Die Zellen sind
vertheilt in ein wenig NaCl 0»9 Procent
Salzlösungen
Volnm der Epithelzellon
MgSO^
M
Lösung isotonisch mit NaCl 0*7 Procent
0-9
1'2
1*5
82
35
50
49
Hay, Journal qf Anatomy and Fhi/riology, 1882.
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438 H. J. Hambubobb:
Versuch XXXIV.
Epithel des Dünndarmes eines Schweines. Die Zellen sind yertheilt in ein
wenig NaCl 0*9 Procent.
SalzlÖBnngen Volum der Epithelzellen
MgSO« -Losung iBotonisch mit NaCl 0*7 Procent .
>> « n fj "*® n
»> »» V »1*2 „
»I 99 99 »» **Ö n •
83
101
102
105
Es ist mir nicht möglich, ans diesen Versuchen einen bestimmten
Einfluss der verschiedenen MgSO^-Losungen auf das Volum der Zellen za
erkennen. Nun findet man in allen drei Versuchen das Zellen?olüm am
kleinsten in der MgSO^-Losung, welche isotonisch ist mit NaCl 0*7 Procent
Das Oegentheü würde man erwarten. Bei näherer mikroskopischer und
makroskopischer Betrachtung stellte sich aber heraus, dass die letztgenannte
MgSO^-Lösung auch die einzige war, in welcher sich kein Schleim gebildet
hatte. In den drei übrigen Lösungen hatte das Epithel diesen Stoff in so
bedeutendem Maasse abgeschieden, dass die Zellenmasse ein ganz anderes
Aussehen hatte wie in der ersten. Die sonderbaren Volumverhältnisse
waren demnach wohl zu erklären.
Beim Durchsuchen der Litteratur ergab sich, dass die Eigenschaft
von MgSO^-Lösungen, Schleimabsonderung aus Darmepithelien herbeizu-
führen, schon früher studirt worden ist Fusari und Harfori^ fanden
nämlich, dass nach der Aufnahme von purgtrenden Mittelsalzen eine
so bedeutende Schleimabsonderung stattfand, dass die Zotten ganz mit
Schleim bedeckt waren und die Resorption des flüssigen Darminhaltes ge-
hemmt wurde.
Indessen ist das Darmepithel nicht die einzige Zellenart, welche unter
dem Einfluss von MgSO^ Schleim absondert; wir konnten dasselbe con-
statiren beim Hamblasenepithel. Als wir dasselbe nach Versetzung mit
MgSO^-Lödungen isotonisch mit NaCl 0*7, 0*9, 1-2 und 1-5 Procent
centriÄigirten, setzten die Zellen sich nur in der ersten Lösung gut ab; in
der übrigen Flüssigkeit war die Beschaffenheit des Epithels so schleimig,
dass von einer Ablesung des Niveaus nicht die Bede sein konnte.
Wir beschlossen nun, die Versuche mit Darmepithel zu wiederholen,
und zwar derart, dass die Zellen erst eine kurze Zeit mit einer MgSO^-
Lösung in Berührung blieben und dann dem Einfluss von NaCl-Lösungen
ausgesetzt wurden.
Archives üaliennes de bioL Vol. XXIII. Fase 1 et 2.
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EINFLUSS TON SALZLÖSUNGEN AUF DAS VOLUM THIBRISGHEB ZeLLEN. 439
Versuch XXXV.
Epithel des DüBndarmes des Schweines, .^1^^ vom Pylorus. Die abge-
schabte Masse wird vertheilt in ein wenig KaCl-Lösung Yon 0-9 Procent;
dann wird das Gemisch in zwei Theile getrennt: die eine Hälfte wird sich
selbst überlassen, die andere Hälfte (10 ^™) wird versetzt mit 1 *^™ einer
15 procentigen MgSO^-Lösung. Nachher werden von den beiden Hälften
gleiche Portionen abgemessen und in NaCl-Lösungen von 0 • 7 Procent und
1 • 5 Procent gebracht. Nach einer halben Stunde wird centrifugirt.
Salzlösungen
Volam des
Epithels
Voluinsunterschied der Zellen
durch NaCl 0-7 u. 1-5 Proc.
a) NaCl 0-7 Procloas Epithel ist vertbeilt
b) ,, 1*5 M /gewesen in NaCl 0*9 Proc.
c) NaCl 0«7Proc.lI^aa Epithel ist vertheilt
^v . K f gewesen in einem Gemisch
d) n 1-5 „ j ^^^ j^^(,j ^^^ jK^gQ^
67
61
82
69
67-61
67
82-69
82
X 100 = 9 Proc.
X 100 = 16 Proc.
Durch Berührung mit MgSO^ hat das Epithel also eine grossere
Empfindlichkeit für Concentrationsverschiedenheiten bekommen.
Versuch XXXVI.
Der jetzt folgende Versuch ist auf dieselbe Weise ausgeführt worden, wie
der vorige.
lalzldsuDgen
Volam des
Epithels
VolnmsaDterschied zwischen
a o. b und zwischen c n. d
a) NaCl 0-7 Procl Das Epithel ist vertheilt
b) „ 1*5 M JgeweseD in NaCl 0*9 Proc.
c) NaCl 0*7 Proc. 1^^ Epithel ist vertheilt
d'S 1-5 ' I fi»®^^^^? ^B ^Q^F ^®^^J!^^
70
64
78
" ^ von NaCl und MgSO^
Versuch XXXVH.
a) NaCl 0-7 Proc^Das Epithel ist vertheilt
b) „ 1*5 „ /gewesen in NaCI 0*9 Proc.
c) NaCl 0*7 Proc. ll^^ Epithel ist vertheilt
n^ . . ' [gewesen in einem Gemisch
58
53
67
61
—^— X 100 « 8-5 Proc
78-63
78
58 — 53
58
67 — 61
67
X100 = 19-6 Proc.
X 100 = 8-6 Proc.
X* 100 = 9 Proc.
Während also in Versuch XXXV und XXXVI das MgSO^ eine be-
deutende Permeabilitätsänderung hervorgerufen hat, ist in Versuch XXXVII
nichts davon zu constatiren. Andere Experimente geben ein gleichartiges
Besultaty so dass man sagen kann, dass das MgSO^ das Vermögen besitzt,
Darmepithel in einen modificirten Permeabilitätszustand überzuführen, welche
Erscheinung aber auch bisweilen ausbleibt.
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440
H. J. Hambübgeb:
Von den Stoffen, deren Einfluss wir auf dieselbe Weise wie den des
BfgSO^ geprüft haben, bat verdünnte Schwefelsäure ein positives Resultat
ergeben.
Wir lassen drei der angestellten Versachspaare folgen.
Versuch XXX Vm.
Epithel des Dünndarmes des Schweines, ^/^ ™ vom Pylorus. Die abgeschabten
Zellen werden vertheilt in wenig NaCl 0*9 Procent. Von diesem Gemisch
wird die eine Hälfte versetzt mit NaCl 0 • 9 Frocent, die andere Hälfte mit
einem Gemisch von 10 <'<'™ NaCl 0-9 Procent und ^/k, norm. HjSO^. Von
den beiden also angefertigten Epitheliengemischen werden gleiche Portionen
gebracht in NaCl-Lösungen von 0-5, 0-7, 1. und 1'5 Procent und Ys Stunde
nachher cenkifugirt.
S a 1 z l ö 8 a n g e n
Volum des Epithels
(Vertheilung in NaCl
0-9 Proc.)
Volam des Epithels
(Vertheil. in einem (rembch ▼.
10«»» NaCl 4- 1 «^ HjSO^ '/lo «•)
NaCl 0-5 Proc.
0-7 „
1-0 .,
1-5 „
88
84
81
78
96
75
71
63
Es ist auffallend, dass die Zahlen in der dritten Spalte unter einander
einen grösseren unterschied zeigen als in der zweiten.
Salzlösungen
Volum des Epithels
(Vertheilung in NaCl
0*9 Proc.)
Volum des Epithels
(Vertheil. in einem Gemisch t.
1 0««" NaCl + 1 ««» H,S04 Vio »•)
Versuch XXXIX.
NaCl
0-6 Proc.
63
58
»f
0-7 „
58
60
n
1-0 „
56
. 46
»f
1-5 „
58
Versuch XL.
38
NaCl
0-5 Proc.
76
67
ff
0-7 „
68
60
f*
1-0 „
64
57
*»
1-5 „
62
55
Betrachtet man die Resultate der drei Versuchsreihen, so ergiebt sich,
dass in den beiden ersteren die Hinzufügung einer geringen Quantität
H2SO4 die Empfindlichkeit des Darmepithels für Concentrationen bedeutend
vermehrt, mit anderen Worten, die Permeabilität für NaCl herabgesetzt
hat, während im dritten Versuch von einem derartigen Einfluss nichts zu
bemerken ist,
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ElN7Lü88 YON SALZLÖSUNGEN AUF DAS YOLUM THIEBISGHBR ZeLLEN. 441
Es zog mich wenig an, noch weiter im Düstem herum zn tasten und
den Mnflnss anderer Stoffe auf die Durchgangigkeit des Epithels f&r NaCl
zu prüfen. Es möge jetzt genügen, constatiren zu können, dass es gelingt,
mittels chemischer Agentien, also auf künstlichem W^^ das Epithel in
einen derartigen veränderten Zostand zn versetzen, dass der Einfluss der
Goncentration auf das Yolum bedeutend steigt Hierdurch gewinnt die per
exdusionem aufgestellte Erklärung für das doppelsinnige Verhalten des ab-
geschabten Darmepithels gegenüber Salzlösungen in hohem Maasse an
Wahrscheinlichkeit, die ErkUrung nämlich, dass das abgeschabte Darm-
epithel nicht immer in demselben physiologischen Zustand verkehrt, d. h.
nicht immer eine gleiche Durchgängigkeit für Kochsalzlösungen zeigt.^
Was nun das Wesentliche der Yeränderung betrifft, welche die Zellen
erfahren durch die kurzdauernde Einwirkung von MgSO^ oder HjSO^, ist
uns unbekannt geblieben.
Unwillkürlich denkt man hierbei an die Yersuche Heidenhain's mit
Bezug auf die Permeabilität der zwischen den Darmepithelzellen goldenen
Eittsubstanz.' Als er beim lebenden Thier Methylenblau in den Darm
gebracht hatte und nachher das Epithel mikroskopisch untersuchte, sah
^ Es sei hier bemerkt, dass dieses Besnltat keines wegs im Widersprach steht
mit meiner früher ausgesprochenen Ansicht, dass die bis damals bekannten Besorptions-
erscheinungen auf physikalischem Wege erklärt werden können. Im Gegentheil, ich
habe damals mit Nachdrack betont, dass ich „nicht daran denke, behaupten zu wollen,
dass das Leben auf den Besorptionsprocess keinen Einfluss ausüben kann und es auch
wirklich nicht thut Unter physiologischen und pathologiscben Bedingungen können
unzweifelhaft in lebendigen Membranen fein nuancirte Veränderungen hervortreten,
welche auf die darin statthabenden physikalischen Processe einen nicht geringen Ein-
fluss haben, aber wodurch die Processe selbst ja nicht aufhören, rein physikalische
Processe zu sein.'*
„Der arterielle Blutdraok wird herbeigeführt dureh Zusammen2iehung des linken
Ventrikels; das ist eine Thatsache, welche aus einem rein physikalischen Gesichtspunkte
für einen Jeden verständlich ist. Aber wenn irgend eine Ursache auf das Leben des
Herzmuskels derart einwirkt, dass dieser fettig degenerirt, so ändert sich der Blut-
druck. In dieser Thatsache jedoch kann kein Grand liegen, den Zusammenhang
zwischen Herzcontraotur und Blutdrack nun nicht mehr als einen rein physikalischen
aufzufassen.^
„Diese Bemerkungen gelten sowohl für die Resorption in der Bauchhöhle wie für
die im Darme." (Centralblait für Physiologie, 25. Januar 1896; und auch Verhan-
delingen der XoninkL Academie van Wetensehappen. 1896. Dl. V. Nr. lY. p. 32.
Holländisch.)
Es schien mir nicht überflüssig, diese Zeilen hier zu wiederholen, weil in der
letzten Zeit einige Autoren mir in den Mund gelegt haben, dass ich mit Bezug auf den
Besorptionsprocess den lebenden Darm mit einer todten Membran gleichstelle. Eine der-
artige Auffassung meinerseits hätte man dasBecht als unphysiolo^isch zu bezeichnen.
• Pflüge r's 4rc*f». 18ß8. m.Xmi SuppL-Ueft,
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442 H. J. Hamburger:
er, dass in einem und demselben Feld zwischen vielen Zellen die Eitt-
snbstanz blan gefärbt war, während zwischen anderen daneben gelegenen
Zellen die Substanz ganz farblos war.
Heidenhain denkt hierbei an die Wahrscheinlichkeit, dass die Kitt-
substanz zwischen den Zellen nicht überall in demselben Zustand verkehrt
und erinnert bei dieser Gelegenheit an eine gleichartige von ihm beob-
achtete Thatsache, dass nämlich nach Einverleibung von indigoschwefel-
saurem Natron ein TheU des Nierenepithels blaugefärbt wird, während
andere dazwischen gelegene Epithelzellen farblos erscheinen.
Discussion und Zusammenfassung der Resultate.
Fassen wir nun zusammen, was die Experimente über den Einfluss von
Kochsalzlösungen auf das Yolum des Darmepithels gelehrt haben, so lassen
sich die Resultate zu drei Fällen ordnen:
L Die C!oncentration der Salzlösung hat auf das Volum der Stellen
absolut keinen Einfluss ausgeübt. Das geschah nur selten.
2. Die Concentration der Salzlösung zeigt einen geringen Einfluss
(die Yolumdifierenz des Epithels in NaCl 1*5 und 0*7 Procent betragt
± 9 Procent). Das ist das normale Sachverhältniss.
3. Die Concentration der Salzlösung übt einen bedeutenden Einfluss
auf das Volum des Epithels aus (die VolumdifiiBrenz in NaCl 1*5 und
0-7 Procent beträgt 15 bis 19 Procent).
Dieses Resultat bekommt man von Zeit zu Zeit.
Lassen wir den erstgenannten, selten vorgekommenen Fall ausser
Betracht, so ergiebt sich also, dass die Salzlösungen das Volum des Dann-
epithels beeinflussen: gewöhnlich ist der Einfluss geringfügig, zuweilen aber
ist derselbe bedeutend. Im letzteren Falle handelt es sich höchstwahr-
scheinlich um einen besonderen physiologischen Zustand des Epithels und
es ist uns sogar gelungen, denselben mittels MgSO^ und HjSO^ hervor-
zurufen (vgl. S. 439 und 440).
Die unter 2. genannte Erscheinung entspricht somit dem normtden
Sachverhältniss.
Die Frage ist nun, was sagt letzteres Ergebniss aus mit Bezug auf
die Permeabilität des Epithels far Salzlösungen? Darf man das abgeschabte
Darmepithel als durchlässig für Kochsalz betrachten? Dagegen scheint
das Wort zu reden die Thatsache, dass die Concentration einen, wenn
auch geringen, aber doch jedenfalls merkbaren Einfluss auf das Volum
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EINFLÜ8S VON Salzlösungen auf das Volum thibrisoheb Zellbn. 443
des Epithels ausübt, welcher auch nach längerer Einwirknng nicht ver-
schwindet.
Anfangs meinte ich den betreffenden Einfinss der Salzconcentration
zuschreiben zu müssen, einer Vermischung des Epithels mit Zellen, welche
ebenso wie die rothen und weissen Blutkörperchen für Salz impermeabel
sind, z. B. einer Vermischung mit Ijmphoiden Zellen, welche zugleich
mit dem Epithel abgeschabt worden waren. Um so mehr meinten wir
hierzu berechtigt zu sein, weil in den vier Versuchen von Fall 1 (vgl.
S. 433) gar kein Einfluss auf das Zellvolum merkbar gewesen war.
Als uns aber die grosse Uebereinstimmung zwischen den unter 2. zu-
sammengesetzten Volumdifferenzen (S. 442) aufgefallen war, schien es uns
doch wohl etwas gewagt, anzunehmen, dass jedes Mal nahezu dieselbe
Quantität an lymphoiden Zellen abgeschabt worden wäre. Ausserdem lehrte
die mikroskopische Untersuchung, dass die Menge dieser Zellen gering war.
Und so dachten wir an die Kerne der Epithelzellen. „War es mit
anderen Worten nicht möglich, dass die Kerne eine geringe
Durchgängigkeit für Kochsalz besässen und also durch ihre
Schrumpfung und Quellung für die Volumsänderung der Zellen-
masse im Ganzen verantwortlich gemacht werden müssten?''
Um diese Frage zu prüfen, war es angewiesen, die Grösse der Kerne unter
dem Einfluss verschiedener Concentrationen mit einander zu vergleichen.
Von Volumbestimmungen der separaten Kerne konnte natürlich nicht
die Bede sein. Darum blieb uns nichts anderes übrig, als mikroskopische
Messungen von zwei Dimensionen auszuführen.
Mikroskopische Messvmg der ZeUkeme,
Zu diesem Zwecke wurde die Dannmucosa des eben getödteten Thieres
abgespült mit NaCl 0*9 Procent; dann wurde die Schleimhaut abgeschabt,
das Epithelium vertheilt in ein wenig NaCl 0*9 Procent und von diesem
Gemisch ein wenig versetzt mit NaCl 0-7 Procent und 1-5 Procent Nach
den bestimmten Einwirkungszeiten wurden Präparate angefertigt und in
Parafißnleistchen eingeschlossen.
Von jedem Kerne wurde Länge- und Breiteaxe gemessen, und zwar
mittels Ocularmikrometer 2^2; Obj. F. Zeiss.
Da natürlich die Einwirkungsdauer der am letzten gemessenen Prä-
parate die grösste sein musste, so wurde, um diesen Factor bei den ver-
gleichenden Bestimmungen zu eliminiren, abwechsebid untersucht 30 Zell-
kerne in 0«7- und 30 Zellkerne in l-6procent NaCI-Lösung.
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444
H. J. Hambuboeb:
Yersnoh XLL
Das Epithelium stammt vom Schweinsdann, ungefähr ^/^™ vom Pylorus
entfernt. Die Messungen werden angefangen 4 Stunden nachdem die Ver-
mischung des Epithels mit den 0*7 und 1*5 procentigen Salzlösungen statt-
gefunden hat. ^
II
Sahlösangon
(jksammtdimelisioD
der Längsaxen vod
je 30 Eemeo
III
Ges.-
Dimens.
der
Längs-
azen v.
120 K.
IV
GksammtdimensioD
Ges.
Dimens.
der Breiteaxen von B^^^Yte
je 30 Kernen ; axen v.
120 k!
NaClO-7Proc.
« 1*5 „
200-209-205-199
1807,-176-175-17274
813
132-135-132-139
70374 131-127-1257,-1307,
514
VI
Gesammt-
flächen-
durch-
schnitt von
120 Kernen
(III u. V)
437394
361727-5
Versuch XLII.
Wiederholung des vorigen Versuches; anderes Schwein. Mit den Messungen
wird angefangen nach einer 6 stündigen Einwirkung der Salzlösungen.
NaClO-7Proe.
„ 1*5 ..
213»/4-210-207-2l5
203-199»/4-206-195
845»/,
80374
1297,-125-1257,-122 502
1197,-126-120-119 4847,
Versuch XLm.
Wiederholung des vorigen Versuches mit Pferdedarm.
NaClO»7Proc.
« 1-5 »
211-2177,-209-212
I 203-206-201-197
8497,
805
123-128-126-1257,
124-119-122-124
5027,
489
424566
389416
426873
393645
Wie ersichtlich, hat die Salzconcentration einen deutlichen Einfluss auf
die zwei linearen Dimensionen und also auch auf den Flächendurchschnitt
(Spalte VI) der Kerne ausgeübt. Wo das der Fall ist, muss der Einfluss
auf das Volum der Kerne noch grosser sein. Und darf man wohl
schliessen, dass bei dem nicht geringen Antheil, welchen der Rem am
Volum der Gesammtzelle hat, die Salzconcentration einen deutlichen
Einfluss auf das Totalvolum der Zelle ausüben muss.
Wir Rauben also, die Resultate aus den bis jetzt beschriebenen ünte^
Buchungen in folgender Weise deuten zu müssen:
1. Der Zellenleib des abgeschabten Darmepitheis ist für
Kochsalz in hohem Maasse permeabel, der Kern hingegen wenig
oder nicht
2. Zuweilen verkehrt das Darmepithel in einem Zustande,
in welchem nicht nur der Kern, sondern auch der Zellenleib
für Kochsalz wenig permeabel ist.
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EiNVLUSS VON SaLZLÖSITNOEN AUE DA8 YOLUM THIEBISGHBB ZeLLEN. 445
Vor kurzer Zeit hat im Züricher physiologischen Institute ILHöber^ bei-
läufig Tersucht, ^ie Frage zu beantworten, ob im Darme ausser der zwischen
den Epithelzellen gelegenen Eittsubstanz auch die Zellen selbst für gelöste
Stoffe durchgängig seien. Der Verfasser konnte auf seine Frage keine Antwort
bekommen. Ich glaube, dass die oben mitgetheilten Versuche eine solche
erbracht haben.
II. Flimmerepithel.
Die zweite Epithelsorte, welche wir untersucht haben, ist das Flimmer-
epithel aus der Trachea. Diese Zellenart gewährt den Vortheil, dass man
während der ganzen Versuchsdauer Sicherheit erlangen kann, ob das Object
noch im lebendigen Zustande verkehrt
Nachdem die Zellen 4 Stunden lang mit den gebrauchten Salzlösungen
in Berührung gewesen waren, konnte man im Engelmann'schen Gas-
kämmerchen unter Anwendung von Körpertemperatur die Cälien vieler Zellen
noch in Bewegung sehen, oder durch Reizung in Bewegung versetzen.
Da die Versuche angestellt worden sind auf dieselbe Weise wie beim
Darmepithel, wird die Mittheilung der Resultate genügen.
Versuch XLIV.
Flimmerepithel aus der Trachea eines frisch getödteten Pferdes. Das Epithel
ist vertheilt in ein wenig NaCl-Lösung von 0 • 9 Procent. Unmittelbar nach-
her werden gleiche Quantitäten der Aufschwemmung in Berührung gebracht
mit 16°"° einer 0*7 bis 0*9 und 1*2 procentigen NaCl-Losung. Nach
halbstündiger Einwirkung wird centrifugirt.
Salzlösnng^en
NaCl-LösoDg von 0*7 Procent
« 0-9
Yolnm des Epithels
86
81
74
Vergleicht man die nach Einwirkung von NaCl 0«7 Procent und
1*2 Procent erhaltenen Zahlen, so ergiebt sich ein Volumsunterschied von
fiÄ — 74
— ^ — X 100 =■ 14 Procent, ein Betrag, welcher erinnert an die bei den
für NaCl impermeabelen rothen und weissen Blutkörperchen, und man fragt
sich, ob das Flimmerepithel letztere Eigenschaft mit den genannten Zellen
theilt, oder ob dasselbe im Gegentheü wohl NaCl -Losungen durchtreten
lässt, ebenso wie das Darmepithel, aber langsamer. Letzteres war nicht
» R. Höber, Pflüger's ^rcÄfü. 1899. Bd. LXXIV. 8.269.
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446
H. J. Hamburger:
schwer zu prüfen. Wir verfugten noch über einen Theil der Gemische des
vorigen Versuches und v^arteten mit dem Centrifügiren, bis dieselben
während 2 Stunden sich selbst überlassen gewesen waren.
Wiederholung des vorigen Yersnehes; jetzt aber ist die Einwirkungsdauer
2 Stunden statt ^/g Stunde.
Salzlösangen
NaCl-Ldsung von 0«7 Procent
« 0-9
1*2
Volum des Epithels
84
82
80
Jetzt ist der Volumsunterschied — ^ — x 100 =
4.7 Procent gewor-
den, statt 14 Procent. Es schien mir nun von Interesse, weiter zu unter-
suchen, ob bei noch längerer Einwirkung als 2 Stunden der Unterschied
vielleicht ganz verschwinden würde. Zu diesem Zwecke wurden die Boden-
sätze mit den obenstehenden Flüssigkeiten mittels eines Flatindrahtes gut
vermischt und wurde '/^ Stunde nachher wieder centrifugirt Es stellte
sich dann heraus, dass die letzt erhaltenen Volumsunterschiede nicht ver-
schwanden; dieselben blieben nahezu unverändert
Die 8 anderen Versuche, welche in derselben Weise ausgeführt wurden
und deren ich hier der Kürze halber nur 3 erwähnen werde, haben dasselbe
Besultat ergeben.
Versuch XLV.
Epithel aus der Trachea eines eben getödteten Pferdes, vertheilt in ein
wenig Pferdeserum.
Salzlösungen
Volum des £
Vt Stunde
pithels nach e
2 Stunden
iner Einwirkun
8 Stunden
gsdauer von
4 Stunden
NaCl 0-7 Procent
„ 0-9 „
» 1-2 „
„ 1-5 „
68
63
57
54
66
64
59
57
62
61
57
57
62
61
57
56
Versuch XLVL
Salzlösungen
Volum des Epithe
V, stunde
Is nach einer Einw
2 Stunden
irkungsdauer von
3 Stunden
NaCl 0-7 Procent
„ 0-9 „
„ 1-2 „
„ 1-5 „
66V,
62
57
53
65
63
61
59
65
63V.
61
58
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EiNPLüss VON Salzlösungen auf das Volüm thiebisoheb Zellen. 447
Versuch XLYm.
S a 1 z 1 ö s n D (^ e n
Volum des Epithels nach einer Einwirkongsdauer yon
V, Stunde 1 IVs Stunde 27, Stunden 8 Stunden
NaCl 0-7 Procent
., 1-2 „
>f 1*5
90
86
78
74
83
79
76
75
80
80
81(?)
81(?)
78
78
74V,
75
Aus allen drei Tabellen (XLV, XLVI und XLVni) geht hervor, dass
nach halbständiger Einwirkung der Einfluss der Saksconcentration bedeutend
ist 9 und dass derselbe mit der Zeit abnimmt, um dann constant zu
werden.
Nach dem beim Darmepithel Besprochenen liegt es auf der Hand,
diese Thatsachen in der Weise zu interpretiren, dass der Zellkörper des
Flimmerepithels, wenn auch nicht so rasch, wie der des Darm-
eiTithels, doch im Stande ist, Kochsalzlösungen verschiedener /
Goncentration durchtreten zu lassen, so dass schliesslich von einer)
osmotischen Druckdifferenz zwischen Zellkörperinhalt und Umgebung nicht i
mehr die Bede ist Der Kern ist für Kochsalz nicht oder schwer I
durchgängig und dieser ist also für die definitive Volumdiffe-
renz der Gesammtzellenmasse verantwortlich zu machen.
Die Permeabilität des Tracheaepithels, welche sich natürlich in situ
kräftiger aussprechen muss, wie im isolirten Zustande, weil die einerseits
in die Zellen aufgenonmiene Flüssigkeit an der anderen Seite durch Lymph-
und Blutstrom entfernt wird, ist ganz in Uebereinstimmung mit der
klinischen Erfahrung, dass intratracheal injicirte Medicamente sehr rasch
resorbirt werden.
Dass nun in der That der Kern bedeutende Dimensionsswankungen
zeigt unter dem Einflüsse verschiedener Salzconcentrationen konnten wir
ebenso wie beim Darmepithel auch beim Flinmierepithel mittels mikro-
skopischer Messungen feststellen.
Versuch LH.
Tracheaepithel des Pferdes; 2 Stunden nach der Vermischung mit den
Salzlösungen, NaCl 0 • 7 und 1 • 5 Procent, wird mit den Messungen der Längs-
axe der Kerne angefangen.
Salzlösungen
Qesanuntlängsaxe Ton
je 30 Kernen
176-1717^—173»/,— 179
165— I68V4— 166V,— 163
Gesammtlängsaxe Ton
120 Kernen
Naa 0-7 Procent
»f 1'5 „
14
6e2»/4
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448
H. J. Hambubgeb:
Versuch Lm.
Wiederholung des vorigen Experimentes. Jeizt fangen die Messungen aber
erst 4 Stunden nach Yermischung mit den Salzlösungen an.
S a 1 z 1 5 s u n g 6 n
GeBammtläDgBaxe von
je 30 Kernen
Gesammtlängsaxe von
120 Kernen
NaCl 0-7 Prooent
„ 1-5 „
166V,— 161— 162-167
154— 154V4-151— 158
656V,
617V4
Versuch LIV und LV.
Wiederholung des vorig
Gständi
NaCl 0-7 Procent
« 1-5 „
'en
jer
Experimentes. Anfang der
Einwirkung der Salzlösungen.
178— 170— 178— 171 Vs
156-161 Vi— 165-161
Messungen nach
692V,
648V4
NaCl 0-7 Procent
„ 1-5 „
I8IV4— 185— 182— 184
166-178V,— 169— 171
782V4
679V.
m. Blftseneplthel.
Handelte es sich beim Darm- und Tracheaepithel um Zellen , welche
das Recht gaben, zu erwarten, dass dieselben leicht Salze durchgehen lassen
können, das Blasenepithel Hess das Gegentheil vermuthen. In der That
würde die Blase ihrer Bestimmung sehr schlecht entsprechen, wenn die-
selbe eine bedeutende Permeabilität für gelöste Stoffe besitzen würde.
Bekanntlich wird die Blase von innen bekleidet von einer vierfochen
Epithelschicht, und beim Schwein lasst sich dieselbe leicht entfernen. Es
zeigte sich nothwendig, vor der Entfernung des Epithels die Schleimhaut
sorgfaltig mit 0*9procent NaCl-Lösung abzuspülen, weil nicht selten beim
Schwein und gewöhnlich beim Pferd Sediment sich anf der Schleimhaut
befindet
Versuch LVI.
Blasenepithel eines frisch getödteten Schweines, vertheilt in ein wenig 0 • 9 proc
NaCl-Lösung. Von dem Gemisch werden gleiche Quantitäten versetzt mit
gleichen Volumina NaCl-Lösung 0-7, 0*9, 1*2 und 1«5 Procent Nachdem
ungefähr 2 Stunden centrifugirt worden ist, wird, um zu untersuchen, in wie
weit, ebenso wie beim Flimmerepithel, eine längere Einwirkung als ^/, Stande
nothwendig ist, um ein constantes Zellenvolum zu bekommen, die Epithelsäule
mittels eines Platindrahtes wieder gut mit der obenstehenden Flüssigkeit ver-
mischt, das Gemisch 1 Std. sich selbst überlassen und dann wieder centrifugirt
Volum des Epithels nach einer
Salzlösungen
Em Wirkung
^aner von
V.
Stunde
IV, Stande
NaCl 0-7 Procent
78
78
,. 0-9 „
70
70-5
.. 1-2 „
62*5
62
M 1-5 „
58
58
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ElNFLUSS VON SALZLÖSüKaEK AUF DAS VoLüM THIERISCHEB ZeLIiEN. 449
Aus dieser Tabelle geht hervor, dass das Volum des Epithels regel-
mässig mid auch bedeutend abnimmt mit der Steigerung der Salzconcen-
tration, und dass, im Gegensatz zu dem, ^as wir beim Tracheaepitbel
beobachteten, die nach 1^2 stündiger Einwirkung erhaltenen Zahlen an-
nähernd dieselben sind, als die, welche nach Einwirkung einer halben Stunde
gefunden wurden.
Auf Grund analoger Ergebnisse bei den rothen und weissen Blut-
körperchen und Spermatozoon schlössen wir früher,^ dass diese Zellen aus
zwei Substanzen bestehen, welche sich Angesichts des wasseranziehenden
Vermögens verschieden verhalten: eine protoplasmatische Substanz, welche
am wasseranziehenden Vermögen der Zelle nicht betheiligt ist und eine
intracelluläre und intranucleare Flüssigkeit, welche das ganze Wasser-
anziehungsvermögen der Zelle repräsentirt Mittels einer einfachen Bech-
nung war es dann möglich, das Verhältniss der Volumina von protoplas-
matischer und intracellularer incl. intranuclearer Substanz festzustellen.
Und die an derselben Zellenart bei Anwendung verschiedener Salzlösungen
erhaltenen Zahlen stimmten gut mit einander überein.
Berechnen wir dieses Verhältniss auch hier, z. B. aus der ersten Zahlen-
spalte, so bekommt man, wenn p die protoplasmatische Substanz vorstellt
und die NaCl-Lösung von 0-9 Procent als die physiologische betrachtet
wird, Folgendes:
Salzlösangen
Boden-
satz-
Yolom
Volum des Proto-
plasmagerüstes p
berechnet |
ans I
Mittl. Vol.
des Proto-
plasma-
geröstes
Mittlerer Procentgehalt
des Epithels an
ProtoplasmagerOst
a) NaCI 0-7 Proo.
b) „ 0-9 „
c) „ 1-2 „
d) „ 1-5 „
78
70
62-5
58
a und d
a „ c
b ,. d
40-5
40-8
40
40-4
40-4
70
X 100« 57-7 Proc.
Aus dieser Tabelle ersieht man: 1. dass die Werthe von /?, berechnet
aus den mittels verschiedener Salzlösungen erhaltenen Zahlen, sehr gut
mit einander übereinstimmen; 2. dass die Orösse des aus p berechneten
Werthes, 57-7 Procent für den Procentgehalt der protoplasmatischen Sub-
stanz, erinnert an die für den Protoplasmagehalt der rothen und weissen
Blutkörperchen des Pferdes erhaltenen Zahlen.'
* Vgl. SüjDungsher. d. königl. Äkad. d. Wisaetueh. Ämsierdam. 25. Mai 1898. —
Dies Archiv. 1898. PhysioL Abthlg. S. 828.
* Dies Arohiv. 1898. PhjsioL Abthlg. B. 83t n. s. w.
ArcbiT f. A. u. Ph. 1889. PhysioL AhtUg. Suppl. 29
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450
H. J. HABiBUBGEB:
Von den ansgeführten Experimenten erwähne ich noch zwei mifc Harn-
blasenepithel des Schweines und zwei mit Harnblasenepiihel des Pferdes.
Ha IIb
III
IV
Salzlösungen
Volum des Epi-
thels(Schwein)
nach einer
Einwirkungs-
dauer von
V,Std.|2Std.
Volum des
Protoplasma-
gerttstc»
berechnet aus
Spalte IIa
und zwarl
aus
Mittleres
Volum
des
Proto-
plasma-
Mittlerer Procentgebalt
des Blasenepithels
an Protoplasmagerüst
Versuc
h Lvn.
a) NaCl 0-7 Proc.
94
94
a undd
47-2
b) ,. 0-9 „
88
83
» « c
44-8
46
c) „ 1-2 „
73-5
74
b „ d
46
d) .. 1-5 ..
69
69-5
41- X 100 = 55-4 Proc
oS
Versuch LVm.
a) NaCl 0-7 Proc.
85*5
85
a und d
39-5
b) „ 0-9 „
74
74-5
a „ c
41-1
40-7
c) „ 1-2 „
67
67
b „ d
41-5
d) „ 1-5 „
61
60
40-7
74
X 100 = 55 Proc
Das Resultat dieser beiden Versuche stimmt mit dem des Versuches LVI
überein; stellt sich doch heraus:
1. dass, wie die Vergleichung von Spalte IIa und IIb lehrt,
innerhalb einer halben Stunde das Volum des Epithels sich
eingestellt hat und eine längere Einwirkung der Salzlösung
auf das Epithel keine Volumsänderung herbeiführt; man darf
daraus schliessen, dass die Volumsänderungen nicht darum so
gross ausgefallen sind, weil, wie das beim Flimmerepithel der
Fall war, den Salzlösungen, um in die Zellen hereinzudringen,
nicht genug Zeit zur Verfügung stand, sondern weil die Zellen
für NaCl nicht oder wenig durchgängig sind;
2. dass, wie aus Spalte m hervorgebt, die Volumina des
Protoplasmagerüstes, aus Versuchen mit verschiedenen Salz-
lösungen berechnet, gut mit einander übereinstimmen;
8. dass der mittlere Procentgehalt des Protoplasmagerüstes
(Spalte V) in den beiden Versuchen gut mit einander überein-
stimmt
Jetzt noch ein paar Versuche mit Blasenepithel des Pferdes.
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EiKiXiüSS VON Salzlösungen auf das Yolum thiebisoheb Zellen. 451
I llf
IIb
m
IV
SalzlÖsnngen
Volum des Epi-
thels (Pferd)
nach einer
Einwirknngs-
daner Ton
V,Std.|2Std.
Volum des
Protoplasma-
gerüstes
berechnet ans
Spalte IIa
nnd swarl
ans
Mittleres
Volnm
des
Proto-
plasma-
gerflstes
Mittlerer Procentgehalt
des Blasenepithels
an Protoplasmagerüst
a) NaCl 0-7 Proc.
b) ^ 0-9 „
c) „ 1-2 „
d) „ 1-5 „
a) NaCl 0-7 Proc.
b) „ 0-9 „
c) „ 1-2 „
d) „ 1-5 .,
Versuch LXV.
81
82
a und d
85
72
61
73
61«5
a „ c
b „ d
33
88
83»7
56-5
56-5
Versuch LXVL
33-7
72
X 100 = 47 Proc.
92«5
92
a
nnd d
45-6
82
82
a
» c
48-1
46*4
74
74
b
,• d
45-7
67-6
67
46-4
X 100 a 56*6Proc.
In diesen beiden Versuchen stimmen die durch verschiedene Salz-
lösungen erhaltenen Zahlen gut mit einander überein. Der Frocentgehalt
des Epithels an Frotoplasmagerüst aber ist im ersten Versuche sehr klein.
Es entstand nun der Gedanke, zu untersuchen, inwieweit bei dem-
selben Individuum Uebereinstimmung zu beobachten sein würde zwischen
dem procentischen Protoplasmagehalt des Blasenepithels und dem der rothen
Blutkörperchen.
Durch äussere Umstände war es schwierig, Blasenepithel von frisch
getödteten Pferden zu bekommen. Die meisten der betreffenden Unter-
suchungen sind darum an Material vom Schwein ausgeführt worden.
Da die Centrifuge nur 4 Böhrchen enthalten konnte, so haben wir
nur mit zwei Salzlösungen gearbeitet, und zwar mit einer 0*7procent. und
einer l*5procent NaCl-Lösung. Für beide Zellenarten berechneten wir
dann den procentischen Volumunterschied.
Versuch" LXVUL
SalzlÖsnngen
J. ^ ^ \ rothe Blutkörperchen
d) „ 1'5 „ J
Volnm der
Sedimente
Procentischer
Volnmsnnterschied -
96
69
134
96-69
69
134 - 96
134
X 100 =,28*1 Proc
X 100 = 28-4 Proc.
29*
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452
H. J. Hamburger:
Wenn man annimmt ^ dass die intracellulare Flüssigkeit des Blasen-
epithels isotonisch ist mit der der rothen Blntzellen, so geht also aus diesem
Yersudie hervor, dass bei demselben Individuum der Frocentgehalt an
protoplasmatischem Gerüst bei Blasenepithel und rothen Blutkörperchen auf
treffende Weise übereinstimmen.
Nach demselben Plane sind noch die folgenden Versuche ausgeführt
worden.
>i alzlöBüDgen
Yolam der
Sedimente
ProcentiRcher
Volumsunterscbied
Versuc
h LXIX.
brffrri«---
118
87
'".ü"-»»-
26-3 Proc.
c) NaCl 0.7 Pro«. J ^^^^ Blutkörperchen
i) .. l'ö „ ) *^
89*5
65
^^x —
27-4 Proc.
Versuc
h LXX.
a) NaCl 0.7 Proc. |j,y^,
85*5
61
85«5
28-6 Proc.
j;N*^';;J^)roti,eBlutk8rp«tAen
94
69*5
»%f-^.00.
26-1 Proc
Versuc
h LXXI.
a) Naa 0.7 Proc. jßy^^,
94
69
94 — 69
,/xioo =
26-6 Proc
5 ^'^'J'I^^^irothe Blutkörperchen
105
78
106-78 ,„„
106 ''"^'
.25-4 Proc.
Versuc]
b Lxxn.
rfrm ■»-"""
120
89
120 - 89 ,^
120 '^»"" =
25.9 Proc.
o) NaCl 0»T Proc. \ ., ^, .. - .
' ,. 1 rotho Blutkörpereben
107
77-5
107-77.6 ,„
107 ^''>'-
27-5 Proc
Versuc!
1 Lxxm.
a) NaCl 0»7 Proc. \ -,, ..^
b) „ 1.6 „ } »»««»»oP't»^
107
96
107 - 96 ,^
^^,--XlOO =
10-8 Proc
;;*^';f';:J^';'-)rotheBlutk5rpe«heB
119
88
^ni^x..=
26-1 Proc
Versucl
i LXXJtV.
a) NaCl 0-7 Proc. l „, .,, ,
b) „ 1.5 . 1 Blaeenepithel
97
72
^r^-00.
25-7 Pn>c
c) NaCl 0-7 Proc. \ ^. ^, .. ^ ,
d) „ 1.5 ,. j'oUie Blutkörperchen
68
48-75
^--f^.oo =
4o
28-6 Proc
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EINFLUSS VON Salzlösungen auf das Volum thiebisoheb Zellen. 453
alzlösangen
Volnm der
Sedimente
Procentiscber
Yolamsanterachied
Versuch LXXV.
a) NaCI 0-7 Proc. \ ^, .., ,
b) „ 1.5 . ) Blaeeoepitiiel
' - J rothe Bratkörperchen
108
94
108
80
Versuch LXXVI.
'I Blasenepithel
a) NaCl Ö-7 Proc.
b)
Jj ^f ;:J^7 ! rothe Blutkörperchen
112
92
100
71
108-
94
108
108-
80
108
112-
92
112
100-
71
100
X 100 = 18 Proc.
X 100 = 26 Proc.
X 100=» 17-9 Proc
X 100 = 29 Proc.
Betrachtet man die Tabellen, so ergeben sich folgende Resultate:
1. Ganz in TJebereinstimmung mit den früher bei Pferde-
blut gefundenen, sind auch bei den rothen Blutkörperchen des
Schweines die durch Salzlösungen herbeigeführten Volumsver-
änderungen für verschiedene Individuen nahezu dieselben. Die
durch NaCl 0*7 Procent und 1»5 Procent verursachten Volum-
differenzen bewegen sich zwischen 25*4 Procent und 29 Procent.
2. Diese Differenzen entsprechen in den meisten Fällen den
beim Blasenepithel gefundenen (25-7 Procent bis 28*6 Procent).
3. In den Versuchen LXXni, LXXV und LXXVI aber wird die
TJebereinstimmung zwischen der Volumsänderung von Blasen-
epithel undBlutkörpercben vermisst; in den Experimenten LXXUI
und LXXV namentlich beträgt die Volumsänderung für das
Blasenepithel bloss K).3 und 18, während dieselbe in Ver-
such LXXVI 17-9 Procent beträgt
Diese drei Abweichungen lassen sich aber dadurch erklären, dass,
wie die mikroskopische Untersuchung lehrte, in den beiden ersten Ver-
suchen fast alle und in Versuch LXXV ein grosser Theil der Kerne frei
lagen, während die Zellenleiber in Körnchen aus einander ge&llen waren,
80 dass in den Versuchen LXXIII und LXXV die Volumsänderungen
ausschliesslich herbeigeführt wurden von den Kernen und im Versuch LXXVI
von den Kernen und den nicht zerfallenen Zellleibem.
Dass nun in der That auch die Kerne des Blasenepithels an ien
Volumsänderungen betheiligt sind^ hat sich un^^weifelbaft herausgestellt aus
mikroskopischen Messungen der Dimensionen.
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454
H. J. ELlmbubgeb:
Mikroskopische Messung der Kerne.
Zu diesem Zwecke wurde die Blasenmucosa eines eben getödteten
Schweines abgespült mit NaCl 0-9 Procent; dann wurde die Schleimhaut
abgeschabt, das Epithelium vertheilt in ein wenig NaCl 0-9 Procent und
von diesem Gemisch ein wenig versetzt mit NaCl 0-5, 0*7 und 2-4 Procent
Die Länge und Breite stimmten ziemlich genau mit einander überein;
trotzdem wurden doch beide Dimensionen gemessen und von beiden der
Mittelwerth genommen.
Die Messungen geschahen mittels Ocularmikrometer 2^/2^ Obj. F Zeiss.
Versuch Lx X VU.
Salzlösangen
Gesammtdimension von
je 80 Kernen
TotaldimendoD tod
120 Kernen
NaCl 0-5 Procent
290—295—297—298
1190
,. 0-7 „
282—294—274—292
1142
„ 0-9 „
266—273—275—272
1086
., 2-4 „
232-241—246—240
959
Man sieht, dass die Dimensionen der Kerne abnehmen mit
der Concentrationszunahme der Salzlösungen.
Versuch LXXVUI.
Dieser Versuch ist auf dieselbe Weise angestellt wie
der Torige. Es ist
ein anderes Thier.
Salzlösungen
GesammtdimenBion von
je 30 Kernen
Totaldimension Ton
120 Kernen
NaCl 0«7 Procent
249—240—246-247
982
« 1-5 „
238-229-237-281
935
M 2-4 „
255—246—243-250
994
Dieser Versuch zeigt, ebenso wie der vorige, dass die Dimension der
Kerne kleiner ist in einer l*5procent als in einer 0*7procent NaCl-Lösung.
Im Gegensatz damit stellte sich aber heraus, dass in der NaCl-Losung von
2*4 Frocent die Kerne am grössten sind. Höchstwahrscheinlich haben
dieselben aber in letzterer Lösung eine wesentliche Veränderung erfahren,
denn sie erscheinen sehr blass und zeigen hier und da eine wellenförmige,
d. h. abnormale Begrenzung. Die Bilder erinnern an die, welche man
beobachtet, wenn rothe Blutkörperchen, insbesondere Froschblutkörperchen
in starken NaCl-Losungen verweilt haben (NaCl-Lösungen von 2 bis 3 Froa).
Auch die Blutkörperchen quellen dann zu grossen blassen Kugeln an.
Ich will noch ein paar Versuche mit NaCl 0-7, 1 und 1»5 Procent
erwähnen. Im letzteren Versuche sind nur freiliegende Kerne gemessen.
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EmPLuss VON Salzlosükgen auf das Yolüm THIEBI8GHEB Zellen. 455
Salzlösungen
Qesammtdimension von
je 30 Kernen
Totaldimension von
120 Kernen
Versuch LXXIX.
NaCl 0-7 Procent
270-271—276-269
1086
„ 1-0 „
262-259-254-265
1030
,. 1-5 „
250 - 246-251—244
Versuch LXXX.
991
NaCl 0-7 Prooont
254—259—253—263
1029
„ 1-0 „
251—248-246—249
994
1*5
239—242—238—240
959
Aus diesen Versuchen geht deutlich hervor, dass die Dimension der
Kerne abnimmt mit der Concentrationsznnahme der umgebenden
Salzlösungen.
Man darf also schliessen, dass, wenn das abgeschabte Blasenepithel in
nicht zerfallenem Zustande verkehrt, die durch Salzlösungen herbeigeführten
Yolumsanderungen genau übereinstimmen mit den bei den entsprechenden
rothen Blutkörperchen beobachteten.
Nun könnte man die Bemerkung machen, dass bei der Entfernung
des Epithels doch wohl immer ein gewisser Theil der Zellen lädirt werden
muss. In der That ist diese Möglichkeit auch nicht auszuschliessen. In-
dessen lehrt das Experiment, dass diese Läsionen, wobei z. B. ein Theil des
Zellenleibes abgerissen wird, auf das Resultat der Bestimmungen keinen
wesentlichen Einfluss ausüben.
Wenn man nämlich abgeschabtes Blasenepithel mit einem scharfen
Rasirmesser während einer halben Stunde hackt, so wie man dies zur An-
fertigung von Netzhautpräparaten zu thun pflegt, und man prüft nachher
den EiMuss von Salzlösungen auf das Volum, so stellt sich heraus, dass
das Hacken nur einen geringen Einfluss auf letzteres ausgeübt hat.
Ich lasse zum Beweise drei Versuche folgen.
Versuch LXXXI.
Blasenepithel des Schweines vertheilt man in wenig NaCl 0«9 Procent; ein
Tbeil des Gemisches wird mit scharfem Rasirmesser eine halbe Stunde ge-
hackt; dann werden gleiche Quantitäten dieser gehackten Masse mit gleichen
Volumina einer 0 • 7 procentigen und 1 • 5 procentigen NaCl-Lösung versetzt;
genau dasselbe wird gethan mit dem nicht gehackten Theile.
Salzlösungen
Volum
I des Epithels
Procentisoher
Volumsunterschied
a) Naa 0-7 Proc. I , ,^
b) . 1.5 ., M^^^^*
c) Naa 0-7 Proo. I . , , , , .
,^ ^ _ > nicht gehackt
d) „ 1-5 „ I
85
66
94
69
85-66
85
94-69
69
X 100 = 22-3 Proc.
X 100 = 25-5 Proc,
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456
H. J. Hambusgkb:
Salslöanng^en
Volnm
des Epithels
Procentischer
Yolamsanterachied
Versuch LXXXIL
a) NaCl 0-7 Proc I , ^
0) NaCl 0-7 Proc. 1 . , . , v*
,; . . ] mobt gehackt
d) „ 1-5 „ I
74
55«5
85-5
61
74 - 55'5
74
85'5--61
85-5
Versuch LXXXm.
a) Naa 0*7 Proc. I , u.
b) . 1.5 „ M^^^
c) Naa 0-7 Proc \ . ,. , , .
,' . - ? nicht gebackt
d) w 1*5 w »
59*5
45'5
104
76
59'5~45.5
45-5
104-76
104
X lOe = 2& Proc
X 100 = 28-6 Proc
X 100 = 28-5 Proc
X 100 = 27 Proc
Man sieht, dass nach dem Hacken der Volomsunterschied des Epithels
in NaCl 0-7 und 1^5 Procent fast ebenso gross ist wie zuvor. Wie ich
sehe, kann das nur daher rühren, dass der Zellleib des Blasenepithels nach
der Vorstellung Bütschli's^ aus einem protoplasmatischen Schaum besteht,
dessen Waben geschlossen sind und die intracellulare Flüssigkeit enthalten.
Nach dieser Vorstellung liegt es auf der Hand, dass, wenn man eine der-
artige Zelle durchschneidet, zwar viele Waben geöflfhet werden, dass aber
jede der zwei Hälften wieder ein feines geschlossenes Wabenwerk bilden.
Wenn alle Waben mit einander communidrten , so würde nach einer
Durchschneidung oder einer anderen Läsion der Zelle die intracellulare
Flüssigkeit sich vermischen mit der umriugenden Salzlösung, und der
Zellenleib würde nicht mehr quellen oder schrumpfen. Wenn das nun
nach dem Hacken doch geschieht, so ist das umgekehrt eine Stütze für die
Wabenstructurhypothese Bütschli's. Indessen leuchtet es ein, dass> wo eine
Anzahl von Waben geöffnet worden sind, der durch Salzlösungen herbeige-
führte Volnmsunterschied etwas kleiner ausfallen muss, als wenn die Zellen
unversehrt sind, was denn auch aus den Versuchen LXXXI bis LXXXIH
deutlich hervorgeht.
Wie man aber auch über die Interpretation der aufgefundenen That-
sachen denken msg, jedenfalls ist man berechtigt, duraus zu schliesseu,
dass, wenn das Volum des abgeschabten Epithels sich wenig beeinflussen lässt
sogar durch langwährendes Hacken, die Beleidigung der Zellen durch ein-
faches Abschaben noch weniger Einfluss auf das Volum ausüben wird.
Doch sieht man zuweilen, wie gesagt (wie in den Versuchen LXXIII,
LXXV und LXXVI), bei anscheinend gesunden Blasen, dass nach ein-
facher Entfernung des Epithels und Versetzung mit NaCl 0.9 Procent der
^ Bütschli, UfUersuehungen über mikroskopische Schäume und uhtr das JEr^Uh
plasma, Leipzig 1882,
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EIN7LU88 VON SALZLÖSUNGEN AUT DAS YOLUM THIEBI8CHEB ZeLLBN. 457
ganze Zellenleib in Körnchen zerMt Warom das geschieht, vermag ich
nicht zn erklären. Handelt es sich hier etwa am einen besonderen Zu-
stand des Epithels?
Vielleicht wird die Bemerkung gemacht werden, dass auch nach langem
Hacken die Zellen wohl in eine Eömchenmasse verändert sein werden. Das
ist aber — man kann sich durch das Mikroskop leicht davon überzeugen —
keineswegs der Fall. Ich denke, dass es daher rührt, dass die Zellen so
leicht unter dem Basirmesser hinwegschlüpfen.
Als allgemeines Endresultat der über das Blasenepithel
angestellten Versuche ergiebt sich, dass die Zellen sich mit
Bezug auf Permeabilität und Volumsänderung gegenüber Koch-
salzlösungen verhalten wie die rothen und weissen Blut-
körperchen.
IV. Oesophagosepithel.
Wir wünschten nun noch eine Epithelsorte zu untersuchen, an welcher
ebenso wie am Blasenepithel eine TJndurchgängigkeit für Salz erwartet
werden konnte. Hierzu prüften wir das Eplthelium des Oesophagus, ein
Organ, welches ebenso wenig wie die Blase auf Resorption angewiesen ist
Was man hier abschabt, sind sehr grosse, meist platte Zellen, in
welchen nicht selten eine bedeutende Zahl runde und ovale Körnchen vor-
handen ist, welche den Eindruck machen, Bakterien zu sein und sich auch
mit alkalischen AnilinfarbstoJBTen intensiv tingiren lassen.
In vielen Fällen gelang es nicht, eine genügende Quantität zu entfernen,
denn die Zellen pflegen fest an einander und an der Unterlage zu haften.
Die Experimente wurden auf dieselbe Weise ausgeführt wie beim
Darm-, Trachea- und Blasenepithel.
Ich lasse hier einige Versuche folgen.
Versuch LXXXIV.
Oesophagusepithel eines frisch getödteten jungen Hundes, vertheilt in ein
wenig Hundeserum; nachher in Lösungen von NaCl 0*7, 0-9, 1*2 und
l-ö Procent. Einwirkung ^/j Stunde; dann centrifugirt.
Salzlösungen
a) NaCl 0*7 Procent
b) „ 0-9
c) ,. 1-2 „
d) „ 1-5 ,.
Volnm des Epithels
44-5
38-5
33
80-5
Also eine regelmässige und bedeutende Abnahme des Volums bei
Steigerung der Salzconcentratiou.
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458
H. J. Hambubgeb:
Stellt man sich auch hier wie bei den Blutkörperchen und
Blasenepithel vor, dass die Zelle aus einem protoplasmatischen Gerüst be-
steht, welches für NaCl impermeabel ist und am wasseranziehenden Ver-
mögen keinen Antheil hat, und einer zwischen dem Gerüst eingeschlossenen
intracellularen Flüssigkeit, welche das ganze wasseranziehende Yennögen
reprasenürt, so lässt sich aus den beobachteten Volumina das Volum des
Protoplasmagerüstes berechnen.^ Und dann erhalt man für das Proto-
aus:
a und d . . . 18*2Procent|
a und c . . . 16*9 „ i d. L im Mittel 17-9Piocent,
b und d . . . 18-5 ,, )
d. i. auf b = 38 »5 Procent
g^ X 100 = 47 Procent,
aus welcher Berechnung man ersieht:
Erstens, dass die mit verschiedenen Salzlösungen gewonnenen Zahlen
nahezu dasselbe Volum für das Protoplasmagerüst aufweisen.
Zweitens lehrt der Versuch, dass der mittlere Procentgehalt des Epithels
an Protoplasmagerüst (47 Procent) von dem der entsprechenden rothen
Blutkörperchen nicht bedeutend abweicht
Der folgende Versuch ist eine Wiederholung des vorigen.
Versuch LXXXV.
Salzlösungen
a) NaCl 0-7 Proc.
b) .. 0-9 .,
c) „ 1-2 „
d) „ 1-6 „
i Voliim des Proto-
! Volum plasmagerüstes
lEpithels' berechnet
aus
66-5 I a und d
58-5 a „ c
50 I b „ d
46 I
28
26-
27-
Mittl. VoL
des Proto-
plasma-
gerüstes
Procentgehalt
des Oesophagusepifchels
an Protoplasmagerüst
27*7
27-7
58-5
X 100 »47-4 Proc.
Dieser Versuch giebt dieselben Resultate wie der vorige.
Ebenso wie beim Blasenepithel, haben wir hier eine Anzahl von Ex-
perimenten angestellt, um zu untersuchen, inwieweit bei demselben Indivi-
duum Uebereinstimmung zu beobachten sein würde zwischen dem procen-
tischen Protoplasmagehalt des Oesophagusepithels und dem der rotheu
Blutkörperchen.
Wie gesagt, ereignete es sich oft, dass wir das Experiment nicht aus-
zuführen im Stande waren, weil die Epithelzellen zu fest an der Unterlage
oder an einander hafteten.
Vgl Dies Archiv, 1898. Physiol. Abthlg. S. 324.
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EiNFLTTSS VON SALZLÖSUNGEN AUF DAS VoLUM THIEBISCHEB ZeLLBN. 459
SalzlösungeD
Volum der
Sedimente
ProceDtischer
Volomsunterschied
Versuch LXXXVL
a) NaCl 0
b) „ 1
e) NaCl 0
d) „ 1
a) NaCI 0
b) ,. 1
c) Naa 0
d) .. 1
a) NaCl 0
b) „ 1
c) NaCl 0
d) „ 1
a) NaCl 0
b) „ 1
0) NaCl 0
d) ,. 1
a) Naa 0
b) „ 1
c) NaCl 0
d) „ 1
a) NaCl 0
b) ., 1
c) NaCl 0
d) „ 1
a) NaCl 0
b) „ 1
e) NaCl 0
d) „ 1
a) NaCl 0
b) „ 1
c) NaCl 0
d) „ 1
7 Proc. 1 Oesophagnsepithel
5 „ J (Hund)
7 Proc. 1
5
'roc« \
' \ rothe Blutkörperchen
42
27-5
64
31*5
42 - 27-5
42
64-81-5
64
Versuch LXXXVH.
7 Proc. 1 Oesophagnsepithel
5 „ 1 (Schwein)
I rothe Blutkörperchen
5
7Proc<
5 „
38
17*5
72-5
33
38— 17-5
38
72-5-33
72-5
X 100 = 84-5 Proc.
X 100 a 50-8 Proc.
X 100 = 58-9 Proc.
X 100 = 54-4 Proc.
Versuch LXXXVIIL
7 Proc. I Oesophagnsepithel
7 Proc '
5
J (Hund)
I rothe Blutkörperchen
46*5
24
69
35
46-5 - 24
Versuch LXXXIX.
7 Proc. I Oesophagnsepithel
5 „ I (Pferd)
7 Proc.
5 „
7 Proc.
5 „
7 Proc.
5 ..
I rothe Blutkörperchen
Versuch XG
49
25
59-5
26-5
I Oesophagnsepithel
(Rind)
I rothe Blutkörperchen
Versuch XCL
44
22
71
32-5
7 Proc. I Oesophagnsepithel
5 „ I (Pferd)
* J rothe Blutkörperchen ,
Versuch XCII.
21-5
57
24
7 Proc. I Oesophagnsepithel
5 ,. I (Pferd)
7 Pro«. \
5 .. I
40-5
17
56
(Pferd)
rothe Blutkörperchen
Versuch XCm.
7 Proc. I Oesophagnsepithel
5 „ I (Schwein)
. ' [ rothe Blutkörperchen
6 ff I
52
24-5
67-5
31-5
46-5
xioo =
48 -4 Proc.
69-35
69
X
100 =
49 -8 Proc.
49-25
49
X
100 =
48 -9 Proc
59.5-26-5
59-5
X
100 =
55-4 Proc
44-22
44
X
100 =
50 Proc
71-32-5
71
X
100 =
54-2 Proc
36-5-21-5
86-5
X
100 =
41-1 Proc
57-24
57
X
100 =
67-7 Proc
40-5- 17
40-5
X
100 =
58 Proc
56-23
56
X
100 =
58 -9 Proc
52-24-5
52
X
100 =
52-8 Proc
67-5-31-5
67-5
X
100 =
53-3 Proc.
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460 H. J. Hakbubgeb:
Betrachtet man die Tabellen, so ergeben sich folgende Resultate:
1. In den Versuchen LXXXVII, LXXXVIII, XC, XCII und XCHI
stimmt der Volumsunterschied des Oesophagusepithels in NaCl 0-7 Procait
und 1*5 Procent mit dem der entsprechenden rothen Blutkörperchen
überein.
2. In den übrigen drei Versuchen LXXXVI, LXXXIX und XCI aber
zeigt das Oesophagusepithel einen viel geringeren Volumsunterschied als die
entsprechenden Blutkörperchen.
Woher dieser Gegensatz?
Handelt es sich sub 2. vielleicht um einen Zerfoll des Zellkörpers, wie
derselbe auch beim Blasenepithel zu beobachten war?
Davon war nicht die Bede.
Eine aufmerksame Studirung der Versuchsprotocolle bat den Gegensatz
auf befriedigende Weise aufgeklärt. Es fiel mir nämlich in den Notizen
auf, dass gerade bei den letztgenannten drei Experimenten in den Zellen
eine grosse Quantität Körnchen vorhanden gewesen war (vgl. S. 457) y in
den sub 1. angeführten Versuchen dagegen nicht oder nur sehr wenig.
Nun liegt es auf der Hand, dass, je mehr der Baum der intracellularen
(wasseranziehenden) Flüssigkeit von Körnchen eingenommen wird, desto
geringeren Einfluss die Salzlösungen auf das Zellenvolum ausüben werden.
Wenn also im Oesophagusepithel keine besonderen Ablage-
rungen vorhanden sind, so verhalten sich die Zellen gegenüber
Kochsalzlösungen ebenso wie die Blutkörperchen und das
Blasenepithel.
Was diese Ablagerungen bedeuten, vermag ich nicht zu sagen, ebenso
wenig, an welche Umstände das Vorkommen geknüpft ist
Eritik, Zusammenfassung und Discnssion.
Als die Absicht bei mh: entstand, den Einfluss von Salzconcentrationen
auf das Volum von Epithelzellen zu untersuchen, wurde es bald deutlich,
dass von quantitativen Bestimmungen an den Zellen in situ nicht die Rede
sein konnte, sondern dass die Experimente ausgeführt werden mussten an
isolirten oder höchstens zu kleinen Aggregaten zusammengefügten Zellen.
Zu diesem Zwecke waren wir wohl genöthigt, die Zellen durch vorsichtiges
Abschaben von der Unterlage zu entfernen.
Ich muss aber gestehen, dass ich nicht ohne Widerwillen an diese
Methode herantrat Liegt nicht die Möglichkeit, sogar die Wabrscbein-
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EiNTLüBB VON SALZLÖSUNGEN AUF BAS YOLüM THIEBI80HBB ZEIiLBN. 461
liohkeit vor, dass man beim Abschaben auch andere Gewebstheile entfernt
und weiter eine Anzahl der doch zarten Epithelzellen beschädigt?
Was den ersten Punkt anbetrifft, nämlich das Y(Hrhandensein von
anderen Gewebstheilen zwischen der Epithelmasse, so braucht man darüber
nicht im Unklaren zu bleiben; das Mikroskop kann unmittelbar darüber
Auüschluss geben.
Ich habe denn auch keinen Versuch angestellt, wobei ich mir, auch
aus anderweitigen Gründen, nicht die allerdings geringe Mühe gab, ein
oder mehrere Präparate der zu centrifugirenden Gemische unter dem
Mikroskope zu betrachten. Und nun hat es mich wirklich frappirt, wie
wenig Gewebsfeteen in den Präparaten zu erkenne waren.
Was aber gar nicht selten vorkam, war eine sichtbare Beschädigung
der Zellen, wodurch sogar oft Kerne frei gekonmien waren.
Nun haben wir in dieser Hinsicht einen wesentlichen Unterschied zu
machen zwischen den Fällen, wo das Protoplasmagerüst aller oder fast
aller Zellenleiber, selbst nach sorgfältigster Abschabung und vorsichtiger Yer-
nuschung mit den Salzlösungen in Kömchen zerföllt, so dass schliesslich
nur freie Kerne und Protoplasmakörnchen vorhanden sind (vgl S. 458),
und den Fällen, dass unter den nämlichen Manipulationen nur ein kleiner
Theil der Zellen sichtbar lädirt worden und von einem Zerfalle in Köm-
chen absolut nicht die Bede ist Wie sich herausgestellt hat, übt in
den ersteren Fällen die Disgregation des Protoplasmagerüstes einen be-
deutenden verkleinernden Einfluss auf den Betrag der durch Salzlösungen
herbeigeführten Yolumsändemngen aus. Und das li^ auf der Hand, denn
es sind dann bloss die Keme, welche schmmpfen und quellen, während
die Kömchenmasse, welche sich an den Yolumsändemngen nicht betheiligt,
dadurch die Totalschwankungen hinabdrückt.
Ich glaube aber nicht, dass in dei zweiten Beihe von Fällen die Läsion
der Zellen einen bedeutenden Einfluss auf die Yolumsschwankungen aus-
geübt haben wird: 1. weil die Besultate in verschiedenen Yersuchen gut
mit einander übereinstimmen; 2. weil sich herausgestellt hat, dass, wenn
man Blasenepithel lange Zeit mit einem scharfen Basirmesser hackt, der
durch NaQ 0*7 und 1*6 Procent herbeigeführte Yolumsunterschied nahezu
ebenso gross Ueibt^ wie wenn der Yersuch mit dem ursprünglichen EfÄthd
angestellt w&re^ (v^. S. 455).
Ob man es nun mit der ersteren, oder mit der letzteren Beihe von
FSUen txl thun hat, darüber kann das Mikroskop umnittelbar beiehren.
* DieseB Resultat scheint mir, wenigstens für das Blasenepithel, eine Stütze zu
bilden f&r die Bütschli'sche YorsteUnng betreffs der Wabenstractnr (vgl. S. 456).
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462 H. J. Hamburgeb!
Nach diesen kritischen Bemerkungen seien die Hauptergebnisse er-
wähnt, zu welchen die vorliegenden Untersuchungen gef&brt haben.
Dieselben sind kurz die folgenden:
1. Die vier untersuchten Epithelsorten schrumpfen durch
hyperisotonische und quellen durch hypisotonische NaCl-
Lösungen.
Beim Darm- und Tracheaepithel sind die Volumsänderungen
gering, beim Blasen- und Oesophagusepithel dagegen bedeutend.
2. Letztere Thatsache lässt sich dadurch erklären, dass
beim Darm- und Tracheaepithel ausschliesslich der Kern, beim
Blasen- und Oesophagusepithel auch der Zellkörper an den
Volumsänderungen betheiligt ist.
Mit anderen Worten: Der Zellkörper der beiden ersten
Epithelsorten ist für Kochsalz durchgängig, der der beiden
letzteren nicht
Es steht dies wieder in Einklang mit dem bedeutenden Besorptions-
vermögen von Darm und Trachea einerseits und dem geringen Besorptions-
yermögen von Blase und Oesophagus andererseits.
3. Zuweilen zeigt sich das Darmepithel im Gegensatz mit den
unter 1. und 2. Erwähnten für Kochsalz wenig permeabel Das
rührt daher, dass das Epithel dann in einem besonderen physio-
logischen Zustand verkehrt: nicht selten gelang es, denselben
künstlich hervorzurufen (vgl. S. 437).
4. Aus dem Betrag der durch verschiedene NaCl-Lösungen
herbeigeführten Volumsänderungen lässt sich ebenso wie das
früher geschah bei den rothen und den weissen Blutkörperchen,
auch beim Blasen- und beim Oesophagusepithel das Verhältniss
zwischen dem Volum von Frotoplasmagerüst (incL Kerngerast)
und von intracellularer (incl. intranuclearer) Substanz berech-
nen (vgl S. 449 ff. und S. 458 ff.).
5. Vergleicht man dann die bei den zwei Epithelsorten ge-
wonnenen Zahlen mit denen, welche wir bei den Blutkörperchen
desselben Thieres erhielten, so ergiebt sich eine merkwürdige
Uebereinstimmung.
So betrug beim Blasenepithel des Schweines die Volumdifferenz der
Gerfistsubstanz in NaCl 0«7 und l-ö Procent 26-7 bis 28-6 Prooent,
während dieselbe bei den rothen Blutkörperchen derselben Thierspecies
25.4 bis 29 Procent betrug (vgl. S. 452 ff.).
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EiNFLüBS VON Salzlösungen auf das Yolüm thtbsisohbb Zellen. 468
Bringt man nun die im vorliegenden Au&atze beschriebenen Resultate
mit den in der ersten Mittheüang^ erzielten zusammen , so erblickt man
also, dass das procentische Gerüstvolum der weissen Blutkörperchen , der
Spermatozoa, des Blasen- und Oesopbagusepithels in treffender Weise aber-
einstinmit mit dem Gerüstvolum der entsprechenden rothen Blutkörperchen,
und man fragt sich, ob es sich hier nicht um eine allgemeine Erscheinung
handelt, welche also auch für andere Zellen des Körpers Gültigkeit besitzt
Bei dieser Frage denke ich unwillkürlich zurück an die Befremdung,
welche während der Untersuchungen die aufgefundene Tlebereinstinmiung,
bei jeder Zellenart aufs Neue, bei mir erweckte. Schon fing die Befrem-
dung damals an bei der Vergleichung der rothen und weissen Blut-
körperchen, zwei Zellenarten, welche einander äusserlicb absolut nicht
gleichen, die eine homogen und kernlos, die andere kömig und kemhaltend.
Ich war denn auch sehr geneigt, die procentische Gleichheit des Proto-
plasmagerüstes einem Zufalle zuzuschreiben: vielleicht hatte der Eem der
Leukocyten ein dichteres, der Zellkörper dag^en ein dünneres Gerüst als
das entsprechende kernlose Blutkörperchen, und waren die quantitativen
Verhältnisse zufälliger Weise derart, dass schliesslich das Gesanmxtgerüst der
Leukocyten mit dem Gerüst der Erythrocyten übereinkam. Als sich aber
später herausstellte, dass die fast ausschliesslich aus Eemsubstanz bestehenden
Spermatozoon des Frosches dasselbe Gerüstvolum besitzen, wie die grössten-
theils aus Zellkörper bestehenden rothen Blutkörperchen derselben Thier-
species, schien es mir doch wohl etwas gewagt, auch hier wieder an einen
Zufall zu denken, und der Gedanke an einen Zufall verlor noch mehr an
Wahrscheinlichkeit, als auch das Blasen- und das Oesophagusepithel dasselbe
procentische Gerüstvolum zeigte, wie die entsprechenden Erythrocyten.
Bei diesem Sachverhältnisse blieb nichts Anderes übrig, als die Hypo-
these aufzustellen, dass Eem und Zellkörper ein entsprechendes procentisches
Gerüstvolum besitzen; zu dieser Hypothese waren wir um so mehr be-
rechtigt, da es sich durch directe mikroskopische Messungen herausgestellt
hatte, dass auch der Eem an den durch Salzlösungen herbeigeführten
Yolumsänderungen betheiligt ist (S. 443, 447, 451).
Nun wird es Vielen ganz natürlich erscheinen, dass das Gerüstvolum
einer Tochterzelle mit dem der Mutterzelle übereinstimmt, wenn die Tochter-
zelle nämlich auf dieselbe Function angewiesen bleibt, wie die Mutter-
zelle. Wo aber, wie man das ja bei der embryonalen Entwickelung fort-
während beobachtet, letzteres nicht der Fall ist, da wird genannter Befund
wohl als ein ganz unerwarteter betrachtet werden. So muss ich gestehen.
> Diei Archiv. 1S98. PhysioL Abthlg. S. 389.
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464 H. J. Hahbübgeb:
dass es mich beim ersten Anblick sogar befremdet hat, dass z. B. das.
platte Oesophagusepithel dasselbe procentisohe Gerüstvolom aufweist, wie
die rothen und weissen Blutkörperchen. Lag es nicht auf der Hand, bei
der platten Oestalt des Oesophagusepithels an eine Zusammenpressong
und im Zusammenhange damit an eine Dichtevergrösserong des Gerüstes
zu denken?
Bei näherer Betrachtung wurde es mir aber deutlich, dass von einer
durch die Function herbeigeführten Zusammendrückung nicht die Bede
sein kann, denn man findet die platte Gestalt bereits während der embryo-
nalen Entwickelung, und zwar nicht nur beim Oesophagus, sondern auch
an der Haut, an der Cornea, an der Yaginalschleimhaut u. s. w. Und was
wird man dann sagen müssen vom Pferdemagen, dessen innere Schleim-
hautwand für einen grossen, scharf begrenzten Theil aus geschichtetem
Plattenepithel besteht, von derselben (Gestalt, wie es beim Oesophagus ge-
funden wird, und für einen anderen Theil aus einschichtigem, hohem
Gjlinderepithel, welches dem Drucke des Mageninhaltes doch ebenso gut
unterworfen ist, wie das Plattenepithel?
Bei näherer Betrachtung scheint mir also kein genügender Grund
vorhanden zu sein, die platte Gestalt des inneren Oesophagusepithels der
Zusammendrückung zuzuschreiben. Welche dann wohl die physiologische
Bedeutung der platten Form der inneren Schichten sein mag, kann ich
nicht sagen, und das ist hier auch nicht nothwendig.
Indessen — ich brauche kaum darauf hinzuweisen — wird man erst
dann berechtigt sein, die Uebereinstimmung zwischen dem procentiscben
Gerüstvolum von Kern und Zellkörper und auch von den Zellen im
Ganzen unter einander (desselben Thieres oder derselben Thierspecies) als
eine allgemein gültige Erscheinung aufeufassen, wenn noch eine grosse An-
zahl anderer Zellen in derselben Sichtung untersucht sein und ein gleidi-
lautendes Resultat ergeben haben werden. Viele Zellen eignen sich zu diesen
Untersuchungen nicht: Zellen, wie Darm- und Tracheaepithel, welche fax
Salzlösungen verschiedener Concentration permeabel sind, sind selbstver-
ständlich ausgeschlossen.
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EiNFLüSS YON SaLSSLÖSUKQEH AüV BAS VoLUM THIBBI80HBB ZsiJiEN. 465
Naehsehrift.
Nachdem obige Abbandlong der Bedaction zag^fangen war, erhielt ich
Eenntniss von einem Aufsatz von Eoeppe,^ in welchem meine erste Mit-
theilung ^ über diesen Gegenstand einer Kritik unterzogen wird. Träfe die-
selbe zUy so würde sie auch nicht ohne Einfluss sein auf die Beurtheilung
wenigstens eines Theiles der oben abgeleiteten Schlussfolgerungen.
Eoeppe macht drei prinzipielle Einwände:
1. Habe ich die Dissooiation der Salze trollkommen ausser Acht
2. sind Eochsalzlösungen verwendet, fCbr. welche die rothen Blut-
körperchen nicht absolut undurchgängig sind;
3. stinmien meine Werthe mangelhaft überem.
Ich werde diese Einwände beantworten; erst den wichtigsten.
I. Die für das Gerüst berechneten Werthe stimmen mangelhaft
überein.
Dieser Einwand ist ganz unbereclitigt
Erstens macht Eb^^pe die Bemerkung, dass ich von 6 Werthen nur
3 anfahre und gerade die, welche gut überemstimmen, während bei den
drei anderen Werthen, welche der Verfasser selbst berechnet, die üeber-
dnstünmung nicht so günstig ist In der That habe ich ausgewählt, aber
nicht so, wie Eoeppe meint; ich habe nämlich fßr die Berechnungen
gerade die drei Yersuchspaare gebraucht, bei welchen die Cionoentrationen
möglichst weit aus einander lagen. Das geschah nicht von Zeit zu Zeit
und nur datm, wam mir die Resultate günstig atiszuMen schienen, sondern,
wie Eoeppe bei näherer Betrachtung sehen wird, constant' Von anderen
Combinationen habe ich, auch für mich selbst^ niemals Berechnungen ge-
macht Und das ist natürlich, denn es braucht kaum hervorgehoben zu
werden, dass bei Anwendung von einander nahe liegenden Concentrationen
^ H. Eoeppe, Die YolamensäiideraDg irother Blntscheibea iü Salzlösnngeii. Dies
Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. S. 504.
' H. J. Hambarger, üeber den Einflass yon SalzlÖBUDgen aof das Volam
thieriBcher ZeUen. Erste Mitiheilong. Ebenda. 1898. PhysioL Abthlg. S. 817.
* In Eoeppe's Tabelle (S. 506) sind die Angaben meiner Tabelle Iü (S. 825)
nieht richtig übergenommen worden. Ich berechnete: ans a und e 18*4, ans a und d
18*9, ans b nnd d 19*1 (nicht ans o und d).
Archiv C A. a. Ph. 1809. Physiol Abthlg. SuppL 80
Digitized by LjOOQIC
466
H. J. HAMBUBaSB!
ein kleiner Versuohsfehler einen relativ bedeutenden Einfloss auf das Re-
sultat aasüben muss.
Es ist wahr, vielleicht wäre es besser gewesen , dass ich diese Ueber-
legung in meinen Aufsatz aufgenommen hätte. Es ist nicht unmöglieh,
dass bei der Feststellung und Ausführung der Methode noch mehr kritische
Bemerkungen an meinem Geiste vorübergegangen sind, welche ich dann
bei mir selbst beantwortet, aber nicht in Schrift gebracht habe, entweder
aus Drang nach Kürze oder, indem ich es bei der Zusammenstellung des
Artikels vergessen habe. Die Verhältnisse sind hier ja sehr oomplidrt.^
Schliesslich war es nur die üebereinstimmung der Zahlen, welche fär mich
das befriedigende Wort reden konnte. Daher die vielen Versuche mit
mehreren Lösungen gegenüber einander und auch mit Serum in ver-
schiedenen Verdünnungen.
Wie wichtig es ist,.Coneentration8paare zu wählen, welche nicht Ul-
zu nahe bei einander liegen, will ich an einem Beispiel zeigen, welches ich
Koeppe's eigenen Versuchen entnehme.
In Tabelle II (Fortsetzung S. 509) liest man u. A.
1
8
4
5 1 7 •
NaClLOsQDg
Volam der
Blutkörperchen
Yolnm dee ProtoplasmagerüsteB
berechnet ans
b
c
0*719 Proo.
0*78 ^
0*877 „
55*5
55» 1
Ö2-Ö
b and c
b „ e
.29*1
27-8
Ich setze den Fall, dass in Spalte 4 ftb: b nicht gefunden wird 55*5,
sondern 55*3 (nach Koeppe ist eine derartige Abweichung möglich, denn
die üntertheile der Qradd schätzt er mittels der Lupe und der Verfeeser
sagt^ dass seine Methode bis auf 0*5 genau ist).^
Berechnet man nun mit dieser Zahl 65-3 das Volum des Protoplasnui-
gerüstes, wie auch Eoeppe es that, so bekommt man aus b und c
55.1 X 0^80-55.3 x0.7j9^ = 41-8! statt 29.1,
Berechnet man aber mit derselben Abweichung (55*3 statt 55*5)
das Gerüst aus zwei Concentrationen, welche weiter aus einander liegen,
nän^ch jaus b und e, so bekommt man
^50.5x0.877-55.8x0-7^ ^ 28-7 statt 27-8.
0.877-0.719 ötauu ^1
Welche Zahlen einen viel geringeren Unterschied zeigen als 41*8 und 29*1.
^ Vgl. auch meine Selbstkritik auf S. 825.
* Koeppe, Münehener med. Woehmsehriß. 1893. Nr. 24.
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EINFLUSS YON SALZLÖSUNGEN AUF BAS YOLUM THIERI80HEB ZeLLEN. 467
Dass die Differenz in den Gerüstvolumina, welche Eoeppe aus zwei
neben einander liegenden C!oncentrationen ableitet, bei seinen eigenen Ver-
snoben SO enorm viel grösser ist als bei den meinigen, rfihrt daher, dass
bei meinen Experimenten der Unterschied zwischen zwei einander be-
grenzenden Concentrationen oft noch grösser ist als bei Eoeppe zwischen
den zwei äussersten.
Ich habe noch ein zweites Bedenken gegen Eoeppe's Beurtheilung
meiner Zahlen.
Um den Einfluss von sehr schwachen NaCl-Lösangen auf das Yolum
thierischer Zellen kennen zu lernen, was für rothe Blutkörperchen wegen
des Inhaltsaustrittes nicht möglich ist, habe ich weisse Blutkörperchen dem
Einfluss von 0*5 und 0-25procent NaCl-Lösungen unterworfen und habe
dann gefunden, dass auch die weissen Blutkörperchen durch solche schwache
Salzlösungen geschädigt werden. Bei der Berechnung des Zellengerflstes
aas den gebrauchlichen stärkeren Lösungen habe ich dann auch die mit
0-5 und 0*^25 procent NaCl-Lösungen gewonnenen Zahlen nicht gebraucht
Das fallt augenblicklich bei der Betrachtung der Tabelle auf, nicht nur
aus der Stellung der Accoladen, sondern auch aus der Thatsache, dass die
nicht gebrauchten Werthe zwischen Elammern gesetzt wurden. Auch im
Text habe ich es hervorgehoben. Trotzdem hat Eoeppe doch die letzteren
Zahlen in seine Berechnungen mit einbezogen und es ist ganz natürlich,
dass er auf diese Weise eine mangelhafte Uebereinstimmuug finden musste
(S. 607 unten).
Demnach können höchstens die 6 letzten Berechnungen gebraucht
werden, wo die incriminirten schwachen Salzlösungen nicht mit einbezogen
sind, natürlich unter Berücksichtigung unserer obigen Bemerkung betreffs
Oncentrationsunterschiede.
Diese Berücksichtigung ist indessen nur nothwendig, wenn man die
einzelnen Zahlen mit einander yergleichen will; nicht aber, wenn man ein^
fach das Mittel aus den sechs Werthen berechnet. Das ist hier 20 • 4. Dieses
Mittel stimmt mit dem Yon mir aus 3 Werthen berechneten Mittel, nämlich
20-72, gut überein.
Die Bemerkung hat eine allgemeine Gültigkeit. Wenn man aus Yer-
suchen mit 4 Lösungen, statt 3, sechs Berechnungen machen will, so muss
man jedenfalls aus den sechs das Mittel nehmen; denn auf diese Weise
kann ein Yersuchsfehler, welcher mit + Zeichen in einer Berechnung zum
Ausdruck kommt, in der anderen Berechnung ein — Zeichen bekommen.
So findet man z. B. als Mittel aus meinen drei Werthen (S. 507) 20-48
und als Mittel aus den sechs von Eoeppe berechneten 20*3.
Und so geht es bei allen Yersuchen, auch selbst bei Koeppe's eigenen
Experimenten, worüber noch später.
Koeppe's Schlussfolgerung, dass „der Mangel an üeber-
einstimmung bei meinen Versuchen so erheblich ist, dass man
30 ♦
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468 H. J. Hambübgeb:
viel eher berechtigt sein dürfte, den entgegengesetzten Schlass
za ziehen'^ muss ich also entschieden zurückweisen.
Ich werde Gelegenheit haben, zu zeigen, dass sogar Coeppe's eigi^ie
Versuche für meine Anschauungen sprechen.
IL Die rothen Blutkörperchen sind für Kochsalz nicht absolut
undurchgängig.
Damit wünscht Eoeppe offenbar zu sagen, dass der osmotische Draek
des Blutkörpercheninhaltes unter dem Einfluss von Kochsalzlösungen nidit
unverändert bleibt Denn auf den osmotischen Druck kommt es hier an.
Wie ich hervorgehoben habe, ist es f&r unsere Methode gleichgültig, ob die
Blutkörperchen permeabel sind oder nicht, falls im ersteren Fall nur Aus-
wechselung stattfindet in osmotischen Verhältnissen.
Koeppe und auch Willerding, ^ welche die Blutkörperchen als
permeabel fQr Cl betrachten, stellen sich vor, dass unter dem Einfluss von
NaCl-Lösungen Cl-Ionen in die Blutzellen einwandern. Bei einer anderen
Gelegenheit^ wird aber mit Becht hinzugefagt, dass dafür nothwendig ein
anderes negatives Ion auswandern muss, woraus folgt, dass die durch ESn-
Wanderung von Cl herbeigeführte Steigerung des osmotischen Druckes in
den Blutkörperchen doch keinesfalls so bedeutend sein kann als mit dem
Gl allein übereinstimmt Da nun nach Koeppe der IJebergang von Chlor
in die Blutkörperchen nicht sehr bedeutend ist, so muss die damit verbundene
Aenderung der osmotischen Spannkraft verhaltnissmässig viel geringer sdn.
Das stimmt auch mit meinen Versuchen überein, wobei sich heraus-
stellte, dass die Blutkörperchen; nachdem dieselben in hyperisotonischen oder
hypisotonischen Salzlösungen oder in verdünntem Blutserum verweilt haben,
in derselben oder in nahezu derselben Salzlösung Farbstoffisiustritt zu zeigen
anfangen.' Diese Versuche wurden für verdünntes Serum wiederholt von
V. Limb eck ^ und bestätigt Auch mit concentrirt gemachtem Serum er-
hielt er dasselbe Resultat
Auf ganz anderem Wege findet auch Hedin,* dass nach Vermischung
von Blut mit Salzen der fixen Alkalien „eine etwaige Auswechselung
zwischen Plasma und Blutkörperchen die osmotische Spannkraft unver-
ändert lässt'^
^ Wille rdiDg, Hamburg er*8 Blatkörperchenmethode in ihren Beziehnngeii
ZQ den Gesetzen des osmotischen Druckes. Inaug,-Dis$. Giessen 1897.
* Pfltiger's ^rcÄtü. 1897. Bd. LXVII. S. 197.
* YiKmhViTgQr, Zeitschrift ßir Biologie, 1890. S. 418 n. 419.
* V. Limbeck, Klinische Tatholjogie des Blute*. 1896. 2. Aufl. S. 162.
» Hedin, Pflüger'i ^rcÄ»t7. 1897. Bd. LXVIII. 8.252.
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Edtflüss von SalziAsüngbn auf das Volüm THIERI8CHEB Zbllen. 469
Giebt man aber zu — und dafür scheinen in der That Yersuche von
Koeppe und von Willer ding zu sprechen — dass dennoch eine Aus-
wechselung in isotonischen Verhältnissen in aller Strenge nicht statt-
findet, so kann jedenfalls die betreffende Abweichung für die vorliegenden
Untersuchungen als nur von sehr untergeordneter Bedeutung angesehen
werden.
ni. Die Dissociation.
Was wird geschehen — so frage ich in meinem Au&atz — wenn man
z. B. ein rothes Blutkörperchen, dessen homogener Inhalt einer wasser-
anziehenden Kraft einer 0*9procent. NaCl-Lösung entspricht, in eine
l-8procentige bringt? Es wird die Masse bis zur Hälfte schrumpfen.
Nein, sagt Eoeppe, da liegt ein prinzipieller Fehler; wissen äie denn
nicht, dass die wasseranziehende Kraft abhängig ist von der Zahl der
Ionen und dass diese Zahl mit der Yerdünnung steigt? Gewiss ist mir
bekannt, dass die Yerdünnung Einfluss auf die Dissociation ausübt; schon
vor mehreren Jahren habe ich selbst über diese Angelegenheit Yersuche
angestellt und z. B. Gefirierpunktsbestimmungen ausgeführt von Gemischen
von Serum, Blut und anderen Stoffen mit verschiedenen Quantitäten Wasser;^
die Gefrierpunktsemiedrigung des Blutkörpercheninhaltes stieg mit der
Wasserverdünnung. Zu urtheilen nach einer Bemerkung in seinem Aufsatz,
besteht auch bei Eoeppe kein Zweifel, dass der Blutscheibeninhalt durch
Hinzufogung von Wasser dissociirt Doch hat der Yerfasser bei seiner Kritik
die Dissociation des Blutkörpercheninhaltes, mit Unrecht, ausser Acht ge-
lassen, während er auf die Dissociation der die Blutkörperchen umgebenden
Flüssigkeiten grosses Gewicht legt Es sei nebenbei gesagt, dass es mir schon
früher bei seinen und bei Willerding's übrigens sehr interessanten Aus-
einandersetzungen aufgefallen ist, dass die Dissociation des Blutkörperchen-
inhaltes sehr ungenügend gewürdigt wurde.
Denken wir uns dann — um näher zu prädsiren — ein Bläschen
gefüllt mit einer Zuckerlösung isotonisch mit NaCl 0*9 Procent; die Wand
des Bläschens ist nur permeabel für Wasser; weiter ist es umgeben von
einer 0*9procentigen Eochsalzlösung. Wir ersetzen nun die 0*9procentige
KaCl-Lösung durch eine l-8procentige. Was wird nun mit dem Bläschen
geschehen? Schrumpfen bis auf die Hälfte?
Das Wasseranziehungsvermögen einer l*8procent NaCl-Lösung ist
nicht zwei Mal so gross wie das einer 0*9proceni, sondern weniger;
denn eine 0-9procent Eochsalzlösung enthält ' ^ x 1 »9 := 0*029 Holen,
eine l-8procent dagegen -^^ x 1-8 = 0-055 Molen. Yon der Molen-
58-5
> Hambarger, CetUralblaU für Physiologie, 1894. 24. Februar.
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470 H. J. Hambübobe:
zahl hängt die wasseranziehende Erafli ab. Nnn dissociirt Zucker nicht
und der osmotische Druck einer Zuckerlösung ist also mit der Concentration
direct proportional Die Zelle wird folglich nicht auf die Hälfte schrumpfen,
0*029
sondern die Schrumpfung betragt ^ .
An ein derartiges Sachverhältniss scheint Eoeppe gedacht zu haben.
Ganz anders gestaltet sich aber die Sache, wenn das Bläschen nicht
gefüllt ist mit Zuckerlösung, sondern mit einer 0*9procent NaCl-Solution.
Dann führt die 1 «Sprocent NaCl-Lösung wohl Schrumpfung zu der Hälfte
herbei. Der Grund ist einfach genug. Denn um von einer 0*029 Molen
enthaltenden NaCl-Lösung eine 0*055 fassende zu machen, hat man die
Flüssigkeit zu der Hälfte einzuengen, und nun ist es natürlich vollkommen
gleichgültig, ob die 0*9procent NaCl-Lösung sich dabei innerhalb oder
ausserhalb des Bläschens befindet. Mit anderen Worten, das mit einer
0-9proc«nt* NaCl-Xösung gefüllte Bläschen schrumpft durch eine 1*8
procent Kochsalzlösung zu der Hälfte.
Im AUgemeinen darf man sagen, dass, wenn das Dissociationsvermögen
von Zelleninhalt und Umgebung dasselbe ist, Proportionalität besteht
zwischen dem Yolum des Inhaltes und der Gewichtsconcentration der um-*
gebenden Flüssigkeit. Weichen die Dissociationsgrade von einander ab, so
erfahrt die FroportionaUtät eine verhältnissmässige Einschränkung. Bei der
Wahl der Flüssigkeiten habe ich mich durch diese IJeberlegung führen
lassen. Und nun schien es mir am besten, NaCl zu wählen, weil in den
Blutkörperchen wie im Serum die Chloride den Hauptbestsmdtheil der
mineralen Stofie bilden. Weiter darf von den Salzen das NaOl als das
meist unschädliche f£ür die Blutkörperchen betrachtet werden; denn es möge
wahr sein, dass NOg- und SO^-Ionen nicht in die Blutkörperchen einzu-
dringen vermögen, Cl-Ionen dagegen wohl, nach meiner Erfahrung halten
die Blutkörperchen sich viel länger in NaCl-Lösungen als in den damit
isotonischen Lösungen von NaNOg, Na^SO^, KNO3 und B^SO^.
Anfangs schien es mir mehr angewiesen, bloss Serum, in verschiedenen
Verdünnungen mit Wasser, zu gebrauchen. Ich habe dann auch, wie aus
den Tabellen auf S. 328 und S. 331 hervorgeht, mehrere Versuche damit
ausgeführt, und zwar mit sehr befriedigendem Resultat Die Mehrzahl sind
aber angestellt mit NaCl, weil beim Serum die brauchbaren Concentrationen
nicht weit aus einander liegen. Freilich ist man, was die untere Grenze
betrifft, ebenso bei NaCl wie» bei Serum beschränkt durch den Farbstoff-
austritt, und so haben wir als untere Grenze für NaCl genommen, NaQ
0*7 Procent und für Serum, ein Gemisch von 100 Serum + 50 Wasser.
Bei NaCl aber kann man nun weiter leicht hyperisotonische Lösungen
bekommen; beim Serum ist das auch wohl möglich, aber doch umständlich.
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EiNPLuss YON Salzlösungen auf das Yolüm thierisoheb Zellen. 471
Nun wurde Eoeppe noch die folgende Bemerkung machen können:
Ich will einea Augenblick zugeben , dass innerhalb der entsprechenden
Goncentrationsgrenzen Blutkörpercheninhalt und Serum so wenig in Disso-
ciationsfahigkeit von einander abweichen^ dass das Yolum der Blutkörperchen
nicht merkbar von der Dissociation beeinflusst wird; ich gehe noch weiter
und gebe das sogar zu, nicht nur für Serum , sondern auch für die ent-
sprechenden NaCl-Lösungen. Ich gebe das aber nur zu fOr hypisotonische
Lösungen, nicht für hyperisotonische. Denn meiner Meinung nach^ ent-
halt das in seinem natürUchen Plasma verweilende Blutkörperchen bloss
grosse y^neutrale^' Molecüle, welche erst in Dissociation gerathen, wenn
Wasser hinzutritt In hyperisotomschen Kochsalzlösungen verkehrt der
Blutkörpercheninhalt also auch nicht in Dissociation; es ist als ob der
Blutkörpercheninhalt bestände aus einer Zuckerlösung. Bringt man dann
auch das Blutkörperchen aus einer isotonischen NaCl-Lösung in eine
l'Sprocentige, so verkehrt es in dem -auf S. 469 beschriebenen Fall, und
nun muss der Einfluss der Dissociation dann dodi recht gut an den
ÜBig treten.
Wir wollen diesen eventuellen Einwand mit einer Berechnung be-
antworten.
Wir nehmen die erste beste Versuchsreihe von Tabelle I (Eoeppe, S. 506).
NaCl-Lösnng
Bodensatz-
yolam
Voloin des Protoplasmagerüstes
berechnet ans 1
b) NaCl 0*94 Proo. (isot mit dem Senim)
d) „ 1-6 ,.
34 «5
28-75
b nnd d
1»*1
Wie gross wird das Protoplasmagerüst werden, wenn man den Inhalt
der in isotonischen und hyperisotonischen NaCl-Lösungen liegenden Blut-
körperchen als Bieht dissaeiabel betrachtet?
Eine 0-94procent. Eochsalzlösung enthält 1*89 Molen,
V 1-5 „ „ „ 1-84 „
Stellt man sich nun vor, dass in den Blutkörperchen keine Dissociation
stattfindet, so ergiebt sich das Protoplasmagerüst p aus der folgenden
Gleichung:
(34-5-;>) X 0.94 X 1-89 « (28-75-p) 1*6 X 1-84
^«18.87.
> Nach Tangl and Bagarsky können die normalen Blatkörperchen als Nicht-
Elektrolyte bezeichnet werden. (CenirMlatt für Fkyttiol, 24. Jnü 1897.) Bä Ver-
dünnimg mit Wasser nimmt das elektrische Leitnngsyermögen zo. (Koeppe, Die$
Archiv. 1899. Physiol Abthlg. S. 516.)
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472 H. J. Hambübc^bb:
Vernachlässigt man aber die Dissociation anss^halb der Blutscheiben,
so bekommt man, wie aus der Tabelle hervorgeht, p^l9^\y also einen
Unterschied von 0.77, das ist ^^ x 100 « 4 Procent
Wenn man meine Tabdlen studirt, so wird man finden, dass dieser
Unterschied innerhalb der {"ehlergrenzen fallt Das wird schon deutiich,
wenn man bedenkt, dass ein Ablesungsfehler von 0*25 Theilgrad denselben
Unterschied in casu herbeiführen kann; denn wenn man der Beobachtung
zu Folge in der soeben angestellte^ Gleichung 29 statt 28*75 hätte setzen
müssen, so wäre ;? == 19*Q5 geworden; was p ^ 19*1 sehr iiahß kcgpunt
Und ein Fehler von V^ Theilgrad ist sehr möglich.
Indessen halte ich es bei der Annahme, dass der Blutkörpercheninhalt
durch isotonisohe und hyperisotonische Lösungen nicht dissociirt, eine An-
nahme, für welche meines Erachtens sehr viel Grund besteht, f&r sehr
n^öglicb, dass, wemi pan mit demselbeA Blut eine vicht zu geringe An-
zahl Versuche ausführt, so dass der mittlere Fehler herabgeset^ wird, man
mit NaCl-Lösungen ein etwas grösseres Gerüstvolum finden wird a^s n4t
hjperisotopischen B^)hrzucl(erlösungen. Der Unterschied wird aber tl^o^tisoh
höchstens betragen können ^^'^7.5^'^^ X 100 = 2-2 Procent des proccn-
tischen Gerüstvolums.
Das ist denn auch der maximale Fehler, welchen man
machen kann, wenn man bei der Anwendung von NaO die
Dissociation ausser Acht lässt
Mit EjSO^ ist em grösserer Fehler zu erwarten, da dessen Dissodations-
Goefficient viel grösser ist als von NaCL Darum u. A. habe ich E^SO^ audi
nicht gehraucht
Bei vergleichenden Versuchen ist also d&s grosste Gerüstvdum zu er-
warten bei der Anwendung von KjSO^, dann folgt NaCl und endlich Eohr-
zucker. Letzteres scheint, in hyperisotomschen Lösungen gebraucht, das
meist rationelle.^ Ich wiederhole, das mittels NaCl-Lösung erhaltene pio-
centische Gerüstvolum kann höchstens 2*2 Procent zu gross ausfallen.
Und wünscht man nun auch noch mit Eoeppe eine etwaige
Steigerung der osmotischen Spannkraft des Blutkörperchen-
inhaltes zu berücksichtigen, welche entsteht durch Einwanderung
von Cl-Ionen in die Blutkörperchen, so wird dieser Fehler von
2' 2 Procent noch kleiner.
^ Indessen ist es noeh nicht so sicher, dass, wie die Theorie es yerlang^
Rohrzucker fBr die Blutkörperchen so voUkommen nentral ist. Vgl. Willerding.
a.a.O. S.87.
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EiNFiiUss VON SalzlSbünoisn auf das Yolüm THIESI80HSB Zblusn. 478
Hiermit glaube ich Koeppe's Eänwäiide betrefb der Dissociation ge-
nagend beantwortet zu haben.
Und nun endlich noch ein einziges Wort über
rV. Koeppe*s eigene Versuche.
Auf S. 509 findet man die folgende Tabelle (IL Fortsetzung):
\
2
8
4
5
6 7
Jer-
Yolam der
such
Zackerlösong
NaCl-L58iuig
Blut-
berechnet
der Zocker«
der NaCI-
28
körperchen
ans
lösang
lösnng
a
6-84 Proc.
0-608 Proc.
58-6
a and b
30-8
88-4
b
T-69 „
0-719 „
55-5
a „ c
80-0
87-4
0
7-8 „
0-78 „
65-1
a .. d
28-0
34-3
d
8-55 „
0-818 „
52*5
a „ e
28-9
32-2
e
9-40 „
0-877 „
50-6i
b . 0
b „ d
b ,. e
c „ d
c „ e
d ,. e
23-8
25-2
28-0
26-4
28-8
80-8
29-1
29-5
27-8
29-6
27-6
26-1
Mittel
27-9
31-1
Aus dieser Tabelle leite ich Folgendes ab:
1. Dass das mittlere Frotoplasmagerust, mittels ZuckerlQsung be-
stimmty nämlich 27-9 (Spalte 6), gar nicht schlecht übereinstimmt mit
dem, welches aus a und e berechnet wurde, nämlich 28-9.
Aehnliches gilt für die mit NaCl gewonnenen Werthe 31*1 und 32-2.
2. Dass die Mittelwerthe für Zucker und NaCI (27-9 und 31-1) nicht
sehr bedeutend von einaiider abweichen.
Bei der Beurtheilung bedenke man doch:
1. Dass man hier mit einer Versuchsreihe zu schaffen hat, dßrep
«usserste Goneentrationsgrenzen etwa einem einzelnen Versuch bei mir
entsprechen;
2. dass die Genauigkeit von Koeppe's Versuchsverfahren nicht allen
Anforderungen entspricht, welche man bei derartigen Versuchen zu stellen
pflegt; so gestattet die Ereiseloentrifuge keine oonstante Umdrehungs-
geschwindigkeit, was für vergleichende Untersuchungen mehrerer Proben
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474 H. J. Hambubgeb:
sehr erwünscht ist; so ist Koeppe gewohnt,^ l^Blut mit nur 5 oder etwas
mehr Flüssigkeit zu versetzen, dadurch liegen die Blutkörperchen in eii^er
Lösung, welche zu viel abweicht von der Concentration, welche man in
Rechnung bringt.
Nimmt man das Mittel von 27-9 und 31-1, d. L 29*6 und nimmt
die Lösung e als die isotoniache, so berechnet sich, ein Oerüstvolum von
29*5
X 100 = 58*4 Frocent, eine Zahl, welche an die von mir gefundene
50-5
erinnert.
Den ersten Theil der Tabelle II (S. 608) kann ich nicht besprechen.
Da müssen Fehler vorhanden sein. So ist ^
in Tabelle II (Fortsetzung) das Blutkörperchenvolum
in Zuckerlösung von 8-55Proc., 52*5,
in Tabelle II das Blutkörperchenvolum in Zuckerlösung 8-55 j, , 52-6.
Das stimmt; aber
in Tabelle II (Fortseteung) das IBlutkörperchenvolum
in Zuckerlösung von 6.84 Proc., 58*6,
und in Tabelle IE (Atifang) das Blutkörperchenvolum
in Zuckerlösnng 7*01 ,, , 59.2.
Das stimmt nicht; die zweite Zahl für das Sediment sollte kleiner sein als
58 «6, statt grösser. Das ist in casu ein sehr bedeutender Fehler.
Jetzt noch ein Versuch auf S. 615 (612).
' __a b c d e f g b
Concentr. = 0.126 O-lö 0175 0*2 0-225 025 0-275 0-3
Blutk.-Vol. = 79 70 61 56-6 54.4 51.5 50 46
Hieraus berechnet Eoeppe für das Gerüstvolum
ans: aas: ans: ans:
a und b
24-0
b und c
8-0
c und d
20.0
d und e
400
a „ c
16-0
b „ d
16-0
c H e
32-0
d „ f
32-0
a „ d
18*6
b „ e
24.0
0 „ f
29-3
d „ g
320
a „ e
24-0
b „ f
24.0
c » g
30'0
d „ h
26.0
a » g
25.0
b „ g
25-4
c „ h
24-9
e „ f
240
a „ h
22-3
b „ h
22-0
f „ g
32-0
e » g
28-0
f „ h
18-0
e „ h
20-0
•g » h
4.0
Koeppe, Mü9u:hener medie, WocheMchrifU 1S98. Nr. 24.
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EOTFLUSS YON SaLZLÖSüKGEN AUF DAS VOLüM tSlSfttSOHBB ZblLBN. 475
In der That, man muss mit Eoeppe erkennen, dass diese Ergebnisse,
welche sieb zwischen 4 und 40 bewegen, stark von einander ab weichem
Woher rühren aber diese starken Abweidinngen?
Ich bringe die Ergebnisse zusammen, welche erhalten sind aus Ver*
suchspaaren, deren Concentrationen neben einander liegen und also nur
um 0- 025 grm-Mol. pro mille Bohrzucker differir^n. Man bekommt dann aus:
a und b
24-0
b „ c
8-0
c „ d
20-0
d „ e
400
e „ f
24-0
f « g
32-0
g » h
4-0
Diese Zahlen stimmen sehr schlecht (man lese die Erklärung auf S. 466).
Viel besser stimmen die aus weiter aus einander liegenden Con-
centrationen erhaltenen Zahlen (Di£: 0*125 bis O'175grm-Mol. promille).
a und f 24-0
a „ g 25-0
a „ h 22.3
b „ g 25.4
b „ h 24-9
a „ h 25-0
Das Mittel aus diesen Zahlen ist 24-8, während das Mittel aus allen
28
Versuchen zusammen ' =23-7 beträgt
Meine Methode ist also nicht so schlecht, wie Eoeppe meint, und
wenn der Verfasser die Versuchsfehler vermieden hätte, welche ich auf
S. 473 unter 2 erwähnt habe, so würde unzweifelhaft die Uebereinstimmung
noch besser gewesen sein.
Wenn wir nun weiter annehmen, dass das Blutserum isotonisch war
mit 0-3grm-Mol. pro mille Rohrzucker, so hätte also das Volum des Proto-
plasmagerüstes —j^ X 100 = 53-8 Procent betragen, eine Zahl, welche
mit den von mir selbst beim Pferd, Bind und Schwein gefundenen sehr
gut übereinstimmt.
Schluss.
Aus obigen Auseinandersetzungen darf man schliessen:
1. Dass bei einwandsfreier Berechnung eine mangelhafte Ueberein-
stimmung zwischen den von mir gewonnenen Zahlen nicht besteht; das
Oegentheil ist wahr;
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476 H. J. HAMBüBaBB: Einfluss yok SalzlÖsükobn ü. s. w.
2. dass die auf Dissociation und Permeabilität bezüglichen theore-
tischen Bedenken keinen nennenswerthen Einfloss auf den Betrag des
mittels NaCl-Losongen bestimmten procentischen Oerüstvolnms reprisen-
tiren können; um so weniger, weil Dissociation und Permeabilit&t mit ent-
gegengesetztem Zeichen wirksam sind;
3. dass auch Eoeppe's eigene Yersuchsresultate, bei gehöriger Inter-
pretirung, statt meiner Vorstellung zu widersprechen, dieselbe bestätigen
und unterstützen, die Vorstellung nämlich, dass in den Blutkörperchen ein
Gerüst vorhanden ist, welches am wasseranziehenden Vermögen nicht be-
theiligt ist und dessen Volum sich mittels meiner Methode feststellen lasst
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Studien über diö locale ßlntcircnlatioü im Bereiche
gelähmter Nerven»
Von
Dr. Michael Iiapinsky
in Ki«w (BoMlMid).
(Aas dem tbierphysiolog. Institut der landwirthschafU. Hocbschole zu Berlin.)
Alle Forscher, die sich ffir das Verhalten der Bltttcirculation im Be-
reiche gelähmter Nerven interessirten, habeii bei iliren experimentellen
Beobachtungen der Orösse des Gefasslnmensy der Stromgeschwindigkeit des
Blutes und der Höhe des intravascolären Druckes ihre Aufmerks^nkeit
zugewandt
I.
Was die Weite des Gefasslumens betrifft, so haben zahlreiche Beobach-
tungen eine Erweiterung der Gefasse in solchen Eörpertheilen gezeigt, deren
iiüt vasomotorischen Fasern versehene Nervenstamme oder Wurzeln der-
selben durchschnitten, bezw. auf irgend eine Weise lädirt waren. Ueber die
Lumenvergrösserung der Blutwege urtheilten die Autoren in solchen Fällen
entweder auf Grnnd erhöhter Temperatur im betreffenden E6rpergebiete
und hyperämiscber Hautfarbe desselben oder durch mikroskopische Unter-
suchung oder mit Hülfe grober Messapparate.
Locale Erweiterung der Gefasse im Yerzweigungsfelde des N. trigeminus
nach Durchschneidung seines Stammes constatirten bei verschiedenen Thieren:
Valentin/ Graefe,* Claude Bernard,' Gahen.^ Eine Erweiterung der
* Valentin, De fltnetionibui nervoruin cerebralium, 1S89.
' Graefe, citirt nach Landenbach, Das System der Vtuomotot^n, 1S87. (Rnss.)
* Olande Bernard, Qat, de mSd. de Pari». 1874.
^ Gaben, Nevroses vasomottices. Areh,§in,de m4d. 1868. T. IL
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478 Michael Lapinsky:
Oeßsse im entsprechenden Theile der Zange zog die Durchsohneidong des
N. hypogloesus nach sich (Schifft beim Hunde). Die DurchschneiduDg
des N. auricularis bei Kaninchen (Moreaa^) veranlasste eine Oeßss-
erweiternng in der oberen Ohrhälfte der operirten Seite. Die Läsion des
N. sympathicos, welche von Cl. Bernard,' Vulpian,* Goltz,* Dogiel,'
Dastre.Morat,^ Schiff,» Brächet,* Brown.S6quard,i« Waller,"
van der Beke Callenfels" und Nothnagel^' bei Hunden, Kaninchen,
Pferden und Eseln gemacht wurde, zeigte neben anderen Erscheinungen
auch Hyperämie des Ohres und der Gehirnhäute auf der lädirten Seite.
Gefasserweitemng beim Frosche im Verzweigungsgebiete der Nn. ischiadici
haben nach Durchschneidung derselben gesehen: Warton, ^^ Joseph,^'
Donders,^^ Huizinga,^^ Humilevski,^» Putzeys und Tarchanoff.**
Deutliche Gefasserweiterung fanden im innervaidonsterritoriam des
^ Schiff, Einfloss der Nerven aaf die GefSsse der Zange. Ärchw für Eeü-
hunde. 1866.
' Moreaa, CeniraJUatt für med. Wissenseh. 1878.
' Claade Bernard, a) Comptes rendus de Biologie, 1851. — b) Gaz. mü,
de Paris, 1852. — c) Annales des seienees ntUvreües, 1854. — d) Liquides de
Vorganisme. T. L p. 251.
^ Vnlpian, a) Öaz, mSd, de Paris, 1857. — b) Lefons swr Vappareü vasomotevr,
Paris 1875. T. I. p. 90-96.
* Goltz» Frensberg und Gergens, Gefässerweiternde Nerven. Pflüger's
Archiv. Bd. XI.
* Dogiel, Messung der Blatgeschwindigkeit Moskauer med. Zeitung. 1868.
(Bnssisoh.)
' Dastre-Morat, Becherehes erpMm. sur le sgsüme nerveux vasomoteur. Paris
1884. p. 24.
* Sehiff, a) Areh. f, phgs, Heilhunde. 1854. — b) Untersuchungen 9ur Phy-
siologie des Nervensgstems, 1855. S. 140.
, * Brächet, Becher ches expMmentales sur les fonctions du Systeme nerveux.
1887. p. 430-482.
'* Brown-S^qnard, Oat.m4d.de Paris. 1854.
" Waller, Comptes rendus. 1858. p. 878.
t> Tan der Beke Callenfels, Zeitschrift ßir rationelle Medicin, 1855.
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ÜbEB IiOGALE BlÜTOIEOUIiATION U. 8. w. 47d
darobschnittenen N. ischiadicns beim Hunde Jankowsky,^ Eulenbarg
undLandois,* Schiff,* Bufalini,* Goltz,* Rasumovsky,® Bogowitz,^
Mantegazza,^ Putzeys-Tarohanoff.'
Eine die Norm um das Vier- und Fünffache übertreffende Erweiterang
der Arterien und eine noch bedeutendere Erweiterang der Venen bemerkte
Fraenkel ^^ nach Durchschneidung des N. ischiadicus bei Kaninchen.
Yulpian^^ spricht von localer Oefasserweiterung bei verschiedenen Thieren
nach Durchschneidung des N. ischiadicus.
Lumenerweiterung der Arterien und Venen nach gleichzeitigem Durch-
schneiden der Stämme der Nn. ischiadicus und cruralis hat Nothnagel'
am Hunde beobachtet.
Lewaschkow^* durchschnitt einem Hunde den Stamm des N. cruralis
und erhielt Tetnperatursteigerung in der entsprechenden Extremität.
Lewasohew,^* Mathieu et Gley" reizten dauernd den undurch-
schnittenen N. ischiadicus, indem sie feine Fäden durch diesen Nery
fährten und beobachteten Oefässlumenerweiterüng am untersuchten Fusse
(beim Hunde).
^ Jftnkowakj, Bedentung 4or Gefässoeiren auf Oedementstehiuig. Yirchow'B
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480 MiOHABL Lapiksky:
Goltz,! Ostroumoff,' Hastelick und Bidder,« Dziedzial,^ Ken-
dal und Luchsinger, ^ Masins et Yanlair^^ Lepine' o. A. dtuüh-
schnitten beim Hunde den N. ischiadicus und reizten nach einiger Zeit den
peripheren Stumpf desselben, sie erhielten dabei eine Temperatursteigerung
in der paralysirten Extremität
Ostroumoff® erhielt Temperatursteigerung unter d^ glichen Be-
dingungen bei cürarisirten Thieren.
TiOcale Erweiterung der Oefasse fiemd Schiff® bei veiBchiedenen Thieren
nach Durchschneiden der Wurzeln des N. ischiadicus.
Dogiel und Schumovskj^^ durchschnitten bei den Hünd^ den
Plexus sacro-lumbalis oder den Plexus axillaris und erhielten Temperatar-
steigerung d^ Haut und Oefasserweitetung in der paralysirten Extremität;
Samuel^! und Schiff^^ erhielten dieselben Besultate nach Dm^Aschneiden
des Plexus axillaris bei Tauben.
Ein grosses Interesse bieten die Agenden Beobachtungen, wo bei Ver-
suchen an Nerven die Gre&serweiterung sehr hartnackig und längere Zeit
andauerte.
t)astre-Morat!' beobachteten nach tturchschneidüng dee N. sym-
pathicus eine viele Tage dauernde Gefösserweiterung (bei Kunden und
^ Goltz« a.a.O. CentrtdblaU für med. Wisienseh. 1877.
' OBtroamoff , Hemmangsnerreii der Hantgefasse. Pflüg er' b Jrekio.
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^' Dastre-Horat, Beehereket expMmenttUee »ur le etfsthne vaemnoi. Paris
1884. p. 24.
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ObBE LOCALE BIiUTOIBOüLATION U. 8. w. 481
Pferden). Tarchanoff und Pntzeys^ überzeugten sich davon, dass zehn
Tage nach Durohschneidung des Nerven (bei Fröschen) noch die Blutfülle
in der Extremität der openrten Seite starker war als in der contralateralen
Extremität Schiff beobachtete üi seinen an Tauben angestellten Ver-
suchen lange Zeit hindurch Hyperämie und Temperatursteigerung in der
Extremität, deren Plexus axillaris durchschoitten worden war.
Samuel^ unterbrach die Gontinuität des Plexus axillaris bei Tauben
und beobachtete locale Hyperämie der Gefässe in der paralysirten Ex-
tremität viele Wochen hindurch. Tigerstedt* erwähnt Gefasserweiterung
im Laufe vieler Wochen in Folge Durchschneidung eines Nerven. Le-
waschew* reizte bei seinen Versuchshunden den N. isohiadicus, ohne
jedoch die Gontinuität desselben zu unterbrechen und erhielt dabei Tem-
peratursteigerung in der Pfote der operirten Seite in der Dauer von 3 bis
5 Monaten.
Sehr interessant sind auch die Beobachtungen von Pye-Smith,®
Schifft und Gallenfels,^ deren Versuche nicht an einem gemischten,
sondern an einem mehr oder weniger rein vasomotorischen Nerv angestellt
sind; die Autoren excidirten bei Kaninchen ein Stück des N. sympathicus
am Halse und erhielten dauernde Hyperämie des Ohres.
Pye-Smith beobachtete seine Versuchsthiere 2 Jahre hinduroh.
Schiff fand Hyperämie und erhöhte Temperatur am Ohre der operirten
Seite 1^/2 Jahre nach der Durchschneidung des N. sympathicus. Dasselbe
hat Gallenfels während 150 Tagen beobachtet.
Was den intravasculären Druck in den Gelassen der paralysirten
Extremität betrifft, so findet man sehr wenig Beobachtungen darüber.
Boy und Graham® haben mittels eines besonderen, von ihnen selbst
angegebenen Instrumentes den Blutdruck in Froschfüssen gemessen, indem
sie während der Untersuchung oder kurze Zeit vorher den N. ischiadicus
^ Tarohaooff und Patzeys» a. a. 0. CentrMlatt fwr med. Wissenseh. 1877.
' Schiff, oitirt nach Samuel, a. a. O. Virchow's Archiv, Bd. CI.
' Samuel, a. a. O. Ebenda. Bd. CXUI.
^ Tigerstedt, Lehrbuch der Physiologie des Kreislaufs. Leipzig 1898. S. 474.
* Lewaschew» a. a. O.
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^ CallenfeU, Zeitschrift ßir rationelle Medicin. 1855.
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und Capillaren zu messen. Jrchiv für die ges, PhyeioL 1878. S. 158.
Archiv C A. n. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. SnppL 81
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482 MiOHAEL Lapinsky:
dnrchsclinitten.^ Die Beobachtungszeit dauerte in ihren Versuchen aller
Wahrscheinlichkeit nach nur einige Minuten und die Forscher kamen zu
dem Schlüsse, dass der locale Blutdruck in den Gefissen nach Durch-
scbneidung des zugehörigen Nerven abfallt.
Claude Bernard^ durchschnitt einem Pferde den N. sympathicos
und maass mit Hülfe eines gewöhnlichen Manometers den intravasculären
Druck in den Zweigen der A. temporalis. Auf der Seite des durch-
schnittenen Nerven war der Tonus dieser Blutwege £ast ganzlich Temichtet,
ihr Lumen war stark erweitert, der Widerstand gegen den Blutstrom war
in ihnen sehr gesunken, und der intravasculäre Blutdruck war
dabei sehr erhöht
Yulpian' machte analoge Versuche und fand auch erhöhten Blut-
druck in den Zweigen der A. carotis auf der Seite, wo der N. sympathicos
durchschnitten war. Vulpian behauptet auf Orund seiner Versuche, die
Durchschneidung eines vasomotorischen Nerven habe eine Erhöhung des
localen intravasculären Druckes im Gefolge, wenn durch diese Operation
eine Erweiterung der Gefasse in einem bestimmt umgrenzten Gebiete und
ein verstärkter Blutzustrom dahin erreicht würde.
Dastre-Morat^ haben denselben Versuch am Esel und am Pferde
angestellt, sind jedoch zu anderen Besultaten gekommen.
In ihren Versuchen ^vurde eine Zunahme des arteriellen Druckes nur
in den ersten Secunden nach Durchschneidung des N. sympathicus ge-
sehen, später aber konnte eine Steigerung des intravasculären Druckes im
Bereiche der durchschnittenen Nerven nur in den Venen wahrgenommra
werden, in den Arterien dagegen war der Druck sogar unter die Norm
gesunken.
Tigerstedt,^ indem er dieses Thema berührt, kommt zu dem Schlosse,
dass der Blutdruck in den erweiterten (gelähmten) Arterien, deren vaso-
motorische Nerven vorher durchschnitten sind, sehr hoch steigen kann.
* Die Üntersnchimgen derselben Aotoren mit Hülfe desselben Instrumentes bei
normalen FrOschen mit ganz intacten Nn. ischiadici ergaben Folgendes:
a) Mit der Erweiternng der Gefösse wächst die Blatdmckhöhe.
b) Der Drack erleidet in drei- bis vierminutigen Perioden ziemlich regelmässige
Schwankungen von 20"" bis SO"™ Wasserhöhe.
e) Temporare Anämie lässt die Gefässe sich erweitem, worauf das wieder xu-
gelassene Blut mit erhöhtem Drucke einströmt,
d) Bückenmarksreizung erhöht den Druck.
* Claude Bernard, Liquides de Vorganitme, T. L p. 251—260.
' Vulpian, Le^ons sur Vappareü vasomoteur. T. I. p. 95 u. 880.
* Dastre-Morat, a.a.O. Becherches expSrimentales,
* Tigerstedt, Lehrbuch der Physiologie, S. 475.
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Übbb looale Blvtoiboulatiok tj. 8. w. 483
„Wir haben schon gesehen," sagt Tigerstedt, „dass die Ge-
fässe bei einer äusseren Blutung durch eine starke Gontrac-
tion gegen den herabsinkenden Blutdruck reagiren. Nun ist
aber jede Erweiterung der Gefässhöhle, welche mittels Durch-
schn^idung eines gefässverengenden Nerven zu Wege gebracht
wird, einer inneren Blutung gleichzustellen. Wir sind daher
berechtigt, die Möglichkeit anzunehmen, dass hierbei Gefässe,
deren Nerven gar nicht direct beeinflusst worden sind, con-
secutiv verengt werden. In diesem Falle kann der Druck in
der gelähmten Arterie ansteigen, wenn nämlich die Blutzufuhr
yerhältnissmässig grösser wird, als die Widerstandsabnahme
in ihren peripheren Zweigen'' (S. 475). „Weil aber das Blut in
dieser (erweiterten) Arterie auf einen geringeren Widerstand,
als in anderen arteriellen Bahnen stösst, so strömt dort mehr
Blut, als kurz vorher. Von der Beziehung zwischen der Gefäss-
erweiterung und der Blutzufuhr ist dann der Seitendruck ab-
hängig« (S. 475).
Sehr wenige Beobachtungen sind auch aber die Geschwindigkeit des
Blutlaufes im Gebiete paralysirter Nerven gemacht worden. Man hat sich
zur Bestinmiung der Stromgeschwindigkeit in solchen Fällen verschiedener
Methoden bedient.
Bei Versuchen an Fröschen beobachteten die Forscher die kleinen
Gefasse der gelähmten Extremität unter dem Mikroskope. Bei Versuchen
an grösseren Thieren bediente man sich zu diesem Zwecke der Ludwig'-
schen Stromuhr, mit der man die Volumina des zuströmenden Blutes in
grossen Gefassen bestimmte. In einigen Fällen schnitt man in den be-
obachteten Theil mehr oder weniger tief ein und schloss auf die Strom-
geschwindigkeit nach der aus der Wunde fliessenden Blutmenge.
Hermann Joseph^ wandte bei solcher Gelegenheit seine Aufinerksam-
kdt, neben der Stromgeschwindigkeit in den Gefassen, auch der Weite des
Gefässlumens zu. Indem er mit einer in Garbolsäure getränkten Ligatur
den N. ischiadicus beim Frosche umschnürte oder diesen Nerv zwischen zwei
Glasstäbchen zusammendrückte, sah er hierbei eine starke Verlangsamung
der localen Blutcirculation, bei gleichzeitiger localer Erweiterung der Gefasse.
Eine gleiche Verlangsamung der localen Blutcirculation sah bei Fröschen
Saviotti^ unter analogen Bedingungen.
^ Hermann Joseph, Dies Archiv. 1872. Physiol. Abthlg.
» Saviotti, Archiv für patholog. Anatomie. 1870. S. 580-592.
31 •
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484 MioHABL Lapinsky:
Hnmilev ski ^ beobachtete dieBlutstromgeschwindigkeit in der Schwimm-
haut des Frosches, bei dem der N. ischiadicus während der TJntersocfaimg
durdischnitten wurde. Es fand sich dabei, dass „die Durchschneidnng des
Nerven von anhaltender Gefassinjection bi^Ieitet ist (8. 139); die Qna-
durchmesser der Qefasse sind grösser und die Blntcirculation sistirt sogar
einige Zeit in der Schwimmhaut'^
Leider waren die Untersuchungen dieser Forscher nur von kurzer
Dauer, so dass die Beweiskraft der von ihnen gefundenen Resultate nor för
die ersten Minuten des paralytischen Zustandes maassgebend sein kann.
Wichtiger sind die ScMüsse Yulpian's.' Die überaus grosse &-
fahrung dieses Autors lasst seine Meinung sehr glaubwürdig erscheinen,
obgleich er seine Methoden zur Bestunmung der- Stromgeschwindigkeit
nicht beschreibt Auf Qrund seiner Beobachtungen stellt der Autor die
Folgen des Durchschneidens des N. ischiadicus in folgenden Worten fesi:
„La dilatation des vaisseaux, qui a Ueu par suite de la section des fibres
vasomotrices, comprises dans le nerf coup^, a certainement pour consequenoe,
dans ces conditions, un ralentissement du mouvement da sang dans les
vaisseaux capillaires et les veinules de l'öxtr^mit^ du membre. Ce ralen-
tissement du courant sauguin est du non seulement k P^largissement des
voies, que doit parcourir, sous la m§me pression qu'auparavant, la meme
quantitö de sang; mais encore ä l'affaiblissement du tonus des petdtes
art^res, ce qui d^termine n^cessairement une diminition de la „vis k teigo"
par suite de laquelle le sang progresse dans les veines. — II doit donc 7
avoir un certain degr^ de stase relative dans les vaisseaux capillaires de oe
membre, principalement vers ses 6xtr6mit^; car c'est lä surtout que, dans
le cas suppos^, c'est ä dire apr^ la section du nerf sciatique, les petites
art^rioles sont paralis^ Cet ^tat de la circulation est incontestablement
une cause pr^disposante pour les arrgts du cours du sang^ . . .
Dieser Schluss Yulpian's, der auf Grund der Untersuchungen an
verschiedenen Thieren gemacht wurde, bezieht sich offenbar auf die sp&terai
Stadien der Nervenparaljse und berücksichtigt hauptsachlich nur chronisdie
Circulationsstorungen im Gebiete der vorher durchschnittenen Nerven.
Andere, in der Litteratur über Blutstromgeschwindigkeit im Gebiete
der paralysirten Nerven vorhandene Beobachtungen berühren unser Tbma
nur theilweise und sehr einseitig, weil sie bei ganz anderer Gelegenheit
vorgenoumien worden waren.
So wurden Messungen der Stiomgeschwindigkeit des Blutes mittels
Ludwig'scher Stromuhr in der A. cruralis nach Durchschneidung der
^ HamiloTski, a. a. 0. Dies Archiv. 1S86. PhysioL Abthlg.
» Vulpian, a. a. O. T. IL p. 848.
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Über looaiiB Biiütcibo(JLAtion ü. s. w. 486
Nn. cruralis und ischiadiciis von Dogiel-Schumovsky,^ Pogosoheff*
und DogieP vorgenommen. Indem diese Autoren sich für die Frage
interessirten, in wie weit eine Muskeloontraction auf die locale Blutcircolation
Einfluss haben könne, reizten sie den peripheren Theü des gleich vorher
durchschnittenen Nerven und maassen dabei die Blutstromungsgeschwindig-
keit in der A. cruralis. Es wurden bei diesen Untersuchungen sehr ver-
schiedene Schlässe gewonnen; manchmal war unter dem Einflüsse der
Nervenreizung der Strom verlangsamt, zuweilen aber fand sich dabei grosse
Steigerung der Geschwindigkeit. Die durch diese Forscher gefundenen
Resultate geben uns indess keinen Aufschluss darüber, welchen Einfluss die
Lähmung der Nerven an und für sich auf die Geschwindigkeit der Gircu-
lation in einem paralytischen Eörpertheile haben kann, da erstens in ihren
Versuchen die Stromgeschwindigkeit vor Durchschneidung der Nerven nicht
festgestellt worden war und zweitens die Messungen vorgenommen worden
während der Beizung der durchschnittenen Nerven; eine solche Reizung
rief Muskelcontractionen hervor und der Blutstrom in der A. cruralis war
durch diese Muskelspannung sehr behindert worden.
Ebenso wenig brauchbar fär unser Thema sind iiuch die Versuche,
wo die Stromgeschwindigkeit nach der Menge des Blutes, die aus der Wunde
fliesst, zu bestimmen ist In den Beobachtungen von Claude Bernard,^
Schiff,^ Gaskell,® Sadler,^ Hermann Schultz® war der Blutstrahl aus
der Wunde, die im Gebiete des durchschnittenen Nerven lag, viel grösser
als aus derjenigen im (Gebiete des intadien Nerven. Man konnte sich
aber auf Grund der Blutstrahlbreite nur Schlüsse betrefis der Blutfülle
der zu vergleichenden Sphären erlauben, die Blutstromgeschwindigkeit in
deren Gefassen bleibt jedoch dabei unbestimmt
Wir ersehen also aus den hier angefahrten Untersuchungen, dass die
Durchschneidung eines Nerv^stammes, eme Unterbrechung seiner Con-
' Dogiel-Sohnmovsky» a. a. O. Moskansr med. Zeitung, 1868.
' Pogoseheff, Blatbewegnng bei MaskeloontraetioD. Militär-ärgtliche» Journal,
1875. BcLCXXn. (RusBlBch.)
* Dogiel, a. a. 0. Moskauer med, Zeitung, 1868.
^ Claude Bernard, a. a. O. Liquides de Vorganisme, T. I.
* Schiff, dtirt nach Dogiel-Schnmovsky, a.a.O.
* Gaskell, a) AenderuDg des BlDtstroms in den Muskeln durch die Beizung
ihrer Nerven. Ludwig's Archiv, 1877. — b) Gefässnerven der Froschmuskeln.
Jahresbericht fOr Physiologie, 1878.
' S ad 1er, Blutstrom in den Muskeln. Ludwig's Archiv. 1869.
* Hermann Schultz, Einfluss der Ner?endiirchschneldung auf Ernährung und
Begeneration des Gewebes. Centralblatt für med, Wissensch. 1878.
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486 Michael Lapinsky:
tiimit&t oder eine Lasion seiner Fasern, auf andere Weise, eine Lumen-
erweiterang der localen Gefasse im Gefolge hat, die manchmal einige
Wochen, sogar Monate hindurch daaem kann.
Der intrayasculäre Druck im Gebiete lädirter Nerven ist gleich nach
der Läsion in einigen Fällen vermindert, in anderen dagegen gesteigert
gefunden worden.
In einigen, besonders sorgfaltig ausgeführten Beobachtungen wurde
die Stromgeschwindigkeit im Bereiche lädirter Nerven vermindert ge-
funden«
In fast allen hier angeführten Versuchen dauerte die Beobachtungs-
zeit, was die Stromgescbwindigkeit und den Blutdruck betrifft, nur ein^e
Minuten; deswegen geben die dabei gefundenen Resultate keine Möglich-
keit, ein ürtheU über die. Cirpulationsstorungen in späteren Stadien der
Nervenpai;alyse zu fassen.
n.
Wir haben unsererseits Untersuchungen über die Weite des Gefass-
lumens, die Stromgescbwindigkeit und die Höhe des intravasculären Blut-
druckes im Bereiche lädirter Nerven angestellt; wir beabsichtigten hierbei
die zu Tage tretenden Erscheinungen nicht allein in den ersten Momenten
unmittelbar nach der Verletzung der Nerven, sondern während einer längeren
Zeitperiode nach entwickelter Paralyse zu verfolgen. Wir nahmen für diese
Zwecke Frösche Bana esculenta (ungarische Basse) und föhrten Paralyse
einer (linken) Hinterextremität herbei durch Durchschneidung der moto-
rischen Wurzeln des N. ischiadicus, oder durch Trennung seines Stammes
im oberen Drittel des Oberschenkels, oder durch eine feste Umschnürong
dieses Nerven an derselben Stelle.
Wir stellten unsere Beobachtungen der Girculationserscheinungen zuerst
am normalen Thiere an, später an demselben Thiere gleich nach Verletzung
seines N. ischiadicus, wiederholten diese einzelnen Beobachtungen eine ge-
wisse Zeit hindurch und hatten zum Vergleiche während der ganzen Zeit
erstens die Periode vor der Läsion des Nerveu und zweitens die andere
normale Extremität; wir versuchten auf diese Weise festzustellen, welchen
Schwankungen jene oben hervorgehobenen Besonderheiten der Blutcirculation
unterworfen sind.
Im Allgemeinen wurde die Blutcirculation in der Schwimmhaut eines
jeden Versuchstbieres auf einem von uns construirten Apparate unter dem
Mikroskope 48, 24 und V2 Stunde vor der Operatio^, Vt ^i^ 2 bis 3 Stunden
nach der Operation und weiterhin täglich ein Mal während der ganzen
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Übbb logale Blütoiboulation ü. 8. w. 487
auf die Operation folgenden Periode bis zum Tode der Thiere, der gewöhn-
lich am 14.; 24., selten am 30. Tage erfolgte, beobachtet
Um das Thier bei der Fixinmg auf dem Beobachtungstischchen so viel
als möglich zu schonen, wurde dasselbe in Schreibpapier ziemlich locker
eingewickelt, wobei die Hinterschenkel Tollständig frei blieben. Der Rumpf
und die vorderen Extremitäten, die ein wenig nach vom^ ausgezogen und
an den Kopf angelegt wurden, lagen frei in der Papierhülse. Das vordere
Ende dieses Papierrohres überragte die Schnauze des Thieres um 12 bis
15 ^™ und blieb offen, so dass das Athmen des Thieres vollständig unbe-
hindert blieb. In diesem papiemen Futteral wurde der Frosch auf die Platte
gesetzt; um den Rumpf des Thieres wurden dann 2 bis 3 Schnüre gelegt,
die dasselbe an die Platte befestigten.
Das Beobachtungstischchen stellte ein Holzbrettchen von 2 ^ Dicke,
20 cm Breite und 60*^"^ Länge dar.' An einem Ende dieses Brettchens be-
fanden sich zwei Fenster von 2 ^™ Durchmesser; sie lagen zu beiden Seiten
der Mittellinie je 1 ^ von dieser entfernt und in derselben Entfernung vom
kürzeren Rande des Brettchens. Auf diesen Fensterchen wurden während
der Beobachtung die ausgebreiteten Schwimmhäute der beiden hinteren Ex-
tremitäten befestigt und die Platte selbst wurde auf den Objecttisch des
Mikroskops gelegt. Ueber den beiden Fenstern in einer Entfernung von
V4 ^ wurde eine 2 "*™ dicke, 8 ^^ breite Glasplatte befestigt; sie lag in
einer der Holzplatte parallelen Ebene. Diese Glasplatte konnte man nach
Belieben auch herausziehen, doch lag sie unbeweglich fest, wenn sie sich
an ihrer Stelle befand. In die Fensterchen wurden zwei cylinderformige
Glasgefässe von 2^^ im Diameter und iVs*^" Höhe hineingestellt, die mit
zwei Oeffnungen versehen waren. Eine von diesen, die obere, breitere,
wurde mit einer am Rande festgebundenen durchsichtigen Membran (aus
einer Fischblase) überzogen, und z#ar so, dass diese Membran frei in zahl-
reichen Falten lag; man konnte durch Einwirkung vom Inneren des Glas-
cylinders diese Membran um 1 bis 1^/3^ in die Höhe ausdehnen, welche
dann eine fast 6 ^®™ breite, faltenlose, sphärische Fläche bildete und als Pelotte
dienen konnte. Die andere Oeffhung lag an der Seite des Glascylinders und
ging in ein 3 "^™ im Diameter messendes gläsernes Rohr über, das seinerseits
vermittelst eines Kautschukschlauches mit einer Eautschukbime in Verbindung
stand. Die Verbindung des Glasarmes mit dem Kautschukschlauche wurde
durch eine I-förmige Glasröhre vermittelt. Die beiden horizontalen Oe&ungen
derselben führten zum Glasgefäss bezw. zur Kautschukbirne, die verticale
Oeffnung stand mit einer graduirten Röhre in Verbindung, die, 3 ™"* im
Diameter, 1 ™ Länge hatte, in verticaler Lage befestigt und oben offen
war. Füllte man nun durch die obere freie Oeffnung der graduirten Röhre
das cylindrische Gefäss, die Kautschukbime und die verbindenden Röhren
mit Wasser und liess man die graduirte Röhre leer, so konnte man nach
Belieben die obenerwähnte Membran durch Handhabung der Kautschukbime
^ Nach Beendigung unserer üntersachuDgen mit Bfllfe dieses Apparates fanden
wir zaföllig die citirte Arbeit von Roy und Graham, wo ein miserem fast ganz
analoges Instrument beschrieben ist
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488 Michael Lapinsky:
ausdehnen oder wieder zum Falten bringen; drückte man die Birne zusammen,
so blähte sich die Membran, Hess man mit Drücken nach, so legte sich die
aufgeblähte Membran wiederum in Falten. So oft das Wasser in das
cylindrische Gefäss eingepresst wurde und die Falten der Membran ausglich,
legte sich dieselbe an die über ihr befindliche Glasplatte, der IJeberfiuss des
Wassers aber stieg, keinen anderen Ausweg findend, in der graduirten
Röhre empor. Befand sich in diesem Moment zwischen Glasplatte und
Membran irgend ein Körper, so musste derselbe einen gewissen Druck er-
fahren, dessen Erafk leicht durch die Höhe der Wassersäule im graduirten
Rohr festgestellt werden konnte. Brachte man nun zwischen die Glasplatte
und die Membran die Schwimmhaut bezw. den Fuss des Frosches, so konnte
man auf sie bezw. ihre Gefasse nach Belieben — bis zum yollständigen
Sistiren der Circulation — drücken. Dies — das Aufhören der Circulation —
konnte natürlich nur dann eintreten, wenn der Druck der Wassersäule dem
intravasculären Drucke, mit welchem das Blut aus den Arterien in die
Capillaren strömte, gleichkam oder ihn übertraf. Beobachtete man also unter
dem Mikroskop den Blutlauf und andererseits die Höhe der Wassersäule, so
konnte man auf diese Weise den intrayasculären Druck in den mikroskopirten
Blutwegen feststellen.
Mit Hülfe dieses Apparates konnten wir gleichzeitig alle drei uns inter-
essirende Erscheinungen an dem Gefasssysteme beobachten, d. h. die Breite
der Gefasse, die Stromgeschwindigkeit des Blutes und den intrayascnlären
Druck. Das Instrument erlaubte ausserdem immer, beide Schwimmhäute
bei einseitig gelähmten Thieren mit einander zu vergleichen. Grosserer
Genauigkeit wegen nahmen wir zur Feststellung des Druckes Gefasse aus
der Mitte der Zehenhautfalten, ungefähr V2°°* ^^^ ihrem freien Bande
entfernt, auch ziemlich weit von dem knöchernen Gerüst der Zehen. Wir
bemerkten nämlich, dass die Fischblasenmembran der Pelotte beim Ueber-
gange über einen Zehenknochen, der ja die Schwimmhaut um 1 bis 2 bis
3 mm überragt, die in der Nähe dieses Zehenknochens befindlichen Gefasse
in Form einer Brücke überspannte, so dass dieselben gar keinen Dmck
erfuhren.
Das Befestigen des Frosches auf der Holzplatte des Apparates, das
Ausbreiten der Sehwimmhäute über den Fenstern und das Anheften der-
selben mit Nadeln wurde ganz ohne Narkose vorgenommen. Ein mehr
oder weniger energischer Druck auf den Körper, besonders Kopf des
Frosches Hess das Thier schnell ruhig werden, und wurde der Druck nach
Beendigung der schmerzhaften Proceduren allmählich schwächer ausgeübt
oder ganz eingestellt, so lag der Frosch ganz still, im sogenannten hyp-
notischen Zustande.
Die Untersuchung der Circulation in der Schwimmhaut der Frösdie
vor der Operation (48, 24 Stunden, ^2 Stunde) zeigte keinen Unterschied
darin in beiden Füssen.
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ÜBBB LOOALB BlUTCIBOüLATOON U. 8. W. 489
Die düDnsten Capillaren, denen wir besondere Aufmerksamkeit zu-
wandten, zeigten in beiden Schwimmhäuten gleiche Gontouren, ihr Lauf
war durchaus nicht gewunden, auch war ihr Lumen fiast gleich. Ihre
Weite schwankte zwischen 17 bis 25/«.
Die Circnlation yollzog sich in ihnen jedoch nicht gleichmässig.
Einige Capillaren erschienen ganz leer, in anderen ging der Strom ziemlich
langsam, in anderen dagegen vollzog sich der Blutlauf mit der grossten
Geschwindigkeit*
Der Blutdruck (nach der Höhe der Wassersäule im graduirten Bohre,
bei welcher die Cärculation aufhörte, beurtheilt) schwankte in 80 Beobach-
tungen bei kleinen Thieren zwischen 20 bis 60 <^, bei grösseren Thieren
zwischen 40 bis 80*^ der Wassersäule.
A.
In dieser Art stellten wir Versuche mit 7 Fröschen an, bei welchen
die Läsion des N. ischiadious in einer Durchschneidung seiner motorischen
Wurzeln bestand.
Die Operation selbst wurde auf folgende Weise Yollzogen:
Nachdem die Haut über dem unteren Theil der Wirbelsäule durch-
schnitten und die Muskeln daselbst abgehoben waren, wurden die hinteren
Bogen der drei unteren Wirbel entfernt, die Häute des Rückenmarkes ver-
schoben, aufgetrennt und dann ein dünner Wasserstrahl (unter geringem
Drucke) auf das Rückenmark gerichtet. Die fallende Flüssigkeit erhob das
Mark aus seiner knöchernen Einbettung und drehte es leicht um die Axe
seitlich, so dass die linken vorderen Wurzeln der Lumbal-Anschwellung der
Scheere vollkommen zugänglich waren. Nachdem diese durchschnitten waren,
legten wir das Rückenmark wieder in sein normales Bett und deckten die
Knochenwunde mit den Muskeln, die mit 3 bis 4 Nähten befestigt wurden;
dann wurde mit tiefen Nähten die über ihnen befindliche Haut zusammen-
genäht. Das Thier wurde hierauf in frisches Wasser gesetzt.
Die Folgen der Operation zeigten sich sofort, als das Thier die Möglich-
keit der Bewegung erlangte. Die linke hintere Extremität solcher Frösche
befand sich in vollkommener Paralyse und schleppte passiv hinter dem
Thiere her. Die Sensibilität war in derselben leicht erhöht. Die reflectorischen
Bewegungen hatten in dieser Extremität gänzlich aufgehört.
Was die Blutcirculation in der Schwimmhaut anbelangt, so fanden sich
dort sehr deutliche Yeränderungen (im Vergleich mit dem Zustand vor der
Läsion), und zwar nicht allein auf der Seite des gelähmten Nerven, sondern
in beiden Füssen.
' In UebereiDstiminaDg mit den Beobachtungen von Cohnstein und Zantz,
Mikroskopische Stadien über die Vertheilang der Blntkörperchen im CapiUsrsjBtem.
Archiv für die gei, PAysiol. Bd. XhU. S. 324.
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490
Michael Lapinsky:
Operirte Extremität.
!Nichtoperirte Extremität.
^/^ bis IV2 Stunde nach der Durchschneidung der Wurzeln des N. ischiad.
Die Gefässe sind eng. Die Breite
der Oapillaren schwankt zwischen
10 bis 16 fi.
Die Circulation ist überall in ihnen
gleich langsam. Die Zahl der leeren
Capillaren hat sich im Vergleiche mit
der der Operation vorausgegangenen
Beobachtungsperiode vergrössert.
Der intravasculäre Druck ist 30
bis 40°™ niedriger als in der Zeit
vor der Operation.
18 bis 24 Stunden
Die Gefässe sind etwas breiter als
am Tage vorher. Die Weite der Capil-
laren hat auch etwas zugenommen
und erreicht 15 bis 25^. Der Blut-
strom geht etwas schneller; auch hat
die Zahl der leeren Capillaren ab-
genommen. Der Druck in den Ca-
pillaren steigt an , erreicht jedoch
nicht die Hohe, die er vor der Ope-
ration hatte.
Die Gefässe sind erweitert.
Capillaren sind bis 30 /u weit.
Die
Die Circulation ist in allen Ca-
pillaren sehr schnell. Leere Capillaren
und solche mit langsamer Blutbe-
wegung werden gar nicht bemerkt.
Der Druck erreicht die Höhe von
90 bis 100°"», er überragt im All-
gemeinen den Druck vor der Operation
um 20 bis 40°°*.
nach der Operation.
Die Gefässe haben zwar an Weite
giegen den vorhergehenden Tag ver-
loren, übertreffen jedoch noch die
Norm. Die Weite der Capillaren
schwankt zwischen 20 bis 25/1. Der
Blutstrom bewegt sich in allen Capil-
laren gleich schnell. Leere Capillaren
sind nicht zu sehen. Die Druckhöhe
bewegt sich in normalen Grenzen.
Am dritten, in seltenen Fällen erst am vierten, flänften Tage treten neue
' Erscheinungen hervor.
Die Gefässe sind stark erweitert.
Die Breite der Capillaren erreicht 30
bis 35 ^. Sie sind gar nicht gewunden
und sind stark mit Blut gefüllt.
Die Blutbewegung ist in allen
Capillaren sehr schnell. Leere Capil-
laren und solche mit langsamem Blut-
strom sind nicht zu bemerken.
Der intravasculäre Druck ist sehr
erhöht. Der Druck einer 100°™
hohen Wassersäule genügt bei grösse-
ren Thieren nur, um die Circulation
zu verlangsamen; sie gänzlich zu
Die Gefässe sind von normaler
Weite. Die Capillaren sind 15 bis
25 /i breit. Viele Gefässe sind leer,
die Blutfülle der übrigen Gefässe über-
steigt nicht die normalen Grenzen.
Die Blutbewegung geht in den
verschiedenen Capillaren wie in der
Norm mit verschiedener Schnelligkeit
vor sich. Einige Capillaren sind leer,
andere zeigen langsamen Blutstrom,
wieder andere zeigen sehr schnelle
Blutbewegung.
Der Druck fällt etwas unter die
Norm. Bei grossen Thieren misst er
ungefähr 20 bis 40 °" Wassersäule,
bei kleinen und schwachen Fröschen
ist er 15 bis 20°™ und noch weniger.
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ÜbBB LOGAIiE BlUTCIEOÜIiATION ü. 8. W.
491
Operirte Extremität. Niclitoperirte Extremität.
hemmen, ist bei dieser Wasserhöhe
nicht möglich. Bei kleineren schwäche-
ren Fröschen ist der intravasculäre
Druck weniger erhöht. Es genügt für
gewöhnlich schon eine 70 bis 90°°*
hohe WassersäalCy um die Circulation
zu sistiren.
In den folgenden Tagen ist der Zustand der Circulation in beiden
Extremitäten je nach der Grösse des Frosches verschieden.
1. Bei vier grossen Fröschen.
Die Erweiterung des Lumens, die
erhöhte Blutstromgeschwindigkeit, so-
wie der gesteigerte intravasculäreDruck
bestehen gewöhnlich eine Woche hin-
durch fort, vom Tage gerechnet, da
diese Erscheinungen zuerst auftraten.
Die Lumenweite der Gefasse bleibt
in normalen Grenzen, die der Capil-
laren schwankt zwischen 15 bis 25^
im Laufe von 5 bis 8 Tagen. Die
Circulation yoUziieht sich in ihnen
ganz so, wie vor der Operation, d. h.
in einigen Capillaren sehr schnell, in
anderen langsam, während einige
Capillaren ganz lejBr erscheinen, Der
Druck bleibt etwas herabgesetzt pder
nähert sich der Norm,
Nach Ablauf dieser Zeit kommen neue Erscheinungen in beiden Ftissen.
Das Lumen der Gefässe wird noch
weiter. Das Lumen der Capillaren
schwankt zwischen 25 bis 35 /i. Ihr
Verlauf wird oft sehr gewunden,
auch werden zuweilen gewisse Un-
regelmässigkeiten, wie bauchige Er-
weiterungen an ihren Contouren be-
merkt.
Die bis dahin in allen Capillaren
mit der gleichen Schnelle sich voll-
ziehende Circulation beginnt sich all-
mählich zu verlangsamen. Anfangs
sieht man nur eine partielle
Verlangsamung. Zuerst nämlich
wird der Blutlauf in den gewundenen
mit bauchartigen Wandausbreitungen
oder in den von grossen Gefässen
entfernt liegenden Capillaren etwas
langsamer. Kurze Zeit darauf (24 bis
48 Stunden) hört jede Blutbewegung
in diesen Gefässen auf. Sie behalten
Es tritt eine neue Erweiterung (bis
20 bis 30 fji) der Capillaren ein, welche
6 bis 8 Tage anhält und allmählich
nachlässt, so dass die Gefässe ihre
normalen Dimensionen, die sie vor
der Operation hatten, d. h. 15 bis
25 ju, wieder erlangen.
Es wird zuweilen auch eine leichte
Steigerung der Blutstromgeschwindig-
keit in allen sichtbaren Capillaren
bemerkt, welche 2 bis 6 Tage, unter
Umständen noch länger dauert.
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492
Mtoha-kti Lapinbet:
Operirte Extremität,
das frühere y breite Lumen (das in
einigen Fällen noch breiter wird), den
krass gewundenen Verlauf, bauchige
Wandausbuchtungen und die starke
Blutfiille; die Circulation hat jedoch
in ihnen endgültig aufgehört und
die Blutkörperchen liegen unbeweg-
lich da. !Noch etwas später, d. h.
in 12 bis 48 Stunden, verlangsamt sich
die Circulation auch in den anderen,
bis dahin gut functionir enden Capil-
laren und es tritt dann vollständige
Stase in allen Capillaren der Schwimm-
haut ein; nur hier und da lässt sich
in den dickeren Gefässen eine schwache
Circulation entdecken, doch geschieht
hier die Bewegung nur in den Axen-
schichten, die Wandschichten aber
befinden sich in vollständiger Ruhe.
DieseYerlangsamung des Blutlaufes
erleidet aber zuweilen temporäre Ver*
änderungen. In einzelnen Zwischen-
zehensegmenten der Schwimmhaut
kann die Yerlangsamung ganz schwin-
den, so dass in einzelnen begrenzten
Begionen der Schwimmhaut in der Zeit
der Blutstockung mehr oder weniger
lebhafte Circulation eintritt. Dieser
Zustand wird z. B. dann beobachtet,
wenn das Thier reichlich gefüttert
wird, oder stärkere Bewegungen in
einem mit Wasser gefüllten Gefässe
macht, oder nach Bespritzen mit einem
frischen Wasserstrahle. Eine solche
kurzdauernde Circulationssteigerung
in einer Periode allgemeiner Stagnation
beobachteten wir unter dem Mikro-
skope in dieser paralysirten Extremi-
tät auch, als das Thier auf unserer
Beobachtungsplatte willkürliche Be-
wegungen machte : Da das Thier
ziemlich lose befestigt war, so machte
es bei einigen Reizungen Versuche,
sich fortzubewegen. Während solcher
Momente füllten sich die Gefässe der
paralysirten Extremität noch stärker
mit Blut und es trat so eine kurze
Periode lebhafterer Circulation ein.
Niohtoperirte Extremität
Das Füttern, leichtes Bespritzen
des Thieres mit dem kalten frischen
Wasserstrahle, auch willkürliche Be-
wegungen übten keinen besonderen
Einfluss auf die Geschwindigkeit des
Blutstromes.
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ÜbeB LOOALE BlUTCIBOUIiATION ü. 8. w.
493
Operirte Extremität.
Der intrayascolare Druck lässt
mit der Yerlangsamung der Blut-
Strömung etwas nach, bleibt aber
noch gesteigert, sogar über die nor-
male Grenze. Eine Yerlangsamung
oder auch vollständige Stase der Cir-
culation konnte jetzt mit Hülfe
unserer Eautschukbime erzielt wer-
den, aber nur bei einer Wassersäule
von etwa 90®°». Der Blutdruck in
den stagnirenden Capillaren zu der
Zeit, als man von einer partiellen
Verlangsamung sprechen konnte, war
auch erhöht Mikroskopirte man die
mit ruhig stehendem Blut gefüllten
CapiUaren und erhöhte man allmäh-
lich den hydraulischen Druck in dem
cylindrischen Glasgefäss unseres Appa-
rates, so konnte man deutlich sehen,
wie mit dem Steigen der Wassersäule
(bis 20 bis 35 '^) die bis dahin
ruhigen Blutkörperchen sich zu be-
wegen begannen, so dass sehr bald
in den Oefässen eine sehr lebhafte
Circulation entstand, die man nur
mit einem hydraulischen Druck von
80 bis 90^ unterdrücken konnte.
Auch in den Perioden der allgemeinen
Stase war der intravasculäre Druck
nicht sehr stark abgefallen. Auch
zu dieser Zeit gelang es uns, eine
temporäre Circulation in den Capil-
laren hervorzurufen, indem wir den
hydraulischen Druck auf 30 bis 36 «°*
ansteigen Hessen, doch erzeugte eine
weitere Steigerung auf 40 bis 50 bis
60^ entweder vollkommene Stase,
oder die Capillaren erschienen leer.
Noch später, am Ende dieser Periode
allgemeiner Stase, gelang dieser Ver-
such nicht mehr. Wir drückten auf
die Kautschukbime und erhöhten so
den Druck im ganzen hydraulischen
System unseres Apparates bis zum
stärksten Grade, doch konnten wir
keine Circulation in den stagniren-
den Capillaren erzeugen. Sie blieben
ebenso erweitert, gewunden und mit
Nichtoperirte Extremität.
Der intravasculäre Druck hält sich
entweder in den Grenzen der mitt-
leren normalen Ziffer, oder ist etwas
unter die Norm gesunken. Im wei-
teren Verlaufe der Beobachtung, in
der Periode der gesteigerten Cir-
culationsgeschwindigkeit wird der
Druck auch stärker, was sich im
Steigen der Wassersäule im
graduirten Rohre um 10 bis
12«°» über die Norm zeigt Fällt
die Strömungsgeschwindigkeit, so fällt
auch der Blutdruck. Speiseaufnahme
und leichtes Douchen des Thieres
mit frischem Wasser gleich vor dem
Mikroskopiren hatte gewöhnlich eine
leichte Steigerung des Druckes, sehr
selten bis zur Norm, zur Folge. Will-
kürliche Bewegungen des Thieres
wurden jedoch nicht von einem An-
wachsen des Blutdruckes begleitet
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494
MiOHAEL Lapinsky:
Operirte Extremität
Blut überfüllt wie vor der 1
des Wasserdruckes.
Man konnte deshalb nur muth-
maassliche Daten über den Blutdruck
angeben.
Füttern, Bespritzen mit frischem
Wasserstrahle und iwllkürliche Be-
wegungen wurden zu dieser Stagna-
tionsperiode, indem sie eine kurz-
dauernde Steigerung der Stromge-
schwindigkeit erzeugten, von einem
erhöhten Blutdruck begleitet
Nichtoperirte Extremität.
Füttern, Bespritzen mit frischem
Wasserstrahle und willkürliche Be-
wegungen worim BUK selten yon
einer leichten Steigerung des Bi«t-
druckes begleitet.
In der weiteren Beobachtungsperiode bis zu dem Tode des Frosches.
Die Gefässe werden etwas schmäler
und die Dicke der Capillaren kommt
bis 20 bis 25 fi. Die GFewundenheit
ihres Verlaufes und ihre Blutfi|lle
nimmt ab.
Die Circulation bleibt bis zum
Tode sehr träge; einige Capillaren
stagniren.
Der Blutdruck fallt auf 25 bis
30®".
Was den Gewebszustand des ge-
lähmten Fusses anbelangt, so war in
der zweiten Hälfte der Operations-
periode die Froschpfote ganz schlaff,
massig odematös, doch blieb das Ge-
webe der Schwimmhaut die ganze
Zeit über durchsichtig. Nur stellen-
weise konnte man ein Heraustreten
rother Blutkörperchen aus den Ge-
fässen bemerken.
Die Gefässe werden zuweilen enger
als in der Periode yor der Operation.
Die Dicke der Capillaren schwankt
zwischen 15 bis 20 /*. Ihr Verlauf
zeigt keine Windungen.
Die Circulation ist in der Mehr-
zahl der Capillaren verlangsamt Die
Zahl der leeren Capillaren ist gross.
Eine gesteigerte Strömungsgeschwin-
digkeit wird äusserst selten beobachtet,
auch nur in einem äusserst kleinen
Theil der Capillaren.
Der Blutdruck fällt auf 10 bis
25*^°*.
Das Gewebe der Schwimmhaut ist
vollkommen unverändert. Oedem des
Fusses wurde nicht bemerkt
2. Bei den drei kleinen und schlecht genährten Fröschen wiederholten
sich dieselben Erscheinimgen, die wir schon bei den grossen Fröschen hervor-
gehoben, doch mit dem Unterschiede, dass die Dauer der einzelnen Perioden
bedeutend kürzer imd die Intensität der Circulationsschwankungen geringer
war. Während ein grosser und genährter Frosch nach einer solchen Operation
drei, bis vier Wochen lebte, starb ein kleiner oder schlecht genährter Frosch
schon nach 8 bis 18 Tagen.
Nach Verlauf einer halben Stunde
und im Laufe der nächsten 24 Stunden
nach der Durchschneidung der Wurzeln
Eine halbe Stunde nach erfolgter
Operation und während der nächsten
24 Stunden zeigen die Capillaren starke
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Über LOCAiiB Blutcieculatiön u. s. w.
495
Operirte Extremität.
waren die Gefässe in der paralysirten
Extremität verengt. Sie wurden darauf
allmählich breiter.
Kurz nach der Operation war die
Circulation sehr träge, die Mehrzahl
der Capillaren war leer, doch belebte
sich die Circulation wieder am Ende
der ersten 24 Stunden.
Der Blutdruck fiel Anfangs 20
bis 30 ^°^ unter das Niveau, auf dem
er vor der Operation gestanden, doch
steigerte, sich der Druck allmählich
am Ende der ersten 24 Stunden.
Nichtoperirte Extremität.
Erweiterung und sind sehr mit Blut
gefüllt.
Die Circulation ist in ihnen sehr
belebt. Leere Capillaren sind gar
nicht zu sehen.
Der Blutdruck übersteigt die Norm
um 10 bis 20^'".
Der weitere Verlauf dieser Erscheinungen ist folgender:
Vom dritten Tage nach der Ope-
ration beginnend, steigt die Erwei-
terung der Gefässe, die Strömungs-
geschwindigkeit und der Blutdruck
bis zur grössten Höhe.
Am 5. bis 7. Tage nehmen die
stark erweiterten Capillaren einen ge-
wundenen Verlauf an; ihre Contour
wird nicht mehr gleichmässig, an
mehreren Gefässchen sieht man Wand-
ausbuchtungen. Im späteren Verlauf
bleibt dieser Stand der Capillaren er-
balten. Erst einige Tage vor dem
Tode verschwinden die Wandausbuch-
tungen und Gewundenheit des Gefäss-
verlaufes; noch später tritt eine kleine
Verengerung des Lumens ein, wenn
auch die Norm noch nicht erreicht ist
Die Steigerung der Blutstrom-
geschwindigkeit Hess nach einer ge-
vrissen Zeit allmählich nach. Aehn-
lich wie bei den grösseren Fröschen
konnte man auch hier eine partielle
Verlangsamung in den gewundenen,
mit Wandausbuchtungen versehenen
und von den grossen erfassen ent-
fernter gelegenen Capillaren be-
merken, bald trat aber in ihnen, wie
in den anderen Gefässen vollkommene
Stase ein. Diese Stase verschwand
Die Lumenweite der Capillaren,
die Stromgesohwindigkeit und der
intravasculäre Druck treten in nor-
male Grenzen, vom dritten, zuweilen
vom zweiten oder vierten Tage nach
der Operation beginnend.
Am 5. bis 7. Tage nach der Ope-
ration beginnen die Capillaren sich
wieder zu erweitem und behalten die
Erweiterung im Laufe einiger Zeit.
Vor dem Tode erst verkleinert sich
wieder das Lumen der Capillaren.
Die Blutlaufgeschwindigkeit ent-
sprach der Norm, nahm jedoch mit
der Erweiterung der Gefässe bedeu-
tend zu.
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496
Michael Lapinset:
Operirte Extremität.
aber mit dem Verschwinden der Wand-
ausbuchtungen und der Gewiindenheit
des Gefässverlaufes und ging in eine
träge Circulation über, welche bis zum
Tode blieb.
Wenn das Thier zu dieser Stagna-
tionsperiode Yor der mikroskopischen
Untersuchung mit einem Wasserstrahl
bespritzt oder mit Fleischstückchen
gefüttert wurde, so belebte sich sehr
bald die Circulation, aber nur vorüber-
gehend. Ebenso kurz dauernde Be-
lebung der Circulation wurde auch
während der willkürlichenBewegungen
des Thieres beobachtet.
Was den intrayasculären Druck
betrifft, so war er weit über die Norm
hinaus erhöht, so lange die Strömungs-
geschwindigkeit und Blutfülle in den
Capillaren eine so gesteigerte war.
Eine kleine Herabsetzung des Druckes
trat ein, als die partielle Verlang-
samung der Circulation stattfand, doch
war der Druck immer noch höher als
in den Gefässen der normalen Ex-
tremität. Während der Belebung der
Circulation nach Douchen und Füttern
fand eine kurz dauernde Steigerung
des Blutdruckes statt.
In der zweiten Hälfte der Nach-
operationsperiode war die Extremität
leicht ödematös, stellenweise waren
auch unbedeutende, punktgrosse Blut-
austritte.
Nichtoperirte Extremität
Während der willkürlichen Be-
wegungen, nach dem Füttern und
nach dem Bespritzen mit dem Wasser-
strahle bemerkte man keine besondere
Belebung der Circulation.
Gleichzeitig mit der Steigerung
der Strömungsgeschwindigkeit konnte
man auch eine kleine Erhöhung des
Blutdruckes, der die Norm etwas über-
traf, wahrnehmen. Während der ganzen
übrigen Zeit und besonders in den
letzten Tagen des Lebens war der
Druck herabgesetzt Die Douchen und
das Füttern des Thieres, auch die
willkürlichen Bewegungen wurden von
keiner besonderen Steigerung des Blut-
druckes begleitet.
Das Gewebe der Extremität war
o£Eenbar gar nicht verändert.
B.
Bei sieben Fröschen wurde der N. ischiadicus im oberen Viertel des
Oberschenkels durchschnitten.
Die vier kleinen Frösche starben in Folge dieser Operation im Laufe
von 15 Tagen, die drei grösseren im Laufe von 25 Tagen vom Zeitpunkte
der Operation gerechnet. Die Durchschneidung des N. ischiadicus hatte
eine Paralyse der Zehen, des Fusses und des Unterschenkels der operirten
Extremität erzeugt. Die Beweglichkeit des Oberschenkels war gewöhnlich
weniger verändert, die Sensibilität und die reflectorischen Bewegungen des
Unterschenkels und des Fusses waren geschwunden.
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ÜBEB LOOALE BlUTGIBOüIiATION TT. 8. W.
497
Was die locale Blatcirculation betrifft, so war in den Hauptzügen dasselbe
zu Yermerken, was schon nach Durchschneidung der vorderen Wurzeln des
N. ischiadicus beobachtet wurde.
Operirte Extremität. Nichtoperirte Extremität.
^2 Stunde nach der Operation.
Die GtefässiB des Froschfusses sind
eng. Die Capillaren sind auf 12 fi
zusammengezogen.
In der Mehrzahl der Capillaren
ist die Circulation sehr träge. Ein
kleinerer Theil der Capillaren ist leer.
Capillaren mit schneller Blütströmung
sind gar nicht zu bemerken.
Der Druck steht unter der Norm
um 30 bis 20 bei grossen Fröschen,
um 20 bis 10 ^ bei kleinen oder
schwach ernährten Fröschen zurück.
Die Capillaren sind auf 80 /x er-
weitert. Sie sind stark mit Blut gefüllt.
Die Blutströmung ist in allen Ca-
pillaren ohne Ausnahme sehr schnell.
Capillaren mit yeriangsamter Strömung
oder leere Capillaren werden nicht
bemerkt.
Der Blutdruck in den Gefassen
steigt bis auf 90^ Wassersäule.
Nach 6 Stunden.
Die Gefässe sind etwas erweitert.
Das Lumen der Capillaren steigt bis
auf 26 fi. Leere Capillaren oder
solche mit verlangsamter Strömung
werden nicht bemerkt.
Die Circulation ist in der Mehr-
zahl der Capillaren lebhaft, doch
übersteigt sie nicht die normale Strö-
mungsgeschwindigkeit.
Der Druck ist dem normalen gleick
Nach 24 Stunden
Die Capillaren sind wie früher auf
30 fi erweitert. Die Strömungs-
geschwindigkeit und der intrayasculäre
Druck sind nach wie vor erhöht.
Die Capillaren sind bis auf 30 /i
erweitert, gewunden und stark gefällt.
Leere Capillaren werden nicht be-
merkt.
Strömungsgeschwindigkeit ist in
allen sichtbaren Gefassen sehr gross.
Der intravasculäre Druck ist er-
höht Der Druck einer 100 °™ hohen
Wassersäule unseres Apparates ist
nicht im Stande, die Blutströmung in
den Capillaren zu sistiren.
Die Gefässe haben ihre normale
Weite. Das Lumen der Capillaren
ist im Allgemeinen 15 bis 20 fi. Es
sind viel leere Capillaren vorhanden.
Die Blutströmung geht in den
übrigen Capillaren viel langsamer vor
sich als in der Norm.
Auch der locale Blutdruck steht
hinter der Norm zurück, ein hydrau-
lischer Druck von 40°™ sistirt die
Circulation.
In allen 7 Fällen blieben die Erscheinungen am 3., 4., 5., 6., zuweilen
noch sogar am 9. Tage nach der Operation in dem operirten, wie in dem
normalen Fusse im Vergleiche mit dem Status nach 24 bis 48 Stunden un-
verändert; allmählich traten dann in der operirten, wie in der normalen
Extremität einige Veränderungen ein.
Archiv CA. ii.Ph. 1889. Physiol. Abthlg. Suppl. 82
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498
MiOHABL Lapinsky:
Operirte Extremität.
Am 4. bis 10. Tage
Das Lumen der Capillaren ist nach
wie vor erweitert (bis 30 /i). Ihr Ver-
lauf ist gewunden; ihre Wandungen
sind an mehreren Stellen bauchartig
ausgeweitet.
In einzelnen Segmenten der
Schwimmhaut geht die Blutströmung
langsam vor sich.
Der intravasculäre Druck ist offen-
bar unverändert geblieben.
Sehr bald tritt Stagnation ein;
hin und wieder sieht man noch eine
stossartige Bewegung , hauptsächlich
in der Nähe der grösseren Gefasse des
Fusses. In den letzteren sieht man
nur einen Axenstrom. Die Messung
des intravasculären Druckes gelang
in der Stagnationsperiode nicht immer.
In einigen Fällen trat beim Compri-
miren des Froschfusses mit unserem
hydraulischen Apparat in den Ca-
pillaren eine träge, zuweilen sogar
lebhafte Strömung ein, die durch wei-
teres Drücken des Fusses vermittelst
einer 60 bis 70 ®™ hohen Wassersäule
sistirt werden konnte. In anderen
Fällen dagegen konnte mit unserem
Apparate die Strömung in den stagni-
renden Gefassen nicht wachgerufen
werden. Sie blieben mit unbeweg-
lichen Blutkörperchen gefüllt, wenn
der Druck auch bis auf 100*^ ge-
steigert wurde (bei einem grösseren
Frosche). Es konnte deshalb der
Blutdruck auch nicht annähernd fest-
gestellt werden. Das Füttern des
Frosches, die Douchen und willkür-
lichen Bewegungen wurden in dieser
Periode immer von einer gesteigerten
Strömung und über die Norm erhöh-
tem Druck begleitet.
In der letzten Periode bis zum
Tode waren die Capillaren etwas
enger als im Stadium der grössten
Erweiterung (bis 25 und 30 /i). Sie
sind nicht mehr gewunden; ihre Wand-
Nichtoperirte Extremität
nach der Operation.
Die Capillaren erweitem sich von
Neuem und sind stark mit Blut gefallt
Die Blutströmung ist gesteigert
und ist in allen Capillaren gleich:
auch der locale Blutdruck hat sich
gehoben.
Bei vier Yersuchsfröschen
dauerte diese Gefässer weiterang
mit Steigerung der Stromge-
schwindigkeit und des localen
Blutdruckes 10 bis 11 Tage. Bei
den übrigen drei Fröschen dauerten
diese Erscheinungen 6 Tage.
Das Füttern und die Douchen
wurden von einer etwas gesteigerten
Strömimg und leicht erhöhtem Blut-
drucke begleitet. Willkürliche Be-
wegungen riefen keine Yeränderung
der Circulation hervor.
In der letzten Periode vor dem
Tode zeigten alle sieben Frösche ähn-
liche Erscheinungen. Die Strömungs-
geschwindigkeit, der Blutdruck sanken
unter die Norm und blieben so mit
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ÜbEB LOCALB BLüTClECöIiATION u. s. w. 499
Operirte Extremität. Nichtoperirte Extremität.
ausbucbtungen sind yersoliwuiiden. Die unwesentlichen Schwankungen bis zum
Blutströmung hatte sich sehr verlang- Tode,
samt und yollzog sich hauptsächlich
in den dickeren Gefässen und Jen
ihnen benachbarten Capillaren. In
den Yon den grösseren Gefässen ent-
fernter liegenden Capillaren hatte die
Circulation gänzlich aufgehört. Der
Blutdruck war 80 bis 60«™, in den
letzten Tagen sogar 40 bis 20°°* hoch.
Die Schwimmhaut war die ganze Das Gewebe des Fusses zeigte
Zeit durchsichtig. In der zweiten keine besonderen Yeränderungen.
Hälfte der Periode nach der Operation
hatte der Fuss ein massig aufgedun-
senes Aussehen. Zuweilen zeigten sich
in der Schwimmhaut geringfügige
Blutaustritte.
Bei vier Fröschen haben wir zu der Zeit, als die Schwimmhautgefässe
sehr erweitert waren, beide Aa. crurales frei gelegt und mit einander
verglichen. Dabei fand es sich, dass ganz im Gegensatz zu den
Schwimmhautgefässen, welche auf dem gelähmten Fusse doppelt
so breit waren als die des normalen Fusses, die Aa. crurales bei
diesen vier Fröschen beiderseits einander ganz gleich waren.
c.
Bei vier Fröschen wurde der N. ischiadicus im oberen Viertel des Ober-
schenkels mit einer Ligatur umschnürt.
Die Folgen waren dieselben, die wir nach Durchschneidung des
K. ischiadicus haben eintreten sehen. Die Muskeln der linken hinteren
Extremität waren gelähmt (mit Ausnahme derjenigen Oberschenkelmuskeln,
die nicht vom Ischiadicus innervirt werden). Der Fuss und der Unter-
schenkel verloren ihre Sensibilität. Die Hautreflexe des Fusses schwanden. —
Was die Circulation betrifft, so waren in dem normalen, wie in dem para-
lysirteu Fusse die Weite der Gefässe, ihre Blutfülle, die Blutstromgeschwindig-
keit und die Höhe des localen Blutdruckes vollständig den entsprechenden
Erscheinungen, die wir bei den Fröschen mit durchschnittenem Ischiadicus
beschrieben, analog. Der paralysirte Fuss zeigte in zweiter Hälfte der
Beobachtung kleine Blutaustritte in der Schwimmhaut, war sehr schlaff,
massig ödematös, doch war sein Gewebe durchsichtig.
Die eben angeführten Beobachtungen zeigen, dass die Läsion des
N. ischiadicus, d. h. die Umschnürung seines Stammes mit einer Ligatur,
oder die Durchschneidung desselben, bezw. seiner motorischen Wurzeln
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500 MiOHASL Lapin8Ky:
eine Reihe von Störungen von Seiten der Motilität, der Sensibilität und
des Gewebstonus des lädirten Fusses und der Blutdrculation in den
Schwimmhäuten beider Beine hervorruft
In allen Fällen war der experimentirte Fuss gelähmt. Seine Empfind-
lichkeit wurde gestört. Seine Reflexe fehlten. Gewebstonus war sehr stark
herabgesetzt. In allen Fällen entwickelte sich allmählich Oedem an diesem
Fusse. Auch punktförmige Blutaustritte wurden in der Schwimmhaut
beobachtet
Die Blutcirculation in der Schwimmhaut der gelähmten Extremität
erlitt mannigfaltige Veränderungen gleich nach der Operation. Im Ganzen
hatten diese Circulationsveränderungen bei allen drei verschiedenen Läsions-
methoden des Nerven ganz ähnlichen Verlauf (die kleinen Unterschiede im
klinischen Bilde hingen offenbar von der Grösse der Versuchsfrösche ab):
ob der Stamm des N. ischiadicus oder seine motorischen Wurzeln durch-
schnitten, ob statt dessen der N. ischiadicus in einer Ligatur umschnürt
wurde, entwickelten sich erwähnte Circulationsveränderungen in ganz ähn-
licher Weise und stellten eine Reihe von Stadien dar.
Bei allen Versuchsthieren waren die Schwimmhautgefässe des gelähmten
Fusses in den ersten Stunden nach der Läsion des N. ischiadicus, bezw.
seiner vorderen Wurzeln wenig gefüllt, sehr eng, die Stromgeschwindigkeit
in ihnen sehr träge und der locale Blutdruck war stark gesunken.
Dieser Status der Blutcirculation wurde im Laufe von ungefähr 24 bis
60 Stunden abgelöst durch eine intensive Erweiterung der Gefasse in
dem gelähmten Fusse, durch ihre starke Blutf&Ue, gesteigerte Strömungs-
geschwindigkeit in denselben und durch den gesteigerten localen Blutdruck.
Nach dieser Periode, welche einige Tage dauert, kommt ein neues
Stadium, welches bei verschiedenen Thieren durch verschieden lange Zeit
sich hinzieht Die Gefasse bleiben nach wie vor erweitert und stark gefüllt;
ihr Verlauf wird aber gewunden, stellenweise treten bauchartige Wand-
ausweitungen auf. Die locale Blutströmung wird jetzt immer langsamer
— zuerst partiell — , um bald überall still zu stehen. Der locale Blut-
druck bleibt während der Periode partieller Circulationsverlangsamnng noch
erhöht.
Das Füttern des Thieres, das Bespritzen desselben mit kaltem Wasser-
strahle und willkürliche Bewegungen des Frosches in dieser Periode beleben
für kurze Zeit die verlangsamte Circulation und bringen auch stagnirendes
Blut in eine lebhafte Bewegung. Gleichzeitig bleibt auch der intravasculäre
locale Druck über die Norm erhöht
Auf die Periode der CSrculationsverlangsamung, bezw. der Blutstockung
in dem gelähmten Fusse folgt ein neues Stadium, das mit einigen Schwan-
kungen bis zu dem Tode dauert.
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ÜBBB LOOALE BLUTOIRCmiiATION U, 8. W. 501
In diesem Stadium sind die Gefasse, im Vergleiche mit der voraus-
gegangenen Periode, ein wenig verengt, doch übertreffen sie noch immer
die Norm; ihre Gewundenheit und Wandausbuchtungen verschwinden.
Die locale Stromgeschwindigkeit ist zu dieser Zeit eine trage. Der
locale Blutdruck sinkt (manchmal unter die Norm).
Die soeben erwähnten Momente, wie Füttern des Thieres, Douchen
und willkürliche Bewegungen beleben auch in diesem Stadium die Strom-
geschwindigkeit und bringen den Blutdruck stark in die Höhe.
In vier Fällen, wo es untersucht wurde, beschränkte sich die Gefass-
erweiterung nur auf die Schwimmhautgefasse, grossere Arterien (A. cruralis)
des gelähmten Fusses blieben von normaler Breite.
Eine besondere Aufmerteamkeit lenkt die Blutcirculation in den Venen
auf sich. Einige Umstände deuten darauf hin, dass die venöse Blut-
circulation in dem gelähmten Fusse sehr erschwert war. Dafür sprachen
nämlich der erhöhte Blutdruck bei partieller Stagnation, das Oedem der
Schwimmhaut und kleine Blutaustritte in dieser Gegend.
Was die Blutcirculation in der normalen Extremität betrifft, so
fand sich auch da eine Reihe von Veränderungen, die einen sehr typischen
Verlauf nahmen. Eine halbe Stunde nach der Operation sind die Schwimm-
hautgefasse dieses Fusses stark erweitert und überfüllt mit Blut Die Blut-
strömung ist sehr gesteigert, auch der locale Blutdruck hebt sich sogar
sehr hoch über die Norm.
Dieser Status der Circulation dauert 24 Stunden und länger, um dann
in die Norm überzugehen.
Nach einigen Tagen (bei den verschiedenen Thieren verschieden) er-
weitem sich dieselben Schwinmihautcapillaren von Neuem, die Circulatiöns-
geschwindigkeit steigert sich und der locale Blutdruck erfahrt eine über die
Norm gehende Steigerung. Diese spätere, so zu sagen secundäre Hyperämie
in den Capillaren der normalen Extremität dauert eine gewisse Zeit, um
dann allmählich zu schwinden. Die Gefasse verlieren dann ihre Erweiterung,
die Blutcirculation wird träge und der Blutdruck sinkt unter die Norm.
HL
Die hier angeführten Circulationsstörungen bei unseren Versuchsfröschen
sind sehr mannigfaltige und lassen sich auf verschiedene Weise erklären.
Was den gelähmten Fuss anbetrifft, und vor Allem die Lumenweite
seiner Gefasse, so boten die letzteren in dieser Beziehung, wie schon er-
wähnt, ein verschiedenes Verhalten.
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602 MicttABL LAPmsKT:
In den ersten Stunden nach der Operation waren sie verengt, einige
Tage nachher erweiterten sie sich sehr stark und noch später verminderten
sie etwas ihre Lnmenweite, waren etwas eng im Vergleich mit dem früheren
Stadium, jedoch immerhin noch weiter, als unter normalen Verhältnissen.
Solche Schwankungen der Lumenweite finden ihre Erklärung in der
vorausgegangenen Läsion der fasomotorischen^ und rein motorischen Fasern,
* Das YorhaDcleDsem von gefässyerengernden Fasern in den Yorderen
Warzeln des N. ischiadicns beim Frosobe ist nachgewiesen worden von Pflüger
{Ällgem. med. Central- Zeitung. 1855. S. 537) und Uaizinga (Untersnchangen über
die Innervation der Gefässe in der Schwimmhaat des Frosches. Archiv für diegetamwUe
Physiologie. 1875. S. 200— 207).
Das Vorhandensein von gefässyerengernden Fasern in den vorderen Wur-
zeln des N. ischiadicns bei anderen Thieren wordö gefunden von Schiff (C rend.
1862. T.LX. p. 462), Brown-S^qnard (Qaz. nUd. de Paris. 1856. Nr. 16— 18X
Ostronmoff nnd Heidenhaiü (Archiv für die gesammte Physiol. 1876. Bd. XIL
S. 216), Stricker (Siizungsberichte der Wiener Akademie. 1876. S. 219), Pnelma-
Lachsinger( Archiv für die gesammte Physiologie. 1878. S. 489).
Die gefässerweiternden Fasern bei dem Frosche im Isohiadicas-
stamme erkennen wir ans den Arbeiten Hnizinga's (a.a.O.).
Ebenso ist bei verschiedenen Thieren das Vorhandensein von gefässerwei-
ternden Fasern im Ischiadicns nachgewiesen worden: Goltz (Archiv für die
gesammte Physiologie. 1874. S 174—197), Ostronmoff (Ebenda. 1878. S. 228),
Kendal nnd Lachsinger (Ebenda. 1876. S. 201—211), Dziedzinl (Militär-
ärztliches Journal, 1880. Rassisch), Bowditch and Warren (Journal of Pky»
siology. 1886. p. 432), Dastre-Morat (Becherches expirimentales sur le Systeme
nerveux vasomot. Paris 1884. p 247—259), Puelma-Lachsinger (Archiv fUr die
gesammte Physiol. 1878. S. 492), Laf fönt (Com/)^. r0}i(£. 1882. p. 865), Stricker
(Medic. Jahrbücher. 1877. S. 279), Bernstein (Pflüger' s ^rcAso. 1877. Bd. XV).
Die gefässverengernden Fasern wnrden im Stamme des Ischiadicns des
Frosches gefnnden von Warton (citirt nach Vnlpian, a.a.O.), Gaskel (a)Gefa88-
nerven der Froschmnskeln. Hermann 's Jahresber.f. Fhys. 1878. — b) Aendemng
des BIntstromes in den Muskeln darch die Reizang ihrer Nerven. Lndwig's Archiv
1877), Donders (Congres du BruxeUes. 1875), Gnnning (Hermann's Jahresber.
für Phys. 1875), Saviotti (Archiv für pathol. Anatomie. 1870. S. 592), Riegel
(Archiv für die gesammte Physiologie. 1871. S. 850), Patzeys and Tarchanoff
(Dies Archiv. 1874. Physiol. Abthlg. S. 371), Nassbaam (Archiv für die geeamnUe
Physiologie. 1875. S. 374), Hnizinga (Inervation der Gefasse in der Schwimmhaat.
Ebenda. 1875. S. 207).
Das Vorhandensein von gefässverengernden Fasern im Stamme des Ischia-
dicns ist bei verschiedenen anderen Thieren nachgewiesen worden von Cl. Bernard
(a) Comjpt. rend. de Soc. Biolog. 1854. p. 187. — b) Compt. rend. 1854. p. 76. —
Ci) Ebenda. 1862. p. 228), Eni enbar g nnd Landois (JrcA»v/ur ^a^Ao/. ^no/om/e.
1876. S. 497), Vnlpian (Lefons sur Pappareil vasomoteur. T. I. p. 194), Dastre-
Morat (Bech. exphim. sur le systhme vasomot. 1884. p. 69, 241), Patzeys and
Tarchanoff (2>»0«^rcA>i7. 1874. Physiol. Abthlg. S. 871), Kendal nnd Lnchsinger
(Archiv für die gesammte Physiologie. 1876. S. 201), Ostronmoff (Versuche über
die Hemmangsnerven der Hantgefässe. Pflüger's ^rcAio. 1876. S. 219), Lewaschew
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ÜbEB IiOOALB Blütciboulation U. 8. w. 503
welche im Stamme^ des N. ischiadicas und seiuer vorderen Wurzeln vor-
banden sind.
Was die LumeuTerengerung in den ersten Stunden des Versuches an-
betriffty so ist sie, wie in den analogen Fällen aus der Litteratur, durch
die Heizung^ der lädirten Yasoconstrictoren zu erklären. Eine abermalige
geringe Verengerung des Lumens, welche im weiteren Verlaufe des Ver-
suchesy gleich nach der stattgehabten Erweiterung, nochmals auftrat, ist
wahrscheinlich durch eine geringe Verbesserung des Gefasstonus zu erklären.
Die Erweiterung der Gefasse, die besonders deutlich vom 3., 4. Tage
an auffiel, erklärt sich erstens durch das Nachlassen des tonisirenden Ein-
flusses von Seiten der zu Grunde gegangenen Yasoconstrictoren, zweitens
möglicher Weise auch durch Beizung' der degenerirenden Vasodilatatoren.
Drittens dürfte ein Sinken des Tonus des Schwimmbautgewebes (als Folge
der Läsion motorischer Fasern im N. ischiadicus) die Erweiterung der
Gefasse mit veranlasst haben. Dieses letztere Moment wird hauptsächlich
in Anschlag zu bringen sein bezüglich der feinsten Gewisse und Capillaren,
deren Wände ja sehr dünn sind und durch die Elasticität und den Tonus
des umliegenden Gewebes gestützt werden.
Von grösster Wichtigkeit ist es, zu betonen, dass die Gefasse des ge-
lähmten Fusses nicht nur erweitert, sondern auch geschlängelt waren und
an manchen Stellen auch Wandausbuchtungen aufwiesen. Diese Eigen-
8ch£^n der betreffenden Gefasse sind offenbar nur dadurch zu erklären,
dass ihre Wand sich in zwei Richtungen ausgedehnt hat. Die Ausdehnung
(Pflüger's Archiv. 1885. S. 397—480), Piotrovsky (CentrMLf. Fhya, 1992. S.464),
Lupine (EzoitatioDS da bont p^ripherique. da nerf soiatiqae. SocUti de BioL 1876),
Stricker (SUzungsber. der kaU. Akad. der Wisiensch. zu Wien. Juli 1876), Maxi-
movitz (Znr iDoenration der Gefasse in der unteren Extremität. Deutsches Archiv
f. kUn, Med. Bd. LYI. S 440), Spalitta-Consiglio (Hermann's Jahresber.f. Fhys.
1897. S. 66), Piotrovsky (Archiv für die gesammte Physiol. Bd. LY. 8. 240) o. A.
* Bezüglidi der Frösche behauptet Jegorow {Dies Archiv. 1892. Physiol. Abthlg.),
dass die vasomotorischen Fasern f&r die Gefasse der hinteren Extremitäten nicht im
Ischiadicnsstamme, sondern in der Gefasssoheide der A. cmralis selbst verlaufen. Um
die Beobachtung dieses Autors zu prüfen, machte ich Controlversuohe an vier curari-
sirten Fröschen im Laboratorium von Prof. Zuntz, konnte dabei aber die Angaben
Jegorow's nicht bestätigen. 14 bis 20 Stunden nach dem Einspritzen von Curare
fand ich Folgendes: Die Beizung des peripheren Stumpfes des Ischiadicus am Ober^
Schenkel, oder die Beizung seiner motorischen Wurzeki durch den faradischen Strom be-
wirkte eine Lumenverengerung in den Gefassen der Schwimmhaut, erzeugte jedoch keine
Contraction der Beinmusculatur. Die Beizung der A. cruralis (mit ihrer Gtefassscheide),
d. h. die Beizung des ganzen Gefassbündels auf der Höhe des Oberschenkels durch einen
faradischen Strom rief keine Veränderungen am Lumen der Schwimmhautgefässe hervor.
* Dziedziul, Huizinga, a. a. 0.
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604 Michael LApmsKir:
in der Querrichtung hatte die Lumenerweiterung zur Folge^ eine solche
in die Länge erzeugte die Gewundenheit und Ausbuchtungen im Yerlaufe
der Gefösspi d. b. ihre SchUmgelung.
W^s das Wesen einer solchen Ausdehnung der Arterienwand anbetnfit,
so i^uss man diese als Folge der Yerminderung und des yoUkommenen
Verlustes ihrer Elasticitat und ihres Contractionsvermögens auffassen. Ein
solcher Zustand der Gefässwand wird von Tigerstedt^ als Lähmung be-
zeichnet („gelähmte Arterie'^*
Die Stromgeschwindigkeit des Blutes in der Schwimmhaut des
gelähmten Fusses erlitt auch mehrfache Schwankungen.
In den ersten Stunden nach der Läsion war die Circulation im Fusse
sehr träge, einige Tage später nahm der locale Blutstrom an Geschwindig-
keit bedeutend zu. Noch später trat eine partielle Yerlangsamung des
Blutstromes ein und ging sogar für eine kurze Zeit in vollkommene
Stagnation über, welche ihrerseits durch eine träge Circulation abgelöst
wurde. Diese letztere dauerte bis zum Tode des Frosches, belebte sich
aber vorübergehend jedes Mal nach Bespritzen des Thieres mit einem
Wasserstrahle und während der willkürlichen Bewegungen desselben.
Bei Erklärung aller dieser Erscheinungen kommen verschiedene Moment«
in Betracht
Die trage Circulation innerhalb der ersten Stunden nach der Operation
vollzog sich in den verengten Geß^n und erklärt sich sehr gut durch
die grösseren Widerstände, welche der Strom in den verengten Blutwegen
erfahren hat Die gesteigerte Stromgeschwindigkeit, welche einige Tage
später beobachtet wurde, erklärt sich durch Verminderung dieses Wider-
standes, indem die gelähmten Geisse sich stark erweiterten.
Viel complicirter ersc|ieinen jedoch die Umstände, welche später die
partielle Verlangsamung des Stromes und Blutstockung veranlassen. In
dieser Periode waren die Gewisse, wie früher aus einander gesetzt, nicht
verengt und das Strombett blieb breit Ein Grund der Stiomverlangsamung
und der Stagnation, die trotz dieser, der Circulation günstigen Bedingungen
zu Stande kamen, ist wohl in der Gefässschlängelung und in den Wand-
ausbuchtungen zu suchen, welche sich, wie früher gesagt, allmählich ent-
wickelten und ihren Höhepunkt gerade zu der Zeit der localen Circulations-
verlangsamuDg und Blutstockung erreichten. Eine solche Schlängelung
und derartige Ausbuchtungen boten dem Bluüaufe einen starken Wider-
stand, indem sie eine grosse Reibung der Blutwellen an der ungleich ge-
wordenen Gefässwand und Wirbel bedingten.
^ Tigerstedt, Fhynologie des BltUkreislaufe», S. 475.
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Übeb locale Blütoiboüultiok TT. 8. w. 605
Ein zweites Moment, welches die Yerlangsamuiig des Blutlaufes ver-
ursachen konnte, muss man in der Erschwerung des venösen Abflusses
suchen. In unseren Fällen waren der Qewebstonus und die Muskel-
bewegungen im gelähmten Fusse, d. b. zwei den Yenenablauf fordernde
Bedingungen, geschwunden, und da die Yenen in Folge dessen mit Hülfe
der anderen Momente (vis ä tergo) nur sehr langsam entleert werden
konnten, so musste auch das dort angesanunelte Blut zur localen Strom-
verlangsamung fCLhren.
Endlich können auch einige Yeränderungen der Wandstructur an-
genommen werden, welche im Laufe des Yersuches, d. h. 5 bis 8 Tage^
nach der Läsion des Nerven, sich entwickeln konnten. Möchten auch diese
Yeränderungen des Endothels ganz geringfügige sein, so könnten sie doch
die Beibung an der Qefiisswand sehr verstärken und dadurch ihrerseits
eine Yerlangsamung des Blutstromes veranlassen.
Eine leichte Belebung der Circulation, bezw. träge Circulation, welche
sich nach der Stagnation zu entwickeln pflegte, erklärt sich wahrscheinlich
durch die Abnahme einiger Stromhindemisse. Zu dieser Zeit nämlich ver-
schwinden vollkonmien die Wandausbuchtungen, auch die Qefässschlänge-
lungen werden in dieser Periode geringer.
Die nach willkürlichen Bewegungen des Thieres oder nach Douchen
desselben beobachtete Belebung der localen Circulation ist möglicher Weise
dadurch zu erklären, dass solche Momente neben der Steigerung des all-
gemeinen Blutdruckes durch vasomotorische Wirkungen und durch Yer-
stärkung der Herzarbeit auch den localen Abfluss des venösen Blutes aus
dem gelähmten Fusse erleichterten.
Der Blutdruck in den Qefassen des gelähmten Fusses zeigte ver-
schiedene Schwankungen. In den ersten Stunden nach der Nervenläsion
war er sehr niedrig; in einigen Tagen stieg der Blutdruck sehr stark in
die Höhe. Zu der Zeit der partiellen Circulationsverlangsamung blieb er
noch sehr hoch, um noch später etwas abzufallen. Nach dem Füttern,
während der willkürlichen Bewegungen und nach den kalten Douchen
stieg der Blutdruck auch in diesem letzten Stadium in die Höhe.
Die Druckhöhe war von der Blutfülle der Gefasse abhängig; je stärker
diese gefüllt waren, je grösser überhaupt die Blutmenge, welche ihre Wand
ausdehnte, desto höher war der locale Blutdruck. In den ersten Stunden
nach der Operation, als die Gefasse noch verengt waren, stand auch der
^ Dr. Martin hat solche VeräDderangeD in den Gefassen des Herzens von Tauben,
nach Darchscbneidang des N. yagns, schon einige Tage nach der Operation gefanden,
a) Lädons ath^roroateoses des artöres. Bevue de nMeeine. 18S5. — b) Scl^rose
dystrophiqne cons^ntif h Tendartörite. Ebenda, 18S1.
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506 Michael Lapinsky:
locale Blutdruck sehr niedrig. Später wurden die Oefasse weit, und gleich-
zeitig stieg der Blutdruck stark in die Höhe. Der niedrige Stand des intra-
vascularen Druckes bei dem engen Lumen erklart sich durch die geringe
Blutmenge, welche in Folge der Verengung der kleinen Gtefasschen einströmt^
und durch den grösseren Verbrauch an Triebkraft (Spannung), weldien
diese Verengung, indem sie die Reibung erhöht, bedingt. Die Steigerung
des Blutdruckes in den erweiterten Gefössen erklärt sich dadurch, dass mit
der Erweiterung des Lumens die dem Strome widerstrebenden Hindemisse
schwinden, und das Blut in die erweiterten Gefösse einströmte, ohne erheb-
lich von der Spannung, welche es in den Hauptstämmen hatte, durch
Reibung einzubussen.
Der hohe Druck zur Zeit der partiellen Verlangsamung der Blut-
ciroulation hing wahrscheinlich von zwei Umständen ab. Erstens mussten
hier die Hindemisse eine grosse Bolle spielen, welche dem Abflüsse des
venösen Blutes im Wege standen; zweitens hatte wohl auch die durch
Transsudation von Plasma in die Gewebsspalten (Oedem) bewirkte fin-
dickung des in den erweiterten Gefassen stagnirenden Blutes den Erfolg,
dass ein stärkerer Druck nöthig war, um es wieder in Bewegung zu setzen.
Das Füttern und das Bespritzen der Thiere mit einem kalten Wasser-
strahle belebte die Circulation und hob die locale Blutdmckhöhe in der
Schwimmhaut des gelähmten Fusses deswegen, weil offenbar jene Momente
den allgemeinen Blutdruck steigerten und gleichzeitig die Blutmenge in
dem gelähmten Fusse anschwellen Hessen. Da nämlich die Geßsse im
Gebiete der gelähmten Nerven durch Tonusverlust ihrer Wand und Er-
weiterung ihres Lumens einen geringeren Widerstand dem andringenden
Blute entgegensetzen, als andere Gefässe, d. h. im Gebiete der gesunden
Nerven, so ergoss sich das vom Herzen unter höherem Dmcke ausge-
worfene Blut in diese gelähmten Gefässe in grösserer Menge, als in die
normalen Gefässe; in Folge dessen stieg auch der locale Blutdmck in den
gelähmten Gefassen sehr hoch (d. h. höher als in den gesunden Gefissen
des intacten Fusses).
Ebenso kann man den Einfluss der willküriichen Bewegungen erklären.
Auch hier findet während der Spannung der willkürlichen Muskeln eine
Steigerung des allgemeinen Dmckes statt, und das gepresste Blut ergiesst
sich in grösserer Menge dahin, wo die Gefässe erweitert sind und wo der
Stromwiderstand geringer ist, also eher in die paralysirten Gefässe, als in
diejenigen der intacten Extremitäten, und zwar auch deswegen, weil, wie
es Dogiel,^ Fogoscheff ^ u. A. nachgewiesen haben, die Muskeln unter
^ Dogiel, a.a.O. Moskauer med. Zeitung, 1868.
' Pogoscheff, BlatbewegQDg bei MoBkelcontractioneD. MiUtärargÜ, Jomrncd,
1875. Bd.CXXII. (Russisch.)
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UbEB LOCALE BLUTClBCUIiATION U. 8. W. 507
normalen Bedingungen bei der Contraction die grossen Gefassstamme der
Extremität comprimiren und dadurch einen Blutandrang zu diesen ver-
hindern. Zu derselben Zeit bleiben die Gelasse des gelähmten Fusses er-
weitert, weil die Muskeln dieses Fusses an den willkürlichen Bewegungen
nicht theilnehmen können und die zwischen ihnen liegenden Gefasse in
keiner Weise zusammendrücken.
Was nunmehr die intacte Extremität betrifft, so sind die dort
von mir r^strirten Girculationsveränderungen, nämlich Erweiterung der
Gefasse, Blutdrucksteigerung und Anderes, offenbar auch von anderen
Autoren unter analogen Bedingungen, aber viel kürzere Zeit beobachtet
worden, und zwar von Ostroumoff,^ Klementciewiecz,* Goltz,*
Ustimovitsch,' Masius-Vanlair,' Thayer-PaL'
Diese Forscher durchschnitten den Ischiadicus, und indem sie den
centralen Stumpf desselben reizten, beobachten sie in der contralateralen
Extremität Erweiterung der Blutgefässe und starke Blutfulle derselben.
Eine solche Beizung des centralen Stumpfes fand höchst wahrschein-
lich auch bei allen unseren Versuchsfröschen statt, bei welchen wir mit
einer Ligatur den Stamm des N. ischiadicus umschnürten, oder seinen
Stanun (bezw. dessen Wurzeln?) mit der Scheere durchschnitten. Höchst
wahrscheinlich ist die anfängliche Erweiterung der Geiässe in der normalen
Extremität darauf zurückzuführen. Dieser während der Operation entstandene
Beizzustand konnte nach einigen Stunden weichen und auch die Circulation
deshalb in den normalen Zustand zurückkehren.
Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass sich in den centralen Stümpfen
des N. ischiadicus nach einigen Tagen degenerative Processe entwickelten,
welche lange Zeit dauern und als chronische Reizursache jene dauernden
Circulationsstörungen in der normalen Extremität hervorrufen konnten, die
wir in unseren Beobachtungen beschrieben haben.
S c h 1 u li 8.
BecapituUren wir kurz alles Gesagte, so finden wir Folgendes:
1. Die Durchschneidung des Stammes des N. ischiadicus, seine Um-
schnürung mit einer Ligatur, oder die Durchschneidung seiner vorderen
Wurzeln hat beim Frosche eine kurz dauernde Verengerung der Schwimm-
hautgefösse der gelähmten Extremität im Gefolge, welche bald in eine
» Ostroumoff, Pflüger's Archiv, ßd. XIL
' Klementciewiecz, Die KeDotniss des normalen nnd pathologischen Blut-
siromes. SiUungsber, der Wiener Akademie. Bd. XCIV.
» Tigerstedt, a. a. 0. Physiologie des Kreislaufes, S. 519—580.
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508 Michael Lapinbet:
langdauemde Erweiterung deraelben Oefasse übergebt Diese Erweiterung
erreicht in einem bestimmten Momente die grösste Höhe^ verweilt auf d^-
selben einige Zeit^ um später einer geringen Verengerung, im Vergleiche
mit dem höcbsten Grade der Erweiterung, Platz zu machen.
2. Die Stromgeschwindigkeit sinkt im ersten Momente nach der Läsion
des N. ischiadicus, nimmt jedoch nach einigen Stunden zu, um nach
einigen Tagen wieder einer localen partiellen Verlangsamung mit nach-
folgender localer Stagnation zu weichen. Dieses letzte Stadium ist nicht
von langer Dauer und geht in das Stadium der trägen Circulation über,
welche bis zum Tode andauert
3. Der locale Blutdruck erweist sich in der Schwimmhaut des para-
lysirten Fusses im Allgemeinen höher, als in dem normalen Fusse. Kurze
Zeit nach der Operation sinkt er sehr stark, erhebt sich aber bald über
die Norm und erreicht sein Maximum, um dann wieder zu sinken; sein
Niveau bleibt aber auch dann noch auf der normalen Höhe, oder über-
ragt dieselbe sogar. Diese Steigerung kann constant oder auch vorüber-
gehend sein, letzteres unter dem Einflüsse von willkürlichen Bew^ungen,
Speiseaufnahme und Douchen.
4. Die Circulation im gelähmten Fusse vollzieht sich im Laufe des
ganzen Versuches unter den zwei hier erwähnten veränderten Bedingungen:
Entweder circulirte das Blut in den über die Norm erweiterten Gefassen
unter dem stark erhöhten Blutdrucke lebhafter, oder es strömte das Blut Ib
denselben stark erweiterten Gefassen abnorm langsam. Manchmal trafen alle
diese drei Momente, d. h. Lumenerweiterung, verlangsamte Stromgeschwin-
digkeit und erhöhter Blutdruck, gleichzeitig zusammen; dann strömte das
Blut sehr langsam in den über die Norm erweiterten Gefassen und dazu
unter dem sehr hohen intervasculären Drucke.
5. Auch die Blutcirculation der Schwimmhaut in der normalen Ex-
tremität erfahrt verschiedene Veränderungen. — Während einer kurzen
Periode nach der Operation sind ihre Gefässe erweitert, dann verengen
sie sich schnell, um sich bald wieder zu erweitem; in diesem letzteren
Zustande verweilen sie längere Zeit, um dann wieder enger zu werden.
Die Blutstromgeschwindigkeit des normalen Fusses ist gleich nach der
Operation sehr gesteigert, sinkt aber bald, um sich bei abermaliger Er-
weiterung der Geß-sse von Neuem zu beleben. Später strömt das Blut träge.
Der locale Blutdruck in demselben Fusse unterliegt gewaltigen Schwan-
kungen. Im Allgemeinen ist er in der ersten Zeit nach der Operation und
in der Mitte der Periode nach der Operation (bei Erweiterung der Gefasse)
erheblich gesteigert
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Übeb looale Blütgibcülation U. 8. w. 509
Es sind also unsere Beobachtungen vollständig fibereinstimmend mit
den Beobachtungen derjenigen Autoren, die eine dauernde Erweiterung der
Gefösse im Bereiche ladirter Nerven gesehen haben (Schiff, van der Beke
Gallenfels, Lewascheff, Tigerstedt, Putzeys-Tarchanoff, Pye-
Smith).
Auch bestätigen unsere Beobachtungen ffir ein gewisses Stadium die
Meinung, dass das Blut in den gelähmten und erweiterten Ge&sen lang-
sam fliesst, und dies (Yulpian u. A.) längere Zeit hindurch.
Die Befunde in den erwähnten Versuchen von Boy-Graham, Yulpian
und Gl. Bernard nämlich — der weit fiber die Norm hinausgehende
Blutdruck in den erweiterten Gefassen, deren Nerven lädirt sind — decken
sich ganz mit unseren Beobachtungen.
Auch bezüglich der erwähnten Versuche von Goltz, Klementziewicz,
Ostroumoff, Masius-Vanlair U.A., welche Erweiterung der Gelasse der
(Tontrolextremität bei Beizung des centralen Stumpfes des durchschnittenen
N. ischiadicus gesehen haben, ergaben unsere Beobachtungen das gleiche
Resultat. Doch ging diese Erweiterung der Gefasse im normalen Fusse
unserer Frosche mit einer Steigerung des Druckes einher und hielt während
eines langen Zeitabschnittes nach der Operation an.
Zum Schluss ist es mir eine besonders angenehme Pflicht, dem hoch-
geehrten Hm. Prof. N. Zuntz auch an dieser Stelle meinen aufrichtigsten
Dank für die mir erwiesene liebenswürdige Unterstützung auszusprechen.
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Arthur Schopenhaner's Abhandlung: „lieber das Sehen
und die Farben".^
Von
Faul Sohultz
lu Berlin.
„Vom Philosophen glauben wir Dank zu verdienen, dass wir gesucht,
die Phänomene bis zu ihren Urquellen zu verfolgen, bis dorthin, wo sie
bloss erscheinen und sind, und wo sich nichts weiter an ihnen erklären
lässt," so schrieb Goethe in seiner Einleitung zur Farbenlehre.* Wenige
Jahre später, 1813, machte er sich in Weimar mit einem jungen Philo-
sophen bekannt, von dessen grosser Begabung er sich für den weiteren
Ausbau und die Yertheidigung seiner Lehre viel versprach. Arthur
Schopenhauer wurde der persönliche Schäler Goethe's. Er war und
blieb auch der einzige. Eigenhändig wies ihm der Dichter seine Apparate
vor, zeigte ihm die einschlägigen Versuche und forderte ihn zur Mitarbät
auf. UochbeglAckt von „der Freundschaft und dem vertraulichen TJm-
gange^'^ mit dem „göttlichen Goethe'^, nahm sich der soeben zum Doctor
promovirte Jüngling mit Feuereifer des ihm ganz fremden Gegenstandes
an. Dabei kommt er aber bald zu der Erkenntuiss, dass Goethe 's Lehre
in Bezug auf die äusseren Farben zwar über allem Zweifel richtig sei,
dass er aber gerade den Dank nicht verdiene, den er vom Philosophen
erwartete. Denn er ist nicht zum Urquell der Phänomene zurückg^angen.
^ Die Gitate beziehen sich auf die von Grisebaoh besorgte Aasgabe in der
Recl am 'sehen üniversalbibliothek, die beste, vollständigste nnd zugleich billigste,
welche wir von den Werken des Philosophen besitzen. Die römischen Ziffern geben
die Bandzahl der Werke (S. W.) an, S. Br. = Seine Briefe, ebenfalls von Grisebaeh
heraosgegeben, Reclam-Bibliothek 3376—8880, die arabischen Ziffern bedeuten Seiten*
zahlen.
' Goethe's Werke. Herapel' sehe Ausgabe. Bd. XXXIIL S. 87.
» S. W. Bd. VL S. 165. 259.
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Paul Schultz: Sohopenhaübb's AsHANDLüNa u. s. w. 611
er hat yielmehr nnr eine Menge werthyoUer Thatsaehen gesammelt and
geordnet^ gleich dem, der ein neues Land entdeckt und die erste Karte
desselben vorläufig entwirft Jener Urquell muss noch gefanden werden,
es fehlt die Theorie, die aus einem Gesichtspunkte alle die richtig be-
schriebenen Erscheinungen erklärt, der Theoretiker muss erst erscheinen,
der sich der Mühe unterzieht, einen Berg in dem neu entdeckten Lande
zu erklimmen, um von dessen Gipfel Alles in Einem Blicke zu übersehen.^
Dieser Theoretiker will Schopenhauer selbst sein, er will die erste
wahre Theorie der Farbe liefern. Anfangs Mai 1814 siedelt er in Folge
der ihm missfälligen häuslichen Verhältnisse nach Dresden über. Hier
umgiebt er sich mit den nöthigen Instrumenten und vertieft sich in die
Untersuchung. Ein Jahr später hat er seine Ergebnisse zu Papier ge-
bracht und sendet das Manuskript an Goethe. Anfangs Mai 1816 er-
scheint im Drucke bei dem Verleger der „Kritik der reinen Vernunft**,
bei J. Fr. Hartknoch in Leipzig, die Abhandlung: „lieber das Sehen
und die Farben'* mit den Worten des Spinoza als Motto: „Est enim
verum index sui et falsi*^.
Von dieser Schrift noch heute zu reden, scheint der Begründung zu
bedürfen, um so mehr, als von Naturforschem schon einige Male darauf
hingewiesen ist Aber diese Hinweise sind, wie wir sehen werden, zu kurz
oder zu einseitig, so dass man daraus nur ein unvollkommenes und sogar
falsches Büd von den eigenthümlichen Leistungen Schopenhauer 's erhält
Kein Wunder, dass von den Biographen des Philosophen entweder nur
Anklagen über die Verkennimg und selbst absichtliche Unterdrückung seiner
Verdienste um das Sehen und die Farbenlehre erhoben werden, oder dass
das Besondere und Bleibende seiner Lehre auf ganz anderem Gebiete ge-
funden wird, als wo es in Wahrheit li^ Es fehlt bis heute eine Dar-
stellung und kritische Beleuchtung jener Abhandlung Schopenhauer's
von physiologischer Seite. loh will sie im Folgenden geben. Dass sie dies
auch an dieser Stelle verdient, wird, hoff ich, dabei einleuchten.
Der erste Theil der Abhandlung handelt vom Sehen. Er soll gleich-
sam als Einleitung zum eigentUchen Thema einen Abriss der Theorie von
» S. W. Bd. VL S. 227. An einer anderen SteUe (S. W. Bd. V. S. 198) hat
Schopenhauer den Gmnd angeführt, warum Goethe nicht selbst die Theorie ge-
funden habe. „Gerade die erstaunliche Objectivit&t seines Geistes, welche seinen
Dichtungen überaU den Stempel des Genies aufdrückt, stand ihm im Wege, wo es galt,
auf das Subject, hier das sehende Auge selbst, zurückzugehn, um daselbst die letzten
Fäden, an denen die ganze Erscheinung der Farbenwelt hängt, zu erfassen; während
hingegen ich, aus Kaut's Schule kommend, dieser Anforderung zu genügen auf's Beste
vorbereitet war. . . . Goethe's Trieb war. Alles rein objectiv aufzufassen und wieder-
zugeben. ... So schien ihm denn auch hier eine richtige und vollständige Darlegung
des objectiven Herganges der Sache das letzte Erreichbare."
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512 Paul Sohültz:
der äosseren empirischen Anschaaung der Gegenstände im Baome geben.
Sie hat in der zweiten Auflage seiner Fromotionssohrift ,yTJeber die vierfache
Wnrzel des Satzes vom zureichenden Grunde^' eine aurfuhrhche Darstellung
erhalten.
,,Man muss von allen Gtöttem verlassen sein/' sagt Schopenhauer
dort,^ ,,um zu wähnen, dass die anschauliche Welt da draossen ganz objectiv-
real und ohne unser Zuthun vorhanden wäre, dann aber, dundi die Uosse
Sinnesempfindung, in unseren Eopf hineingelangte, woselbst sie nun, wie
da draussen, noch ein Mal dastände. Denn was f&r ein ärmliches Ding
ist doch die blosse Sinnesempfindung! Selbst in den edelsten Sinnesorganen
ist sie nichts mehr, als ein locales, specifisches, innerhalb seiner Art einiger
Abwechselung fähiges, jedoch an sich selbst stets subjectives Gefähl, welches
als solches gar nichts Objectives, also nichts einer Anschauung Aehnliohes
enthalten kann/' Sie ist ein Vorgang im Organismus selbst und ab
solcher auf das Gebiet unter der Haut beschränkt Sie kann daher nidit
etwas enthalten, was jenseits dies^ Haut, also ausser uns li^ Dennoch
baut sich aus diesen Empfindungen die ganze Welt der aussäen Er-
scheinungen auf. Wie ist das mögUoh? Allein durch den Verstand, der
eine Function des Gehirnes ist, und dessen Thätigkeit in der Anwendung
des Gesetzes der Gausalität besteht. Er fasst die Empfindung des Leibes
als eme Wirkung auf, die eine Ursache haben muss. Auf diese geht er
zurück. Ind^n er die ihm eignen, im Gehirn prädisponirt liegenden Formen
des Baumes und der Zeit, die ja auch CausaUtät sind, hinzunimmt, verlegt
er die Ursache nach aussen vom Organismus als Körper, der die drei
Dimensionen des Baumes erfallt, und dessen wechsebnde Zustände durch
die Zeitfolge verknüpft werden. Das geschieht unbewusst und sogleich bei
jeder Empfindung. So entsteht aus dem Bohstctfe der Sinneseindrüc^e die
einpirische Anschauung, aus der Sammlung und Verknüpfung dieser erst
die Erfahrung. Auf der Thatsache der unwillkürlichen und sofort em-
tretenden Beziehung einer Empfindung auf ein Object ausserhalb beruht
nach Schopenhauer der allein richtige Beweis der Apriorität des Gbusal-
gesetzes, den selbst Kant übersehen hatte. Denn auch bei ihm spaziert
die Aussenwelt durch die Sinne ganz fertig in den Eopf hinein, audi ihm
ist die Anschauung ein einfacher, nicht weiter zerlegbarer Act.
Das also ist sie, wie Schopenhauer nachweist — und damit treten
wir in unsere Abhandlung ein — gerade nicht; sie ist ein zusammen-
gesetzter Vorgang. Der Sinneseindruok ist der sensuale Antheil, die Be-
ziehung auf eine äussere Ursache der intellectuale AntheiL Beide zusammen
erst macheü die Anschauung, die Wahrnehmung aus, und damit kommt
» 8. W. Bd, m. S. 65.
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Schopenhaueb'b Abhandlung: Übee das Sehen und die Fabben. 513
es zur Apprebension von Objecten. Die Thätigkeit des Yerstaudes ist, wie
schon erwähnt, unmittelbar, nothwendig und unbewusst Sie stellt eine
Art Schlussverfahren dar. Nur werden dabei nicht Begriffe zu einem Ur-
theile verbunden. Das wäre ein willkürlicher, ein bewnsster Schluss, und
ein solcher wäre das Geschäft der Vernunft. Sie aber trägt zu den An-
schauungen nichts bei, sie bildet vielmehr erst aus ihnen die nichtanschau-
lidien Vorstellungen, die Begriffe, und damit die Sprache. Begriffe, Sprache,
Vernunft sind identisch. Sie sind dem Menschen eigenthümlich, darauf
beruht seine vorzügliche Stellung, darauf der einzige wesentliche Unter-
schied von den Thieren. Denn Anschauung und damit Verstand besitzen
die Thiere auch. Ihre Wahrnehmung ist nicht bloss sensual, sondern auch
intellectual. Das Erkennen ist, wie Schopenhauer auch sonst nachdrück-
lich hervorhebt, der eigentliche Charakter der Thierheit Von allen Unter-
scheidungsmerkmalen, die zwischen Thieren und Pflanzen aufgestellt sind,
ist dies das einzige stichhaltige.
Von den Sinnen ist der Tastsinn über den ganzen Körper verbreitet
Die vier anderen Sinne sind auf gewisse Stellen localisirt, sie stellen Sitze
gesteigerten Fühlens dar, sie sind modificirte Tastempfindungen. Ihre
specifische Verschiedenheit beruht nicht auf dem Nervensysteme selbst,
sondern ein Mal auf der verschiedenen Art der Erregung, zweitens auf der
verschiedenen Einrichtung des äusseren Sinnesapparates, der erregt wird,
so dass, wenn Netzhaut und Labyrinth ihre Stellen vertauschten, der Gehör-
nerv sehen und der Sehnerv hören würde. ^ Von allen Sinnen ist das Ge-
sieht der feinsten und mannigfaltigsten Eindrücke fähig: und dennoch giebt
es allein noch keine Anschauung. Gerade dieser Sinn zeigt am deutlichsten,
vrie verschieden Empfinden und Wahrnehmen ist. „Könnte Jemand, der vor
einer schönen weiten Aussicht steht, auf einen Augenblick alles Verstandes
beraubt werden, so würde ihm von der ganzen Aussicht nichts übrig bleiben,
^ Hier ist also nur die alte ADschauaog von der Angepasstheit der Sionesoiigane
an die äuBseren physikaliscbeu Reize vorgetragen, .welche von Aristoteles bis anf
Job. Müller die Sinneslehre beherrschte; mit der Lehre des Letzteren von den spe-
eifischen Energien steht sie geradezu im Widerspruch. Es war daher ein Irrthnm von
Helmholtz, wenn er meinte (Goethe *s Vorabnangen kommender wissenschaftlicher
Ideen. Deutsche Bundechau. 1892. Heft 10. 8. 180), Goethe habe „die Lehre von
den specifischen Energien der Sinne höchstens in nnvollkommener Entwickelung durch
A. Sebopenbaner kennen gelernt". Im Sinne Job. Müller's würde der oben aus-
gedrückte Gkdanko Schopenbauer's so lauten, wie ihn zuerst Donders ausge-
sprooben, und wie er durch du Bois-Reymond (Die Grenzen des Naturerkennens.
Reden. Bd. L S. 109) Verbreitung gefunden hat: „Bei ttbePs Kreuz verbeilten Seh- und
Hömerven hörten wir, wäre der Versuch möglich, mit dem Auge den Blitz als Knall,
und sähen mit dem Ohr den Donner als Reihe von Lichteindrücken." Zur ganzen Frage
▼gL Weinmann, Die Lehre von den epeeißschen Sinnesenergien, Hamburg 1895.
Archiv CA. u.Ph. 1899. Fhysiol. Abthlg. Suppl. 38
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614 Paul Schultz:
als die Empfindui^g einer sehr mannigfalügeu Affection seiner Retina, den
vielerlei Farbenflecken auf einer Malerpalette ähnlich." So empfindet das
Kind in den ersten Wochen seines Lebens, darum starrt es dumm in die
Welt hinein. Erst allmählich gebraucht es den Verstand, es wendet das
vor aller Erfahrung, das a priori gegebene Gesetz der Causalität und die
Formen der Zeit und des Baumes an, und nun erst nimmt es wahr, nun
blickt es mit intelligenten Augen in die Welt. Viel später lernt es audi
die Vernunft gebrauchen: dann föngt es an zu sprechen und eigentlich
zu denken.
Zum Beweise für die Intellectualität der Anschauung dienen folgende
drei Thatsachen:
1. Das Aufrechtsehen. Wir schauen nicht das verkehrte Bild des
Gegenstandes auf der Retina an; schon der Ausdruck Bild ist falsch. Wir
empfinden vielmehr nur eine Erregung. Indem wir deren Ursache nach
aussen verlegen, verfolgen wir den, z. B. den unteren Theil der Netzhaut
erregenden Lichtstrahl rückwärts und gelangen zum Oben des Objectes;
Alles behält nun seine Ordnung.
2. Erst eine erworbene Function des Verstandes ist es, die beiden
Affectionen der Retina nicht doppelt zu empfinden, sondern die Reizung
entsprechender, gleichsinniger Netzhautstellen auf einen Gegenstand zu be-
ziehen. Daher erscheint uns, wenn wir einen entfernten Gegenstand tixiren,
ein näherer doppelt und umgekehrt. Gerade so wie wir beim Tasten doch
nur auf einen Gegenstand schliessen, obwohl ihn die zehn Finger berühren,
und jeder einen verschiedenen Eindruck erhält. Schon hieraus leuchtet ein,
dass die Eenntniss des Causalitätsgesetzes nicht erst aus der Erfahrung,
etwa, wie man gewollt hat, aus dem Widerstände, welchen die Körper
unserem Drucke entgegensetzen, gewonnen werden kann, sondern dass es
vielmehr die Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung ist Denn Er-
fahrung machen heisst, die verschiedenen, durch die Folge verbundenen
Empfindungen auf etwas ausser uns beziehen, heisst Object setzen, und das
ist Anwendung des Causalitätsgesetzes.
3. In der zweiten Auflage der Schrift fügte Schopenhauer das dritte
Argument hinzu. Das inzwischen (1838) von Wheatstone erfundene
Stereoskop zeigt, dass zwei flächenhafte Bilder desselben G^enstandes, wenn
sie von verschiedenen Punkten, entsprechend der Stellung der Augen im
Kopfe, aufgenommen werden, durch die Thätigkeit des Verstandes nicht
bloss zu einer Anschauung verschmolzen werden, sondern auch als solider
Körper in drei Dimensionen sich darstellen.
Es giebt nun Thatsachen, welche, wie die Probe beim Exempel, die
Richtigkeit des eben Gesagten bestätigen. Werden nämlich dem Verstände
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Schopenhausb's Abhandlung: Übeb das Sehen und deb Fabben. 515
bei seinem Schlassverfahren Data geliefert, die nicht auf dem gewohnten
Wege gewonnen sind, z. B. bei ungewöhnlicher Lage der Sinnesorgane,
80 entsteht im Gegensatze zur richtigen Anschauung, der Bealitfit, ein
Trug des Verstandes, der falsche Schein, die Sinnestäuschung. So beim
Erbsversuche des Aristoteles, so beim willkürlichen Schielen. Der habituell
Schielende hingegen hat sich mit der ungewohnten Lage der Augenaxen
zu sehen geübt, die Gegenstande erscheinen ihm wieder einfach.
Die Vernunft bildet Begriffe, aus diesen Urtheile. Werden die Begriffe
falsch verbunden, so entsteht ein Trug der Vernunft, ein Irrthum. Dieser
wird durch bessere Einsicht sofort beseitigt, die Wahrheit wird wieder her-
gestellt Der falsche Schein dagegen, eben weil die Anschauung intellectual
und der reine Verstand unvernünftig ist, kann nicht sofort beseitigt werden.
Wenn z. B. beim willkürlichen Schielen nicht conforme Stellen der Netz-
haut gereizt werden, so belehrt mich die Vernunft vergebens, dass ich nur
einen Gegenstand vor mir habe; ich sehe ihn doch doppelt, so lange bis
der Verstand gelernt hat, bei der jetzt veränderten Lage der Netzhäute die
Affection der einzelnen Stellen anders zu deuten.
Hier wird Mancher vielleicht glauben, ich sei von meinem Vorhaben,
über Schopenhauer zu reden, abgewichen, und wiederhole nur die von
Helmholtz begründete empiristische Theorie der Sinneswahmehmungen.
Denn an seinen Namen knüpft sich die oben vorgetragene Lehre von den
correspondirenden Punkten der Netzhaut, und zu den schönsten Blättern
seines Ruhmeskranzes gehört die Auflösung des bis dahin als einfach und
unzerlegbar geltenden Vorganges der Anschauung, die Aufdeckung der Be-
deutung der unbewussten Schlüsse und der oben gegebene Beweis von der
Aprioritat des Causalgesetzes. Und doch fast bis auf den Ausdruck ähnlich
finden sich diese Ausfahrungen zuerst bei unserem Philosophen, 39 Jahre
vor Helmholtz' Vortrag „üeber das Sehen des Menschen", worin er zum
ersten Male seine diesbezüglichen Gedanken entwickelt, und 51 Jahre vor
dem Erscheinen der physiologischen Optik, worin sie eine ausführliche Dar-
legung und Begründung erfahren.
Aber in beiden wird Schopenhauer 's nicht Erwähnung gethan^ ja
in jenem Königsberger Vortr^e wird sogar Kanten der Schopenhauern
eigenthumliche Beweis für die Aprioritat des Causalgesetzes zugeschrieben. ^
* Das hat sobon Stadler {Die Orundsäize der reinen Erkenntnisetheorie in der
Kafäischen Philosophie. Leipzig* 1876. S. 115) ausdrücklich gerflgt: „Wena sich daher
Physiker für diese Theorie anstatt auf Schopenhauer auf Kant berufen, so ist das
ein systematischer Irrthum." Weiter oben (S. 114) wird auch der Beweis Schopen-
hauer's selbst kritisch beleaohtet. Am Schlüsse dieses Abschnittes heisst es (S. 115):
„Man sagt: Kant hat ,die Aprioritat des Causalgesetzes verfochten. MerkwüUrdiger-
weise ist ihm das einfachste und schlagendste Argument entgangen, das in der soeben
38*
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516 Paul Sohultz:
Helmholtz hat die Lehre des Eönigsberger Philosophen wohl nur unToll-
kommen aus der Quelle geschöpft Er ist, wie ich schon an einer andere
Stelle hervorhob, ähnlich wie du Bois-Beymond, im stetigen Fortschritte
echter und gründlicher Specialforschung mitten hinein in das Gebiet er-
kenntnisstheoretischer Frs^en geführt worden.^ Diese selbst hat er nidit
zum eigentlichen Gegenstande seiner Untersuchungen gemacht. Daher hat er
auch den tiefen Gehalt der E an tischen transcendentalen Aesthetik nicht ganz
erfasst Er konnte glauben, durch seine metamathematischen Speculationen
die transcendentale Apriorität des Baumes widerlegt zu haben. Sein Irr-
thum beruhte, wie schon mehrfach hervorgehoben worden ist, darauf dasa
er als Produot der Erfahrung ansah, was Kant als ihre Bedingung nach-
gewiesen hatte. Helmholtz verwechselte Anschanungsnothwendigkeit und
Denkmöglichkeit.' Der umgekehrte Irrthum ist es, wenn er die specifische
Energie der Sinnesqualitaten als apriorische transcendentale Formen der
Anschauung im Kantischen Sinne deutete. Für den Yemunftkritiker
sind sie, da sie nicht immanente Gesetze des Bewusstseins sind, gerade
a posteriori und, da wir sie erst an den verschiedenen, sich darstellenden
Objecten unterscheiden lernen, empirisch gegeben.
Den ersten allgemeinen Hinweis auf Schopenhauer's Priorität auf
diesem Gebiete hat unter den Naturforschem, soweit ich seh^i kann^
angedeuteten üeberlegong (über das anreflectirte Schliefen) besteht' (Fick, Die WeÜ
dU VarHeüung. Würzbnrg 1870.) Dass dies in der That höchst merkwürdig ist,
nntersohreibe loh, sobald mir gezeigt wird, dass dieses einfache und Fchlagende Argument
für den erkenntnisstheoretischen Gmndsatz überhaupt anwendbar ist*' In der An-
merkung 145 S. 156 weist Stadler auf eine hierher gehörige Bemerkung F. A. Lange's
hin. Ich führe diese ihrer Bedeutung wegen för das oben im Text Mitgetheilte aus-
führlich an (Getehiehte de» Maferialümus. Leipzig 1896. Bd. IL S. 426): „Drobisch
(ZeiUehriß für exper. Fhü, Bd. IV. S. 334 fL) hat geglaubt, Werth darauf legen zu
dürfen, dass Helmholtz die Sinneswahmehmungen aus psychischen Thätigkeiten ab-
leitet; es liege darin nichts Geringeres als eine »Zurückweisung des Materialismus'.
Allein wenn Helmholtz uns zeigt, dass die Wahrnehmungen so zu Stande kommen,
als wenn sie durch Schlüsse gebildet wären, so können darauf folgende zwei Satze
angewendet werden:
1. Wir haben bisher für die Eigenthümlichkeiten der Wahrnehmung stets, physische
Bedingungen gefunden, also müssen wir vermuthen, dass auch die Analogie mit Schlüssen
auf physischen Bedingungen beruhe.
2. Qiebt es im rein sinnlichen Gebiet, wo für alle Erscheinungen organisohe Be-
dingungen anzunehmen sind, Vorgänge, welche mit den Verstandesschlüssen wesens-
Terwandt sind, so wird es dadurch bedeutend wahrscheinlicher, dass auch die letzteren
auf einem physischen Mechanismus beruhen."
^ Emil du Bois-Beymond. DeuUehe Bundsehau. 1897. Heft 5. S. 298.
• Vgl. die vortreffliche Studie von V. Hey f eider, Ueber den Begriff" der Er-
fahrung hei Helmholtz, Berlin 1897, B. Gärtner.
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8ghopknhaübb's Abhandluno: Übeb das Sehen und dib Fabben. 517
Job. Karl Becker' in Poggendorffs Annalen im Jahre 1871 gegeben.
Sein Vater, J. A. Becker, pf&lziscber Advocat und später Kreisricbter in
Mainz, war einer der frübesten Verebrer und gründlichsten Kenner der
Scbopenbauer'scben Philosophie; ein Apostel leider nur, wie sich
Schopenhauer oft genug beklagte, aber kein Evangelist Der Sohn, ge-
storben als Professor der Mathematik in Bruchsal, der die „hartnäckige
Buchdruckerschwärzscheu'' seines Vaters nicht theilte, veröffentlichte mehrere
Abhandlungen auf mathematisch-philosophischem Gebiete im Geiste Schopen-
faauer's. Nach ihm, im Jahre 1872, vertheidigte Zöllner' in seinem
Omietenbuche ausdrücklichst gegen Helmholtz für Schopenhauer den
Anspruch^ „zuerst den richtigen und entscheidenden Beweis'' für dieApriorität
des Gausalgesetzes erbracht zu haben. Um im Uebrigen die vollkommene
Uebereinstimmung sowohl der Ansichten als auch der Argumente beider
Denker in diesem Punkte über jeden Zweifel zu erheben, hat er entsprechende
Citate neben einander gestellt
Diese Anerkennung eriebte Schopenhauer nicht mehr. Wie wohl
hätte sie ihm gethan in seiner Einsiedelei in Frankfurt a./M. Haschte er
doch nach jedem Zeichen des Beifalles mit einer Leidenschaftlichkeit, die
uns unbegreiflich, ja unwürdig dünkt bei dem, der sich stolz einen Menschen-
^ Poggendorffs ^itna/en 1871. ErgäDznDgaband. 3.808. Hier weist Becker
den Qedanken einee Phtgiats znrfiok, doch fährt er fort: „Aber merkwürdig, sehr
merkwürdig bleibt es immerhin, wie zwei auf so ganz yerschiedeneu Standpunkten
stehende Forscher, ohne von einander zu wissen, da, wo sie denselben Gegenstand
bearbeiten, fast bis in*B kleinste Detail zusammentreffen.** Bei Heraasgabe des Brief-
wechsels zwischen seinem Vater und Schopenhauer (Leipzig 1883) kommt Becker
auf die Sache zurück, indem er in einer Anmerkung zu S. 126 hervorhebt, dass
Helmholtz in seine „Populäre wiweTMchafäiehe Vorträge** (Braunsohweig 1871;
2. Aufl. 1876) den Vortrag von 1855 „üeber deu Sehen des Menschen*^ nicht auf-
genommen habe. „Dieser (wenigstens nach meinem Dafürhalten) nach Form und Inhalt
weitaus beste Vortrag von Helmholtz fehlt. Warum das? Liegt nicht hier die
Vermuthung nahe, dass derselbe lediglich deshalb fehlt, weil es doch nicht wohl an-
ständig gewesen wäre, denselben nochmals abdrucken zu lassen, ohne endlich das
g&nzliohe Ignoriren Schopenhauer^s trotz der doch oft genug laut gewordenen
Prioritätsansprüche desselben in Bezug auf den grössten Theil sehies Inhaltes auf-
zugeben und offen Rede zu stehen?" Auf seine Frage „Warum das?'* hätte Becker,
wenn er sich ein wenig umgethan hätte, statt einer haltlosen Vermuthung eine klare
und feststehende Thatsache als Antwort erhalten kOnnen. Diese nämlich: Die erste
Auflage der „Populären wissenschaftlichen Vorträge*' enthielt zusammengefasst das,
was vorher (vor 1871) noch gamicht gedruckt oder nur an schwer zugänglichen
SteUen (üniversitätsprogrammen) erschienen war; die zweite Auflage (1876) brachte
einen unveränderten Abdruck der ersten. 1888 erschienen dann gesammelt „Vorträge
und Reden", die alle bisher gedruckten populären Aufsätze vereinigten, darunter
also auch den K5nigsberger Vortrag über das Sehen des Menschen.
' Zöllner, Ueber die Natur der Cometen, Leipzig 1872. S. 842.
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618 Paul Schultz:
Verächter oder vielmehr Kataphronanthropos nannte. Denn er liebte es,
seine allerdings gründlichen Kenntnisse der klassischen Sprachen aof den
Markt zu bringen. Zwar hatte im Jahre 1824 die bayerische Academie
der Wissenschaften zu München bei einer üebersicht über die Fortschritte
der Physiologie seit Haller als Förderer der Sinnesphysiologie nur ihn und
Purkinje genannt.^ Aber das blieb unbemerkt Und unbemerkt blieb
unter den Naturforschem seine Abhandlung. Ja, noch Schlimmeres mosste
er erleben. Er sah den Lorbeer seines Ruhmes auf eine fremde Stirn
gedrückt Wie das auf ihn wirken musste, kann leicht ermessen, wer seine
,,moralische Physiognomie'' kennt Hatte er doch unter den „Philosophie-
professoren der Professorenphilosophie" eine heimliche Verschwörung ent-
deckt, die sich kein geringeres Ziel setzte, als ihn, den homo novus und,
wie wir heute sagen würden, outsider zu ignoriren und zu secretiren. Nun
trieben es die Naturforscher noch ärger mit ihm, sie verübten an ihm
Plagiat Der Professor Anton Rosas in Wien hatte ihn im ersten Bande
seines Handbuches der Augenheilkunde (1830) zum Theil wörtlich ab-
geschrieben, ohne ihn zu nennen. Und ähnlich verfuhr nun Helmholtz,
wie Schopenhauer sich einredete. „Ich habe," schreibt er am 20. Januar
1856 an Becker, den Vater, „ein Schriftchen von dem Helmholtz:
,Ueber Wechselwirkung^, darin von dieser gar nicht die Rede ist, sondern
bekannte Sächelchen aus der Mechanik vorgetragen werden. Sein Buch
über das Sehen kenne ich nicht Aus Ihren Auszügen geht aber deutlich
und sicher hervor, dass er mich ausgeschrieben hat So ein
Helmholtz hat bloss die Absicht, sich irgend wie, per fas und
nefas, geltend zu machen, und eben darum Andere nicht gelten zu lassen,
während er sie bestiehlt Selbst die Hälfte seines Titels ist den meinigen
entnommen."' Seinen Erzevangelisten, den Dr. Frauenstädt, lässt er unter
dem 15. Juli 1856 böse an, dass er in seiner Recension des Vortrages:
„Ueber das Sehen des Menschen" den Helmholtz nicht nach Noten her-
untergehunzt habe.' Und am 28. Juni 1856 schreibt er ihm: „Der Helm-
holtz entninmit von mir, ohne mich kennen zu wollen, den Beweis und
legt ihn Kanten bei, der nichts davon gewusst hat (vierfache Wurzel, p. 74)
— aus Neid gegen den Lebenden; während er mich gelesen hat, Kanten
aber nicht Er ist ein , von dem Sie nicht so honorig reden
sollten, ihn nicht neben mir nennen sollten, gleichsam wie ,das ist Einer
und das ist noch Einer!*"*
Helmholtz gegen den Vorwurf des Plagiats zu vertheidigen, hiesse
seinem Andenken einen schlechten Dienst erweisen. Eher bedarf es der
» S. W. Bd. VI. S. 197. * S. Br. S. 132.
» S. Br. S. 299. * S. Br. S. 337.
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Schopenhaüeb's Abhandlung: Übeb das Sehen und die Fabben. 519
ErkläruBgy dass er seinen Vorgänger nicht gekannt hat. Aber anch das
b^eift leicht, wer da weiss, welche Abneigung ihn und die ihm gleich-
alterige und gleichgesinnte Generation der Naturforscher gegen die Philo-
sophie beseelte. Denn als deren Vertreterin spielte sich damals die falsche
Naturphilosophie auf, „welche der deutschen Wissenschaft ein Vierteljahr-
hnndert lang zur Schmach gereichte, und deren Verlockungen oft gerade
die besten Köpfe, welche Phantasie und Trieb in's Allgemeine über das
Handwerksmässige erhob, am wenigsten widerstanden'^^ Der genialste
Physiker aus dem Anfange dieses Jahrhunderts, Joh. Wilhelm Bitter,
ging darin unter, und Joh. Müller konnte sich noch in den zwanziger
Jahren nur mit Mühe aus ihren verderblichen Schlingen los machen. Um
80 starker war dagegen der Widerwille, um so entschlossener davon die
Abwendung bei den jüngeren Forschem, welche Induction und Experiment
handhabten und, indem sie mit klarem Blicke der Wirklichkeit sich zu-
wandten und mit fester Hand die Erscheinung angriffen, der verachteten
Empirie zu ungeahnten Triumphen verhalfen. Diese Stimmung drückt sich
auch noch bei Helmholtz in seinen Aeusserungen über die Philosophen
aus, sie lässt ihn auch in der Metaphysik nur das Schreckgespenst der
Hypermetaphysik erblicken, die selbstgeschaffenen Einbildungen folgt und
mit leeren Begriffen spielt, ohne sich an die Anschauung zu halten. Daher
schärft er, wie er selbst gesteht, seinen Schülern, wo er kann^ den Grund-
satz ein, dass ein metaphysischer Schluss (!) entweder ein Trugschluss oder
ein versteckter Erfahrungsschluss sei.^ Und doch hat er selbst auch Meta-
physik getrieben, da er gerade seine Theorie des Empirismus benutzte, um
auf ihr und über sie hinaus sich ein Bild des Weltganzen zu schaffen.
Aber selbst als Helmholtz auf Schopenhauer geradezu aufmerksam
gemacht wurde,' vermochte er es doch nicht über sich zu gewinnen, so
wenigstens müssen wir schliessen, die in Bede stehende Abhandlung des
Philosophen zu lesen. Hätte er es nun auch thun wollen, so hätte sein
Blick leicht zuerst auf Stellen darin fallen können, die seine vorgefasste
.Abneigung nur auf das Gründlichste bestärkt hätten. Ich sehe ab von den
Schmähungen, mit denen gleich in der Vorrede die exacten Naturforscher
bedacht werden, als „Herren vom Skalpell und Tiegel", als „philosophirende
Schuster, die mit dem unbefangensten Bealismus täppisch Hand anlegen an
^ du BoiB-B,eymond, Beden. Bd. I. S. 490.
' Vorträge wid Beden. Braanschweig 1SS4. Bd. II. S. 189.
' Hr. Prof. Engelmann hatte die Gftte, mir mitzatheilen, dass er im Jahre 1864»
veranlasst durch Zöllner, in Heidelberg Helmholtz auf Schopenhauer aufmerksam
gemacht habe. Darauf entgegnete ihm Helmholtz etwa, er habe schon davon gehört,
dass sich manches Wertbyolle bei Schopenhauer finde; doch habe er noch nichts
Ton ihm gelesen.
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520 Paul Schultz:
die Dinge'^ Das war in jenen Tagen niolits Ungewöhnliches bei einem
Philosophen. Ich denke auch nicht an die Aoslassnngen, in den^i sich
der „furor antineutonicus'S ^^ Czermak ,,die absolute Verstockung g^en
die exacte Lichtphysik'' treffend genannt hat,^ ergiesst Auch bei Goethe
finden sich ähnliche. Ich meine vielmehr die verschrobenen Ansichten
über die Fraunhofer'schen Linien,^ auf die schon Czermak' als Stellen
bodenlosesten physikalischen Unsinnes hingewiesen hat
Und schliesslich: noch ein Umstand sei hervorgehoben, der zwar nicht
entschuldigt^ aber doch erklärt, dass Helmholtz nicht bloss um Schopen-
hauer, sondern um seine Vorgänger auch auf anderen Gebieten sich nicht
sorgte. Ich darf an dieser Stelle, wo eine esoterische Meinung gestattet ist,
wohl darauf eingehen, ohne ein JUissverständniss zu befürchten. Helmholtz
ermangelte in gewissem Grade dessen, was ich den historischen Sinn inner-
halb einer Wissenschaft nennen möchte. Wohl verstanden, er schätzte nidit
etwa die Geschichte und ihr Studium gering; ja für den Werth der ent-
wickeluugsgeschichtlichen Betrachtung hatte er volles Yerständniss, und der
Gedanke Darwin's fand in ihm einen entschiedenen Anhänger und warmen
Verehrer. Der Mangel beruhte darin, dass er nicht auf den Gedanken ver-
fiel, wenn er ein Problem aufgriff, zu fragen und zu forschen, was auf dem
Gebiete schon geleistet war, um dann von dem bereits Erreichten aus weiter
zu schreiten. Selbständig viehnehr machte er sich von dem Punkte, wo
er gerade darauf gestossen war, an die Lösung und suchte sie auf seine
Weise. Darum begegnete es ihm nicht selten, dass er sich mühsam einen
Pfad bahnte, wo doch nebenher schon gangbare Wege liefen, und am fflele
angelangt, musste er hören, dass schon Andere vor ihm dorthin oder doch
in die Nähe gelangt waren. Sah er das selbst, dann stand er nicht an,
es anzuerkennen, und damit war für ihn die Sache abgethan. Ich er-
innere an das Gesetz von der Erhaltung der Energie, an die Accommodation
des Auges, an die Grenze der Leistungsfähigkeit der Mikroskope, an die
Bedeutung der Axiome in der Geometrie. „Solch eine Weise zu arbeiten,
darf sich nur ein Gewaltiger erlauben, der gewiss ist, zu finden, und mehr
zu finden als Andere. Allgemein als Methode angewandt, würde daraus
eine Hemmung für den Fortschritt der Wissenschaft erstehen.''^
^ Johann Czermak, üeberSohopenhauer'B Theorie der Farbe. Sitxungtber.
der kbnigl, sächs. Akad. der Wiseensch, II. Abthlg. Leipzig. Joli 1870.
» S. W. Bd. VI. S. 104.
» A. a. 0. S. 4.
* Th. W. Engelmann, Gedachtnissrede auf Hermann o. Helmholtz. Leipzig
1894. S.S. — Dnrch E. dn Bois-Reymond erfuhr ich zuerst von dieser Eigenart
Helmholtz'. Sein früherer langjähriger Assistent and Mitarbeiter, Hr. ProfesMT
A. Xöjii^, sprach sich ganz im nämlichen Sinne ans und wosste mehrere auffallende
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Sohopenhaüeb'b Abhandlung: XJber das Sehen und die Fabben. 521
Wird nun auch heute aelbst von den Anhängern Schopenhauer's
Niemand mehr im Ernste den Vorwurf eines Plagiates gegen Helmholtz
zn erheben wagen , so finden sich doch noch allzu dfrige Apologeten, die,
blind gegen den wirklichen Gang der Wissenschaft, sich nicht ausreden
lassen, dass Helmholtz in seinen mehrere Jahrz^nte spater erschienenen
Arbeiten nicht bloss längst ausgesprochene (bedanken dieses Philosophen
wiederholt habe, nur „weniger scharf und weniger philosophisch durchdachte^
sondern dass er ihnen audi nichts wesentlich Neues hinzuzufügen wusste.
Demgegenüber könnte ich darauf hinweisen, wie verschieden Beide das neu
entdeckte Stereoskop verwertheten. Für Schopenhauer brachte es nichts
ireiter, als eine anschauliche Bestätigung seiner schon aufgestellten Lehre.
In Helmholtz' Händen wurde es ein Apparat zur Auffindung zweier neuer
bedeutsamer Thatsachen, die seine Theorie des Empirismus erst ausbildeten
und in überraschend einleuchtender Weise begründeten: der Wettsträt der
Sehfelder und der von Dove entdeckte stereoskopische Glanz. Aber, kann
man zur Entschuldigung anführen, Schopenhauer war kein Experimen-
tator. In der That, er war noch weniger als das. Er war nicht bloss in
dem, was wir heute natur?dssenschaftliche Methodik neimen, völlig ungeübt,
andern auch sich darin hineinzufinden und hineinzuarbeiteD gänzlich
«inlahig.
Ich will vielmehr einen anderen Punkt hervorheben, der zeigt, wie
sehr gerade auf erkenntnisstheoretischem Gebiete dennoch der Empiriker
den Philosophen, der „Maulwur&haufen den Montblanc'^ überragte; so hatte
Schopenhauer selber Helmholtz neben sich geschätzt Er betrifft das
Aufrechtsehen. Man sollte glauben, dass der „echte Thronerbe Kant's'S
dass gerade der, dessen Hauptwerk mit den Worten beginnt: „Die Welt
ist meine Vorstellung^, dieses viel umstrittene Problem sofort in seiner
Tiefe erfasst und die einzig mögliche Auflösung giebt Zwar einen Anlauf
nimmt er dazu. Wie wir oben gesehen, bemerkt er ganz richtig, dass wir
gar kein Bild auf der Netzhaut sehen, sondern nur ihre Affection empfinden.
Nun aber verlässt ihn die Consequenz. 'Die Netzhaut ist doch in der
Empfindung da. Von den auf ihr getroffenen Punkten wird der einfallende
Lichtstrahl rückwärts verfolgt Ja, wie es in der Abhandlung über den
Beispiele als Belege anzoföhren. Zq Hrn. Prof. H. Munk, wie er mitzniheilen die
Ofite hatte, äusserte sich Helmholtz selbst ganz o£Een aber diesen Punkt mit etwa
den Worten: »,Wenn ich immer hätte die einschlägige Litteratnr über jeden Gegenstand,
der mich beschäftigte, lesen wollen, hätte ich keine Zeit für meine Arbeiten gefunden." —
Die zahlreichen historischen Angaben in der physiologischen Optik hat Helmholtz
grdsstentheils ans zweiter Hand (o. A. Job. Müll er' s Physiologie) entnommen, wie
er es auch selbst in der Vorrede angiebt
^ So urtheilt Job. Karl Becker, Poggendorff's JnmUen, a. a. O.
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522 Paul Schultz:
Satz vom Grunde heisst, besitzt die Retina sogar die Fähigkeit, die Richtung^
in der sie vom Lichte getroffen wird, unmittelbar mitzuempfinden, weil der
Lichtstrahl in die Dicke der Retina eindringt^ Also nicht bloss, dass hier
in einem wesentlichen Punkte die Erfahrung und die aufgestellte Lehre
von der Intellectualitat der Anschauung bei Seite geschoben wird, sondern
auch der idealistische Standpunkt ist im Grunde genommen verlassen.
Denn abgesehen von der physiologischen Unmöglichkeit, steckt in dieser
Theorie von dem Verfolgen der Direction der Lichtstrahlen auf das äussere
Object, die später in ähnlicher Form auch von Anderen aufgestellt wurde^
doch nur ein platter Realismus. Das Sehorgan wird dabei unter dem Bilde
der photographischen Camera vorgestellt, und die Erregung der Netzhaut
ist gleich einem mehr oder minder getreuen Bilde der real vorhandenen
Aussenwelt. Gänzlich übersehen ist dabei, dass schon die Begriffe oben und
unten, die doch nur von der Schwere, also vom Tastsinne hergenommen
sind, für die reine Gesichtsempfindung gar keinen Sinn haben. Netzhaut,.
Lichtstrahlen und ihre Ereuzuugspuukte sind eben spätere, wissenschaftliche
Abstractionen. Wer nichts von Physik und Physiologie versteht, weiss
davon auch beim Sehen nichts. Wie Schopenhauer zu dieser auch seinem
Systeme schroff wiederstreitenden Inconsequenz kam, wissen wir wohl. Es
zeigt sich hier im Keime derselbe Widerspruch, der in voller Grosse seine
Lehre vom Intellect kennzeichnet^ Er schöpfte seine anatomischen und
physiologischen Kenntnisse aus den Werken der sensualistischen französischen
Naturforscher, wie Bichat, Cabanis, Flourens. Deren Materialismus
suchte er zu verschmelzen mit der transcendentalen Aesthetik Kant's, was
ein Unding war.
Wie unvergleichlich tiefer fasst nun der Empiriker Helmholtz das
Problem auf. „Meines Erachtens hat der Streit über den Grund des Auf-
rechtsehens nur das physiologische Interesse zu zeigen, wie schwer selbst
Männer von bedeutender wissenschaftlicher Befähigung sich dazu verstehen,
das subjective Moment in unseren Sinneswahrnehmungen wirklich und
wesentlich anzuerkennen und in ihnen Wirkungen der Objecto zu sehen,
statt unveränderter Abbilder (sit venia verbo) der Objecto, welcher letztere
Begriff offenbar sich selbst widerspricht"'
Auf der anderen Seite muss es nun aber auch ausgesprochen werden,
dass Schopenhauer nicht Gerechtigkeit widerfahren ist Man kann sein
Befremden nicht unterdrücken, dass er in der ersten Auflage der physio-
» S. W. Bd. m. S. 72.
' Ich verweise hierbei auf meinen demnächst in der „Deuf sehen Bundsehau"
erscheinenden Aufsatz: ,, Schopenhauer in seinen Beziehungen zu den Naturwissen-
schaften'*.
" Handbuch der physiologischen Optik, 1896. II. Aufl. 8. 751.
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Schopenhaübb's Abhandlung: Übeb das Sehen und die Fabben. 523
logischen Optik gar sidit, in der zweiten nur ein Mal beiläufig erwähnt
wird. Hier heisst es in der Uebersicht über die Geschichte der Gesichts-
empfindungen: yyVieles Richtige, scharf ausgesprochen, findet sich auch bei
J. G. Fichte in den ,Thatsachen des Bewusstseins^ namentlich die Zu-
sammenfassung der Empfindungen in Qualitätenkreise, den f&nf Sinnen
entsprechend. Was in Schopenhauer's einschlägigen Erörterungen richtig
ist, wird meist auf diese Quelle zurückzuführen sein.^'^ Dies ist, soweit
ich wenigstens sehen kann, unzutreffend. Das, was oben als die wesent-
liche Leistung Schopenhauer's hervorgehoben wurde, lässt sich bei
Fichte nicht nachweisen. Es ist zu wünschen, dass eine neue Auflage
der Optik diesen Irrthum beseitigt und Schopenhauern die geböhrende
Anerkennung zu Theil werden lässt ^
Der zweite Theil der Abhandlung enthält die Farbenlehre. Schopen-
hauer hat selbst seinen, hierin von allen bisherigen Theorien völlig ab-
weichenden Standpunkt scharf präcisirt Wie Eopernikus zur Erklärung
der Planetenbewegung auf die Bewegung des Subjectes mit der Erde zurück-
gegimgen ist, wie der grosse Kant, um die Beschafienheit der Dinge zu
erkennen, die BesohaffiBuheit der sie wahrnehmenden Vernunft des Subjectes
imtersucht hat, so will auch Schopenhauer in der Theorie der Farben vom
beobachteten Gegenstande auf den Beobachter selbst, vom Objectiven zum
Subjectiven, vom äusseren Lichte zur Empfindung im Auge zurückgehen.
Die Farben werden erklärt als verschiedene Zustände oder Modificationen der
Betina. Schon Locke hatte unter seinen secundären Qualitäten, die nicht
den Dingen, sondern den Sinnen des Subjectes angehören, die Farbe obenan
gestellt Schopenhauer macht mit vollem Bewusstsein von der Eigenart
und der Bedeutung seines Schrittes den ersten consequenten Versuch, diesem
allgemeinen Gedanken eine bestimmte Form zu geben. Seine Theorie ist
daher, wie Czermak mit Becht betont hat, eine eminent physiologische.'
» A. a. O. S. 248.
* Helmholtz hat Schopenhauer noch einmal erwähnt in der Bectoratsrede
(1878): „Die Thatsachen in der Wahrnehmung". (Vorträge und Beden, Braonsohweig
1884. Bd. II. S. 237). Hier sagt er: „Ich habe später jenen Namen der nnbewossten
Schlüsse vermieden, am der Verwechselung mit der, wie mir scheint, gänzlich unklaren
und ungerechtfertigten Vorstellung zu entgehen, die Schopenhauer und seine Nach-
folger mit diesem Namen bezeichnen.'* Die Erklärung fftr diese sonst unbegreifliche
miasfallige Kritik Schopenhauer's findet Heyfelder (a.a.O. S. 47) treffend darin,
dass „Schopenhauer das Subject mittels eines unbewussten Schlusses das Object
erschaffen lässt, während bei Helmholtz die Wirkungen auf die Sinnesneryen that-
B&chlich Wirkungen von anssen her sind, nur die wirkenden Ursachen also erschlossen
werden'*. Schopenhauer war in dieser Beziehung — wenn Schlagworter gestattet
sind — Transcendental-Idealist, Helmholtz Transcendental-Realist.
» A. a. O. S. 16.
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524 Paul Sohultz:
Der blosse Eindruck auf das Auge — lehrt er nun hier — ist noch
keine Empfindung. Dass diese zu Stande kommt, dazu ist nöthig, dass das
Auge darauf reagirt Denn alle Sensibilität, so lehrt die Physiologie, ist
nicht reine Passivität, sondern Beaction auf den empfangenen Beiz. Bei der
Lichtempfindung ist es die Beaction, ist es die Thätigkeit der Betina,
welche den blossen Lichtreiz zur Licht- und Farbenempfindung umwandelt
Diese Thätigkeit kann ungetheilt und getheilt vor sich gehen. Ihre
Theilung kann geschehen der Intensität nach, der Extensität nach und der
Qualität nach. Der Thätigkeit steht gegenüber die Unthätigkeit, diese
herrscht bei Abwesenheit des Lichtes, d. h. bei der Finsterniss, dann
empfinden wir Schwarz.
Intensiv ist die Thätigkeit der Betina getheilt, sofern sie vom Lichte in
verschiedener Stärke getroffen wird. Bei der vollen Einwirkung des Lichtes,
wenn dieselbe mit einer gewissen Milderung und gleichmässigen Ver-
breitung von den Körpern ausgeht, besteht die ungetheilte Thätigk^t
Wir haben die Empfindung des Weissen. Je geringere Stärke das licht
hat, um so geringer ist die Thätigkeit, um so mehr nimmt die Unthätig-
keit zu. Dementsprechend geht unsere Empfindung um so mehr durcdi
Grau in Schwarz über.
Extensiv ist die Theilung, wenn verschiedene Stellen der Netzhaat
gleichzeitig verschieden stark erregt werden. Daraus erklärt sich die von
Franklin zuerst gemachte und von Goethe mitgetheilte und bestätigte
Beobachtung, dass ein gegen den hellen Hinunel angeschautes Fensterkreuz
beim Wenden des Blickes auf eine graue Fläche ein helles Kreuz auf
dunklem Grunde im Auge hervorruft, während bei völliger Verdunkelung
des Auges nur ein einfaches Nachbild der Erscheinung folgt
Diesen beiden Thätigkeiten der Betina, die man auch als die quantitativ
getheilten zusammenfassen kann, steht nun eine andere, von ihnen toto
genere verschiedene gegenüber, die qualitativ getheilte. Auf ihr beruht
die Farbenempfindung. Sie wird studirt mit Hülfe der farbigen Nachbilder.
Aus Beobachtungen, die schon Goethe richtig gesehen und als physio-
logisches Farbenspectrum beschrieben hatte, folgert Schopenhauer, dass
es nicht einzelne Farben, sondern nur Farbenpaare giebt. Indem bei
einem farbigen -Eindrucke die qualitative Thätigkeit der Betina durch
Bipartition aus einander tritt, entsteht als die eine Hälfte der Thätigkeit
die durch das äussere Object hervorgerufene Farbe, und blickt man darnach
auf eine graue Fläche, so folgt eine bestimmte andere Farbe als die zweite
Hälfte nach. Die eine fordert unmittelbar die andere nach sich. Darum
gehören diese beiden Farben zusammen. Sie sind in genere identisch, in
specie einander entgegengesetzt. Sie lassen sich vergleichen mit den beiden
Polen eines Magneten oder den beiden Fluida der Elektricität; nur dass hier
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Sohopenhaueb's Abhandlung: Übeb das Sbhen und dib Fabben. 525
simultan ist, was bei den Farben soocessiv ist. Insofern diese zwei Farben
die Hälften der vollen Thätigkeit sind und sich einander suchen und zu
dieser erganzen, kann man sie complementär nennen. Solche Dualitäten,
solche complementären Farbenpaare sind nun Orange und Blau, Oelb und
Violett, Roth und Grün, wobei aber unter Both nicht das spectrale, sondern
das Goethe'sche, der Purpur, zu verstehen ist. Ist dieser also z. B. die
eine Hälfte der Thätigkeit, so folgt als die andere Hälfte die Grünempfindung
nach. Neben einander können beide nicht bestehen. Es ist ds^er un-
physiologisch, von einem röthliohen Grün zu sprechen, wie es Melloni
und Alexander v. Humboldt gethan haben.
Jede Farbe ist heller als Schwarz und dunkler als Weiss, sie ist die
Helldunkel-Emi^ndung. Hell ist sie, weil die eine, sie hervorrufende quali-
tative Hälfte der Betina thätig ist, dunkel ist sie -^ und dies ist das
Bationale des Goethe'schen cxugov — , weil die andere Hälfte zu gleicher
Zdt nothwendig unthätig ist Die volle Thätigkeit bewirkt die Empfindung
Weiss, die Unthätigkeit die Empfindung Schwarz. Setzen wir jene gleich 1,
diese gleich 0, so geben die Farben als Helldunkel-Empfindungen Brüche,
die um so kleiner sind, je geringer die Thätigkeit der Netzhaut, je dunkler
also die Farbe ist, und um so grösser sind, je grösser die Thätigkeit der
Netzhaut^ je heller also die Farbe ist Helle Farben sind Gelb, Orange,
Both, man kann sie deswegen auch positive nennen; dunkle sind Violett,
Blau, Grün, man kann sie negative nennen. Um wie viel in einem Paare
die eine Farbe heller ist, um so viel muss ihr Gomplementum dunkler sein,
da beide zusammen die volle Thätigkeit gleich 1 ausmachen. Bei Both und
Grün sind die qualitativen Hälften völlig gleich, jede gleich ^j^. Daraus
erklärt sich die Stärke, mit der sie sich fordern, und ihre auffallende, jede
andere übertreffende Harmonie, sie sind die xQ^P^^^^ ^^r' ^oxv"* Orange
ist '/g dieser Thätigkeit, sein Gomplementum Blau Vs* Oelb ist '/^ der
vollen Thätigkeit, es ist die wesentlich hellste und heiterste Farbe, sein
Gomplementum Violett beträgt nur V«- mese zunächst freilich nicht be-
weisbare, aber aus der unmittelbaren Anschauung Jedem sich bewährende
Thatsache solcher einfachen Zahlenverhältnisse ist der Grund, dass jene
Farben feste und ausgezeichnete Punkte sind auf dem sonst völlig stetigen
und unendlich nnancirten Farbenkreise, und dass es also zwar unendlich
viele verschiedene Farben giebt, aber doch nur jene drei ursprünglichen
Farbenpaare, aus deren Mischung sich alle anderen bilden. Gerade wie in
der Musik diejenigen Töne unter den vielen möglichen die festen Stufen
der Tonleiter bilden und uns harmonisch klingen, deren Schwingungszahl
in einem ein&chen Zahlenverhältnisse stehen, so sind auch diejenigen Farben
einfache, deren zwei sich zur vollen Thätigkeit der Betina in einem Ver-
hältnisse fordern und ergänzen, das sich in ganzen und in den ersten
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526 Pauii Schultz:
Zahlen ausdrücken lasst Darauf beruht es, dass sich bei allen Tölkem zu
allen Zeiten für diese Farben besondere Namen finden,^ welche überall
verstanden werden, obgleich sie doch in Wirklichkeit höchst selten rein
Yorkommen. Sie müssen daher gewissermaassen a priori erkannt werden;
es muss sich von ihnen eine Norm, ein Ideal, eine Epikurische Anticipation
in uns finden.
Bei dem gewöhnlichen Gebrauche des Auges, unter den in der Natur
vorkommenden Farben sind diese Normen, diese Ideale nicht zu finden.
Hier erscheinen die Farben vielmehr blasser durch Zumischung von Wäss
oder dunkler durch Zumischung von Schwarz. Zur Yeranschaulichung
dieses Verhältnisses betrachte man die Bunge'sche FarbenkugeL Am
Aequator erscheinen die Farben im Maximum ihrer Energie. Wir nennen
sie lebhaft, brennend. Diese würden den reinen, den Ideal£arben ent-
sprechen. Bei ihnen vollzieht sich die qualitative Theilung der Retina
vollständig und ohne Best. Geht man nun vom Aequator nach den Polai,
nach dem Weiss oder nach dem Schwarz, zu, so erscheinen durch Ver-
mischung damit neue Farben. Bei allen solchen weniger reinen, weniger
energischen Farben thält sich die Thätigkeit der Retina nicht bloss quali-
tativ, es bleibt vielmehr ein Rest übrig, der sich zu gleicher Zeit auch der
Intensität nach thätig verhält Je nach dem Grade dieser Aotion wird der
Farbe Weiss in seinen Abstufungen bis zum Schwarz zugemischt So entr
stehen jene in der Natur vorkommenden Farben.
Die volle Thätigkeit der Retina ruft die Empfindung Weiss hervor,
die qualitativ getheilte die Farbenempfindung. Diese Theilung geschidit
in zwei Hälften, entsprechend den Paaren der Ergänzungsfarben. Ver-
einigung zweier zusammengehöriger Hälften, zweier complementärer Farben
stellt wieder die voUe Thätigkeit, also die Empfindung des Weissen, her.
* Dem gegenüber hat bekanntlich Gladstone zuerst aaf die grosse Armath der
homerischen Sprache an Farbenbezeichnnngen nnd anf die Unbestimmtheit in der An-
wendung der vorhandenen aufmerksam gemacht. Lazarus Geiger verfolgte diesra
Gegenstand weiter und glaubte aus Gründen der Sprachvergleichung die Hypothese auf-
stellen zu können, dass der ausgebildete Farbensinn ein verhältnissmässi^^ sp&tes Product
der menschlichen Entwickelung sei. Dagegen hat C. Krause auf das Unhaltbare dieser
Theorie hingewiesen. Die sprachliche Bezeichnung hängt von dem praktischen Be-
dürfniss ab. ünausgebildeten Sprachen fehlt die Farben bezeichnung durchweg, da
diese erst nöthig wurde, „nachdem man zu einem £^e wissen Kleider- und Wohnungs-
loxus gelangt war, seitdem der Farber sein Amt begonnen hatte". So finden sich auch
heute n'»ch bei Naturvölkern nur wenig Farbenbezeichnungen, diese nur für solche
Farben, die sie zum Färben gebrauchen, und doch hat bei genauerer Untersuchung
sich niemals Farbenblindheit bei ihnen in grösserem umfange feststellen lassen, ak bei
den höchst civilisirten Nationen. Vgl. Grant Allen, Der Farbensinn, üebersetzt
und eingeleitet von E. Krause. Leipzig IBSO.
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Sghopenhaueb's Abhandlung: Über das Sehen und die Fabben. 527
Dies hatte Goethe mit Unrecht bestritten, Newton aus falschem Grunde
behauptet. Der experimentelle Nachweis beruht darauf, dass, was im phy-
siologischen Spectrum auf einander folgt, zugleich sein muss. Es wird da-
durch möglich, dass man zwei äussere Ergänzungsfarben sehr schnell nach
einander oder in ganz bestinmiter Anordnung zu gleicher Zeit auf dieselbe
Stelle der Netzhaut wirken lässt Für den ersteren Fall sieht man eine
lebhafte Farbe an und lasst gleich darnach auf dieselbe Stelle der Netzhaut
die Erganzungsfarbe fallen. Dann empfindet man keine Farbe, sondern
Weiss,
Schwieriger ist die Herstellung des Weissen, wenn man die Vereinigung
schon in die äusseren Farben, chemische oder physische, wie Goethe sie
eintheilte, verlegt Chemische allein, Pigmente, sind ganz ungeeignet, weil
nach ihrer Mischung doch immer noch das materielle Substrat zurückbleibt,
daran sie sich zeigen, und dies nothwendig, wenn auch schwach, auf die
intensive Action der Retina wirkt, also die Empfindung Grau hervorbringt,
das niederträchtige Grau Goethe's. Lässt man aber zwei chemische Farben
getrennt und gleichzeitig in geeigneter Weise auf die Netzhaut einfallen,
so kann man auch aus der Mischung von Pigmenten Weiss erzeugen.
Dafür entnimmt Schopenhauer in der zweiten Auflage seiner Abhand-
lung ein Beispiel aus der 1852 erschienenen Habilitationsschrift von Helm-
holtz: „Ueber die Theorie der zusammengesetzten Farben^ Leichter dagegen
gelingt die Hervorbringung des Weissen aus physischen Farben, wie z. B.
wenn man die Farben zweier Sonnenspectra passend über einander führt,
oder aus einer chemischen und dner physischen Farbe, etwa wenn man
ein energisch gelbes Papier durch ein Prisma ansieht. Dann erscheint an
Stelle des violetten Saumes reines Weiss.
Sind die Farben, aus denen man das Weiss herstellt, schwärzlich, ist
also mit der quaUtativ getheiltenThätigkeit zugleich ein Best schwach intensiv
thätig, so entsteht nach Vereinigung der beiden Farben nicht weiss, sondern
grau. Ist aber dieser Best völlig intensiv thätig, so tritt er nach der Ver-
einigung der oomplementären Hälften ganz hervor: es wird reines Weiss
empfunden. In diesem Falle ist die Entstehung des Weissen aus den beiden
oomplementären Farben von selbst verständlich. Aber auch bei den reinen
ürfarben müssen, wie oben gezeigt, zwei complementäre in jedem Falle Weiss
ergeben, wenn man es nur einrichtet, dass sie zu gleicher Zeit auf dieselbe
Stelle der Netzhaut fallen. Die von Scher ff er aufgestellte Ermüdungs-
theorie, worauf die ganze Lehre der neueren Physiker von den oomplemen-
tären Farben beruht, ist für die Erklärung dieser Thatsachen völlig unzu-
reichend. Denn aus ihr ist schon unbegreiflich, wie nach dem Anschauen
eines homogeuen Lichtes das ihr als physiologisches Spectrum folgende
complementäre, einfache entstehen soll aus der Mischung der übrigen«
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528 Paul Schultz:
Das oomplementare Nachbild kann keine Ermüdungserscheinung sein; es
wird vielmehr aus der selbsteigenen Kraft der Retina erzeugt, es ist ihre
Action.
Bisher waren die yerschiedenen Th&tigkeiten der Netzhaut gesondert
betrachtet. Dies kommt aber in Wirklichkeit bei dem gewöhnlichen Ge-
brauche des Auges nie vor. Wie man eine Farbe nur selten im Zustande
ihrer grössten Energie sieht, sondern meist in's Blasse oder Schwärzliche
abweichend, wie also die qualitative Thätigkeit sich meist mit der intensiven
verbindet, ebenso tritt gewöhnlich zu diesen noch die extensive Thätigkeit
hinzu, d. h. man sieht zu gleicher Zeit die verschiedensten Farben neben
einander. Alle drei Thätigkeiten finden sich meist vereint Hierher gebort
eine Erscheinung, die zugleich die völlige Unzulänglichkeit der Scherffer'-
schen Ermüdungshypothese aufdeckt Blickt man auf eine grüne Mauer
mit grauen Fenstern, so erscheint im complementären Nachbilde eine rothe
Mauer nicht mit grauen, sondern mit grünen Fenstern. Das Auftreten der
Farbe im Nachbilde an einer Stelle, die vorher gar nicht durch die Er-
gänzungsfarbe afficirt war, ist daraus zu erklären, dass auf consensudle
Weise die vorher qualitativ unthätige Stelle noch nachträglich activ wird,
noch nachträglich in den Erregungszustand eintritt, der vorher die um-
gebenden Stellen der Betina betroffen hatte.
Als schlagenden Beweis für die völlig subjective Natur der Farbe fährt
Schopenhauer die damals bekannten Fälle von totaler Farbenblindheit
oder, wie er es nennt, Achromatoblq)sie an, und als Beweis f&r die Richtig-
keit seiner Theorie im Besonderen die unvollkonmienen Farbenblinden.
Von denen hätte er drei aus eigener Erfahrung kennen gelernt; sie konnten
ein Farbenpaar, also zwei Ergänzungsfarben, Roth und Grün, am wenigsten
unterscheiden.
Das ist, was uns hier von Schopenhauer's Abhandlung über die
Farben interessirt Der übrige Theil handelt von den Ursachen der Farben-
empfindungen, von den äusseren Farben. Hier wird Goethe's Lehre gegen
Newton vertheidigt, wozu gehässige Polemik und sinnlose physikalische
Erörterungen sich die Hand reichen. Er verdient an dieser Stelle keine
Beachtung. Auf die neue Farbentheorie hat von physiologischer Seite
zuerst Job. Czermak im Jahre 1870 die Aufmerksamkeit hingelenkt
und die Hauptpunkte einer Besprechung unterzogen. Dabei hat er an-
erkannt und mit Nachdruck hervorgehoben, dass Schopenhauer „in der
Farbenlehre einen ganz neuen und an sich richtigen Weg eingeschlagen,
und durch seine physiologische Theorie die allgemeinste und wesentlichste
Grundlage jeder wahten Farbenlehre aufgefunden habe".^ Aber er hat
> A. a. o. s. 16 ff.
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Schopenhauer's Abhandlung: Über das Sehen und die Farben. 529
darin ,,eme so zu sagen philosophische Anticipation^' der Young-Helm-
holtz'schen Theorie erblickt und glaubte zwischen beiden „eine über-
raschende und staunenswerthe Uebereinstimmung^^ feststellen zu können!
Ich meine, dass davon kdne Rede sein kann. Es heisst der Theorie
Schopenhauer's Gewalt anthun, es heisst ihren originellen Gehalt völlig
verkennen, wenn man sie mit der Toung-Helmholtz'schen vereinigen
will. Ich stehe nicht an, zu behaupten, dass sie vielmehr eine und noch
dazu die einzige Vorläuferin der Hering'schen Farbentheorie ist. Zum
Beweise führe ich die übereinstimmenden Punkte an; es sind dies zugleich
diejenigen, welche der Toung-Helmholtz'schen Theorie widersprechen.^
Alle Gesichtsempfindungen sind bedingt durch gewisse Processe in der
Netzhaut. Unter diesen ist einer zu unterscheiden, welcher die Weiss-
empfindung in ihren Abstufungen bis zum Schwarz hervorbringt, von denen,
welche die Farbenempfindungen bewirken; jener kann relativ unabhängig
von diesen vor sich gehen. Bei den Farbenempfindungen gehören inmier
zwei der Processe zusammen, derart, dass auf den einen noth wendig der
andere folgt, und dass, wenn der eine statt hat, nicht gleichzeitig der andere
(auf derselben Netzhautstelle) vor sich gehen kann. Es giebt daher nicht
einzelne Farben, sondern Farbenpaare. Das Hervortreten der einen bedingt
das unmittelbare Nachfolgen der anderen, daraus und nicht aus der
Scherffer'schen Ermüdungstheorie erklären sich die complementären Nach-
bilder. Beide Farben eines Paares, z. B. Roth und Grün, können nicht
gleichzeitig (auf derselben Netzhautstelle) empfunden werden. Wirken aber
beide dennoch gleichzeitig von aussen auf das Auge ein, so heben sich die
ihnen entsprechenden Processe aut^ es wird keine Farbe gesehen. Die Anzahl
solcher Farbenpaare ist eine bestimmte; es giebt einige wenige ursprüng-
liche Farben, die auf dem stetigen, in allmählichen Uebergängen fort-
schreitenden Farbenkreise feste Punkte ausmachen. Darunter ist eine Farbe,
die im Spectrum nicht vorkommt, das „Roth". Diese Normal- oder Ideal-
farben werden nicht in ihrer vollkommenen Reinheit empfunden. Es gesellt
8ich zu den sie erzeugenden Processen gleichzeitig derjenige, welchef *die
Weissempfindungen in ihren Abstufungen bis zum vollkommenen Schwarz
hervorbringt Dadurch und durch die Mischung der Farben mit einander
entstehen alle vorkommenden Farben. Die Erregung eines Theiles der
Ketina wirkt consensuell auch auf die benachbarten. Auf diese Weise,
also aus dem die Empfindung hervorrufenden Processe selbst, erklärt sich
eine Erscheinung, welche wir heute als simultanen farbigen Contrast be-
zeichnen würden.
^ Es bedarf kaum der Erwähnung, dass hiermit nicht in die Discassion über die
Richtigkeit der beiden Theorieen eingegriffen wird.
Archiv f. A. u. Ph. 1899. PhystoU Abthlg. Suppl. 34
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530 Paul Sohülib:
Diese Lehre giebt eine zureichende Erklärung der Farbenblindheit
Bei den total Farbenblinden fehlt der Netzhaut das Vermögen, diejenigen
Processe einzugehen, welche die Farben hervorrufen; es tritt nur der Vor-
gang ein, welcher die Weissempfindung erzeugt Bei den unvollkommenen
Farbenblinden fallen mindestens zwei jener Processe aus, die beiden näm-
lich, die durch einander bedingt sind und sich zu einander erganzen. Es
werden daher mindestens zwei Farben, eines der complementaren Farben-
paare nicht unterschieden.
Der Vorläufer ist nicht der Meister, der nach ihm kommt Was jener
ahnt und andeutet, erhebt dieser zur klaren Vorstellung und spricht es mit
Schärfe und Deutlichkeit aus. Wo jener zweifelt und irrt, bringt dieser
Gewissheit und Wahrheit Kein Wunder daher, dass Hering's Theorie,
ganz abgesehen davon, dass sie sich auf einem viel breiteren, gewichtigeren
und sorgfältiger geprüften Fundament von Thatsachen aufbaut, sich nicht
bloss an Klarheit und Folgerichtigkeit über die Theorie Schopenhauer's
erhebt, sondern in einigen Punkten sich auch ihr geradezu entgegensetzt
Ich hebe jezt diese hervor.
Zunächst einer von geringem Belang. Schopenhauer looalisirt die
Vorgänge, welche die Gesichtsempfindungen erregen, geradezu in der Retina.
Hering braucht zwar in seiner Abhandlung: „Zur Lehre vom Lichtsinn"
auch den Ausdruck Netzhaut in dieser Beziehung, bemerkt aber ausdrück-
lich, dass er darunter „nicht bloss die im Augapfel selbst gelegenen Theile
des nervösen Sehapparates, sondern auch die mit der eigentlichen Netzhaut
in näherer Verbindung stehenden Nervenfasern und Himtheile verbunden
wissen will, soweit nämlich dieselben beim Zustandekommen einer Lidit-
empfindung mit betheiligt sind".^ Wichtiger aber ist Folgendem. Bei
Schopenhauer entspricht unter den farblosen Gesichtsempfindungen nur
dem Weiss ein Thätigkeitsvorgang in der Netzhaut Je geringer dieser
ist, um so mehr nähert sich die Empfindung dem Grau. Schwarz wird
empfunden bei Abwesenheit allen Lichtes, dann besteht Ruhe oder völlige
ünthätigkeit in der Netzhaut. Bei Hering wird die Schwarzempfindnng
durch einen activen Process hervorgerufen, der dem der Weissempfindung
entgegengesetzt ist; jener ist die Assimilation, dieser die Dissimilation der
Schwarz- Weiss-Substanz. Der Zustand der Netzhaut aber, den wir als Buhe
zu bezeichnen pflegen, ist charakterisirt dadurch, dass diese beiden Processe
in geringster Stärke bestehen, ohne gleich 0 zu sein, wie es eintritt bei
längerem Aufenthalt im Dunkeln. Dann empfinden wir nicht Schwarz,
sondern das eigene Grau, den sog. inneren LichtnebeL Schopenhauer
behauptet zwar, dass die qualitative Theilbarkeit der Retina, wodurch die
* E. Hering, Zur Lehre vom Lichtsinne, Wien 1878. S. 8.
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Schopenhaueb's Abhandlung: Übeb das Sehen und die Fabben. 531
Farbenempfindung erregt werde, völlig verschieden sei von der intensiven
Theilbarkeit, welche die farblosen, die Weissempfindungen hervorbringt.
Dennoch lässt er je zwei Farben eines Paares als Hälften der Weiss-
empfindong auftreten. Beide suchen sich, fordern und vereinigen sich zu
Weiss. Wirkten nach Hering zwei zu einem Paare gehörige Urfarben
gleichzeitig auf die Netzhaut ein, so worden sich die ihnen entsprechende
Assimilation und Dissimilation in's Gleichgewicht setzen, es wurde keine
Farbe empfunden, aber auch kein Weiss; daher diese Farben nicht oom-
plementäre, sondern Antagonisten, Oegenfatben sind. Dies kann aber in
Wirklichkeit nie geschehen, weil wir nach Hering überhaupt niemals reine
Urfarben empfinden. Es erregt jede wirkliche Farbe mindestens zugleich
auch die Schwarz- Weiss-Substanz. Jede Farbenempfindung ist ein Product
aus mehreren Factoren; selbst die einfachste ist temär zusammengesetzt
Enthält sie auch die XJrfarbe dem Tone nach ganz rein, so mischt sich
doch ihr zugleich Schwarz und Weiss in irgend einem Verhältnisse zu.
Dies Yerhältniss macht die Nuance der Farbe, die Menge der Zumischung
ihre Reinheit oder, wie man es sonst nennt, ihre Sättigung aus. Es heben
sich daher bei gleichzeitiger Einwirkung zweier Gegenfarben die farbigen
Empfindungen auf, und es bleiben die beiden Schwarz- Weiss-Empfindungen
übrig. Ganz das Nämliche hatte Schopenhauer für den gewöhnlichen
Gebrauch des Auges, für die in der Natur vorkommenden Farben, auch
ausgesprochen, daneben aber behauptet, dass es, wenn auch selten, möglich
wäre, reine Urfarben zu sehen, z. B. wenn man sie sich künstlich im
höchsten Grade ihrer Sättigung herstellt, so, wie sie etwa auf dem Aequator
der Bunge'schen Farbenkugel erscheinen. Hier hätte er nun selbst bei
seinem dürftigen Beobachtungsmat^rial, wenn er nur etwas mehr Consequenz
in der Theorie bewiesen hätte, leicht auch in diesem wichtigen Punkte die
Lehre Hering's vorweg nehmen können. Ist nämlich die Thätigkeit der
Retina, welche die Farbe hervorbringt, toto genere verschieden von der,
welche die Weiss -Schwarz -Empfindung bewirkt, ist jene eine qualitative,
diese eine quantitative, so bleibt unbegreiflich, wie die Hälften jener zum
Ganzen dieser, wie das getheilte Qualitative zum vollen Quantitativen
sich vereinigen soll. Die Herstellung des Weissen aus Farben sollte zwar,
wie Schopenhauer mit Stolz wiederholt hervorhob, eine nothwendige
Folge und zugleich die schönste Leistung seiner Theorie sein, in Wirk-
lichkeit steht sie zu ihr in einem unversöhnlichem Widerspruche. Das
bat ofiienbar auch Goethe herausgefühlt; auch ihm hat diese Theorie
gerade das Wichtigste nicht geleistet, was sie versprach. Darum hat er
seinen „persönlichen Schüler**, „den ersten seiner Proselyten in der Farben-
lehre" später für seinen Gegner erklärt Auf ihn hat er die Verse ge-
dichtet:
34»
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532 Paul Schultz:
„Was Gutes zu denken wäre gut,
Fand' sich nur immer das gleiche Blut;
Dein Gutgedachtes, in fremden Adern,
Wird sogleich mit Dir selber hadern."
und
„Trüge gern noch länger des Lehrers Bürden,
Wenn Schüler nur nicht gleich Lehrer würden."
Die notbwendige Folge aus Schopenhaner's Theorie wäre einzig die
gewesen, dass die Farben eines Paares, wenn sie gleichzeitig auf die Net^
haut fallen, sich in ihrer Wirkung aufheben, es wird keine Farbe empfunden;
entsteht dennoch dabei die Empfindung Weiss in ihren mannigfaltigen
Abstufungen, so kann dies nur darauf beruhen, dass zu den sie erzeugenden
qualitativen Processen sich zugleich der die Weiss-Schwarz- Empfindung
bewirkende intensive Process hinzugesellt
Urfarben giebt es nach Schopenhauer sechs, nach Hering vier.
Merkwürdig, dass Schopenhauer Orange und Violett für einfache Farben
hielt, ebenso merkwürdig wie der Umstand, dass Goethe und D. Brewster
im Grün das Blau und Gelb zu sehen glaubten. Nach Schopenhauer
haben diese Urfarben eine verschiedene innere Helligkeit, so dass die beiden
eines Paares in einem in den ersten Zahlen ausdrückbaren Verhältnisse
stehen und in Beziehung auf Weiss je einen Bruch ergeben, die beide
zusammen gleich 1, gleich Weiss ausmachen. Schopenhauer hat hier
den freilich gänzlich verunglückten Versuch gemacht, aus den Helligkäts-
werthen, deren Abhängigkeit von der Litensität der Beleuchtung ihm ver-
borgen blieb, ein quantitatives Mischungsgesetz der Complementär&rben
subjectiv zu bestimmen. Die Urfarben Hering's, wären sie absolut rein
zu sehen, hätten zu einander nur Unterschiede des Tones; sie enthielten
weder Weiss noch Schwarz und würden daher in Bezug auf Helligkeit und
Dunkelheit gleichwerthig sein dem mittleren oder neutralen Grau, nur dass
dieses deswegen gleich hell wie dunkel ist, weil es ebenso viel Weiss wie
Schwarz enthält Was den angeblichen diesbezüglichen Unterschied der
Farben, z. B. den Helligkeitswerth der Spectralfarben ausmacht, beruht auf
Zumischung von fremdem Weiss oder Schwarz. ^
' Nach der frühereu Darstellang (Zur Lehre vom lAchtHnn), Die Theorie hat in
diesem Punkte eine Wandlung erfahren. Hillebrand (üeher die specifische Hellig-
keit der Farben, Wien 1889) behauptet auf Grund von Versuchen den directen Nach-
weis erbracht zu haben» dass das Farbenpaar Both und Gelb speoifisch heUer sei alt
das Farbenpaar Blau und Grün. Ob zwischen den beiden Farben eines Paares noch
weitere Helligkeitsunterschiede zu machen seien, lasse sich vorlaufig auf dem exacten
Wege des Experimentes nicht entscheiden. Auf Qrund blosser Schätzung würde er selbst
freilich gelb heller als roth und blau dunkler als grün erachten. Eben dies sei
auch die Ansicht von Goethe und (Schopenhauer fehlt leider hier) der
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Schop£nhaueb's Abhandluno: Über das Sehen und die Farben. 533
Nach alledem hatte Hering von seinem Standpunkte aus ganz Rechte
wenn er gelegentlich der Kritik einer Abhandlung von Donders meinte,
den Gredanken Schopenhauer's unbedingt zurückweisen zu müssen, da
Tiele Erscheinungen daraus sich nicht erklaren lassen.^ Ich glaube ebenso
Recht zu haben, wenn ich in der Farbentheorie Schopenhauer einen Vor-
läufer Hering's nannte. Vergessen darf man dabei nicht, dass Schopen-
hauer ein sehr geringes Thatsachenmaterial einseitig verwerthete, und dass
er nicht im Stande war, eine Erscheinung nach naturwissenschaftlicher
Methodik im heutigen Sinne zu analysiren und mit anderen in umfassender
Weise zu combiniren. Das aber kann, wie ich glaube, unsere Bewunderung
für das, was er dennoch geleistet, eher erhöhen als yerringem. Wir stimmen
daher durchaus den Worten Gzermak's bei, freilich aus einem ganz anderen
Orunde als er selbst wollte, dass „Schopenhauer unzweifelhaft ein bleiben-
der Ehrenplatz in jeder vollständigen Geschichte der Farbenlehre ge-
sichert ist".^
Laien. Doch lege er dieser Schätzang wenig Werth bei. Hering hat die Ergebnisse
Hillebrand'ä anfgenommen and Gelb and Roth als heUe, und Elan und Grün als
dankle Farben bezeichnet Damit wäre in gewissem Sinne statt der Differenz
«ine weitere Uebereinstimmnng mit der Lehre Schopenhauer's gegeben.
' E. Hering, Kritilc einer Abhandlung von Donders, ,,Ueber Farbensysteme".
Loto9. Prag 1882. Bd. II.
» A. a. O. S. 19.
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Die üebertragung der Schallschwingüngen auf und
durch das Mittelohr.
Von
Dr. Gustav Zimmennann,
Ohrenant In Dresden.
Vor einiger Zeit veröffentlichten Nagel und Samojloff ^ interessante
Yersache, welche sie anstellten, um die üebertragung von Schallschwingüngen
auf das Mittelohr zu studiren und welche in ihren Resultaten bisher un-
widersprochen geblieben sind: Es wurde das Mittelohr eines frischen Thier-
kopfes durch Gaszuleitung von einem Bohrloch an der Unterseite des Schädels
und Gasableitung durch die Tube gewissermaassen in eine König' sehe Gas-
kammer verwandelt und dann die Schallschwingungen, welche zunächst vom
Gehörgang zugeführt wurden, in schöner Beaction der empfindlichen Flamme
veranschaulicht Diese Beaction stellen nun die Yerff. als einen Ausdruck
lediglich der bewirkten Trommelfellschwingungen hin und sehen dabei gänz-
lich ab von den Schwingungen, welche in der Luft und im Gas ausgelöst
und der Flamme mitgetheilt werden.
Es ist aus der Arbeit nicht ersichtlich, ob Verff. bei den Trommel-
fellschwingungen eine anders geartete Bewegung zu Grunde l^en, als sie
dies bei den Schwingungen der Lufttheilchen thun würden. Es wird ja
von namhaften Physiologen, z. B. LJandois,* behauptet, die Schwingungen
des Trommelfelles seien wegen der geringen Ausdehnung seines Dicken-
durchmessers als stehende Beugungswellen aufzufassen; auch Hermann'
nimmt aus diesem Grunde mit E. Weber und Helmholtz an, das
Trommelfell schwinge in tote mit und schwinge im Princip wie ein
^ Nagel nnd Samojloff, Dies Archiv, 1898. Physiol. Abthlg. S. 505.
" LaodoiB, Lehrbuch der Physiologie. 4. Aufl. S. 917.
• Hermano, Lehrbuch der Physiologie, 10. Aufl. S. 498.
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G. Zimmermann: Übertbaöung der Sohallsohwingüngen u. s. w. 536
Besonator. Ich habe vor einiger Zeit schon darauf aufmerksam gemacht,^
dass trotz des geringen Durchmessers von 0-1"™ diese Deductionen nicht
gerechtfertigt erscheinen. Bei den geringen Amplituden, die die beim
Schall schwingenden und zu Gehör kommenden Lufktheilchen schon in
einiger Entfernung von der Schallquelle haben und die nachgewiesener-
maassen bis zu 0*00004™°' vor dem Ohr und noch weniger herunter
gehen und die sich naturgemäss in der Substanz des Trommelfelles noch
mehr reduciren, befinden sich dessen Molecüle beim gewöhnlichen Schall
jedes in verschiedensten Phasen der Bewegung. Von einem in toto Hin-
und Herschwingen kann nur bei stärksten Scballschwingungen die Bede
sein, wo die Amplituden die Dicke des Trommelfelles überschreiten. Aber
auch für diesen Fall wird das Gesetz nicht alterirt, dass wie bei der Schall-
fortpflanzung in anderen Medien auch im Trommelfell keine stehenden,
sondern lediglich longitudinal fortschreitende Wellen wirksam sind.
Einen Wesensunterschied zwischen den in der Luft bezw. den im
Gas erzeugten Schwingungen und denen des Trommelfelles wollen also,
so nehme ich an, auch VerflF. in ihren Versuchen nicht statuiren; um so
auffallender erscheint es, dass sie so grosses Gewicht auf die Trommelfell-
schwingungen legen und sie als das Wichtigste allein hervorheben, eine
Wichtigkeit, welche ihnen zwar auch sonst in der Physiologie der Schall-
leitung beigelegt wird, aber meines Erachtens mit Unrecht.
Im Gegen theil meine ich, stellt das Trommelfell, wie ich das für die
Schallubertragung überhaupt behaupten möchte, auch in diesen Versuchen
bloss ein eingeschobenes Medium dar, dessen Wirkung wegen seines ge-
ringen Durchmessers und seiner im Verhältniss zur Luft grösseren Elas-
ticitat zwar als ziemlich indifferent zu betrachten ist, die aber, wenn sie in
Betracht gezogen wird, nur einen schwächenden Einfiuss darstellt, wie ihn
jedes eingeschobene Medium physikalisch bedingt. Wenn die Möglichkeit
bestände,^ die Luit ohne Zwischenschiebung eines trennenden Körpers von
der Vermischung mit dem Leuchtgas abzuhalten, würde die Flammen-
reaction, wenn auch minimal, so doch noch deutlicher und reiner zum Aus-
druck kommen. Die Schwingungen des Trommelfelles sind bei diesen Ver-
suchen nicht das Grundlegende, auch nicht das Ausschlaggebende, sondern
nebensächliche Vorbedingungen der Versuchsanordnung.
Weiterhin theilen Nagel und Samojloff Versuche mit, die sie unter
Beibehaltung der übrigen Anordnung dadurch modificirten, dass sie die
von der Schallquelle erzeugten Schwingungen sich nicht durch die Gehör-
* Zur Physiologie des Gehörorgans. Münchener medic. Wochenschrift, 1899.
Nr. 19 und 22. — Der Werth unserer Stimmgabelprüfungen auf Grund einer Nach-
prüfung der Helmho Uz' sehen Theorie. Verhandlungen der deutschen otologischen^
Gesellichafl, Jena 1899.
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536 Gustav Zimmermann:
gangsluft, sondern durch den Knochen fortpflanzen liessen: Eine Stimmgabel
tönend auf den Schädel gesetzt, zeigte deutliche Beaction des Gasbrenners
und diese wurde noch verstärkt, wenn die äussere Gehörgangsmündung
verschlossen wurde. Verflf. nehmen zur Erklärung für beide Erscheinungen
als Uebertragung die von Lucae und Politzer zuerst construirte cranio-
tympanale Leitung an, „es würden die Schwingungen vom Knochen auf
die Luft des Gehörganges und von dieser auf das Trommelfell übertragen".
Dass dieser Umweg über die Gehörgangsluft zum Labyrinth nothwendig
wäre, ist, abgesehen von der Unwahrscheinlichkeit, die er von vorn herein
hat, mittlerweile durch klinische Beobachtungen als unhaltbar erwiesen
und erfahrt, meine ich, auch keine Stütze durch die Versuche der VerflF.
Die von der Berührungsstelle aus im Knochen zunächst angeregten Schall-
ersohütterungen pflanzen sich von da concentrisch nach allen Seiten hin
fort; in einigen radialen Richtungen gehen sie im Knochen direct weiter,
in anderen Richtungen, wo der Knochen aufhört, gehen sie über auf die
anstossenden Gasmolecüle und von hier, wenn es in der gleichen Richtung
gelegen ist, auf das Trommelfell, von da auf die Gehörgangsluft und weiter.
Die Verstärkung nun, welche die Verfl*. bei Abschluss des äusseren
Gehörganges fanden, erklärt sich zwanglos durch das bekannte physikaUsche
Phänomen der Resonanz: die durch Zuhalten des äusseren Gehörganges
abgeschlossene Luftsäule resonirt nach dem Grade der Uebereinstimmung,
welche zwischen dem Schwingungstempo der Gabel und ihrem eigenen vor-
handen ist und verstärkt den Ton. Diese Verstärkung würde auch eintreten
ohne vorhandenes Trommelfell und es würde als eine dankbare physiologische
Aufgabe erscheinen, diese Gegenprobe wirklich anzustellen, indem man das
Trommelfell herausschnitte und in sonst gleicher Weise den Versuch wieder-
holte. Wenn Verfl". schliesslich in einem Experiment, wo sie Quecksilber
in den Gehörgang gössen, ein Ausbleiben der verstärkten Reaction beob-
achteten, so ist das wohl nicht der Hauptsache nach, wie Verfl". es thun,
auf die Verhinderung des Trommelfelles am Mitschwingen zu beziehen,
sondern eben darauf, dass in diesem Falle nicht wie in dem vorerwähnten,
die Vorbedingungen für das Entstehen der Resonanz vorhanden waren.
Der Vorgang der Schallübertragung im Mittelohr ist, wie ich das in
meinen oben citirten Arbeiten zum Theil schon hervorgehoben habe, in der
Weise anzunehmen, dass die normaler Weise vom Gehörgang zugeleiteten
Schallschwingungen sich durch die Substanz des Trommelfelles, ohne dasselbe
in toto zum Mitschwingen zu bringen, auf die Luft des Mittelohrs fort-
pflanzen und von hier direct auf die knöcherne Schneckenkapsel übergehen.
Diese, aus einer dünnen Schale elastischen Knochens, dem besten Schall-
leiter des Organismus, bestehend, ist vorzüglich geeignet, die in ihr erregten
molecular fortschreitenden Wellen auf das Labyrinth und dessen sympathisch
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ÜbERTEAGUNG DBB SOHAIiLSCHWlNGUNGEN U. 8. W. 537
schwingende Fasern zu übertragen; die Schwäohang, die der Schall beim
Uebergang von Luft zu Knochen erleidet, wird annähernd compensirt durch
dessen sechsfach besseres Leitungsvermögen.
Gerade die zartesten Schallschwinguugen mit ihren unmessbar feinen
Amplituden, welche nur einen winzigen Bruchtheil des Trommelfelldurch-
messers darstellen, können gar kein noch so minimales „Ein- und Aus-
wärtsrücken" des Trommelfelles herbeiführen; die Moleoüle an der Aussen-
seite haben bei den gewöhnlichen, weder unangenehm noch gar schmerzhaft
empfundenen Schallschwingungen ihre Bahn schon in einem Zeitpunkt
durchlaufen, wo die Moleküle an der Innenseite die Bewegung kaum erst
beginnen. Deshalb kann in diesen Fällen auch der dem Trommelfell durch
seine ganze Dicke eingewebte Hammerstiel für sich keine Bewegung in toto
machen, die eine Auslösung einer „spritzenstempelartigen" (Gad)^ Be-
wegung der Steigbügelplatte zur Folge hätte. Die Schallübertragung im
Mittelohr erfolgt auf's Labyrinth unabhängig von dem Mechanismus eines
Winkelhebels und unabhängig von dem Vorhandensein einer beweglichen
Endplatte; sie kommt nur auf* dem W^e der molecularen Knochen-
leitung in der Schneckenkapsel zu Stande und was man bisher schlechthin
Luftleitung genannt hat, muss genauer Luftknochenleitung oder indirecte
Knochenleitung genannt werden.
Diese Deductionen finden theilweise schon ihre Bestätigung in klinischen
Thatsachen, welche bei angeborenen oder erworbenen Defecten der Knöchel-
«henkette konstatirt wurden. Klinisch ist festgest-ellt, dass die hohen Töne
der bisher allseitig angenommenen Schallleitung durch Trommelfell und
Knöchelchenkette entbehren können, ohne dadurch in ihrer Wahmehmbarkeit
beschrankt zu sein. Und da physikalisch für die Starke der Schallleitung
nicht die verschiedene Wellenlänge verschiedener Tonhöhen, sondern allgemein
die Amplitude der schwingenden Theilchen das Bestimmende ist, so ist zu
fordern, dass, was für Amplituden hoher Töne Geltung hat, auch für die
der tiefen Töne gilt: Wenn die hohen Töne ohne Mitwirkung einer Leitung
in der Knöchelchenkette zu Gehör kommen, so ist ihre Mitwirkung in
diesem Sinne auch nicht und wohl erst recht nicht für die tiefen Töne
noth wendig. Die klinischen Thatsachen, welche die Knöchelchenkette als
eine nothwendige Voraussetzung far die exakte Wahrnehmung der tiefen
Töne erscheinen lassen, können ihren Grund unmöghch in der physiologischen
Wirkung der Kett.e als Schallleiter haben, sondern müssen ihren Grund in
einer anderen Bedeutung derselben finden.
Damit die sympathischen Fasern des Endorgans mitschwingen können
mit allen den Tönen, welche in der durch die Schneckenkapsel molecular
^ Gad, Physiologie des Ohres. Handbuch der Ohrenheilkunde. S. 335
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538 Gustav Zimmebmakn:
Zugeleiteten Klangmasse enthalten sind, ist es nothwendig, dass das sie um-
gebende Medium, die an sich incompressible Labyrinthfiüssigkeit, ihren
stehenden Beugungsschwingungen gegenüber ausweichen kann. Ein Aus-
weichen der Labyrinthflüssigkeit ist bei der Geschwindigkeit der Schall-
schwingungen und der Enge der peri- und endolymphatischen Abfiusswege
auf diesen Wegen nicht möglich, ebensowenig auf dem Wege einer Drud[-
ausgleichung durch Blutvertheilung. Die zu fordernde Ausweichvorrichtung
ist hergestellt durch Einfügung einer elastischen Platte in die starre
Schneckenkapsel. Diese in Gestalt der Membrana secundaria im runden
Fenster wird allen von innen auftretenden Druckdifferenzen automatisch
nachgeben und Folge leisten können und genügt vollständig, um sym-
pathische Schwingungen zu Stande kommen zu lassen.
Eine zweite bewegliche Platte wäre deshalb überflüssig, wenn sie nicht
zu anderen physiologisch wichtigen Zwecken zu dienen hätte. Die Steig-
bügelplatte im ovalen Fenster ist in einer auf ihrer Fläche annähernd
senkrechten Aie beweglich, genau im Sinne der Wirkung der beiden
Binnenmuskeln des Ohres, des Tensor und Stapedius. Dadurch werden
Ein- und Auswärtsbewegungen ermöglicht^ welche eine mehr weniger grosse
Arretirung der Labyrinthflüssigkeit zur Folge haben.
Rückt die Steigbügelplatte msoimal nach innen, so wächst der intra-
labyrinthäre Druck so stark, dass die Membrana secundaria des runden
Fensters übermässig belastet, ihre Federkraft paralysirt wird und sie dem
Drucke nicht mehr ausweichen kann. Damit ist die Grundbedingung för
das Zustandekommen sympathischer Schwingungen aufgehoben. Analog
pathologischen Fällen, wo eine Fixation der Fenstermembranen einhergeht
mit völliger Taubheit des betrefTenden Ohres, ist auch physiologisch in
diesen Fällen das Ohr taub, so lange dieser Druck anhält, so lange bis
entweder die Steigbügelplatte in ihre ursprüngliche Lage zurückgekehrt ist,
oder allmählich ein Druckausgleich durch Abfluss der Labyrinthflüssigkeit
nach dem Schädellymphraum herbeigeführt wird. Es ist dieser Vorgang
ein exquisiter und nothwendiger Schutz für das Ohr, indem die Wirkungen
stärkster Schallschwingungen, die die zarten labyrinthären Fasern gewaltsam
zertrümmern könnten, völlig dadurch unmöglich gemacht werden.
Bückt nun die Steigbügelplatte nicht maximal, sondern abstuf bar ver-
änderlich nach innen, so werden die Schwingungen der sympathischen
Fasern nicht völlig unmöglich gemacht, sie werden nur gedämpft, sie
werden in ihren Schwingungsweiten beschränkt. Das ist physiologisch nicht
nur wieder zur Abschwächung stärkerer Schallsohwingungen von hohem
Werthe, sondern auch eine nothwendige Voraussetzung für eine exacte
Wahrnehmung besonders der tiefen Töne. Fehlte diese Einrichtung, so
würden gerade die in grossen Amplituden schwingenden Fasern, die für
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ÜBSETBAGUNG beb SCHALLSCHWINGUKaEK ü. 8. W. 539
die tiefen Töne vorhanden sind, noch längere Zeit schwingen und nach-
schwingen können, als für eine pracise Wahrnehmung statthaft ist Es
findet diese Einrichtung unter diesem neuen Gesichtswinkel ihre vollwichtige
Analogie in dem Accommodationsmechanismus, den man am Ciliarapparate
des Auges nachgewiesen hat: Wie hier eine räumliche Begrenzung zur
scharfen Perception der Lichtstrahlen geschaffen ist, so schafft im Ohre die
reflectorisch bewegliche Steigbügelplatte die nothwendige zeitliche Begrenzung
zur präcisen Perception der Schallschwingungen, besonders der tieferen
Schallschwingungen. Die klinischen Beobachtungen, welche die Nothwendig-
keit der Knöchelchenkette für tiefe Töne unter dem Gesichtspunkte ihrer
Mitwirkung bei der Schallleitung ergeben, sind nicht aus diesem Gesichts-
punkte, sondern aus dem, der für sie besonders nothwendigen Accommo-
dation zu erklären. Wenn die Kranken in solchen Fällen klagen, sie könnten
wohl hören, dass gesprochen würde, aber sie könnten nicht deutlich unter-
scheiden, was gesprochen würde, so zeigt das schon, dass die Sprachlaute
dem Ohre wohl zugeleitet werden, dass sie aber, besonders so weit sie in
der Tonhöhe der unteren Octaven liegen, nicht mehr differenzirt werden
können. Sie gehen unter in einem wirren Sausen tiefen Toncharakters,
weil dem Ohre die Möglichkeit der Accommodation genommen ist
Der Name Accommodation, welcher zuerst von Mach^ gebraucht wird,
ist bisher stets im Sinne verwendet, als sei das Trommelfell Gegenstand
dieser Accommodation, als würde es durch stärkere Anspannung besser ab-
gestimmt, oder doch für ein besseres Mitschwingen mit den jeweils in der
Klangmasse vorhandenen Tönen geschickt gemacht, accommodirt Es liegt
dieser Auffassung die Annahme zu Grunde, das Trommelfell verhalte sich
Schallschwingungen gegenüber wie eine mittönende Saite oder gespannte
Membran. Seit Holmholtz in seiner bahnbrechenden Lehre von den Ton-
empfindungen (S. 61) bei der Erklärung des Vorganges, wo von einem
längere Zeit periodisch schwingenden Körper diese Schwingungen sich auf
einen anderen, in gleichen Perioden schwingungsfahigen Körper übertragen,
die Benennungen mittönen und mitschwingen, als gleichbedeutend gebraucht
hat und dann (S. 208 ff.) unter der Ueberschrift „Mitschwingende Theile
im Ohre'' den Mechanismus der Knöchelchenkette abhandelt, ist diese Auf-
fassung autorisirt. Indess ein Mitschwingen des Tronmielfelles im Sinne
eines Resonators, wie ihn gespannte Membranen darstellen, erscheint bei
näherer Prüfung unhaltbar. Gespannte Membranen, wenn sie resoniren,
thun das nur für den Ton, welcher mit dem Eigentone der Membran oder
einem vielfachen desselben übereinstimmt Der Eigenton des Trommelfelles
' E. Mach, Zur Theorie des Gehörorgans. Wiener akad, Sitzungsberichte, 1S63.
S. 288 ff.
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540 Gustav Zimmebmakn:
entspräche dem f ", folglich könnte dasselbe nur diesen Ton oder dessen
Obertöue mitschwingend aufnehmen und würde auf alle anderen etwa
40 000 Töne, die de facto wahrgenommen werden, wenig oder gar nicht
reagiren können. Bei diesem oifenbaren Widerspruche mit der Wirklich-
keit hat man nun die Belastung und veränderliche Spannung des Trommel-
felles als Argumente benutzt, dass dasselbe „gleichsam unendlich viele
Eigentöne habe^^ Die Belastung einer gespannten Membran bildet aber
zugegebener Weise einen Hiuderungsgrund, dass überhaupt Mitschwingungen
statthaben, und die veränderliche Spannung würde zwar verschiedene Eigen-
töne in verschiedenen Zeiteinheiten, aber nicht in derselben Zeiteinheit,
wie es der Fall sein müsste, begründen: In einem bestimmten Zeit-
punkte würde die jeweilige Spannung doch immer nur den einen durch
sie jeweilig bedingten Eigenton zu Gehör konmien lassen können, alle
anderen Töne wenig oder gar nicht. Es geht aus dieser Betrachtang
hervor, dass die Auffassung des Trommelfelles als einer mittönenden oder
mitschwingenden Membran nicht berechtigt ist, und dass deshalb auch von
einer Accommodation in dem Mach 'sehen Sinne nicht wohl die Rede sein
kann, welche das Trommelfell als Angriffs- und Zielpunkt derselben hin-
stellt. Das Trommelfell ist auch in dieser Hinsicht für die eigentliche
Schallauftiahme und Schallübertragung unmaassgeblich, seine Zwischen-
schiebung in die Gehörgangs- und Mittelohrluft, an sich schallschwächend,
musste in Kauf genommen werden, um die oben von mir in ihren be-
deutungsvollen Wirkungen geschilderten Lageveränderungen der Steigbügel-
platte herbeiführen zu helfen.
Diese Lageveranderungen der Steigbügelplatt« können nun offenbar
auf zweierlei Weisen zu Stande kommen, die mau sich an dem Verhalten
des Tensor tympani veranschaulichen kann: Dieser kann passiv oder activ
verkürzt werden.
Im ersten Falle lösen die stärksten Schallwellen selber und sofort die
Bewegung aus. Sie durchsetzen mit einer Amplitude ihrer schwingenden
Molccüle die ganze Dicke des Trommelfelles und treiben es nach innen
in's Mittelohr und damit im selben Augenblicke die Steigbügelplatte- in's
Labyrinth, noch ehe die Schwingungen durch die Luft des Mittelohres und
die Schneckenkapsel Zeit gehabt haben, sich den Labyrinthfasern mit-
zutheilen. Der Grad der Einwärtsbewegung ist direct proportional der
wirksamen molecularen Schwingungsweite: Je grösser sie war, um so tiefer
bis ad maximum 0'06™™ tritt die Steigbügelplatte in den Vorhof. Die
Mechanik der Gehörknöchelchen und und des Trommelfelles ist von Helm-
hol tz in unerreichter Meisterschaft auf den ersten Blättern des Pflüger'-
schen Archivs geschildert worden und von allen nachfolgenden Forschem
glänzend bestätigt, so dass sich jeder weitere Zusatz in dieser Beziehung
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ÜbeRTKAGUNG DBB SCHALLSCHWINGÜNGEN ü. S. W. 541
erübrigt. Für die exacte Function des Mechanismus ist in diesem Falle
das Trommelfell die unerlässliche Voraussetzung.
Im zweiten Falle wird die gleiche, aber graduell wohl meist geringere
Verschiebung der Steigbügelplatte reflectorisch ausgelöst, indem vom Hör-
nerven, wenn er vom Endorgan durch zu starke oder nachhaltige Schallreize
erregt wird, die Erregung sich übertragt auf die motorischen Trigeminus-
. fasern im Ganglion oticum, welche den Tensor tympani innerviren. Je
nach der verschiedenen Anspannung des Tensor tympani werden bis zu
den feinsten Abstufungen die verschiedensten Druckzustände im Labyrinth
ermöglicht, welche die Schwingungsweite der Labyrinthfasern auf den
jeweils besten Grad der Perception einstellen. Die Tensorwirkung ist in
diesem Falle nicht unbedingt gebunden an ein vollständiges intactes Trommel-
fell, es genügt das Vorhandensein einer freien Beweglichkeit des Hammers
im Axenband. Das erklärt auch, die bisher völlig unzulänglich motivirte
gute Hörfahigkeit bei zerstörtem Trommelfell. — Zur vollen Functions-
fahigkeit gehört die Sicherung, welche in dem exacten Widerspiel des
antagonistisch wirkenden Stapedius gegeben, ist, der von einem anderen
Nerven, dem N. facialis, innervirt wird.
Diese Darlegungen über die physiologische Leistung vom Trommelfell
und Gehörknöchelchen gehen, wie man sieht, in letzter Instanz auf einen
schon von Joh. Müller^ erkannten und ausführlich begründeten Funda-
mentalsatz zurück, „dass nur bei stärksten Stössen Beugungsschwingungen
des Trommelfells entstehen können^', dass also bei allen anderen, gerade
den feinsten Schallschwingungen nur eine moleculare Fortpflanzung durch
die Trommelfellsubstanz hindurch stattfindet und deshalb in diesen Fällen
weder die Gehörknöchelchenkette, noch das Labyrinthwasser in toto hin
und her schwingt, wie Helmholtz später es annahm. Wenn nun aber
Joh. Müller in Consequenz seines angeführten Satzes schliesst, auch die
Gehörknöchelchenkette leite molecular wie ein gerader Stab, auf den er
exemplificirt, den Schall auf die Membran des ovalen Fensters und die
Labyrinthfiüssigkeit, so dürfte dem vielleicht entgegen zu halten sein, dass
gerade im menschlichen Ohre die günstigsten Verhältnisse, welche ein ge-
rader Stab zur Schallfortleitung bieten würde, durch die Construction der
Kette nach Möglichkeit vermieden sind; die Kette stellt keinen geraden
Stab dar, sondern ist in ihrer Continuität nicht tnur durch winkelige
Knickung, sondern vor Allem durch Einschaltung zweier Gelenke unter-
brochen, welche mit ihren Knorpellagen, ihren Zwischenknorpelscheiben
und Gelenkhöhlen die Fortpflanzung einer molecularen Bewegung möglichst
erschweren. Ich glaube daher sagen zu müssen, die Kette tritt nur in
Joh. Müller, Handbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 11. S. 431.
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542 G. Zimmermann: Übebtbagüng beb Sohallsohwinoungen u. 8.w.
Action, wenn sie duroh ein in toto Hin- und Herschwingen des Trommel-
felles bei stärksten Schallschwingangen in das gleiche Hin- und Her-
schwingen versetzt wird und hat dann als Endeffect eine Drucksteigerang
im Labyrinth zur Folge, von der man sich vorzustellen hat, dass sie eine
Schwingungsbeeintrachtigung der labyiinthäreu Fasern involvirt In allen
anderen Fällen, wo der Schall sich durch das Trommelfell, ohne es zu
verschieben, fortpflanzt, wird die Kette zur molecularen Uebertragung kaum
in Anspruch genommen werden und der Schall wird sich durch die Luft
des Mittelohres direot dem Promontorium und dem ihm anliegenden Lig.
Spirale mit dem Gorti'schen Organ mittheilen können.
Ein endgültiges Urtheil über die Richtigkeit dieser Darlegungen kann
wohl erst an der Hand der bewährten Methode experimentell^physiolc^^ischer
Untersuchungen gewonnen werden, und es ist der Zweck dieser Zeilen, für
eine solche oompetente Nachprüfung das Interesse physiologischer Forscher
zu gewinnen zu suchen.
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Ueber die Lage der motorischen Rindencentren
des Menschen nach Ergebnissen faradischer Reizung
derselben bei Gehirnoperationen.
Von
Prof. Dr. W. v. Bechterew.
Unsere Kenntnisse von der Anordnung der motorisclien Centra der
Gehirnrinde des Menschen gründeten sich bis in die letzte Zeit hinein auf
Beobachtungen über Zerstörung bestimmter Theile der motorischen Zone
und solcher Fälle, wo pathologische Herde als Beizungsquelle dienten und
zu localen Krämpfen Anlass gaben. So werthvoll nun auch diese Beob-
achtungen sind, so gewährten dieselben nicht oft die Möglichkeit, Lage und
Grenzen der motorischen Bindencentra beim Menschen mit jener strengen
Exactität zur Darstellung zu bringen, wie dies beim Thiere durch das un-
mittelbare Experiment der Fall ist. £rst in allerjüngster Zeit hat sich,
dank den Fortschritten der Himchirurgie bei Eingriffen in Fällen von
Epilepsie (nach Horsley) Gelegenheit geboten, auch bei dem Menschen
die motorischen Bindencentra mit Hülfe des elektrischen Stromes, d. h. so,
wie wir dies am Thiere gewohnt sind, zu prüten.
Auf solchem, nach und nach sich häufendem Beobachtungsmateriale
wird in Zukunft eine ebenso eingehende Kenntniss von dem Verhalten der
motorischen Bindencentra des Menschen, wie wir sie bezüglich einiger
Thiere (Hund, Affe u. s. w.) besitzen, sich aufbauen können. Mit Bück-
sicht auf die hohe diagnostische Bedeutung dieser Verhältnisse und auf die
grosse Spärlichkeit der Litteratnr an derartigen Beobachtungen (4 derselben
gehören, so viel ich weiss, Ferrier, 6 Fälle Horsley, einige weitere sind
von anderen Autoren mitgetheilt worden) will ich hier die Ergebnisse der
faradischen Beizung der Gehirnrinde bei 3 Kranken mittheilen, denen im
Operationssaale meiner Khnik die Schädeldecken eröffnet wurden, um
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544 W. V. Bechteeew:
mittels Reizung der Rindenoberfläche die Lage der zu entfernenden mo-
torischen Centra genau zu eruiren. In den ersten 2 Fällen wurde die
Operation ausgeführt von Dr. Minin, in dem letzten von Prof. Welja-
minow, die elektrische Reizung der Rinde hingegen wurde in jedem
einzelnen Falle von mir persönlich vorgenonmien. Zur Anwendung gelangte
dabei der Schlittenapparat von du Bois-Reymond, an den Elektroden
mit Platindrahtaufsätzen versehen, die nach vorhergehender Spaltung der
Dura mater und unter Wahrung aller aseptischen Cautelen an die Gehirn*
rinde angelegt wurden.
In dem ersten Falle wurde bei einem 11 Jahre alten Kinde wegen
corticaler Epilepsie die linke Hemisphäre entsprechend der unteren Ab-
theilang der Ceutralwindungen und der hinteren Abtheilung der zweiten
Stiri\windung blossgelegt Bei Stromreizung des hinteren Theiles des Gyrus
frontalis medius stellte sich bei dem Kranken ohne Weiteres Seitwäxts-
wendung von Kopf und Augen nach der Seite des Eingriffes ein; Reizung
am unteren Ende des Gyrus centralis anterior führte zu Contractionen der
Antlitzmuskeln. Da bei diesem Kranken die Krampfanfölle eingeleitet
wurden durch Contractionen der Handmusculatur und Drehungen des
Kopfes, so musste die Schädelöffnung nach oben hin erweitert werden,
wobei der untere Theil der mittleren Centralwindungsregion blossgelegt
wurde; Reizung dieses letzteren hatte jedes Mal zur Folge streng localisirte
Bewegungen im Daumen der rechten Hand, die bei Verstärkung des
Stromes auf die übrigen Finger dieser Hand und sogar auf die Muskeln
des Vorderarmes übergingen.
In unserem zweiten Falle wurde bei einem erwachsenen Landarbeiter
wegen beständiger clonischer Zuckungen in der linken Körperhälfte, die
besonders in der linken oberen Extremität und in geringerem Grade im
Beine und im Antlitze auftraten, die Gegend des unteren Theiles der
Ceutralwindungen und des hinteren Theiles der zweiten Stirnwindung bloss-
gelegt. Reizung der unteren Abtheilung des Gyrus centralis anterior löste
bei dem Kranken Muskelcontractionen im Antiitz aus, Reizung des Fusses
der zweiten Stimwindung hatte zur Folge deutiiche Seitwärtswendung des
Kopfes mit Abweichung der Bulbi nach der entgegengesetzten Seite. —
Da in dem blossgelegten Theile der Hemisphäre das Centrum für die obere
Extremität nicht vorgefunden wurde, so musste die Trepanationsöffiiung
nach oben und hinten erweitert und dabei der untere Theil der Mitte der
vorderen und hinteren Centralwindung freigelegt werden. Reizung hier-
selbst an einzelnen Punkten ergab völlig deutliche Zusammenziehung des
Daumens und anderer Finger der Hand, Reizung der Gyri centralis anterior
und posterior oberhalb der soeben genannten Punkte wurde gefolgt von
Muskelcontractionen an der oberen Extremität
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Die Laob dee motoeischen Rindejncentben des Menschen. 545
In dem Fall III wurde ein 16 Jahre alter Knabe operirt wegen be-
ständiger Krämpfe in der rechten Körperhälfte, die von Zeit zu Zeit in
epileptische Anfalle mit Bewusstseinsverlust übergingen. Eröffiiet wurde
bei diesem Kranken der ganze mittlere Theil beider Centralwindungen ein-
schhesslich des Tlebergangsgebietes in der unteren Abtheilung dreier Gyri
und eines Stückes der oberen Abtheilung derselben. Durch Reizung ver-
schiedener Theile der blossgelegten Himrindenoberfläche konnten von den
mehr nach oben gelegenen Theilen des Gyrus centralis anterior deutliche
Contractionen der seitlichen Bumpänuskeln ausgelöst werden; Reizung der
gleichen Gegend der hinteren Centralwindung ergab Bewegungen im Beine,
Beizung der Mitte beider Gyri centralis mannigfaltige Bewegungen der
contralateralen oberen Extremität im Vorderarme sowohl, wie im Ober-
arme; endlich führte Irritation der unteren Centralwinduugsr^on zu auf-
fallenden Contractionen der Antlitzmusculatur.
Alle diese Befunde führen nun zu folgenden Schlusssätzen:
1. Die allgemeine Anordnung der motorischen Centra bei dem
Menschen in beiden Centralwindungen und den angrenzenden Theilen der
Stimwindungen ist völlig analog den entsprechenden Verhältnissen bei
dem Affen.
2. Die Ceutra der unteren Extremität finden sich im oberen Theile
des Gyrus centralis posterior, die Centra der oberen Extremität in dem
mittleren Theile beider Centralwindungen; unmittelbar unterhalb dieser
Centra liegen die Centra für den Daumen und die übrigen Finger, die
Centra für das Antlitz endlich haben im unteren Theile der Centralwindungen
ihre Lage.
3. Die Centra für die seitlichen Bewegungen des Kopfes und der
Augen entsprechen, ganz wie bei den Affen, dem hinteren Theile der
zweiten Stimwindung und wahrscheinlich auch der Nachbarschaft derselben.
4. Die Centra für die Rumpfmusculatur finden sich auf der Ober-
fläche der vorderen Centralwindung oberhalb der Centra für die obere
Extremität, wogegen nach Angabe neuerer Autoren dieses Centrum bei den
Affen an der medialen Fläche der Hemisphäre entsprechend dem oberen
Ende der vorderen Centralwindung seine Lage haben soll. Meine Unter-
suchungen an Affen lassen es übrigens zweifellos erscheinen, dass auch bei
diesen Geschöpfen das fragliche Centrum auf der lateralen Hemisphären-
oberfläche am oberen Theile der Gyrus centralis anterior sich vorfindet.
5. Bei dem Menschen sowohl, wie bei den Affen giebt es besondere
Centra für die Bewegungen des Daumens und für die der übrigen Finger
der Hand, und zwar liegen dieselben im Gebiete der Centralwindungen
dicht unterhalb bezw. nach aussen von den Bewegungscentren der oberen
Extremität.
Archiv f. A. lu Ph. 1899. Physiol. Abthlg. Suppl. 35
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546 W. y. Beohtebew: Die Lage deb motor. Bindbnoentren u. s. w.
Wie bei deD Affen werden anch bei dem Menschen die einzelnen
Rindencentra von einander durch nicht stromerregbare Gebiete getrennt
Ueberhanpt ist bezüglich der Anordnung der motorischen Gentra eine
grosse Aehnlichkeit zwischen Affen und Mensch zu bemerken, so zwar, dass
man bei Gehimoperationen am Menschen rücksichtlioh noch nicht genauer
untersuchter Rindenpartieen sich an die besser bekannten Verhältnisse hä
den Affen, insbesondere bei den höheren, zu halten berechtigt ist
Was endlich die Stromstarken betrifft, die zur Erregung der Rinden-
centra bei dem Menschen in Anwendung gebracht wurden, so wechselten
dieselben je nach den Besonderheiten des Einzelfalles. An eine Yergleichung
der Erregbarkeit der menschlichen Rinde mit den entsprechenden Beob-
achtungen an Affen ist wohl nicht gut zu denken, da die Prüfung der
Rindenerregbarkeit bei Operationen am Menschen natürlich unter mehr
oder weniger tiefer Narkose vor sich geht
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Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft
zu Berlin.
Jahrgang 1898—1899.
XIII. Sitzung am 9. Juni 1899.'
1. (Vor der Tagesordnung) Hr. Hansemann: Demonstration zur
Spermatogenese des Orang-Utang.
Vor kurzer Zeit hatte ich Gelegenheit, den Orang-Utang aus Sumatra
zu untersuchen, der hier im Zoologischen Garten gestorben war. Das Thier
wurde auf etwa 10 Jahre taxirt. Es stand noch vollständig im Zahn Wechsel.
Die meisten Zähne gehörten noch dem Milchgebiss an, einige waren zum
Wechsel ausgefaUen, die beiden oberen definitiven Schneidezähne waren
schon gut entwickelt. Bei der Untersuchung der Hoden und Nebenhoden
fiel 68 mir auf, dass bereits grosse Mengen reifer Spermatozoon vorhanden
waren. Nicht alle Hodenkanälchen zeigten eine vollständige Spermatogenese,
in einigen fehlte, sie ganz. In den grösseren Räumen des Nebenhodens
liegen die Spermatozoon in grossen Knäueln. Ueber die Form derselben
möchte ich mich nicht genauer auslassen, da es sich um Leichenmaterial
handelt und die Fixirung daher keine tadeUose ist. Doch kann man so
viel sagen, dass die Köpfe schlanker und spitzer ab beim Menschen erscheinen.
Mittelstücke wurden nicht beobachtet, was vielleicht auf Leichenveränderung
zu beziehen ist. Die Spermatogenese bei einem Thier, das noch in vollem
Zahnwechsel stand, erschien mir interessant und merkwürdig. Es ist jedoch
bei weiteren Schlussfolgerungen die Frage aufzuwerfen, wie weit die Gefangen-
schaft auf den Zahnwechsel hemmend, vielleicht auch auf die Spermatogenese
verfrühend einwirken kann.
Die Hoden waren etwa 3 ^°^ lang, 1-6 ®™ breit und 1 ^°^ dick. Sie
enthalten ziemlich viel faserige Bindesubstanz, wie die jugendlichen mensch-
lichen Hoden. Auch die grossen ZwischenzeUen lassen sich nachweisen, wenn
auch sehr spärlich. Jedes Kanälchen besitzt eine feine Membrana propria,
die nach innen hin, zwischen Membran und Epithelien, einzelne platte Binde-
gewebszellen trägt.
2. Hr. Dr. Max David (a. G.) hält den angekündigten Vortrag: Kurze
Mittheilung über histologische Vorgänge nach Implantation von
Elfenbein in Schädeldefecte.
In der Sitzung vom 1. Juli vorigen Jahres hatte ich die Ehre, vor
Ihnen über die Resultate einiger Untersuchungen zu berichten, die ich im
physiologischen Institute der Thierärztlichen Hochschule angestellt hatte.
^ Ausgegeben am 27. Juli 1899.
35*
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548 Vebhanblungen der Beblineb
Es handelte sich um die histologischen Befunde bei Einheilung von lebendem
und todtem Enochenmaterial in Enochendefecten. Die Versuche waren aus-
nahmslos am Schädel von Hunden angestellt und hatten zu dem Ergebniss
geführt, dass der in seine ürsprungsstelle replantirte überlebende Knochen
seine Integrität bewahrt; er wird zwar vorübergehend — bis zu seiner
^iederein Schaltung in den Kreislauf — in seiner Vitalität herabgesetzt^
erringt dieselbe aber nach einiger Zeit vollkommen wieder.
Im Gegensatz dazu wird implantirtes todtes Material (todter Knochen
und Elfenbein) resorbirt und secundär durch neuen Knochen ersetzt.
Dieser Befund deckte sich, so hatte ich auch damals ausgeführt, mit
der Lehre früherer Autoren, stand aber mit einer Veröffentlichung von
Barth im Widerspruch, der behauptete, dass einmal losgelöste Knochen-
fragmente ausnahmslos der Nekrose verfallen, und dass dann das nekroti-
sirte Stück zum Aufbau eines neuen Knochens verwendet werde, der sich
durch einen Substitutionsprocess aus dem todteh bilde. Es sei principiell nicht
verschieden, ob der betreffende Knochendefect durch ein noch lebendes oder
bereits todtes (macerirtes) Knochenstück oder auch durch Elfenbein u. s. w.
gedeckt werde, die histologischen Vorgänge seien stets dieselben.
Meine Ausführungen, verbunden mit der Vorföhrung der betreffenden
histologischen Präparate, hatten in der sich anschliessenden Discussion die
Zustimmung verschiedener Redner gefunden. So hatte z. B. Hr. Prof.
Hanse mann sowohl bezüglich der objectiven Befunde, wie auch der Deutung
derselben sich völlig auf den von mir vertretenen Standpunkt gestellt.
Heute bin ich nun in der erfreulichen Lage, meine damaligen Dar-
legungen durch die Demonstration eines Präparates bestätigen zu können^
das in allen Punkten das beweist, was ich seiner Zeit Ihnen vortrug.
Es handelt sich um ein Elfenbeinstück, welches als Träger der Elektroden
für Grosshimreizung am nicht narkotisirten, frei sich bewegenden Thiere
nach J. R. Ewald in den Schädel eines Hundes eingesetzt worden war.
Als der Hund nach vier Wochen getödtet wurde, fand sich das Stück ange-
wachsen. Hr. Prof. Munk hatte die Güte, mir das betreffende Stück zur
Untersuchung zu überlassen.
Ein Präparat habe ich hier ausgestellt, und daneben ein älteres, von
einer früheren Untersuchung herrührendes, von einem Elfenbeinstück, das
erst ein Jahr post operat. entnommen worden ist. Zum Vergleich finden
Sie daneben zwei Knochenpräparate, und zwar das eine von todtem aus-
gekochten, das andere von lebendem, unmittelbar post operat. reinplantirtem
Knochen herstammend.
Wir sehen hier bei den drei ersten Präparaten, nur graduell verschieden,
sonst aber völlig übereinstimmend die Resorption des todten Materiales vor
sich gehen, derart, dass von der Dura, dem Pericranium und der Narben-
gegend aus Gefässschlingen in die Masse hineindringen. Secundär folgt
dann der Resorption Knochenneubildung, die sich ausnahmslos in der un-
mittelbarsten Umgebung der Resorptionsstelle vollzieht.
Diesen gegenüber steht das vierte Präparat, das in jeder Beziehung
den Eindruck normalen Knochens macht. Dieses Fragment ist elf Wochen
post operat. dem Versuchsthier entnommen und zeigt, dass nur am äussersten
Rande, wo der Knochen bei der Trepanation mechanisch verletzt wurde,
Resorption mit secundärer Knochenneubildung vorliegt, dass aber das reim-
plantirte Stück selbst seine Vitalität voll wiedererlangt hat und sich auch
unter dem Mikroskop als normaler Knochen erweist;
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PHTSIOLO0. Gesellschaft. — Max David. — Albbet Nbümann. 549
Betreffs der genaueren histologischen Yorgange darf ich mich wohl
auf meinen früheren Vortrag bezw. auf die betreffenden Veröffentlichungen ^
beziehen; ich müsste andernfalls nur bereits Gesagtes wiederholen.
Ich bitte Sie sehr, diese Präparate zu besichtigen, denn Hr. Fischoeder
hat einen Angriff gegen mich gerichtet,^ in welchem er auf Grund seiner,
im Uebrigen von allen früheren Untersuchern abweichenden, am Schädel
Yon Kaninchen vorgenommenen Experimente, sich völlig auf den Standpunkt
Barth* 8 stellt.
Die Verhältnisse ^m Kaninchen sind mir fremd, wenn ich auch a priori
annehme, dass sie sich wesentlich von denen beim Hunde nicht unterscheiden.
Dagegen muss ich bemängeln, dass Fischoeder, obwohl er in seiner
Arbeit auf meinen an dieser Stelle gehaltenen Vortrag ausdrücklich hinweist,
nur die Untersuchungen mit replantirtem lebenden Knochen nachgeprüft hat,
und daraufhin zu einem definitiv absprechenden Urtheil kommt, meine Ver-
suche aber mit implantirtem todten Material und die aus dem Vergleich
beider Versuchsreihen gezogenen Folgerungen völlig ausser Acht lässt. —
-Gerade auf Grund der beiden Beobachtungsreihen haben aber sowohl
Barth wie ich unser abschliessendes Urtheil abgegeben, und deshalb hätte
auch Fischoeder, wenn er beweiskräftiges Material für oder wider hätte
herbeischaffen wollen, in derselben Weise verfahren müssen.
Da der Arbeit Abbildungen der erhaltenen Präparate nicht beigegeben
sind, so ist eine Nachprüfung derselben für Dritte nicht möglich. An einer
Stelle seiner Arbeit sagt Fischoeder, dass er in einem Fall im replantirten
Fragment kleine Bezirke gefunden habe, die nach Färbung und Structur
als normal zu betrachten sind. Hierzu kann ich nur bemerken, dass, was
Fischoeder in einem Fall als Ausnahme beobachtet hat, ich in allen
Fällen als Norm gefunden habe.
XIV. Sitzung am 23. Juni 1899.
1. Hr. Albebt Neümann hält den angekündigten Vortrag: Zur Verein-
fachung der Phenylhydrazin-Zuckerprobe.
Vor Kurzem erschien in der „Berliner Klinischen Wochenschrift"' eine
Abhandlung von Dr. A. Kowarsky, welcher eine bedeutende Vereinfachung
der Fischer' sehen Zuckerprobe dadurch erreicht haben will, dass er conc.
Kochsalzlösung einem Gemisch von Phenylhydrazin und Eisessig hinzufügte,
um so, wie er sagt, salzsaures Phenylhydrazin in statu nascenti
für die Reaction zu verwenden. Er stützt sich dabei auf eine Angabe von
V. Jak seh, welcher bekanntlich die Fischer 'sehe Probe zuerst für die
Untersuchung von zuckerhaltigen Harnen anwandte, v. Jak seh sagt, es
komme darauf an, dass das salzsaure Phenylhydrazin möglichst frisch
sei. Er meint damit natürlich, dass das darin enthaltene Phenylhydrazin
noch nicht zersetzt ist, während Kowarsky glaubt, dass es darauf ankomme,
•dass das salz saure Phenylhydrazin möglichst in statu nascenti zur Ver-
wendung komme, was v. Jaksch selbstverständlich gar nicht gemeint hat.
Wie sich des Weiteren Kowarsky vorstellt, dass aus essigsaurem Phenyl-
> Laogenbeck's uiroÄiw. Bd. LIII. H. 4; Bd. LIV. H. 4; Bd. LVII. H. 3.
* Archiv für klinische Chirurgie, Bd. LVII I.
» 1899. Nr. 19. S. 412.
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550 Verhandlungen der Berliner
hydrazin und Kochsalz noch dazu in der Kälte salzsaures Phenylhydrazin
entstehen soll, ist nach den bisherigen chemischen Anschauungen nicht za
verstehen.
Die theoretischen Yoraussetzungen, welche die Grundlage für die
Kowarsky'sche Modification der Fische raschen Probe liefern, sind somit
falsch. Thatsächlich scheint der geringe Fortschritt, welcher gegen früher
erreicht wird, auf der durch das Kochen nach Hinzufügen der Salzldsung^
erzeugten Temperatursteigerung zu beruhen. Der praktische Yortheil näm-
lich, welcher erzielt wird, ist, wie gesagt, ein sehr minimaler, weil die Probe
schnelle und gute Resultate nur bei Hamen giebt, welche über 0 • 2 Procent
Zucker enthalten. Nach der bisherigen Ausführung der Fischer'schen
Probe geben solche Harne nach einem Erwärmen von 5 bis 10 Minuten
bereits deutliche Abscheidung von Osazon, während Kowarsky diese Ab-
scheidung bereits nach 2 Minuten langem Kochen beim Abkühlen beobachtet.^
Die geringere Zeit des Erhitzens und der Fortfall eines Wasserbades bilden
somit bei solchen Hamen die Vereinfachung. Bei Hamen, welche 0*2 Pro-
cent Zucker und weniger enthalten, ist die Probe von Kowarsky nicht
mehr zuverlässig, während bei der bisherigen Ausfühmng der Fischer *8chen
Probe noch bei Hamen mit 0*02 Procent und darunter, wenn auch erst
nach V2' ^^^ ^U stündlicher Einwirkung im Wasserbade, gute Resultate
erzielt wurden. Da aber bei Hamen mit 0*2 Procent Zucker die Trommer-
sche und Nylan der 'sehe Proben noch gute Resultate liefern, und der
Werth der Fischer' sehen Probe gerade in ihrer ausserordentlichen Empfind-
lichkeit liegt, welche selbst bei negativem Ausfall der anderen Proben noch
den Nachweis von Zucker gestattet, so bildet die Kowarsky 'sehe Modification
keinen nennenswerthen Fortschritt gegenüber der bisherigen Ausfühmng der
Fisch er' sehen Probe, weil sie bei Harnen mit geringem Zuckergehalt ver-
sagt oder ebenso viel Zeit erfordert wie die bisherige Probe.
Die grosse Empfindlichkeit der Fi seh er' sehen Probe wird aber auch
bekanntlich als Einwand bei ihrer Verwendung in der klinischen Diagnostik
benutzt, weil sie nicht gestattet, normale Zuckermengen von pathologischen
zu unterscheiden. Als zweiter Einwand wird angeführt, dass auch zuckerfreie
Harne ähnliche Krystallbildungen wie das Phenylglykosazon aufweisen
können, und dadurch eine Täuschung des Beobachters stattfinden kann.
Drittens wird gegen die allgemeine Einfühmng der Fi sc her' sehen Probe —
besonders als Untersuchungsmethode des praktischen Arztes — die längere
Erhitzung in einem Wasserbade geltend gemacht.
Mit den von mir vorgenommenen Untersuchungen beabsichtigte ich, nun^
diesen Einwänden, wenn möglich, zu begegnen. Zu diesem Zwecke wurden
eine grosse Anzahl von Versuchen ausgeführt, um die günstigsten Bedin-
gungen für die Bildung der Osazonkrystalle zu ermitteln. Verwendet wurden
zur Anstellung der Probe reines Phenylhydrazin und Eisessig. Zunächst
erwies sich die Beschränkung des Phenylhydrazins auf ein Minimum als
sehr zweckmässig; etwa zwei Tropfen genügen, um selbst in Zuckerlösungen
von 1 Procent starke Abscheidungen des Osazons hervorzurufen. Ein Mehr
an Phenylhydrazin ist schädlich, weil dann leicht ölige Zersetzungsproducte
des essigsauren Phenylhydrazins entstehen, wie das von Berthelot selbst
^ Es ist zu bemerken, dass das Erhitzen in einem gewöhnlichen Reagensglase
sehr schwierig ist, da die Flüssigkeit so stark schäumt und stösst, dass man sie nicht
mehrere Minuten erwärmen kann. Femer konnte ich die ftkr Zackerldsangen von
0*2 Procent gemachten Beobachtungen nicht bestätigen.
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PHY8IOLOOI80HBN GeSELLSGHAPT. — AlBEBT NeOMAKN. 651
an reinen Zuckerlösungen beobachtet worden ist. In dem Maasse nun^ wie
das Phenylhydrazin herabzumindern ist, ist ein Ueberschuss an Essigsäure sehr
Yortheilhaft. In diesem Falle bildet sich das Phenylglykosazon schon nach
kurzem Kochen selbst in sehr zuckerarmen Lösungen, während allerdings
gleichzeitig das Auskrystallisiren desselben sehr erschwert wird, da das
Osazon in Essigsäure verhältnissmässig leicht löslich ist und sich in Folge
dessen erst bei einer bestimmten Concentration abscheiden kann.
Um nun das Auskrystallisiren herbeizuführen, giebt es zwei Wege. Ent-
weder man schwächt die Essigsäure durch Alkali ab, oder man nimmt bei
zuckerarmen Lösungen von vornherein yerdünntere Essigsäure, so dass die
Acidität gemäss der Zuckermenge abgeschwächt ist. Bei sehr zuckerarmen
Lösungen empfiehlt sich eine Combination beider Methoden: Anwendung
einer überschüssigen Menge von yerdünnter Essigsäure und nachherige Ab-
Schwächung mit Alkali.
Für die Erystallisation von grossem Yortheil hat sich die Anwesenheit
von essigsaurem Natron erwiesen, welches einerseits durch das Hinzufügen
von Natron zur Essigsäure hineinkommt; andererseits als solches hinzu-
zusetzen ist. Bei Anwesenheit einer bestimmten — allerdings nicht zu
grossen — Menge von Natriumacetat werden viel schönere Krystallformen
erzielt als bei dem Fehlen dieses Salzes. Das Natriumacetat, welches bisher
bei Anwendung von salzsaurem Phenylhydrazin benutzt wurde, scheint dem-
nach nicht bloss den Zweck zu haben, das letztere in essigsaures Phenyl-
hydrazin zu verwandeln, sondern auch zur besseren Erystallisation des
Osazons beizutragen.
Die Yersuche wurden ausgeführt mit reinen Zuckerlösungen und mit
Hamen von bestimmtem Zuckergehalt. Es wurden Lösungen mit 0*2, 0*1,
0-05, 0-02, 0-01 Procent Zucker untersucht. Das Natriumacetat wurde
in der Essigsäure gelöst, und zwar so, dass gesättigte Lösungen erhalten
wurden. Zur Verwendung kamen mit Natriumacetat gesättigte Essigsäuren
von 60, 75 und 100 Procent.
Die Ausführung der Versuche geschah in einem Kugelreagensglase
(siehe Fig. 1), welches mit Marken von 3, 5 und 7 ^®"^ versehen war.
In einem solchen Kugelreagensglase kann das Eindampfen
von Flüssigkeiten besonders bei möglichst horizontaler Hal-
tung desselben schneller vorgenommen werden, als in ge-
wöhnlichen Probierröhren. Zu 5 ^®™ Zuckerlösung bezw. Zucker-
harn werden 2 *^^ mit Natriumacetat gesättigter Essig-
säure und 2 Tropfen Phenylhydrazin hinzugefügt und das
Ganze auf 3 *^°™ eingedampft, wozu eine Minute Zeit erforder-
lich ist; dann lässt man langsam erkalten. (Es hat sich in
manchen Fällen als zweckmässig erwiesen, erst schnell ab-
zukühlen und noch einmal zu erhitzen. Worauf die Krystalle
sich schneller abschieden.) Bei Anwendung 50 procentiger
Essigsäure wurden bei Lösungen bis 0 • 05 Proc. Zucker reich-
liche Krystallabscheidungen erhalten, während bei 0 • 02 Proc.
nur noch vereinzelte Krystalle unter dem Mikroskop beob-
achtet wurden. Wendet man in diesem Falle die Abschwächung
mit Natron an — doch so, dass die Flüssigkeit noch immer Fig* !•
essigsauer ist — , und dampft wieder auf 3 ^^^ ein, so erhält
man auch bei 0*02 und 0*01 Procent Zucker noch deutliche Krystalle^
welche ebenso schön ausgebildet sind wie bei grösserer Concentration.
)
5 —
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552 Vebhandlukoen deb Bbblineb
Bei Verwendung von Essigsäure von 75 Prooent liegt die äusserste
Grenze (ohne Abschwächung mit Natron) bei 0*05 und bei Eisessig bei
0-1 Procent. Auch hier kann man durch Abschwächung mit Natron die
Probe bedeutend verschärfen.
Was die Schönheit der Krystalle und die Empfindlichkeit anbelangt, so
war zwischen Harn und reiner Zuckerlösung ein Unterschied nicht zu
beobachten. Bemerkenswerth ist, dass, je abgeschwächter die Essigsäure
war, um so trüber die Flüssigkeit wurde, aus welcher sich die Krystalle ab-
schieden. Bei Eisessig blieb die Flüssigkeit ganz klar, bei Essigsäure von
75 Procent war sie leicht getrübt, bei einer solchen von 50 Procent und
bei allen Abschwächungen mit Natron war sie jedoch meistens deutlich unklar.
Aus dem Mitgetheilten geht hervor, dass man, wenn man unter Zu-
grundelegung dieser Beobachtungen die Fi scher' sehe Probe anstellt, die
Empfindlichkeit beliebig reguliren kann. Da ausserdem bei Anwendung von
Eisessig allein die Flüssigkeit klar bleibt und noch deutlich 0*1 Procent
Zucker angezeigt wird, wobei die ausgeschiedenen Krystalle reine Phenyl-
glukosazon-Krystalle ohne andere Beimengung sind, so kann man bei dieser
Yersuchsanordnung auch den zweiten Einwand ausschliessen, und auch ohne
mikroskopische Untersuchung bei der Abscheidung gelber Krystalle Zucker
für nachgewiesen halten.
Durch die schnelle und leichte Ausführbarkeit der Probe wird auch der
dritte von den oben angefahrten Einwänden beseitigt.
2. Hr. Albbbt Neümann hält den angekündigten Vortrag: Verfahren
zur Darstellung der Nucle'insäuren a und h und der Nucleo-
thyminsäure.
Im vorigen Jahre ^ habe ich in einem Vortrage: „Zur Kenntniss der
Nucleinsubstanzen" mitgetheilt, dass die bisherige Nucleinsäure im wesent-
lichen ein Gemenge darstellt aus mehreren verwandten Substanzen, welche
ich als Nucle'insäuren a und h und als Nucleothyminsäure bezeichnet habe
und von denen die zweite und dritte als Abbauproduct der ersteren, com-
plexeren, aufzufassen sind.
Ich beabsichtige heute, die Verfahren zur Darstellung dieser Säuren
zu beschreiben, möchte aber zuvor kurz die früheren Methoden der Nudein-
säuredarstellung schildern. Nach älteren Verfahren von Miescher,* Hoppe-
Seyler^ und Altmann* wurden Lachsmilch, Eiterzellen, Thymus und andere
Substanzen mit kernhaltigen Zellen zunächst sehr häufig mit Extractions-
mitteln, wie Alkohol, Aether und Glycerin behandelt, um alle darin löslichen
Stoffe zu entfernen. Der — event. nach Verdauung mit Pepsinsalzsäure —
erhaltene Rückstand, welcher dann im Wesentlichen aus Nucle'iu bestand,
wurde in ganz verdünnter Natronlauge gelöst, das Eiweiss durch Essigsäure
entfernt, die Lösung mit Alkohol und etwas Salzsäure gefällt und dann die
so erhaltene Nucle'insäure mehrmals gereinigt. Es wurde ausdrücklich ver-
mieden, in der Wärme zu arbeiten, weil man die Substanzen für sehr leicht
zersetzlich hielt. Auf diese Weise wurden z. B. aus 6 ^^ Reinthymus*
1 Dies Archiv, 1898. Physiol. Abthlg. S. 374
* Verhandlungen der naturjorsch, Gesellschaft in Basel. Bd. IV. Abgedruckt
in dem Werke: Die histo-chemischen und physiologischen Arbeiten von Friedrich
Miescher. Leipzig 1897. Bd. II.
' Hoppe-Seyler, Med.-chem. Untersuchungen, Berlin 1866—1871. S. 488.
* Di^s Archiv. 1889. Physiol. Abthlg. S. 524.
* Das Kalbsthymus ist für diese Versuche das geeignetste Material; ich habe in Folge
dessen für diesen und die folgenden Versuche die Ausbeute auf diese Substanz bezogen.
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PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — AlBERT NbUMANN. 553
nach 2- bis 3-wöohentlicher Arbeit etwa 30 bis 40 ^^ Nudeinsäure ge-
wonnen. (Verfahren von Altmann.)
Durch eine von A. Kossel und mir^ ausgearbeitete Methode gelingt
-es, in 7 bis 8 Tagen aus derselben Menge Kalbsthymus etwa 120 ^™
Nucleinsäure zu erhalten. Dazu wird das zerkleinerte Organ mit Wasser
angesetzt und bis zum nächsten Tage stehen gelassen. Der Kaltwasser-
auszug wird colirt und mittels Baryt die Nudeinsäure als sehr unreines,
basisches Barytsalz gefällt und filtrirt. Es muss dabei bemerkt werden, dass
nur die alkalischen Erden diese Fällung von basischen Salzen liefern, während
die Alkalien das nicht thun. Sodann wird der Niederschlag mit Essigsäure
neutralisirt und das neutrale nudeinsäure Baryum durch mehrtägiges Aus-
kochen mit Wasser eztrahirt. Die vereinigten Filtrate werden am nächsten
Tage in alkoholische Salzsäure gegossen und die erhaltene Nudeinsäure
durch Umlösen in Ammoniak gereinigt. Die Hauptschwierigkeiten dieser
Methode liegen darin, dass das Coliren des Kaltwasserauszuges und das
Filtriren des Barytniederschlages nur in kleinen Portionen vorgenommen
werden kann, weil die Flüssigkeiten leimig sind und die Filtration in Folge
dessen allmählich aufhört. Femer ist eine genaue Innehaltung aller ge-
gebenen Yorschriften durchaus nothwendig, weil man sonst leicht klebrige,
braune Producte oder geringe Ausbeuten erhält.
Nach dem Verfahren, welches ich nunmehr beschreiben will, erhält
man die Anfangs erwähnten Producte innerhalb lV2 bis 2 Tagen ohne
Jegliche technische Schwierigkeit. Aus 6 ^ Reinthymus werden 180 bis
200 »™* der Substanz h erhalten, welche der bisherigen Nudeinsäure am
nächsten steht. Ausser der sehr verkürzten Herstellungszeit, dem Fortfall
aller technischen Schwierigkeiten und der erheblich vermehrten Ausbeute
hat man den Yortheil, dass übermässig grosse Flüssigkeitsmengen vermieden
werden und eine viel grössere Reinheit und Einheitlichkeit der erhaltenen
Producte erzielt wird.
Das Verfahren, nach welchem die Säuren a und h gewonnen werden,
ist im Wesentlichen folgendes: 1 ^ rein präparirte Thymusdrüsen werden
zunächst in schwach essigsaurem Wasser gekocht, sodann möglichst fein
zerhackt und dann in 2 Liter siedendes Wasser gebracht, das man vorher
durch 100 °^ Natronlauge (33 Procent) alkalisch gemacht hat und dem
man zweckmässig noch 200 ^^^ Natriumacetat hinzugefügt hat. In dieser
Flüssigkeit löst sich die Organsubstanz bis auf Bindegewebstheile mit bräun-
licher Farbe auf. Man erhitzt nun auf einem Wasserbade unter Ersatz des
vordampfenden Wassers oder mittels Rückflusskühlers. Will man die Säure
41 erhalten, so erhitzt man ^/j Stunde, während man zur Darstellung der
Substanz h 2 Stunden gebraucht. In beiden Fällen wird gleichmässig weiter
verfahren. Nach der Neutralisation mit 150 ^^^ Essigsäure (50 Procent)
wird filtrirt (im ersteren Falle durch einen Heisswassertrichter, weil die
Flüssigkeit in der Kälte gelatinirt) und das Filtrat stark eingeengt, auf
«etwa 1 bis ^/g Liter. Die etwa 40 " warme Lösung wird sodann durch das
gleiche Volumen Alkohol gefällt und bis zum völligen Erkalten und Klar-
werden stehen gelassen. Das Natronsalz der betreffenden Nudeinsäure
scheidet sich am Boden und an den Wandungen des Gefässes aus. Man
^esst die klare Flüssigkeit ab, filtrirt den Niederschlag durch Leinwand
und löst ihn in 500 ^^™ Wasser. Nun erhitzt man auf dem Wasserbade,
» Ber, der deutschen ehern, Ges. Bd. XXVII. S. 221*.
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554 Yebhandlungen deb Berliner
bis sich aus der trüben Flüssigkeit ein leicht filtrirbarer Niederschlag abge-
schieden hat und die Lösung klar geworden ist. Man filtrirt und fallt mit
Alkohol. Das reine Natronsalz giebt mit Alkohol keine Fallung; dieselbe
entsteht jedoch , wenn man eine concentrirte Lösung von Natriumacetat
in geringer Menge hinzufügt. Nachdem man event. durch nochmaliges Um-
lösen reines Natronsalz gewonnen hat, löst man dasselbe in Wasser und
fällt durch verdünnte Salzsäure. Man erhält auf diese Weise die Substanz
(a oder b) als gelbliche harzige Masse, die unter absolutem Alkohol er-
härtet, und zwar bei a langsamer wie bei h,
Giesst man die Lösung des gereinigten Natronsalzes in die dreifache
Menge Alkohol, den man vorher mit concentrirter Salzsäure (2 ®*™ auf
100 "^^^ Alkohol) versetzt hat, so erhält man eine weisse Fällung, welche im
Falle a voluminöser ist als bei b und sich in Folge dessen langsamer zu
Boden setzt. Die klare Flüssigkeit wird alsdann abgegossen und der Nieder-
schlag ebenfalls einige Zeit unter Alkohol stehen gelassen.
In beiden Fällen wird nach dem Filtriren so lange mit absolutem
Alkohol nachgewaschen, bis die saure Reaction verschwunden ist.
Die so erhaltenen stark phosphorhaltigen Verbindungen sind in Wasser
sehr schwer löslich, und zwar a schwerer als b] fügt man jedoch Natrium-
acetat hinzu, so tritt Lösung ein, welche im Falle a, wenn sie mindestens
5 procentig ist, gelatinirt, im Falle b dagegen nicht. Beide Verbindungen
werden durch Mineralsäuren aus ihren Lösungen gefallt, durch Essigsäure
aber nicht (Unterschied von den eiweisshaltigen Nucleinsubstanzen). Fällt
man aus wässerigen Lösungen, so erhält man harzige gelbliche Massen, aus
Alkohol dagegen ein weisses, mehliges Pulver. Als Säuren werden sie von
Alkalien und deren Carbonaten gelöst, die Lösungen in fixen Alkalien färben
sich beim Kochen gelb bis braun. Alkalische Erden und die Salze der
Schwermetalle erzeugen Fällungen; Eiweisskörper geben nucle'inartige Nieder-
schläge. Beim Erhitzen mit Salzsäure iind Phloroglucin erhält man die
Tollen s'sche Pentosereaction. Nach dem Erhitzen mit Salzsäure und Zusatz
von ammoniakalischer Silberlösung erhält man eine flockige Fällung, be-
stehend aus den Silberverbindungen der Xanthinkörper. Beide Säuren geben
in reinem Zustande keine Biuretprobe, sind also frei von Eiweiss und Leim.
Betrachtet man das neue Verfahren in theoretischer Beziehung, so werden
die erheblichen Vortheile, welche gegen früher erzielt werden, hauptsächlich
dadurch erreicht, dass man die Organe direct in der Wärme behandelt,
was man bisher immer ängstlich vermieden hat. Die folgenden orientirenden
Vorversuche hatten gezeigt, dass man das Ausgangsmaterial in alkalischer
Lösung ohne tiefergehende Zersetzung erwärmen kann. Kocht man nämlidi
die Organe mit Wasser bei neutraler Reaction oder bei Gegenwart von
organischen Säuren oder deren Salzen, so tritt nur ausserordentlich langsam
eine Zersetzung der Organsubstanzen ein (Fall 1). Bei alkalischer Reaction
geht dieselbe schneller vor sich (Fall 2) und ist erheblich gesteigert bei An-
wesenheit von Mineralsäuren (Fall 3). In letzterem Falle geht die Spaltung so
rapid vor sich, dass man schon nach kurzem Sieden freie Phosphorsäure nach-
weisen kann, nachdem phosphorsaure Salze durch Auskochen mit Wasser vorher
entfernt waren. Es ergiebt sich aus diesen Vorversuchen, dass Fall 1 und 3
nicht zu dem gewünschten Resultat führen, während im Falle 2 die Reaktion
günstig verläuft. Um dieselbe besser regulieren zu können, empfiehlt sich
der Zusatz von Salzen organischer Säuren, wie Natriumacetat, weil dadurch
die Reaction noch weiter gemässigt wird und bessere Ausbeuten erzielt werden.
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PHY8I0L0O. Gesellschaft. — Albebt Neumank. — A. Lobwy. 555
Das Kochen mit verdünnter Essigsäure, womit die Organe zuerst be-
handelt werden, hat nur den rein mechanischen Zweck der Erhärtung, um
das Drüsenmaterial erheblich besser zerkleinem zu können. Durch das
Erhitzen in alkalischer Lösung bei Gegenwart von Natriumacetat werden
sodann die Nucleoproteide gespalten in Eiweiss und das Natronsalz der
Säure a, welches bei längerer Einwirkung der Wärme in das Natronsalz
der Säure b übergeführt wird.
In Form dieses Salzes ist die Säure auch beim Erhitzen recht beständig,
während die freie Säure viel leichter zersetzlich ist. Wie schon früher bei
der Nucleinsäure beobachtet,^ zersetzt sich dieselbe bei 100" unter Bildung
von Thyminsäure. Erhitzt man aber statt auf 100^ nur auf etwa 60^, so
erhält man eine andere, bisher nicht bekannte Säure, welche ich als „Nucleo-
thyminsäure^ bereits in dem Anfangs citirtein Vortrage mit ihren Eigen-
schaften beschrieben habe. Sie ist zum Unterschiede von den Säuren a und
b in kaltem Wasser leicht löslich, ein Verhalten, das sie mit der Thymin-
säure theilt, während sie sich durch ihre Fällbarkeit mittels Salzsäure und
alle anderen Eigenschaften als echte Nucle\'nsubstanz zu erkennen giebt.
Zu ihrer Darstellung benutzt man die Säure b — oder auch a, bei welchen
aber längere Zeit zur Umwandlung erforderlich ist. Man wendet die durch
wässerige Salzsäure aus ihrem Natronsalz gefällte Nucleinsäure an, weil diese
sich leichter zersetzt als die aus alkohclischer Salzsäure gewonnene. Zur
Darstellung der Nucleothyminsäure wird die Substanz unter heftigem Rühren
in der zwanzigfachen Menge Wasser von etwa 60" so schnell wie möglich
gelöst, die Lösung filtrirt und nach völligem Erkalten in die dreifache Menge
Alkohol gegossen, dem man pro Liter etwa 16 *'^"* concentrirte Salzsäure
hinzugefügt hat. Man erhält einen weissen Niederschlag welcher säurefrei
gewaschen, in kaltem Wasser gelöst und wieder durch alkoholische Salzsäure
gefällt wird.
Es ist zweckmässig, auch hier die Reinigung der Substanz durch das
Natronsalz vorzunehmen, indem man in Natriumacetat löst und die stark
eingeengte Lösung in alkoholische Salzsäure giesst.
Die beschriebenen Producte lassen sich anscheinend aus allen Organen
und Säften darstellen, welche entwickelungsfahige, kernhaltige Zellen auf-
weisen. Ich habe dieselben nach dieser Methode aus Thymus, Milz, Pankreas
und Stierhoden erhalten.
3a. Hr. A. Loewy hält den angekündigten Vortrag: Ueber die Be-
dingungen der Tonerzeugung und das Pfeifen im luftverdichteten
Räume.
In den letzten Jahren ist von mehreren Seiten ^ die Frage ventilirt
worden, woher es komme, dass in verdichteter Luft das Pfeifen erschwert
sei und von einer gewissen Grenze der Verdichtung ab unmöglich werde. —
Die Beobachtung selbst ist schon alt, sie wurde schon von Tüger gemacht,
dem Erfinder der Methode mittels Pressluft submarine Arbeiten, insbesondere
Fundirnng von Brückenpfeilern, auszuführen. Er selbst, wie besonders die
' A. Kossei and A. NeumaDD, Ueber Naclelnsaure nnd Thyminsäare. Hoppe-
Seyler's Zeitschrift für physiologitche Chemie, Bd. XXIL S. 74.
' Richard Heller, Wilhelm Mayer, Hermann v. Schrötter, Beobach-
tungen über physiologische VeränderoDgen der Stimme and des Gehörs bei Aendernng
des Luftdruckes. Sitzungsher, der kaiserl, Akad, der JVissensch, in Wien, Bd. CVI.
Abthlg.III. S.5.
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556 Yebhandlunoen dbb Beblineb
Autoren, welche die von ihm gefundenen Thatsachen genauer nachprüften, so
Pol, We teile und Foley, konnten feststellen, dass schon der relativ ge-
ringe Ueherdruck von ^/^ bis ^/j Atmosphäre das Pfeifen schwierig mache,
dass bei 2^/2 bis 3 Atmosphären Druck die Fähigkeit zu pfeifen aufgehoben
sei. Y. Liebig^ teilt mit, dass eine der von ihm beobachteten Personen
(J. Back) schon bei ^/j Atmosphären Ueherdruck nicht mehr pfeifen konnte;
überhaupt scheint die Grenze eine individuell erheblich differente zu sein.
Ueber die Ursache der Erscheinung herrscht noch keine Klariieit,
wenn auch eine Bei he von Erklärungsversuchen vorliegt. Foley* und
später V. Vi veno t^ bringen sie mit einer unter Luftverdichtung vorhaiidenen
Erschwerung der Gontraction der Lippenmuskeln in Zusammenhang; auch
V. Liebig weist der Stellung der Lippen einen gewissen Antheil zu, sieht
aber die Hauptursache in den Aenderungen, die die Geschwindigkeit des
Exspirationsluftstromes in verdichteter Luft aus physikalischen Gründen
erleiden soll. Er stellt sich vor — ich glambe wenigstens, dass ich ihn so
richtig verstehe — dass beim Pfeifen zwischen der Lippenstellung und der
Geschwindigkeit, mit der die Exspiration erfolgt, ein bestimmtes Yerhaltniss
besteht, dass dies Yerhaltniss in verdichteter Luft durch die Aenderung der
Ausströmungsgeschwindigkeit der Exspirationsluft aufgehoben werde, und da
dies uns unbewusst geschieht, wir nicht momentan ein richtiges Yerhalt-
niss zwischen beiden wieder herstellen können. Dazu wäre zu bemerken,
dass der Exspirationsact ein rein passiver ist und etwaige Aenderungen in
der Ausströmung der Exspirationsluft unter Luftverdichtung uns nur so lange
es sich um eine rein passive Exspiration handelt, nicht zum Bewusstsein
kommen könnten. Beim Pfeifen jedoch handelt es sich um eine willkürliche
Gontraction von Muskeln, um einen activen Yorgang, der mit der gewöhn-
lichen Exspiration nicht verglichen werden kann. Es wird sich jedoch
zeigen, dass der Kern der Liebig' sehen Anschauung ein richtiger ist.
Endlich diejenigen Autoren, die in neuester Zeit sich am eingehendsten
mit den Wirkungen der verdichteten Luft auf den menschlichen Organismus
beschäftigt haben, Heller, Mayer und v. Schrötter, erklären offen, dass
sie eine präcise Erklärung für die vorliegende Thatsache nicht geben
können. —
Ich habe es nun versucht auf experimentellem Wege eine Auf klärang
zu gewinnen und habe zu dem Zwecke in Gemeinschaft mit R. du Bois-
Reymond eine Reihe von Experimenten mit verschiedenen Pfeifen, Lippen-
und Zungenpfeifen, angestellt um die Bedingungen für ihr Ansprechen bei
verschiedenem Luftdruck festzustellen.
Die Versuche sind im pneumatischen Gabinet des hiesigen jüdischen
Krankenhauses ausgeführt und ich bin Hm. Sanitätsrath Dr. Lazarus
wiederum für die Liebenswürdigkeit, mit der er mir eine der Glocken des
Gabinets zur Verfügung stellte, zu grossem Danke verpflichtet.
Wir gingen so vor, dass wir den Minimaldruck aufsuchten, der noth-
wendig war, den Pfeifenton eben deutlich erklingen zu lassen. Zu dem
* J. v. liiebig. Warum man unter einem stark erhöhten Luftdruck sowohl wie
unter einem stark verminderten nicht mehr pfeifen kann. Münchener medic, Wochensekr,
1897. Nr. 10.
' Heller, Mayer, v. Schrötter, Bemerkungen zu vorstehend genanntem Auf-
satz. Ebenda. 1897. Nr. 14.
• Aeltere Litteratur s. bei v. Vi veno t, Zur Kenntni^M u. #. tr. der verdiehteien
Luft, Erlangen 1868; neuere bei Heller, Hofer, v. Schrötter.
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PHYSIOLOGISCHEN GbSELLSOHAPT. — A. LOBWY. 557
Zwecke war die betreffende Pfeife mit dem einen Schenkel eines Y-Rohres
verbunden, der zweite Schenkel führte zu einem Wassermanometer, der
dritte in den ersten Versuchen zu einem Druckgefass, das Yon einem grossen
Spirometer (Waiden bürg 'sehen pneumatischen Apparat) gebildet wurde.
Da hierbei die Abstufungen des Druckes zu schwer ausfahrbar waren, be-
dienten wir uns in den späteren (im Folgenden allein berücksichtigten) Ver-
suchen des Druckes der Exspirationsluft. Wir bliesen unter Vermittelung
eines Mundstückes in das Y-Rohr, beginnend mit ganz geringem Drucke,
ihn dann allmählich so weit steigernd, dass der Pfeifenton erklang; oder
umgekehrt: wir brachten die Pfeife durch starken Druck zum Anklingen,
und verminderten ihn dann soweit, dass der Ton gerade noch rein erklang.
Der betreffende Druck wurde am Wassermanometer abgelesen. — Die Ver-
suche wurden zunächst bei einfachem, dann bei doppeltem, dann wieder bei
einfachem Atmosphärendruck ausgeführt.
Es ergab sich nun — wie die folgende Zusammenstellung erweist —
ein gesetzmässiges Verhalten: in allen Fällen, bei Lippen- wie bei Zungen-
pfeifen musste bei doppeltem Atmosphärendruck der zur Erzeugung des
Tones nothwendige Ueberdruck doppelt so stark sein, wie bei einfachem
Atmosphärendruck.
Versuch 1. Gedeckte Orgelpfeife (Lippen pfeife), den Ton C gebend.
Zur Tonerzeugung ist nöthig:
bei einer Atmosphäre ein Wasserdruck von 10®",
« zwei „ „ „ „ 20<^.
Versuch 2. Aehnliche Pfeife. Erforderlich
om
bei einer Atmosphäre ein Wasserdruck von 4
» zwei „ „ „ „ 8 .
Versuch 3. Gedeckte Orgelpfeife (Lippenpfeife), die Octave der in
Versuch 1 benutzten gebend (C)
bei einer Atmosphäre nöthiger Ueberdruck von: 5^ Wassersäule,
n zwei « n » „ 10«°
Versuch 4. Aehnliche Pfeife, wie in 3. Erforderlich
bei einer Atmosphäre Wasserdruck 2®",
n zwei „ „ 4<»"».
Versuch 5. Gedeckte Orgelpfeife mit Zun gen werk.
Je nach der Stellung der Zunge sind erforderlich:
a) bei einer Atmosphäre: 8°™ Wasserdruck
„zwei „ D „
b) „ einer „ 2-4 bis 2.6«» „
6 cm
zwei „ 6*'"
Es besteht demnach eine Proportionalität zwischen dem äusseren
Drucke und dem zur Tonerzeugung nothwendigen üeberdrucke; würde
die Einrichtung der pneumatischen Kammer es gestattet haben, so würde
bei weiterer Verdichtung auf drei oder vier Atmosphären der drei- bezw.
vierfache Ueberdruck sich als erforderlich zur Tonerzeugung erwiesen haben.
Wenn wir mathematisch abzuleiten suchen, was das experimentell fest-
gestellte Verhalten fär die Theorie der Tonerzeugung bedeutet, so ergiebt
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558 Yebhandlungbn deb Beblineb
sich, dass — wenn proportional dem atmosphärischen Drucke der auf die
Pfeife wirkende üeberdruck wächst — die Ausströmungsgeschwindig-
keit der Luft aus der Pfeife constant bleibt.
Das Maassgebende für das Ansprechen der Pfeife wäre sonach eine
bestimmte Geschwindigkeit, mit der die Luft durch die Pfeife dringen mnss.
Die Ausströmungsgeschwindigkeit von Grasen ist:
wo 8 die Höhe der Gassäule ist, der das Gleichgewicht durch die Höhe k
einer Wassersäule gehalten wird.
Ist das specifische Gewicht des Gases = dy so ist die Höhe der Gas-
säule « = -7- , also
-1/274^
Nennen wir den Druck, der nothwendig ist, damit bei 2 Atmosphären
Druck die Ausflussgeschwindigkeit des Gases die gleiche bleibt, x^ so haben
wir bei 2 Atmosphären, da hierbei das specifische Gewicht d sich gleich-
falls verdoppelt, die Gleichung
v = -^2ff
X
2I
Es ergiebt sich aus der ersten Gleichung:
und aus der zweiten:
also
und
a? = 2Ä.
Es zeigt sich also, dass die Ausströmungsgesch^indigkeit der Luft aus
der Pfeife bei doppeltem Atmosphärendruck gleich der bei einfachem Drucke
bleibt, wenn der die Luft durch die Pfeife treibende üeberdruck sich gleich-
falls verdoppelt — wie unsere Versuche es ergeben* haben.
Die vorstehenden Ableitungen gelten für die meisten Lippen- und
Zungenpfeifen. Auf Grund von Besonderheiten des Baues der Pfeife können
allerdings in seltenen Fällen andere Gesetze maassgebend werden.
Dieselben Bedingungen der Tonerzeugung wie in den vorstehendeo
Versuchen liegen nun auch für bie Tonerzeugung vor, die in unserem Kehl-
kopf stattfindet. Auch das ist schon von den ersten Beobachtern gefunden
worden, dass das Sprechen unter Luftverdichtung erschwert ist, dass — wie
man bei manchen Autoren angegeben findet — man schreien müsse, um sich
verständlich zu machen. Man muss eben, entsprechend der Luftverdichtong,
unter der man sich befindet, die Lungenluft unter höheren Druck setzen,
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PHY8I0L0QI80H£N GESELLSCHAFT. — A. LOEWY. 559
also seine Exspirationsmuskeln stärker innerviren, um einen Ton hervor-
zubringen, der an Intensität dem unter Atmosphärendruck erzeugten gleich
ist. Es ist also nicht richtig, zu sagen, dass man schreien müsse; nur
entspricht die zum Sprechen erforderliche Muskelanstrengung der, die man
unter gewöhnlichen Umständen zum Schreien aufwendet.^
Was speciell das Pfeifen und dessen Störungen betrifft, so sind hier
mehrere Punkte in Betracht zu ziehen. Zunächst wiederum die grössere
Anstrengung zur Tonerzeugung, die sich vornehmlich bei den hohen Tönen,
die an sich schon mehr Kraft yerlangen, bemerklich macht.
Es wäre möglich, dass bei einem Druck von 3 bis 5 Atmosphären bei
einer Reihe von Individuen die Fähigkeit, zu pfeifen, schon daran scheiterte,
dass der Druck, der zur Tonerzeugung von den Exspirationsmuskeln zu
leisten ist, nicht mehr erzielt werden könnte.
Dazu kommt nun aber noch ein Zweites. Beim Pfeifen setzen wir
zwei Muskelgruppen in Thätigkeit: die Exspirations- und die Lippenmuskeln,
und zwar entspricht dem jeweiligen Exspirationsdruck, den wir beim Pfeifen
aufwenden, d. h. also dem Innervationsgrade unserer Exspirationsmuskeln
ein ganz bestimmter Innervationsgrad unserer Lippenmuskeln, den wir durch
Erfahrung bezw. Uebung richtig treffen.
Versuchen wir nun unter Luft Verdichtung, z. B. bei zwei oder drei
Atmosphären Druck zu pfeifen, so ist nach dem vorstehend Gesagten der
Exspirationsdruck der doppelte resp. dreifache und wir müssen demnach
auch die Lippenmukeln anders innerviren, um die Mundspalte passend zu
formen. Die dazu nothwendige Innervationsgrösse ist uns nun nicht ge-
läufig, sie muss erst ausgeprobt, erlernt werden.
Die Innervation ist im Anfange zu schwach, die Lippen sind zu nach-
giebig, die Mundöffhung wird beim Anlauten zu weit, so dass entweder ein
unreiner Ton erzeugt wird, oder die Luft zischend, ohne überhaupt einen
Ton zu erzeugen, durch die Mundspalte entweicht. Allmählich lernt man
80 stark und richtig zu innerviren, dass — wenigstens bis zu einer Atmo-
sphäre Ueberdruck — es wieder gelingt einen Pfeifton zu erzeugen.
Was also das Pfeifen bei geändertem Luftdruck so sehr erschwert, ist,
dass wir unsere Aufmerksamkeit auf zwei Factoren lenken müssen, auf die
Exspirations- und auf die Lippenmuskeln, die sonst in Folge Uebung ge-
wissermaassen unbewusst, jedenfalls ohne dass jedem ein besonderer be-
wusster Willensimpuls zugehen muss, mit einander in zweckmässiger Weise
thätig sind.
Hingewiesen sei auch darauf, dass, je unzureichender die Innervation
der Lippen ist, um so schwerer natürlich auch die Erzeugung des noth-
wendigen Druckes im Thorax. —
Aehnlich wie fär das Pfeifen sind die Bedingungen für die Hervor-
bringung der Sprachlaute. Auch für sie wird dementsprechend von einer
Reihe von Autoren* eine Erschwerung angegeben. Die Bewegung der Zunge
soU eine schwerfällige sein, manche Silben sollen schlecht gebildet werden
können, es soll zu mehr oder weniger hochgradigem Stottern kommen. Je-
doch scheint die Sprachbildung nie in so hohem Maasse zu leiden wie die
Fähigkeit, zu pfeifen. Vielleicht ist die Ursache darin gelegen, dass der
zum Sprechen nothwendige intrapulmonale Druck viel geringer ist als der
^ Vgl. übrigeDB aach: Heller, Mayer, v. Schrötter, Sitzungsber, der JeaUerL
Ahad, der Wusensch. in Wien. Bd. CVI. Abthlg. IH. p. 11.
• Schon bei Folej, a. a. O.
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560 Vebhandlungen der Berliner
zum Pfeifen, daher auch die Inneryationsänderungen bei Aenderungen de»
Luftdruckes sich beim Sprechen in viel engeren Grenzen halten und darum
leichter zu erzielen sind.
3b. Hr. R. DU Bois-Reymond hält den angekündigten Vortrag: Ueber
den Person'schen Versuch.
Bei Gelegenheit der Versuche über das Pfeifen in verdichteter Luft
prüften wir auch die Angabe, dass bei verdichteter Luft der maximale
Expirationsdruck höher sei als bei gewöhnlichem Druck. Diese Thatsache
ist zuerst von dem Physiker Person festgestellt worden, und der Versuch,
durch den sie erwiesen wird, ist unter dem Namen des Person'chen Versuche»
bekannt.
Der Versuch besteht einfach darin, bei einer oder mehr Versuchs-
personen am Pneumatometer den maximalen Druck für Exspiration und
Inspiration bei gewöhnlichem Drucke festzustellen, und den so gefundenen
Werth mit dem zu vergleichen, den man in der pneumatischen Kammer bei
erhöhtem Druck erhält. Dieser ist merklich höher. Bei verdünnter Luft
tritt der umgekehrte Erfolg ein: der pneumatometrische Werth ist geringer
als bei Atmosphärendruck.
Die Thatsache selbst, so paradox sie auch erscheinen mag, lässt sich
nicht gut bezweifeln, denn sie ist seit ihrer Entdeckung von sehr vielen
Untersuchen! nachgeprüft und bestätigt worden. So fanden auch wir bei
einer Reihe von Versuchen mit Quecksilber- und mit Wassermanometer den
mittleren exspiratorischen Pneumatometerwerth bei zwei Atmosphären sehr
erheblich (den in spiratori sehen freilich bedeutend weniger) erhöht gegenüber
dem gewöhnlichen Werth. Mit dem Wassermanometer erhielten wir geringere
Differenzen.
G. V. Liebig verwendet diesen Sachverhalt als ein Argument dafür,
dass in verdichteter Luft die Leistungsfähigkeit der Muskeln grösser sei,
als bei Atmosphärendruck. Das Versuchsergebniss ist so augenfällig, dass
es einen sehr überzeugenden Beweisgrund abgeben müsste, wenn man be-
weisen könnte, dass ausschliesslich die Veränderung der Muskelkräfte selbst
und kein anderer Umstand beim Person 'sehen Versuche den Ausschlag
giebt. Dieser Beweis lässt sich nur durch Ausschliessung führen. Es ent-
steht die Frage, welche andere Erklärungen gegeben werden können?
Die Litteratur über diesen Punkt war uns leider nur zum kleinen Theil
zugänglich. Person selbt soll seine Angaben in seinem Lehrbuche ^ veröffent-
licht haben, v. Vivenot* giebt einen Auszug der Stelle, aus dem über die
Ursache der Erscheinung nichts zu entnehmen ist, vielmehr wird aus der
beobachteten Zunahme des Druckes auf eine entsprechend grössere Volumen-
änderung geschlossen.
„Bezeichnet:
£ die Höhe der Barometersäule,
h die Quecksilberhöhe im Manometerrohr nach forcirter Inspiration,
V das Luftvolumen der Lunge und der Röhre im Beginn des Ver-
suches und
J den Zuwachs jenes Volumens am Ende der Inspiration, oder
die Grössenzunahme der Lunge,
» Elements de physique, T. L p. 216.
' v. Vivenot, 2!ur Kenntnis^ der physiologischen Wirkitngen und der ikenh
peutisehen Anwendung der verdichteten Luft Erlangeo 1868. S. 165.
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PHY8IOLOGI80BEK GbSELLSOHAVT. — R. DU BoIS-ReYMOND. 561
SO ergiebt sich mir, maünematisoh aufgefasst, unter normalem Luftdruck der
Ausdruck:
SV
h.
V+ ä
A
KV
KV
R'-K
A'
=
R' --K
hV ^
K{R-
h(R'^
woraus sich als Grössenzunahme der Limge am Ende der Inspiration ab-
leiten läset:
" = H-k
Diese allgemeine Formel zeigt uns noch nicht, welches Yerhältniss zwischen
H und h bestehen muss, um eine Zunahme von A zu veranlassen ; wiederholt
man jedoch diesen Versuch unter verstärktem Luftdruck, so erhält man ab
zweite Gleichung:
KV
^ = -R'^K '
deren Yerhältniss zur ersten eine Bestimmung des durch die Veränderung
des Luftdrucks veranlassten Zuwachses der Lungen-Expansion ermöglichen
wird. Wir haben demnach:
oder
Substituirt man nun in die algebraischen Schlusswerthe jene, welche durch
den directen Versuch gefunden werden, so findet man, dass
Ä'(ff-Ä)>Ä(Ä'-Ä'),
woraus sich ergiebt, dass unter verstärktem Luftdruck die Amplitude der
Inspiration in der That eine Vergrösserung erfahren habe."
Ob aus den ebenfalls von v. Vivenot citirten Arbeiten von Pravaz^
und Lange^ mehr zu entnehmen ist, können wir nicht angeben.
Der erste Umstand nun, von dem man annehmen könnte, dass er die
grössere Druckkraft des Brustkorbes in verdichteter Luft verursacht, ist die
geringere Compressibilität der verdichteten Luft.
Damit das Quecksilber im Pneumatometer bei gewöhnlichem Drucke
auf 10 °™, also ^g Atmosphäre, steige, muss die im Brustraum ein-
geschlossene Luft auf ^/g ihres Volumens zusammengedrückt worden sein.
Enthält aber der Brustraum comprimirte Luft von zwei Atmosphären Druck
(wobei natürlich ausserhalb ebenfalls zwei Atmosphären Druck herrschen
müssen), so ist eine Compression des eingeschlossenen Luftraumes auf ^^J^q
hinreichend, denselben Druck zu erzeugen. Die Thoraxwand macht also
im zweiten Falle nur eine viel kleinere Bewegung, und ihre Musculatur
arbeitet daher bei fast unveränderter Spannung. Um eine Schätzung dafür
zu gewinnen, wie gross der Unterschied der Länge der Muskeln in den
* Ch. G. Pravaz, Etsais sur Vemploi medical de l'air comprim4. Lyon et
Paris 1850.
■ J. Lange, Ueber die comprimirte Luft, ihre phyeiologisehen Wirkungen u. g.w,
Göttingen 1864.
Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. Suppl. 36
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562 VBBHAin)LüNGEN BEB BllBLINEB
beiden verschiedenen Fällen sei, kann man von der Betrachtung ausgehen,
dass die Längen der Muskeln sich unter sonst gleichen Bedingungen etwa
wie die dritte Wurzel aus dem Lungen voIumen verhalten müssen. Auf diese
Weise kommt man zu dem Ergebniss, dass, um gleichen Exspirationsdruck
zu erzeugen, die Athemmuskelu sich verkürzen müssen bei einer Atmosphäre
um 5 Procent, bei zwei Atmosphären um 2 Procent, bei einer halben
Atmosphäre um 9 Procent. Da nun offenbar der Muskel, der um 5 Procent
seiner Länge verkürzt ist, nach dem Schwann' sehen Gesetz nicht mehr die
Kraft hat, die er bei der Verkürzung um nur 2 Procent besitzt, so könnte
man hierin eine ausreichende Erklärung für die grössere Leistung bei ver-
dichteter Luft finden. Versuche an gespannten Froschmuskeln lehren, dass
unter Umständen viel kleinere Längenunterschiede viel grössere Schwankungen
der Muskelkraft bedingen. Wenn nun in der verschiedenen Länge der
Muskeln der Grund für die Verschiedenheit der Leistung liegt, dann
muss die Verschiedenheit verschwinden, sobald man die Muskeln bei
erhöhtem Druck mit derselben Verkürzung arbeiten lässt wie bei
Atmosphärendruck. Dies kann man erreichen, wenn man zwischen Lunge
und Pneumatometer einen Luftraum einschaltet, der dem in der Brust ein-
geschlossenen gleich ist. Stellt man unter dieser Bedingung bei zwei
Atmosphären Druck den Person'schen Versuch an, so ist das auf ^^/^^ zu
comprimirende Volumen doppelt so gross, wie beim gewöhnlichen Versuch,
und folglich wird die im Brustraum enthaltene Luft genau wie bei Atmo-
sphärendruck auf ^/g gebracht werden müssen, um in der ganzen Luft den
Druck von Vh Atmosphäre zu erzeugen. Die Muskeln müssen sich dann
also um dieselbe Länge verkürzen wie bei Atmosphärendruck. Der Pneu-
matometerwerth ist aber trotz vorgeschalteter Flasche von 5 bis
7 Liter Rauminhalt bei zwei Atmosphären höher als bei normalem
Druck. Aus diesem Gegenversuch folgt also, dass die oben abgeleitete Er-
klärung aus der Längenverschiedenheit der Muskeln unzulässig ist, und dass
die Kraft der Athemmusculatur von der Excursion der Brustwand innerhalb
ziemlich weiter Grenzen unabhängig ist. Schaltet man bei gewöhnlichem
Druck zwischen Pneumatometer und Lungen eine Flasche von 5 bis 7 Liter
Rauminhalt ein, so findet man daher keine merkliche Abnahme des maximalen
Exspirationsdruckes, sondern ito Gegentheil meist eine Zunahme. Dies ist wohl
daraus zu erklären, dass man, ohne um Schleuderung des Quecksilbers besorgt
zu sein, mit voller Kraft in die Flasche hineinexspiriren darf, da der Luftstoss
sich in dem Inneren der Flasche ausgleicht. Bei der gewöhnlichen Anordnung
dagegen muss man darauf bedacht sein, den Luftstoss so zu reguliren, dass das
Quecksilber nicht geschleudert wird, und erreicht deshalb weniger hohe Werthe.
Es schien der Mühe werth, die bei diesen Versuchen gemachte Be-
obachtung, dass die Exspirationskraft von der Stellung der Brustwand un-
abhängig ist, weiter zu verfolgen. Dies kann leicht auf folgende Weise
geschehen: Die Versuchsperson exspirirt nach maximaler Luftaufnahme in
ein Hutchinson 'seh es Spirometer. Nachdem ein gegebenes Quantum Luft
exspirirt ist, wird der zum Spirometer führende Schlauch geschlossen und
mit einem Pneumatometer verbunden. Man misst nun den bei der
vorhandenen Füllung der Lungen möglichen grössten Exspirationsdruck.
schaltet dann wieder das Pneumatometer aus und das Spirometer ein uod
controlirt durch Messung der noch ausathembaren Luftmenge, ob die anfäng-
liche Füllung wirklich maximal war. Macht man eine Reihe von derartigen
Versuchen, indem man etwa jedes Mal vor der pneumatometrischen Messung
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^lYSiOLOGisoHEN Gesellschajbt. — B. DU Bois-Beymomd. 563
500 ^^^ mehr in den Spirometer hineinlässt^ so erhält man eine Curve des
maximalen Exspirationsdruckes für die verschiedenen Stellungen des Brust-
korbes, von der maximalen Inspirationsstellung an bis zur äussersten
Exspiration. Wir haben an mehreren Versuchspersonen eine ganze Anzahl
solcher Versuchsreihen ausgeführt, weil sich ja die pneumatometrischen
Werthe nur als Mittelzahlen aus einer Reihe von Einzelbeobachtungen fest-
stellen lassen. Sämmtliche Curven zeigten übereinstimmend, dass der
Pneumatometerwerth mit zunehmender Annäherung an die Exspirationsstellung
zunächst fast gar nicht sinkt. Erst etwa bei derjenigen Stellung, die einem
Lungeninhalte von 1000 ^*'™ ausser der rückständigen Luft entspricht, fällt
die Curve steil ab, obschon auch die letzten 200 bis 300 ^"^^ der Vital-
capacität noch unter merklichen Druck gesetzt werden können.
Offenbar würde man nach dem angegebenen Verfahren aus dem für
die Ausathmung der letzten Antheile der Vitalcapacität gefundenen Pneu-
matometerwerthen die Menge der rückständigen Luft berechnen können,
doch geben die sehr schwankenden Bestimmungen des Pneumatometerwerthes
keine sichere Grundlage.
Nach all' diesen Erfahrungen muss also die oben aufgestellte Hypothese
zur physikalischen Erklärung des Person 'sehen Versuches verworfen werden.
Auch andere Betrachtungsweisen führten nicht weiter, so dass schliesslich
nur die Ansicht, es handele sich um Zunahme der Muskelkraft selbst, übrig
bleiben würde. Allein es ist noch eine Thatsache zu bedenken, die an sich
fast ebenso überraschend wie der Person 'sehe Versuch, aber auch ebenso gut
beglaubigt ist: dass nämlich das Volumen der in den Lungen enthaltenen Luft
bei erhöhtem Drucke vermehrt ist. Die Erklärung hierfür braucht hier
nicht erörtert zu werden. Es genüge die Angabe, dass durch die Güte des
Hrn. Sanitätsraths Lazarus uns Gelegenheit gegeben werde, mittels
Röntgendurchstrahlung den tieferen Stand des Zwerchfelles bei zwei Atmo-
sphären Druck unmittelbar wahrzunehmen.
Geht man von dieser Thatsache aus, so wird in die Betrachtung des
Person' sehen Versuches eine neue Bedingung von unübersehbarer Compli-
cation eingeführt: Die Stellung des Brustkastens und damit das Verhältniss
von Oberfläche zu Inhalt des zu comprimirenden Raumes ist offenbar nach
maximaler Inspiration in verdichteter Luft eine andere, als bei normalem
Druck überhaupt je eintreten kann. Für die Untersuchung des
Inspirationsdruckes, also der Saugkraft, die nach Person ebenfalls erhöht
sein muss, ist das allerdings nur zum Theil richtig. Jedenfalls aber lassen
sich an den Umstand, dass das Lungenvolumen bei verschiedenem Drucke ver-
schieden ist, Hypothesen knüpfen, die den Person 'sehen Versuch auch ohne
Annahme vermehrter Muskelkraft erklären würden.
Nimmt man zum Beispiel an, dass der Druck, den die Musculatur im
Pneumatometer erzeugt, nach dem Princip der hydraulischen Presse abhängig
sei von der Grösse der Oberfläche, auf die die Musculatur drückt, so ist es
ganz gut denkbar, dass bei den in verdichteter Luft auftretenden Ver-
änderungen diese Oberfläche nicht nur relativ, sondern sogar absolut geringer,
und somit der maximale Druck höher würde. Die Grösse der für diese
Betrachtung in Rechnung zu ziehenden Oberfläche lässt sich freilich nicht
einmal schätzungsweise angeben. Femer ist offenbar die Wölbung, mithin
auch die Spannung des Zwerchfelles in verdichteter Luft von der normalen
verschieden. Es sind also beim Person 'sehen Versuch auch andere Factoren
geändert, als allein die Kraft der Respirationsmusculatur. Der Person'sche
36*
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564 y£&UANDLUNGmr DER BSALIKJBE
Yenuoh kann deshalb nicht als Tollgültiger Beweisgrund für die Zunahme
der Muskelkraft bei yermehrtem Luftdruck angenommen werden.
4. Hr. Dr. Thobnbb (a. G.) hält den angekündigten Vortrag: Demon-
stration eines stabilen Augenspiegels.
Durch die gütige Vermittelung des Hm. Prof. König ist es mir ge-
stattet worden, Ihnen diesen Apparat vorzuführen. Derselbe soll dazu dienen,
die Beobachtung des Augenhintergrundes zu erleichtem, und das ophthal-
moskopische Bild auch Ungeübten vorführen zu können. Man hat ja schon
mehrfach stabile Augenspiegel constmirt; jedoch ist die Beobachtung mit
denselben im Allgemeinen noch schwieriger, als wenn man die Instrumente
in der Hand hält. Und zwar ist hauptsächlich Schuld daran der Hornhaut-
reflex, den man bei der Beobachtung aus freier Hand noch leichter an
unschädliche Stellen dirigiren kann als bei stabilen Apparaten.
Ich habe mich nun zunächst bemüht, bei diesem Apparat den Hom-
hautreflex bei jeder Stellung des Auges zu beseitigen, ohne aber eine
Wasserkammer vor dem Auge anbringen zu müssen. Dabei bin ich von
folgender Ueberlegung ausgegangen: So unregelmässig auch das Licht von
der Hornhaut ^eflectirt werden mag, so muss es doch sich immer wieder
an solchen Stellen des Apparates auf einer bestimmten Stelle sammeln, wo
ein Bild der Hornhaut entsteht. Ein solches Bild wird nun mit Hülfe des
Beobachtungsrohres dicht vor dem Auge des Beobachters erzeugt, ein
anderes mit Hülfe des Beleuchtungsrohres und eines total reflectirenden
Prismas dicht vor der Lampe. Lasse ich nun an dieser Stelle das Licht
nur durch einen Ausschnitt fallen, der so gross wie die halbe Hornhaut
ist, so wird auch nur die halbe Hornhaut beleuchtet, und ferner ist die
Stelle, auf der sich der Reflex vor dem Auge des Beobachters sammelt,
auch nur so gross wie die halbe Homhaut. Diesen kann ich durch eine
undurchsichtige Scheibe auffangen, während ich durch die andere Hälfte,
die nicht beleuchtet wird, also auch nicht reflectirt, hindurchblicke.
Wenn man dieses Princip festhält, ist man unbeschränkt in der Wahl
des Beobachtungssystems. Dasselbe muss einem Fernrohr im Allgemeinen
ähnlich sein, da ja die Strahlen vom Augenhintergrunde aus unendlicher
Entfernung zu kommen scheinen. Als günstigste Yergrössemng habe ich
die gefunden, in der die Gegenstände in natürlicher Grösse abgebildet
werden. Dann hat man eine ebenso starke Yergrössenhig, wie sonst im
aufrechten Bilde. Noch weiter die Yergrössemng zu steigern empfiehlt sich
-nicht, da das Auge dazu zu unvollkommen gebaut ist. Das Gesichtsfeld
kann man so gross machen, als es mit Anwendung eines Collectivsystems
beim astronomischen Fernrohr möglich ist. Hier ist es 37*', umfasst also
eine fünfmal so grosse Fläche, als man bei Anwendung der gewöhnlichen
3 Zoll -Linse im umgekehrten Bilde übersieht. Endlich kommt es noch
darauf an, den stark gewölbten Augenhintergrund als Ebene erscheinen zu
lassen, was sich durch geeignete Auswahl der Linsenkrümmungen er-
reichen lässt.
Zur Beleuchtung habe ich ein genau gleiches optisches System vne zur
Beobachtung verwandt.
Nun sehen Sie an dem Apparat noch eine Anzahl mechanischer Yor-
richtungen, die zur leichteren Einstellung dienen. Zunächst lässt sich der
ganze Apparat mit der Lampe durch einen Trieb in vertikaler Richtung
verschrauben , durch einen zweiten in horizontaler Kichtung. Der Patient
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PHY8IOLOOI8GHEN GeSBLLSOHAFT. — ThOBNBE. — A. LOBWY. 665
stützt sich auf einen Kinnhalter und sieht, damit er eine bestimmte Blick-
richtung inne behält, mit dem nicht beobachteten Auge das Spiegelbild
einer Lampe an. Dies ist gerade nicht nothwendig, erleichtert aber die Auf-
findung der Papille. Neben dem Beobachtungsrohr befindet sich ein Kasten,
in dem mittels Spiegelung der Beobachter selbst oder ein Dritter die rich-
tige Stellung des Apparates gegenüber dem Auge des Patienten finden kann.
Zur Einstellung für verschiedene Refractionszustände dient der Auszug
im Beobachtungsrohr, während für hochgradige Refractionsanomalien zwei
andere Oculare eingesetzt werden können.
Es empfiehlt sich, die Pupille künstlich zu erweitem, jedoch kann man
bei den meisten Leuten auch ohne Mydriasis beobachten, besonders wenn man
vor die Lampe ein schwarzes Rauchglas setzt, nur übersieht man dann ein
kleineres Gesichtsfeld.
Endlich will ich noch bemerken, dass dieser Apparat nur eine proviso-
rische Construction darstellt, und dass bei weiteren Apparaten alle Theile
aus Metall gefertigt werden.
Ich bitte nun, den Apparat den Herren in Thätigkeit vorführen zu
dürfen.
XVI. Sitzung am 21. Juli 1899.
1. Hr. A. LoEWY hält (zugleich für Hm. P. F. Richter) den ange-
kündigten Vortrag: Sexualfunction und Stoffwechsel.
Der Vortragende berichtet über Versuche, die an Hunden, männlichen
und weiblichen, angestellt wurden, um den Einfluss der Castration auf den
Stoffumsatz festzustellen. Zunächst wurde der Gesammtstoffwechsel (0- Ver-
brauch, COg- Bildung) am normalen Thiere, dann am castrirten bestimmt.
Er sank nach der Castration allmählich ab, beim Hunde schon bald nach
der Castration beginnend, bei den Hündinnen erst 7 bis 8 Wochen nach
derselben deutlich abnehmend, um in weiteren l^/g bis 2 Monaten ein
Minimum zu erreichen, auf dem er constant blieb. Zu gleicher Zeit stieg
auch das Körpergewicht, um dann ebenfalls auf einem nach IV2 ^^^
2 Monaten erreichten Maximum sich dauernd zu halten. Loewy setzt
aus einander, dass diese Resultate nur auf eine Herabsetzung der oxydativen
Energie des Körpereiweisses bezogen werden können. — Wurde nun Ge-
schlechtsdrüsensubstanz gefüttert, so trat auf Oophorin bei den weiblichen
Hunden eine mit der Fütterung allmählich steigende, bei längerer Zufuhr
die Norm weit überschreitende Erhöhung des Stoffumsatzes ein, der nach
Aussetzen der Fütterung langsam zu den vor der Fütterung beobachteten
Werthen herabsank. Testikelsubstanz und Spermin waren ohne Einfluss. —
Beim männlichen castrirten Thiere wirkten Spermin und Testikelsubstanz
deutlich steigernd, wenn auch relativ gering, Oophorin auch hier erheblich,
wenn auch nicht ganz so, wie beim weiblichen Thiere.
Auf den Stoffunisatz nicht castrirter Thiere, war nie ein Einfluss der
Fütterung zu bemerken.
Es haben demnach die Geschlechtsdrüsen neben ihrer bisher allein be-
kannten der Fortpflanzung dienenden Function noch eine zweite, im Dienste
des Stoffwechsels stehende, zu erfüllen. Sie steigern ihn; werden sie ent-
fernt, so sinkt die Energie des Umsatzes; Zuführung der fortgenommenen
analogen Substanzen regt ihn wieder an.
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566 Verhandlungen der Berliner
Vortragender weist auf eine Erklärung dieser Function durch Annahme
einer Art innerer Secretion hin, auf die Beziehung zwischen Castration und
Fettleibigkeit, und auf die Bedeutung, die die vorstehend aufgestellten Ver-
suche für die Organotherapie haben. (Die ausführliche Mittheilung ist in
diesem Archiv, 1899, Physiol. Abthlg., Suppl., 1. Hälfte, erschienen.)
2. Hr. H. ViRCHOw hält den angekündigten Vortrag: lieber die Ge-
lenke der Fusswurzel.
Es liegt mir eigentlich nur daran, einen einzigen Punkt hervorzuheben,
nämlich: wodurch die beiden Gelenke, welche der „Adduction" des Fusses
dienen, gezwungen sind, gleichzeitig zur Verwendung zu kommen. Um
mich aber klar ausdrücken zu können, muss ich einige Bemerkungen voraus-
schicken.
Wenn man von „Gelenken" spricht, so ist man häufig gezwungen, die
rein descriptive oder topographische Darstellung von der physiologischen
oder functionellen Betrachtung scharf zu unterscheiden. Das bekannteste
Beispiel hierfür ist das Ellbogengelenk. Das was wir descriptiv „Ellbogen-
gelenk" nennen, müssen wir für die mechanische Analyse in den Ginglymus
zwischen Humerus und Ulna und die Rotatio zwischen Ulna und Radius
zerlegen; dafür aber andererseits mit letzterer die Articulatio radio-ulnaris
inferior, welche anatomisch ein selbstständiges Gelenk ist, vereinigen. Die
gleiche logische Operation ist auch noch an anderen Stellen zu machen, und
es wäre sehr förderlich, wenn wir für das eine Wort „Gelenk" deren zwei
hätten; eines für den anatomischen und eines für den functionellen Gesichts-
punkt.
Bei der Besprechung der Fusswurzelgelenke stossen wir auf die gleiche
Notwendigkeit. Allerdings das eine dieser Gelenke, die Articulatio talo-
cruralis, ist ein selbstständiges Gelenk ebenso im anatomischen wie im
functionellen Sinne, und über seine Mechanik hier nichts zu sagen. Anders
steht es mit den Gelenken, an deren Bildung Talus, Calcaneus, Cuboides und
Naviculare betheiligt sind. Von den vorderen Amphiarthrosen ist abzusehen.
Beginnen wir mit dem „Gelenk" zwischen Talus, Sustentaculum, Rück-
seite des Naviculare und Ligamentum calcaneo-naviculare, so wird nach der
landläufigen Beschreibung die „Pfanne" gebildet durch Sustentaculum, Navi-
culare und das genannte Band, in welche der „Kopf* des Talus passt. Dies
ist descriptiv richtig; mechanisch ist es bedeutungslos. Für die mechanische,
functionelle Betrachtung ist das Gelenk in zwei Stücke zu zerlegen:
die Verbindung zwischen Unterseite des Taluskopfes und Sustentaculum und
die Verbindung zwischen Vorderseite des Taluskopfes und Naviculare. Das
erste Stück ist mit der „Articulatio talo-calcanea lateralis" zur Articulatio
talo-calcanea zu vereinigen, das zweite Stück ist mit der Articulatio calcaneo-
cuboidea zu vereinigen zur Chopart* sehen Gelenkverbindung oder „Arti-
culatio tarsi transversa" der B. N. A. Dies ergiebt sich aus folgenden Er-
wägungen: wenn auch die Articulatio talo-calcanea lateralis und medialis
anatomisch getrennt sind, so müssen sie doch functionell eine Einheit bilden,
da sie dem gleichen Knochen angehören; die Articulatio calcaneo-cuboidea
und talo-navicularis, wenn sie auch anatomisch getrennt sind, müssen doch
mechanisch eine Einheit bilden, weil Cuboides und Naviculare theils unmittel-
. bar, theils durch Vermittel ung der Cuneiformia fest mit einander verbunden
sind. Betrachtet man nun die genannten Verbindungen auf ihre Flächen
und Axeu hin, so ergiebt sich Folgendes: die Articulatio talo-calcanea zeigt
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PHYSIOLOGISCHEN GeSELLSOHAPT. — H. ViECHOW.
567
an ihrem lateralen Stück auf dem Calcaneus eine convexe und auf dem
Talus eine concave Fläche; an dem medialen Stück dagegen auf dem
Calcaneus eine concave und auf dem Talus eine convexe Fläche. Sie ist
dadurch wohl das merkwürdigte aller Gelenke des Körpers, denn wegen der
Gestalt der Flächen muss bei der Adductionsbewegung notwendiger Weise
eine Incongruenz eintreten. Eine genügende mechanische Deutung ist
schwer zu geben, jedenfalls ist aber das Gelenk derartig gestaltet, dass nur
bei einer Stellung, derjenigen, welche bei geradestehendem belasteten Fuss
eingenommen wird, Schluss stattfindet. Dieser einen Stellung zu Liebe dürfte
wohl das Gelenk die eigenthüralichen Flächen haben, welche bei allen
anderen Stellungen unzweckmässig erscheinen. Die Axe liegt der Hauptsache
nach senkrecht, jedoch mit dem oberen Ende vor- und medianwärts geneigt
(Henke).
An der Articulatio tarsi transversa ist das eine Stück (Articulatio talo-
navicularis), für sich betrachtet, ein Ellipsoid-Gelenk, dessen beide Haupt-
schnittebenen schief liegen (Fig. 2), das andere Stück (Articulatio calcaneo-
cuboidea) ist ein Sattelgelenk, dessen beide Hauptschnittebenen gleichfalls
schief liegen. Die Convexität der Sattelfläche am Calcaneus ist der Haupt-
sache nach horizontal gerichtet, die Concavität senkrecht, jedoch beide mit
Neigung gegen den Horizont. Die beiden Hauptschnittebenen des Ellipsoid-
und des Sattelgelenkes laufen parallel. Da
nun in horizontaler Richtung sowohl Talus wie
Calcaneus convex, in senkrechter Richtung da-
gegen der Talus convex und der Calcaneus
concav sind, so kann eine Bewegung desVorder-
fusses gegen beide nur in horizontaler Richtung
stattfinden. Hierdurch werden beide Gelenke,
d. h. die beiden Stücke der Articulatio tarsi
transversa, obwohl dem Bau nach Ellipsoid-
Gelenk und Sattelgelenk, Charniergelenke, ein-
axige Gelenke. Die Axe der Articulatio tarsi
transversa steht gleichfalls der Hauptsache nach
senkrecht, jedoch mit dem oberen Ende vor-
und medianwärts geneigt (Henke). Die Axen
der Articulatio talo-calcanea und Articulatio
tarsi transversa fallen zusammen (Henke). In
Folge der Schieflage der Axe ist die Adduc-
tionsbewegung zugleich mit einer Hebung des
medialen Fussrandes und die Rückführung aus Adduction mit Senkung des
medialen Fussrandes verbunden.
Das Gesagte ist nicht neu; die geschilderten Eigen thümlichkeiten sind
vielmehr durch Henke ^ entdeckt und von Poirier'^ unter gleichzeitip^er
Berufung auf Faraboeuf übernommen worden. Doch lässt sich, wie ich
glaube, zur schärferen Charakterisirung noch zweierlei beifügen:
1. Kann man nicht eigentlich von „Adduction" und„Abduction" sprechen,
sondern von Adduction und Rückkehr zur Grundstellung. Die Grundstellung
ist hier nämlich keine Mittelstellung, sondern sie liegt an dem einen Ende
der ganzen Bewegung, ist eine Endstellung.
Fig.
* Handbuch der Anatomie und Mechanik der Gelenke. 1863.
* TraiU d'anxitomie humaine. II. Edit. T. I. p. 776.
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568
YEBHANDLUNaEN DEB BeBIiINEB
2. Verhalten sich beide Gelenke mechanisch insofern verschieden, als
an dem hinteren Gelenk (Articulatio talo-calcanea) die incongruent werdenden
Gelenkflächen den Gang der Bewegung nicht bestimmen können. Hier treten
also die Bänder wesentlich bestimmend ein. An dem vorderen Gelenk dagegen
sind es die Flächen, welche durch ihre Gestalt die Bewegung vorschreiben.
Die beiden Stücke des vorderen Gelenkes, da sie sich, wie oben gesagt,
mechanisch als Ginglymi verhalten, müssen Seitenbänder haben. Die
Seitenbänder der Articulatio talo-navicularis sind dorsal das Ligamentum
talo-naviculare, plantar das Ligamentum calcaneo-naviculare und der mediale
Schenkel des Ligamentum bifurcatum; die Seitenbänder der Articulatio
calcanea-cuboidea sind dorsal das Ligamentum calcaneo-cuboideum dorsale
und der laterale Schenkel
des Ligamentum bifurca-
tum, plantar das Ligamen-
tum calcaneo-cuboideum
plantare (Fig. 3).
Jetzt komme ich zu
dem Punkt, den ich her-
vorheben wollte: wodurch
sind die Articulatio talo-
calcanea und die Articu-
latio tarsi transversa ge-
zwungen, gleichzeitig in
Action zu treten? Dass
dies thatsächlich der Fall
ist, lässt sich am Bänder-
präparat leicht erweisen:
man kann nicht Cuboides
und Naviculare im Sinne der Adduction bewegen, während man den Talus
am Calcaneus festhält; ebenso wenig den Talus auf dem Calcaneus, wenn
man das Cuboides am Calcaneus festhält. Ergreift man dagegen mit einer
Hand den Calcaneus und macht die adductorische Bewegung des Cuboides
und Naviculare, so verschiebt sich zwangsmässig der Talus auf dem Cal-
caneus im Sinne der adductorischen Bewegung.
Die Ursache hierfür — und damit beantworte ich die Frage der vor-
liegenden Mittheilung — liegt im Ligamentum calcaneo-naviculare. Dieses
wird bei der genannten Bewegung gespannt, die mediale Ecke des Naviculare
drückt in Folge dessen auf den Taluskopf und zwingt diesen zum Aus-
weichen. Der Muskel, der im Leben diese Bewegung veranlasst, ist der
Tibialis posticus.
3. Hr. E. Rost hält den angekündigten Vortrag: Notiz zur Kennt-
niss der Ausscheidung des Borax.
Gelegentlich von systematischen Versuchen über die Salz-Diurese,
über die an anderer Stelle berichtet werden soll, wurde auch die Aus-
scheidung des Borax auf den Magendarm verfolgt. Bekanntlich erfolgt die
Eliminirung dieses Salzes aus dem menschlichen und thierischen Organismus
im Harn sehr schnell und ist in kurzer Zeit beendet; ob eine Ausscheidung
auch in den Verdauungscanal stattfindet, ist noch nicht untersucht. Die
Bedeutung dieses Vorganges leuchtet ohne Weiteres ein; besteht ein solcher,
so kann der Borax nach seiner Resorption von der Blutbahn aus wiederum
Fig. 3.
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PHYSIOLOGISCHEN GeSELLSCHAPT. — H. ViECHOW. — E. RosT. 569
in den Darmcanal gelangen, um dann von Neuem aufgesaugt zu werden;
wobei zu erwarten ist, dass dieser Kreislauf sich mehrmals wiederholt. Der
Darm steht dann also viel länger unter Boraxwirkung, als es der Fall sein
würde, wenn dieses Salz, nachdem es einmal aus dem Darm aufgesaugt ist,
allein und direct durch die Nieren ausgeschieden würde.
Die Versuche wurden an Kaninchen angestellt, die in tiefer Urethan-
oder Urethanmorphinnarkose lagen und deren Harn aus einer Blasencanüle
floss. Aus einer Bürette liefen in die Jugularvene die betreffenden blut-
warmen Lösungen ein, darunter auch 3*8procent. Boraxlösung (auf ge-
trockneten Borax berechnet), und zwar in je 10 Minuten je 10*^™. Es
kamen 0-76 bis 2 • 28 *f^ Borax zur Verwendung. Nach dem Boraxeinlauf
wurden die Thiere zu weiteren Salzinjectionen benutzt und 60 bis 80 Minuten
später getödtet. In allen £bcperimenten mussten also die denkbar günstigsten
Verhältnisse für eine schnelle Entleerung des in die Blutbahn injicirten und
des vom Darm wieder aufgesaugten Borax im Harn in Folge der nachträglichen
Verwendung anderer diuretisch wirkender Salze statthaben, und so kann mög-
licher Weise die Ausscheidung in den Magendarm quantitativ nicht unerheblich
beeinflusst worden sein. Nach Beendigung des diuretischen Versuches wurde
unter Beobachtung aller Vorsichtsmaassregeln zur Vermeidung einer Ver-
unreinigung mit Spuren boraxhaltigen Blutes, in einem Versuche nach Ver-
blutung des Thieres und unter strömendem Wasser — wie in der 2. Hälfte
der Versuche regelmässig — dÜB Section ausgeführt und der Inhalt des
Dünn- und Dickdarmes, des Magens und der Gallenblase entnommen. Der
qualitative Nachweis geschah in den mit Soda veraschten und mit wenig
Salzsäure ausgezogenen Proben mit sehr empfindlichem Curcumapapier,
das bei 100^ getrocknet wurde ^ (Demonstration der Belegpapiere); die
Resultate wurden stets mit der Flammenreaktion (Grünfärbung der
Flamme des angezündeten Borsäureäthylesters, der beim Kochen des mit
Schwefelsäure und Alkohol versetzten Aschenauszuges entsteht) controlirt.
Dass ähnliche, die Curcumaröthung vortäuschende Färbungen bei nicht mit
Borax behandelten Thieren ausgeschlossen sind, ergab ein Control versuch.
Stets zeigte sich (5 Fälle) die intensivste Röthung des Curcumapapiers
im Inhalt des Dünndarmes; daran schloss sich der Dickdarm; im Magen
und in der Galle waren die Proben schwach, bisweilen sogar zweifelhaft.
Mit Sicherheit konnte der Borsäurenachweis mittels der weniger empfindlichen
Flammenfärbung^ nur im Dünn- und Dickdarm bestätigt werden.
Ganz dieselben Befunde ergaben Versuche mit subcutanen Injectionen
von 80 bis 100^^"^ 3 «8 procent. Boraxlösung; Tödtung und Section erfolgten
40 bis 60 Minuten nach beendeter Einspritzung: die Reactionen im Harn
übertrafen keinesfalls die des Dünndarminhaltes an Intensität.
Bei Kaninchen wird also nach intravenöser und subcutaner
Einführung Borax auf die Schleimhaut des Verdauungscanales
ausgeschieden.
Es schliesst sich demnach der Borax an die grosse Reihe Substanzen
an, die zu mehr oder weniger grossem Theil in den Magendarm eliminirt
werden. Der Körper verfügt bekanntlich über die Fähigkeit, Verbindungen
der verschiedensten Art, die im Blut und den Körpersäften kreisen, in
* Vereinharungen zur einheHlichen ünierimchung von Nahrungs- und Oenuss'
mitt^ln für d(ut Deät/tcke Reich. 1897.
* Vgl. auch Lenher and Wells, Tests for boric acid. Journ. of the americ.
ehem. sociefy, May 1899.
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570 Verhandl. deb Berliner phtsiolog. Gesellschaft. — E. Rost.
den Yerdauungscanal abzuscheiden, so das Lithiumohlorid,^ die Salze der
Schwermetalle ^ (Quecksilber, Eisen, Mangan, Wismuth), die wolframsauren
Salze, Brechweinstein, Salicylsäure,^ Santonin,* Poleyöl" (fraglich, ob direct
durch die Darmschleimhaut oder auf dem Umwege der Leber), Coffem,
Alkaloidsalze (Morphin), Schlangengift u. s. w. Einige von ihnen, so
p das Morphium, werden zum bei weitem grössten Theil auf diesem Wege
entfernt, während andere, wie die Salicylsäure und Lithiumsalze, nur in
geringen Mengen auf die Magendarmschleimhaut abgeschieden werden. Bei
dem Borax dürfte die Ausscheidung ebenfalls nur zum kleinen Theil in
den Yerdauungscanal stattfinden ; über die quantitativen Verhältnisse
lässt sich hiemach Bestimmtes aber nicht sagen, da bei der Möglichkeit
der schnellen Rückaufsaugung immerhin ein erheblicher Theil des Borax,
der endgültig den Organismus im Harn verlässt, erst auf den Darm ab-
geschieden sein kann. Interessant ist ferner, dass in allen untersuchten
Fällen die intensivsten Borsäurereactionen im Dünndarm, die schwächsten im
Magen und in der Gallenblase zu constatiren waren, während der Dickdarm
eine Mittelstellung einnahm. Morphin, Tartarus stibiatus, Santonin u. s. w.
bevorzugen bei der Ausscheidung den Magen; für die Salze einiger Schwer-
metalle ist der typische Ort der Ausscheidung der Dickdarm und eventuell
die Mundschleimhaut (Wismuth®); für andere auch die Galle, so far
Kupfer (Brandl), für Blei (Annuschat); bei Santonin scheinen die untersten
Darmabschnitte die Hauptausscheidungsstätten zu sein. Leineweber giebt
an, dass die Ausscheidung von Substanzen besonders dann durch die Magen-
schleimhaut zu erfolgen scheine, wenn es Agentien sind, die, in grossen
Dosen angewandt, den Blutdruck erniedrigten und den Puls verlangsamten
(Morphin, Atropin, Strychnin, Chinin, Salicylsäure); nicht aber Jodnatrium,
das auch so gut wie nicht den Blutdruck beeinflusse. Hierzu sei — ohne
zu diesem vermutheten Zusammenhang Stellung zu nehmen — erwähnt, dass
von den 2 Kaninchen, die subcutan Borax erhielten, dasjenige die stärksten
Borsäurereactionen im Dünn- und Dickdarm zeigte, welches in Folge seiner
mangelhaften Herzthätigkeit und der Athmungsstockung schon vom Versuch
ausgeschaltet werden sollte und das nur durch manuelle künstliche Respiration
am Leben erhalten wurde.
^ Leineweber, üeber Elimination sabcatan applicirter Arzneimittel dareh die
Mageosohleimbaut. Inaug.-DUs. Göttinnen 1883.
* Die übrij^e Litteratur findet sieb in Kunkel, Handbuch der Toxicologie, 1899.
Bd. I. S. 54 zusammengestellt.
» Blanchier et Bochefontaine, Compte^t rendwt, 1878. T. LXXXVH. -
Marmä, Nachrichten der KonigL Gesellsch. 1878. — Leineweber, a. a.0.
* Ü. Oaspari, üeber das Verhalten des Santonins. Inaug.-Disu, Berlin 1883.
(Unter Lew in 's Leitung; s. auch Bertiner klinische WochenschHfL 1888.) — Neu-
mann, Der Nachweis des Santonins. Inauq.-Diss. Dorpat 1883. — Lewin, Lehr-
buch der Toxicologie. 1897. S. 317. * ^
^ Lindemann, Ueber die Wirkungen des Oleom Pulegii. Archiv für experim.
Pathol. und Pharm. 1899. Bd. XLII.
* Hans Meyer und Steinfelü, Untersuchungen iH)er die Wirkungen des Wis-
muths. Archiv ßir experim. PaihoL und Pharm. 1886. Bd. XX. — Kocher, Volk-
mann's Hin. Vorträge. Nr. 224.
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Archiv ILAuat.v.Pli i/s. li
lArt.A
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Physiol. AbtheilaDg. 1899. Supplement-Band, I. Hälfte.
"JJSS
'^
ARCHIV •
FÜR
ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE.
F0RT8BTZONO DES voK RELU KEIL c. AUTENRIETH, J. F. MBCKEL, JOiL MÜLLER.
REICHERT ü. DU BOIS-REYMOND HBBAUseBonftVBH Abchivbs.
. HERAUSGEGEBEN
VON
Dr. WILHELM EIS,
PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER CNIYERSITXT LEIPZIG.
UND
Dr. TH. W. engelmann,
PROFESSOR DER PHTSIOLOQIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN.
JAHR&AN& 1899.
PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG.
SUPPLEMENT. BAND.
= ERSTE HÄLFTE. =ä
MIT SIEBEN ABBILDUNGEN IM TEXT UND EINEB TAFEL.
■>*^ ,
LEIPZIG,
VERLAG VON VEIT & COMP.
1899.
Zu bexieheti durch afle Buchhandlungen des In» und Auslamles.
(Ausgegeben am 28. Juli 1899.)
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Inhalt.
• f •
Sdt«
H, Oppenheim, Zur Brown-Sequard'schen Lähmung 1
Waltheb Lob, Üeber das Verhalten des Eudoxins . . 31
R. Cassibkb, Elin Fall von multipler HirnpervcDlähmnng. Zugleich als Beitrag
zur Lehre von der Geschmacksinnervation 36
Immanuel Munk und Max Lbwandowsky, lieber die Schicksale der Eiweiss-
stoffe nach Einführung in die Blutbahn 78
Benno Lewt, Ueber die Adhäsion des Blutes an der Wandttng der Blutgefässe - 89
Fritz Strassmann, Ueber den Durchgang des Sublimats durch den Placentar-
kreislauf 95
Emilio Cayazzani, Ueber den Mechanismus der Zuckerbildung in der Leber . 105
0. Haobmann, Beitrag zur Lehre vom Stoffwechsel der Wiederkäuer . . . . 11 1
Johannes Fbsntzxl, Ergographisohe Versuche über die Nährstoffe als Kraft-
spender für ermüdete Muskeln 141
CA. Ewald, Ueber Emährungsklysmata 160
A. LoEWY und Paul Fbiedr.. Richter, Serualfunction und Stoffwechsel. Ein
experimenteller Beitrag zur Frage der Organ therapie 174
PosNBR und F. AsoH, Ueber den Einfluss der Rückenmarksdurchschneidung auf
die Niere 199
Bernhard Bbndix, Ein Stoffwechsel versuch beim atrophischen Säugling . . . 206
P. Strassmann , Beitrag zur Lehre von der fötalen Hamsecretion und der Her-
kunft des Fruchtwassers. (Hierzu Taf. L) 21S
J. Dbwitz, Ueber den Bheotropismus bei Thieren 231
J. RiCH. Ewald, Zur Methodik der Messung des peripheren Widerstandes in
einer Arterie 245
F. Tangl, Beitrag zur Kenntniss des Energiegehaltes des menschlichen Harnes 251
WiLH. Cabpari, Ein Beitrag zur Frage nach der Quelle des Milchfettes . . . 267
J. F. Heybians und I. Ronsse, Einfluß» der Anämie und der Plethora auf die
Wirkung des Tetanusgifkes 281
Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat - Abzüge ihrer Bei-
träge gratis und 30 o^ Honorar für den Druckbogen.
Beiträge für die anatomlsohe Abtheilung sind an
Professor Dr. Wilhelm Uis in Leipzig,
während der Monate März, April, August und September jedoch an die
Verlagsbuchhandlung Veit & Comp* in Leipzig,
Beiträge für die physioiogiBohe Abtheilung an
Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin N.W., Dorotheenstr. 85
•portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holsschnitten sind
auf vom Mannscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich-
nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berttoksichtigung
der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine ZusammenBtellung, die
dem Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen.
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JAN 11 1900
Physiol. Abthellnng. 1899. Supplement-Band, II. Hälfte
ARCHIV
PUB
ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE.
FoBTSBTZUNO DBS VON REIL, REIL u. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. BfÜLLEß,
REICHERT ü. Du BQIS-RETMOND HBBAüBGBasBlurBN Abohitbs.
HEBAüSaEaEBEN
VON
Dr. WILHELM HI8,
PB0FB880B DBB ANATOMIS AN DER üKIVBBSITIT LBIFZIQ,
UND
Dr. TH. W. ENöBLMANN,
PB0FB8S0B DER PHYSIOLOOIB AK DBR UNIYBBSITÄT BBBLIK.
JAER&AUft 1899. .
PHYSIOLOGISCHE ABTHEILÜNG.
SUPPLEMENT-BAND.
= ZWEITE HÄLFTE. =
MIT ACHT ABBILDUNGEN IM TEXT.
*
LEIPZIG,
VERLAG VON VEIT A COMP.
1899.
Zu beziehen durch aUe Buchhandlungen des In^ und Auelandes.
(Ausgegeben am 25. Oktober 1899.)
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^ Inhalt, , .
Seite
ScHUMBCRG, üeber die Bedeutung von Kola, Kaffee, Thee, Matd und Alkohol
für die Leistung der Muskeln . . .* 289
Maqnus Lbvy und £. Falk, Der Lungengasweohsel des Menschen in den ver-
schiedenen Altersstufen ' . . 814
0. Haoemann, Berichtigung und Ergänzung zu dem Aufsatze „Beitrag zur Lehre
vom Stoffwechsel der Wiederkäuer" 882
Hans Fbibdbkthal, Ueher Amylaceenverdauung im Magen der Carnivoren . . 888
W. V. Bechtbbbw, üeber die Gehörcentra der Hirnrinde 391
Steinhausen, Beiträge zur Lehre von dem Mechanismus der Bewegungen des
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substanz. Zweite Mittheilung 431
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Hansbmann, Demonstration zur Spermatogenese des Orang-Utang — Max
David, Kurze Mittheilung über histqlogische Vorgänge nach Implantation
. von Elfenbein in JSchädeldefecte. — Albbbt Nbümann, Zur Vereinfachung
der Phenvlhydrazin-Zuckerprobe. — Albebt Nbumahn, Verfiihren zur Dar-
, Stellung der Nuclelnsäuren a und b und der Nucleothyminsäure. — A. Lobwt,
üeber die Bedingungen der Tonerzeugung und das Pfeifen im luftverdich-
teten Räume. — R. du Bois-Rbtmond, üeber den Person'schen Versuch. —
Thobneb, Demonstration eines stabilen Augenspiegels. — A. Lobwy, Sexual-
funotion und Stoffwechsel. — H. Vibchow, üeber die Gelenke der Fuss-
wurzel. — E. Rost, Notiz zulr Eenntniss der Ausscheidung des Borax.
Die Herren Mitarbeiter erhalten viertig Separat - Abzfige ihrer Bei-
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auf vom Hanuscript getrennten Blättern beiaulegen. ' Bestehen die Zeich-
nungen zu Tafeln ans einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksiolitigung
der Formatyerhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die
dem Lithographen als Vorlage dienen kann, beizuf&gen.
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